Kindergeld: Ein Pflegekindschaftsverhältnis zwischen Pflegeeltern und einem Kind kann auch dann bestehen, wenn das Kind im Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme fast volljährig ist

Kindergeld
Ein Pflegekindschaftsverhältnis zwischen Pflegeeltern und einem Kind kann auch dann bestehen, wenn das Kind im Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme fast volljährig ist und es weiterhin telefonischen und sporadischen Besuchskontakt zu einem leiblichen Elternteil hat.

Niedersächsisches Finanzgericht 13. Senat, Urteil vom 11.06.2013, 13 K 30/13

§ 32 Abs 1 Nr 2 EStG, § 63 Abs 1 S 1 EStG, § 33 SGB 8, § 39 SGB 8

Tatbestand

 
1
Streitig ist, ob der Kläger aufgrund eines Pflegekindschaftsverhältnisses für das Kind D (geb. am … Februar 1995) kindergeldberechtigt ist.
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D ist in R in Nordrhein-Westfalen geboren worden. Die Kindsmutter, Frau C, hat sich später von dem Kindsvater, Herrn G (zukünftig: Beigeladener), getrennt und ist zusammen mit D nach K verzogen. Die Eltern von D sind inzwischen geschieden.
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Die Kindesmutter hatte erhebliche Schwierigkeiten mit der Erziehung von D. Deshalb kam D mit ungefähr neun Jahren in eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung in H („Haus T“). Dort wurde sie ungefähr fünf Jahre lang betreut.
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Im Juni 2009 zog D zum Beigeladenen nach R. Der Beigeladene beantragte und erhielt das Kindergeld. In dem Haushalt des Beigeladenen gab es aber sofort wieder erhebliche Schwierigkeiten. Ausweislich eines Schreibens der Stadt R gewährte die Stadt bereits ab dem 27. September 2009 wieder Erziehungshilfe gemäß § 34 SGB VIII. D kehrte in das Haus T zurück. Das Kindergeld wurde ab November 2009 zugunsten der Stadt R abgezweigt.
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D blieb jedoch nicht in der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung sondern war abgängig. Sie übernachtete bei Freunden, ging aber nach wie vor zur Schule. Eine Lehrerin vermittelte D daraufhin einen Platz in einer Pflegefamilie. D wurde am 29. September 2011 als Pflegekind in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau in H aufgenommen.
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Der Kläger und seine Ehefrau übernehmen regelmäßig Bereitschaftspflegedienste. Sie haben auch schon längerfristig Pflegekinder bei sich aufgenommen. Im Fall von D ist ein längerfristiger Aufenthalt bei dem Kläger und seiner Ehefrau geplant. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2013 lebte D noch im Haushalt des Klägers. Nach den Planungen soll sie noch ca. 3 ½ bis 4 Jahre (also bis ca. Anfang 2017 bis Mitte 2017) in dem Haushalt des Klägers bleiben.
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Der Kläger erhält von der Stadt R Pflegegeld zu den üblichen Pflegesätzen.
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D ging nach der Haushaltsaufnahme zunächst weiter zur Sonderschule. Die Pflegeeltern und D entwickelten einen Plan, wie es mit D weitergehen sollte. Momentan absolviert D eine Berufsschule. Ihr Ziel ist es, Erzieherin zu werden. D macht nach den Angaben des Klägers große Fortschritte. Ihre Zeugnisse sind gut. Geplant ist, dass D noch 1 ½ Jahre die Berufsschule absolviert, die mittlere Reife nachholt und dann eine Ausbildung als Erzieherin macht. So lange soll D im Haushalt der Pflegeeltern verbleiben.
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Zu dem Beigeladenen hat D zumindest seit der Haushaltsaufnahme bei den Pflegeeltern keinen Kontakt mehr.
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Mit ihrer Mutter telefoniert D jeden Mittwoch und Sonntag. Außerdem hält D über Facebook Kontakt zu ihrer Mutter. Einmal im Monat darf D ihre Mutter in K besuchen. Diese Möglichkeit wird von ihr aber nur unregelmäßig wahrgenommen. Finanzielle Unterstützung erhält D von ihrer Mutter nur in der Form, dass diese sie gelegentlich zu einem Eis einlädt oder ihr gelegentlich auf entsprechende Nachfrage ein Kleidungsstück kauft.
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Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat D ihre Mutter im Jahr 2012 viermal besucht und im Jahr 2013 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einmal. Die vier Besuche in 2012 hätten dreimal über das Wochenende stattgefunden. Das vierte Mal habe es sich nur um ein kurzes Kaffeetrinken gehandelt. Der Besuch in 2013 sei nur ein kurzer Besuch am Nachmittag gewesen. Zweimal habe die Kindsmutter D in H besucht.
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Der Kläger berichtete in der mündlichen Verhandlung von Gesprächen mit D, aus denen sich ergeben habe, dass sie zwar gut mit ihrer Mutter reden könne, dass sie aber nicht dauerhaft dort wohnen wolle. Sie wolle im Haushalt des Klägers bleiben. Sie komme mit dem Lebensgefährten der Mutter nicht klar.
