Forschungszulage gewinnt an Fahrt

Maschinenbau ist stärkster Nutzer

Die im Jahr 2020 eingeführte steuerliche Forschungsförderung für Unternehmen („Forschungszulage“) wird zunehmend stärker genutzt. Bislang haben mehr als 7.200 Unternehmen über 14.000 Vorhaben zur Genehmigung eingereicht. Der Maschinen- und Anlagenbau ist mit 953 Antragstellern und 2.337 Vorhaben die Branche mit der stärksten Nutzung (Zeitpunkt: Anfang November 2022). Die Anzahl der Antragsteller im Maschinen- und Anlagenbau hat sich in den zurückliegenden 12 Monaten um 94 Prozent und die Anzahl der gestellten Anträge um 125 Prozent erhöht. Eine weitere Dynamisierung ist zu erwarten. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie des ZEW Mannheim im Auftrag des VDMA.

Für die Wirtschaftsjahre 2021 und 2022 können die Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus mit einem Fördervolumen aus der Forschungszulage von etwa 50 Millionen Euro pro Jahr rechnen. Dies entspricht etwa einem Viertel des Umfangs, den die Branche aus Programmen der direkten FuE-Förderung bislang erhalten hat. „Das neue Instrument hilft den Unternehmen, Transformationsprozesse bottom-up, themenoffen und noch schneller anzugehen“, betont Hartmut Rauen, stellvertretender VDMA-Hauptgeschäftsführer. „Der Maschinenbau hält das Innovationstempo hoch und investiert die zusätzlichen Mittel in die Zukunftssicherung am Standort Deutschland.“

Gleichwohl liegt der Mittelabfluss aus der Forschungszulage insgesamt noch deutlich hinter den Budgetzahlen der Bundesregierung zurück. Über alle Branchen hinweg sind wohl erst rund 10 Prozent der insgesamt budgetierten Mittel von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr abgeflossen. Dass zunächst nur ein kleinerer Teil der forschenden Unternehmen das neue Instrument genutzt hat, liegt auch daran, dass die Unternehmen bis zu vier Jahre Zeit haben, um einen Antrag zu stellen.

„Auffällig ist, dass viele grundsätzlich förderfähige Unternehmen derzeit keine Antragstellung planen“, sagt Dr. Christian Rammer, Wissenschaftler im ZEW-Forschungsbereich „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“ sowie Projektleiter. „So gibt es selbst im Maschinen- und Anlagenbau geschätzt etwa noch 1.900 Unternehmen, die für eine Antragstellung in Frage kommen“. Dies entspricht 55 Prozent der förderfähigen Unternehmen in dieser Branche. Die wichtigsten Verzichtsgründe sind der Umfrage zufolge fehlende Informationen zur Forschungszulage, Unsicherheit und fehlende personelle Ressourcen für die Antragstellung. Auch wird das Antrags- und Genehmigungsverfahren als aufwendig wahrgenommen. Der größte Teil dieser Unternehmen verfügt über keine Erfahrung aus der direkten FuE-Förderung, sodass die Erstellung von Anträgen zu FuE-Vorhaben Neuland für diese Unternehmen ist.

Dabei weist die Forschungszulage gegenüber der direkten FuE-Förderung sehr hohe Bewilligungsquoten von 84 Prozent im Maschinen- und Anlagenbau und 76 Prozent im Mittel aller Branchen auf. Auch verspricht diese Förderung hohe positive Effekte auf die Stärkung der FuE-Tätigkeit. 85 Prozent der Maschinenbauunternehmen wollen die Mittel aus der Forschungszulage für zusätzliche FuE-Aktivitäten einsetzen. „Damit kann ein wichtiger Beitrag zur Erreichung des Ziels der Bundesregierung geleistet werden, bis 2025 gesamtstaatlich eine Summe von 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Forschung und Entwicklung aufzuwenden“, unterstreicht Dr. Ralph Wiechers, Chefvolkswirt und Leiter der Steuerabteilung des VDMA. „Im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit und künftigem Wachstum sollten jetzt alle Stellschrauben genutzt werden, die für eine möglichst breite Inanspruchnahme der Forschungszulage in Frage kommen“.

Aus der Perspektive der Unternehmen wird deutlich: Die Umsetzung der Forschungszulage sollte vereinfacht und als Instrument attraktiver ausgestaltet werden. So könnte durch die weitere und dauerhafte Anhebung des Deckels, der derzeit bei 4 Millionen Euro an förderfähigen FuE-Aufwendungen pro Jahr liegt, die Wirkung der Forschungszulage deutlich stärker in die Gruppe der Midrange-Unternehmen mit 250 bis 3.000 Beschäftigten hineingetragen werden. „Wir empfehlen auf Basis unserer Studie auch die Informationsarbeit zur Forschungszulage weiter zu verstärken und direkte Beratung der Unternehmen durch die Bescheinigungsstelle anzubieten“, sagt Christian Rammer, ZEW-Ökonom. „Darüber hinaus braucht es mehr branchenspezifische Hinweise und eine praxisnahe Definition von FuE.“ Auch der VDMA fordert, dass die Bundesregierung das Instrument weiter stärkt. „Gutes kann noch besser werden, wozu die Anhebung des Deckelbetrages, die Einbeziehung von Sachkosten und eine praxistaugliche Umsetzung gehören“, betont Rauen.

Quelle: ZEW, Pressemitteilung vom 19.01.2023

Neue Richtlinie zur Förderung von Unternehmensberatung – Zuschüsse für KMU

Am 1. Januar 2023 ist eine neue Richtlinie zur Förderung von Unternehmensberatungen in Kraft getreten. Danach können Mandanten unter gewissen Voraussetzungen einen Zuschuss zur Unternehmensberatung erhalten.

Förderungsfähige Beratung

Am Markt agierende kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können im Programm „Förderung von Unternehmensberatungen für KMU“ den Zuschuss beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) beantragen. Gefördert werden konzeptionell und individuell durchgeführte Beratung zu allen wirtschaftlichen, finanziellen, personellen und organisatorischen Fragen der Unternehmensführung. Dabei soll auf die Gleichstellungsperspektive, Aspekte der Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung sowie die ökologische Nachhaltigkeit Bezug genommen werden. Das Ziel ist, die Inanspruchnahme von externem Rat zu erleichtern, um das Unternehmerpotenzial und die Handlungskompetenzen zu verbessern.

Nicht gefördert werden unter anderem Beratungsmaßnahmen, die überwiegend Rechts- und Versicherungsfragen sowie steuerberatende Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Ausarbeitung von Verträgen, die Aufstellung von Jahresabschlüssen oder Buchführungsarbeiten oder die überwiegend gutachterliche Stellungnahmen zum Inhalt haben.

Registrierung der Berater beim BAFA erforderlich

Ein Zuschuss kann nur dann gewährt werden, sofern die Berater beim BAFA registriert sind. Voraussetzungen für die Registrierung sind unter anderem, dass das Beratungsunternehmen

  • selbstständig ist;
  • den überwiegenden Geschäftszweck auf die entgeltliche Unternehmensberatung (mehr als 50 % des Gesamtumsatzes) gerichtet hat, wobei BAFA in begründeten Fällen eine befristete Ausnahmegenehmigung erteilen kann;
  • über ein geeignetes Qualitätssicherungsinstrument verfügt;
  • eine ordnungsgemäße Geschäftsführung, insbesondere eine richtlinienkonforme Durchführung der Beratung, gewährleistet;
  • mit der Beratung die Inhaberin oder den Inhaber, die Geschäftsführerin oder den Geschäftsführer oder beim Beratungsunternehmen angestellte Beraterinnen oder Berater und nicht freie Mitarbeiter beauftragt.

Zum Nachweis der Beratereigenschaft müssen die Berater auf der Internetseite des BAFA ein Profil anlegen und Unterlagen hochladen (Beratungserklärung inklusive Umsatzverteilung, Lebenslauf, Nachweis der selbstständigen Tätigkeit sowie Nachweis über das von dem Beratungsunternehmen eingeführten Qualitätssicherungssystem). Weitere Informationen zu den Anforderungen an den Berater sind auf der Internetseite des BAFA abrufbar.

WP/vBP sind selbst nicht antragsberechtigt

Selbst nicht antragsberechtigt sind insbesondere Unternehmen sowie Angehörige der Freien Berufe, die selbst in der Unternehmens- oder Wirtschaftsberatung, der Wirtschafts-/ Buchprüfung, der Steuerberatung oder in ähnlicher Weise beratend oder schulend tätig sind oder tätig werden wollen, also WP/vBP.

Quelle: WPK, Mitteilung vom 18.01.2023

Lohngleichheit bei Teilzeitbeschäftigung

Geringfügig Beschäftigte, die in Bezug auf Umfang und Lage der Arbeitszeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, jedoch Wünsche anmelden können, denen dieser allerdings nicht nachkommen muss, dürfen bei gleicher Qualifikation für die identische Tätigkeit keine geringere Stundenvergütung erhalten als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die durch den Arbeitgeber verbindlich zur Arbeit eingeteilt werden.

Der Kläger ist als Rettungsassistent im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten tätig. Diese führt im Auftrag eines Rettungszweckverbandes u. a. Notfallrettung und Krankentransporte durch. Sie beschäftigt – nach ihrer Diktion – sog. hauptamtliche Rettungsassistenten in Voll- und Teilzeit, denen sie im Streitzeitraum eine Stundenvergütung von 17,00 Euro brutto zahlte. Daneben sind sog. nebenamtliche Rettungsassistenten für sie tätig, die eine Stundenvergütung von 12,00 Euro brutto erhalten. Hierzu gehört der Kläger. Die Beklagte teilt die nebenamtlichen Rettungsassistenten nicht einseitig zu Diensten ein, diese können vielmehr Wunschtermine für Einsätze benennen, denen die Beklagte versucht zu entsprechen. Ein Anspruch hierauf besteht allerdings nicht. Zudem teilt die Beklagte den nebenamtlichen Rettungsassistenten noch zu besetzende freie Dienstschichten mit und bittet mit kurzfristigen Anfragen bei Ausfall von hauptamtlichen Rettungsassistenten um Übernahme eines Dienstes. Im Arbeitsvertrag des Klägers ist eine durchschnittliche Arbeitszeit von 16 Stunden pro Monat vorgesehen. Darüber hinaus ist bestimmt, dass er weitere Stunden leisten kann und verpflichtet ist, sich aktiv um Schichten zu kümmern.

Mit seiner Klage hat der Kläger zusätzliche Vergütung in Höhe von 3.285,88 Euro brutto für die Zeit von Januar 2020 bis April 2021 verlangt. Er hat geltend gemacht, die unterschiedliche Stundenvergütung im Vergleich zu den hauptamtlichen Mitarbeitern stelle eine Benachteiligung wegen seiner Teilzeittätigkeit dar. Die Beklagte hält die Vergütungsdifferenz für sachlich gerechtfertigt, weil sie mit den hauptamtlichen Rettungsassistenten größere Planungssicherheit und weniger Planungsaufwand habe. Diese erhielten zudem eine höhere Stundenvergütung, weil sie sich auf Weisung zu bestimmten Diensten einfinden müssten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung der geforderten Vergütung verurteilt.

Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass die im Vergleich zu den hauptamtlichen Rettungsassistenten geringere Stundenvergütung den Kläger entgegen § 4 Abs. 1 TzBfG ohne sachlichen Grund benachteiligt. Die haupt- und nebenamtlichen Rettungsassistenten sind gleich qualifiziert und üben die gleiche Tätigkeit aus. Der von der Beklagten pauschal behauptete erhöhte Planungsaufwand bei der Einsatzplanung der nebenamtlichen Rettungsassistenten bildet keinen sachlichen Grund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Es ist bereits nicht erkennbar, dass dieser Aufwand unter Berücksichtigung der erforderlichen „24/7-Dienstplanung“ und der öffentlich-rechtlichen Vorgaben zur Besetzung der Rettungs- und Krankenwagen signifikant höher ist. Auch wenn man unterstellt, dass die Beklagte durch den Einsatz der hauptamtlichen Rettungsassistenten mehr Planungssicherheit hat, weil sie diesen einseitig Schichten zuweisen kann, ist sie hierbei jedoch nicht frei. Sie unterliegt vielmehr u. a. durch das Arbeitszeitgesetz vorgegebenen Grenzen in Bezug auf die Dauer der Arbeitszeit und die Einhaltung der Ruhepausen. Die nebenamtlichen Rettungsassistenten bilden insoweit ihre Einsatzreserve. Unerheblich ist, dass diese frei in der Gestaltung der Arbeitszeit sind. Die Beklagte lässt insoweit unberücksichtigt, dass diese Personengruppe weder nach Lage noch nach zeitlichem Umfang Anspruch auf Zuweisung der gewünschten Dienste hat. Dass sich ein Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers zu bestimmten Dienstzeiten einfinden muss, rechtfertigt in der gebotenen Gesamtschau keine höhere Stundenvergütung gegenüber einem Arbeitnehmer, der frei ist, Dienste anzunehmen oder abzulehnen.

Quelle: BAG, Pressemitteilung vom 18.01.2023 zum Urteil 5 AZR 108/22 vom 18.01.2023

Betriebsschließungsversicherung in der COVID-19-Pandemie

Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass einer Versicherungsnehmerin auf der Grundlage der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in Niedersachsen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie während des sog. zweiten Lockdowns zustehen, hingegen der Versicherer nicht verpflichtet ist, eine Entschädigung aus Anlass der Betriebsschließung während des sog. ersten Lockdowns zu zahlen.

Sachverhalt und Prozessverlauf

Die Klägerin hält bei dem beklagten Versicherer eine sog. Betriebsschließungsversicherung. Sie begehrt aufgrund der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebs in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 Entschädigungsleistungen sowie die Feststellung, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihr den aus der erneuten Schließung ab dem 2. November 2020 entstandenen Schaden zu ersetzen. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)“ zugrunde. Nach Ziff. 8.1 BBSG 19 ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer im Falle einer bedingungsgemäßen Betriebsschließung den entgehenden Gewinn und fortlaufende Kosten bis zum Ablauf der vereinbarten Haftzeit. Die BBSG 19 lauten auszugsweise:

„3 Versicherte Gefahren und Schäden

3.1 Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten

Der Versicherer leistet … Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)

3.1.1 den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt (Schließung); …

3.4 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1. d) IfSG.“

Mit Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 untersagte der zuständige Landkreis unter anderem Betreibern von Beherbergungsstätten, Personen zu touristischen Zwecken zu beherbergen. Nach vorübergehender Lockerung der Maßnahmen war es Betreibern von Beherbergungsstätten durch die am 2. November 2020 in Kraft getretene Niedersächsische Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30. Oktober 2020 erneut untersagt, Übernachtungsangebote zu unterbreiten und Übernachtungen zu touristischen Zwecken zu gestatten. Die Klägerin bot daraufhin in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 und ab dem 2. November 2020 keine Übernachtungen zu touristischen Zwecken an.

Das Landgericht hat ein Grund- und Teilurteil erlassen, demzufolge die Zahlungsklage dem Grunde nach gerechtfertigt und die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den aus der erneuten Schließung des versicherten Betriebes entstandenen Schaden zu ersetzen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Zahlungsklage insgesamt abgewiesen und das weitergehende Rechtsmittel zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die Revisionen beider Parteien.

Die Entscheidung des Senats

Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsmittel beider Parteien zurückgewiesen.

1. Revision der Beklagten

Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass in der Bezugnahme in Ziff. 3.4 BBSG 19 auf die im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger keine Beschränkung des Leistungsversprechens auf den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu sehen ist. Dies ergibt sich aus der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB. Die mehrfache Bezugnahme der Bedingungen auf das IfSG ohne Angabe einer konkreten Gesetzesfassung oder eines Zeitpunkts, auf den es für die Frage ankommt, welcher Rechtszustand zugrunde zu legen ist, kann den Versicherungsnehmer, der die Bedeutung der Verweisung zu erschließen versucht, auf der einen Seite zu dem Verständnis führen, dass der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles maßgeblich ist. Auf der anderen Seite ist auch eine Auslegung dahin möglich, dass eine Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung erfolgen soll. Der Klausel lässt sich nach ihrem Wortlaut unter Berücksichtigung ihres nach verständiger Würdigung zu ermittelnden Sinn und Zwecks jedenfalls mangels einer ausdrücklichen Beschränkung nicht eindeutig entnehmen, dass die Beklagte mit ihr zur Festlegung des Inhalts des Leistungsversprechens auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger verweist. Vielmehr ist auch die vom Berufungsgericht erwogene Auslegung möglich, die Klausel erfasse mit ihrer Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG die zum Zeitpunkt der behördlichen Anordnung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger. Diese Auslegungszweifel gehen zu Lasten des Verwenders. Ziff. 3.4 BBSG 19 enthält gerade – anders als die Versicherungsbedingungen, die dem Senatsurteil vom 26. Januar 2022 (IV ZR 144/21, vgl. PM Nr. 12/2022) zugrunde lagen – keine namentliche Aufzählung der versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger.

Das Berufungsgericht ist demnach zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin aus Anlass der teilweisen Einstellung ihres Betriebs ab dem 2. November 2020 die begehrte Feststellung verlangen kann, weil die Krankheit COVID-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV-2 mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19. Mai 2020 am 23. Mai 2020 in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. t und § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 44a IfSG namentlich genannt wurden.

2. Revision der Klägerin

Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass es an der nach Ziff. 3.4 BBSG 19 vorausgesetzten namentlichen Nennung der Krankheit oder des Krankheitserregers in den §§ 6 und 7 IfSG im Zeitpunkt der ersten Betriebsschließung durch die Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 fehlte. Nicht maßgeblich ist hierbei, dass bereits mit dem Inkrafttreten einer auf der Grundlage von § 15 IfSG erlassenen Verordnung am 1. Februar 2020 die Meldepflichten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion mit COVID-19 und auf den direkten oder indirekten Nachweis einer Infektion mit SARS-CoV-2 ausgedehnt wurden. Mit der Begrenzung des Leistungsversprechens auf „die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass nur die in diesen Vorschriften mit Namen bezeichneten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Zwar bedeutet es für den Versicherungsnehmer in der Sache keinen Unterschied, ob die auf einer Erweiterung der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger beruhende Schließung seines Betriebs ihre Grundlage in einem formellen Gesetz oder in einer Rechtsverordnung hat. Dessen ungeachtet bleibt es aber die eigenverantwortliche Entscheidung des Versicherers im Rahmen seines Leistungsangebots, ob auch solche Erweiterungen des Kreises der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger durch eine Rechtsverordnung vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Indem die Klausel unmissverständlich die namentliche Benennung der Krankheiten und Krankheitserreger in den §§ 6 und 7 IfSG verlangt, macht sie für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer das Anliegen der Beklagten erkennbar und nachvollziehbar, den Versicherungsschutz jedenfalls auf die im Gesetz selbst benannten Krankheiten und Krankheitserreger zu begrenzen.

Ziff. 3.4 BBSG 19 verstößt auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt – wie dargestellt – dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Bedingungen, dass in Ziff. 3.4 BBSG 19 die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne der hier vereinbarten Bedingungen in der Weise abschließend definiert werden, als sie in den §§ 6 und 7 IfSG unter Nennung ihres Namens aufgeführt sein müssen, um Anlass für die Gewährung von Versicherungsschutz sein zu können. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist hinreichend erkennbar, dass der sich nach Ziff. 3.4 BBSG 19 aus dem Wortlaut der §§ 6 und 7 IfSG ergebende Katalog versicherter Krankheiten und Krankheitserreger nicht sämtliche nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erfasst und daher Lücken im Versicherungsschutz bestehen können. Ihm wird durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des IfSG vom Versicherungsschutz erfasst wird.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 305c Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

(1) …

(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.

§ 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 18.01.2023 zum Urteil IV ZR 465/21 vom 18.01.2023

Ein durch Testament eingesetzter Erbe trägt das Risiko, dass das Testament unwirksam war

Auch guter Glaube schützt nicht davor, das Erbe herausgeben zu müssen

Von Gesetzes wegen erben in erster Linie Abkömmlinge, Ehepartner oder sonstige Verwandte eines Verstorbenen. Dieser kann die Erbfolge durch Testament oder Erbvertrag abweichend regeln und beispielsweise einen Freund oder engen Vertrauten zum Erben einsetzen. Dieser trägt aber das Risiko, dass das Testament wirksam ist. Ein Erblasser ist zwar unabhängig vom Alter und der Einrichtung einer etwaigen Betreuung bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen. Stellt sich aber heraus, dass er etwa aufgrund einer geistigen Erkrankung nicht testierfähig war, muss der vermeintliche Erbe alle Nachlassgegenstände an die gesetzlichen Erben herausgeben – und das möglicherweise noch viele Jahre nach dem Erbfall. Der für erbrechtliche Streitigkeiten zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle ist regelmäßig mit derartigen Verfahren befasst.

Ein aktuelles Verfahren (Az. 6 U 2/22) hatte einen Streit um ein sehr hohes Vermögen zum Gegenstand: Eine alleinstehende und kinderlose Dame mit einem Vermögen von mehreren Millionen Euro hatte durch ein Testament im Jahr 2008 und erneut durch einen vor einem Notar im Jahr 2014 geschlossenen Erbvertrag ihren langjährigen Steuerberater als alleinigen Erben eingesetzt. Sie verstarb im Jahr 2015. Bereits anlässlich der Erteilung eines Erbscheins hatte das Amtsgericht Hannover ein psychiatrisches Gutachten eingeholt, das zu dem Ergebnis kam, dass die Verstorbene aufgrund wahnhafter Störungen nicht in der Lage war, wirksam zu testieren. Der Sachverständige hatte zu diesem Zweck der Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen beigewohnt, unter Ihnen auch Notare und Ärzte.

Dieses Gutachten haben neben dem Amtsgericht Hannover sowohl das Landgericht Hannover als auch der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle für überzeugend gehalten. Das Landgericht hat mit Urteil vom 27. Dezember 2021 festgestellt, dass der als Erbe eingesetzte Steuerberater nicht Erbe der Erblasserin geworden ist. Die hiergegen eingelegte Berufung hat der Steuerberater zurückgenommen, nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung Ende November 2022 auf die fehlenden Erfolgsaussichten hingewiesen hat. Dabei hatte der Senat betont, dass es unerheblich sei, ob der Steuerberater die Testierunfähigkeit der Erblasserin kannte oder auch nur hätte erkennen können oder müssen. Es gehe nicht um einen Vorwurf gegenüber dem Beklagten, andererseits hülfen ihm auch eine mögliche Gutgläubigkeit und ein Vertrauen in die Testierfähigkeit der ihm lange bekannten Erblasserin nicht.

Quelle: OLG Celle, Pressemitteilung vom 18.01.2023 zum Urteil 6 U 2/22 vom 18.01.2023

Inflationsrate im Jahr 2022 bei +7,9 %

Inflationsrate schwächt sich im Dezember 2022 ab, bleibt aber mit +8,6 % auf hohem Stand

Verbraucherpreisindex, Dezember und Jahr 2022

  • +8,6 % zum Vorjahresmonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)
  • -0,8 % zum Vormonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)
  • +7,9 % im Jahresdurchschnitt 2022 gegenüber 2021 (vorläufiges Ergebnis bestätigt)

Harmonisierter Verbraucherpreisindex, Dezember und Jahr 2022

  • +9,6 % zum Vorjahresmonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)
  • -1,2 % zum Vormonat (vorläufiges Ergebnis bestätigt)
  • +8,7 % im Jahresdurchschnitt 2022 gegenüber 2021 (vorläufiges Ergebnis bestätigt)

Die Verbraucherpreise in Deutschland haben sich im Jahresdurchschnitt 2022 um 7,9 % gegenüber 2021 erhöht. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, lag die Jahresteuerungsrate damit deutlich höher als in den vorangegangenen Jahren. So hatte sie im Jahr 2021 noch bei +3,1 % gelegen. „Die historisch hohe Jahresteuerungsrate wurde vor allem von den extremen Preisanstiegen für Energieprodukte und Nahrungsmittel seit Beginn des Kriegs in der Ukraine getrieben“, sagt Dr. Ruth Brand, seit 1. Januar 2023 neue Präsidentin des Statistischen Bundesamtes. Im Dezember 2022 lag die Inflationsrate − gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat – bei +8,6 %. Sie schwächte sich damit zum Jahresende ab, blieb aber auf einem hohen Stand.

Hohe Inflationsrate 2022 geprägt von krisen- und kriegsbedingten Sondereffekten

Die monatlichen Inflationsraten waren im gesamten Jahr 2022 hoch und erreichten im September die 10-Prozent-Marke. Der höchste Wert wurde im Oktober 2022 mit +10,4 % ermittelt. „Krisen- und kriegsbedingte Sondereffekte wie Lieferengpässe und deutliche Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen prägten den gesamten Jahresverlauf. Auch wenn diese Preiserhöhungen nicht vollständig an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben wurden, wurden für sie besonders Energie und Nahrungsmittel spürbar teurer“, so Brand weiter. „Die außergewöhnlich hohen monatlichen Inflationsraten wurden 2022 zeitweise durch Entlastungsmaßnahmen abgemildert. Dazu gehörten neben dem 9-Euro-Ticket, dem Tankrabatt und dem Wegfall der EEG-Umlage auch die Senkung der Umsatzsteuer auf Gas und Fernwärme sowie die einmalige Übernahme der Gas- und Wärmerechnung für den Monat Dezember.“

Im Jahresdurchschnitt 2022 verteuerten sich vor allem die Energieprodukte um 34,7 %

Die Energieprodukte verteuerten sich 2022 gegenüber dem Vorjahr deutlich um 34,7 %, nach einem Anstieg um 10,4 % im Jahr 2021. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher gab es 2022 kräftige Preiserhöhungen bei der Haushaltsenergie (+39,1 %). Besonders deutlich erhöhten sich die Preise für leichtes Heizöl (+87,0 %) und Erdgas (+64,8 %). Auch andere Haushaltsenergieprodukte wurden teurer, zum Beispiel kostete Strom 20,1 % mehr als ein Jahr zuvor. Kraftstoffe verteuerten sich im Jahresdurchschnitt um 26,8 %, betroffen waren alle Kraftstoffsorten, aber im unterschiedlichen Ausmaß (zum Beispiel Diesel: +39,6 %; Super: +21,8 %). Die Entlastungsmaßnahmen aufgrund der hohen Energiepreise milderten die Teuerung von Energie im Jahresverlauf temporär ab. Ohne Berücksichtigung der Energiepreise hätte die Jahresteuerungsrate 2022 nur bei +4,9 % gelegen.

Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich 2022 gegenüber 2021 um 13,4 %

Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich 2022 gegenüber 2021 um 13,4 %. 2021 hatte die Preissteigerung noch bei +3,2 % gelegen. Im Jahresdurchschnitt 2022 waren alle Nahrungsmittelgruppen von Preissteigerungen betroffen. Überdurchschnittlich stark verteuerten sich Speisefette und Speiseöle (+36,2 %, darunter Sonnenblumenöl, Rapsöl oder Ähnliches: +63,9 %; Butter: +39,1 %) sowie Molkereiprodukte und Eier (+19,7 %). Auch andere Nahrungsmittelgruppen wie Fleisch und Fleischwaren (+14,6 %) oder Brot und Getreideerzeugnisse (+13,5 %) wurden 2022 überdurchschnittlich teurer gegenüber 2021.

Die Jahresteuerungsrate ohne Berücksichtigung von Energie und Nahrungsmitteln lag 2022 bei +4,0 % und damit nur etwa halb so hoch wie die Gesamtinflationsrate.

Preise für Waren erhöhten sich 2022 gegenüber 2021 um 13,5 %, Dienstleistungen um 2,9 %

Waren insgesamt verteuerten sich im Jahresdurchschnitt 2022 gegenüber 2021 um 13,5 %, maßgeblich bestimmt durch gestiegene Preise für Verbrauchsgüter (+18,0 %), zu denen die Energieprodukte und Nahrungsmittel gehören. Die Preise für Gebrauchsgüter erhöhten sich um 5,3 %, unter anderem wurden Fahrzeuge (+8,7 %, darunter Gebrauchtwagen: +21,2 %) sowie Möbel und Leuchten (+7,9 %) deutlich teurer.

Die Preise für Dienstleistungen insgesamt erhöhten sich 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 %. Die für diese Entwicklung bedeutsamen Nettokaltmieten erhöhten sich im Jahresdurchschnitt um 1,8 %. Bei einigen Dienstleistungen stiegen die Preise deutlich stärker, unter anderem für Gaststätten- und Beherbergungsdienstleistungen (+7,4 %) sowie für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen (+6,4 %). Teurer wurden beispielsweise auch Brief- und Paketdienstleistungen (+3,1 %). Es kam 2022 bei den Dienstleistungen aber auch zu einigen Preisrückgängen. So vergünstigten sich die Preise für die Telekommunikation (-1,2 %) sowie für Dienstleistungen sozialer Einrichtungen (-1,7 %), letztere durch die Umsetzung der Pflegereform zum 1. Januar 2022. Zudem wirkte sich das 9-Euro-Ticket auf die Preise im öffentlichen Personennahverkehr aus: Im Jahresdurchschnitt 2022 gingen dadurch die Preise für Bahntickets im Nahverkehr um 8,8 % sowie für den kombinierten Verkehr um 14,3 % zurück.

Inflationsrate schwächte sich im Dezember 2022 vor allem wegen geringerer Energiepreise ab

Die Inflationsrate in Deutschland lag im Dezember 2022 bei +8,6 %, nach +10,0 % im November 2022. Im Dezember 2022 ging vor allem der Preisanstieg für Energie zurück und lag noch bei +24,4 %, nach +38,7 % im November 2022. Ein wesentlicher Grund für den Rückgang war die „Dezember-Soforthilfe“, eine der Maßnahmen aus dem dritten Entlastungspaket der Bundesregierung. Danach entfiel für einen Teil der privaten Haushalte die monatliche Abschlagszahlung für Erdgas und Fernwärme und sorgte dafür, dass die Teuerungsrate im Dezember 2022 für Erdgas mit +26,1 % deutlich niedriger lag als in den Monaten davor. Fernwärme war sogar um 17,5 % günstiger als ein Jahr zuvor. Im November 2022 hatten die Teuerung für Erdgas bei +112,2 % und für Fernwärme bei +36,6 % gelegen. Zudem fiel der Preisanstieg auch für andere Energieprodukte etwas geringer aus, so verteuerten sich leichtes Heizöl um 45,0 % und Kraftstoffe um 8,9 % binnen Jahresfrist. Der Strompreis gab jedoch nicht nach und lag im Dezember 27,2 % höher als im Vorjahresmonat. Auch bei den Nahrungsmittelpreisen gab es keine deutliche Entspannung, diese erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 20,7 %. Hier wurden im Dezember 2022 bei allen Nahrungsmittelgruppen Preiserhöhungen beobachtet.

Ohne Berücksichtigung der Preise für Nahrungsmittel und Energie hätte die Inflationsrate im Dezember 2022 bei +5,2 % gelegen, ohne Energie bei +6,8 %.

Waren verteuerten sich gegenüber Dezember 2021 um 13,9 %, Dienstleistungen um 3,9 %

Auch infolge der Kriegs- und Krisensituation verteuerten sich wie bereits in den Vormonaten andere Waren und Dienstleistungen. Die Preise für Waren insgesamt erhöhten sich im Dezember 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um 13,9 %. Neben der Energie und den Nahrungsmitteln wurden Gebrauchsgüter teurer (+6,8 %, darunter Möbel und Leuchten: +10,1 %; Bekleidungsartikel: +5,1 %). Die Preise für Dienstleistungen insgesamt erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 3,9 %, darunter verteuerten sich die Nettokaltmieten mit +1,9 %. Deutlich teurer waren beispielsweise Gaststätten- und Beherbergungsdienstleistungen (+9,6 %) sowie Leistungen für Friseur und Körperpflege (+7,5 %). Hingegen wurden nur wenige Dienstleistungen günstiger, unter anderem die Telekommunikation (-1,2 %).

Im Vormonatsvergleich sanken vor allem Energiepreise insgesamt um 11,6 %

Im Vergleich zum November 2022 sank der Verbraucherpreisindex im Dezember 2022 um 0,8 %. Ein wesentlicher Grund war der Preisrückgang bei Energie mit -11,6 % gegenüber dem Vormonat. Deutliche Preisrückgänge gab es bei Erdgas (-39,1 %) und Fernwärme (-39,6 %) infolge der „Dezember-Soforthilfe“. Auch die Preise für leichtes Heizöl (-12,1 %) und Kraftstoffe (-8,9 %) gaben nach, dagegen wurde Strom etwas teurer (+0,4 %). Darüber hinaus mussten die privaten Haushalte erneut mehr für Nahrungsmittel bezahlen (+0,8 %). Ebenso zogen im Dezember 2022 die Bahnpreise für Fahrten im Zuge der jährlichen Tarifänderungen an (+3,1 %, darunter Nahverkehr: +3,9 %).

Quelle: Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 17.01.2023

SAFE: German Tax Advisers wenden sich an Präsidentin der EU-Kommission

Im Frühjahr plant die EU-Kommission ihren Vorschlag zur Bekämpfung der Rolle von Vermittlern von aggressiver Steuerplanung und Steuerhinterziehung zu verabschieden. Die German Tax Advisers haben ihre Bedenken gegen das Vorhaben nun in einem Schreiben an Ursula von der Leyen, der Präsidentin der EU-Kommission, adressiert und diese um kritische Überprüfung des anstehenden Vorschlags ersucht.

SAFE steht als Akronym für „Securing the Activity Framework of Enablers” für die EU-Initiative zur Bekämpfung der Rolle von Vermittlern von aggressiver Steuerplanung und Steuerhinterziehung. Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) befürchtet, dass ein solcher Richtlinienvorschlag neben zusätzlichen Auflagen und Belastungen eine Rufschädigung für den Berufsstand vorsehen könnte.

In einem gemeinsamen Schreiben haben sich nun DStV-Präsident StB Torsten Lüth und StB Prof. Dr. Hartmut Schwab von der Bundessteuerberaterkammer als German Tax Advisers an die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen gewandt.

Zwar versicherten die German Tax Advisers darin ihre Unterstützung bei der Verabschiedung geeigneter und verhältnismäßiger Instrumente im Kampf gegen Steuerdelikte. Zugleich machten die Präsidenten allerdings keinen Hehl daraus, dass sie große Zweifel an der Wirksamkeit, Erforderlichkeit und Angemessenheit, der im zurückliegenden Konsultationsverfahren vorgestellten Maßnahmen von SAFE hegen. SAFE sieht Verbote sowie weitere Due-Diligence- und Registrierungspflichten für diese „Vermittler“ vor.

Zudem äußerten die German Tax Advisers rechtsstaatliche Bedenken gegen die Vermengung von erlaubter Steuerplanung und strafbarer Steuerhinterziehung.

Schließlich verwehrten sich die Unterzeichner im Namen des Berufsstands entschieden gegen die Bezeichnung „Vermittler aggressiver Steuerplanung und Steuerhinterziehung“. Vielmehr verdeutlichten die Präsidenten die Stellung der Steuerberater in Deutschland als Organ der Steuerrechtspflege und forderten die EU-Kommission nachdrücklich auf, den Berufsstand im Falle der Verabschiedung des Richtlinienvorschlags doch zumindest vom Anwendungsbereich auszunehmen.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 16.01.2023

Stärkung der Justiz in Wirtschaftsstreitigkeiten – BMJ legt Eckpunkte vor

Das Bundesministerium der Justiz hat am 16.01.2023 ein Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts veröffentlicht.

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt dazu: „Deutschland ist mit seiner starken Exportkraft ein international führender Wirtschaftsstandort. Mit der Möglichkeit zur Einführung von Commercial Courts wollen wir auch den Justizstandort Deutschland international stärken. Denn in Zeiten von globalen Lieferketten und internationalem Warenverkehr kommt es immer häufiger auch zu grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten, die auf eine schnelle und professionelle Klärung angewiesen sind.

Deshalb wollen wir den Ländern für Streitwerte ab einer bestimmten Schwelle die Einrichtung von Wirtschaftssenaten bei ausgewählten Oberlandesgerichten ermöglichen. Die Senate sollen so ausgestattet werden, dass sie die Verfahren zügig durchführen, auf Wunsch der Parteien auch auf Englisch und mit Wortprotokoll. Die Wirtschaftssenate werden erstinstanzlich zuständig sein, wenn sich die Parteien auf diesen Gerichtsstand verständigen. Gegen eine Entscheidung der Commercial Courts soll die Revision zum Bundesgerichtshof möglich sein. Die Veränderungen und zunehmenden Verflechtungen in der Welt beobachten wir nicht, sondern wollen sie aktiv als Chance für unseren Standort und unser Land nutzen.“

Auf Ebene der Länder wird bereits seit vielen Jahren intensiv über die Errichtung von Commercial Courts in Deutschland beraten. Aufbauend auf diesen Vorarbeiten und unter Berücksichtigung der Entwicklungen in der Justiz in den letzten Jahren soll nun eine weitreichende Öffnung der Wirtschaftsgerichte für die Gerichtssprache Englisch erreicht werden. Zugleich soll den Parteien von großen Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht werden, spezialisierte Wirtschaftssenate an den Oberlandesgerichten (sog. Commercial Courts) erstinstanzlich anzurufen.

Damit wird ein wichtiger Beitrag für die Wettbewerbsfähigkeit des Justizstandorts Deutschland geleistet und eine entsprechende Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt.

Das BMJ wird nun auf Grundlage der Eckpunkte einen entsprechenden Referentenentwurf erarbeiten.

Quelle: BMJ

Bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils ist ein Marktanpassungsabschlag vorzunehmen

Mit Urteil vom 24. November 2022 (Az. 3 K 1201/21 F) hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass bei der Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück für Erbschaftsteuerzwecke vom anteiligen Verkehrswert des Grundstücks ein Marktanpassungsabschlag vorzunehmen ist, der die niedrigere Verkehrsfähigkeit eines Miteigentumsanteils abbildet.

Der Kläger erwarb im Wege eines Vermächtnisses einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem Grundstück. Aus einem vom Kläger auf den Bewertungsstichtag eingeholten Wertgutachten des Gutachterausschusses für Grundstückswerte ergibt sich ein Verkehrswert für das gesamte Grundstück von 150.000 Euro (Bodenwert abzüglich Abrisskosten) und ein Verkehrswert für den hälftigen Miteigentumsanteil von 60.000 Euro. Im Gutachten wird ausgeführt, dass vom hälftigen Verkehrswert im Wege der Marktanpassung ein Abschlag vorzunehmen sei, weil der Erwerb eines Miteigentumsanteils für Dritte mit erheblichen Risiken verbunden sei. Diesen Abschlag bezifferte der Gutachterausschuss wegen Erfahrungen aus Zwangsversteigerungsverfahren und Beleihungswertgrenzen von Banken mit etwa 20 %.

Das Finanzamt erkannte den Abschlag nicht an und stellte den Grundbesitzwert für den Miteigentumsanteil auf 75.000 Euro fest, da die Marktgängigkeit eines Miteigentumsanteils bei der Bewertung nicht zu berücksichtigen sei.

Der hiergegen erhobenen Klage hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster vollumfänglich stattgegeben und den durch Vermächtnis erworbenen Miteigentumsanteil für Erbschaftsteuerzwecke mit 60.000 Euro bewertet. Der Kläger habe den Nachweis gemäß § 198 Satz 1 BewG erbracht, dass der gemeine Wert des Miteigentumsanteils niedriger sei als der nach §§ 182 ff. BewG ermittelte (Bedarfs-)Wert.

Das Gesetz beschränke sich nicht auf den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts des Volleigentums, sondern lasse auch eine Bewertung unterhalb des rechnerischen Bruchteils des Werts des Volleigentums zu. Dies ergebe sich zunächst aus dem Wortlaut, der auf den gemeinen Wert der zu bewertenden wirtschaftlichen Einheit – im Streitfall also den Miteigentumsanteil – abstelle. Auch nach Sinn und Zweck des § 198 Satz 1 BewG sollten sämtliche wertbeeinflussenden Umstände geltend gemacht werden können.

Das vom Kläger eingereichte Sachverständigengutachten sei auch geeignet, den niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Es entspreche den Vorgaben der ImmoWertVO und sei im Ergebnis plausibel, was hinsichtlich der Ermittlung des Werts des Volleigentums zwischen den Beteiligten auch nicht streitig sei.

Die modifizierte rechnerische Ableitung des gemeinen Werts des Miteigentumsanteils sei ebenfalls plausibel und nachvollziehbar. Die Berücksichtigung eines Marktanpassungsabschlags entspreche den Vorgaben des § 7 Abs. 2 der ImmoWertVO. Für die spezielle Bewertung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück lägen keine spezifischen Daten vor, sodass ein marktüblicher Abschlag zu schätzen sei.

Der Senat ist der Begründung des Gutachterausschusses in Bezug auf die Bewertung von Grundstücken im Zwangsversteigerungsverfahren und auf die Beleihungswertgrenzen von Banken zwar nicht gefolgt, weil nicht erkennbar sei, dass sich hieraus Rückschlüsse auf den Verkehrswert ziehen ließen. Allerdings sei die weitere Begründung, dass der Erwerb eines Miteigentumsanteils für Dritte mit erheblichen Risiken verbunden sei und deshalb zu einem geringeren Verkehrswert führe, in der Sache nachvollziehbar. Schon der Umstand, dass die Verwaltung eines gemeinschaftlichen Gegenstands grundsätzlich allen Beteiligten einer Bruchteilsgemeinschaft gemeinschaftlich zusteht, erfordere einen hohen Abstimmungsbedarf und bärge damit einhergehend ein erhebliches Streitrisiko. Im Streitfall komme hinzu, dass die vorhandene Bausubstanz wirtschaftlich wertlos gewesen sei. Eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung durch Abriss und Neubau hingen maßgeblich von der Mitwirkung der anderen Miteige ntümer ab. Die Höhe des Abschlags von 20 % sei nachvollziehbar, weil der Gutachterausschuss einschlägige Fachliteratur hierzu ausgewertet habe.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 16.01.2023 zum Urteil 3 K 1201/21 F vom 24.11.2022

Technische Nutzungsprobleme des beA müssen unverzüglich glaubhaft gemacht werden

Macht ein Rechtsanwalt geltend, eine Klage (vorübergehend) nicht in der vorgeschriebenen elektronischen Form erheben zu können, muss er die technische Unmöglichkeit dem Gericht gegenüber unverzüglich glaubhaft machen. Dies hat der 9. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 7. Dezember 2022 (Az. 9 K 1957/22 E,G) entschieden.

Ein Rechtsanwalt erhob für den Kläger am 14. August 2022 per Telefax sowie am Folgetag nochmals per Brief eine Klage. Nachdem der Berichterstatter den Prozessvertreter auf die Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach § 52d FGO hingewiesen hatte und hierauf keine weitere Stellungnahme erfolgt war, erließ er einen Gerichtsbescheid, mit dem er die Klage als unzulässig abwies.

Hiergegen wandte der Klägervertreter Anfang September 2022 telefonisch und mit per Briefpost übermitteltem Schreiben ein, dass er im Zeitraum von Juni bis Ende August 2022 technische Probleme bei der Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) gehabt habe. Der Fehler habe bei Komplikationen im Zuge des Umtausches der Karten und des PIN-Codes der neuen Karte gelegen. Hierzu fügte er Screenshots aus dem beA-Postfach bei, wonach es am 30. August 2022 und am 1. September 2022 zu fehlerhaften Übermittlungen an das Finanzgericht gekommen war. Ferner reichte er eine schriftliche Bestätigung seines Mitarbeiters ein, wonach im Zeitraum Juni bis Ende August eine Übermittlung mit dem beA in der Kanzlei nicht möglich gewesen sei und diese Probleme auch von IT-Fachleuten nicht hätten behoben werden können. Im Dezember 2022 übermittelte der Klägervertreter die Klageschrift per beA und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Einzelrichter, auf den der 9. Senat des Finanzgerichts Münster den Rechtsstreit übertrug, hat den gegen den Gerichtsbescheid gerichteten Brief als Antrag auf mündliche Verhandlung ausgelegt und die Klage als unzulässig abgewiesen.

Da Rechtsanwälte seit dem 1. Januar 2022 verpflichtet seien, im finanzgerichtlichen Verfahren ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach zu nutzen, sei die im Streitfall erfolgte Klageerhebung per Telefax und Brief unzulässig. Etwaige Ausnahmegründe im Sinne von § 52d Satz 3 FGO habe der Klägervertreter nicht unverzüglich glaubhaft gemacht, denn er habe die technischen Probleme dem Gericht erst mehr als zwei Wochen nach Klageerhebung mitgeteilt.

Die im September bzw. Dezember 2022 eingegangenen Schreiben seien nicht als zulässige Klagen anzusehen, da sie verspätet eingereicht worden seien. Dem Kläger sei insoweit auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Fristversäumnis schuldhaft gewesen sei. Das Verschulden des Klägervertreters, das dem Kläger zuzurechnen sei, liege darin, dass er die technischen Probleme nicht zusammen mit oder jedenfalls unverzüglich nach der ursprünglichen Klageerhebung am 14./15. August 2022 dargelegt und glaubhaft gemacht habe. In diesem Fall wäre die Klagefrist auch ohne Übermittlung als elektronisches Dokument gewahrt worden. Hinzu komme, dass das Gericht den Prozessvertreter unmittelbar nach Klageerhebung auf die Formvorschrift des § 52d FGO hingewiesen habe.Diese Nachricht anhören

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 16.01.2023 zum Urteil 9 K 1957/22 vom 07.12.2022

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin