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Bedarfsbewertung/ Ertragswert/ Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts

Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, Urteil vom 27.11.2014, 1 K 77/13

§ 181 Abs 3 BewG, § 182 Abs 3 BewG, § 186 Abs 1 BewG, § 198 BewG

Tatbestand

1
Streitig ist die Höhe des festzustellenden Grundstückswerts.
2
Die Klägerin erwarb im Mai 2011 von Todes wegen das mit einem Mehrfamilienhaus bebaute Grundstück X-Str. … in Y. Von den im Haus befindlichen 8 Wohnungen waren zu diesem Zeitpunkt nur 5 vermietet. Die übrigen 3 Wohnungen befanden sich zu Sanierungszwecken in einem rohbauähnlichen Zustand.
3
Das Finanzamt für Verkehrssteuern und Grundbesitz A beantragte beim Beklagten eine Feststellung des Grundbesitzwerts für das o.g. Grundstück und übersandte die Kopie eines Marktwertgutachtens von Herrn Dipl.-Ing. F vom 22. August 2011, in dem dieser für das Objekt einen Marktwert in Höhe von … € ermittelte …
4
Am 4. Mai 2012 forderte der Beklagte eine baufachliche Stellungnahme der Bausachverständigen beim Finanzamt Y an.
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Diese führte am 11. Mai 2012 eine Besichtigung des Objektes unter Anwesenheit u.a. der Klägerin und des Sachgebietsleiters durch. …
6
Mit Schreiben vom 29. Juni 2012 … nahm F noch einmal Stellung zu einigen Punkten in seinem Gutachten.
7
In ihrer Stellungnahme vom 8. Juli 2012 vertrat die Bausachverständige die Auffassung, selbst mit Hilfe der Erläuterungen von F könne dessen Wertermittlung nicht nachvollzogen werden. Das eingereichte Gutachten sei nicht anzuerkennen. Wegen der Einwände im Einzelnen wird auf … Bezug genommen.
8
Daraufhin legte die Klägerin ein Verkehrswertgutachten von Herrn Dipl.-Ing. N vom 19. Oktober 2012 … vor, in dem dieser einen Verkehrswert in Höhe von … € ermittelte.
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In ihrer Stellungnahme zum Gutachten N teilte die Bausachverständige mit, das Gutachten könne in mehreren Punkten nicht nachvollzogen und somit nicht anerkannt werden…
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Der Beklagte führte eine Wertermittlung für das Gebäude im Wege des Ertragswertverfahrens nach dem Bewertungsgesetz (BewG) durch. Als Rohertrag übernahm er dabei die im Gutachten F angesetzten Mieten in Höhe von … € und kam zu einem Grundbesitzwert in Höhe von … €. Er erließ am 28. Februar 2013 einen entsprechenden Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum Besteuerungszeitpunkt … Mai 2011.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Sie habe den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 198 BewG durch Vorlage von Gutachten öffentlich bestellter und vereidigter Gutachter geführt. Diese kämen unabhängig voneinander zu annähernd gleichen Werten.
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Mit Bescheid vom 17. April 2013 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die beiden eingereichten Gutachten seien nach Überprüfung durch die Bausachverständige nicht anzuerkennen.
13
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin den Grundstückwert auf … € herabzusetzen.
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Sie habe durch Vorlage zweier Gutachten einen niedrigeren Wert nachgewiesen.
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Darüber hinaus dürften im Rahmen des Ertragswertverfahrens nach dem BewG nur die am Bewertungsstichtag tatsächlich erzielten Einnahmen zu Grunde gelegt werden. Ein etwaiger fiktiver Wert für die leerstehenden Wohnungen sei nicht anzusetzen, diese seien im damaligen Zustand nicht vermietbar gewesen. Alternativ sei bei der Ertragswertberechnung des Finanzamts die Kosten für die Sanierung auf den jeweiligen „Etagenstandard“ zu berücksichtigen, dieser betrage schätzungsweise rund 100.000 €.
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Die unterlassenen Instandhaltungen führten zu einer Verkürzung der üblichen Restnutzungsdauer. Bei dem Gebäude bilde sich ein Riss in der Fassade, welcher diese nach vorne kippen lasse. Das Dach befinde sich in einem schlechten Zustand. Die Schäden in den rohbauähnlichen leerstehenden Wohnungen müssten ebenfalls zu einer Verkürzung der Restnutzungsdauer führen.
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Die Klägerin legte Tabellen über die Vermietung der Wohnungen und deren Zustand zum Bewertungsstichtag und am … September 2013 und die entsprechenden Mietverträge vor. Zudem übersandte sie Bilder der am Bewertungsstichtag nicht vermieteten Wohnungen im Zustand zum Zeitpunkt des Erbfalles  sowie im Zustand nach den durchgeführten Baumaßnahmen und eine Aufstellung der im Jahr 2012 angefallenen Sanierungskosten – aufgeteilt auf die einzelnen Wohnungen und den allgemeinen Bereich.
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Im weiteren Klageverfahren reichte die Klägerin darüber hinaus ergänzende Stellungnahmen der Gutachter F und N ein …
19
Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundstückswerts zum Besteuerungszeitpunkt … Mai 2011 vom 28. Februar 2013 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 17. April 2013 dahingehend zu ändern, dass der Grundstückswert von … € um … € auf … € herabgesetzt wird.
21
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen, wobei gegen eine Herabsetzung auf den Wert von … € keine Einwände erhoben werden.
23
Er hält an der Auffassung fest, dass die Gutachten, aus den von der Bausachverständigen dargestellten Gründen, nicht anerkannt werden könnten.
24
Während des Klageverfahrens führte der Beklagte eine Ertragswertberechnung nach dem BewG unter Zugrundelegung der tatsächlich erzielten Mieten durch, wobei er für die leerstehenden Wohnungen jeweils den qm-Preis der auf der gleichen Etage liegenden vermieteten Wohnung ansetzte. Die führte ausgehend von einem Rohertrag in Höhe von … € zu einem Grundbesitzwert in Höhe von … € …
25
Der Beklagte legte einen Mietspiegel 2012 von Y für nicht preisgebundenen Wohnraum (künftig Mietspiegel) vor und erläuterte, für das Jahr 2011 habe die Stadt keinen Mietspiegel erstellt.
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Weiter reichte er eine Stellungnahme der Bausachverständigen zu den ergänzenden Stellungnahmen der Gutachter F und N ein, in der diese ausführt, die Gutachten könnten nach wie vor nicht anerkannt werden. …

