Grunderwerbsteuer: Rückgängigmachung auch bei nicht ordnungsgemäß angezeigtem Erwerb möglich


FG Baden-Württemberg stärkt Steuerpflichtige – Revision beim BFH anhängig

Mit aktueller Mitteilung vom 18.12.2025 hat das FG Baden-Württemberg ein für die Praxis äußerst relevantes Urteil veröffentlicht (Urteil vom 19.07.2024 – 5 K 1668/22, Revision anhängig unter BFH II R 30/24).

Im Kern geht es um die Frage, wann eine Grunderwerbsteuerfestsetzung bei Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs aufgehoben werden kann, insbesondere wenn der ursprüngliche Vorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde.

Die Entscheidung bringt wichtige Klarstellungen zu § 16 GrEStG und kann für viele gesellschaftsrechtliche Gestaltungen erhebliche finanzielle Auswirkungen haben.


1. Ausgangspunkt: Rückgängigmachung nach § 16 GrEStG

§ 16 GrEStG ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Nichtfestsetzung oder Aufhebung der Grunderwerbsteuer, wenn ein Erwerbsvorgang innerhalb von zwei Jahren rückgängig gemacht wird.

In der Praxis scheitert die Anwendung dieser Vorschrift häufig an formalen Fehlern, insbesondere:

  • verspätete oder unvollständige Anzeige des ursprünglichen Erwerbsvorgangs,
  • komplexe Anteilsübertragungen bei grundstücksbesitzenden Gesellschaften.

Genau an dieser Schnittstelle setzt das Urteil an.


2. Der entschiedene Sachverhalt (vereinfacht)

  • Eine gemeinnützige Stiftung war Alleingesellschafterin einer grundstücksbesitzenden GmbH.
  • 16 % der Anteile wurden veräußert, verbunden mit einer Rückerwerbsoption.
  • Die Stiftung übte diese Option aus → Anteilsvereinigung von 100 %.
  • Dadurch wurde erst der Rückerwerb grunderwerbsteuerpflichtig (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG).
  • Der ursprüngliche Erwerbsvorgang war nicht ordnungsgemäß angezeigt worden.

Das Finanzamt lehnte die Aufhebung der Grunderwerbsteuer ab und berief sich auf § 16 Abs. 5 GrEStG.


3. Zentrale Kernaussagen des FG Baden-Württemberg

3.1 § 16 Abs. 2 GrEStG setzt keine Steuerbarkeit des Ersterwerbs voraus

Das Gericht stellt klar:

Für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist es nicht erforderlich, dass der rückgängig gemachte Erwerbsvorgang steuerbar war.

Entscheidend ist allein, dass:

  • der frühere Zustand vollständig wiederhergestellt wird und
  • dies innerhalb der Zweijahresfrist geschieht.

Diese Grundsätze gelten auch bei Anteilsvereinigungen nach § 1 Abs. 3 GrEStG.


3.2 § 16 Abs. 5 GrEStG greift nur bei steuerbaren Ersterwerben

Besonders praxisrelevant ist die Abgrenzung zu § 16 Abs. 5 GrEStG:

  • § 16 Abs. 5 GrEStG sperrt die Begünstigung nur, wenn ein steuerbarer Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde.
  • War der ursprüngliche Erwerb nicht steuerbar, ist § 16 Abs. 5 GrEStG bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar.

👉 Dass der steuerpflichtige Vorgang erst durch die Rückgängigmachung ausgelöst wird, ist unschädlich.


3.3 Keine analoge Anwendung der Sperrvorschrift

Auch eine analoge Anwendung von § 16 Abs. 5 GrEStG lehnt das Gericht ab:

  • Der Zweck der Norm (Missbrauchsvermeidung durch bewusste Nichtanzeige) greife hier nicht.
  • Es bestehe keine Umgehungsgefahr, da der Steuerpflichtige die Steuer auch ohne Pflichtverletzung hätte vermeiden können.

4. Praktische Bedeutung für die Beratungspraxis

Die Entscheidung ist insbesondere relevant für:

  • Anteilsübertragungen mit Rückerwerbsoptionen
  • Stiftungs- und Holdingstrukturen
  • 95-%-/90-%-Schwellen bei § 1 Abs. 2a, 3 GrEStG
  • Fälle mit formalen Anzeigeproblemen

Merksatz für die Praxis:

Eine fehlerhafte Anzeige schließt die Aufhebung der Grunderwerbsteuer nicht aus, wenn der rückgängig gemachte Erwerbsvorgang selbst nicht steuerbar war.


5. Revision beim BFH – Handlungsbedarf?

Die Revision ist beim BFH anhängig (II R 30/24). Bis zur endgültigen Entscheidung gilt:

  • Anträge nach § 16 Abs. 2 GrEStG sollten gestellt werden, auch wenn das Finanzamt sich auf § 16 Abs. 5 GrEStG beruft.
  • In vergleichbaren Fällen empfiehlt sich offenes Ruhenlassen des Verfahrens.
  • Bei geplanten Rückabwicklungen sollte die steuerliche Einordnung frühzeitig geprüft werden.

6. Fazit

Das FG Baden-Württemberg stärkt mit dieser Entscheidung die materielle Betrachtung gegenüber formalen Anzeigeverstößen. Für Steuerpflichtige eröffnet sich damit in vielen Fällen die Möglichkeit, zu Unrecht festgesetzte Grunderwerbsteuer erfolgreich aufheben zu lassen.

Ob der BFH diese Linie bestätigt, bleibt abzuwarten – die Argumentation des FG ist jedoch dogmatisch überzeugend und praxisnah.


Hinweis: Der Beitrag stellt keine individuelle Steuerberatung dar. Die steuerliche Beurteilung hängt stets vom konkreten Einzelfall ab.