Für Selbstständige ist die Frage nach der „ersten Betriebsstätte“ keineswegs nur theoretischer Natur – sie hat direkte finanzielle Auswirkungen:
- Fahrtkosten: Nur mit der Entfernungspauschale absetzbar
- Verpflegungskosten: Kein Anspruch auf Verpflegungsmehraufwendungen bei Tätigkeiten in der Betriebsstätte
- Übernachtungskosten: Nur bei doppelter Haushaltsführung steuerlich relevant
Doch was genau gilt als „erste Betriebsstätte“ bei Selbstständigen? Und was passiert, wenn die Tätigkeit beim Kunden ausgeübt wird?
Der Streitfall: IT-Berater bei nur einem Kunden tätig
Ein selbstständiger IT-Berater arbeitete über mehrere Jahre hinweg regelmäßig vier Tage pro Woche bei einer GmbH. Obwohl sein Vertrag regelmäßig verlängert wurde, war er zunächst auf vier Monate befristet. Nach Vertragsschluss mietete sich der Berater eine möblierte Wohnung in der Nähe der GmbH, machte Verpflegungsmehraufwendungen und wöchentliche Familienheimfahrten vollständig als Betriebsausgaben geltend.
Das Finanzamt hingegen beschränkte die steuerliche Anerkennung:
- Verpflegungsmehraufwendungen nur für die ersten drei Monate
- Familienheimfahrten nur mit der Entfernungspauschale
Die Begründung: Die GmbH sei als Betriebsstätte des Selbstständigen anzusehen – mit entsprechenden steuerlichen Einschränkungen.
Das Finanzgericht entscheidet – aber anders
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz stimmte der Kürzung zu, jedoch mit abweichender Begründung:
Die Regelungen zur ersten Tätigkeitsstätte für Arbeitnehmer lassen sich nicht auf Selbstständige übertragen.
Im vorliegenden Fall sah das Gericht die Kundenadresse dennoch als Betriebsstätte des Selbstständigen – nach der Rechtslage vor der Reisekostenreform 2014. Maßgeblich war dabei nicht die Verfügungsmacht über den Arbeitsplatz, sondern die Dauer und Regelmäßigkeit der Tätigkeit an einem bestimmten Ort.
Warum das Urteil so wichtig ist
Ein abschließendes Urteil des BFH (Az. VIII R 14/24) steht noch aus. Sollte der Bundesfinanzhof die Auffassung des FG nicht teilen, könnten viele Selbstständige künftig:
- volle Fahrtkosten statt nur die Entfernungspauschale absetzen
- Verpflegungsmehraufwendungen über einen längeren Zeitraum geltend machen
- Übernachtungskosten einfacher steuerlich berücksichtigen
📌 Praxistipp für Selbstständige
✅ Arbeiten Sie vorwiegend beim Kunden, ohne dort dauerhaft gebunden zu sein, lohnt sich ein genauer Blick auf die steuerliche Bewertung.
✅ Falls das Finanzamt eine Kürzung vornimmt, legen Sie Einspruch ein und verweisen Sie auf das anhängige Verfahren beim BFH.
✅ Dokumentieren Sie genau, wie, wo und wie lange Sie für Kunden tätig sind – insbesondere bei langfristigen Projekten mit nur einem Auftraggeber.
Fazit: Steuerliche Klarheit folgt – aber erst mit dem BFH
Die Abgrenzung zwischen Auswärtstätigkeit und fester Betriebsstätte ist entscheidend für Ihre steuerliche Belastung. Bis der Bundesfinanzhof abschließend entscheidet, sollten Selbstständige ihre Reisekostenregelungen kritisch prüfen und bei Bedarf gegen strittige Steuerbescheide vorgehen.
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