Das Ableisten eines Postulats oder Noviziats in einer Ordensgemeinschaft erfüllt die Voraussetzungen einer Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.

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Kindergeld

Das Ableisten eines Postulats oder Noviziats in einer Ordensgemeinschaft erfüllt die Voraussetzungen einer Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.

Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 10.10.2013, 16 K 283/12

 

Tatbestand

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Strittig ist, ob die Zeit als Postulant bzw. Novize in einem Orden als Berufsausbildung anzusehen ist.

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Mit Bescheid vom 2. Februar 2012 lehnte die Beklagte Kindergeld für das am 25. Mai 1989 geborene Kind der Klägerin M für den Zeitraum von Juni 2007 bis August 2009 ab. Zugleich setzte es Kindergeld für den Zeitraum September 2009 bis April 2010 fest und verwies bezüglich des Zeitraums ab Mai 2010 auf den Bescheid vom 10. Oktober 2011, mit dem sie es abgelehnt hatte, ab Mai 2010 Kindergeld für M zu zahlen. Auf den Einspruch der Klägerin vom 10. Februar 2012 gegen den Bescheid vom 2. Februar 2012 hin, erließ die Beklagte am 23. August 2012 eine Einspruchsentscheidung wegen Ablehnung des Kindergeldantrages für M von Juni 2007 bis August 2009. Das Kind habe nach eigenen Angaben von Juni 2007 bis August 2009 eine Noviziat in einem Kloster absolviert. Diese Maßnahme stelle keine berufsbezogene Ausbildung im Sinne des Kindergeldrechts dar. Ein Novize in einem Orden befinde sich in der Regel in Vorbereitung auf ein Ordensgelübde. Dies stelle keinen Beruf dar.

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Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, M habe während des Streitzeitraums sowohl ein Postulat als auch ein Noviziat in einer polnischen Ordensgemeinschaft absolviert. Hierzu reichte sie eine Bescheinigung des Hospitalordens des Heiligen Jan Bosy in Krakau vom 4. September 2013 ein, wonach M in der Zeit vom 10. August 2006 bis 5. Oktober 2007 das Postulat sowie in der Zeit vom 6. Oktober 2007 bis 6. Oktober 2009 das Noviziat in dem Orden absolvierte. Obwohl sich der Einspruchsbescheid nicht zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010 verhalte, sei die Beklagte doch dazu zu verpflichten, auch ab dem 1. Mai 2010 Kindergeld für M zu zahlen. Mit der Verweisung im Bescheid vom 2. Februar 2012 auf die Entscheidung bezüglich der Kindergeldzahlung ab Mai 2010 auf den Bescheid vom 10. Oktober 2011 habe die Beklagte die Rechtsgewährung versagt, also eine Rechtsfolge herbeigeführt.

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Mit ihrer Klageschrift vom 21. September 2012 hatte die Klägerin ursprünglich beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, für ihr Kind M Kindergeld für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 31. August 2009 und ab 1. Mai 2010 zu zahlen. Aufgrund einer nachgereichten Schulbescheinigung erließ die Beklagte am 6. Februar 2013 im Klageverfahren einen Änderungsbescheid, in dem sie Kindergeld nun auch für den Zeitraum von September 2008 bis August 2009 festsetzte. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärten, erging am 18. März 2013 ein Beschluss, mit dem das Gericht das Verfahren wegen Kindergeld für diesen Zeitraum abtrennte und das neue Aktenzeichen 16 K 62/13 gab; ferner erging eine Kostenentscheidung.

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Die Klägerin beantragt nunmehr,

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die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, Kindergeld für ihr Kind M in gesetzlicher Höhe für die Zeiträume Juni 2007 bis August 2008 und ab Mai 2010 zu bewilligen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Ein Postulat sowie ein Noviziat erfüllten nicht die Anforderungen einer Berufsausbildung.

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Die Klägerin und die Beklagte haben mit Schriftsätzen vom 30. Mai 2013 bzw. 15. November 2012 gem. § 79 Abs. 3, 4 FGO ihr Einverständnis zu einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt sowie auf mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

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1. Die Klage ist unzulässig, was den Klagezeitraum ab Mai 2010 betrifft, da weder der Ausgangsbescheid vom 2. Februar 2012 noch die Einspruchsentscheidung vom 23. August 2012 für diesen Zeitraum eine Regelung enthält. Soweit der Ausgangsbescheid hinsichtlich eines Kindesgeldanspruchs für den Zeitraum ab Januar 2010 auf den Bescheid vom 10. Oktober 2011 verweist, liegt insoweit mangels Regelungswillens kein die Klägerin belastender Verwaltungsakt vor. Die Klägerin ist insoweit durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert und daher auch nicht nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt.

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2. Im Übrigen ist die Klage begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für Ihr Kind M für den Zeitraum Juni 2007 bis August 2009. Das vom Sohn der Klägerin in dieser Zeit in einem polnischen Kloster abgeleistete Postulat und Noviziat erfüllt die Voraussetzungen einer Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Einkommensteuergesetz (EStG).

