Ungerechtfertigte Erstattung von Kapitalertragsteuer

 Die Bundesregierung kann den fiskalischen Gesamtschaden und die Gesamtsteuerausfälle durch ungerechtfertigte Erstattung von Kapitalertragsteuer im Zusammenhang mit um den Dividendenstichtag über ausländische Banken gehandelten Aktien nicht beziffern.

Die Gestaltungen seien verdeckt erfolgt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 17/13638 – PDF, 168 KB) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (BT-Drs. 17/13233 – PDF, 72 KB). Die Antwort enthält eine umfassende Darstellung dieser nach einer Gesetzesänderung nicht mehr möglichen Gestaltungen.

elektronische Vorab-Fassung*
Deutscher Bundestag Drucksache 17/13638
17. Wahlperiode 24 05. 2013
Seite 1, Mai 30, 2013, /data/bt_vorab/1713638.fm, Frame
Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 23. Mai 2013
übermittelt.
Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Antwort
der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Richard
Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 17/13233 –
Steuerausfälle durch ungerechtfertigte Erstattungen von Kapitalertragsteuer
Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r
In der Vergangenheit sind vermehrt Fälle aufgetreten, in denen Anlegerinnen
und Anleger eine Erstattung der Kapitalertragsteuer erreichen konnten, wenngleich sie keine Kapitalertragsteuer abgeführt hatten. Dies betraf insbesondere Fälle, in denen um den Dividendenstichtag Aktien über ausländische Kreditinstitute gehandelt wurden. Die Bundesregierung führte hierzu auf die Schriftliche Frage 40 auf Bundestagsdrucksache 17/11787 des Abgeordneten Richard Pitterle der Fraktion DIE LINKE. aus: „Bei dieser Art von Aktiengeschäften wurde nach der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage versucht, durch Leerverkäufe von Aktien das Auseinanderfallen der Personen, die die
Kapitalertragsteuer erheben (die ausschüttende Aktiengesellschaft) und die Kapitalertragsteuer bescheinigen (die depotführende Bank des Aktionärs), in Verbindung mit der börsenüblichen Lieferfrist von zwei Tagen auszunutzen und ungerechtfertigte Steuererstattungsansprüche geltend zu machen.“ Nach Ansicht der Bundesregierung seien derartige Gestaltungen durch eine Neuregelung des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren – OGAW-IV-Umsetzungsgesetz (OGAW-IVUmsG) – mit Wirkung ab 1. Januar 2012 nicht mehr möglich. Gleichwohl bleibt die Frage offen, in welcher Höhe dem Staat Einnahmen entgangen sind und inwieweit Kapitalanlageinstitute rechtsmissbräuchlich die beschriebenen Gestaltungen befördert haben. Weiterhin gilt es zu klären, welche Erkenntnisse die Bundesregierung über derartige Gestaltungen in der Vergangenheit bereits hatte und durch geeignete Maßnahmen diesen entgegengetreten ist.
1. Unter Ausnutzung welcher Rechtsnormen und Erhebungsverfahren wurden die beschriebenen Gestaltungen im Einzelnen umgesetzt, insbesondere in Bezug auf
a) die Anlageform,
b) die Einschaltung eines Kreditinstituts,
c) die Lieferungsfrist der Wertpapiere,
d) die Möglichkeit von Leerverkäufen,
e) den Ort des Kreditinstituts,
f) die technische Abwicklung des Börsenhandels,
g) die Art der Kapitaleinkünfte,
h) die Erhebung der Kapitalertragsteuer,
i) die Ausstellung der Bescheinigung über erhobene Kapitalertragsteuer
(bitte mit Begründung)?

2. Wie wurden die beschriebenen Gestaltungen im Zusammenspiel mit den unter der in Frage 1 genannten Rechtsnormen und Erhebungsverfahren technisch umgesetzt?

3. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen die beschriebenen Gestaltungen nicht über Aktiengeschäfte erfolgten (bitte mit Darstellung)?

4. Welche Funktion und Bedeutung hatten bei der Umsetzung der beschriebenen Gestaltungen in- und ausländische Kreditinstitute (bitte mit Darstellung und Begründung)?

