Neuer europäischer Tarifbericht des WSI: Löhne in Europa steigen real, aber meist nur durch die extrem niedrige Inflation

In den meisten EU-Ländern sind die durchschnittlichen Löhne 2015 stärker gestiegen als die Preise, auch 2016 dürften Beschäftigte in fast allen EU-Staaten im Mittel real mehr Geld in der Tasche haben. Entsprechend stiegen die realen Effektivlöhne im Durchschnitt der 28 EU-Staaten 2015 um 1,4 Prozent, in diesem Jahr wird mit 1,7 Prozent gerechnet. Das liegt allerdings vielerorts nicht an einer kräftigen Lohnentwicklung, sondern vor allem an der extrem niedrigen und 2015 in elf Ländern sogar deflationären Preisentwicklung. Um die Binnennachfrage und das Wachstum in Europa nachhaltig zu beleben, wären deutlichere Lohnsteigerungen nötig. Insbesondere in Südeuropa wird das nur funktionieren, wenn Tarifvertragsstrukturen, die während der Eurokrise unter dem Druck der europäischen Institutionen zerschlagen wurden, wieder neu entstehen. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Europäische Tarifbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Er erscheint in der neuen Ausgabe der WSI-Mitteilungen.

Europas Arbeitnehmer haben eine lange Durststrecke hinter sich, zeigt die Analyse des WSI-Tarifexperten Prof. Dr. Thorsten Schulten: Preisbereinigt sind die Löhne zwischen 2010 und 2016 in elf EU-Staaten gesunken. In neun weiteren lagen die durchschnittlichen Zuwachsraten bei unter einem Prozent pro Jahr. Deutschland rangiert mit einer kumulierten Reallohnsteigerung von 9,6 Prozent für diesen Sieben-Jahres-Zeitraum im oberen Mittelfeld der Länder mit Zuwächsen. Im vergangenen Jahr lag Deutschland mit einem durchschnittlichen realen Lohnwachstum um 2,6 Prozent hinter acht osteuropäischen EU-Ländern und Schweden auf Rang 10 in der Gemeinschaft. Allerdings war die Bundesrepublik in der Dekade zuvor auch das einzige europäische Land, in dem die Reallöhne zurückgegangen waren: um 5,7 Prozent von 2001 bis 2009 (siehe auch die Abbildungen 5 und 6 im Tarifbericht; Link unten).

Zwar ging es 2015 und 2016 mit der Kaufkraft der Arbeitnehmer in der EU parallel zur moderaten wirtschaftlichen Erholung wieder bergauf: Während die Reallöhne 2014 noch in sechs Ländern sanken, geschah das 2015 nur noch in Belgien, Griechenland und Portugal. In diesem Jahr prognostiziert die EU-Kommission lediglich für Griechenland reale Lohnverluste. Die Zuwächse bei den Reallöhnen in den meisten Staaten seien allerdings in erster Linie der extrem niedrigen Inflation zu verdanken, so Schulten, der für seinen Bericht unter anderem Daten der EU und der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgewertet hat. Das nominale Lohnwachstum war dagegen „nicht nur niedrig, sondern blieb auch konstant hinter den vorgesagten Werten zurück“, zitiert der WSI-Forscher Analysen der EZB.

So sind die nominalen Tarifverdienste im Euroraum – für den Rest der EU liegen keine Daten vor – 2015 nach WSI-Berechnungen im Schnitt um 1,5 Prozent gestiegen. „Dies ist die niedrigste Steigerungsrate seit Anfang der 2000er Jahre“, schreibt Schulten. Die nominalen Effektivlöhne – also die tatsächlich gezahlten Gehälter – stiegen EU-weit zwar etwas stärker um durchschnittlich 2,0 Prozent. Allerdings legen die Projektionen der EZB für 2016 bei den nominalen Effektivlöhnen wieder einen spürbaren Rückgang auf 1,3 Prozent nahe, während sich das Wachstum der Tariflöhne auf 1,4 Prozent verlangsamt. Beide Werte liegen deutlich unter der EZB-Zielinflationsrate von knapp unter zwei Prozent.

