Digitalisierung: Künstliche Intelligenz im Steuerbereich

Künstliche Intelligenz (KI) wird die Arbeit in den Steuerabteilungen großer Konzerne revolutionieren. Zu diesem Schluss kamen am 13.10.2017 das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und die internationale Steuerberatungsgesellschaft WTS bei der Vorstellung einer gemeinsamen Studie im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin.

Schon die Begrüßung war auf den Anlass abgestimmt: Nachdem die Star Wars-Melodie erklungen war und der Roboter Pepper die rund 200 Teilnehmer mit blecherner Stimme willkommen geheißen hatte, richtete der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI) Prof. Dieter Kempf das Wort an die erschienenen Gäste, darunter der Präsident des Bundesfinanzhofs Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff und Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, zugleich Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Im Mittelpunkt der Ansprache Kempfs standen die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen. So könne die Digitalisierung zu erheblichen Effizienzsteigerungen bei der Erfassung, der Dokumentation und der Bewertung steuerlicher Massendaten führen, darüber hinaus die Vertretung rechtlicher Interessen unterstützen. Zu überwindende Hindernisse lägen bei der notwendigen Mitarbeiterqualifikation, bei der Finanzierung der IT-Struktur sowie auch im Bereich der IT-Sicherheit.

In einem einführenden Vortrag schilderte sodann Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster, Lehrstuhlinhaber für Informatik an der Universität des Saarlandes und Vorsitzender der Geschäftsführung des DFKI, Grundlagen der KI und Einsatzmöglichkeiten der KI im Steuerbereich. Bei der Digitalisierung sei es lange Zeit darum gegangen, Daten maschinenlesbar zu machen, während man beim Thema KI daran arbeite, Daten maschinenverstehbar werden zu lassen. Schon heute gebe es Bots, d.h. Computerprogramme, die weitgehend automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeiten, ohne dabei auf eine Interaktion mit dem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein. Der Weg führe aber darüber hinaus zu immer komplexeren Hilfen, zu maschinellen Tax Assistants und Tax Clerks. Letztlich führe der Weg von der Suchmaschine zur Antwortmaschine.

Fritz Esterer, CEO der WTS, sprach sodann über die Zielsetzung und die Inhalte der mit dem DFKI durchgeführten Innovationsstudie und demonstrierte dabei auch die Funktionsweise eines steuerlichen Chatbots, eines textbasierten Dialogsystems, bei dem sich der Fragesteller z. B. nach der aktuellen Steuerquote in Deutschland erkundigt und der Chatbot ihm die Antwort „mündlich“ mitteilt. Ebenso kann nach der Steuerquote vergangener Jahre oder nach der Steuerquote in anderen Ländern gefragt werden, und der Chatbot wird hierauf Antworten geben.

In seinem Vortrag ging Esterer auf die Frage ein, warum sich seine Gesellschaft mit KI beschäftigt habe. Er verwies darauf, dass im Industriebereich, insbesondere bei internationalen Konzernen, riesige Datenmengen zu bewältigen seien. Außerdem müssten sich die Steuerabteilungen mit ständig steigenden Compliance-Anforderungen der Finanzverwaltungen auseinandersetzen und ihre steuerlichen IKS entsprechend aufrüsten. Des Weiteren sei im industriellen Bereich festzustellen, dass die Unternehmen dem Thema KI eine hohe Priorität einräumen; diesen Trend dürfe man nicht verpassen. Schließlich seien die KI-Basistechnologien inzwischen so ausgereift, dass ein Arbeiten mit ihnen auch im Steuerbereich praktisch realisierbar sei. Tests hätten ergeben, dass sich mithilfe von KI-Technologien sogar Gerichtsurteile vorhersehen ließen.

Esterer schilderte sodann das Forschungskonzept der Studie, mit der konkrete Einsatzmöglichkeiten von KI-Technologien im Steuerbereich erforscht worden seien. In enger Zusammenarbeit mit den Industriepartnern Audi, Bosch, E.ON und Henkel sei untersucht worden, welche KI-Schlüsseltechnologien Standardaufgaben und auch anspruchsvollere Tätigkeiten im Steuerbereich unterstützen und automatisieren können. Hierbei seien verschiedene Steuerarten betrachtet, konkrete Anwendungsszenarien für KI-Technologien ausgemacht und erste Softwareprototypen entwickelt worden. Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass sich Lohn- und Umsatzsteuer, Zölle und auch Verrechnungspreise sehr gut für den Einsatz von KI-Technologien eignen, wenn komplexe Routineaufgaben ausgeführt und große Informationsmengen ausgewertet werden müssen. Beispiele für solche KI-Einsatzbereiche seien die korrekte steuerliche Beurteilung von Sachzuwendungen oder die umsatzsteuerliche Rechnungsprüfung.