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der festgestellte Grundbesitzwert … € übersteigt.
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I. Die Wertermittlung des Beklagten ist unzutreffend, da er nicht die vertraglich vereinbarten Mieten zugrunde gelegt hat.
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Nach § 182 Abs. 3 BewG sind Mietwohngrundstücke im Ertragswertverfahren nach §§ 184 bis 188 BewG zu bewerten.
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1. Mietwohngrundstücke sind nach § 181 Abs. 3 BewG Grundstücke, die zu mehr als 80 Prozent, berechnet nach der Wohn- oder Nutzfläche, Wohnzwecken dienen, und nicht Ein- und Zweifamilienhäuser oder Wohnungseigentum sind.
31
Vorliegend ist von einem Mietwohngrundstück mit 8 Wohnungen auszugehen. Der Umstand, dass im Bewertungszeitpunkt nur 5 Wohnungen vermietet waren, während drei weitere rohbauartig zurückgebaut leer standen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Führen Umbau- und Renovierungsarbeiten an einem Gebäude zu einer nur vorübergehenden Unbenutzbarkeit des Gebäudes oder einiger Gebäudeteile, hat dies keine bewertungsrechtlichen Auswirkungen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 II R 104/91, BFHE 176, 439, BStBl II 1995, 360). Tatsächlich war der rohbauartige Zustand hier nur vorübergehend. Nach Darstellung der Klägerin sind die Wohnungen zwischenzeitlich alle vermietet.
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2. Bei der Ermittlung des Gebäudeertragswerts ist von dem Reinertrag des Grundstücks auszugehen. Dieser ergibt sich nach § 185 Abs. 1 BewG aus dem Rohertrag des Grundstücks (§ 186 BewG) abzüglich der Bewirtschaftungskosten (§ 187 BewG).
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Nach § 186 Abs. 1 BewG ist Rohertrag das Entgelt, das für die Benutzung des bebauten Grundstücks nach den am Bewertungsstichtag geltenden vertraglichen Vereinbarungen für den Zeitraum von zwölf Monaten zu zahlen ist. Umlagen, die zur Deckung der Betriebskosten gezahlt werden, sind nicht anzusetzen. Für Grundstücke oder Grundstücksteile, die eigengenutzt, ungenutzt, zu vorübergehendem Gebrauch oder unentgeltlich überlassen sind oder solche, die der Eigentümer dem Mieter zu einer um mehr als 20 Prozent von der üblichen Miete abweichenden tatsächlichen Miete überlassen hat, ist nach § 186 Abs. 2 BewG die übliche Miete anzusetzen. Diese ist in Anlehnung an die Miete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird, Betriebskosten sind nicht einzubeziehen.
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Für die fünf tatsächlich vermieteten Wohnungen ist demnach die tatsächliche Miete anzusetzen. Die Mietminderung von … € bei der Wohnung … ist dabei nicht zu berücksichtigen, da das Entgelt nach den geltenden vertraglichen Vereinbarungen anzusetzen ist.
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Für die drei rohbauartig zurückgebauten Wohnungen ist dagegen die übliche Miete zu Grunde zu legen, da diese zum Bewertungsstichtag ungenutzt waren. Soweit die Klägerin meint, für diese Wohnungen dürfe keine Miete erfasst werden, folgt der Senat dem nicht. Wie oben dargestellt, hat es keine bewertungsrechtlichen Auswirkungen, wenn Umbau- und Renovierungsarbeiten an einem Gebäude zu einer nur vorübergehenden Unbenutzbarkeit des Gebäudes oder einiger Gebäudeteile führen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 II R 104/91, BFHE 176, 439, BStBl II 1995, 360). Für diese Wohnungen kann die übliche Miete aus den vereinbarten Mieten für die andere Wohnungen auf der jeweils selben Etage geschätzt werden.
36
Es ist daher von einem Rohertrag in Höhe von … € auszugehen, wie ihn der Beklagte während des Klageverfahrens berechnet hat.
37
3. Einwände gegen den vom Beklagte angesetzten Bodenrichtwert, den vom Beklagte verwendeten Liegenschaftszins, die vom Beklagte ermittelte Restnutzungsdauer, den Ansatz der Bewirtschaftungskosten mit 27 % und die Ermittlung der Bodenwertverzinsung hat die Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
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Dementsprechend ergibt sich nach dem Ertragswertverfahren im Sinne der §§ 184 bis 188 BewG ein Grundbesitzwert in Höhe von … €.
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II. Die Klägerin hat aber darüber hinaus einen niedrigeren gemeinen Wert in Höhe von … € nachgewiesen.
40
Nach § 198 BewG ist ein geringer Wert anzusetzen, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert.
41
In der Wahl der Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ist der Steuerpflichtige grundsätzlich frei (BFH-Urteile vom 8. Oktober 2003 II R 27/02, BFHE 204, 306, BStBl II 2004, 179 und vom 2. Juli 2004 II R 55/01, BFHE 205, 492, BStBl II 2004, 703). Ein solcher Nachweis kann sowohl durch Vorlage eines Gutachtens des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden als auch durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück (BFH-Urteil vom 2. Juli 2004 II R 55/01, BFHE 205, 492, BStBl II 2004, 703). Das vom Steuerpflichtigen gewählte Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts muss allerdings von einer Aussagekraft sein, die der eines Gutachtens des Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen bzw. von Kaufpreisen für entsprechende Grundstücke vergleichbar ist. Für jedes der zum Nachweis gewählten Mittel gilt, dass es grundsätzlich der freien Beweiswürdigung des Gerichts unterliegt (BFH-Urteil vom 10. November 2004 II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259 und BFH-Beschluss vom 31. August 2006 II B 115/05, BFH/NV 2007, 11).
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Soll der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts durch Vorlage des Gutachtens eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden, muss dieses Gutachten inhaltlich richtig sein und den allgemein anerkannten Grundsätzen der Wertermittlung genügen (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 9. September 2009 II B 69/09, BFH/NV 2009, 1972). Ein Sachverständigengutachten kann nur dann als Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts dienen, wenn der hierin gefundene Wert in jeder Hinsicht nachvollziehbar und hinsichtlich seiner Berechnungsgrundlagen genügend transparent ist (vgl. Finanzgericht München, Urteil vom 7. März 2012 4 K 826/09, juris). Ob das Gutachten den geforderten Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Finanzamts und des Finanzgerichts (vgl. BFH-Urteile vom 10. November 2004 II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259 und vom 3. Dezember 2008 II R 19/08 BFHE 224, 268, BStBl II 2009, 403). Der Nachweis ist erbracht, wenn dem Gutachten ohne Einschaltung bzw. Bestellung weiterer Sachverständiger gefolgt werden kann. Einem Gutachten, das bei Fehlen bewertungsrechtlicher Sonderregelungen den Vorgaben der Wertermittlungsverordnung (WertV) entspricht und plausibel ist, wird regelmäßig zu folgen sein (BFH-Urteil vom 3. Dezember 2008 II R 19/08 BFHE 224, 268, BStBl II 2009, 403).
43
Nach Auffassung des Senats ist es ausreichend, wenn sich die vom Gutachter angesetzten Werte im Rahmen des Vertretbaren bewegen. Maßstab für die Beurteilung sind dabei neben der Kommentarliteratur auch die erstmals 1955 für den Bereich der Bundesvermögens- und Bauverwaltung vom Bundesministerium der Finanzen erlassenen Richtlinien für die Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken (zu Einzelheiten der Geschichte und des Anwendungsbereichs der Richtlinien vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 507 Rn. 40 ff). Der Senat ist sich bewusst, dass er in keiner Weise an die bundesministeriellen Richtlinien gebunden ist. Er sieht hierin aber Bewertungsgrundsätze, auf die in der Rechtsprechung – wie schon geschehen (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 513 Rn. 57 und Fußnoten 177, 178 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg) – zurückgegriffen werden kann. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass die „Wertermittlungsrichtlinien in Zusammenarbeit mit Vertretern der zuständigen Bundes- und Landesressorts, den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände sowie der Fachkommission „Städtebau“ in der Arbeitsgemeinschaft der für das Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen zuständigen Ministerien der Länder (Argebau) entstanden sind“ (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 513 Rn. 57).
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Entspricht das Gutachten nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen, berechtigt dies nicht ohne weiteres dazu, das Gutachten insgesamt unberücksichtigt zu lassen. Ist etwa ein vorgenommener Abschlag nicht hinreichend begründet, ist lediglich dieser Abschlag zu streichen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Mai 2010 II R 25/09, BFHE 230, 72, BStBl II 2011, 203). Das Finanzgericht kann sich seine Überzeugung von einem niedrigeren gemeinen Wert des zu bewertenden Grundstücks auch dadurch bilden, dass es aus mehreren vom Steuerpflichtigen vorgelegten Gutachten diejenigen Ansätze bezüglich derselben Bewertungsmethode übernimmt, die gemäß der WertV ermittelt und plausibel sind, und diese Ansätze – sofern möglich – zu einem Ganzen zusammenfügt (vgl. BFH-Beschluss vom 9. September 2009 II B 69/09, BFH/NV 2009, 1972). Etwaige Lücken in einem Gutachten können vom Finanzamt und vom Finanzgericht selbst geschlossen werden, wenn und soweit dies ohne Sachverständige im üblichen Rahmen einer Beweiswürdigung möglich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 9. September 2009 II B 69/09, BFH/NV 2009, 1972).
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Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben folgt der Senat der Ermittlung im Gutachten F mit Ausnahme der Höhe des Mietausfallwagnisses und des Abschlages für Instandsetzungs- und Fertigstellungsarbeiten.
