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Ungleichbehandlung unehelicher Kinder im Erbrecht bleibt bestehen

Ungleichbehandlung unehelicher Kinder im Erbrecht bleibt bestehen

Rechtslage

Die erbrechtliche Situation unehelicher Kinder im Verhältnis zum Vater hat über die letzten 50 Jahre hinweg erhebliche Änderungen erfahren. Waren uneheliche Kinder zunächst nicht erbberechtigt, erhielten sie zwischenzeitlich einen sogenannten Erbabgeltungsanspruch; heute sind sie ehelichen Kindern in vollem Umfang gleichgestellt. Nicht zuletzt aus historischen Gründen markierte aber der 1.7.1949 weiterhin eine Grenze in der erbrechtlichen Behandlung unehelicher Kinder. Sie hatten weiterhin kein Erbrecht nach ihrem Vater. Diese Praxis wurde durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet und vom deutschen Gesetzgeber im Jahr 2011 rückwirkend dahingehend gelöst, dass mit Wirkung nach dem 28.5.2009 (Datum der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) auch vor dem 1.7.1949 geborene uneheliche Kinder mit leiblichen Kindern im Verhältnis zum Vater erbrechtlich gleich gestellt sind. D. h., der Erbfall des Vaters musste nach dem 28.5.2009 erfolgt sein. Es war am Bundesgerichtshof, nunmehr die letzte Lücke zu schließen und die erbrechtliche Lage unehelicher Kinder, die vor dem 1.7.1949 geboren wurden, im Verhältnis zum Vater zu klären, wenn der Erbfall vor dem 28.5.2009 eintrat.

Sachverhalt

Der 1940 unehelich geborene Kläger machte – gestützt auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – Pflichtteilsansprüche nach seinem im Jahre 2006 verstorbenen Vater geltend. Die rückwirkende Gleichstellung für Erbfälle ab dem 29.5.2009 sei verfassungswidrig.

Entscheidung 

Der Bundesgerichtshof wies die Klage (wie die Vorinstanzen) ab. Es sei durch sachliche Gründe gerechtfertigt gewesen, dass der Gesetzgeber eine Gleichstellung von vor dem 1.7.1949 geborenen unehelichen Kindern stichtagsbezogen erst ab dem 29.5.2009 vorgesehen habe. Insbesondere das grundrechtlich geschützte Vertrauen von Erblassern auf den Bestand und die Wirksamkeit ihrer letztwilligen Verfügungen rechtfertige es, die Gleichstellung erst ab dem Tag anzunehmen, an dem sich die Rechtslage verbindlich geändert habe. Hier hinter hätten die verfassungsrechtliche geschützten Pflichtteilsrechte des unehelichen Kindes zurück zu stehen. Darüber hinaus war der Bundesgerichtshof der Auffassung, dass sich der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entnehmen lasse, dass der Gesetzgeber seine Rückwirkung auch vor die Zeit der Entscheidung ausdehnen müsse.

Konsequenz

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sorgt für Rechtsklarheit. Für Erbfälle ab dem 29.5.2009 sind auch vor dem 1.7.1949 geborene uneheliche Kinder im Verhältnis zu ihrem Vater erbrechtlich gleichgestellt. Das bedeutet auch, dass deren Ansprüche in sämtlichen Erbfällen nach dem 29.5.2009 noch geltend gemacht werden können. Ob die Entscheidung des Bundesgerichtshofs nochmals angegriffen wird (entweder beim Bundesverfassungsgericht oder beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte), um die vollständige Gleichstellung zu erstreiten, bleibt abzuwarten.