Schlagwort-Archive: Rentenversicherungspflicht

Minijobs und Minderjährige: Das ist bei der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu beachten

Minijobs und Minderjährige: Das ist bei der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu beachten

Minijobs sind zur Aufbesserung des Taschengelds bei Schülern beliebt. Da die Altersversorgung zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema ist, werden sie in der Regel auch die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht beantragen. Hier gilt für Arbeitgeber bei Minderjährigen besondere Aufmerksamkeit.

Hintergrund
Anträge auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht können nur von geschäftsfähigen Personen rechtswirksam gestellt werden. Die Geschäftsfähigkeit richtet sich nach zivilrechtlichen Bestimmungen. Schüler vor Vollendung ihres 18. Lebensjahrs sind eingeschränkt geschäftsfähig. Für einen rechtwirksamen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ist daher die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich.

Beginn der Befreiung bei rechtwirksamen Anträgen
Nur Befreiungsanträge für minderjährige Arbeitnehmer in Minijobs, die vom gesetzlichen Vertreter unterschrieben werden, sind rechtswirksam. Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wirkt in diesen Fällen grundsätzlich ab Beginn des Kalendermonats, in dem der Antrag beim Arbeitgeber eingeht, frühestens ab Beschäftigungsbeginn. Dies setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber der Minijob-Zentrale die Befreiung bis zur nächsten Entgeltabrechnung, spätestens innerhalb von 6 Wochen (42 Kalendertage) nach Eingang des Befreiungsantrags, anzeigt. Wird die Frist versäumt, beginnt die Befreiung erst nach Ablauf des Kalendermonats, der dem Kalendermonat des Eingangs der Meldung bei der Minijob-Zentrale folgt. In der Folge sind für einen längeren Zeitraum Pflichtbeiträge zu zahlen, als es vom Arbeitnehmer beabsichtigt war.

Beginn der Befreiung bei rechtunwirksamen Anträgen
Anträge auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, die nur vom minderjährigen Arbeitnehmer unterschrieben worden sind, sind rechtsunwirksam. In diesem Fall bleibt der Arbeitnehmer in dem Minijob rentenversicherungspflichtig, bis der Antrag mit Unterschrift der Eltern rechtswirksam nachgeholt wurde.

Spezielle Kontrollen durch die Sozialversicherungsträger sind unwahrscheinlich
Minderjährige stehen quasi in allen Lebensbereichen unter einem besonderen gesetzlichen Schutz und haben eingeschränkte Rechte und Pflichten. Insoweit kommt der Sozialversicherung keine besondere Bedeutung zu. Grundsätzlich wird also unterstellt, dass Arbeitgeber im Umgang mit minderjährigen Arbeitnehmern, und dies fängt schon beim Arbeitsvertrag an, besondere Sorgfalt walten lassen.

Umgang in der Praxis
In der Praxis sieht es so aus, dass Arbeitgeber den Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu den Entgeltunterlagen nehmen und der Minijob-Zentrale den Eingang mit der Meldung zur Sozialversicherung anzeigen. Die Minijob-Zentrale kann dem Befreiungsantrag widersprechen. Dies tut sie vorrangig dann, wenn die Befreiung vom Arbeitgeber nicht fristgerecht angezeigt wurde. Hierbei wird generell unterstellt, dass ein rechtswirksam gestellter Befreiungsantrag vorliegt.

Der Betriebsprüfdienst der Rentenversicherung kann Einsicht in die Entgeltunterlagen nehmen. Es ist aber nicht anzunehmen, dass bei Minderjährigen zukünftig ein besonderes Augenmerk darauf liegt, ob der Antrag vom gesetzlichen Vertreter unterschrieben worden ist.

Risiko vermeiden und neues Antragsformular nutzen
Arbeitgeber sollten aber trotzdem kein Risiko eingehen und bei Minderjährigen immer das Einverständnis des gesetzlichen Vertreters einholen. Das Formular für den Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wurde angepasst. Es enthält jetzt den Hinweis auf die Unterschrift der Eltern bei Minderjährigen.

Befreiung von der RV-Pflicht bei Minijobs und die Folgen

Befreiung von der RV-Pflicht bei Minijobs und die Folgen

Minijobber können sich von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Eine Befreiung hat neben der Beitragsersparnis aber auch Folgen, die zunächst vielleicht nicht bedacht werden. Deshalb ist es wichtig zu wissen, in welcher Weise und wie lange die Befreiung wirkt.