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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH- ist unter Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen danach alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. BFH-Urteile vom 16.04.2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523; und vom 09.06.1999 VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, jeweils m.w.N.). Bei der angestrebten Tätigkeit muss es sich weder um einen Ausbildungsberuf im Sinne der §§ 4 ff. Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vom 23.03.2005 (BGBl I 2005, 931) noch um eine Tätigkeit handeln, die einem bestimmten Berufsbild entspricht (BFH-Urteile vom 09.06.1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; und in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706). Danach ist es für den Begriff der Ausbildung ausreichend, wenn die Maßnahme geeignet ist, eine nicht nur vorübergehende Betätigungsmöglichkeit zu schaffen, die dem Aufbau oder der Erhaltung und Sicherung der beruflichen Existenz und damit der Erhaltung und Sicherung einer Lebensgrundlage dienen kann und soll (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 18.12.1987 VI R 149/81, BFHE 152, 337, BStBl II 1988, 494 bezüglich der Ausbildung zum „Gouverneur des Zeitalters der Erleuchtung“). Es kommt auch nicht darauf an, ob die Ausbildungsmaßnahme in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben ist oder -mangels solcher Regelungen- jedenfalls dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienen muss, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind. Das Berufsziel wird nach ständiger Rechtsprechung weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt. Denn Kindern und Eltern kommt bei der Gestaltung der Ausbildung von Verfassungswegen ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Nicht entscheidungserheblich ist, ob die Ausbildung im In- oder Ausland stattfindet (BFH-Urteil in BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 713).

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b) Die Ableistung eine Postulats und Noviziats ist nach diesen Grundsätzen eine Berufsausbildung. Die Tätigkeit als Ordensbruder ist ein Beruf, denn sie ist eine auf Dauer vorgesehene Arbeit, die der Existenzsicherung dient und die geeignet ist, materielle oder geistige in der Gesellschaft auftretende Bedürfnisse zu befriedigen und zu der die Befähigung durch Ausbildung (und Erziehung) erworben wird (so schon FG Münster-Urteil vom 2. Oktober 1991, 10 K 1108/91 L, EFG 1992, 269). Mit der Übernahme des Ordensstandes stellt sich zwar der einzelne der Ordensgemeinschaft mit seiner Person und seiner Tätigkeit unentgeltlich zur Verfügung, andererseits verpflichtet sich aber das Kloster dem Ordensbruder alles zur Verfügung zu stellen, was zur Erreichung des Zieles seiner Berufung erforderlich ist. Der Einzelne kann sich damit unabhängig von der Sorge um den täglichen Lebensbedarf voll und ganz der Erfüllung der Aufgaben widmen. Dass der Ordensangehörige dabei nach Kirchenrecht und ständiger klösterlicher Übung auf Vermögen und Erwerb zugunsten des Klosters verzichtet, steht der Anwendung des Berufsbegriffs nicht entgegen. Als Gegenleistung muss nämlich nicht stets ein in seinem Wertverhältnis angemessenes Entgelt für die einzelne Leistung oder für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft gewährt werden; es reicht auch aus, wenn lediglich der angemessene und bescheidene Unterhalt versprochen wird. Das Vorliegen eines Berufs kann auch nicht dann verneint werden, wenn die Berufstätigkeit einem inneren seelischen Bedürfnis („Berufung“) folgt und die Persönlichkeit im Ganzen erfasst, also als Gabe und Aufgabe bzw. als Entfaltung von Eignung und Neigung aufgefasst wird. Zum Berufsbewusstsein gehört bei einem Ordensangehörigen geradezu der Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Was einen Ordensangehörigen kenn- und auszeichnet, ist nicht allein sein durch die Ausbildung vermitteltes Wissen und Können. Vielmehr kommt als Charakteristikum die durch die klösterliche Erziehung geprägte Persönlichkeit hinzu.

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Stellt aber die Tätigkeit eines Ordensbruders einen Beruf dar, so ist das Postulat ebenso wie das Noviziat als Ausbildung zu diesem Beruf zu werten. Das Postulat geht der Zulassung zum Noviziat voraus und stellt eine erste Bewährungsfrist in der Ausbildung für das monastische Leben dar. Aufgabe des Postulats ebenso wie die des anschließenden Noviziats ist es, den Anwärtern des Ordensstandes mit den Pflichten des Ordenslebens vertraut zu machen und ihn darin zu üben. Dass für diese Ausbildung die Erklärung der Ordensregeln und die Erschließung der Satzungen der Kongregation grundlegend sind und die Erziehung außer dem Kennenlernen der verschiedenen Arbeitsbereiche der eigenen Gemeinschaft durch Arbeitseinsätze und auch u.a. die Einführung in die Heilige Schrift und Liturgie, die Anleitung zu persönlichem Gebet und Betrachtung, die Behandlung grundlegender Glaubensfragen und der Geschichte des Mönchtums umfasst, ist für die Bejahung der hierdurch erfolgten Berufsausbildung unschädlich, da die während der Zeit des Postulats und des Noviziats durchgeführte Formung der Persönlichkeit unerlässlich für die Tätigkeit einer Ordensbruders ist.

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3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10 analog, § 711 Zivilprozessordnung. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.