FG Baden-Württemberg: Auch reine Strukturverlängerungen sind steuerpflichtig
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.04.2024 – 5 K 1696/23
Mitteilung vom 18.12.2025 – Revision anhängig (BFH II R 16/24)
Die grunderwerbsteuerlichen Verschärfungen seit dem 1. Juli 2021 beschäftigen die Praxis weiterhin intensiv. Mit Urteil vom 26. April 2024 hat das Finanzgericht Baden-Württemberg entschieden, dass auch eine bloße Verlängerung der Beteiligungskette einen steuerbaren Vorgang nach § 1 Abs. 2b GrEStG auslösen kann – selbst dann, wenn die wirtschaftliche Person hinter der Struktur unverändert bleibt.
1. Kernaussagen der Entscheidung auf einen Blick
- § 1 Abs. 2b GrEStG greift auch bei Verlängerung der Beteiligungskette, nicht nur bei Verkürzung.
- Maßgeblich ist allein die unmittelbare Änderung des Gesellschafterbestands der grundbesitzenden Kapitalgesellschaft.
- Steuerbefreiungen nach §§ 5 und 6a GrEStG sind im entschiedenen Fall nicht anwendbar.
- Wirtschaftliche Betrachtungen (personelle Identität) sind bei unmittelbaren Gesellschafterwechseln unbeachtlich.
2. Sachverhalt (vereinfacht dargestellt)
- Eine grundbesitzende GmbH hielt inländischen Grundbesitz.
- Alleiniger Gesellschafter war zunächst ein Einzelunternehmer (A).
- A gründete eine personenidentische GmbH & Co. KG (C-KG).
- Anschließend gliederte A sein gesamtes Einzelunternehmen – einschließlich der GmbH-Anteile – auf die C-KG aus (§ 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG).
- Die Eintragung der Ausgliederung erfolgte im Jahr 2022.
Das Finanzamt setzte Grunderwerbsteuer fest, da die C-KG neue Alleingesellschafterin der grundbesitzenden GmbH geworden sei.
3. Entscheidung des FG Baden-Württemberg
3.1 Steuerbarer Vorgang nach § 1 Abs. 2b GrEStG
Nach Auffassung des Gerichts liegt ein steuerbarer Erwerbsvorgang vor, wenn sich der Gesellschafterbestand einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft unmittelbar zu mindestens 90 % ändert – unabhängig davon, ob die wirtschaftliche Beherrschung gleich bleibt.
Die Eintragung der Ausgliederung im Handelsregister führte dazu, dass:
- der Einzelunternehmer A als Altgesellschafter ausschied und
- die C-KG als neue unmittelbare Gesellschafterin eintrat.
➡️ Damit war der Tatbestand des § 1 Abs. 2b Satz 1 GrEStG erfüllt.
3.2 Verlängerung der Beteiligungskette ist unerheblich
Das Gericht stellt ausdrücklich klar:
Es ist unerheblich, dass der letztlich beteiligte Rechtsträger (A) identisch geblieben ist.
Bei unmittelbaren Gesellschafterwechseln kommt es ausschließlich auf den zivilrechtlich wirksamen Übergang der Anteile an.
Wirtschaftliche oder beherrschende Gesichtspunkte spielen keine Rolle.
4. Keine Steuerbefreiung nach § 5 GrEStG
Eine (auch analoge) Anwendung von § 5 Abs. 2 GrEStG lehnte das FG ab:
- § 1 Abs. 2b GrEStG fingiert einen Grundstücksübergang zwischen zwei Kapitalgesellschaften.
- An diesem fiktiven Vorgang ist keine Gesamthand beteiligt.
- Die personenbezogenen Steuerbefreiungen des § 5 GrEStG sind gesetzlich bewusst auf Personengesellschaften beschränkt.
Eine planwidrige Regelungslücke liegt nach Ansicht des Gerichts nicht vor.
5. Keine Steuerbefreiung nach § 6a GrEStG (Konzernklausel)
Auch § 6a GrEStG half der Klägerin nicht weiter:
- Zwar lag eine Ausgliederung nach dem UmwG vor,
- jedoch waren die Vorbehaltensfristen nicht erfüllt.
Die übernehmende C-KG war:
- erst drei Wochen vor der Ausgliederung gegründet worden,
- daher kein seit mindestens fünf Jahren abhängiges Unternehmen.
➡️ Die Voraussetzungen des § 6a GrEStG waren somit nicht erfüllt.
6. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung hat erhebliche praktische Relevanz:
- Konzerninterne Umstrukturierungen,
- Ausgliederungen aus Einzelunternehmen,
- Holding- und Nachfolgegestaltungen
können auch dann Grunderwerbsteuer auslösen, wenn sie lediglich der Strukturierung oder Haftungsabschirmung dienen.
Praxishinweis:
Die Verlängerung einer Beteiligungskette ist keine steuerneutrale Maßnahme, wenn sie zu einem unmittelbaren Gesellschafterwechsel führt.
7. Revision beim BFH – Handlungsempfehlung
Die Revision ist beim BFH unter dem Az. II R 16/24 anhängig.
Bis zur höchstrichterlichen Entscheidung gilt:
- Gestaltungen sorgfältig vorab prüfen,
- mögliche Alternativstrukturen erwägen,
- in laufenden Fällen ggf. Ruhen des Verfahrens beantragen.
8. Fazit
Das FG Baden-Württemberg bestätigt die strenge Linie der Finanzverwaltung:
- § 1 Abs. 2b GrEStG erfasst auch reine Beteiligungsverschiebungen,
- wirtschaftliche Identität schützt nicht vor Grunderwerbsteuer,
- Steuerbefreiungen sind eng auszulegen.
Grunderwerbsteuerliche Risiken bestehen daher auch dort, wo wirtschaftlich „nichts passiert“.
Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine individuelle steuerliche Beratung. Die steuerliche Beurteilung hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.