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D gab in der mündlichen Verhandlung an, dass sie sich bei ihren Pflegeeltern wohl fühle. Die Pflegeeltern würden sich um sie kümmern. Ihr Zuhause sei bei ihrer Pflegefamilie. Sie habe dort alles, was sie brauche. Sie habe Taschengeld, ein eigenes Zimmer und ihre Freiheiten. Ihre Mutter sei aber noch immer ein wesentlicher Bestandteil in ihrem Leben. Wenn es bei ihrer Mutter nicht dauernd „Stress“ gäbe, würde sie sich auch dort wohl fühlen. Es sei aber so, dass es bereits „Stress“ gebe, wenn sie zwei oder drei Tage bei ihrer Mutter sei. Sie habe dies schon des Öfteren ausprobiert. Sie werde auf keinen Fall zu ihrer Mutter zurückkehren. Zum Geburtstag ihrer Mutter habe sie ihre Mutter besucht. Auch Weihnachten habe sie dort übernachtet. Zu Ostern habe sie kurz Kontakt zu ihrer Mutter gehabt.
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Die Mutter von D hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass D nach dem „Rauswurf“ aus dem Haushalt des Beigeladenen im Jahr 2009 zunächst ohne feste Bleibe gewesen sei und wohl bei irgendeiner Bekannten gelebt habe. Daraufhin habe die Mutter sich darum gekümmert, dass D wieder in das Haus T gekommen sei, damit sie eine Vollzeitbetreuung erhalte und kontrolliert erzogen werde. Zu ihr habe D nicht ziehen können. D habe nie ihre Erziehungsversuche akzeptiert. Es sei nie ein Thema gewesen, dass D wieder bei ihr einziehen könne.
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Die Mutter führte weiter aus, dass sie regelmäßigen Kontakt zu D habe. Die Erziehung von D hätten aber der Kläger und seine Ehefrau übernommen. Sie habe sich insoweit nicht eingemischt. Die Besuche von D seien teilweise recht kurz gewesen, teilweise sei sie auch über Nacht geblieben. Wenn D bei ihr gewesen sei, habe sie auch Freunde in K besucht.
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Die Stadt R bescheinigte dem Kläger und seiner Ehefrau, dass sie D im Wege der Vollzeitpflege nach § 33 und § 44 KJHG in Verbindung mit § 1688 BGB aufgenommen haben.
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Nachdem die Familienkasse B die Kindergeldzahlungen zunächst ab Oktober 2011 eingestellt hatte, setzte sie das Kindergeld auf Antrag der Stadt R mit Bescheiden vom 18. Juli 2012 (Kindergeld für die Monate ab April 2012) und 19. Juli 2012 (Kindergeld für die Monate Oktober 2011 bis März 2012) erneut zugunsten des Beigeladenen fest. Gleichzeitig wurde das Kindergeld zugunsten der Stadt R abgezweigt.
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Am 18. September 2012 stellte der Kläger einen Kindergeldantrag für D. Hierzu erklärte er in der mündlichen Verhandlung, dass das Jugendamt bei seinen anderen Pflegekindern den Antrag auf Kindergeld für ihn gestellt hätte und dass das Kindergeld dann auch festgesetzt worden sei. Die Stadt R habe sich anders verhalten.
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Nachdem der Kläger den Kindergeldantrag gestellt hatte, hob die Familienkasse B mit Bescheid vom 8. November 2012 die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Beigeladenen ab November 2012 auf. Begründet wurde die Aufhebung mit einem vorrangigen Anspruch des Klägers, der als Pflegevater das Kind in seinem Haushalt aufgenommen habe.
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Auf Nachfrage der Familienkasse G erläuterte der Kläger am 13. November 2012, dass das Kind auf unbestimmte Zeit in seiner Obhut verbleiben solle. Er versorge das Kind ganztägig und durchgehend an allen Wochentagen. Eine Pflegeerlaubnis habe das Jugendamt der Stadt R am 26. April 2012 erteilt. Die Mutter und der Vater würden das Kind nicht besuchen. D würde aber einmal monatlich mit dem Zug zur Mutter nach K fahren. Dies würde von Samstagvormittag bis Sonntagabend dauern.
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Mit Bescheid vom 29. November 2012 lehnte die Familienkasse G den Kindergeldantrag des Klägers ab. Es bestehe weiterhin ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu einem leiblichen Elternteil. Das Pflegekind besuche einmal im Monat ihre Mutter.
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Am 28. Dezember 2013 legte der Kläger Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Es bestehe kein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern. Die Besuche von D bei der leiblichen Mutter würden nicht regelmäßig und auch nur in größeren Abständen als monatlich stattfinden.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2013 wurde der Einspruch zurückgewiesen. Das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern würde nicht mehr bestehen, wenn der Kontakt zu den Eltern soweit reduziert sei, dass deren erzieherische und betreuende Einflussnahme auf das Kind nicht mehr gegeben sei. Dies sei unter Berücksichtigung des Alters des Kindes sowie der Anzahl und der Dauer der Besuche bei den leiblichen Eltern zu beurteilen. Der monatliche Besuch bei der Mutter zeige, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis weiter bestehe.
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Als die Familienkasse B von dem ablehnenden Einspruchsbescheid erfuhr, setzte sie mit Bescheid vom 10. Januar 2013 zugunsten des Beigeladenen das Kindergeld ab November 2012 fest. Zeitgleich wurde der Kindergeldanspruch zugunsten der Stadt R abgezweigt.