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1. Gegen die von F vorgenommene Anwendung des Ertragswertverfahrens bestehen keine Bedenken, da dieses für Mietwohngrundstücke geeignet ist (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1603 Rn. 1).
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2. Der von F angesetzte Rohertrag in Höhe von … € ist nicht zu beanstanden.
48
F hat zu seinem Ansatz von 5 €/qm ergänzt, er halte diesen Ansatz für angebracht und objektrelevant. Es handle sich dabei um eine moderate „Bindungsmiete an den Mieter für längere Zeit“. Die Mieter müssten aufgrund der fehlenden Wärmedämmung mit niedrigeren Nettokaltmieten „angelockt“ werden. Diese Erläuterungen sind einleuchtend und nachvollziehbar. Zwar liegt der Ansatz von 5 €/qm etwas unterhalb der im Mietspiegel genannten Beträge (ohne Zu- und Abschläge) von 5,29 €/qm bzw. 5,31 €/qm. Ein Abweichen von unter 10 % erscheint aber unbedenklich, wenn ein Gutachter – wie vorliegend – das Objekt in Augenschein genommen hat und unter Berücksichtigung individueller Merkmale zu einem geringeren Wert kommt.
49
Tatsächlich liegt der von F gewählte Ansatz ca. 10 % über den zum Bewertungsstichtag tatsächlich erzielten Mieten, selbst wenn man für die drei rohbauartig zurückgebauten Wohnungen den qm-Preis der vermieteten Wohnung auf derselben Etage ansetzt. Den tatsächlich unter fremden Dritten vereinbarten Mieten kommt insoweit ein höherer Beweiswert zu als den Mieten nach dem Mietspiegel, denn letztere geben nur das durchschnittliche Mietniveau für Standardwohnungen wider, ohne individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Demnach lässt sich nicht feststellen, dass die von F verwendete Nettokaltmiete – auch unter Berücksichtigung der Sanierung von 3 Wohnungen – offensichtlich unangemessen wäre.
50
3. Bei den von F berücksichtigten Bewirtschaftungskosten (Verwaltungskosten in Höhe von 3 %, Instandhaltungskosten in Höhe von 25 % und Mietausfallwagnis in Höhe von 5 % des Rohertrags) ist lediglich der Ansatz für das Mietausfallwagnis herabzusetzen. Im Übrigen ist eine Überschreitung des gutachterlichen Ermessens des F nicht zu erkennen.
51
a. Die Verwaltungskosten bewegen sich bei Wohnimmobilien je nach Bundesland in einer Größenordnung von 3 % bis zu 10 % der Jahresbruttomiete (Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1829 Rn. 63). Die Richtlinien für die Ermittlung des Verkehrswerts von Grundstücken vom 11. Juni 1991 (WertR91; BAnz Nr. 182a vom 27. September 1991) nennen 3 % bis 5 % des Rohertrags. Der Senat hat daher keine Bedenken gegen den von F gewählten Ansatz von 3 %. Zwar sind in Nr. 3.5.2.3 der inzwischen gültigen Richtlinien vom 1. Juni 2006 (WertR) keine Prozentangaben mehr enthalten, diese geben stattdessen durch Bezugnahme auf die den Richtlinien als Anlage 3 auszugsweise beigefügten Verordnung über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz (Zweite Berechnungsverordnung, in der den auf den 1.1.2011 aktualisierten Fassung – künftig II. BV) nur Höchstbeträge als Anhaltspunkte an. Der dort genannte Höchstbetrag für Verwaltungskosten von 263,55 € jährlich je Wohnung wird im Streitfall jedoch deutlich unterschritten. Der Ansatz liegt auch noch unterhalb des niedrigsten von Kleiber mitgeteilten Spannenwerts, weil im Gutachten des F Bezugsgröße nicht die Bruttomiete, sondern nur der Rohertrag ist.
52
b. Der Ansatz der Instandhaltungskosten mit 25 % liegt zwar etwas über den von Kleiber (Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1845 Rn. 139, 140) unter Berufung auf die in der nicht mehr gültigen WertR91 genannten Zahlen für vor 1925 errichtete Gebäude bei einfacher Ausstattung (ohne Bad, ohne Heizung) von etwa 20-25 %, bei mittlerer und besserer Ausstattung von etwa 15-20 % des Rohertrags. In der aktuellen WertR06 sind bis 13,18 €/qm Wohnfläche je Jahr für Wohnungen, deren Bezugsfertigkeit mindestens 32 Jahre zurück liegt, als Anhaltspunkt angegeben (Nr. 3.5.2.4 i.V.m. Anlage 3 WertR). Das vorliegend zu bewertende Gebäude verfügt über Bäder und Heizung, ist jedoch deutlich vor 1925 errichtet worden und ganz erheblich älter als 32 Jahre. Zwar finden sich in den Akten unterschiedliche Angaben zum Baujahr des Gebäudes. So gehen N und die Bausachverständige von 1890 aus, in der Einheitswertakte ist als Baujahr 1897 eingetragen und F nimmt 1900 an. Es steht für das Gericht danach aber fest, dass das zu bewertende Objekt mindestens 25 Jahre vor den ältesten von Kleiber berücksichtigten Gebäuden erbaut worden und ca. 80 Jahre älter als die in Anlage 3 der WertR aufgeführten Gebäude ist. Unter diesen Umständen ist der Ansatz des F nicht zu beanstanden. Er hält sich im Rahmen seines gutachterlichen Ermessens, wenn er die zu erwartenden Instandhaltungskosten bei einem Gebäude, das deutlich älter ist als die, für die in Literatur oder Richtlinien Werte angegeben werden, moderat höher als dort vertreten berücksichtigt.
53
Dies gilt erst recht, wenn – wie vorliegend – das Haus ursprünglich mit einfachen Baustoffen errichtet wurde, die Kellergeschosswände und -fußböden baujahrestypisch durchfeuchtet sind und es an nennenswerten Wärmedämmmaßnahmen fehlt. Der von F gewählte Ansatz ist daher nicht zu bemängeln.
54
Soweit der Beklagte dem die „komplette Instandsetzung“ des Gebäudes entgegenhält, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die ursprünglich verwendeten einfachen Baustoffe sind weiterhin vorhanden. In der von F vorgenommenen Auflistung der Baukosten sind keine Aufwendungen für Wärmedämmung enthalten. Eine Doppelberücksichtigung ergibt sich auch nicht bezüglich der Positionen Treppenhaus, Dachgeschoss und Durchfeuchtung der Kellerräume, da – wie unter II.4.b.cc. ausgeführt – die von F hierfür veranschlagten Baukosten nicht abgezogen werden können.
55
c. Das Mietausfallwagnis mit 5 % des Rohertrags zu bewerten, erscheint dem Senat dagegen zu hoch. Nach 3.5.2.5 WertR i.V.m. Anlage 3 WertR (§ 29 Satz 3 II. BV) können insoweit 2 % der Nettokaltmiete als Anhaltspunkt gelten. Die von F für den höheren Wert angeführten Gründe überzeugen den Senat nicht.
56
Die erforderlichen Sanierungsarbeiten und die Herrichtung der derzeit nicht bewohnbaren Wohnungen rechtfertigen eine Erhöhung des Mietausfallwagnisses für die gesamte Restnutzungsdauer, wie sie in dem Ansatz eines höheren Prozentsatzes des Rohertrags zum Ausdruck kommt, nicht. Mit dem Beklagten geht der Senat davon aus, dass der vorübergehenden Nichtvermietbarkeit der leerstehenden Wohnungen dadurch Rechnung zu tragen ist, dass insoweit ein besonderer Ertragsausfall berücksichtigt wird (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1836 Rn. 102).
57
Für die Ermittlung des Ertragsausfalls geht das Gericht von einer sanierungsbedingten Unvermietbarkeit von sechs Monaten aus. Dabei ist es unbeachtlich, ob die Klägerin tatsächlich länger für die Sanierungsmaßnahmen gebraucht hat, da es darauf ankommt, welche Abzüge insoweit bei Verhandlungen mit einem gedachten Erwerber vereinbart würden. Es wäre zu erwarten, dass die Vertragsparteien ihrer Wertermittlung die Annahme zugrunde legten, die Sanierungsmaßnahmen würden ohne Verzögerungen aufgenommen und durchgeführt. Der Ertragsausfall ermittelt sich daher anhand der von F berücksichtigten monatlichen Mieterträge für die Wohnungen EG rechts und 1. OG rechts (je … €) und DG rechts (… €) mit (… €/Monat * 6 Monate =) … €. Eine entsprechende Korrektur des Gutachtens hält sich im üblichen Rahmen der Beweiswürdigung und ist ohne Zuziehung eines Sachverständigen möglich.
58
4. Der von F berücksichtigte Liegenschaftszins von 7 % liegt nach Auffassung des Senats nicht außerhalb des Vertretbaren.
59
Liegenschaftszinssätze werden von den Gutachterausschüssen für Grundstückswerte abgeleitet und in den Grundstücksmarktberichten veröffentlicht. Der Grundstücksmarktbericht 2012 für Y weist für die Jahre 2010 und 2011 bei einem Baujahr vor 1945 einen Liegenschaftszins von 5,9 % aus. In dem Grundstücksmarktbericht ist erläutert, dass abweichende Merkmale des Objektes von den durchschnittlichen Eigenschaften zu Veränderungen des Liegenschaftszinssatzes von bis zu 1,0 in beide Richtungen führen. Nach Kleiber (Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 1232 Rn. 179) sind Abweichungen vom Liegenschaftszinssatz der Grundstücksmarktberichte nicht nur zulässig, sondern in der Regel geboten, denn es handle sich um durchschnittliche Liegenschaftszinssätze, die für durchschnittliche Eigenschaften der Grundstücke abgeleitet seien, ohne dass nach der örtlichen Lage oder der Restnutzungsdauer unterschieden werde. Wenn sich ein Gutachter mit nachvollziehbarer Begründung für einen Liegenschaftszins innerhalb der Spanne von +/- 1 des angegebenen Liegenschaftszins entscheidet, ist dies demzufolge in der Regel nicht zu beanstanden.
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F hat den von ihm für richtig erachten Liegenschaftszins hinreichend begründet. Er führt aus, dass er sich an den Wert aus dem Grundstücksmarktbericht angelehnt habe. Im Schreiben vom 28. Oktober 2013 hat er erläutert, dass aus seiner Sicht ein Liegenschaftszins von 7 % für die Altimmobilie aus der Zeit vor 1900 objektangepasst sei. Zudem hat er u.a. das mietfeindliche Mietumfeld mit tristen kleinen Hinterhöfen, den Parkplatzmangel und den laufenden Verkehr, die eingeschränkte Möglichkeit des Einbaus eines Fahrstuhles und die schlechte Wärmedämmung zur Begründung angeführt. Dies hält das Gericht für hinreichend nachvollziehbar. Der Gutachter hat die Immobilie besichtigt. Seine Argumentation ist schlüssig. Soweit der Beklagte die Beurteilung der Wohnlage unter Hinweis auf den Bodenrichtwert in Höhe von … €/qm in Frage stellt, ist dem nicht zu folgen, denn der Bodenrichtwert bildet nur allgemein die Werte für einen größeren Bereich ab. Dass innerhalb dieses Bereichs konkrete Wohnlagen aufgrund individueller Besonderheiten dennoch weniger gut sein können, kann aufgrund des Bodenrichtwerts gerade nicht ausgeschlossen werden.