Die Fragen 1 bis 4 werden wegen des Sachzusammenhangs zusammengefasst beantwortet.
Bei dem Gestaltungsmodell der Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen über ausländische Banken um den Dividendenstichtag wurde versucht, unter der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage durch planmäßiges und abgestimmtes Verhalten von mindestens zwei Marktteilnehmern das Auseinanderfallen der Personen, die Kapitalertragsteuer erheben (vgl. Nummer 1) und Kapitalertragsteuer bescheinigen (vgl. Nummer 2), auszunutzen, um unberechtigte Steueransprüche geltend zu machen. Um dies zu erreichen, wurden auch die geltenden Modalitäten in der Abwicklung börslicher und außerbörslicher Geschäfte (vgl. Nummer 3) und die Dividendenregulierung von girosammelverwahrten Aktien (vgl. Nummer 4) gezielt genutzt. Die Grundlagen und das Grundprinzip dieses Modells sind an Hand der bisherigen Erkenntnisse ausgehend von der Praxis der Abwicklung von Börsengeschäften, der Besonderheiten der Girosammelverwahrung und der bis 31. Dezember 2011 geltenden Regelungen zur Ausstellung von Steuerbescheinigungen im Folgenden dargestellt. Im Ergebnis wurde über das Gestaltungsmodell versucht, das auch nach alter Rechtslage bestehende Grundprinzip des steuerlichen Erstattungsverfahrens zu
unterlaufen, wonach nur Kapitalertragsteuer an Antragsteller erstattet werden kann, die zuvor auch abgeführt wurde.

1. Verfahren zur Erhebung der Kapitalertragsteuer

Bei der Kapitalertragsteuer auf Dividenden galt nach der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage das Schuldnerprinzip (gemäß § 44 Absatz 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a. F.). Der Schuldner der Kapitalerträge – bei Dividendenzahlungen somit die ausschüttende Aktiengesellschaft – war selbst zum Einbehalt und zur Abführung der Kapitalertragsteuer verpflichtet, d. h. es fand zum Zeitpunkt der Ausschüttung einer Dividende durch die Aktiengesellschaft (als Schuldner der Dividende) der Steuerabzug statt und nicht erst bei Auszahlung der Dividende durch ein Kreditinstitut an den Aktionär. Erst mit Wirkung ab 2012 wurde durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz vom 22. Juni 2011 (BGBl I S. 1126) bei girosammelverwahrten Aktien die Verpflichtung zum Einbehalt der Kapitalertragsteuer auf die auszahlenden Kreditinstitute verlagert (§ 44 Absatz 1 Satz 4 Nummer 3 EStG in der ab dem 1. Januar 2012 anzuwendenden Fassung).

2. Praxis der Ausstellung von Steuerbescheinigungen nach der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage

Die Bescheinigung der auf die Aktionäre entfallenden Kapitalertragsteuer erfolgte durch die depotführenden Kreditinstitute der Aktionäre (§ 45a Absatz 3 EStG). Diese Vorgehensweise ist der Tatsache geschuldet, dass die ausschüttende Aktiengesellschaft typischerweise ihre Aktionäre nicht oder zumindest nicht alle kennt. Diese Kenntnis hatte nur die depotführende Stelle, die die Aktien für den Aktionär am Dividendenstichtag verwahrt. Die bis Ende 2011 geltende Rechtslage hatte zur Folge, dass die Person, die die Kapitalertragsteuer abführte (= ausschüttende Aktiengesellschaft) nicht mit der
Person identisch war, die die Kapitalertragsteuer bescheinigte (depotführendes Kreditinstitut).