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Mit am 7. Februar 2013 eingegangener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Es entspreche nicht den Tatsachen, dass D regelmäßig monatlichen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter gehabt habe. D habe nur sporadischen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter. Die Mutter lebe inzwischen mit einem neuen Lebensgefährten in K zusammen. Übernachtungen würden bei der Mutter nicht stattfinden.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 29. November 2012 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 4. Januar 2013 die Beklagte zu verpflichten, das Kindergeld für das Pflegekind D, geb. am 13. Februar 1995, ab September 2012 zugunsten des Klägers festzusetzen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
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Die Beklagte führt aus, dass es für die Anerkennung eines Pflegekindverhältnisses erforderlich sei, dass das Kind im Wesentlichen nur noch von den Pflegeeltern betreut werden würde. Wann dieser Zustand erreicht sei, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Hinzukommen müsse, dass zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern über einen längeren Zeitraum kein für die Wahrung eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses ausreichender Kontakt mehr bestehe. Bei noch nicht schulpflichtigen Kindern habe der BFH einen Zeitraum von einem Jahr, bei schulpflichtigen Kindern einen Zeitraum von zwei Jahren als maßgeblich angesehen.
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Welche Kontakte das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern zu wahren geeignet seien, würde sich ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls bestimmen. Je jünger das Kind sei, desto wichtiger sei die persönliche Anwesenheit der leiblichen Eltern. Bei fast volljährigen Kindern reiche es dagegen aus, dass sie noch in Verbindung mit den leiblichen Eltern stehen würden. Die räumliche Trennung allein genüge nicht. Vielmehr müsse das Band zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern auf längere Dauer (in der Regel zwei Jahre) zerrissen sein.
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Im vorliegenden Fall sei das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu der Mutter noch gegeben. D sei mittlerweile volljährig und besuche ihre Mutter nach dem Vortrag im Verwaltungsverfahren einem im Monat.
34
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2013 den Kläger eingehend befragt und das Kind D sowie die Mutter C als Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Beweisthemas und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
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Die Klage ist begründet.
I.
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Der Kläger kann auf Grund eines Pflegekindschaftsverhältnisses zu D das Kindergeld beanspruchen.
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1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG werden im Kindergeldrecht nur Kinder berücksichtigt, die die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 EStG erfüllen. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehören dazu auch Pflegekinder. Dabei handelt es sich nach dem Klammerzusatz in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG um Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Der Klammerzusatz stellt eine Legaldefinition dar. Die genannten Umstände sind Tatbestandsvoraussetzungen und keine erläuternden Ausführungen (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
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2. Da der Kläger unstreitig nicht mit D im ersten Grad verwandt ist (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und auch die Erweiterungen in § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (Kind des Ehegatten) bzw. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG (Enkelkind) unstreitig nicht vorliegen, ist der geltend gemachte Kindergeldanspruch nur gegeben, wenn die in dem Klammerzusatz niedergelegten Voraussetzungen für ein Pflegekindschaftsverhältnis gegeben sind. Das ist zu bejahen.
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a) D ist seit dem 29. September 2011 in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau in H aufgenommen worden. Ab diesem Zeitpunkt ist D von dem Kläger und seiner Ehefrau versorgt und erzogen worden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1984 IV R 49/83, BStBl II 1984, 571). Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
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b) Die Haushaltsaufnahme ist auch nicht zu Erwerbszwecken erfolgt. Insbesondere steht das Pflegegeld, welches der Kläger und seine Ehefrau als Pflegeeltern gemäß § 39 SGB VIII erhalten, der Anerkennung des Pflegekindschaftsverhältnisses nicht entgegen.
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aa) Pflegegelder, die bei Aufnahme eines Kindes in eine Familie zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII geleistet werden, sollen den Unterhalt für das Kind einschließlich der Kosten für die Erziehung sicherstellen (§ 39 Abs. 1 SGB VIII). Die monatlichen Pauschalbeträge bemessen sich nach den tatsächlichen Kosten, soweit diese einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Im Pflegesatz ist kein pauschalierter Ersatz für Personal- und Sachkosten der Pflegefamilie enthalten (BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448). Unbeschadet dessen, dass Pflegegelder nach § 33 SGB VIII auch einen Anreiz zur Aufnahme fremder Kinder schaffen sollen, sind sie nach ihrem Zweck und ihrer Bemessungsgrundlage kein nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechnetes Entgelt für Unterbringung und Betreuung, sondern lediglich Kostenersatz (BFH-Urteil vom 2. April 2009 III R 92/06, BStBl II 2010, 345). Nur wenn den Pflegeeltern ein erheblich über den Pflegesätzen des zuständigen Jugendamts liegendes Pflegegeld gezahlt wird, kann davon ausgegangen werden, dass sie durch das Pflegegeld nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen für die Unterbringung und Betreuung entlohnt werden (BFH-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 80/03, BFH/NV 2006, 262).
42
bb) Der Kläger erhielt nach seiner Auskunft in der mündlichen Verhandlung das Pflegegeld von der Stadt R nach den üblichen Pflegesätzen. Diese Angabe ist glaubhaft, weil sie sich mit den Ausführungen der Stadt R in einem in der Akte befindlichen Schreiben vom 18. Dezember 2012 deckt (Blatt 16 Beiakte). Dort führte die Sachbearbeiterin aus, dass sie für D Jugendhilfe in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIIII gewähre und dass sie das Pflegegeld ggf. unter teilweiser Anrechnung des Kindergeldes auszahlen müsse. Danach erhielt der Kläger lediglich Kostenersatz im Sinne des § 39 SGB VIII in Verbindung mit § 33 SGB VIII. Mangels eines nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechneten Entgelts für Unterbringung und Betreuung liegt keine Haushaltsaufnahme zu Erwerbszwecken vor.
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c) D ist mit dem Kläger auch „durch ein familienähnliches Band verbunden“.