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Es ist auch unschädlich, dass die Abweichung tatsächlich mehr als 1, nämlich 1,1, beträgt. Die Überschreitung der Spanne des Grundstücksmarktberichts um 0,1 hält der Senat für zu gering, als dass man nicht mehr von einer vertretbaren Auffassung ausgehen könnte. Darüber hinaus weist der Grundstücksmarktbericht 2011 für das Jahr 2010 einen Liegenschaftszins von 6,0 % aus, allerdings mit dem Hinweis, dass er durch das Ergebnis 2011 noch korrigiert werde. Das Gutachten F datiert vom 22. August 2011 – also von einem Zeitpunkt, als der Grundstücksmarktbericht 2012 noch nicht vorlag. Aus Sicht des Gerichts ist es in einem solchen Fall nicht zu beanstanden, wenn sich der Gutachter am aktuellsten Grundstücksmarktbericht orientiert.
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5. Den von F vorgenommen Abzug für Instandsetzungs- und Fertigstellungsarbeiten in Höhe der vollen Kosten hält der Senat dagegen nicht für akzeptabel.
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a. In der gängigen Wertermittlungspraxis werden Baumängel und Bauschäden sowie sonstige Abweichungen vom normalen baulichen Zustand dadurch berücksichtigt, dass zunächst der (vorläufige) Vergleichs-, Ertrags- oder Sachwert unter Ausblendung der Baumängel und Bauschäden für ein (fiktiv) ordnungsgemäß instand gehaltenes und mangelfreies Gebäude ermittelt wird und dieser „vorläufige“ Wert um die aus dem Baumangel bzw. Bauschaden resultierende Wertminderung gesenkt wird (sog. externalisierende Vorgehensweise; Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 978, Rdnr. 206). Dieser Vorgehensweise entspricht die von F vorgenommene Ermittlung. Es ist nicht ersichtlich, dass F bereits andere Parameter aufgrund von Baumängeln oder Bauschäden, für die er Instandsetzungs- und Fertigstellungsarbeiten abgezogen hat, verändert hat. Die von F angesetzte Jahresmiete liegt mit … € über der tatsächlich erzielten/vereinbarten Jahresmiete in Höhe von … € bzw. … € (bei Einbezug der im Umbau befindlichen Wohnungen). Bei den Instandhaltungskosten hat er sich nicht auf die „jetzige Sanierungs- und Instandsetzung“ bezogen, sondern erläutert, dass trotz dieser eine weitere Rissbildung in Betracht kommt. Den Liegenschaftszins hat er u.a. mit dem mietfeindlichen Mietumfeld, der eingeschränkten Möglichkeit des Einbaus eines Fahrstuhles und der schlechten Wärmedämmung begründet, also mit Umständen, die durch die von ihm angesetzten Baukosten nicht verändert würden.
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b. Das Gericht folgt dem Gutachten F aber nicht, soweit die aufgelisteten Kosten in voller Höhe abgezogen werden. Die Wertminderung wegen Baumängeln und Bauschäden darf nicht mit den Kosten für ihre Beseitigung (Schadensbeseitigungskosten) gleichgesetzt werden. Diese Kosten können allenfalls einen Anhaltspunkt für die Wertminderung geben. Es kommt entscheidend darauf an, wie der allgemeine Grundstücksmarkt Baumängel und Bauschäden wertmindernd berücksichtigt (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 975 Rz. 199 ff). Eine nachvollziehbare Begründung, warum hier die Wertminderung in voller Höhe der Schadensbeseitigungskosten anzusetzen sein sollte, gibt F nicht.
65
c. Der Senat ist der Auffassung, dass die angesetzte Wertminderung nur teilweise zu berücksichtigen ist. Er hält es für möglich, das Gutachten F ohne Zuhilfenahme eines Sachverständigen entsprechend zu korrigieren.
66
aa. Aus der Tabelle auf S. 11 des Gutachtens ergibt sich, dass die ersten 14 Positionen die Kosten auflisten, die für die Fertigstellung der rohbauähnlich rückgebauten Wohnungen anfallen. Diese Kosten können aus Sicht des Gerichtes in voller Höhe angesetzt werden, denn ein möglicher Erwerber wäre gezwungen, diese Wohnungen wieder herzurichten, da sie sich nicht in einem vermietbaren Zustand befanden. Der allgemeine Grundstücksmarkt würde diese Kosten vollumfänglich beim Angebot einpreisen.
67
Der von F angesetzte Betrag in Höhe von … € für die Baumaßnahmen in den leerstehenden Wohnungen kann aus Sicht des Gerichtes so übernommen werden. Zwar erwähnt F in seinem Gutachten vier rohbauartig zurückgebaute Wohnungen, obwohl sich in dem Gebäude am Bewertungsstichtag tatsächlich nur drei rohbauartig zurückgebaute Wohnungen befanden. Dabei handelt es sich aber erkennbar um einen Flüchtigkeitsfehler. So spricht F in seiner Stellungnahme vom 29. Juni 2012 selbst von drei rohbauähnlich rückgebauten Wohnungen. Zudem legt F als Wohnfläche bei seiner Aufstellung maximal … qm zugrunde. Dies entspricht 2 x … qm plus 1 x … qm, also den von ihm angesetzten Wohnflächen für die tatsächlich rohbauähnlich zurückgebauten Wohnungen EG rechts, 1. OG rechts und DG rechts. Bei seiner Ermittlung hat F also nur die Fläche für die drei leerstehenden Wohnungen verwendet. Auch der Beklagte hat nicht gerügt, dass sich die von F ausgewiesen Baukosten für die Fertigstellung der rohbauartig zurückgebauten Wohnungen auf eine unzutreffende Wohnungsanzahl beziehe.
68
Anhaltspunkte, dass F die zu erwartenden Baukosten für die Positionen 1 bis 14 mit … € zu hoch angesetzt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Diese Einschätzung wird gestützt durch den Umstand, dass die Klägerin ausweislich der eingereichten Kostenaufstellung für die Sanierung der drei Wohnungen tatsächlich über … € aufgewendet hat.
69
bb. Zusätzlich zu diesen … € hält der Senat es für angezeigt, noch die zu erwartenden Baukosten für die „Fassade, Rissbildung“ von … € (Position 18) in voller Höhe abzuziehen.
70
Die Klägerin verweist auf einen Riss in der Fassade. F erwähnt in seinem Gutachten, es gebe massive Rissbildungen an der westlichen Gebäudetrennwand. N benennt senkrecht und waagrecht verlaufende Mauerrisse und schwere Schäden an der straßenseitigen Fassade. Der Beklagte hat eine entsprechend Rissbildung nicht bestritten, sondern ausweislich der handschriftlichen Notizen für das EG einen starken Riss in einer tragenden Wand bestätigt. Aus den eingereichten Bildern und den Gutachten hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass eine Beseitigung der Risse bzw. eine Sanierung der Fassade für eine weitere sinnvolle Vermietung zwingend erforderlich ist. Wenn für einen möglichen Erwerber aber feststeht, diese Kosten auf jeden Fall aufwenden zu müssen, um eine langfristige Vermietbarkeit sicherzustellen, ist davon auszugehen, dass er sein Kaufangebot entsprechend mindern wird.
71
cc. Die in den Positionen 15, 16, 17 und 19 genannten Kosten können aus Sicht des Senats demgegenüber nicht in voller Höhe angesetzt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass der allgemeine Grundstücksmarkt diese vollständig wertmindernd berücksichtigen würde. Aus dem Gutachten und den Ausführungen von F ergeben sich hierfür auch keine Gründe.
72
Der Senat sieht sich aber nicht in der Lage, die Wertminderung aus den voraussichtlichen Baukosten abzuleiten. Eine marktkonforme Ermittlung der Wertminderung ist problematisch, da in aller Regel keine Vergleichsdaten zur Verfügung stehen und daher in der Praxis auf allgemeine Erfahrungssätze und auf deduktive analytische Verfahren zurückgegriffen wird (vgl. Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 7. Auflage, 2014, S. 978 Rn. 207). Dies muss nach der Auffassung des Senats einem sachkundigen Gutachter vorbehalten bleiben. Mangels Anpassungsmöglichkeit durch das Gericht können diese Positionen keine Berücksichtigung finden.
73
6. Es ergibt sich damit folgende Berechnung: …
74
1. Rohertrag =
2. Bewirtschaftungskosten
Verwaltungskosten = 3 %
Instandhaltungskosten = 25 %
Mietausfallwagnis = 2 %
Bewirtschaftungskosten = 30 % =
3. Reinertrag =
4. Bodenwert am Reinertrag
… € x 7,0 % =
5. Gebäudeanteil am Reinertrag =
6. Gebäudeertragswert
40 Jahre Restnutzung
Barwertfaktor bei 7,0 % = 13,33
Reinertrag x Barwertfaktor
… € x 13,33 =
Zwischensumme 1 =
Bodenwert Bauland =
Ertragswert, Fertigstellung aller Wohnungen =
abzüglich Positionen 1 – 14
abzüglich Positionen 18
abzüglich Ertragsausfall
Ertragswert nach Fertigstellung =
angepasster Wert =
75
Die Klägerin hat daher zur Überzeugung des Senates mittels des Gutachtens F einen niedrigeren gemeinen Wert in Höhe von … € nachgewiesen.
76
7. Der Nachweis eines noch geringeren gemeinen Wertes ist ihr dagegen nicht gelungen.
77
Bei dem Gutachten N hält es der Senat entsprechend der o.g. Ausführungen ebenfalls für nicht angemessen, die Bauschäden in voller Höhe der Beseitigungskosten als Wertminderung zu berücksichtigen. In der Aufstellung im Gutachten N gibt es aber keine eindeutige Aufteilung zwischen den Kosten für die rohbauartig zurückgebauten Wohnungen bzw. die „Fassade/Rissbildung“ und den übrigen Kosten. Eine Anpassungsmöglichkeit durch das Gericht ist hier aus den unter II.5.b.cc. angeführten Gründen ausgeschlossen.
78
Um das Gutachten verwenden zu können, wäre daher zumindest der Abzug der Position „Wertminderung/Reparaturstau“ in Höhe von … € nicht zu berücksichtigen. Dann würde jedoch ein Wert in Höhe von … € verbleiben, der sogar noch über dem nach dem Ertragswertverfahren im Sinne der §§ 184 bis 188 BewG ermittelten Grundbesitzwert von … € läge. Es kann daher offen bleiben, inwieweit die vom Beklagten gegen das Gutachten N vorgetragen Punkte darüber hinaus durchgreifen würden.
79
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
80
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Kalte Progression: Entlastung angekündigt