3. Praxis der Abwicklung von Börsengeschäften

Die Abwicklung von Aktiengeschäften über die Börse richtet sich nach den jeweiligen für den Börsenplatz geltenden Börsenbedingungen. Für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse gelten beispielsweise die „Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse“. Diese Bedingungen werden gemäß § 12 Absatz 2 des Börsengesetzes durch den Börsenrat erlassen. In den Bedingungen für Geschäfte an den deutschen Wertpapierbörsen ist festgelegt, dass Börsengeschäfte am zweiten Tag nach Geschäftsabschluss zu erfüllen sind. Am zweiten Tag nach Geschäftsabschluss  at der Verkäufer die Wertpapiere an den Käufer zu liefern und der Käufer der Wertpapiere den Kaufpreis zu zahlen (§ 4 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse, § 15 der Bedingungen für Geschäfte an den deutschen Wertpapierbörsen). Bei Aktienerwerben über die Börse fallen somit das Verpflichtungs- (= Kauf an der Börse) und das Erfüllungsgeschäft (= Umbuchung der Aktienbestände) zeitlich auseinander.
Der Inhalt der Lieferverpflichtung wird am Tag des Geschäftsabschlusses fixiert. Die Börsenbedingungen treffen deshalb die Regelung, dass Wertpapiere mit den Rechten und Pflichten zu liefern sind, die bei Geschäftsabschluss bestanden (§ 20 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse, § 29 der Bedingungen für die Geschäfte an den deutschen Wertpapierbörsen). Einen Anspruch auf Dividende haben diejenigen Aktionäre, die Eigentümer der Aktie zu einem bestimmten von der Hauptversammlung festgelegten Stichtag sind (sog. Dividendenstichtag). In der Regel wird als Dividendenstichtag der Tag, an dem die Hauptversammlung stattfindet, festgelegt. Da Wertpapiere mit den Rechten und Pflichten zu liefern sind, die bei Geschäftsabschluss bestanden, ist der Veräußerer bei Geschäftsabschlüssen bis
zum Dividendenstichtag einschließlich verpflichtet, Aktien mit Dividendenberechtigung zu übertragen. Der Veräußerer ist zur Lieferung von Aktien einschließlich Dividende (cum Dividende) verpflichtet, denn am Tage des Geschäftsabschlusses waren die Aktien des Veräußerers „cum Dividende“ ausgestattet. Das heißt ein Verkäufer, der die Aktien unmittelbar vor oder auch am Tag der Hauptversammlung verkauft, muss aufgrund der Börsenbedingungen dem Käufer einen Anspruch auf die Dividende verschaffen.

4. Dividendenregulierung girosammelverwahrter Aktien

Börsennotierte Aktien werden grundsätzlich nicht mehr im Rahmen der traditionellen Sonderverwahrung, bei der die Bestände für jeden Kunden getrennt verwahrt werden (§ 2 Absatz 1 des Depotgesetzes) sondern weit überwiegend in der Sammelverwahrung (§ 5 DepotG) verwahrt. Bei der Girosammelverwahrung erfolgt die Verwahrung der Aktien durch eine Wertpapiersammelbank i. S. d. § 1 Absatz 3 Depotgesetz. In Deutschland erfolgt die Girosammelverwahrung durch Clearstream Banking AG in der Funktion als zentraler Verwahrer inländischer Aktien (Zentralverwahrer). Geschäftspartner der Clearstream Banking AG sind ausschließlich inländische und ausländische Kreditinstitute. Das heißt die Clearstream Banking AG verwahrt die Aktien ausschließlich im Auftrag von Kreditinstituten. Dabei ist der Clearstream Banking AG nicht bekannt, ob und in welchem Umfang die Kreditinstitute selbst Eigentümer der Aktien sind oder ob die Kreditinstitute die Aktien lediglich im Auftrag ihrer Kunden verwahren lassen. Clearstream Banking AG kennt somit nicht die tatsächlichen Eigentümer der Aktien. Den Eigentümer kennt jeweils nur das Kreditinstitut, welches die Aktien im Eigenbesitz oder für ihre Kunden hält.Als Zentralverwahrer übernimmt Clearstream Banking AG auch zentral die Regulierung von Dividendenausschüttungen deutscher Aktien. In der Girosammelverwahrung erfolgt die Dividendenregulierung durch Clearstream Banking AG gemäß Nummer 15 Absatz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Clearstream Banking AG am Ende des Tages der Hauptversammlung. In einem ersten Schritt werden die Dividenden auf Grundlage der bei Clearstream Banking Frankfurt gebuchten Bestände am Ende des Tages der Hauptversammlung über Clearstream und die Depotbanken der Aktionäre an diese verteilt. Da es – wie oben beschrieben – bei Börsengeschäften nach Geschäftsabschluss noch zwei Tage dauert, bis Aktien auf den Erwerber umgebucht werden, enthalten die für die Dividendenverteilung relevanten Bestände bei der Clearstream Banking AG noch nicht Erwerbsvorgänge, die am Tag der Hauptversammlung und am vorherigen Tag durchgeführt wurden. In einem zweiten Schritt reguliert die Clearstream Banking AG diese bei der Verteilung der Dividende noch unberücksichtigten Erwerbsvorgänge kurz vor und am Dividendenstichtag. Dieser zweite Schritt, in dem noch offene Verkaufs- und Kaufpositionen bei der Dividendenregulierung berücksichtigt werden, wird als Market Claim Prozesses bezeichnet (vgl. Nummer