Der Minijobber verzichtet mit der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht (RV-Pflicht) auch auf den Erwerb vollwertiger Leistungsansprüche in der Rentenversicherung. Unter Umständen kommt diese Erkenntnis aber zu spät, wenn der Minijobber Leistungen beim Rentenversicherungsträger beantragt. Diese werden durch den Rentenversicherungsträger – mangels Pflichtbeitragszahlung – abgelehnt. Dann ist es jedoch zu spät. Einen Weg zurück gibt es nicht, solange die Befreiung wirkt.

Dauer der Befreiungswirkung für Minijobs
Die vom Arbeitnehmer beantragte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gilt für die gesamte Dauer des Minijobs. Sie kann nicht widerrufen werden. Bei Arbeitnehmern mit mehreren Minijobs und einem regelmäßigen Gesamt-Arbeitsentgelt bis 450 EUR im Monat kann die Befreiung von der RV-Pflicht nur einheitlich erklärt werden. Somit wirkt der einem Arbeitgeber gegenüber ausgehändigte Befreiungsantrag zugleich für alle zeitgleich ausgeübten Minijobs, also auch für später hintretende Minijobs. In solchen Fällen verliert der Befreiungsantrag erst dann seine Wirkung, wenn der letzte Minijob, für den die Befreiung gilt, beendet wird.

Beispiele 1:

Minijob A: 1.2.2013 bis 31.3.2014

Minijob B: 1.3.2014

Fristgerechte Befreiung beantragt ab 1.2.2013

Befreiungswirkung für Minijob: A: 1.2.2013 bis 31.3.2014

B: 1.3.2014 bis a. w.

Beispiele 2:

Minijob A: 1.2.2013 bis 31.3.2014

Minijob B: 1.4.2014

Fristgerechte Befreiung beantragt ab 1.2.2013

Befreiungswirkung für Minijob: A: 1.2.2013 bis 31.3.2014

Beispiel 3:

Minijob A: 1.2.2013 bis a. w.

Minijob B: 1.8.2013 bis 31.12.2013

Fristgerechte Befreiung beantragt ab 1.8.2013

Befreiungswirkung für Minijob: A: 1.8.2013 bis a. w.

B: 1.8.2013 bis 31.12.2013

Minijobs: Befreiung von der RV wirkt bei Beschäftigungsunterbrechung fort
Nachdem ein Minijob beendet wurde, tritt bei Neuaufnahme eines Minijobs grds. zunächst wieder RV-Pflicht ein. Von der RV-Pflicht kann sich der Arbeitnehmer auf Antrag befreien lassen. Dies gilt jedoch nicht, wenn der neue Minijob innerhalb von 2 Monaten bei demselben Arbeitgeber aufgenommen wird. In diesen Fällen wird (widerlegbar) vermutet, dass es sich immer noch um dieselbe Beschäftigung handelt, in der die Befreiung von der RV-Pflicht erfolgt ist. Für diesen Sachverhalt verliert die Befreiung nicht ihre Wirkung und muss auch nicht erneut erklärt werden.

Unbezahlter Urlaub und Arbeitsunfähigkeit von Minijobbern
Darüber hinaus gelten Minijobs nicht als beendet, wenn sie nur deshalb abgemeldet werden, weil sie länger als einen Monat ohne Entgeltzahlung (z. B. bei mehr als 6-wöchiger Arbeitsunfähigkeit oder unbezahltem Urlaub) unterbrochen werden (Meldegrund „34“). In diesen Fällen endet die Wirkung der Befreiung von der RV-Pflicht nicht, weil das Arbeitsverhältnis weiter besteht und die sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung nach der Unterbrechung mit dem Tag der Arbeitsaufnahme wieder vom Arbeitgeber angemeldet wird (Meldegrund „13“).

Neuer Befreiungsantrag von Minijobbern bei Betriebsübergang
Ein Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB begründet aus Sicht der Sozialversicherung eine neue Beschäftigung zum neuen Inhaber des Betriebes. Die alte Beschäftigung wird grds. mit dem Tag vor dem Betriebsübergang zur Sozialversicherung abgemeldet und die neue Beschäftigung ab dem Tag des Betriebsübergangs unter einer neuen Betriebsnummer angemeldet. Wenn die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht in einem Minijob gewünscht wird, der bereits vor dem Betriebsübergang zum alten Inhaber bestand, ist diese vom Arbeitnehmer (ggf. erneut) zu beantragen. Dabei ist es unerheblich, dass beim Betriebsübergang formal kein neuer Arbeitsvertrag geschlossen wird.