Berlin: (hib/HLE) Die Bundesregierung hat die Kritik der EU-Kommission an einer zu hohen Steuerbelastung in Deutschland zurückgewiesen. „Aus Sicht der Bundesregierung ist das deutsche Steuer- und Abgabensystem leistungsgerecht, wettbewerbsfähig und sozial ausgewogen“ heißt es in dem von der Bundesregierung als Unterrichtung (18/4549) vorgelegten „Nationalen Reformprogramm 2015“. Die Kommission hatte anerkannt, dass die Konsumnachfrage deutscher Haushalte seit 2012 deutlich gestiegen sei, aber zugleich auf die vergleichsweise hohe Steuer- und Abgabenbelastung für Geringverdiener hingewiesen. „Aus Sicht der Kommission könnte dies in der Verbindung mit der kalten Progression die verfügbaren Einkommen der Privathaushalte verringern und so das Wachstum möglicherweise hemmen“, heißt es in der Unterrichtung.

Die Bundesregierung kündigt aber an, die finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, „um für diese Legislaturperiode Bürgerinnen und Bürger bei der kalten Progression zu entlasten. Auch dies erhöht die Nettoeinkommen und schafft Freiraum für mehr Konsum und Investitionen“, stellt die Bundesregierung fest. Die einfache Forderung, Steuern und Abgaben insbesondere für Geringverdiener zu senken, sieht die Regierung aber „differenziert“. Zwar könne eine Senkung der Lohnzusatzkosten mit positiven Beschäftigungseffekten verbunden sein. Eine einseitige Senkung der Sozialausgaben könne aber dazu beitragen, dass das Sozialschutzniveau für Geringverdiener sinke.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 20.04.2015, hib-Nr. 195/2015

