Steuerbefreiung nach § 4 S. 1 Nr. 16 k UStG für Kurse für Angehörige von Demezerkrankten.

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Umsatzsteuer Vorauszahlung Januar 2012
Steuerbefreiung nach § 4 S. 1 Nr. 16 k UStG für Kurse für Angehörige von Demenzerkrankten.

Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 19.04.2013, 16 K 239/12

 

Tatbestand

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Die Klägerin ist Diplom Gerontologin und führt für Angehörige von Demenzerkrankten eine Schulungsreihe nach einer Rahmenvereinbarung mit der B-GEK durch. Das Honorar für diese Schulungen beträgt je durchgeführter Kurseinheit von 120 Minuten 140 € und wird von der Barmer-GEK entrichtet. Die Verpflichtung zur Durchführung der Schulungen erfolgt auf der Grundlage von § 45 SGB XI. Nach dieser Vorschrift sollen Pflegekassen für Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelisch Belastungen zu mindern.
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Die Schulungen werden bisher nach der Rahmenvereinbarung mit der B-Pflegekasse von der Klägerin in den Ländern Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt angeboten und durch beauftragte Dozenten durchgeführt. Ein Kurs umfasst 14 Stunden, wird an sieben Terminen zweistündig durchgeführt und ist in mehrere Themenblöcke aufgeteilt. Die Anzahl der Teilnehmer ist auf 15 Personen beschränkt. Da die Kosten der Kurse die B-GEK trägt, haben die Teilnehmer keine Schulungsgebühr zu entrichten. Die Kurse werden für pflegende Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflege Interessierte durchgeführt. Mit diesem Angebot wird in Zusammenarbeit mit der B-GEK Angehörigen von Menschen mit Demenz eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Aspekten der Demenzerkrankung geboten. In der Schulungsreihe haben die Angehörigen die Möglichkeit Wissen zu erlangen, praktische Tipps zum Umgang mit Menschen mit Demenz zu bekommen und sich mit ihrer individuellen Lebenssituation auseinanderzusetzen.
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Mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Januar 2012 vom 28. März 2012 berücksichtigte der Beklagte, das Finanzamt (FA), die von der Klägerin erklärten Einnahmen von 25.480 € als steuerpflichtige Umsätze und setzte die Umsatzsteuer auf 4.841 € fest. Den Einspruch hiergegen wies es mit Bescheid vom 19. Juli 2012 als unbegründet zurück. Nach § 16 S. 1 Nr. 16 k UStG seien nur Leistungen von der Umsatzsteuer befreit, die als Pflege der hilfsbedürftigen Personen erbracht würden. Unter die Befreiung fielen damit ausschließlich die Betreuungs- und Pflegeleistungen privater Altenheime. Im vorliegenden Fall dienten die Kurse der Beratung pflegender Angehöriger Personen. Vorrang habe hierbei die Gesundheitsprävention der Angehörigen selbst. Auch wenn die Erkrankten durch die Schulung der pflegenden Angehörigen indirekt einen Vorteil zögen, so handele es sich nicht um Pflegeleistungen für die Pflegebedürftigen, so dass für die Leistungen keine Umsatzsteuerbefreiung in Betracht komme.
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Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, ihre Umsätze seien gem. § 4 S. 1 Nr. 16k UStG steuerfrei. Die Klägerin sei im Sinne dieser Vorschrift als natürliche Person eine Einrichtung, deren Vergütung vollumfänglich von der B-GEK übernommen werde, da nach § 45 Abs. 1 SGB XI die Pflegekurse für die Teilnehmer unentgeltlich sein sollen. Die Pflegekurse seien für die Pflege und Betreuung von Demenzerkrankten im häuslichen Bereich durch Angehörige unerlässlich. Nach § 45 SGB XI sollen die Pflegekassen u.a. für Angehörige Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern. Nach der Gesetzesbegründung hätten die Pflegekurse eine wichtige Funktion zur Sicherstellung der Qualität der pflegerischen Versorgung der zu Hause gepflegte Pflegebedürftigen. Vom Gesetzgeber seien die Pflegekurse somit als Teil der Pflege und Betreuung dargestellt. Die Teilnahme an einem Pflegekurs werde häufig Ergebnis einer Pflegeberatung sein, die gemäß § 7a Abs. 2 Satz 1 SGB XI auf Wunsch unter Einbeziehung von Dritten, insbesondere Angehörigen und Lebenspartnern zu erfolgen habe. Pflege und Betreuung dürften daher nicht nur verkürzt auf eine direkte Pflegeanwendung an dem Patienten reduziert werden. In den von der Klägerin durchgeführten Kursen würden die Angehörigen für die Pflege und Betreuung geschult, was unerlässlich sei, um eine häusliche Pflege überhaupt zu ermöglichen.
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 Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Januar 2012 vom 28. März 2012 in der Fassung der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2012 aufzuheben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
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Das FA beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Nach § 4 Nr. 16k UStG seien nur die Grundpflegeleistungen und die Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen steuerbefreit. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen erfüllten damit nicht die gesetzlichen Voraussetzungen der Umsatzsteuerbefreiung.
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Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 31. Januar 2013 gemäß § 6 Abs. 1 FGO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
 