44
aa) Es muss eine familienähnliche Beziehung wie zu einem eigenen Kind (Eltern-Kind-Beziehung) vorliegen. Das Kind muss wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt werden (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739). Die Pflegeeltern müssen sämtliche wesentlichen Entscheidungen für das Kind treffen und für das Kind zu dem maßgeblichen Ansprechpartner und damit zu Ersatzeltern geworden sein (BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). Es muss mit anderen Worten ein Aufsichts- Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern bestehen (BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524; BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547; BFH-Urteil vom 9. Dezember 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739). Die Absicht einer Adoption ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). In seinem Urteil vom 9. Februar 2012 (III R 15/09, BStBl II 2012, 739) hat der BFH ein „besonders enges Band“ gefordert, weil Pflegekinder durch das Gesetz mit leiblichen Kindern, Adoptivkindern, Stief- und Enkelkindern in eine Reihe gestellt werden würden und das Pflegekindschaftsverhältnis bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs – bzw. ggf. sogar noch darüber hinaus – steuerrechtliche Folgen habe. Das Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsverhältnis habe seine Grundlage in einer ideelen Dauerbindung. Dabei sei nicht allein auf die äußeren Lebensumstände sondern darauf abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie „eine natürliche Einheit von Versorgung, Erziehung und Heimat“ finde, also nicht nur Kostgänger sei. Zwischen den Pflegeeltern und dem Pflegekind müsse ein Autoritätsverhältnis bestehen, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht der Pflegeeltern unterwerfe (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
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bb) Nach dem Ergebnis der Anhörung des Klägers und der Beweisaufnahme besteht zwischen dem Kläger und D eine familienähnliche Beziehung wie zwischen leiblichen Eltern und einem eigenen Kind (Eltern-Kind-Beziehung).
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D wird von den Pflegeeltern wie zur Familie gehörig behandelt. Der Kläger und seine Ehefrau treffen die wesentlichen Entscheidungen für das Kind und sind für das Kind zu den maßgeblichen Ansprechpartnern und damit zu Ersatzeltern geworden. Die Pflegeeltern haben zusammen mit D einen Plan für D Zukunft entwickelt, haben sie auf die Berufsschule geschickt und D nach Kräften unterstützt, damit sie ihr Ziel verwirklichen kann, Erzieherin zu werden. Dank der Unterstützung der Pflegeeltern hat D große Fortschritte gemacht. Sie hat gute Noten in der Schule und beabsichtigt, mit der Unterstützung der Pflegeeltern die mittlere Reife nachzuholen und anschließend eine Ausbildung als Erzieherin zu absolvieren. Für den gesamten Zeitraum der Entwicklung Ds zu einem selbständigen jungen Menschen wollen die Pflegeeltern D beistehen und sie in ihrem Haushalt belassen.
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Neben der Unterstützung, die D von dem Kläger und seine Ehefrau erhält, hat D dennoch den Freiraum, den ein junger Mensch braucht, um seinen eigenen Lebensweg zu finden. D hat ein eigenes Zimmer, Taschengeld, ein eigenes Handy und unterliegt zumindest hinsichtlich der Kontakte zu ihrer Mutter keiner übermäßigen Kontrolle durch den Kläger und seiner Ehefrau. Durch diese Balance zwischen Unterstützung, Erziehung und Freiraum hat sich nach dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung eine Art natürliches Autoritätsverhältnis zwischen den Pflegeeltern und D entwickelt, dass sich als Aufsichts- Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern charakterisieren lässt.
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Die vom BFH geforderte ideele Dauerbindung im Sinne einer „natürlichen Einheit von Versorgung, Erziehung und Heimat“ ist feststellbar. Für D ist der Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau das „Zuhause“. Dies hat D in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt. Sie ist nicht nur Kostgänger im Haushalt des Klägers sondern gehört zur Familie, was von ihr auch so empfunden wird. Dies gilt jedenfalls für den Zeitraum, für den der Kläger vorliegend das Kindergeld begehrt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sein Kindergeldantrag erst für den Zeitraum ab Antragstellung gelten soll. Diese Beschränkung auf einen Zeitraum, der erst ungefähr ein Jahr nach der Haushaltsaufnahme von D beginnt, beruht auf der nachvollziehbaren Erwägung, dass ein familienähnliches Band erst wachsen muss und nicht vom ersten Tag der Haushaltsaufnahme vorhanden sein kann.
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Angesichts dieser Würdigung ist es auch unerheblich, dass D in ihrer Vernehmung einen Unterschied zwischen den Pflegeeltern und ihren leiblichen Eltern gemacht hat. Das Gesetz fordert nur ein familien„ähnliches“ Band zwischen den Pflegeeltern und dem Kind. Von dem Gesetz wird nicht verlangt, dass sich das Pflegekind von seinen leiblichen Eltern distanziert und keine emotionale Bindung mehr zu seinen leiblichen Eltern hat. Entscheidend ist vielmehr, in welcher familiären Gemeinschaft das Kind während des streitigen Zeitraums gelebt hat. Dieses familienähnliche Band bestand zur Überzeugung des Senats während des Streitzeitraums ausschließlich zu dem Kläger und seiner Ehefrau.