Dass sich die Inflation so verhalten entwickelt, erklärt Schulten zum einen mit den niedrigen Energiepreisen. Zum anderen zeigten sich darin aber die Folgen der Spar- und Deregulierungspolitik im Zuge der Euroraum-Krise. Die ökonomischen Schattenseiten der schwachen Lohnentwicklung „treten heute immer offener zutage“, schreibt der Forscher. „Im Kern wird hierdurch die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage systematisch beschränkt.“ Die Lohnentwicklung sei in vielen Ländern Teil eines Problemkreislaufs: Ohne Nachfrage-Impulse bleibt die Preissteigerung schwach und die Arbeitslosigkeit hoch. Wenn Jobs entstehen, dann überwiegend im Niedriglohnsektor und mit geringer Produktivität. Da aber die Summe aus Produktivität und Preissteigerung den Verteilungsspielraum definiere, den Ökonomen als Orientierungsgröße für die künftige Lohnentwicklung ansehen, würde wiederum die Lohnentwicklung gebremst.

Diesen Zusammenhang konstatieren nach Schultens Analyse mittlerweile nicht nur die europäischen Gewerkschaften, sondern zunehmend mehr Wirtschafts- und Finanzmarktanalysten sowie die EZB. So erklärte Notenbank-Präsident Mario Draghi im September vor dem Europäischen Parlament: „The case for higher wages is unquestionable.“ Gleichzeitig gehöre die EZB aber nach wie vor zu „den führenden Akteuren, die in vielen europäischen Ländern auf Arbeitsmarktreformen gedrängt haben oder immer noch drängen, die heute eine stärkere Lohndynamik behindern“, betont Schulten. Lösen lasse sich das Problem daher nur durch einen tiefgreifenden Politikwechsel. Dazu gehöre, dass zur Stärkung der Lohnentwicklung „in vielen Ländern auch die institutionellen Voraussetzungen, wie angemessene Mindestlöhne und umfassende Tarifvertragssysteme, wiederhergestellt werden.“

 Den „Europäischen Tarifbericht“ finden Sie auf der Homepage der Hans-Böckler-Stiftung.

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, Pressemitteilung vom 30.11.2016

 

Zeitwertkonto für einen Fremdgeschäftsführer: Wann liegt Arbeitslohn vor?

Zeitwertkonto für einen Fremdgeschäftsführer: Wann liegt Arbeitslohn vor?

Zahlt eine GmbH Beträge auf ein Zeitwertkonto zugunsten ihres Fremdgeschäftsführers ein, führt dies nicht zum Zufluss von Arbeitslohn. Das gilt zumindest dann, wenn die Einzahlungen in eine Rückdeckungsversicherung fließen und der Geschäftsführer bis zur Freistellungsphase keinen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme hat.

Hintergrund

Der Kläger ist Fremdgeschäftsführer bei einer GmbH. Diese vereinbarte mit dem Kläger, dass Wertguthaben zur Finanzierung eines vorzeitigen Ruhestands angesammelt wird und richtete deshalb ein sog. Zeitwertkonto ein. Weiterhin schloss die GmbH eine Rückdeckungsversicherung ab, um die Gehaltszahlungen in der Freistellungsphase zu finanzieren. Der Kläger verzichtete auf Teile seines Lohns, die auf das Konto der Rückdeckungsversicherung eingezahlt wurden. Versicherungsnehmer und Bezugsberechtigter aus der Rückdeckungsversicherung war allerdings die GmbH. Sie behandelte die Einzahlungen auf das Wertguthaben als steuerfreien Arbeitslohn.

Das Finanzamt erkannte die Zeitwertkonten des Geschäftsführers jedoch nicht an.

Entscheidung

Nach der Entscheidung des Finanzgerichts fließt dem Geschäftsführer mit den Wertgutschriften kein Arbeitslohn zu. Versicherungsnehmer ist die GmbH und gegenüber der Versicherung hat der Kläger zunächst keinen Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme. Er kann über die eingezahlten Beträge damit nicht wirtschaftlich verfügen.

