Kein Vertrauensschutz bei RETT-Blocker-Gestaltungen nach BFH-Rechtsprechungsänderung

FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 03.06.2025 – 3 K 47/23 (Revision anhängig: BFH II R 32/25)
Mitteilung des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 06.10.2025


🔍 Hintergrund

Das Finanzgericht Schleswig-Holstein hatte über zwei zentrale Fragen im Zusammenhang mit sogenannten RETT-Blocker-Gestaltungen (Real Estate Transfer Tax Blocker) zu entscheiden:

  1. Besteht Vertrauensschutz nach einer Rechtsprechungsänderung des Bundesfinanzhofs zur grunderwerbsteuerlichen Behandlung solcher Gestaltungen?
  2. War das Finanzamt befugt, die Anwendbarkeit des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO (Schutz des Vertrauens in die Rechtsprechung) isoliert per Verwaltungsakt festzustellen?

⚖️ Sachverhalt

Die Klägerin hielt Beteiligungen an mehreren grundstückshaltenden Gesellschaften.
Im Zuge einer Umstrukturierung 2012 ergab sich folgende Struktur:

  • Die Klägerin hielt mittelbar 93,34 % an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft.
  • Die restlichen 6,66 % hielt eine X-GmbH & Co. KG, deren alleinige Kommanditistin wiederum die Klägerin war.
  • Die Komplementär-GmbH der X-KG stand nicht im Eigentum der Klägerin – ein klassischer RETT-Blocker also.

Zunächst erfolgte keine Grunderwerbsteuerfestsetzung. Nach einer Betriebsprüfung im Jahr 2019 stellte das Finanzamt jedoch fest, dass der Klägerin auch die über die X-KG gehaltenen Anteile grunderwerbsteuerlich zuzurechnen seien – eine Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sei somit bereits 2012 eingetreten.

Die Klägerin beantragte daraufhin:

  • eine Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO,
  • sowie die Gewährung von Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO.

Beide Anträge lehnte das Finanzamt ab – letzteres sogar durch einen gesonderten „Bescheid“.


🧾 Entscheidung des Finanzgerichts

Der 3. Senat des FG Schleswig-Holstein hat:

  1. Den sogenannten Bescheid über die Nichtanwendung des § 176 AO aufgehoben,
  2. Den Vertrauensschutzantrag in der Sache abgewiesen.

👉 Begründung

  • Der „Bescheid“ des Finanzamts über die Nichtanwendung des § 176 AO sei kein Verwaltungsakt im materiellen Sinne, sondern lediglich ein bloß formeller Verwaltungsakt.
    → Ein solcher sei rechtswidrig und vom Finanzgericht ohne weitere Sachprüfung aufzuheben.
  • In der Sache selbst bestehe kein Anspruch auf Vertrauensschutz:
    Der Umstand, dass der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung zu RETT-Blocker-Gestaltungen nachträglich geändert habe, begründe keine Unbilligkeit im Rechtssinne.
  • Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) liege nicht vor.
    Der Rechtsgedanke des § 176 AO könne nicht dazu herangezogen werden, eine „Unbilligkeit“ zu konstruieren, wo die gesetzliche Regelung selbst nicht greift.

🧩 Praktische Bedeutung

Das Urteil stellt klar:

  • Kein allgemeiner Vertrauensschutz besteht, wenn der Bundesfinanzhof seine Rechtsprechung zur Grunderwerbsteuer ändert – selbst bei bereits vollzogenen Umstrukturierungen.
  • Unternehmen und Berater können sich nicht auf frühere Verwaltungsauffassungen oder Rechtsprechungslinien berufen, wenn die aktuelle BFH-Rechtsprechung abweicht.
  • Ein „Verwaltungsakt über Vertrauensschutz“ ohne gesetzliche Grundlage ist formell rechtswidrig und aufzuheben.

Das Verfahren hat erhebliche Relevanz für die Gestaltungspraxis bei Anteilsübertragungen und Konzernumstrukturierungen, insbesondere bei grundstückshaltenden Gesellschaften.


⚠️ Ausblick

Die Revision ist beim Bundesfinanzhof unter dem Az. II R 32/25 anhängig.
Der BFH wird damit Gelegenheit haben, die Grenzen des Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen sowie die formelle Befugnis der Finanzverwaltung in solchen Fällen abschließend zu klären.


💡 Fazit

Das FG Schleswig-Holstein bestätigt:

Ein Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO greift nicht allgemein, wenn sich die höchstrichterliche Rechtsprechung ändert.

Unternehmen sollten daher bei RETT-Blocker- und ähnlichen Gestaltungen stets aktuelle Entwicklungen in der BFH-Rechtsprechung im Blick behalten und bei Umstrukturierungen steuerliche Rückstellungen für mögliche Nachforderungen bilden.


📚 Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Urteil vom 03.06.2025 – 3 K 47/23
(Pressemitteilung vom 06.10.2025; Revision anhängig: BFH II R 32/25)


1️⃣ Gestaltungs- und Handlungshinweise:

  • Frühzeitige Prüfung: Vor jeder Umstrukturierung mit Immobilienbezug sollte geprüft werden, ob eine Anteilsvereinigung i. S. d. § 1 Abs. 3 GrEStG vorliegt.
  • Dokumentation: Sanierungs- oder Restrukturierungsschritte detailliert dokumentieren, insbesondere Beteiligungsquoten und wirtschaftliche Eigentümerstellung.
  • Vermeidung formeller Fehler: Ein Antrag nach § 176 AO sollte nicht isoliert gestellt werden, sondern stets im Rahmen eines Einspruchs- oder Billigkeitsverfahrens.
  • Alternativen zur RETT-Blocker-Struktur: Prüfen Sie alternative Holdingmodelle oder Zwischengesellschaften ohne RETT-Risiko.

2️⃣ Risikomanagement:

  • Vertrauensschutz begrenzt: Nachträgliche Änderungen der BFH-Rechtsprechung bieten keinen Bestandsschutz.
  • Nachforderungen möglich: Alte Gestaltungen können durch neue Rechtsprechung nachträglich steuerpflichtig werden.
  • Rückstellungspflicht: Bei laufenden Betriebsprüfungen oder offenen Verfahren sollten Rückstellungen für Grunderwerbsteuer erwogen werden.

3️⃣ Prüfung von Altfällen

„Die Finanzverwaltung und die Gerichte wenden neue BFH-Entscheidungen regelmäßig auch auf Altfälle an. Ein Vertrauensschutz besteht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen. Daher sollten bestehende Strukturen regelmäßig überprüft werden.“