Keine zwei häuslichen Arbeitszimmer steuerlich absetzbar

Mit Urteil vom 25. Februar 2015 (Az. 2 K 1595/13) hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz (FG) entschieden, dass ein Steuerpflichtiger – auch wenn er aus beruflichen Gründen zwei Wohnungen hat – keine zwei Arbeitszimmer geltend machen kann. Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision zum Bundesfinanzhof – BFH – zugelassen.

Die Kläger sind verheiratet und haben einen Wohnsitz in Rheinland-Pfalz und einen Wohnsitz in Thüringen. Der Kläger ist sowohl selbständig tätig (Seminare und Fortbildungskurse für Steuerberater) als auch – in Thüringen – nichtselbständig tätig.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 machte der Kläger Kosten für zwei Arbeitszimmer (insgesamt 2.575 Euro) als Betriebsausgaben geltend, mit der Begründung, er benötige in jeder der beiden Wohnungen ein Arbeitszimmer für seine selbständige Tätigkeit.

Das beklagte Finanzamt erkannte nur ein Arbeitszimmer und nur Kosten in Höhe von 1.250 Euro an.

Einspruchs- und Klageverfahren der Kläger waren erfolglos.

Mit (noch nicht rechtskräftigem) Urteil vom 25. Februar 2015 (Az. 2 K 1595/13) schloss sich das FG Rheinland-Pfalz der Auffassung des beklagten Finanzamtes an. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen Folgendes aus:

Im Einkommensteuergesetz (EStG) sei geregelt, dass Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nur unter bestimmten Voraussetzungen und auch dann meistens nur beschränkt auf den Höchstbetrag von 1.250 Euro abzugsfähig seien. Nur ausnahmsweise, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bilde, könnten die Kosten unbeschränkt abgezogen werden. Letzteres sei beim Kläger nicht der Fall, da er seine Vortragstätigkeit (Seminare, Fortbildungen usw.) außerhalb seines Arbeitszimmers durchführe. Deshalb könne er die Aufwendungen nur beschränkt auf den Höchstbetrag von 1.250 Euro abziehen. Dieser Höchstbetrag sei (auch nach Meinungen in der juristischen Fachliteratur) personen- und objektbezogen. Daher könne er auch nur einmal jährlich (und nicht zwei- oder mehrfach) gewährt werden. Es komme zwar vor, dass Steuerpflichtige in einem Veranlagungszeitraum nacheinander oder auch zeitgleich verschiedene Arbeitszimmer nutzen würden, z. B. wegen eines Umzugs oder wenn jemand – wie die Kläger – zur gleichen Zeit zwei Wohnungen habe. Ein Steuerpflichtiger könne zwei Arbeitszimmer aber niemals zeitgleich nutzen. Daher könne der Höchstbetrag (1.250 Euro) selbst in diesen Fällen nur einmal und nicht mehrfach gewährt werden. Der Gesetzgeber habe die Abzugsbeschränkung nur für den Fall aufgehoben, dass das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bilde. Andere Fallgestaltungen (Umzug, doppelte Haushaltsführung usw.) sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht dazu führen, dass der Abzugsrahmen (1.250 Euro) überschritten oder mehrfach ausgeschöpft werden könne. Dass der Höchstbetrag personen- und objektbezogen sei, könne sich übrigens auch zu Gunsten des Steuerpflichtigen auswirken. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) z. B. entschieden, dass auch einem Steuerpflichtigen, der nur für bestimmte Monate (also nicht ganzjährig) ein Arbeitszimmer habe, der volle (ungekürzte) Höchstbetrag zustehe.

Das FG ließ die Revision zu, weil höchstrichterlich bisher nicht geklärt sei, ob ein Steuerpflichtiger, der in jedem seiner beiden Haushalte ein Arbeitszimmer nutze, den Höchstbetrag (1.250 Euro) einmal oder zweimal zum Abzug bringen könne.

Quelle: FG Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 20.04.2015 zum Urteil 2 K 1595/13 vom 25.02.2015 (nrkr)

 

Alleinerziehende stärker unterstützen – Entlastungsbetrag von 1.308 auf 1.908 Euro erhöhen

In Deutschland gibt es immer mehr Alleinerziehende. Keine andere Familienform hat in den vergangenen Jahren so stark zugenommen. Rund 20 Prozent aller Familien bestehen mittlerweile aus einer alleinerziehenden Mutter oder einem alleinerziehenden Vater und deren Kindern.

Alleinerziehende Erwerbstätige leisten enorm viel. Sie gehen arbeiten, kümmern sich um ihren Nachwuchs und führen den Haushalt – was sich Elternpaare teilen können, schultern sie allein. Alleinerziehende Frauen sind dabei überdurchschnittlich häufig erwerbstätig, sie verfügen im Schnitt jedoch über deutlich geringere Haushaltseinkommen als Paarfamilien und sind überproportional von Armut betroffen. Hinzu kommt, dass erwerbstätige Alleinerziehende häufig hohe Kinderbetreuungskosten haben.

Diese besondere Lebenssituation wollen wir besser berücksichtigen und die Alleinerziehenden gezielt unterstützen: Damit sie netto mehr Geld erhalten, wollen wir den steuerlichen Entlastungsbetrag anheben. Ihre Arbeit muss sich stärker lohnen. Zugleich unterstützen wir Frauen und Männer dabei, Beruf, Familie und gesellschaftliches Engagement vereinbaren zu können.