Der Einkommensteuer unterliegt aber nur zugeflossener Arbeitslohn. Arbeitslohn ist zugeflossen, wenn und sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich darüber verfügen kann. Das ist regelmäßig bei Auszahlung in bar oder Gutschrift auf einem Bankkonto der Fall. Auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken. Der Gläubiger muss in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen.

Wann muss ein GmbH-Gesellschafter der Abberufung des Geschäftsführers zustimmen?

Wann muss ein GmbH-Gesellschafter der Abberufung des Geschäftsführers zustimmen?

Ist der Verbleib der Geschäftsführer in einer GmbH für die Gesellschaft nicht mehr zumutbar, müssen die GmbH-Gesellschafter der Abberufung von Geschäftsführern zustimmen.

Hintergrund

Der Kläger und sein Onkel sind Gesellschafter einer GmbH und jeweils mit 50 % beteiligt. Der Kläger wollte die Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund erreichen, da dieser u. a. in einer die Gesellschaft betreffenden Streitigkeit falsch ausgesagt hatte und das Vertrauensverhältnis damit zerrüttet hat. Der Onkel des Klägers stimmte jedoch gegen die Abberufung.

Mit seiner Klage will der Kläger feststellen lassen, dass der Geschäftsführer durch den Gesellschafterbeschluss abberufen wurde und die Stimmabgabe seines Onkels wegen Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht nichtig war.

Entscheidung

Die Klage hatte vor dem Oberlandesgericht keinen Erfolg. Zwar kann es nach der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht für alle Gesellschafter geboten sein, der Abberufung eines Geschäftsführers zuzustimmen, insbesondere wenn in der Person des Geschäftsführers wichtige Gründe vorliegen, die sein Verbleiben für die Gesellschaft unzumutbar machen.

Im vorliegenden Fall waren solche wichtigen Gründe allerdings nicht ersichtlich. Eine vorsätzliche Falschaussage zu Gunsten des anderen Gesellschafters konnte nicht bewiesen werden.

Die Behauptung, dass das Vertrauensverhältnis zerrüttet war, reichte dem Gericht nicht. Denn ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis stellt nur dann einen wichtigen Grund zur Abberufung eines Geschäftsführers dar, wenn die Zerrüttung durch eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers begründet ist.

Wie ist ein Darlehen mit einem steigenden Zinssatz zu bewerten?

Wie ist ein Darlehen mit einem steigenden Zinssatz zu bewerten?

Ist ein Darlehen mit steigenden Zinssätzen vereinbart worden, muss wegen des wirtschaftlichen Erfüllungsrückstands grundsätzlich eine Verbindlichkeit oder eine Rückstellung ausgewiesen werden.

Hintergrund

Die X-GmbH erwarb im Februar 2008 Anteile an einer GmbH von einer luxemburgischen Gesellschaft. Die Kaufpreisschuld wurde in ein Darlehen umgewandelt und eine Laufzeit bis 2017 vereinbart. Die Zinsen sollten jährlich ansteigen von 1,8 % im ersten bis 10,8 % im neunten Jahr.

In ihrer Bilanz zum 31.12.2008 bildete die X-GmbH für die Zinsverpflichtung eine Rückstellung. Diese setzte sie mit 5 % der Darlehenssumme an, also i. H. d. durchschnittlichen Zinssatzes, auf die Gesamtlaufzeit bezogen.

Das Finanzamt und auch das Finanzgericht berücksichtigten die Rückstellung aber nur mit dem für das erste Jahr festgelegten Zinssatz von 1,8 %.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof folgte dem nicht, sondern hob das Urteil des Finanzgerichts auf. Denn Verbindlichkeiten aus schwebenden Geschäften dürfen ausnahmsweise passiviert werden, wenn das Gleichgewicht der Vertragsbeziehungen durch Vorleistungen oder Erfüllungsrückstände eines Vertragspartners gestört ist. Besteht ein Erfüllungsrückstand und ist dessen Höhe sicher, ist eine Verbindlichkeit auszuweisen. Die X-GmbH war am 31.12.2008 in einem solchen Erfüllungsrückstand, zumindest was die Zinsen von 1,8 % für das erste Jahr betrifft. Der Darlehensgeber hatte das Kapital zum Bilanzstichtag für 10 Monate überlassen und ist insoweit in Vorleistung getreten, während sich die X-GmbH mit der Zinszahlung als Gegenleistung im Rückstand befand. Unerheblich ist, dass die Zinsverbindlichkeit noch nicht fällig war.