KI-Technologien hätten ein erhebliches Hilfspotenzial für die Steuerabteilungen. Routinetätigkeiten könnten weitgehend automatisiert werden, was zu Kosteneinsparungen und Qualitätsverbesserungen führe. Anwendungsszenarien seien das Erkennen von Zusammenhängen und Ausnahmen (Prozessdiagnose und Anomalie-Erkennung), Dokumentenanalyse, Informationsextraktion sowie die Klassifikation unstrukturierter transaktionaler Daten. Weniger geeignet sei der Einsatz von KI in Bereichen, in denen eine hohe soziale Kompetenz, eine hohe Kreativität oder eine hohe Umgebungsinteraktion erforderlich seien. In der steuerlichen Gestaltungs- und Durchsetzungsberatung sei es aktuell nicht vorstellbar, dass die Steuerberatung vollständig durch intelligente Steuerlösungen ersetzt werde. Mittelfristig führe der Einsatz von KI-Technologien aber dazu, dass Steuerberater höherwertige Beratungsleistungen werden erbringen müssen.

In einer anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert vom Leiter der Innovationsstudie Prof. Dr. Peter Fettke, Wirtschaftsinformatiker an der Universität des Saarlands, setzten sich sodann Dr. Hans Maier, Senior Vice President Tax der Robert Bosch GmbH, Axel Dewitz, Leiter Steuern, Zölle, M&A der Audi AG, Heinrich Montag, Bereichsleiter Steuern der E.ON und Prof. Dr. Robert Risse, Global Head of Tax & Trade der Henkel AG & Co. KGaA, mit den Einsatzmöglichkeiten der KI im Steuerbereich auseinander. Maier betonte, dass es ihm vor allem um die Bewältigung von Massendaten und um ein entsprechendes Risikomanagement, z. B. im Bereich der Umsatzsteuer oder der Lohnsteuer, gehe. Dewitz verwies darauf, dass es wichtig sei, zunächst die Prozesse zu strukturieren und zu dokumentieren, weil ein unmittelbarer Einsatz der modernen Technologien sonst zu „automatisiertem Unsinn“ führe. Montag sah die Unterscheidung zwischen tendenziell automatisierbarem Accounting und tendenziell nicht automatisierbarem Tax Advice als wichtig an. Er glaube nicht daran, dass die zukünftige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mit KI-Technologien sicher vorhergesehen werden könne. Risse wies darauf hin, dass die Steuerabteilungen internationaler Konzerne Teile der Wertschöpfungsketten seien. Sie müssten sich deshalb in die Geschäftsmodell-Optimierung einbringen, was z. B. auch den unter steuerlichen Aspekten kostengünstigen Einkauf von Rohmaterialien, die kostengünstige Produktion, die kostengünstige Logistik und den Abgabenbereich allgemein betreffe. Hierbei könne die KI gute Dienste leisten. Maier betonte, dass er es für erforderlich halte, Steuerabteilungen heute, außer mit Steuerrechtlern, auch mit IT-Experten zu besetzen. Deutschland könne hier viel vom Ausland lernen. Informationstechnologien müssten verstärkt auch in die steuerlichen Curricula integriert werden. Prof. Dr. Fettke stellte zusammenfassend fest, dass KI-Basistechniken in vielen Einsatzgebieten bereits heute einen hohen technischen Reifegrad erreicht haben und so zu einem Innovationsvorsprung auch im Steuerbereich führen können, vorausgesetzt man setze sich gezielt mit den neuen Technologien auseinander.

Am Nachmittag wurden dann noch verschiedene Prototypen von Softwarelösungen vorgestellt, die die Arbeit der Steuerabteilungen und entsprechend ausgerichteter Beratungsgesellschaften heute bereits unterstützen, darunter die Erkennung von Anomalien in Massendaten, die inhaltliche Analyse von Steuerproblemen, die dialogbasierte Beantwortung steuerlicher Fragen, die Identifikation steuerlicher Argumentationsmuster und ein neuronales Übersetzungssystem für Steuerfachtexte.

Für den DStV nahm dessen Hauptgeschäftsführer RA/FAStR Prof. Dr. Axel Pestke an der interessanten Veranstaltung teil.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 16.10.2017