Dieses Vorhaben geht auf den Koalitionsvertrag zurück: CDU, CSU und SPD haben vereinbart, dass der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende angehoben und die Höhe des Entlastungsbetrags künftig nach der Zahl der Kinder gestaffelt werden soll.

Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende beträgt seit seiner Einführung zum 1. Januar 2004 unverändert 1.308 Euro. Der Kinderfreibetrag und das Kindergeld wurden im Zeitraum zwischen 2004 und 2015 um rd. 23 Prozent erhöht. Jetzt wollen wir den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende um 600 Euro auf 1.908 Euro erhöhen. Die Umsetzung wird im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags mit Wirkung zum 1. Januar 2015 erfolgen.

Darüber hinaus haben wir im Koalitionsvertrag eine Staffelung des Entlastungsbetrags nach der Kinderzahl vereinbart. Aus diesem Grund wollen wir den Entlastungsbetrag für jedes weitere Kind um jeweils 240 Euro anheben. Denn je mehr Kinder zu betreuen sind, desto anstrengender wird es. Für alleinerziehende Eltern gilt dies umso mehr.
Die notwendige Finanzierung aus dem Haushalt des Familienministeriums muss zwischen diesem und dem Finanzministerium vereinbart werden.

Quelle: CDU/CSU und SPD

Übermittlung von Steuererklärungen durch Telefax

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird das BMF-Schreiben vom 20. Januar 2003, BStBl I S. 74 mit sofortiger Wirkung aufgehoben.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 3 – S-0321 / 07 / 10003 vom 16.04.2015
Text des Schreibens vom 20. Januar 2003:

Nach dem BFH-Urteil vom 4. Juli 2002 – V R 31/01 – (BStBl II 2003 S. …) kann eine Umsatzsteuer-Voranmeldung per Telefax wirksam übermittelt werden.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder sind die Grundsätze dieses Urteils zur Telefax-Übermittlung auf sämtliche Steuererklärungen anzuwenden, für die das Gesetz keine eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen vorschreibt. Somit können beispielsweise Lohnsteuer-Anmeldungen und Kapitalertragsteuer-Anmeldungen per Telefax wirksam übermittelt werden, nicht jedoch beispielsweise Einkommensteuererklärungen und Umsatzsteuererklärungen für das Kalenderjahr oder für den kürzeren Besteuerungszeitraum.

Zusatz der OFD Koblenz v. 12. Februar 2003:
Das Ministerium der Finanzen hat hierzu mit Erlass vom 21. Januar 2003 – S-0321 A – 446 ergänzend darauf hingewiesen, dass keine Verpflichtung der Finanzämter bestehe, zusätzliche Telefax-Verbindungen einzurichten bzw. weitere Telefax-Geräte anzuschaffen. Sofern zum Abgabetermin die vorhandenen Anschlüsse überlastet sein sollten und damit Anmeldungen verspätet eingehen, gehe dies zu Lasten der Steuerpflichtigen.

 

Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen nach Einstellung der Kindergeldzahlung stellt einen Aufhebungsbescheid dar

Der 11. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Gerichtsbescheid vom 5. Februar 2015 (Az. 11 K 1172/14 Kg) die Aufforderung der Familienkasse, mit der sie Unterlagen zur Prüfung des Kindergeldanspruchs anfordert, nachdem sie die Kindergeldzahlung eingestellt hatte, als Aufhebung der Kindergeldfestsetzung beurteilt.

Die Familienkasse gewährte dem Kläger für seinen volljährigen Sohn Kindergeld. Ohne die Festsetzung aufzuheben, stellte sie die Zahlung des Kindergeldes ein. In einem Schreiben teilte sie dem Kläger mit, dass die rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen seien und forderte ihn auf, entsprechende Unterlagen einzureichen.

Hiergegen legte der Kläger nach Ablauf der Monatsfrist Einspruch ein, woraufhin die Familienkasse die Kindergeldzahlung wieder aufnahm. Die Übernahme der vom Kläger für das Verfahren geltend gemachten Kosten lehnte die Familienkasse ab, weil nach ihrer Auffassung kein Einspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Die bloße Einstellung der Kindergeldzahlung stelle keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar.

Das Gericht gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen die Ablehnung der Kostenerstattung erhobenen Klage statt. Die Familienkasse sei zur Erstattung der Kosten nach § 77 EStG verpflichtet, weil der Kläger erfolgreich Einspruch eingelegt habe. Zwar könne die Einstellung der Kindergeldauszahlung als bloßer Realakt nicht mit dem Einspruch angefochten werden. Das Aufforderungsschreiben der Behörde habe jedoch einen Verwaltungsakt dargestellt. Die Mitteilung, das Bestehen eines Kindergeldanspruchs erneut rechtlich zu prüfen, könne im Zusammenwirken mit der Einstellung der Kindergeldauszahlung vom Bürger nur so verstanden werden, dass die Kindergeldfestsetzung zunächst aufgehoben werden sollte. Da das Schreiben keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, habe die Einspruchsfrist ein Jahr betragen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.04.2015 zum Gerichtsbescheid 11 K 1172/14 vom 05.02.2015

 

Häusliches Arbeitszimmer eines Handelsvertreters kann Tätigkeitsmittelpunkt sein

Liegt der qualitative Schwerpunkt der Tätigkeit eines selbständigen Handelsvertreters in seinem häuslichen Arbeitszimmer, können die Kosten hierfür vollständig als Betriebsausgaben anerkannt werden. Dies hat der 5. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 5. März 2015 (Az. 5 K 980/12 E) entschieden.

Der Kläger war als selbständiger Handelsvertreter im Bereich des Wurst- und Käsevertriebs überregional vor allem für einen Hauptauftraggeber tätig. Dabei verbrachte er etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit mit Kundenbesuchen im gesamten Bundesgebiet und in den Niederlanden. Im Übrigen war er in seinem häuslichen Arbeitszimmer tätig.
Das Finanzamt erkannte die für das Arbeitszimmer geltend gemachten Kosten nur in Höhe von 1.250 Euro an, da es nicht den Tätigkeitsmittelpunkt des Klägers bilde. Hiergegen wandte der Kläger ein, dass er die meisten seiner Aufgaben nicht im Außendienst habe erledigen können. Vielmehr erfolge die Aufnahme und die Abwicklung der Aufträge im Arbeitszimmer. Hierzu gehöre auch eine umfangreiche individuelle Bedarfsermittlung der Frischeprodukte sowie die Kundenakquise und -pflege. Die Vorstellung neuer Produkte finde in der Regel nicht beim Kunden vor Ort, sondern auf Messen statt.

Das Finanzamt ging weiterhin davon aus, dass die prägenden Tätigkeiten des Klägers im Außendienst stattfinden. Hierfür spreche insbesondere eine Klausel mit seinem Hauptauftraggeber, wonach er verpflichtet sei, die Kunden mindestens einmal monatlich zu besuchen.

