BFH bestätigt Vorinstanz im vorläufigen Rechtsschutz
BFH, Beschlüsse vom 26.11.2025 – VII B 81/25 (AdV) und VII B 80/25 (AdV), Pressemitteilung Nr. 79/25 vom 11.12.2025
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei sachlich zusammenhängenden Beschwerdeverfahren im vorläufigen Rechtsschutz entschieden, dass ein von der Zollverwaltung sichergestellter Öltanker sowie dessen Ladung vorerst weder eingezogen noch verwertet werden dürfen. Hintergrund sind Maßnahmen der Zollverwaltung im Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen der Europäischen Union (EU). Der BFH bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanz und bejahte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einziehungs- und Verwertungsverfügungen.
Sachverhalt
Der betroffene Öltanker war auf dem Weg von Russland nach Indien und erlitt in der Ostsee eine Havarie. Das Schiff wurde manövrierunfähig, trieb in deutsche Hoheitsgewässer und wurde schließlich auf die Reede vor Sassnitz (Insel Rügen) geschleppt.
Die geladene Ölmenge galt bereits zu diesem Zeitpunkt als sanktioniertes Gut im Sinne von Art. 3i Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014. Das Schiff selbst wurde jedoch erst nach der Havarie durch die Verordnung (EU) 2025/395 in den Anhang XLII zu Art. 3s der Sanktionsverordnung aufgenommen. In diesem Anhang sind Schiffe aufgeführt, die – häufig als sogenannte „Schattenflotte“ bezeichnet – im Verdacht stehen, zur Umgehung der Russland-Sanktionen eingesetzt zu werden.
Vor diesem Hintergrund ordnete das zuständige Hauptzollamt (HZA) zunächst die Sicherstellung von Schiff und Ladung an. In einem weiteren Schritt verfügte es die Einziehung und Verwertung auf Grundlage von Art. 198 Abs. 1 Buchst. b Ziff. iv des Zollkodex der Union in Verbindung mit § 13 Abs. 1 ZollVG. Die Eigentümer bzw. Charterer wandten sich hiergegen mit Erfolg an das Finanzgericht, das die Vollziehung der Maßnahmen im Wege der Aussetzung der Vollziehung (AdV) stoppte.
Entscheidung des BFH
Der BFH wies die Beschwerden des Hauptzollamts zurück und bestätigte die AdV-Entscheidungen der Vorinstanz. Maßgeblich war, dass begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einziehungsmaßnahmen bestehen.
Zweifel hinsichtlich des Tankers
Bezogen auf das Schiff selbst sieht der BFH mehrere ungeklärte Rechtsfragen:
- Es ist rechtlich offen, ob ein nach der EU-Sanktionsverordnung verbotenes „Verbringen in die Union“ auch dann vorliegt, wenn ein Schiff manövrierunfähig ist und ohne eigenen Willensentschluss in EU-Gewässer driftet.
- Ebenso zweifelhaft ist, ob die einschlägigen Sanktionsregelungen auch ein „Verbringen aus der Union“ erfassen, obwohl der betreffende Tatbestand – anders als andere Embargobestimmungen – eine Ausfuhr nicht ausdrücklich erwähnt.
Darüber hinaus hebt der BFH die Bedeutung völkerrechtlicher Aspekte hervor. Zu berücksichtigen seien insbesondere das völkerrechtlich anerkannte Nothafenrecht sowie das Recht auf friedliche Durchfahrt nach Art. 17 und 18 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ).
Zweifel hinsichtlich der Ladung
Auch hinsichtlich der Ölladung sieht der BFH offene Rechtsfragen. Insbesondere ist bislang ungeklärt, ob die in Art. 3s Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 vorgesehene Ausnahme, die gelisteten Schiffen in Notsituationen das Anlaufen eines sicheren Hafens erlaubt, nach Sinn und Zweck der Regelung auch das Wieder-Auslaufen eines zuvor havarierten und erst danach gelisteten Schiffs einschließlich seiner Ladung umfassen kann.
Diese ungeklärten Fragen rechtfertigen es nach Auffassung des BFH, die Einziehung und Verwertung im vorläufigen Rechtsschutz auszusetzen.
Bedeutung der Entscheidung
Die Beschlüsse verdeutlichen, dass auch im Kontext weitreichender EU-Sanktionen eine sorgfältige rechtliche Prüfung erforderlich ist. Insbesondere bei Notlagen auf See treffen Sanktionsrecht, Zollrecht und Völkerrecht unmittelbar aufeinander. Der BFH stellt klar, dass Sanktionen nicht schematisch angewendet werden dürfen, wenn gewichtige rechtliche Zweifel bestehen.
Gleichzeitig handelt es sich um Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz. Eine abschließende Klärung der aufgeworfenen unions-, zoll- und völkerrechtlichen Fragen bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Praxishinweis
Für die Praxis zeigt die Entscheidung:
- Einziehungen nach dem Zollkodex der Union im Sanktionskontext unterliegen strengen rechtlichen Anforderungen.
- Unionsrechtliche Sanktionsnormen sind unter Berücksichtigung ihres Wortlauts, ihres Zwecks und völkerrechtlicher Rahmenbedingungen auszulegen.
- In komplexen Grenzfällen kann der vorläufige Rechtsschutz ein wirksames Instrument sein, um irreversible Maßnahmen wie Verwertung zu verhindern.
Quelle: Bundesfinanzhof, Beschlüsse vom 26.11.2025 – VII B 80/25 (AdV), VII B 81/25 (AdV); Pressemitteilung Nr. 79/25 vom 11.12.2025