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cc) Allerdings hat der BFH die Annahme eines „familienähnlichen Bands“ bei einem bereits volljährigen Kind nur bei Hilflosigkeit oder Behinderung oder bei Vorliegen sonstiger besonderer Umstände für möglich gehalten. Bei einem gesunden Volljährigen spiele die körperliche Versorgung und Erziehung, die für die Annahme eines familienähnlichen Bandes Voraussetzung sei, in der Regel keine Rolle mehr (BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524; BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25; BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
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Diese Rechtsprechung ist nach Ansicht des Senats auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zum einen war D noch nicht volljährig, als sie in den Haushalt des Klägers kam. Sie war im Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme erst 16 ½ Jahre alt. Allerdings kann aus der zitierten BFH-Rechtsprechung der Schluss gezogen werden, dass bei fast volljährigen Kindern die Annahme eines „familienähnlichen Bands“ von ähnlich hohen Anforderungen abhängig zu machen ist, wie bei bereits volljährigen Kindern. Indes ist der Senat der Ansicht, dass hier unter Würdigung der Gesamtsituation besondere Umstände gegeben sind, die es rechtfertigen, trotz des fortgeschrittenen Alters des Kindes von einem familienähnlichen Band zu dem Kläger und seiner Ehefrau auszugehen.
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Dabei muss berücksichtigt werden, dass D aus keiner intakten Familie kam, sondern sich ungefähr seit ihrem neunten Lebensjahr ganz überwiegend in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung aufgehalten hatte. Sie war im Jahr 2009 – zumindest nach dem Worten der Kindsmutter in der mündlichen Verhandlung – aus dem Haushalt des Beigeladenen „rausgeworfen“ worden, konnte aber auch nicht in den Haushalt der Kindsmutter aufgenommen werden und war schließlich „abgängig“, d.h. sie hielt sich auch nicht mehr in der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung auf, sondern war „ausgerissen“.
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Werden diese Lebensumstände des Kindes bewertet, war D ein entwurzeltes und alleingelassenes junges Mädchen, als sie im September 2011 in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau kam. Sie hatte nicht die Möglichkeit gehabt, sich in einer funktionierenden Familiengemeinschaft auf ein selbstbestimmtes Leben nach dem Eintritt der Volljährigkeit vorzubereiten. Sie war in einem ganz anderen Maße davon abhängig, dass sich jemand um sie kümmerte, als ein Kind, das unter behüteten Verhältnissen zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit aufwachsen konnte. Zu einem selbstbestimmten Leben ab Volljährigkeit gehört eine emotionale und soziale Stabilität, die D erst ab dem Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme bei dem Kläger und seiner Ehefrau erlernen musste. Die Aufnahme in der Pflegefamilie gewährleistete außerdem eine gesicherte materielle Versorgung des Kindes. D ging damals noch zur Schule. Sie ist bis heute noch nicht finanziell selbständig. Außerdem bedurfte D besonderer Unterstützung bei der Absolvierung der Schule, die über die elterliche Unterstützung eines Kindes, welches in behüteten Verhältnissen groß geworden ist, weit hinausging. Auch gegenwärtig müssen die Pflegeeltern D noch überobligatorisch unterstützen, damit sie die Ausbildung absolviert und ihr Berufsziel Erzieherin erreicht. Deshalb ist der Senat der Auffassung, dass die für den Regelfall geltende Annahme des Gesetzes, dass ab dem Zeitpunkt der Volljährigkeit für Versorgung und Erziehung kein Bedarf mehr besteht, auf die Lebenssituation von D keine Anwendung finden kann. Insoweit berücksichtigt der Senat die besonderen Umstände des Einzelfalls, die den BFH bereits veranlasst haben, in seiner Rechtsprechung Ausnahmen für hilflose und behinderte Kinder zuzulassen.
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d) Das familienähnliche Band war auch „auf längere Dauer berechnet“.
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aa) Das familienähnliche Band ist „auf längere Dauer berechnet“, wenn es aus Sicht des Steuerpflichtigen für einen längeren Zeitraum bestehen bleiben soll. Erforderlich ist eine zukunftsgerichtete Absicht, das Kind auf längere Dauer wie ein eigenes zu versorgen und zu erziehen (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739). Der Zeitraum muss für die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses ausreichen. Es ist aber nicht erforderlich, das Verhältnis zeitlich unbegrenzt oder etwa bis zur Volljährigkeit des Kindes andauern lassen zu wollen (BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). Im Regelfall ist eine beabsichtigte Dauer von zwei Jahren als ausreichend anzusehen (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
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bb) Aus der Anhörung des Klägers und dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich ergeben, dass D zumindest bis zum Abschluss ihrer Ausbildung in dem Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau bleiben soll. Die geplante Zeitdauer überschreitet demnach die von dem BFH als ausreichend angesehene Zeitdauer von zwei Jahren erheblich. Voraussichtlich wird sich D insgesamt 5 1/2 bis 6 Jahre in dem Haushalt des Klägers aufhalten.
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e) Der Senat ist auch davon überzeugt, dass zu den leiblichen Eltern kein Obhuts- und Pflegeverhältnis mehr bestand.
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aa) Hierfür reicht eine bloße räumliche Trennung des Kindes von den leiblichen Eltern nicht aus. Die Obhut und Pflege seitens der leiblichen Eltern muss soweit zurücktreten, dass die Obhut und Pflege im Wesentlichen nur noch durch die Pflegeltern ausgeübt werden (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63; BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 III R 44/05, BFH/NV 2007, 17). Die Pflegeeltern müssen für das Kind an die Stelle der leiblichen Eltern treten. Die leiblichen Eltern dürfen sich nicht mehr um das Kind kümmern (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582).