Das Gericht gab der Klage statt. Das Arbeitszimmer des Klägers bilde den qualitativen Schwerpunkt seiner Betätigung. Die vertragliche Verpflichtung, seine Kunden mindestens einmal im Monat zu besuchen, habe er tatsächlich nicht gelebt, weil hierfür kein Anlass bestanden habe. Die Reisetätigkeit sei nicht als Mittelpunkt seiner Tätigkeit anzusehen. Der Kläger übe keine klassische Außendiensttätigkeit aus, in der lediglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten im Arbeitszimmer vorgenommen werden. Die Produkte liefere er nicht selbst an die Kunden aus. Vielmehr stehe er ihnen bezüglich des Sortiments, für die Annahme von Bestellungen und Reklamationen als Ansprechpartner zur Verfügung. Seine Hauptaufgabe liege darin, den Überblick über das Bestellverhalten des jeweiligen Kunden zu behalten und eine individuelle Angebots- und Bedarfsermittlung vorzunehmen. Diese Aufgabe habe qualitativ ein höheres Gewicht als die Präsenz beim Kunden vor Ort, weil sich die Preise und das Sortiment der frischen Produkte häufig ändere und daher im Tagesgeschäft auf individuelle Kundenwünsche eingegangen werden müsse. Auch die Akquise von Neukunden erfolge zunächst vom Arbeitszimmer aus. Diese Tätigkeiten seien nicht lediglich als dem Außendienst dienende Tätigkeiten anzusehen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.04.2015 zum Urteil 5 K 980/12 vom 05.03.2014

 

Berufsfußballer kann Kosten für Sky-Abo nicht geltend machen

Der 2. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Urteil vom 24. März 2015 (Az. 2 K 3027/12 E) entschieden, dass die Kosten des „Fußballpakets“ im Sky-Abo keine Werbungskosten eines Berufsfußballspielers darstellen.

Der Kläger, der als Lizenzfußballspieler eines Vereins in der 2. Bundesliga Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, abonnierte beim Pay-TV-Sender Sky unter anderem das „Fußballpaket“. Die Kosten hierfür machte er als Werbungskosten geltend. Durch das Ansehen der Spiele schule er seine eigenen fußballerischen Fähigkeiten und bereite sich taktisch auf seine Gegenspieler vor. Das Finanzamt gewährte den Abzug nicht, weil der Kläger das Abo in erster Linie aus privatem Interesse am Fußball erworben habe und sich für eine Aufteilung kein geeigneter Maßstab finden lasse.

Das Gericht sah dies ebenso und wies die Klage ab. Die Kosten seien der privaten Lebensführung des Klägers zuzuordnen. Aufwendungen für das Fußballpaket entstünden einer Vielzahl von Steuerpflichtigen wegen des allgemeinen Interesses an den dort gezeigten Spielen der 1. und 2. Bundesliga, des DFB-Pokals sowie der Champions League. Die Übertragungen richteten sich nicht an ein Fachpublikum, sondern an die Allgemeinheit. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass der Kläger das Abo nicht ausschließlich dazu genutzt habe, um sich auf kommende Gegner in der 2. Bundesliga vorzubereiten, sondern auch, um sich andere interessante Spiele anzusehen. Eine Aufteilung der Kosten komme nicht in Betracht, da es hierfür an objektivierbaren Kriterien fehle. Insbesondere habe der Kläger zur tatsächlichen Nutzung des Angebots keine konkreten Angaben gemacht.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.04.2015 zum Urteil 2 K 3027/12 E vom 24.03.2015

Schadensersatzzahlung für Bußgelder ist Betriebseinnahme

Mit Urteil vom 11. März 2015 (Az. 13 K 3129/13 K) hat der 13. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass eine Schadensersatzzahlung des Steuerberaters zum Ausgleich von Bußgeldern an den Mandanten bei diesem als Betriebseinnahme zu erfassen ist.

Die Klägerin ist eine GmbH, die im Fahrzeughandel tätig ist. Weil sie mehrere Bilanzen nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht hatte, musste sie Bußgelder bezahlen. Diese wurden ihr von ihrem Steuerberater erstattet. In ihren Körperschaftsteuererklärungen erfasste die Klägerin die Bußgeldzahlungen als nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG nicht abziehbare Betriebsausgaben. Korrespondierend hierzu gab sie auch die Schadensersatzzahlungen nicht als Betriebseinnahmen an.

Das Finanzamt erfasste demgegenüber die Zahlungen als Einnahmen, weil es keine gesetzliche Ausschlussvorschrift gebe.

Der Senat wies die Klage ab. Da Kapitalgesellschaften steuerlich nicht über eine außerbetriebliche Sphäre verfügten, seien alle Geschäftsvorfälle als gewerbliche Einkünfte zu behandeln. Es existiere keine gesetzliche Vorschrift, nach der die Erstattung von Geldbußen – korrespondierend zum Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG – nicht als Betriebseinnahmen zu erfassen sei. Ohne die Erfassung der Erstattung würde das Abzugsverbot im Ergebnis unterlaufen. Es handele sich auch nicht um eine Rückzahlung der Geldbuße, die nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 3 EStG nicht als Ertrag zu erfassen wäre, da hierunter nur Rückzahlungen an den Gläubiger der Geldbuße fielen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.04.2015 zum Urteil 13 K 3129/13 vom 11.03.2015

Möglichkeit des Zugriffs auf Kassendaten eines Einzelunternehmens im Rahmen einer Außenprüfung

Mit Urteil vom 16. Dezember 2014 X R 42/13 hat der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) entschieden, dass Einzelhändler nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung verpflichtet sind, im Rahmen der Zumutbarkeit sämtliche Geschäftsvorfälle einschließlich der über die Kasse bar vereinnahmten Umsätze einzeln aufzuzeichnen. Wird dabei eine PC-Kasse verwendet, die detaillierte Informationen zu den einzelnen Barverkäufen aufzeichnet und diese dauerhaft speichert, sind die damit bewirkten Einzelaufzeichnungen auch zumutbar. Die Finanzverwaltung kann dann im Rahmen einer Außenprüfung nach § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) auf die Kasseneinzeldaten zugreifen.

Im Streitfall verwendete die buchführungspflichtige Klägerin ein speziell für Apotheken entwickeltes PC-gestütztes Erlöserfassungssystem mit integrierter Warenwirtschaftsverwaltung. Ihre Tageseinnahmen wurden über modulare PC-Registrierkassen erfasst, dann durch Tagesendsummenbons ausgewertet und als Summe in ein manuell geführtes Kassenbuch eingetragen. Anlässlich einer Außenprüfung verweigerte die Klägerin der Finanzbehörde den Datenzugriff auf ihre Warenverkäufe mit der Begründung, sie sei nicht zu Einzelaufzeichnungen verpflichtet.

Anders als das Finanzgericht kam der BFH zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nach § 238 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs zur Aufzeichnung der einzelnen Geschäftsvorfälle verpflichtet war und die Kassendaten der Finanzbehörde in elektronisch verwertbarer Form überlassen musste. Die Buchführung müsse stets einen zuverlässigen Einblick in den Ablauf aller Geschäfte geben. Dritten müsse es möglich sein, den Ablauf und den Inhalt aller Geschäfte zu überprüfen. Deshalb sei es nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung erforderlich, dass verdichtete Buchungen in Einzelpositionen aufgegliedert werden könnten. Dies gelte auch für Bargeschäfte, sofern Einzelaufzeichnungen dem Steuerpflichtigen zumutbar seien. Er könne zwar frei entscheiden, wie er seine Warenverkäufe erfasse. Entscheide er sich aber für ein Kassensystem, das sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichne sowie diese speichere, könne er sich nicht auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen und müsse seine Aufzeichnungen auch aufbewahren (§ 147 Abs. 1 Nr. 1 AO). Nach § 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 AO habe die Finanzbehörde dann im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, die mit Hilfe des Datenverarbeitungssystems (PC-Kasse) erstellten Daten auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Prüfung anzufordern.

Quelle: BFH, Pressemitteilung Nr. 27/15 vom 15.04.2015 zum Urteil X R 42/13 vom 16.12.2014