Entwicklung der Mehrwertsteuer: EU-Kommission denkt „grüner“ – Neue Optionen für Second-Hand, Produktspenden und Bildungsleistungen

DStV begrüßt Reformüberlegungen und fordert Wahlrechte für Weiterbildungsträger

Die EU-Kommission arbeitet derzeit an möglichen Reformbausteinen für die Zukunft des europäischen Mehrwertsteuersystems. Nach Umsetzung von ViDA („VAT in the digital age“) im Jahr 2025, rücken nun Aspekte wie Nachhaltigkeit, der Second-Hand-Markt und die Mehrwertsteuerbefreiung für Bildungsleistungen in den Fokus. Der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) berichtet über die ersten Inhalte und bewertet zentrale Reformoptionen.


A. Die Zukunft der EU-Mehrwertsteuer nach ViDA

Die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) aus dem Jahr 2006 wird seit Jahren fortlaufend reformiert. Mit ViDA (2025/516/EU) wurden zuletzt große Veränderungen angestoßen – etwa zur digitalen Rechnungsstellung, zum Echtzeit-Datenaustausch und zu Plattformgeschäftsmodellen.

Jetzt richtet die EU-Kommission den Blick auf die Zeit nach ViDA und hat die Studie „The challenges of VAT beyond ViDA“ in Auftrag gegeben. Ziel:
👉 Die Mehrwertsteuer soll künftig stärker zu Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung beitragen.

Im Fokus stehen drei Themenbereiche:


1. „Grüne“ Mehrwertsteuer: Förderung nachhaltiger Märkte

Die EU prüft, wie das Mehrwertsteuersystem ökologischer gestaltet werden kann – u. a. durch:

  • Förderung nachhaltiger Konsummuster
  • Begünstigung reparierter oder wiederverwendeter Produkte
  • Vermeidung steuerlicher Fehlanreize bei Produktvernichtung

Konkrete Vorschläge liegen noch nicht vor, aber erste Ansätze werden in der VAT Expert Group diskutiert.


2. Second-Hand-Produkte: Zwei mögliche Reformmodelle

Der Gebrauchtwarenmarkt ist ein Kernbereich der Kreislaufwirtschaft. Aktuell gilt in Deutschland für viele Second-Hand-Geschäfte die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG, wenn der Ankauf ohne Vorsteuerabzug erfolgt.

Die EU erwägt zwei Reformoptionen:

Option 1: Harmonisierung und Erweiterung des aktuellen Systems

  • Beibehaltung der Differenzbesteuerung
  • Erweiterung der Definition von „Gebrauchtgegenständen“
  • Bessere Integration in E-Rechnungssysteme
  • Ausweitung des One-Stop-Shop (OSS)
    → Umstieg zur zielbasierten Besteuerung, also Besteuerung im Land des Verbrauchs

Diese Option würde grenzüberschreitenden Handel erleichtern und könnte Second-Hand-Plattformen entlasten.

Option 2: Einführung eines fiktiven Vorsteuerabzugs

Anlehnung an Modelle wie in Neuseeland:

  • Der Händler gibt beim Ankauf einen „fiktiven Wert“ für das Produkt an
  • Darauf basiert ein fiktiver Vorsteuerabzug
  • Verkauf wird wie ein normaler Umsatz versteuert

Diese Option würde das System vereinheitlichen, birgt aber Bewertungs- und Missbrauchsrisiken.


3. Mehrwertsteuer und Produktvernichtung: Steuerbefreiung für Sachspenden?

Aktuell gilt:
Unentgeltliche Wertabgaben (z. B. Spenden) werden nach § 3 Abs. 1b UStG wie entgeltliche Lieferungen behandelt.

Folge:
➡️ Unternehmen zahlen Mehrwertsteuer auf gespendete, aber nicht verkaufte Waren.
➡️ Die Vernichtung ist oft steuerlich günstiger – ein offensichtlicher Nachhaltigkeitswiderspruch.

Die EU-Kommission prüft daher:

  • Mehrwertsteuerbefreiung für Sachspenden
  • Spezielle Regelungen zur Förderung der Abfallvermeidung

Das deutsche BMF sieht dagegen „keinen unmittelbaren Handlungsdruck“, räumt aber Interpretationsspielraum ein. Eine Klarstellung in der MwStSystRL könnte hier europaweit einheitliche Erleichterungen schaffen.


B. Mehrwertsteuer auf Bildungsleistungen – DStV fordert Wahlrecht

Gemäß Art. 132 MwStSystRL und § 4 UStG sind viele Bildungsleistungen steuerbefreit.
Problem:
👉 Gewerbliche Bildungsträger verlieren den Vorsteuerabzug und müssen höhere Kosten auf Teilnehmer umlegen.

Dies trifft besonders:

  • private Weiterbildungsanbieter
  • Sprachschulen
  • berufliche Fortbildungsinstitute
  • spezialisierte Lehrgangsanbieter

Die German Tax Advisers (DStV & BStBK, Brüssel) fordern daher ein:

→ echtes Optionsmodell zur Umsatzsteuerpflicht

Vorteile:

  • Vorsteuerabzug möglich
  • Netto-Kosten sinken
  • Preise werden transparenter
  • Fairer Wettbewerb gegenüber nicht gewerblichen Trägern

Die Reaktion der EU-Kommission („very useful“) zeigt Offenheit – konkrete Folgeinitiativen stehen jedoch noch aus.


Fazit: Mehrwertsteuer im Wandel – Nachhaltigkeit als neuer Leitgedanke

Die EU-Kommission denkt die Mehrwertsteuer zunehmend als Lenkungsinstrument für ökologische und gesellschaftliche Ziele. Die relevanten Trends:

  • Second-Hand-Märkte sollen attraktiver werden
  • Produktvernichtung soll eingedämmt werden
  • Bildungsträger sollen flexibilisiert werden
  • Nachhaltigkeit rückt stärker in den Fokus
  • Digitalisierung durch ViDA bleibt ein Dauerthema

Für Unternehmen, Händler, Bildungseinrichtungen und Steuerberater ergeben sich daraus potenziell erhebliche Änderungen, die in den nächsten Jahren die Mehrwertsteuersystematik neu ordnen könnten.


Quelle: Deutscher Steuerberaterverband e.V., Mitteilung vom 12.11.2025