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.
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Der angefochtene Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Januar 2012 vom 28. März 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das FA hat die Umsätze der Klägerin zu Unrecht der Umsatzsteuer unterworfen.
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1. Die Umsätze aus den von Klägerin durchgeführten Kursen für Angehörige von Demenzerkrankten sind jedenfalls nach richtlinienkonformer Auslegung des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG steuerfrei.
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a) Nach § 4 S. 1 Nr. 16k UStG 2009 sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen steuerfrei „ die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind, erbracht werden.“
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Die Vorschrift soll Art. 132 Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Art. 133 und 134 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) umsetzen.
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Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL lautet:
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„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
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g) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderer von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.“
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Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g           MwStSystRL genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar
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– zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind, und
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–  zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden.
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Denn eng mit der sozialen Fürsorge verbunden sind alle in den Sozialgesetzbüchern nach Art und Umfang beschriebenen Leistungen (BFH-Urteil vom 18. August 2005 V R 71/03, BStBl. II 2006, 143; Hölzer in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 16 Rz. 16).
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Die Klägerin hat die Kurse für Angehörige von Demenzerkrankten aufgrund einer Vereinbarung mit der einem Träger der Sozialversicherung (§ 12 und §§ 21, 21a SGB I), der B-GEK, erbracht. Grundlage für diese Vereinbarung war § 45 SGB XI, wonach Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen gesetzlich vorgesehen sind. Nach dieser Vorschrift sollen die Pflegekassen für Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung  zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern.  Die Kurse sollen Fertigkeiten für eine eigenständige Durchführung der Pflege vermitteln. Nach § 1 Abs. 1 SGB I (Allgemeiner Teil) soll das Recht des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer Hilfe gestalten.  Leistungen wie die von der Klägerin im Rahmen des § 45 SGB XI gegenüber der B-GEK erbrachten Leistungen sind danach eng mit der sozialen Fürsorge verbunden.
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Der Begriff „Einrichtung“ ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen (EuGH-Urteil in UR 2005, 486 RandNr. 35; vgl. auch EuGH-Urteil vom 7. September 1999 Rs. C-216/97, Gregg, Slg. 1999, I-4947 RandNr. 17). Die Anerkennung eines Unternehmers als einer Einrichtung mit sozialem Charakter kann dabei insbesondere auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden. Maßgebend ist insoweit, dass es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, für die die Kosten von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar waren (BFH-Urteil in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, m.w.N.).  Die Klägerin erbringt ihre Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit der B-GEK und rechnet die Kosten mit dieser ab. Das genügt.
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b) Nach dem oben zitierten Wortlaut von § 4 S. 1 Nr. 16k UStG  ist es nicht ausgeschlossen, Schulungskurse, die wie die der Klägerin im Auftrage einer Pflegekasse für Angehörige von Demenzerkrankten durchgeführt werden als eng mit Pflegeleistungen verbundene Umsätze und damit als steuerbefreit anzusehen. Die Kurse kommen – was zwischen den Beteiligten unstrittig ist – den Demenzerkrankten zu Gute und sind nach § 45 Abs.1 SGB XI vorgesehen. Dass unter die Befreiung des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG, wie der Beklagte meint, ausschließlich Betreuungs- und Pflegeleistungen privater Altenheime fallen und dass die mit der Betreuung und Pflege steuerbefreiten eng verbundenen Leistungen direkt am Pflegebedürftigen selbst erbracht werden müssen, geht so aus der Vorschrift nicht hervor. Es ist daher Raum für eine richtlinienkonforme Auslegung, welche das oben gefundene Ergebnis, wonach die Klägerin für sich die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL in Anspruch nehmen kann, berücksichtigt. Danach ist es im Lichte der Richtlinie geboten, die von der Klägerin durchgeführten Kurse als eng mit Pflegeleistungen verbundene Umsätze i.S.v § 4 S. 1 Nr. 16k UStG anzusehen.  Dass die Gesundheitsprävention der Angehörigen in den Kursen mit im Fokus steht, ist dabei durch § 45 Abs. 1 SGB XI  und der hierzu zwischen der Klägerin und der B-GEK geschlossenen Rahmenvereinbarung mit abgedeckt und für eine effektive Betreuung und Pflege Demenzerkrankter im häuslichen Umfeld wie die Klägerin dem Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2013 überzeugend dargetan hat auch zwingend erforderlich.
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Die übrigen Voraussetzungen des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG sind gegeben. Der Begriff der „Einrichtung“ ist von dem oben dargestellten gemeinschaftlichen Begriff der Einrichtung in Art. 132 MwStSystRL abgeleitet, so dass die Klägerin als natürliche Person hierunter fällt. Die Leistungen der Klägerin werden schließlich zu 100 % von der B-GEK, also einer gesetzlichen Trägerin der Sozialversicherung, vergütet, so dass es sich bei der Klägerin um eine sowohl von Art. 132 Buchst. g MwStSystRL als auch von § 4 S. 1 Nr. 16k UStG anerkannte Einrichtung handelt.
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Das FA hat danach zu Unrecht den angefochtenen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Januar 2012 erlassen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.  Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3, § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).