Für die Höhe des Erfüllungsrückstands ist auf die Durchschnittsverzinsung und damit auf die ansteigenden Zinsverbindlichkeiten der Folgejahre abzustellen. Denn bei wirtschaftlicher Betrachtung stellen die am Bilanzstichtag noch geschuldeten zukünftigen Zinszahlungen die Gegenleistung für die gesamte 9-jährige Kapitalüberlassung dar. Auch hier spielt es keine Rolle, dass die Zinsansprüche für die Folgejahre noch nicht fällig waren.

Kann die Grunderwerbsteuer bei einer Insolvenz des Käufers herabgesetzt werden?

Kann die Grunderwerbsteuer bei einer Insolvenz des Käufers herabgesetzt werden?

Wird bei einem Grundstückskauf der Käufer insolvent, führt der Ausfall der Kaufpreisforderung nicht zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer.

Hintergrund

Eine GmbH hatte eine landwirtschaftlich genutzte Fläche für einen Kaufpreis von 3.448.850 EUR erworben. Diese sollte erschlossen, in einzelne Baugrundstücke aufgeteilt und weiterverkauft werden. Der Kaufpreis war bis zum Abverkauf der einzelnen Baugrundstücke gestundet, Fälligkeit des Restkaufpreises war am 15.1.2007. Das Finanzamt ging für die Grunderwerbsteuer von einer Bemessungsgrundlage von 3.448.850 EUR aus, abgezinst um 310.367 EUR wegen der Stundung des Kaufpreises, und setzte eine Grunderwerbsteuer von 109.846 EUR fest.

Die GmbH konnte jedoch ihre Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllen und über ihr Vermögen wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Da nur Teilzahlungen von insgesamt 2.567.800 EUR geleistet worden waren, beantragte der Insolvenzverwalter die Herabsetzung der Grunderwerbsteuer. Beim Finanzamt und auch beim Finanzgericht hatte er damit keinen Erfolg.

Entscheidung

Auch vor dem Bundesfinanzhof scheiterte der Insolvenzverwalter. Die Begründung der Richter: Bei einem Grundstückskauf bemisst sich die Grunderwerbsteuer nach dem Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Die Kaufpreisforderung ist grundsätzlich mit ihrem Nennwert anzusetzen. Für die Grunderwerbsteuer ist unerheblich, ob der Grundstückskäufer den Kaufpreis später tatsächlich zahlt. Das gilt auch, wenn über das Vermögen des Käufers das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Dieses berührt weder die Wirksamkeit des Kaufvertrags noch kommt es zu einer Herabsetzung des Kaufpreises. Für dessen Bestimmung ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich.

Begriff der Betriebsstätte: Doppelbesteuerungsabkommen kontra nationales Steuerrecht

Begriff der Betriebsstätte: Doppelbesteuerungsabkommen kontra nationales Steuerrecht

Der Begriff der Betriebsstätte im Rahmen der Gewerbesteuer richtet sich nach dem nationalen Steuerrecht. Die Begriffsbestimmung nach einem Doppelbesteuerungsabkommen hat insoweit keinen Vorrang.

Hintergrund

Die X-GmbH betreibt im Inland eine Importvermittlung und unterhielt zu diesem Zweck ein Einkaufsbüro in der Türkei. Die GmbH sah das Einkaufsbüro als eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte an und kürzte dementsprechend den Gewerbeertrag um den auf das Einkaufsbüro entfallenden Ertrag. Dem widersprach das Finanzamt und verwehrte die Kürzung. Denn das Doppelbesteuerungsabkommen-Türkei wertet eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für das Unternehmen Güter oder Waren einzukaufen, nicht als Betriebsstätte. Das Finanzgericht folgte diesem Argument und wies die Klage ab.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof gab jedoch der Klage der GmbH statt und gewährte die Kürzung des Gewerbeertrags um den auf das Einkaufsbüro in der Türkei entfallenden Anteil.