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bb) Wann die Pflegeeltern gegenüber dem Kind gleichsam an die Stelle der leiblichen Eltern treten, weil das Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu den leiblichen Eltern abgerissen ist, lässt sich nicht einheitlich für alle Fälle sondern nur für jeden Einzelfall beurteilen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). Entscheidende Kriterien sind das Alter des Kindes, die Anzahl und Dauer der Besuche der leiblichen Eltern bei dem Kind und ob und inwieweit vor der Trennung bereits ein Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu den leiblichen Eltern bestanden hat. Die Gewichtung der Kriterien kann je nach Lage des Falls unterschiedlich sein. Es können auch andere Umstände eine Rolle spielen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63).
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cc) Das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern wird nicht schon durch die vorübergehende Abwesenheit der Eltern unterbrochen. Wenn sich die Eltern z.B. wegen einer schweren Erkrankung oder wegen beruflicher Abwesenheit vorübergehend nicht um das Kind kümmern können, kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis nicht mehr besteht. Deshalb wohnt dem Tatbestandsmerkmal des „Nichtbestehens eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind“ ein Zeitmoment inne (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25).
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Bei einem jüngeren Kind ist der Bedarf an Fürsorge und Zuwendung noch größer, so dass davon ausgegangen werden kann, dass bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit ein im wesentlichen ausschließliches Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Pflegeeltern aufgebaut wird, wenn diese das Kind wie ein eigenes Kind bei sich aufnehmen. Gelegentliche Besuche durch die leiblichen Eltern reichen dann nicht aus, um noch ein fortbestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis annehmen zu können. Jüngere Kinder können nur begrenzt anderweitig (z.B. durch Brief, E-Mail, SMS, Telefonate) Kontakt zu den Eltern aufrechterhalten. Bei nicht schulpflichtigen Kindern geht der BFH deshalb davon aus, dass kein bestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu den leiblichen Eltern mehr anzunehmen ist, wenn zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind mindestens ein Jahr lang keine für die Wahrung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses ausreichenden Kontakte bestehen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25; BFH-Beschluss vom 25. April 2012 III B 176/11, BFH/NV 2012, 1304). Bei schulpflichtigen Kindern geht der BFH davon aus, dass ein größerer Zeitraum von etwa zwei Jahren erforderlich ist, um einen Abbruch des Obhuts- und Pflegeverhältnisses anzunehmen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25; BFH-Beschluss vom 25. April 2012 III B 176/11, BFH/NV 2012, 1304). Bei noch älteren Kindern hat der BFH keinen festen Zeitraum genannt (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582).
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dd) Nach Würdigung der Gesamtumstände ist der Senat der Auffassung, dass D zu ihren leiblichen Eltern keinen derartigen Kontakt mehr hatte, der es rechtfertigen könnte, von einem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern auszugehen.
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aaa) Nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers und des Kindes in der mündlichen Verhandlung ist der Kontakt zu dem Beigeladenen seit längerem abgebrochen. Es ist nicht ersichtlich, dass D seit ihrem „Rauswurf“ aus dem Haushalt des Beigeladenen im Jahr 2009 überhaupt noch Kontakt zu ihm gehabt hat.
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bbb) Zu der Kindsmutter besteht zwar noch Kontakt in Form von zwei Telefonaten in der Woche, gelegentlichen Facebook-Kontakten und unregelmäßigen Besuchen Ds bei ihrer Mutter in K. Diese Kontakte lassen sich aber als lockere Kontakte wie zwischen guten Freunden oder nahen Angehörigen charakterisieren, der mit einem Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen der leiblichen Mutter und D nichts zu tun hat.
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Die Aufsicht, Betreuung und Erziehung von D erfolgte nach dem Gesamtbild aller Umstände nur durch die Pflegeltern. Ds Mutter hat in der Zeugenvernehmung selbst eingeräumt, dass sie sich um die Erziehung von D nicht mehr gekümmert habe. Dies sei Sache des Klägers und seiner Ehefrau gewesen. Sie habe sich in die Erziehung von D nicht einmischen wollen. Eine irgendwie geartete Obhut oder Pflege der Mutter ist daher nicht ersichtlich.
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Hierfür spricht auch, dass die Mutter der Auffassung war und ist, dass D nicht mehr in ihren Haushalt aufgenommen werden könne. Die Mutter lehnt damit die elterliche Verantwortung für ihre Tochter ab, ohne die ein Obhuts- und Pflegeverhältnis nicht vorstellbar ist.
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Weiter muss berücksichtigt werden, dass zwischen der Mutter und D sowieso nur ein allenfalls geringfügig ausgeprägtes Obhuts- und Pflegeverhältnis bestanden haben kann, weil D ungefähr seit ihrem neunten Lebensjahr in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung lebte.
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Dass die Inobhutnahme und Pflege des Kindes ausschließlich oder zumindest fast ausschließlich in Händen des Klägers und seiner Ehefrau lag, zeigt sich auch darin, dass die leibliche Mutter im Vergleich zu den Pflegeeltern keine wesentlichen fürsorgenden Aktivitäten entwickelte, um auf eine positive Entwicklung von D in der Zukunft hinzuwirken. Der Kläger und seine Ehefrau machten mit D Pläne über deren Zukunft, kümmerten sich um die schulische Ausbildung und unterstützten D in ihrem Ziel, Erzieherin zu werden. Sie trafen die wesentlichen Entscheidungen für D und standen D im Alltag zur Verfügung. Kurz: Sie nahmen die Rolle der Eltern ein. Die Mutter hielt lediglich Kontakt zu ihrer Tochter, ohne ihr die Geborgenheit eines Zuhauses zu gewähren (keine Obhut) und ohne sich in irgendeiner Form um die Entwicklung ihrer Tochter aktiv zu kümmern (keine Pflege). Für einen „ausreichenden Kontakt“ im Sinne der BFH-Rechtsprechung kann es nicht maßgeblich sein, dass ein Elternteil überhaupt noch in irgendeinem Kontakt zu dem Kind steht. Vielmehr muss dieser Kontakt Elemente der Obhut und Pflege umfassen, damit man von einem fortbestehenden Obhuts- und Pflegeverhältnis sprechen kann.
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Deshalb reichen die Telefonate zweimal in der Woche und der Facebook-Kontakt mit der Mutter nicht aus, um von einem Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen der Mutter und D ausgehen zu können. Sowohl D als auch die Mutter haben in ihrer Vernehmung deutlich gemacht, dass sie zwar eine emotionale Bindung zueinander haben, dass aber die Mutter bewusst keinerlei Einfluss auf die Erziehung von D genommen hat. Dies zeigt sich auch an der Aussage von D, dass es sofort „Stress“ gegeben habe, wenn sie zwei bis drei Tage bei der Mutter gelebt habe und dass sie deshalb auf gar keinen Fall zu ihrer Mutter zurückkehren werde. Der Senat hatte zudem den Eindruck, dass die Aufrechterhaltung des Kontakts eher auf die Initiative von D zurückging und nicht von der Mutter gefördert wurde. So hat D ausgeführt, dass sie regelmäßig bei der Mutter angerufen und ihr über Facebook geschrieben habe. Die Mutter habe ihr – allerdings teilweise zeitverzögert – geantwortet. Dass umgekehrt ihre Mutter über Telefonate und Facebook auch Kontakt zu ihr suchte, hat sich aus der Aussage von D nicht ergeben.
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Auch die Besuche von D bei der Mutter lassen nicht auf ein noch bestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis schließen. Auch hier ist zunächst auffällig, dass D die Mutter in K viel häufiger besucht hat, als umgekehrt die Mutter D in H besucht hat. Zum zweiten hat sich die Behauptung des Klägers bewahrheitet, dass die Besuche seltener als einmal im Monat waren, wie es der Kläger noch im Verwaltungsverfahren angegeben hatte. Die Angaben waren insoweit etwas missverständlich, weil der Kläger nur die geplante Besuchsfrequenz vorgetragen hatte. Tatsächlich waren die Besuche erheblich seltener. Der Kläger sprach von vier Besuchen im Jahr 2012 und von nur einem Besuch im Jahr 2013. Hinzu kamen noch zwei Besuche der Mutter in H. Auch D sprach nur von unregelmäßigen Besuchen, die deutlich seltener als einmal im Monat stattgefunden hätten. Ähnlich hat sich auch die Kindsmutter eingelassen.
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Diese Kontakte können – wie es auch der Lebensgefährte der Kindsmutter in einem Zwischenruf in der mündlichen Verhandlung formulierte – nur als bloße Besuchsfahrten charakterisiert werden. Die Besuche hatten lediglich den Zweck, den Kontakt zwischen Mutter und Tochter nicht abreißen zu lassen. Ausfluss von Obhut und Pflege der Mutter waren diese Kontakte nicht. Dies zeigt sich auch daran, dass die Besuchsfahrten teilweise nur als Kaffeetrinken am Nachmittag ausgestaltet waren und dass D während dieser Aufenthalte auch noch andere Bekannte in K besuchte. Auch die gelegentliche Einladung zu einem Eis oder der Kauf eines Kleidungsstücks kann nicht dahingehend gewertet werden, dass zwischen der Mutter und D ein noch hinreichendes Obhuts- und Pflegeverhältnis bestand. Auch im Verhältnis zu einem guten Bekannten oder einem Verwandten ist eine Einladung zu einem Eis nicht unüblich. Allein der gelegentliche Kauf von einzelnen Kleidungsstücken auf Nachfrage des Kindes hat nicht ein derartiges Gewicht, das allein hieraus auf ein bestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis geschlossen werden könnte.
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Das vom BFH angesprochene Zeitmoment ist im vorliegenden Fall ebenfalls erfüllt. Dabei geht der Senat nach den Gesamtumständen des Falls davon aus, dass der Kontakt zwischen der Mutter und D in dem Zeitraum vor der Aufnahme bei den Pflegeeltern nicht intensiver gewesen ist, als nach der Aufnahme im Haushalt des Klägers. Der Umzug von D zum Beigeladenen im Jahr 2009, die Rückkehr in das Haus T und das Ausreißen aus der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung deuten eher darauf hin, dass der Kontakt zwischen Mutter und Tochter in früheren Zeiträumen schlechter war, als in dem hier streitigen Zeitraum. Hierfür spricht auch, dass die Mutter eine Aufnahme von D im eigenen Haushalt kategorisch ausgeschlossen hat. Selbst nach dem „Rauswurf“ aus dem Haushalt des Beigeladenen zog die Kindsmutter keine Haushaltsaufnahme bei sich in Erwägung, sondern kümmerte sich nur um eine Rückkehr in das Haus T.
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ee) Sollte das BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 (III R 44/05, BFH/NV 2007, 17) so zu verstehen sein, dass es bei fast volljährigen Kindern für das Fortbestehen des Obhuts- und Pflegeverhältnisses ausreichend ist, dass das Kind noch in irgendeiner Verbindung mit den leiblichen Eltern steht, könnte sich der Senat dieser Rechtsauffassung nicht anschließen.
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Der BFH nahm in dem genannten Urteil bei einem im Juni 1980 geborenen Kind, dass in der Zeit von August bis Dezember 1997 „praktisch keinen Kontakt“ mehr zu seinen leiblichen Eltern hatte und bei dem im Laufe des Jahres 1998 ein Elternteil das Kind ca. alle zwei Monate auf dessen Ausbildungsstelle getroffen und ihm bei dieser Gelegenheit kleinere Geldbeträge (20 bis 30 DM) zugesteckt hatte, das Fortbestehen des Obhuts- und Pflegeverhältnisses an. Dabei stellte der BFH darauf ab, dass die Zuwendung von Geldbeträgen Ausdruck einer typischen Eltern-Kind-Beziehung sei. Unerheblich sei, dass das Kind gegen den Willen der Eltern bei einer Pflegemutter gelebt habe. Bei einem finanziell unabhängigen, fast volljährigen Kind führe die räumliche Trennung nicht zu einer Auflösung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses. Es handele sich nach der Lebenserfahrung um einen vorübergehenden Generationskonflikt zwischen dem Heranwachsenden und seinen Eltern. Dabei berücksichtigte der BFH auch, dass das Kind im Juli 2000 wieder zu seinen leiblichen Eltern gezogen war.
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Es mag sein, dass der damals von dem BFH entschiedene Fall mit dem hiesigen Fall nur eingeschränkt vergleichbar ist. So ist D im Gegensatz zu dem Kind in dem damaligen Fall während der Zeit in der Pflegefamilie nicht finanziell unabhängig gewesen. Es handelt sich im Fall von D auch ersichtlich nicht um einen vorübergehenden Generationskonflikt sondern um eine tiefgreifende Entfremdung zwischen den Eltern und Kind. Dennoch war der Kontakt zwischen D und ihrer Mutter nach den hiesigen tatsächlichen Feststellungen intensiver, als der Kontakt zwischen dem Kind und seinen Eltern in dem Urteilsfall vom 20. Juli 2006. Es könnte daher sei, dass der BFH der Auffassung ist, dass allein schon ein irgendwie gearteter Kontakt zwischen dem Kind und einem Elternteil bei fast volljährigen Kindern zu dem Fortbestehen eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses führt.
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Einer solchen Rechtsauffassung könnte der Senat nicht folgen. Das Gesetz spricht in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG von dem Fehlen eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses und nicht vom Fehlen jeglichen Kontakts. Für den Senat ist ein Obhuts- und Pflegeverhältnis ein „Mehr“ gegenüber bloßen Besuchskontakten. Schon die Begriffe „Pflege“ und „Obhut“ verlangen von dem Elternteil ein aktives Tun zugunsten des Kindes, welches über das bloße Kontakthalten zum Kind hinausgeht. Dies gilt auch für ältere Kinder. Auch im Verhältnis zu älteren Kindern darf nach dem Gesetzeswortlaut kein „Obhuts- und Pflegeverhältnis“ mehr bestehen. Das ist nicht erst dann gegeben, wenn keinerlei Kontakt mehr zu den leiblichen Eltern vorhanden ist, sondern schon dann, wenn die Obhut und Pflege seitens der leiblichen Eltern soweit zurückgetreten ist, dass die Obhut und Pflege im Wesentlichen nur noch durch die Pflegeltern ausgeübt wird, die Pflegeeltern für das Kind an die Stelle der leiblichen Eltern getreten sind und sich die leiblichen Eltern nicht mehr um das Kind kümmern.
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Die Abgrenzung hat – wie oben geschehen – danach zu erfolgen, ob nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zwischen den Eltern und dem Kind noch ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis besteht oder ob zwischen den Eltern und dem Kind nur noch Besuchskontakte feststellbar sind. Deshalb lässt sich allein daraus, dass noch Kontakt zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind besteht, nicht automatisch schließen, dass die Eltern dem Kind „Obhut gewähren“ und das Kind „pflegen“. Ein solcher Schluss mag möglich sein, wenn der Kontakt hinreichend intensiv ist, weil dann aus dem Umstand des ausreichend häufigen persönlichen Kontakts eine gewisse „Obhut“ und „Pflege“ der leiblichen Eltern hergeleitet werden kann. Auch insoweit kommt es aber auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an. Die Kontakte müssen – wie in der älteren Rechtsprechung betont – „ausreichend“ sein, um das Obhuts- und Pflegeverhältnis fortbestehen zu lassen. Deshalb ist es nach Auffassung des Senats für die Bejahung eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den Eltern nicht allein entscheidend, dass „der Kontakt zu dem leiblichen Elternteil fortbesteht“ (BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25) bzw. dass „der Kontakt des Kindes zu den leiblichen Eltern nur vorübergehend unterbrochen ist“ (BFH-Beschluss vom 25. April 2012 III B 176/11, BFH/NV 2012, 1304).
II.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung bezüglich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht auf § 139 Abs. 4 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
III.
79
Die Revision wird zugelassen, damit höchstrichterlich geklärt werden kann, ob bei fast volljährigen Kindern bereits jeder Kontakt zu den leiblichen Eltern dazu führt, dass ein „Obhuts- und Pflegeverhältnis“ gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu bejahen ist, mit der Folge, dass kein Pflegekindschaftsverhältnis angenommen werden kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).