„Syndikusanwälte“: Keine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht

„Syndikusanwälte“: Keine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht

Kernaussage
Abhängig beschäftigten „Syndikusanwälten“ steht kein Befreiungsanspruch in der gesetzlichen Rentenversicherung zu. Für diejenigen, die bereits von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zugunsten der berufsständischen Versorgungswerke befreit sind, soll sich aus Gründen des Vertrauensschutzes nichts ändern.

Sachverhalt
Die Kläger der 3 Ausgangsverfahren hatten bei der beklagten Deutschen Rentenversicherung Bund die Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt. Die Anträge wurden abgelehnt, weil die Kläger in ihren jeweiligen Beschäftigungen keine anwaltliche Tätigkeit ausübten. Die Entscheidungen der Landessozialgerichte differierten: Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen vertrat die Auffassung, dass eine Befreiung im Falle eines Arbeitsverhältnisses mit einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber generell nicht möglich sei. Unterschiedlich urteilten die Senate des LSG Baden-Württemberg, wonach die Befreiung möglich sein sollte, sofern die Beschäftigung weder die Versagung oder Rücknahme der Anwaltszulassung noch ihren Widerruf rechtfertige oder aber bezüglich der zu beurteilenden Tätigkeit die kumulative Erfüllung der Merkmale Rechtsberatung, -entscheidung, -gestaltung und -vermittlung vorliegen müssen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat alle 3 Klagen abgewiesen.

Entscheidung
Die Regelungen des SGB VI verlangen für die Möglichkeit der Befreiung, dass der Betroffene durch ein und dieselbe Tätigkeit gesetzlich zur Mitgliedschaft in 2 verschiedenen Versorgungseinrichtungen gezwungen ist. Die Beschäftigung also die Versicherungspflicht in beiden Systemen auslöst. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die Tätigkeit als angestellter Mitarbeiter eines Unternehmens ist wesensverschieden von der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwälte sind die Unternehmensjuristen somit nur in ihrer freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb ihres Dienstverhältnisses.

Konsequenz
Wer bereits eine Befreiung erlangt hat, muss voraussichtlich nicht mit einer Aufhebung eben dieser rechnen. Allerdings besteht der Vertrauensschutz nur, soweit es zu keiner Änderung des Beschäftigungsverhältnisses kommt. Bei Änderungen von Anstellungsverträgen ist dies zu bedenken.

Kindergeld | Anspruch bei vorübergehender Rentenversicherungspflicht in Griechenland (BFH)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 5.7.2012, III R 76/10

Kindergeldanspruch eines in Deutschland selbständig tätigen Architekten, der vorübergehend noch in Griechenland rentenversichert war – Persönlicher Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 – Zusammentreffen mehrerer Ansprüche – Sondersysteme für Beamte

Leitsätze

1. Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird, bestimmt sich dies grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt.

 

2. Art. 76 der VO Nr. 1408/71 und Art. 10 der VO Nr. 574/72 sind auch dann anzuwenden, wenn der in Deutschland tätige Elternteil nicht die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 erfüllt, jedoch der andere Elternteil parallele Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum hat und selbst in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fällt, so dass über diesen die Kinder als Familienangehörige im Sinne der VO Nr. 1408/71 gelten.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau sind die Eltern der im März 2006 geborenen Tochter (T), die seit 1. August 2007 zusammen mit ihren Eltern in der Bundes-republik Deutschland (Deutschland) lebt.
2
Der Kläger ist Architekt. Als solcher war er zunächst in Griechenland selbständig tätig und dort in der Kasse für Ingenieure und Bauunternehmer für öffentliche Arbeiten (TSMEDE) rentenversichert. Jedenfalls seit 1. August 2007 erzielte der Kläger nur noch in Deutschland Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Seit 1. April 2008 ist er Mitglied des Versorgungswerks einer Architektenkammer in Deutschland.
3
Die Ehefrau des Klägers ist als vom griechischen Staat beamtete Lehrerin beschäftigt und arbeitet seit dem 31. Juli 2007 bei einem griechischen Generalkonsulat in Deutschland. Sie erhält für T 18 EUR Kindergeld vom griechischen Staat.
4
Mit Bescheid vom 28. Februar 2008 lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) den Kindergeldantrag des Klägers ab. Der Kläger sei im Wohnland des Kindes nicht erwerbstätig im Sinne des Beschlusses Nr. 207 der Verwaltungskommission der Europäischen Union, weshalb der Anspruch der Ehefrau des Klägers im Ausland nach Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72) vorrangig sei. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 9. Juni 2008 als unbegründet zurück.
5
Das Finanzgericht (FG) gab der auf das Differenzkindergeld in Höhe von monatlich 136 EUR für die Monate August 2007 bis März 2008 gerichteten Klage statt.
6
Zur Begründung ihrer hiergegen gerichteten Revision macht die Familienkasse im Wesentlichen geltend, dass die Entscheidung des FG auf einer unzutreffenden Auslegung des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71), in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 –VO Nr. 118/97– (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1997 Nr. L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 –VO Nr. 647/2005– (Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– 2005 Nr. L 117, S. 1) beruhe und damit Bundesrecht verletze.
7
Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9
II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf Differenzkindergeld für die Monate August 2007 bis März 2008 zu Recht bejaht.
10
1. Der im Streitzeitraum in Deutschland wohnhafte Kläger erfüllte unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes (EStG) für seine ebenfalls in Deutschland wohnhafte Tochter T. Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass die Anwendbarkeit dieser deutschen Rechtsvorschriften nicht durch Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen wird.
11
2. Der Kläger fällt in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71.
12
a) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316, BFH/NV 2012, 85 Rz 19) ist für die im ersten Schritt zu prüfende Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in irgendeinem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt; denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.
13
b) Nach den Feststellungen des FG war der Kläger im Streitzeitraum in Griechenland in der TSMEDE rentenversichert. Hierbei handelt es sich nach den weiteren Feststellungen des FG um ein System der sozialen Sicherheit für Selbständige i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71. Dieses ist auch nicht nach Art. 1 Buchst. j i.V.m. dem Anhang II der VO Nr. 1408/71 aus dem Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 ausgenommen. Somit war der Kläger im Streitzeitraum i.S. des Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 ein Selbständiger, für den die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats Griechenland gelten. Der persönliche Geltungsbereich ist daher eröffnet.
14
3. Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass sich aus den im zweiten Prüfungsschritt anzuwendenden Kollisionsregeln der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 eine Anwendbarkeit der deutschen Rechtsvorschriften ergibt.
15
a) Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat die abhängige Beschäftigung bzw. die selbständige Tätigkeit ausgeübt wird (so z.B. in Art. 13 Abs. 2 Buchst. a und b der VO Nr. 1408/71), bestimmt sich dies nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil in BFHE 234, 316, BFH/NV 2012, 85 Rz 28 f.) entgegen der Auffassung der Familienkasse grundsätzlich nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern –entsprechend dem insoweit eindeutigen Wortlaut der jeweiligen Bestimmung– danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Dabei ist grundsätzlich von dem bescheinigten Versichertenstatus des Versicherten auszugehen. Anzuknüpfen ist allerdings nur an diejenige(n) Tätigkeit(en), hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt.
16
b) Da der Kläger nach den Feststellungen des FG im Streitzeitraum in Deutschland die selbständige Architektentätigkeit ausgeübt hat, hinsichtlich derer er in Griechenland als Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 galt, kann sich daraus auch nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften ergeben. Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt –soweit nicht die Art. 14 bis 17 der VO Nr. 1408/71 etwas anderes bestimmen–, den Rechtsvorschriften dieses Staats, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Staats wohnt. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der Ausnahmebestimmungen der Art. 14 bis 17 der VO Nr. 1408/71 –insbesondere für eine nur vorübergehende selbständige Tätigkeit in Deutschland gemäß Art. 14a Nr. 1 der VO Nr. 1408/71 oder eine Tätigkeit in zwei oder mehr Mitgliedstaaten nach Art. 14a Nr. 2 der VO Nr. 1408/71– hat das FG nicht festgestellt. Es hat daher zu Recht die Grundregel des Art. 13 Abs. 2 Buchst. b der VO Nr. 1408/71 angewandt, wonach aufgrund der selbständigen Tätigkeit in Deutschland das Recht des Tätigkeitsstaats Anwendung findet.
17
c) Da Deutschland danach gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften der zuständige Mitgliedstaat war, kommt es auf die von der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– (Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10, C-612/10, Hudzinski, juris) geprüfte Frage, ob die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften einen Kindergeldanspruch nach §§ 62 ff. EStG ausschließen, wenn Deutschland nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der unzuständige Mitgliedstaat ist, nicht an.
18
4. Zu Recht hat das FG auch die sich aus der zeitgleichen Anspruchsberechtigung der Ehefrau des Klägers ergebende Anspruchskumulierung nach Art. 10 der VO Nr. 574/72 in ihrer durch die VO Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die VO Nr. 647/2005, aufgelöst.
19
a) Ist der Kindergeldanspruch im Wohnland des Kindes –wie hier im Falle des Wohnlands Deutschland– nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig, ist nicht Art. 76 der VO Nr. 1408/71, sondern Art. 10 der VO Nr. 574/72 anzuwenden. Insoweit kann der Senat dahingestellt lassen, ob die Einschränkungen des Anhangs I Teil I Buchst. D (entspricht Teil C in der bis April 2005 gültigen Fassung) der VO Nr. 1408/71 (vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 234, 316, BFH/NV 2012, 85 Rz 30) –wie das FG meint– nur dann zu berücksichtigen sind, wenn die Familienleistungen von einem deutschen Träger für im Ausland lebende Kinder gezahlt werden sollen. Denn hier ergibt sich eine Anwendbarkeit des Art. 10 der VO Nr. 574/72 jedenfalls daraus, dass parallele Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum bestehen und die Ehefrau des Klägers in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fällt, so dass über diese die Kinder als Familienangehörige im Sinne der VO Nr. 1408/71 einzustufen sind.
20
aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH zur Reichweite der Bestimmungen des Anhangs I der VO Nr. 1408/71 (Urteil vom 14. Oktober 2010 C-16/09, Schwemmer, Slg. 2010, I-9717 Rdnr. 38) kann die Antikumulierungsvorschrift des Art. 10 der VO Nr. 574/72 auch dann zur Anwendung kommen, wenn der nach deutschem Recht Kindergeldberechtigte die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. D der VO Nr. 1408/71 nicht erfüllt. Dies begründete der EuGH zum einen damit, dass es trotz der fehlenden Anwendbarkeitsvoraussetzungen zur Entstehung paralleler Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum kommen könne. Zum anderen verwies er unter Bezugnahme auf die Entscheidung in der Rechtssache Kromhout (EuGH-Urteil vom 4. Juli 1985 C-104/84, Slg. 1985, I-2205 Rdnr. 15) darauf, dass die Kinder als Familienangehörige des Elternteils, der Arbeitnehmer (in der Schweiz) ist, in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fallen.
21
bb) Im Streitfall fällt die Ehefrau des Klägers in den persönlichen Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71. Nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 gilt die Verordnung u.a. für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind.
22
Die Ehefrau des Klägers ist als Griechin Staatsangehörige eines Mitgliedstaats und als Beamtin dieses Mitgliedstaats Arbeitnehmerin, da unter den Arbeitnehmerbegriff auch Personen fallen, die in einem Sondersystem für Beamte erfasst werden (Art. 1 Buchst. a Ziff. i der VO Nr. 1408/71).
23
Unter den Begriff der Rechtsvorschriften fallen über Art. 1 Buchst. j Ziff. a der VO Nr. 1408/71 auch die Sondersysteme für Beamte (vgl. ausführlich Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. August 2002 VIII R 97/01, BFHE 200, 211, BStBl II 2002, 869 Rz 10). Da somit die Kinder des Klägers als Familienangehörige (Art. 1 Buchst. f Ziff. i der VO Nr. 1408/71) der Ehefrau des Klägers in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fallen (Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71) und zudem auch parallele Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum bestehen, greift Art. 10 der VO Nr. 574/72 nach beiden vom EuGH genannten Voraussetzungen ein.
24
b) Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, dass der Anspruch des Klägers auf deutsches Kindergeld nicht nach Art. 10 der VO Nr. 574/72 ausgeschlossen wird. Der Kläger hat nach den Feststellungen des FG eine Berufstätigkeit im Wohnland des Kindes (Deutschland) ausgeübt. Entgegen der Auffassung der Familienkasse ergibt sich nichts anderes auch aus dem Beschluss Nr. 207 der Verwaltungskommission der Europäischen Union für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 7. April 2006 zur Auslegung des Art. 76 und des Art. 79 Abs. 3 der VO Nr. 1408/71 sowie des Art. 10 Abs. 1 der VO Nr. 574/72 bezüglich des Zusammentreffens von Familienleistungen oder -beihilfen (ABlEU 2006 Nr. L 175, S. 83). Denn danach ist die Formulierung in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der VO Nr. 574/72 „Wird … eine Berufstätigkeit ausgeübt“ als tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger zu verstehen. Aufgrund dieser selbständigen Tätigkeit des Klägers im Wohnland des Kindes ist nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der VO Nr. 574/72 vorrangig Deutschland zur Gewährung von Familienleistungen verpflichtet.