Denn die Doppelbesteuerungsabkommen legen nur fest, in welchem Umfang die nach innerstaatlichem Recht bestehende Steuerpflicht entfallen soll. Die in den Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Bestimmungen zum Begriff der Betriebsstätte sind deshalb grundsätzlich nur im Rahmen der Doppelbesteuerungsabkommen anwendbar. Ob im Ausland erzielte Einnahmen bei der Ermittlung der Einkünfte zu kürzen sind und auf welche Fälle sich die Kürzung erstrecken soll, ist dagegen eine Sache des innerstaatlichen Rechts. Der Bundesfinanzhof geht davon aus, dass der Gesetzgeber allein den innerstaatlich definierten Begriff zugrunde legen wollte. Denn der Gewerbesteuer unterliegt grundsätzlich nur der Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird.

Kein Ausschluss von Hartz IV durch Geheimhaltung des Namens des Kindsvaters

Der Anspruch eines Kindes auf Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Mutter den Namen des Vaters des Kindes geheim hält.

Verhindert eine Mutter, durch Geheimhaltung des Namens des Vaters ihrer Tochter, dass Unterhaltsansprüche ihrer minderjährigen Tochter geltend gemacht werden können, wird hierdurch deren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht ausgeschlossen. Dies entschied das Sozialgericht Speyer in einer kürzlich ergangenen Entscheidung und verurteilte das zuständige Jobcenter zur Gewährung von Leistungen an die Tochter. Für einen Leistungsausschluss im Bereich der Existenzsicherung nach dem SGB II ist eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich. Der sog. Grundsatz der Nachrangigkeit von Leistungen nach dem SGB II rechtfertigt den Leistungsausschluss im vorliegenden Fall nicht.

Das zuständige Jobcenter verweigerte die Gewährung Leistungen nach dem SGB II an die minderjährige Tochter wegen fehlender Mitwirkung der Mutter. Diese weigerte sich, den Namen des Vaters ihrer Tochter zu nennen und machte die Prüfung von Unterhaltsansprüchen gegen den Kindsvater der Tochter unmöglich. Anhaltspunkte dafür, dass der namentlich nicht bekannte Kindsvater Leistungen für den Unterhalt der Tochter erbringt, sind nicht ersichtlich.

Das angerufene Sozialgericht Speyer hat die ablehnenden Bescheide aufgehoben und das Jobcenter zur Gewährung von Leistungen verurteilt. Zentrales Element des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II sei die Hilfebedürftigkeit des Leistungsbeziehers. Hilfebedürftigkeit liegt gemäß § 9 SGB II vor, wenn jemand seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Hierdurch bringe der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass Leistungen nach dem SGB II Leistungen nicht für denjenigen erbracht werden sollen, der sich nach seiner tatsächlichen Lage selbst helfen könne. Hierbei seien nach Auffassung des Sozialgerichts Speyer jedoch nur die Leistungen relevant, die tatsächlich zufließen und nicht nur möglicherweise bestehen. Zwar werde im SGB II die Selbstverantwortung des Hilfesuchenden und der Nachrang von Leistungen nach dem SGB II gegenüber anderen Sozialleistungen und Ansprüchen gegen Dritten normiert, die geeignet seien der Hilfebedürftigkeit entgegenzuwirken. Nach der Überzeugung des Gerichts mangele es in Bezug auf die vorliegend streitgegenständlichen Unterhaltsansprüche an einer konkreten gesetzlichen Regelung. Eine solche konkrete gesetzliche Regelung sei jedoch für den Leistungsausschluss im Bereich der Existenzsicherung erforderlich. Die Leistungen nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums folge. Bei dem im SGB II verankerten Nachranggrundsatz handele es sich um keine eigenständige Ausschlussnorm.

Abschließend wies das Sozialgericht darauf hin, dass die Weigerung der Mutter der Klägerin, den Namen des Vaters mitzuteilen, geeignet sei, einen Erstattungsanspruch wegen sozialwidrigen Verhaltens gemäß § 34 Abs. 1 SGB II zu begründen, was aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sei und somit nicht berücksichtigt werden konnte.

Quelle: SG Speyer, Pressemitteilung vom 28.11.2016 zum Urteil S 6 AS 1011/15 vom 25.10.2016 (nrkr)

 

Berechnung der Unterkunftsleistungen für „Hartz IV“-Empfänger im Kreis Düren bestätigt

Job-com Düren hat „schlüssiges Konzept“ zur Berechnung der Miete und Nebenkosten erstellen lassen. 5,65 Euro Bruttokaltmiete/qm für große Wohnungen (über 80 qm) angemessen.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat am 24.11.2016 in einer Grundsatzentscheidung das seit 2013 geltende Konzept des Kreises Düren zu Berechnung der Unterkunftskosten für Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II, „Hartz IV“) bestätigt. Der 7. Senat hat eine Berufung gegen eine entsprechende Entscheidung des Sozialgerichts Aachen zurückgewiesen.

Geklagt hatte eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern aus Düren, die seit einigen Jahren Arbeitslosengeld II bezieht. Die Job-com Düren hatte nicht die volle Kaltmiete der Familie übernommen, da die Wohnung mit 130 qm unangemessen groß und über 200 Euro zu teuer sei. Angemessen seien allenfalls eine Wohnungsgröße von 95 qm und ein Quadratmeterpreis von insgesamt 5,65 Euro (einschließlich kalter Betriebskosten zuzüglich der Heizkosten in tatsächlicher Höhe). Zwar war es der Familie gelungen, sich aufgrund eines Nebenjobs der Mutter und von Unterhaltszahlungen finanziell über Wasser zu halten, dennoch hatte sie im Klagewege höhere Unterkunftskosten erstrebt. In diesem Zusammenhang war von Bedeutung, ob das seit Januar 2013 vorhandene Konzept des Kreises Düren zur „Ermittlung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft“ den rechtlichen Anforderungen entspricht, die das Bundessozialgericht für derartige Konzepte aufgestellt hat. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat dies bejaht. Sowohl die Berechnung der angemessenen Kaltmiete als auch die Berechnung der durchschnittlichen Betriebskosten entsprächen den hohen Anforderungen, die an die Schlüssigkeit dieser Konzepte gestellt werden müssten. Auch die Wohnungsgröße sei für vier Personen mit 95 qm zutreffend bestimmt worden. Für einen Vier-Personen Haushalt könnten daher maximal 536,75 Euro (zuzüglich Heizkosten) beansprucht werden.

Die Entscheidung ist sowohl für die Leistungsempfänger als auch für den Kreis Düren von hoher finanzieller Bedeutung.

Die Revision zum Bundessozialgericht hat der Senat nicht zugelassen.

Quelle: LSG Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 24.11.2016 zum Urteil L 7 AS 723/16 vom 24.11.2016

 

Bausparverträge: Bis Jahresende Rückzahlung von Darlehensgebühren sichern

Darlehensgebühren bei Bausparverträgen sind unzulässig. Das hat der Bundesgerichtshof kürzlich entschieden (Az. XI ZR 552/15). Verbraucher können zu Unrecht gezahltes Geld zuzüglich Zinsen zurückfordern. Wer 2013 eine solche Gebühr gezahlt hat, sollte sich damit jedoch beeilen, denn zum Jahreswechsel verjährt der Rückzahlungsanspruch. Darauf weist die Verbraucherzentrale Hamburg hin.

„Verbraucher können Darlehensgebühren aus den Jahren 2013 bis 2016 zurückverlangen und in vielen Fällen eine Menge Geld zurückholen. Die Ansprüche für 2013 verjähren allerdings zum Ende des Jahres“, sagt Alexander Krolzik von der Verbraucherzentrale Hamburg, die für die Geltendmachung der Erstattungsansprüche einen Musterbrief bereithält. „Ob auch Zahlungen aus früheren Jahren zurückerstattet werden müssen, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Einen Versuch ist es aus unserer Sicht aber allemal wert.“

„Bei uns häufen sich seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs die Anfragen zu Darlehensgebühren bei Bausparverträgen“, berichtet Krolzik. Dabei werde immer wieder deutlich, dass es um viel Geld gehe. „Einem Verbraucher wurden für ein Bauspardarlehen von 75.000 Euro zum Beispiel 1.500 Euro abgeknöpft. Das entspricht zwei Prozent der Darlehenssumme“, rechnet der Finanzexperte vor. Dies sei gerade in Zeiten allgemein niedriger Kreditzinsen absolut unangemessen. „Die Darlehensgebühr ist in vielen Fällen so hoch wie die aktuell marktüblichen Kreditzinsen für ein ganzes Jahr.“ Außerdem habe der zusätzliche Posten den Vergleich zwischen verschiedenen Baufinanzierungsangeboten erschwert. Den Wegfall der Darlehensgebühr hält Krolzik daher für überfällig.

„Für viele Verbraucher wird es durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs nun günstiger, ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen. Dennoch sollten Besitzer von älteren Verträgen genau prüfen, ob dies sinnvoll ist, und bei der Entscheidung für oder gegen ein Darlehen das Alter des Vertrags, die Zinskonditionen und die Frage, ob man anderswo einen günstigeren Kredit bekommen könnte, berücksichtigen“, erläutert Krolzik.

Das BGH-Urteil zu Formularklauseln über Darlehensgebühren in Bausparverträgen hatte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen in einem langen Rechtsstreit mit der Bausparkasse Schwäbisch Hall erstritten (Urteil vom 8. November 2016, Az. XI ZR 552/15). Von der Entscheidung sind jedoch auch zahlreiche andere Bausparkassen betroffen, die die umstrittene Gebühr ebenfalls erhoben hatten.

Quelle: Verbraucherzentrale Hamburg, Pressemitteilung vom 23.11.2016

 

Betriebskosten verjährt? Mietkaution hilft hier nicht weiter

Betriebskosten verjährt? Mietkaution hilft hier nicht weiter

Ist eine Nachforderung von Betriebskosten bereits verjährt, darf sich der Vermieter nicht bei der Mietkaution bedienen.

Hintergrund

Der Mieter hatte zu Beginn des Mietverhältnisses ein Kautionssparbuch über 700 EUR eingerichtet, eine Verpfändungserklärung abgegeben und der Vermieterin das Sparbuch übergeben.

Für die Jahre 2006 bis 2009 erteilte die Vermieterin fristgerecht die Betriebskostenabrechnungen. Daraus ergaben sich Nachforderungen von insgesamt 960 EUR, die der Mieter nicht zahlte. Das Mietverhältnis endete am 31.5.2009.

Im Dezember 2012 klagte der Mieter auf Pfandfreigabe und Rückgabe des Kautionssparbuchs. Die Vermieterin weigert sich jedoch, das Sparbuch herauszugeben, weil die Betriebskostennachforderungen noch nicht bezahlt waren.

Entscheidung

Das Urteil des Bundesgerichtshofs war eindeutig: Für die Jahre 2006 bis 2008 kann die Vermieterin keine Zahlung der Nachforderungen mehr verlangen. Auch darf sie hierfür nicht auf die Mietkaution zurückgreifen. Denn diese Ansprüche sind verjährt.

Zwar kann sich ein Gläubiger wegen einer Forderung, zu deren Sicherung ein Pfandrecht besteht, grundsätzlich auch dann aus der Sicherheit befriedigen, wenn die Forderung verjährt ist. Dies gilt aber nicht bei Ansprüchen auf Zinsen und andere wiederkehrende Leistungen, zu denen auch die Nachforderungen aus den Betriebskostenabrechnungen zählen.

Nur die Nachforderung aus der Betriebskostenabrechnung 2009 ist nicht verjährt.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin