EuGH verwirft Sofortbesteuerung stiller Reserven bei Sitzverlegung

EuGH verwirft Sofortbesteuerung stiller Reserven bei Sitzverlegung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im November 2011 eine erste Entscheidung zur
Wegzugsbesteuerung von Kapitalgesellschaften gefällt. Das Gericht nahm darin erstmals zur
europarechtlichen Beurteilung der sofortigen Besteuerung stiller Reserven im Fall der Entstrickung
von Betriebsvermögen Stellung.

Sachverhalt

Streitig war die Europarechtskonformität einer Regelung des niederländischen Steuerrechts,
die bei Wegzug einer niederländischen Kapitalgesellschaft eine Schlussbesteuerung anordnet.
Ähnliches sieht auch das deutsche Körperschaftsteuergesetz vor. Die niederländische Kapitalgesellschaft
in Firma „National Grid Indus B. V.“ war nach niederländischem Recht gegründet
worden und verlegte einige Jahre später ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Großbritannien.
Nach dem geltenden Doppelbesteuerungsabkommen war sie damit in Großbritannien
ansässig. Da mit der „Sitzverlegung“ in den Niederlanden keine Gewinne mehr versteuert werden
mussten, erfolgte eine Schlussbesteuerung, bei der ein Währungsgewinn in Höhe von ca.
22 Mio. niederländische Gulden (NLG) besteuert wurde.

Entscheidung

Die Schlussbesteuerung verstößt nach Auffassung des EuGH gegen die Niederlassungsfreiheit.
Allerdings lässt sich dies vor dem Hintergrund einer sachgerechten Aufteilung des Besteuerungssubstrats
grundsätzlich rechtfertigen. Überzogen ist dagegen die sofortige Fälligkeit
der Steuer. Nach Ansicht des EuGH hat der Steuerpflichtige ein Wahlrecht, ob er einer Sofortbesteuerung
zustimmen oder eine Nachverfolgung der stillen Reserven durch Abgabe einer
jährlichen Erklärung Folge leisten will. Der Fiskus des Wegzugslandes kann gegebenenfalls
eine Sicherheit (in Form einer Bankbürgschaft) sowie Stundungszinsen fordern (so zumindest
erste Stimmen aus der Finanzverwaltung). Er muss dagegen nicht – wie noch in den Schlussanträgen
der Generalanwältin zum Ausdruck kommend – nachträgliche Wertänderungen berücksichtigen,
weil sich dies durch die steuerliche Erfassung im Zuzugsland reguliert.

Konsequenz

In der Fachliteratur wird überwiegend vertreten, dass die deutschen Regelungen zur Entstrickung
durch die Entscheidung des EuGH europarechtswidrig geworden sind und nicht angewandt
werden können. Darüber hinaus werden Folgewirkungen bei den Vorschriften zur Funktionsverlagerung
erwartet. Vertreter der Finanzverwaltung sehen im Gegensatz dazu positive
Aspekte für die Verwaltung, der nunmehr die Einforderung von Sicherheiten und Zinsen eröffnet
werde.