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Kapitalertragsteuer kann nur noch beschränkt angerechnet werden

Kapitalertragsteuer kann nur noch beschränkt angerechnet werden

Steuertricks mit sog. Cum/Cum-Deals sollen unterbunden werden. Zu diesem Zweck wurde der neue § 36a EStG geschaffen. Zu dieser Missbrauchsvermeidungsnorm gibt es nun ein ausführliches Anwendungsschreiben der Finanzverwaltung.

Hintergrund

Ausländische Besitzer deutscher Aktien zahlen auf ihre Dividenden rund 15 % Kapitalertragsteuer. Bei einer sog. Cum/Cum-Transaktion überträgt der ausländische Anteilseigner seine Aktien kurz vor dem Dividendenstichtag auf eine inländische Bank. Diese bezieht die Dividende. Kurz nach der Ausschüttung erwirbt der Anteilseigner die Aktien einschließlich Dividende zurück. Die Bank lässt sich die auf die Dividende abzuführende Kapitalertragsteuer anrechnen und teilt diese Steuerersparnis mit dem ausländischen Anleger.

Durch den neuen § 36a EStG ist eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer nur noch unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Neues Anwendungsschreiben

Die Finanzverwaltung hat nun ein umfassendes Anwendungsschreiben zu § 36a EStG veröffentlicht. Die wichtigsten Aussagen im Überblick:

  • Der für die Steueranrechnung erforderliche Mindesthaltezeitraum umfasst 45 Tage vor und 45 Tage nach der Fälligkeit der Kapitalerträge.
  • Voraussetzung für die Steueranrechnung ist, dass der Steuerpflichtige die Anteile oder Genussscheine ununterbrochen an mindestens 45 Tagen innerhalb des Mindesthaltezeitraums gehalten hat. Die Haltedauer beginnt an dem Tag, an dem der Steuerpflichtige das wirtschaftliche Eigentum erlangt und endet an dem Tag, an dem er das wirtschaftliche Eigentum verliert. Bei der Berechnung der Haltedauer dürfen nur diejenigen Tage einbezogen werden, an denen das wirtschaftliche Eigentum während des gesamten Kalendertags bestand.
  • Der Steuerpflichtige muss während der Mindesthaltedauer ununterbrochen das sog. Mindestwertänderungsrisiko tragen.
  • Sind die Anrechnungsvoraussetzungen nicht erfüllt, ist eine Anrechnung von 3/5 der erhobenen Kapitalertragsteuer ausgeschlossen.
  • Bei Personengesellschaften wird die anrechenbare Kapitalertragsteuer gesondert und einheitlich vom Finanzamt festgestellt. Erfüllt eine Personengesellschaft die neuen Anrechnungsvoraussetzungen nicht, beinhaltet die gesonderte und einheitliche Feststellung nur, dass weder die Anrechnungsvoraussetzungen noch der Ausnahmetatbestand erfüllt sind. Die Kapitalertragsteuer muss deshalb betragsmäßig in anrechenbare und nicht anrechenbare Kapitalertragsteuer aufgeteilt werden. Auf Ebene der Gesellschafter wird im Rahmen der Veranlagung entschieden, ob die Anrechnung tatsächlich beschränkt ist.

Ungerechtfertigte Erstattung von Kapitalertragsteuer

 Die Bundesregierung kann den fiskalischen Gesamtschaden und die Gesamtsteuerausfälle durch ungerechtfertigte Erstattung von Kapitalertragsteuer im Zusammenhang mit um den Dividendenstichtag über ausländische Banken gehandelten Aktien nicht beziffern.

Die Gestaltungen seien verdeckt erfolgt, heißt es in der Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 17/13638 – PDF, 168 KB) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (BT-Drs. 17/13233 – PDF, 72 KB). Die Antwort enthält eine umfassende Darstellung dieser nach einer Gesetzesänderung nicht mehr möglichen Gestaltungen.

elektronische Vorab-Fassung*
Deutscher Bundestag Drucksache 17/13638
17. Wahlperiode 24 05. 2013
Seite 1, Mai 30, 2013, /data/bt_vorab/1713638.fm, Frame
Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 23. Mai 2013
übermittelt.
Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Antwort
der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Harald Koch, Richard
Pitterle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 17/13233 –
Steuerausfälle durch ungerechtfertigte Erstattungen von Kapitalertragsteuer
Vo r b e m e r k u n g d e r F r a g e s t e l l e r
In der Vergangenheit sind vermehrt Fälle aufgetreten, in denen Anlegerinnen
und Anleger eine Erstattung der Kapitalertragsteuer erreichen konnten, wenngleich sie keine Kapitalertragsteuer abgeführt hatten. Dies betraf insbesondere Fälle, in denen um den Dividendenstichtag Aktien über ausländische Kreditinstitute gehandelt wurden. Die Bundesregierung führte hierzu auf die Schriftliche Frage 40 auf Bundestagsdrucksache 17/11787 des Abgeordneten Richard Pitterle der Fraktion DIE LINKE. aus: „Bei dieser Art von Aktiengeschäften wurde nach der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage versucht, durch Leerverkäufe von Aktien das Auseinanderfallen der Personen, die die
Kapitalertragsteuer erheben (die ausschüttende Aktiengesellschaft) und die Kapitalertragsteuer bescheinigen (die depotführende Bank des Aktionärs), in Verbindung mit der börsenüblichen Lieferfrist von zwei Tagen auszunutzen und ungerechtfertigte Steuererstattungsansprüche geltend zu machen.“ Nach Ansicht der Bundesregierung seien derartige Gestaltungen durch eine Neuregelung des Kapitalertragsteuerabzugsverfahrens im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren – OGAW-IV-Umsetzungsgesetz (OGAW-IVUmsG) – mit Wirkung ab 1. Januar 2012 nicht mehr möglich. Gleichwohl bleibt die Frage offen, in welcher Höhe dem Staat Einnahmen entgangen sind und inwieweit Kapitalanlageinstitute rechtsmissbräuchlich die beschriebenen Gestaltungen befördert haben. Weiterhin gilt es zu klären, welche Erkenntnisse die Bundesregierung über derartige Gestaltungen in der Vergangenheit bereits hatte und durch geeignete Maßnahmen diesen entgegengetreten ist.
1. Unter Ausnutzung welcher Rechtsnormen und Erhebungsverfahren wurden die beschriebenen Gestaltungen im Einzelnen umgesetzt, insbesondere in Bezug auf
a) die Anlageform,
b) die Einschaltung eines Kreditinstituts,
c) die Lieferungsfrist der Wertpapiere,
d) die Möglichkeit von Leerverkäufen,
e) den Ort des Kreditinstituts,
f) die technische Abwicklung des Börsenhandels,
g) die Art der Kapitaleinkünfte,
h) die Erhebung der Kapitalertragsteuer,
i) die Ausstellung der Bescheinigung über erhobene Kapitalertragsteuer
(bitte mit Begründung)?

2. Wie wurden die beschriebenen Gestaltungen im Zusammenspiel mit den unter der in Frage 1 genannten Rechtsnormen und Erhebungsverfahren technisch umgesetzt?

3. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen die beschriebenen Gestaltungen nicht über Aktiengeschäfte erfolgten (bitte mit Darstellung)?

4. Welche Funktion und Bedeutung hatten bei der Umsetzung der beschriebenen Gestaltungen in- und ausländische Kreditinstitute (bitte mit Darstellung und Begründung)?

Die Fragen 1 bis 4 werden wegen des Sachzusammenhangs zusammengefasst beantwortet.
Bei dem Gestaltungsmodell der Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen über ausländische Banken um den Dividendenstichtag wurde versucht, unter der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage durch planmäßiges und abgestimmtes Verhalten von mindestens zwei Marktteilnehmern das Auseinanderfallen der Personen, die Kapitalertragsteuer erheben (vgl. Nummer 1) und Kapitalertragsteuer bescheinigen (vgl. Nummer 2), auszunutzen, um unberechtigte Steueransprüche geltend zu machen. Um dies zu erreichen, wurden auch die geltenden Modalitäten in der Abwicklung börslicher und außerbörslicher Geschäfte (vgl. Nummer 3) und die Dividendenregulierung von girosammelverwahrten Aktien (vgl. Nummer 4) gezielt genutzt. Die Grundlagen und das Grundprinzip dieses Modells sind an Hand der bisherigen Erkenntnisse ausgehend von der Praxis der Abwicklung von Börsengeschäften, der Besonderheiten der Girosammelverwahrung und der bis 31. Dezember 2011 geltenden Regelungen zur Ausstellung von Steuerbescheinigungen im Folgenden dargestellt. Im Ergebnis wurde über das Gestaltungsmodell versucht, das auch nach alter Rechtslage bestehende Grundprinzip des steuerlichen Erstattungsverfahrens zu
unterlaufen, wonach nur Kapitalertragsteuer an Antragsteller erstattet werden kann, die zuvor auch abgeführt wurde.

1. Verfahren zur Erhebung der Kapitalertragsteuer

Bei der Kapitalertragsteuer auf Dividenden galt nach der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage das Schuldnerprinzip (gemäß § 44 Absatz 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a. F.). Der Schuldner der Kapitalerträge – bei Dividendenzahlungen somit die ausschüttende Aktiengesellschaft – war selbst zum Einbehalt und zur Abführung der Kapitalertragsteuer verpflichtet, d. h. es fand zum Zeitpunkt der Ausschüttung einer Dividende durch die Aktiengesellschaft (als Schuldner der Dividende) der Steuerabzug statt und nicht erst bei Auszahlung der Dividende durch ein Kreditinstitut an den Aktionär. Erst mit Wirkung ab 2012 wurde durch das OGAW-IV-Umsetzungsgesetz vom 22. Juni 2011 (BGBl I S. 1126) bei girosammelverwahrten Aktien die Verpflichtung zum Einbehalt der Kapitalertragsteuer auf die auszahlenden Kreditinstitute verlagert (§ 44 Absatz 1 Satz 4 Nummer 3 EStG in der ab dem 1. Januar 2012 anzuwendenden Fassung).

2. Praxis der Ausstellung von Steuerbescheinigungen nach der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage

Die Bescheinigung der auf die Aktionäre entfallenden Kapitalertragsteuer erfolgte durch die depotführenden Kreditinstitute der Aktionäre (§ 45a Absatz 3 EStG). Diese Vorgehensweise ist der Tatsache geschuldet, dass die ausschüttende Aktiengesellschaft typischerweise ihre Aktionäre nicht oder zumindest nicht alle kennt. Diese Kenntnis hatte nur die depotführende Stelle, die die Aktien für den Aktionär am Dividendenstichtag verwahrt. Die bis Ende 2011 geltende Rechtslage hatte zur Folge, dass die Person, die die Kapitalertragsteuer abführte (= ausschüttende Aktiengesellschaft) nicht mit der
Person identisch war, die die Kapitalertragsteuer bescheinigte (depotführendes Kreditinstitut).

3. Praxis der Abwicklung von Börsengeschäften

Die Abwicklung von Aktiengeschäften über die Börse richtet sich nach den jeweiligen für den Börsenplatz geltenden Börsenbedingungen. Für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse gelten beispielsweise die „Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse“. Diese Bedingungen werden gemäß § 12 Absatz 2 des Börsengesetzes durch den Börsenrat erlassen. In den Bedingungen für Geschäfte an den deutschen Wertpapierbörsen ist festgelegt, dass Börsengeschäfte am zweiten Tag nach Geschäftsabschluss zu erfüllen sind. Am zweiten Tag nach Geschäftsabschluss  at der Verkäufer die Wertpapiere an den Käufer zu liefern und der Käufer der Wertpapiere den Kaufpreis zu zahlen (§ 4 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse, § 15 der Bedingungen für Geschäfte an den deutschen Wertpapierbörsen). Bei Aktienerwerben über die Börse fallen somit das Verpflichtungs- (= Kauf an der Börse) und das Erfüllungsgeschäft (= Umbuchung der Aktienbestände) zeitlich auseinander.
Der Inhalt der Lieferverpflichtung wird am Tag des Geschäftsabschlusses fixiert. Die Börsenbedingungen treffen deshalb die Regelung, dass Wertpapiere mit den Rechten und Pflichten zu liefern sind, die bei Geschäftsabschluss bestanden (§ 20 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse, § 29 der Bedingungen für die Geschäfte an den deutschen Wertpapierbörsen). Einen Anspruch auf Dividende haben diejenigen Aktionäre, die Eigentümer der Aktie zu einem bestimmten von der Hauptversammlung festgelegten Stichtag sind (sog. Dividendenstichtag). In der Regel wird als Dividendenstichtag der Tag, an dem die Hauptversammlung stattfindet, festgelegt. Da Wertpapiere mit den Rechten und Pflichten zu liefern sind, die bei Geschäftsabschluss bestanden, ist der Veräußerer bei Geschäftsabschlüssen bis
zum Dividendenstichtag einschließlich verpflichtet, Aktien mit Dividendenberechtigung zu übertragen. Der Veräußerer ist zur Lieferung von Aktien einschließlich Dividende (cum Dividende) verpflichtet, denn am Tage des Geschäftsabschlusses waren die Aktien des Veräußerers „cum Dividende“ ausgestattet. Das heißt ein Verkäufer, der die Aktien unmittelbar vor oder auch am Tag der Hauptversammlung verkauft, muss aufgrund der Börsenbedingungen dem Käufer einen Anspruch auf die Dividende verschaffen.

4. Dividendenregulierung girosammelverwahrter Aktien

Börsennotierte Aktien werden grundsätzlich nicht mehr im Rahmen der traditionellen Sonderverwahrung, bei der die Bestände für jeden Kunden getrennt verwahrt werden (§ 2 Absatz 1 des Depotgesetzes) sondern weit überwiegend in der Sammelverwahrung (§ 5 DepotG) verwahrt. Bei der Girosammelverwahrung erfolgt die Verwahrung der Aktien durch eine Wertpapiersammelbank i. S. d. § 1 Absatz 3 Depotgesetz. In Deutschland erfolgt die Girosammelverwahrung durch Clearstream Banking AG in der Funktion als zentraler Verwahrer inländischer Aktien (Zentralverwahrer). Geschäftspartner der Clearstream Banking AG sind ausschließlich inländische und ausländische Kreditinstitute. Das heißt die Clearstream Banking AG verwahrt die Aktien ausschließlich im Auftrag von Kreditinstituten. Dabei ist der Clearstream Banking AG nicht bekannt, ob und in welchem Umfang die Kreditinstitute selbst Eigentümer der Aktien sind oder ob die Kreditinstitute die Aktien lediglich im Auftrag ihrer Kunden verwahren lassen. Clearstream Banking AG kennt somit nicht die tatsächlichen Eigentümer der Aktien. Den Eigentümer kennt jeweils nur das Kreditinstitut, welches die Aktien im Eigenbesitz oder für ihre Kunden hält.Als Zentralverwahrer übernimmt Clearstream Banking AG auch zentral die Regulierung von Dividendenausschüttungen deutscher Aktien. In der Girosammelverwahrung erfolgt die Dividendenregulierung durch Clearstream Banking AG gemäß Nummer 15 Absatz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Clearstream Banking AG am Ende des Tages der Hauptversammlung. In einem ersten Schritt werden die Dividenden auf Grundlage der bei Clearstream Banking Frankfurt gebuchten Bestände am Ende des Tages der Hauptversammlung über Clearstream und die Depotbanken der Aktionäre an diese verteilt. Da es – wie oben beschrieben – bei Börsengeschäften nach Geschäftsabschluss noch zwei Tage dauert, bis Aktien auf den Erwerber umgebucht werden, enthalten die für die Dividendenverteilung relevanten Bestände bei der Clearstream Banking AG noch nicht Erwerbsvorgänge, die am Tag der Hauptversammlung und am vorherigen Tag durchgeführt wurden. In einem zweiten Schritt reguliert die Clearstream Banking AG diese bei der Verteilung der Dividende noch unberücksichtigten Erwerbsvorgänge kurz vor und am Dividendenstichtag. Dieser zweite Schritt, in dem noch offene Verkaufs- und Kaufpositionen bei der Dividendenregulierung berücksichtigt werden, wird als Market Claim Prozesses bezeichnet (vgl. Nummer 

 

Obligationsähnliche Genussrechte – Kapitalertragsteuer – Übergang zur Abgeltungsteuer – Anfechtung einer Kapitalertragsteueranmeldung durch den Vergütungsgläubiger

Gericht: BFH 1. Senat
Entscheidungsdatum: 12.12.2012
Streitjahr: 2010
Aktenzeichen: I R 27/12
Dokumenttyp: Urteil
Normen: § 168 AO, § 20 Abs 2 S 1 Nr 7 EStG 2009, § 43 Abs 1 S 1 Nr 10 EStG 2009, § 52a Abs 10 S 7 EStG 2009, § 20 Abs 1 Nr 7 EStG 2002, § 20 Abs 2 S 1 Nr 4 S 5 EStG 2002, § 40 Abs 2 FGO, § 1 Abs 2 SolZG 1995, § 1 Abs 3 SolZG 1995, § 3 Abs 1 Nr 5 SolZG 1995, § 40 Abs 2 FGO, § 45a EStG 2009, § 44 Abs 1 EStG 2009
Obligationsähnliche Genussrechte – Kapitalertragsteuer – Übergang zur Abgeltungsteuer – Anfechtung einer Kapitalertragsteueranmeldung durch den Vergütungsgläubiger

Leitsatz

NV: Gewinne aus der Veräußerung von vor dem 1. Januar 2009 erworbenen obligationsähnlichen Genussrechten unterliegen auch nach Einführung der Abgeltungsteuer nicht dem Kapitalertragsteuerabzug.

Orientierungssatz

1. NV: Der Regelungsgehalt einer Kapitalertragsteueranmeldung ist darauf beschränkt, dass der Vergütungsschuldner die angemeldeten Beträge abzuführen hat. Da jedoch der Gläubiger der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer sowie den im Abzugsverfahren erhobenen Solidaritätszuschlag schuldet und demgemäß der Vergütungsschuldner die Steuerabzüge für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorgenommen hat, werden im Fall der Rechtswidrigkeit der nach § 168 AO fingierten Steuerbescheide rechtlich geschützte Interessen des Klägers berührt. Der Gläubiger der Kapitalerträge ist befugt, die Kapitalertragsteueranmeldung anzufechten.

 

2. NV: Die mit der Steueranmeldung verbundene Steuerfestsetzung richtet sich gegen den Vergütungsschuldner. Deshalb kann im Rahmen einer hiergegen vom Vergütungsgläubiger im Wege der sog. Drittanfechtung erhobenen Klage die Steuerfestsetzung nur darauf überprüft werden, ob der Vergütungsschuldner die Steueranmeldung vornehmen durfte. Zwar ist dies bereits dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen für den Steuereinbehalt zweifelhaft sind. Auch ist im Rahmen dieses eingeschränkten Prüfungsumfangs im Grundsatz davon auszugehen, dass der Vergütungsschuldner zum Kapitalertragsteuerabzug dann berechtigt ist, wenn er sich hierbei auf ein Schreiben des BMF stützen kann. Dieser Grundsatz ist dann zu durchbrechen, wenn die Ansicht des Vergütungsgläubigers dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen entspricht und auch aus deren Entstehungsgeschichte und Zweck kein Anhalt für ein abweichendes Regelungsverständnis besteht.

Fundstellen

NV (nicht amtlich veröffentlicht)
Verfahrensgang

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 16. Februar 2012, Az: 4 K 639/11, Urteil

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterhielt bei der Beigeladenen, einer Bank, ein Direkt-Depot, auf das im Jahre 2006 Inhaber-Genussscheine … der Y-AG zum Nominalwert von 5.160 € von der Sparkasse … übertragen worden waren. Die Genussscheine gewährten ihrem Inhaber einen gegenüber dem Gewinnanteil der Aktionäre vorrangigen Anspruch auf Gewinnausschüttung sowie auf Rückzahlung nach Beendigung der Genussscheine (§ 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 15 der Genussscheinbedingungen –GB–). Dem Inhaber standen keinerlei Teilnahme-, Mitwirkungs- oder Stimmrechte in der Hauptversammlung der Y-AG zu (§ 3 Abs. 2 GB). Sein Gewinnanteil betrug vorbehaltlich eines ausreichenden Konzernjahresüberschusses für jedes volle Geschäftsjahr 15 % des Grundbetrags von 10 € je Genussschein (§ 4 Abs. 1 Satz 1 GB); der auf den Grundbetrag entfallende und aus der sog. negativen Gesamtkapitalrendite abgeleitete Verlustanteil war gesondert auszuweisen und durch Gewinnanteile der Folgejahre auszugleichen (§ 5 GB). Nach § 15 Abs. 6 GB nahm das Genusskapital im Falle der Auflösung der Y-AG nicht am Liquidationserlös teil. Der –gegebenenfalls um noch nicht ausgeglichene Verluste gekürzte– Rückzahlungsanspruch war gegenüber den Forderungen der anderen Gläubiger nachrangig.

 

2
Nachdem die Y-AG die Genussscheininhaber am 2. Februar 2010 zur Abgabe von Verkaufsangeboten zum Kurs von 180 % aufgefordert hatte, veräußerte der Kläger seine Anteilsscheine am 1. März 2010 zu einem Preis (Kurswert) von 9.228 €. Hiervon behielt die Beigeladene Kapitalertragsteuer in Höhe von 696,60 € sowie Solidaritätszuschlag in Höhe von 38,31 € ein. Beide Beträge wurden bei der Kapitalertragsteueranmeldung vom 1. April 2010 (betreffend März 2010) berücksichtigt.

 

3
Hiergegen legte der Kläger am 13. April 2010 Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass die Genussscheine lange vor 2006 angeschafft worden seien und den Bestandsschutzregeln zur Einführung der Abgeltungssteuer unterlägen (hier: § 52a Abs. 10 Satz 7 des Einkommensteuergesetzes 2009 –EStG 2009–). Der Rechtsbehelf blieb, nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) die Beigeladene zum Einspruchsverfahren hinzugezogen hatte (§ 360 Abs. 3 der Abgabenordnung –AO–), ohne Erfolg.

 

4
Der Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben und die angemeldeten Steuerbeträge (Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag) in dem beantragten Umfang herabgesetzt (Hessisches FG, Urteil vom 16. Februar 2012 4 K 639/11, Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1163).

 

5
Mit der Revision beantragt das FA sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

6
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

7
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

8
II. Die Revision ist nicht begründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

 

9
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger anfechtungsbefugt und die Klage damit zulässig ist. Die von der Beigeladenen angemeldete Kapitalertragsteuer (§ 45a EStG 2009) steht nach § 168 AO –ebenso wie der angemeldete Solidaritätszuschlag (vgl. § 1 Abs. 2 und 3 sowie § 3 Abs. 1 Nr. 5 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 –SolZG 1995–; Blümich/ Lindberg, § 1 SolZG 1995 Rz 5)– einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Zwar ist deren Regelungsgehalt darauf beschränkt, dass die Beigeladene die angemeldeten Beträge abzuführen hat (Senatsbeschluss vom 13. August 1997 I B 30/97, BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700). Da jedoch der Kläger als Gläubiger der Kapitalerträge nach § 44 Abs. 1 Satz 1 EStG 2009 (i.V.m. § 1 Abs. 2 SolZG 1995) die Kapitalertragsteuer sowie den im Abzugsverfahren erhobenen Solidaritätszuschlag schuldet und demgemäß die Beigeladene die Steuerabzüge für Rechnung des Klägers vorgenommen hat (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG 2009 i.V.m. § 1 Abs. 2 SolZG 1995), werden im Fall der Rechtswidrigkeit der nach § 168 AO fingierten Steuerbescheide rechtlich geschützte Interessen des Klägers berührt (§ 40 Abs. 2 FGO; vgl. Senatsurteil vom 10. März 1971 I R 73/67, BFHE 102, 242, BStBl II 1971, 589; Buciek in Beermann/Gosch, AO § 168 Rz 24; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 168 Rz 16, jeweils m.w.N.).

 

10
2. Nach ständiger Rechtsprechung ist hierbei allerdings zu beachten, dass sich die mit der Steueranmeldung verbundene Steuerfestsetzung gegen den Vergütungsschuldner richtet (hier: die Beigeladene) und deshalb im Rahmen einer hiergegen vom Vergütungsgläubiger (hier: dem Kläger) im Wege der sog. Drittanfechtung erhobenen Klage die Steuerfestsetzung nur darauf überprüft werden kann, ob der Vergütungsschuldner die Steueranmeldung vornehmen durfte. Zwar ist dies bereits dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen für den Steuereinbehalt zweifelhaft sind (Senatsbeschluss vom 25. November 2002 I B 69/02, BFHE 201, 114, BStBl II 2003, 189; Senatsurteil vom 28. Januar 2004 I R 73/02, BFHE 205, 174, BStBl II 2005, 550; Senatsbeschluss vom 7. November 2007 I R 19/04, BFHE 209, 300, BStBl II 2008, 228; Buciek in Beermann/Gosch, AO § 168 Rz 25, m.w.N.). Auch ist im Rahmen dieses eingeschränkten Prüfungsumfangs im Grundsatz davon auszugehen, dass der Vergütungsschuldner zum Kapitalertragsteuerabzug dann berechtigt ist, wenn er sich hierbei –wie vorliegend– auf ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) stützen kann (vgl. zur Veräußerung obligationsähnlicher Genussrechte BMF-Schreiben vom 22. Dezember 2009, BStBl I 2010, 94, Rz 319; ebenso BMF-Schreiben vom 9. Oktober 2012, BStBl I 2012, 953, Rz 319). Gleichwohl gilt dieser Grundsatz nicht ausnahmslos. Er ist jedenfalls dann zu durchbrechen, wenn die Ansicht des Vergütungsgläubigers dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen entspricht und auch aus deren Entstehungsgeschichte und Zweck kein Anhalt für ein abweichendes Regelungsverständnis besteht. Von Letzterem ist im Streitfall auszugehen.

 

11
a) Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG 2009 wird bei Kapitalerträgen i.S. von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben; gleiches gilt für den hierauf entfallenden Solidaritätszuschlag (§ 1 Abs. 2 und 3 und § 3 Abs. 1 Nr. 5 SolZG 1995).

 

12
Zwischen den Beteiligten besteht Einvernehmen darüber, dass es sich bei den vom Kläger gehaltenen Genussscheinen um Kapitalforderungen i.S. von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 gehandelt hat und ein aus ihrer Veräußerung erzielter Gewinn die tatbestandlichen Merkmale für den Ansatz von Kapitaleinkünften nach dem –im Zuge der Einführung der Abgeltungsteuer durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630)– neu geschaffenen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG erfüllt hat.

 

13
Der Senat teilt diese Beurteilung. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2009 erfasst Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art unter der Voraussetzung, dass die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Hierzu gehörten auch die Genussrechte des Klägers; da sie keine Beteiligung an einem Liquidationserlös der Y-AG und damit keine i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2009 gesellschafterähnliche Rechtsstellung vermittelten (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 18. Mai 2005 VIII R 34/01, BFHE 210, 247, BStBl II 2005, 857; Senatsurteil vom 19. Januar 1994 I R 67/92, BFHE 173, 399, BStBl II 1996, 77; Intemann in Herrmann/Heurer/Raupach, § 20 EStG Rz 56), waren sie angesichts ihres „obligationsähnlichen“ Charakters (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. November 1992 II ZR 230/91, BGHZ 120, 141) den sonstigen Kapitalforderungen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2009 zugeordnet.

 

14
b) Kein Einvernehmen besteht zwischen den Beteiligten jedoch darüber, ob die hierdurch ausgelöste Pflicht zur Anmeldung und Abführung von Kapitalertragsteuer auch im Streitfall greift, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Genussscheine vor dem Jahre 2006 und damit vor Einführung der Abgeltungsteuer zum 1. Januar 2009 durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 erworben worden sind.

 

15
aa) Die Übergangsbestimmung des § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG 2009 sieht vor, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG in der Fassung des Art. 1 des Unternehmersteuerreformgesetzes 2008 erstmals auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen anzuwenden ist. Nach § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 1 EStG 2009 ist jedoch für Kapitalerträge aus Kapitalforderungen, die zum Zeitpunkt des vor dem 1. Januar 2009 erfolgten Erwerbs zwar Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der am 31. Dezember 2008 anzuwendenden Fassung (im Folgenden: EStG 2002), aber nicht Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 waren, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 nicht anzuwenden. Durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) wurde § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG 2009 um einen weiteren Halbsatz ergänzt, nach dem Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 auch dann vorliegen, wenn die Rückzahlung nur teilweise garantiert ist oder wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint. Letztere Regelung ist –nach Inkrafttreten einer weiteren, für das vorliegende Verfahren jedoch nicht einschlägigen Änderung des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG 2009 durch das Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010, BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394 (betreffend Stückzinsen)– heute Gegenstand des letzten Halbsatzes der Vorschrift.

 

16
bb) Das FG hat zu Recht angenommen, dass nach der Übergangsbestimmung des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG 2009 die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 auf die vom Kläger erzielten Veräußerungsgewinne keine Anwendung findet und deshalb auch ein Steuerabzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG 2009 (i.V.m. § 1 Abs. 2 und 3 sowie § 3 Nr. 5 SolZG 1995) nicht vorzunehmen war.

 

17
aaa) Auszugehen ist hierbei davon, dass die –nach den Feststellungen der Vorinstanz vor dem Jahre 2006 erworbenen– Genussscheine zwar zu Kapitalforderungen im Sinne der vor dem 1. Januar 2009 maßgeblichen Fassung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2002, nicht jedoch zu den Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 gehört haben. Diese, durch das Gesetz zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) in das Einkommensteuergesetz eingefügte Bestimmung stand im Zusammenhang damit, dass nach der gleichfalls neu gefassten Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 1990 der Begriff der steuerbaren Kapitalerträge auf Erträge aus sog. Finanzinnovationen ausgedehnt wurde und solche Einkünfte nicht nur bei Einlösung der Wertpapiere, sondern auch im Falle ihrer Veräußerung erfasst werden sollten (BTDrucks 12/6078, S. 122 f.). Demgemäß war u.a. in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c EStG 1990/1997/2002 vorgesehen, dass zu den Kapitaleinkünften auch Einnahmen aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen mit Zinsforderungen gehörten, wenn die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhing.

 

18
Der Senat lässt unbeantwortet, ob hierunter tatbestandlich auch Genussscheine fielen, die wie vorliegend sowohl im Hinblick auf ihre Verzinsung als auch bezüglich der Kapitalrückzahlung dem Risiko der Verlustbeteiligung ausgesetzt waren (vgl. zum Erfordernis der Rückzahlungsgarantie z.B. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2006 VIII R 79/03, BFHE 216, 187, BStBl II 2007, 562; v. Beckerath in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 20 Rz 405). Jedenfalls war die Neuregelung nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 5 EStG 2002 insgesamt nicht auf Genussrechte i.S. von § 43 Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 und damit auch nicht auf die vom Kläger gehaltenen Anteilsscheine anzuwenden. In den Materialen zum Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz wird hierzu erläutert, dass „bei Genußscheinen … im Sinne von § 43 Abs. 1 Nr. 2 EStG … wie bisher nur die Erträge aus der Einlösung der Wertpapiere der Einkommensteuer“ unterliegen (BTDrucks 12/6078, S. 123).

 

19
Demnach waren die Genussrechte auch im Sinne der Übergangsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 1 EStG 2009 nicht zu den Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 zu rechnen. Letzteres ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Überleitungsbestimmung, der nicht nur auf die in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 (hier: Buchst. c) EStG 2002 genannten Kapitalanlageformen, sondern auf die Gesamtregelung jener Vorschrift und damit auch auf deren Satz 5 mit der Folge verweist, dass die –nicht § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002 unterstehenden– Genussrechte insgesamt dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Sätze 1 bis 4 EStG 2002 entzogen waren; sie konnten deshalb nicht zu den in Satz 1 dieser Bestimmung genannten Kapitalanlagen gerechnet werden. Darüber hinaus entspricht nur dieses Gesetzesverständnis dem aus den Materialien zum Unternehmensteuerreformgesetz 2008 abzuleitenden Zweck des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 1 EStG 2009. Hiernach soll die mit der Einführung der Abgeltungsteuer verbundene Steuerbarkeit von Veräußerungsgewinnen für solche „Kapitalforderungen (keine Anwendung finden), die noch vor 2009 erworben wurden und nicht unter die bis Ende 2008 geltende Fassung von § 20 fielen“ (BTDrucks 16/4841, S. 73); die „bislang steuerfreie(n) Kursgewinne aus vor dem 1. Januar 2009 erworbenen zinstragenden Forderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 (sollten) auch weiterhin steuerfrei bleiben“ (BTDrucks 16/5491, S. 21).

 

20
bbb) Anderes ist nicht aus § 52a Abs. 10 Satz 7, letzter Halbsatz EStG 2009 abzuleiten, nach dem Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 auch dann vorliegen, wenn die Rückzahlung nur teilweise garantiert ist oder wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint.

 

21
Ob letztere Voraussetzung auf die vom Kläger gehaltenen Genussrechte zugetroffen hat, kann offenbleiben. Zum einen deshalb, weil § 52a Abs. 10 Satz 7, letzter Halbsatz EStG 2009 nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut unberührt lässt, dass Genussrechte nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 5 EStG 2002 insgesamt nicht den im Falle der Veräußerung oder Abtretung sog. Finanzinnovationen geltenden Besteuerungsgrundsätzen unterworfen waren; unberührt bleibt damit auch die Grundregel des § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbsatz 1 EStG 2009, nach welcher im Falle der Veräußerung der vor dem 1. Januar 2009 erworbenen Genussrechte § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 nicht anwendbar und infolgedessen ein Kapitalertragsteuerabzug nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG 2009 nicht vorzunehmen ist. Zum anderen wird dieses Verständnis durch die Entstehungsgeschichte des § 52a Abs. 10 Satz 7, letzter Halbsatz EStG 2009 gestützt. Mit der durch das Jahressteuergesetz 2009 (zunächst als zweiter Halbsatz) eingefügten Bestimmung sollte auf die Rechtsprechung des BFH reagiert werden, der zufolge eine Versteuerung von Veräußerungs- und Einlösungsgewinnen nach der sog. Marktrendite (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Sätze 2 und 3 EStG 2002) für solche Finanzanlagen ausgeschlossen war, bei denen die Ertragsebene ohne weiteres rechnerisch von einer die Vermögensebene betreffenden Wertveränderung getrennt werden konnte (z.B. BFH-Urteile vom 13. Dezember 2006 VIII R 6/05, BFHE 216, 206, BStBl II 2007, 571; VIII R 62/04, BFHE 216, 199, BStBl II 2007, 568). Darüber hinaus war nach der Rechtsprechung die Steuerbarkeit in dem Sinne beschränkt, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 nur den auf die garantierte Mindestrückzahlung einer Finanzanlage entfallenden Teil des Veräußerungsüberschusses erfasste (z.B. BFH-Urteil vom 4. Dezember 2007 VIII R 53/05, BFHE 219, 339, BStBl II 2008, 563). Der Gesetzgeber wollte beide (einzelfallbezogenen) Differenzierungen im Interesse der Handhabbarkeit des Kapitalertragsteuerabzugs nach Einführung der Abgeltungsteuer nicht fortführen. Er hat hierzu erläutert, dass der mit der Neuregelung verbundenen sog. unechten Rückwirkung kein überwiegend schutzwürdiges Vertrauen der Anleger gegenüberstehe, da sich vor Bekanntwerden der einschränkenden Rechtsprechung des BFH die Steuerbarkeit bei Veräußerung aller Finanzprodukte aus dem Gesetzeswortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG (2002) ergeben habe (BTDrucks 16/10189, S. 66 f.; Hahne/Krause, Deutsches Steuerrecht 2008, 1724, 1728; Blümich/Treiber, § 52a EStG Rz 20). In Anbetracht dessen ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die darauf ausgerichtete, in dem beschriebenen Umfang rechtsprechungskorrigierende Übergangsbestimmung des § 52a Abs. 10 Satz 7, letzter Halbsatz EStG 2009 über ihren Wortlaut hinaus Anlass geben könnte, den Kapitalertragsteuerabzug auf vor dem 1. Januar 2009 erworbene Genussrechte und damit auf Kapitalanlagen zu erstrecken, die nach der unmissverständlichen und von der Rechtsprechung auch nicht in Frage gestellten Fassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 5 EStG 2002 unabhängig davon nicht der Veräußerungsgewinnbesteuerung für Finanzinnovationen unterlagen, ob nach den Genussrechtsbedingungen die Rückzahlung des Anlagebetrags garantiert oder eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich war (gl.A. Haisch/Danz, Deutsche Steuer-Zeitung 2008, 392, 397; Elser/Bindl, Finanz-Rundschau 2010, 360, 367).

Hessisches Finanzgericht entscheidet zum Widerruf einer Bescheinigung über die abgeführte Kapitalertragsteuer im Zusammenhang mit sog. Cum-Ex-Geschäften

“Wird die Kapitalertragsteueranrechnungsbescheinigung von dem ausstellenden Kreditinstitut widerrufen, obliegt es grundsätzlich dem Steuerpflichtigen, die Erhebung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden- bzw. Dividendenkompensationszahlungen anhand anderer geeigneter Beweismittel nachzuweisen. Hierauf hat das Hessische Finanzgericht seine Entscheidung in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gestützt (Az. 4 V 1661/11), das die Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer beim Verkauf von dividendenberechtigten Aktien um den Dividendenstichtag betraf.

Die Antragstellerin betreibt ein Unternehmen, das die Verwaltung eigener Vermögenswerte, insbesondere den Handel mit Finanzinstrumenten für eigene Rechnung zum Gegenstand hatte. In den Jahren 2006 bis 2008 tätigte sie Geschäfte mit marktgängigen dividendenberechtigten Aktien deutscher Aktiengesellschaften, die überwiegend im DAX 30 und vereinzelt in M-DAX gelistet waren. Die Aktien wurden kurz vor bzw. am Tag der jeweiligen Hauptversammlung “cum dividende” gekauft und kurz nach der Dividendenzahlung wieder verkauft. Dazu hatte die Antragstellerin einer Bank, die zugleich die Konten- und Wertpapierdepots der Antragstellerin führte, einen schriftlichen Auftrag zur Ausführung von Wertpapier- und Derivatgeschäften erteilt. Die Bank bescheinigte der Antragstellerin in den Jahressteuerbescheinigungen für die Streitjahre zunächst den Einbehalt der Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge. Nachdem das Finanzamt daraufhin Körperschaftsteuerbescheide erlassen hatte, in denen jeweils Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge in beträchtlicher Höhe angerechnet worden war, erließ es im Zuge einer Betriebsprüfung bei der Antragstellerin für die Jahre 2006 bis 2008 geänderte Anrechnungsverfügungen. Darin wurde die Anrechnung der Kapitalertragsteuer gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) zurückgenommen, was zur Rückforderung der Anrechnungsbeträge nebst Festsetzung von Zinsen in erheblicher Höhe führte, weil die Bank zwischenzeitlich die Jahressteuerbescheinigungen widerrufen hatte.

Das Hessische Finanzgericht lehnte den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der geänderten Anrechnungsverfügungen für 2006 bis 2008 ab. Es entschied, dass die Voraussetzungen für eine Änderung der Anrechnungsbescheide vorgelegen hätten, weil die Antragstellerin durch ihre Angaben in den Steuererklärungen und durch die vorgelegten Bescheinigungen zu Unrecht den Eindruck erweckt habe, dass anrechenbare Kapitalertragsteuer vorliege, um die die Körperschaftsteuerschuld zu mindern sei.

Entscheidend sei, ob auf die zu erfassenden Einkünfte der Steuerabzug tatsächlich vorgenommen worden sei. Zwar habe die Antragstellerin bei Abgabe der Steuererklärungen eine Anrechnungsbescheinigung der Bank vorgelegt, was regelmäßig den Anscheinsbeweis für die Zahlung der anzurechnenden Kapitalertragsteuer erbringe. Wenn aber – wie im Streitfall – die ausstellende Bank die Bescheinigung zurückfordere, weil wegen möglicher Einschaltung einer ausländischen Depotbank begründete Zweifel an dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer auf die geleisteten Zahlungen bestünden, könne die Bescheinigung keinen Nachweis mehr für die Entrichtung der Kapitalertragsteuer bieten. Um die Anrechnung erhobener Kapitalertragsteuer zu erreichen, bedürfe es in einem solchen Fall zum Nachweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer anderer geeigneter Beweismittel. Diesen Nachweis habe die Antragstellerin aber nicht erbracht. Die Erwägung, dass das Gesetz eine mehrfache Anrechnung nur einmal entrichteter Kapitalertragsteuer zulasse, teilte das Gericht nicht.”

Hessisches FG Beschluss vom 08.10.2012 – 4 V 1661/11

Presseerklärung Hessisches Finanzgericht

 

HESSISCHES FINANZGERICHT
Geschäftsnummer: 34117 Kas s e l
Königs tor 35
4 V 1661/11 34017 Kas s e l
Pos t f a ch 10 17 40
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
-Antragstellerin-
Prozessbev.:
g e g e n
Finanzamt
-Antragsgegnerw
e g e n
Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 2006, 2007 und 2008
sowie der Zinsbescheide zur Körperschaftsteuer 2006, 2007 und 2008
hat der 4. Senat des Hessischen Finanzgerichts
am 8. Oktober 2012 beschlossen:
1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird abgewiesen.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
– 2 –
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die Aussetzung der Vollziehung der geänderten Bescheide
über die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen für die Jahre 2006 bis
2008. Streitig ist die Rückforderung der angerechneten Kapitalertragsteuer.
Die Antragstellerin betreibt ein Unternehmen, das die Verwaltung eigener Vermögenswerte,
insbesondere den Handel mit Finanzinstrumenten für eigene Rechnung
zum Gegenstand hat. Alleiniger Gesellschafter ist Herr G 1. Er ist zugleich
alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Als weiterer alleinvertretungsberechtigter
Geschäftsführer war bis zum … Herr G 2 bestellt, dessen
Geschäftsführungsbefugnis bei Rechtsgeschäften von über X EUR jedoch insoweit
eingeschränkt war, als er dafür der Zustimmung der Gesellschafterversammlung
bedurfte.
In den Jahren 2006 bis 2008 tätigte die Antragstellerin Geschäfte mit marktgängigen
Aktien deutscher Aktiengesellschaften, die überwiegend im Dax 30 und vereinzelt
im M-Dax gelistet waren. Die Aktien wurden kurz vor bzw. am Tag der
jeweiligen Hauptversammlung „cum dividende“ gekauft und kurz nach der Dividendenzahlung
wieder verkauft. Dazu hatte die Antragstellerin der BANK 1, die
zugleich die Konten- und Wertpapierdepots der Antragstellerin führte, einen
schriftlichen Auftrag zur Ausführung von Wertpapier- und Derivatgeschäften erteilt,
in dem die Einzelgeschäfte genau bezeichnet waren (vgl. Anlage 1 bis 3 zum
Antragsschriftsatz der Antragstellerin vom …). Die BANK 1 führte die erteilten
Wertpapiergeschäfte auftragsgemäß durch. Das Risiko von Kursschwankungen
sicherte die Antragstellerin mit sog. Kurssicherungsgeschäften ab. Insgesamt betrugen
die Anschaffungskosten für die von der Antragstellerin erworbenen Aktien
im Jahr 2006 X EUR, im Jahr 2007 X EUR und im Jahr 2008 X EUR. Die ausgezahlten
Netto-Dividenden wurden auf dem Konto der Antragstellerin bei der
BANK 1 gutgeschrieben. Die BANK 1 bescheinigte der Antragstellerin per Jah-
3 –
ressteuerbescheinigungen für die Streitjahre den Einbehalt der Kapitalertragsteuer
auf die Dividendenerträge.
Das Finanzamt erließ daraufhin am … einen Bescheid über Körperschaftsteuer
und Solidaritätszuschlag für 2006, in dem es Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge
in Höhe von X EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von X EUR anrechnete.
Der Bescheid über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag für 2007 erging
am … und sah eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge
in Höhe von X EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von X EUR vor. In
dem am … erlassenen Bescheid über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag
für 2008 rechnete das Finanzamt Kapitalertragsteuer auf Dividendenerträge in
Höhe von X EUR und Solidaritätszuschlag in Höhe von X EUR an.
Die in den Körperschaftsteuerbescheiden festgesetzten Beträge wurden an die Antragstellerin
erstattet. Dies führte zu einer Erstattung von X EUR in 2006, X EUR
in 2007 und X EUR in 2008. Der Bescheid für 2008 wurde am … zur Vornahme
eines Verlustrücktrages aus 2009 in Höhe von X EUR geändert, was zu einer weiteren
Erstattung von insgesamt X EUR führte. Alle erlassenen Bescheide ergingen
unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Rahmen einer bei der Antragstellerin durchgeführten Außenprüfung, die bisher
nicht abgeschlossen ist und in der es insbesondere um die Rechtmäßigkeit der Anrechnung
von Steueranrechnungsbeträgen auf Dividenden geht, wurde festgestellt,
dass die vorgenommenen Aktiengeschäfte alle außerhalb der Börse als sog. OTCGeschäfte
abgewickelt wurden. Der Aktienhandel (sog. cum/ex Modell) erfolgte
nach einer Handelsstrategie der Kanzlei K und der BANK 1 über den zwischengeschalteten
englischen BROKER B. In einem Gutachten der Kanzlei K durch Herrn
X für die BANK 1 und die Antragstellerin vom … bzw. vom … wird die Struktur
des Aktienhandels dargestellt sowie die sich daraus ergebenden steuerlichen Konsequenzen
und deren Risiken – insbesondere im Hinblick auf die ab dem
01.01.2007 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen – untersucht. Darin kommt
zum Ausdruck, dass es sich bei dem Vorverkäufer sowie dem Käufer um ein im
Ausland ansässiges Unternehmen und dem den Verkaufsauftrag ausführenden
– 4 –
Kreditinstitut um ein ausländisches handeln müsse. Zum anderen wird in dem
Gutachten ausgeführt, dass bei Leerverkäufen an die Antragstellerin die Anwendung
der Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG auf Dividendenzahlungen
ab 01.01.2007 keine für sie veränderte steuerliche Situation mit sich bringe.
Die Analyse des Aktienhandels aufgrund der Konto- und Depotauszüge der
BANK 1 ergab, dass es in allen Streitjahren zu Lieferverzögerungen gekommen
ist, so dass die Aktien zum Teil „T+3“ (d.h. mit einer Verzögerung von drei Tagen),
aber auch „T+4“ ins Depot der Antragstellerin eingebucht wurden.
Nachdem der Betriebsprüfer den zuständigen Veranlagungsteilbezirk am … über
die bei der Antragstellerin vorgefundenen OTC-Geschäfte und die Lieferverzögerungen
bei einer Anzahl von Aktienlieferungen informiert hatte, erließ das Finanzamt
am … geänderte Anrechnungsverfügungen für die Jahre 2006 bis 2008.
Darin wurde die Anrechnung der Kapitalertragsteuer gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3
AO zurückgenommen und folgende Anrechnungsbeträge sowie Zinsen zurückgefordert:
Kalenderjahr Kapitalertragsteuer Solidaritätszuschlag Zinsen
2006 X EUR X EUR X EUR
2007 X EUR X EUR X EUR
2008 X EUR X EUR X EUR
Gesamt X EUR X EUR X EUR
Gegen die geänderten Anrechnungsverfügungen wandte sich die Antragstellerin
mit dem Einspruch und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Über den Einspruch
hat das Finanzamt noch nicht entschieden. Am … hat die Antragstellerin
in der Sache Untätigkeitsklage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 4 K 172/12
beim hiesigen Gericht anhängig ist. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
wies das Finanzamt durch Bescheid vom … zurück. Zwischenzeitlich hatte die
BANK 1 mit Schreiben vom … die der Antragstellerin ausgestellten Jahressteuerbescheinigungen
zurückgefordert und das Finanzamt mit Schreiben vom … über
die Rückforderung informiert.
– 5 –
Das Finanzamt begründete die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung insbesondere
damit, dass die Anrechnungsverfügungen rechtswidrig seien, da die Voraussetzungen
für die Anrechnung der Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2
Satz 2 EStG nicht vorlägen. Durch den Widerruf der Jahressteuerbescheinigungen
fehlten bereits die tatbestandsmäßig für die Anrechnung erforderlichen Steuerbescheinigungen.
Demzufolge treffe die Antragstellerin die Beweislast dafür, dass
tatsächlich Kapitalertragsteuer auf die Dividendenbezüge einbehalten worden sei.
Diesen Nachweis habe die Antragstellerin nicht erbracht. Die Einschaltung des
ausländischen Brokers BROKER B, London erhärte zudem im Zusammenhang
mit den getroffenen Feststellungen der Außenprüfung über die Abwicklung der
Aktiengeschäfte nach der Handelsstrategie der steuerlichen Berater die Vermutung,
dass die Kapitalertragsteuer nicht – wie zunächst bescheinigt – einbehalten
und abgeführt worden sei.
Unabhängig vom Fehlen der erforderlichen Bescheinigungen sei die Antragstellerin
aber auch deshalb nicht Anrechnungsberechtigte nach § 20 Abs. 2a Satz 1
EStG, da sie nicht wirtschaftlicher Eigentümer (§ 39 AO) der von ihr erworbenen
Aktien und damit nicht Anteilseigner gewesen sei.
Demgegenüber trägt die Antragstellerin vor, dass es für die Änderung der Anrechnungsverfügung
bereits an einem rechtswidrigen Verwaltungsakt fehle, weil
die Anrechnungsvoraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG vorlägen. Sie meint,
dass sie zum Zeitpunkt der Dividendenausschüttung wirtschaftliche Eigentümerin
und damit als Anteilseignerin zur Anrechnung von Kapitalertragsteuer berechtigt
gewesen sei. Dies gelte selbst im Fall von sog. Leerverkäufen. Dass die Kapitalertragsteuer
erhoben worden sei, ergebe sich bereits aus der Auszahlung der um die
Kapitalertragsteuer gekürzten Netto-Dividende bzw. der Netto-Dividenden-
Kompensationzahlung. Dabei sei evident, dass die hier betroffenen M-Dax- bzw.
Dax 30-Aktiengesellschaften die Kapitalertragsteuer auch abgeführt hätten. Durch
die Vorlage der Jahressteuerbescheinigung habe die Antragstellerin den Nachweis
für die Erhebung der Kapitalertragsteuer erbracht. Dass die Bescheinigung unrichtig
sei, habe das Finanzamt nicht nachgewiesen. Ebenso wie das Risiko der Nicht-
6 –
abführung von Kapitalertragsteuer den Fiskus treffe, gelte dies auch für das Risiko
der Nichtaufklärbarkeit der Frage, ob Kapitalertragsteuer erhoben worden sei,
da die, die Bescheinigung ausstellende Bank, ebenso Verwaltungshelfer und Beliehene
des Fiskus sei. Die Steuerbescheinigungen hätten ihre Tatbestandswirkung
für die Anrechnung der Kapitalertragsteuer auch nicht ex-tunc durch das Rückforderungsverlangen
der BANK 1 verloren. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung
sei der Widerruf einer bereits erteilten Steuerbescheinigung mit Tatbestandswirkung
irrelevant. Dass die ausgestellte Steuerbescheinigung objektiv richtig
sei, ergebe sich bereits aus der Regelung des § 45a Abs. 3 EStG. Danach habe
ein inländisches Kreditinstitut die Steuerbescheinigung zu erteilen, wenn es für
Rechnung des Schuldners die Dividenden bzw. Dividenden-
Kompensationszahlungen auszahle. Es komme dabei nicht darauf an, welches
Kreditinstitut auf Veräußerseite eingeschaltet gewesen sei. Die BANK 1 sei auch
bei einem Leerverkauf gezwungen gewesen, die Bescheinigung unabhängig vom
Geschehen auf der Veräußerungsseite auszustellen. Selbst eine doppelte Anrechnung
von Kapitalertragsteuer stehe der Rechtmäßigkeit der Bescheinigung demzufolge
nicht entgegen. Da nach § 45a Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz EStG der Emittent
der Aktien in den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG ebenfalls als Schuldner
der Kapitalerträge gelte, würde er damit nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG als
Schuldner der Abzugssteuer fingiert. Bei der Beurteilung, ob der Steuerabzug
durchgeführt worden ist, komme es daher nur darauf an, dass der Emittent der Aktien
diesen vorgenommen habe, was nicht ernsthaft zweifelhaft sei. Unabhängig
davon lägen hier die Änderungsvoraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO auch deshalb
nicht vor, weil kein Erwirken der Anrechnung durch die Antragstellerin vorliege.
Zwischenzeitlich sind am …: X €, am …: X € von Haftungsschuldnern und am …
X € von der Antragstellerin auf ihre Steuerschuld gezahlt und entsprechend der
Tilgungsbestimmungen verrechnet worden.
Die Antragstellerin hat daraufhin ihren ursprünglichen Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide, soweit die Steuerschulden ge-
7 –
tilgt wurden, in einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung umgestellt. Sie beantragt
nunmehr:
1. Die Vollziehung der Bescheide über die geänderte Anrechnung von
Steuerabzugsbeträgen und Körperschaftsteuer für 2006, 2007 und 2008 sowie
der Bescheide über Zinsen für Körperschaftsteuer für 2006, 2007 und
2008, alle vom …, ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung ohne Sicherheitsleistung in der Höhe auszusetzen,
in der Zahlungen an den Antragsgegner noch nicht erfolgt sind;
2. soweit Zahlungen an den Antragsgegner erfolgt sind, die Vollziehung der
Bescheide über die geänderte Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und
Körperschaftsteuer für 2006, 2007 und 2008 sowie der Bescheide über Zinsen
zur Körperschaftsteuer für 2006, 2007 und 2008, alle vom …, ohne Sicherheitsleistung
ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung
aufzuheben.
3. hilfsweise, die Beschwerde zum Bundesfinanzhofs zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er verweist darauf, dass die Änderung der ursprünglichen Anrechnungsverfügungen
wegen fehlender anrechenbarer Kapitalertragsteuer nach § 130 Abs. 2 AO
rechtmäßig sei. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sei vorliegend nicht auf
die Besteuerung der (Ur-) Dividende mit der Anrechnung der Steuerabzugsbeträge,
die vom Schuldner der Kapitalerträge, dem Emmitent der Aktien nach § 44
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 EStG abgeführt wurde, abzustellen. Denn die Antragstellerin
habe hier Dividendenausgleichszahlungen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr.
1 Satz 4 EStG vereinnahmt, die in Höhe der Netto-Dividenden von dem BROKER
B auf das Konto der Antragstellerin bei der BANK 1 überwiesen worden seien.
Auch gelte der Emittent der Aktien für die Anwendung des § 45a Abs. 3 Satz 1
EStG gemäß § 45a Abs. 3 Satz 3 EStG zwar als Schuldner der Kapitalerträge –
nicht aber als Schuldner der Kapitalertragsteuer. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4
– 8 –
EStG habe das für den Verkäufer der Aktien den Verkaufsauftrag ausführende
inländische Kreditinstitut den Steuerabzug vorzunehmen. Folglich sei bei den
Dividendenausgleichszahlungen nicht wie bei der (Ur-)Dividende der Emittent
der Aktien der Entrichtungspflichtige, sondern die Depotbank des
(Leer-)Verkäufers. Für das Jahr 2006 sei ohnehin kein Steuerabzug auf Dividendenausgleichszahlungen
erfolgt, da diese erst ab 01.01.2007 geschaffenen gesetzlichen
Voraussetzungen für die Erhebung der Steuerabzugsbeträge auf Dividendenausgleichszahlungen
noch nicht existent gewesen seien. Mit dem Fehlen der
Erhebung der Kapitalertragsteuer sei damit die zwingende Voraussetzung für deren
Anrechnung im Rahmen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ausgeschlossen.
Dem Gericht haben die Verwaltungsakten zur Steuernummer vorgelegen. Sie
waren Gegenstand des Verfahrens.
II.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht begründet.
Nach dem Gesetz (§ 69 Abs. 3 und 2 FGO) kann das Gericht die Vollziehung eines
Steuerbescheides auf Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise aussetzen
bzw. aufheben, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides
bestehen oder wenn die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige,
nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
hätte. Da dem Steuerpflichtigen durch eine Aussetzung der Vollziehung nur ein
vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden soll, beschränkt sich das Verfahren auf
eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des zwischen den
Beteiligten unstreitigen Sachverhaltes und der vorliegenden Beweismittel. Diese
Prüfung ergibt folgendes:
Nach summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der angefochtenen Verwaltungsakte. Das Finanzamt hat die ursprüngli-
9 –
chen Anrechnungsverfügungen 2006 bis 2008 zutreffend nach § 130 Abs. 2 Nr. 3
AO geändert und die zunächst steuermindernd berücksichtigte Kapitalertragsteuer
zu Recht nicht auf die Körperschaftsteuerschuld angerechnet.
1. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt
zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt
hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Diese
Regelung gilt auch für Anrechungsverfügungen, wenn und soweit diese -wie
vorliegend – als Verwaltungsakt anzusehen sind.
Im Streitfall liegen insoweit nach summarischer Prüfung die Voraussetzungen für
eine Änderung der Anrechnungsbescheide vor, da die Antragstellerin durch ihre
Angaben in den Steuererklärungen und die vorgelegten Bescheinigungen zu Unrecht
den Eindruck erweckt hatte, dass anrechenbare Kapitalertragsteuer vorliege,
um die die Körperschaftsteuerschuld zu mindern sei. Diese daraufhin erfolgte Anrechnung
der Kapitalertragsteuer durch Bescheide vom …, … und … war rechtswidrig.
a. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG wird auf die Einkommensteuer/
Körperschaftsteuer die durch Steuerabzug erhobenen Einkommensteuer/
Körperschaftsteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten
Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt ist. Die
durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer wird nicht angerechnet, wenn die
in § 45a Abs. 2 oder 3 EStG bezeichnete Bescheinigung nicht vorgelegt worden
ist.
„Erhoben“ im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ist die in Form der Kapitalertragsteuer
erhobene Einkommensteuer bereits dann, wenn sie vom Schuldner der
Kapitalerträge für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge einbehalten wurde.
Auf die Abführung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer an das Finanzamt
kommt es dabei nicht an.
– 10 –
Allerdings muss die anzurechnende Kapitalertragsteuer dabei auf solche Einkünfte
entfallen, die bei der Einkommensteuerveranlagung erfasst wurden. Für Kapitaleinkünfte
bestimmt § 20 Abs. 2a EStG, dass der Anteilseigner Einkünfte aus
Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG erzielt. Anteilseigner
ist derjenige, dem nach § 39 AO die Anteile im Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses
zuzurechnen sind. Das kann nach § 39 Abs. 2 AO auch ein wirtschaftlicher
Eigentümer sein, der wie ggf. bei „cum-/ex-Geschäften“ nicht
zugleich Inhaber der Aktien ist. Durch die Einführung der Regelung des § 20 Abs.
1 Nr. 1 Satz 4 EStG kann es für die Frage der Anrechnungsberechtigung jedoch
bei Aktienverkäufen dahinstehen, ob bei Leerverkäufen das wirtschaftliche Eigentum
bereits mit Kaufvertragsabschluss übergeht. Denn der Steuerpflichtige, der
gerade nicht wirtschaftlicher Eigentümer geworden ist, hat die Dividendenkompensationszahlungen
als Kapitaleinkünfte zu versteuern, so dass jedenfalls Einkünfte
im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vorliegen, die entweder im Rahmen
des Satzes 1 oder des Satzes 4 zu erfassen sind.
Für die Anrechnungsberechtigung kommt es daher nicht darauf an, ob die Einnahmen
nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 oder Satz 4 EStG zu erfassen sind; entscheidend
ist vielmehr, ob hinsichtlich der bei der Veranlagung zu erfassenden
Einkünfte eine Erhebung der Kapitalertragsteuer vorliegt. Es kommt also darauf
an, ob auf die zu erfassenden Einkünfte der Steuerabzug vorgenommen wurde.
Die Beweislast für die Erhebung der Kapitalertragsteuer trifft nach allgemeinen
Grundsätzen denjenigen, der die Anrechnung begehrt (Kirchhoff, Kommentar
zum Einkommensteuergesetz, § 36 EStG, Rn. D171). Dies ist im Streitfall die Antragstellerin.
b. Vorliegend hat die Antragstellerin diesen Nachweis nicht erbracht. Zwar hat
die Antragstellerin bei der Abgabe der Steuererklärung eine Anrechnungsbescheinigung
der Bank nach § 45a Abs. 2 EStG vorgelegt, die regelmäßig den Anscheinsbeweis
für die Zahlung der anzurechnenden Kapitalertragsteuer liefert.
– 11 –
Diese Anrechnungsbescheinigung hat die ausstellende Bank jedoch widerrufen.
Damit entfällt auch die ihr innewohnende Beweisvermutung.
Soweit die Antragstellerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung darauf verweist,
dass es ausreiche, wenn die Anrechnungsbescheinigung vorgelegen habe, mit der
Folge, dass auch bei Widerruf der Anrechnungsbescheinigung die Voraussetzungen
für die Anrechnung noch bestünden, verkennt die Antragstellerin die doppelte
Funktion, insbesondere den Beweiswert dieser Bescheinigung. Zweck der Bescheinigung
ist zum einen die besondere Nachweisfunktion für die entrichtete
Kapitalertragsteuer. Sie liefert den Anscheinsbeweis für die Entrichtung der Kapitalertragsteuer
auf die erhaltenen Zahlungen. Zum anderen ist die Bescheinigung
materiell-rechtliche Voraussetzung und Tatbestandsmerkmal für die Anrechnung
(BFH-Urteil vom 12.02.2008 VII R 33/06, BFH/NV 2008, 845). Liegt die Bescheinigung
nicht vor, ist das zusätzliche Tatbestandsmerkmal zur Anrechnung
der Kapitalertragsteuer nicht erfüllt (BFH-Urteil vom 29.04.2008, VIII R 28/07,
BStBl II 2009, 842). Selbst wenn man unter Hinweis auf die Rechtsprechung
(BFH-Beschluss vom 20.08.2007 I B 98/07, BFH/NV 2007, 2276) die Meinung
vertritt, dass durch die Rückforderung der Anrechnungsbescheinigung das Tatbestandsmerkmal
der Vorlage einer Anrechnungsbescheinigung nach § 45a Abs. 2
EStG nicht entfällt, wird jedenfalls die Anscheinsbeweisfunktion durch den Widerruf
der Bescheinigung beseitigt.
Soweit die ausstellende Bank die Bescheinigung zurückfordert, weil – wie im
Streitfall – wegen möglicher Einschaltung einer ausländischen Depotbank begründete
Zweifel an dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer auf die geleisteten Ertragszahlungen
bestehen, kann die Bescheinigung keinen Beweis mehr für die
Entrichtung der Kapitalertragsteuer bieten. Um die Anrechnung erhobener
Kapitalertragsteuer zu erreichen, bedarf es demzufolge zum Nachweis für die Erhebung
der Kapitalertragsteuer anderer geeigneter Beweismittel. Diesen Nachweis
hat die Antragstellerin trotz ausdrücklichen Hinweises des Finanzamtes nicht erbracht.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass hier der Emittent der Aktien (DAX
30-Unternehmen) den Steuerabzug auf die Dividende vorgenommen hat, hätte die
– 12 –
Antragstellerin für diesen Fall glaubhaft machen müssen, dass es sich hier nicht
um Aktienleerverkäufe gehandelt hat und dass sie zum Zeitpunkt der Ausschüttung
wirtschaftliche Eigentümerin der Aktien war. Dies hat sie weder hinreichend
dargelegt noch glaubhaft gemacht.
c. Soweit die Antragstellerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung (BFH-Urteil
vom 23.04.1996, VIII R 30/93, BFHE 181, 7) ausführt, dass es nicht darauf ankomme,
ob die Kapitalertragsteuer tatsächlich abgeführt worden sei, betrifft dies
nur solche Fälle, in denen die Abzugssteuer von den Erträgen auch tatsächlich
einbehaltenen wurde. Dies folgt aus der Erwägung, dass sich der Fiskus beim
Einzug der Kapitalertragsteuer des Schuldners der Kapitalerträge als „Verwaltungsgehilfen“
bedient, der Gläubiger der Kapitalerträge (Steuerschuldner) den
Steuereinbehalt dulden muss und auf die Abführung der eingehaltenen Kapitalertragsteuer
durch den Schuldner der Kapitalertragsteuer regelmäßig keinen Einfluss
nehmen kann. Vor diesem Hintergrund ist es geboten, das Risiko der Nichtabführung
der Kapitalertragsteuer durch den Schuldner der Kapitalerträge und den
Ausfall der Kapitalertragsteuer dem Fiskus zuzuweisen, der sich des Schuldners
der Kapitalerträge als „Verwaltungshelfer“ bedient (BFH-Urteil vom 23.04.1990
a.a.O.). Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor, da nicht hinreichend
glaubhaft gemacht worden ist, dass Kapitalertragsteuer auf die Dividendenerträge
bzw. die Ausgleichszahlungen tatsächlich einbehalten wurde. Der Umstand, dass
nur die Gutschrift der Nettodividende bei der depotführenden Bank des Gläubigers
der Kapitalerträge erfolgt, besagt nicht, dass die Depotbank des Schuldners
der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer auf die Kapitalerträge auch einbehalten
hat. Eine Verpflichtung zur Einbehaltung der Kapitalertragsteuer auf dividendengleiche
Bezüge besteht insoweit nur bei inländischen Instituten (§ 44 Abs. 1 Satz
3 EStG). Zumindest in den Fällen, in denen nicht ersichtlich ist, ob es sich bei der
depotführenden Bank um ein inländisches Institut handelt, kann nicht unterstellt
werden, dass die Kapitalertragsteuer einbehalten wurde. Es ist daher fernliegend,
die depotführende Bank, insbesondere, wenn es sich um ein ausländisches Institut
– 13 –
handelt, als Verwaltungshelfer des Fiskus anzusehen. Solange die Bank keine Kapitalertragsteuer
einbehalten hat, besteht keinerlei Beziehung zu der depotführenden
Bank.
Zwar mag es zutreffen, dass bei Ausstellung einer Steuerbescheinigung das Risiko
für deren Falschausstellung in der Sphäre der Finanzverwaltung liegt. Dem Fiskus
jedoch darüber hinaus auch die Nachweispflicht aufzuerlegen, wenn keine Steuerbescheinigung
vorgelegt oder eine solche widerrufen wurde, führt jedoch zu weit.
Da die depotführende Bank, die die Aktien für den Kapitalanleger verwaltet und
die bei Auszahlung der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer einzubehalten hat,
in diesen Fällen ihre Verwaltungshelferrolle gerade nicht nachgekommen ist bzw.
sich von ihrem Handeln distanziert hat, ist die Nachweispflicht insoweit dem
Sphärenbereich des Kapitalanlegers, hier der Antragstellerin, zuzuordnen.
d. Soweit die Antragstellerin ferner ausführt, dass es wegen der gesetzlichen Fiktion
des § 45a Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz EStG, nach der der Emittent der Aktien
als Schuldner der Kapitalerträge gilt, für die Durchführung des Steuerabzugs nur
darauf ankommt, dass dieser den Steuerabzug ausgeführt habe, wovon im Streitfall
zweifelsfrei auszugehen sei, ist dies rechtsirrig. Denn nach der Norm gilt der
Emittent nur als Schuldner der Kapitalerträge. Er wird darüber hinaus nicht als
Schuldner der Abzugssteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG fingiert. Dass die Abführung
der Kapitalertragsteuer durch den Emittenten der Aktien für die Erhebung
der Steuer auf Dividendenkompensationszahlungen nicht ausreicht, ergibt sich
bereits aus dem Sinn und Zweck der Neuregelung des Jahressteuergesetzes 2007.
Danach soll die Depotbank eines Leerverkäufers nunmehr gerade verpflichtet
sein, Kapitalertragsteuer auf die Ausgleichzahlung einzubehalten und an ihr Betriebsstättenfinanzamt
abzuführen (§ 44 Abs. 1 Satz 3, 5 EStG). Erklärtes gesetzgeberisches
Ziel war es dabei, durch Einführung eines neuen Kapitalertragssteuererhebungstatbestandes
in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG „dem Fiskus die Kapitalertragsteuer
betragsmäßig zur Verfügung zu stellen, die dem Anrechnungsanspruch
des Aktienerwerbers entspricht“. Die Auslegung der Antragstellerin
– 14 –
widerspricht diesem Gesetzeszweck. Dass der Gesetzgeber mit seiner Regelung
auf halben Weg stehen geblieben sein soll, ändert dabei nichts an dem im Gesetzestext
niedergelegten Zweck der gesetzlichen Regelung.
e. Soweit die Antragstellerin unter Hinweis auf den Gesetzestext in § 45a Abs. 3
Satz 1 EStG ausführt, die BANK 1 habe die Bescheinigung zu erteilen, unabhängig
davon, ob die Kapitalertragsteuer tatsächlich gezahlt worden sei, ist dies unzutreffend.
Die Antragstellerin verkennt dabei, dass die Bescheinigung nicht nur
Tatbestandsmerkmal des § 45a Abs. 2 EStG ist, sondern insbesondere
auch Beweismittelfunktion hat. Zweck der Bescheinigung ist gerade der Nachweis
einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer auf die zugeflossenen Erträge
(BFH-Urteil vom 29.04.2008 VIII R 28/07, BStBl II 2009, 842). Sofern diese zu
beweisende Tatsache nicht vorliegt, darf demgemäß auch keine Bescheinigung
ausgestellt werden. Alles andere würde die „Verwaltungshelferrolle“ der Bank ad
absurdum führen. Wenn das Gesetz von einer Verpflichtung zur Ausstellung der
Bescheinigung spricht, bezieht sich dies auf den Regelfall und setzt angesichts
des Regelungszwecks denklogisch voraus, dass auch Kapitalertragsteuer erhoben
wurde. Die Bescheinigung würde entwertet, wenn trotz begründeter Zweifel an
der Erhebung von Kapitalertragsteuer das die Bescheinigung ausstellende inländische
Kreditinstitut gleichwohl dessen Zahlung bescheinigen müsste. Der Fiskus
hat demzufolge in seinen Verwaltungsanweisungen (BMF-Schreiben vom
05.11.2002, BStBl I 2002, 1338) die Kriterien festgelegt, nach denen abweichend
vom Regelfall begründete Zweifel an der Einbehaltung der Kapitalertragsteuer
bestehen, die der Ausstellung einer Steuerbescheinigung entgegenstehen.
Insbesondere die Haftungsregelung des § 45a Abs. 7 EStG bei falschen Bescheinigungen
impliziert, dass die inhaltliche Richtigkeit der zu bescheinigenden Tatsachen
(und zwar in erster Linie die Erhebung der Kapitalertragsteuer) maßgebend
ist. Von dem ausstellenden Kreditinstitut kann daher nicht die Bestätigung
von Inhalten verlangt werden, von denen es nicht nur keine positive Kenntnis hat,
sondern bei denen darüber hinaus noch begründete, in den BMF-Schreiben konkretisierte
Zweifel an der Richtigkeit des Inhaltes der Bescheinigung bestehen.
Des Weiteren ergibt sich durch den in § 45a Abs. 2 Satz 1 KStG niedergelegten
– 15 –
Vorbehalt bezüglich der Regelungen in Abs. 3 und 4 der Norm, dass diese Verpflichtung
nur besteht, wenn die Kapitalerträge durch ein inländisches Institut
gezahlt werden. Bestehen – wie im Streitfall – begründete Anhaltspunkte dafür,
dass es sich bei der depotführenden Bank um ein ausländisches Institut handelt,
besteht nach der gesetzlichen Regelung keine Verpflichtung zur Erteilung der
Steuerbescheinigung.
f. Die Ansicht der Antragstellerin, die Kapitalertragsteuer sei wegen der gesetzlichen
Regelung auch ggf. doppelt anzurechnen, obwohl sie nur einmal abgeführt
worden sei, ist abwegig. Sie widerspricht bereits dem Grundverständnis der Kapitalertragsteuer
als Abzugssteuer. Die Kapitalertragsteuer ist keine Steuer eigener
Art, sondern eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer in Form einer
Einkommensteuervorauszahlung für Rechnung des Gläubigers bestimmter Kapitalerträge
(BFH-Urteil vom 18.02.1970 I R 97/66, BStBl II 1970, 464). Die
Rechtsprechung hat in ihren Entscheidungen die in § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG
getroffene Regelung stets „wirtschaftlich“ verstanden und die Einbehaltung der
Kapitalertragsteuer als Grundvoraussetzung für deren Anrechnung angesehen
(vgl. nur BFH-Urteil vom 23.04.1996 VIII R 30/93, BFHE 181,7; Urteil vom
20.10.2010 I R 54/09, BFH/NV 2011, 641). Diesen Grundsätzen widerspricht die
formaljuristische Auslegung der Antragstellerin, die mit dem steuerrechtlichen
Grundprinzipien der Anrechnung von Abzugssteuern nicht in Einklang zu bringen
ist. Im Sachzusammenhang mit der Systematik der Anrechnung der Kapitalertragsteuer
als Abzugsteuer ist eine Gesetzesauslegung dahingehend, dass eine
Anrechnung erfolgen kann, ohne dass Abzugssteuern einbehalten wurden, nicht
vertretbar. Es ist evident, dass als Vorauszahlung nur Steuern angerechnet werden
können, die auch tatsächlich erhoben worden sind.
2. Mangels hinreichender Glaubhaftmachung der Erhebung von Kapitalertragsteuer
auf die erhaltenen Kapitalerträge durch die Antragstellerin liegen daher die
Voraussetzungen der Anrechnung des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG im Ergebnis nicht
vor. Der ursprüngliche Anrechnungsbescheid ist somit rechtswidrig und kann
– 16 –
nach § 130 Abs. 2 AO geändert werden. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen sind
im Streitfall bei summarischer Prüfung gegeben.
a. Der Umstand, dass die Steuerbescheinigung durch die BANK 1 erst nach
Durchführung der Änderung des Anrechnungsbescheides widerrufen wurde,
schließt die Änderung des ursprünglichen Bescheides nicht aus. Soweit es für die
Aufhebung oder Änderung eines Bescheides entscheidend auf die Sachlage zur
Zeit des Erlasses des Verwaltungsaktes ankommt, lagen bereits zu diesem Zeitpunkt
die Tatbestandsvoraussetzungen der Änderungsnorm vor. Da die Antragstellerin
den Nachweis der Erhebung der Kapitalertragsteuer nicht erbracht hat, ist
bereits zu diesem Zeitpunkt die Anrechnung rechtswidrig. Der zunächst bestehende
Anscheinsbeweis aufgrund der Bescheinigung der BANK 1 hat sich durch den
Widerruf dieser Bescheinigung als nicht haltbar erwiesen und führt, da keine Änderung
der Sach- und Rechtslage eingetreten ist, zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes
ex tunc.
b. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin liegt im Streitfall auch ein „Erwirken“
der Anrechnung durch die Antragstellerin vor. Ein solches Erwirken ist, wie
das Finanzgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 08.12.2009 15 K 6030/09 B
(die Aufhebung des Urteils durch den BFH erfolgte aus anderen Gründen, vgl.
BFH-Urteil vom 09.12.2010 VII R 3/10, BFH/NV 2011, 750) zutreffend ausgeführt
hat (ebenso BFH-Urteil vom 22.08.2006 I R 42/05, BFH/NV 2007, 404) bereits
dann gegeben, wenn die Antragstellerin – wie vorliegend – durch Vorlage
einer unrichtigen Bescheinigung die Anrechnung der Kapitalertragsteuer verursacht
hat. Ohne die Angaben in den Körperschaftsteuererklärungen und insbesondere
ohne die Vorlage der Steuerbescheinigung hätte das Finanzamt die Kapitalertragsteuer
nicht angerechnet.
c. Die Frist des § 130 Abs. 3 AO steht einer Änderung der Anrechnungsverfügung
ebenfalls nicht entgegen. Nach § 130 Abs. 3 Satz 1 AO ist die Rücknahme eines
rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres nach
Kenntnis des Finanzamts von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen
– 17 –
möglich. Soweit es mehrere Tatsachen sind, die jede für sich nicht geeignet ist,
Zweifel an der Richtigkeit der Anrechnungsverfügung zu begründen, die aber zusammengenommen
die Rechtmäßigkeit der Änderung der Anrechnungsverfügung
ergeben, liegt der die Frist auslösende Umstand erst vor, wenn die Tatsachen kumulativ
vorliegen, die zur Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung führen.
Da das Finanzamt vorliegend erst sukzessive im Rahmen der Außenprüfung
Kenntnis von Tatsachen erlangt hat, die auf einer Rechtswidrigkeit der Anrechnung
schließen ließen und die zur Zurückforderung der Bankbescheinigung führten,
war die Jahresfrist zum Zeitpunkt des Erlasses der geänderten Anrechnungsbescheide
vom … noch nicht abgelaufen. So hat das Finanzamt unter anderem erst
durch die Antwort auf die Prüfungsanfragen Nr. … vom … erfahren, dass es sich
bei den vorliegenden Geschäften um OTC-Geschäfte handelte und dass es – was
noch später bekannt wurde – bei einer Vielzahl der Transaktionen zu Lieferverzögerungen
gekommen ist.
d. Darüber hinaus ist die Frist des § 130 Abs. 3 Satz 1 AO vorliegend auch unbeachtlich,
da nach summarischer Prüfung vorliegend eine Rücknahme der Anrechnungsverfügung
auch nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO möglich war. Nach § 130
Abs. 2 Nr. 2 AO darf ein Verwaltungsakt, der einen rechtserheblichen Vorteil begründet,
nach § 130 Abs. 3 Satz 2 AO außerhalb der Jahresfrist des Satzes 1 zurückgenommen
werden, wenn er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung,
erwirkt worden ist. Arglistige Täuschung ist eine bewusste vorsätzliche
Irreführung, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Sie kann auch in dem pflichtwidrigen
Verschweigen entscheidungserheblicher Tatsachen bestehen (von Wedelsstädt
in Beermann/Gosch, AO/FGO-Kommentar, § 130 AO, Rn. 10, BFHUrteil
vom 23.07.1998, VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433).
Davon ausgehend liegt arglistiges Handeln, das eine Änderung nach § 130 Abs. 3
Nr. 2 AO rechtfertigt, dann vor, wenn ein Steuerpflichtiger die Anrechnung von
Kapitalertragsteuern in seiner Steuererklärung, ggf. durch Vorlage von Kapitalertragsteuerbescheinigungen,
in Kenntnis der Nichteinbehaltung der geltend gemachten
Abzugssteuern, geltend macht.
– 18 –
aa. Vorliegend hatte die Antragstellerin nach summarischer Prüfung Kenntnis von
der Nichteinbehaltung der geltend gemachten Kapitalertragsteuer, so dass eine
Änderung der Anrechnungsverfügungen auch nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO gerechtfertigt
ist.
Der Antragsgegner weist zutreffend darauf hin, dass die Handelsstrategie nach
dem „Modell X“ ersichtlich darauf beruht, durch die Einschaltung einer ausländischen
Depotbank eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer auf Aktienleerverkäufe
zu erhalten, ohne dass auf die Aktienkompensationszahlungen Kapitalertragsteuer
durch die ausländische Bank entrichtet wurde. Die Notwendigkeit der
Einschaltung einer ausländischen Depotbank ergibt sich dabei aus dem Gutachten
von Herrn X vom …, wo es heißt, dass es sich bei dem Vorverkäufer und dem
Verkäufer um ein im Ausland ansässiges Unternehmen handelt (Anlage AG 8,
Seite 5, 1. Aufzählungspunkt, Satz 5 „Anlagenband Finanzamt“). Weiterhin wird
auf dem Schaubild in der Anlage 1 zu dem genannten Gutachten (Anlage AG 8,
Seite 45 a.a.O.) auf den ausländischen Verkäufer und Vorverkäufer verwiesen.
Insbesondere aber das Schreiben von Herrn X vom … an die BANK 1, in dem er
ausführt, dass die Strategie auch nach 2007 noch funktioniere, wenn das den Verkaufsauftrag
ausführende Kreditinstitut für den im Ausland ansässigen Verkäufer
ein ausländisches, nicht jedoch – wie § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG dies verlangt – ein
inländisches Kreditinstitut ist (Anlage AG 6, Seite 2, letzter Absatz a.a.O.), weist
darauf hin, dass die Einschaltung einer ausländischen Depotbank Voraussetzung
bei den Aktienverkäufen entsprechend dem vorgegebenen Muster war.
Nur vor diesem Hintergrund, der Anrechnung nicht gezahlter Kapitalertragsteuer
machte das genannte Modell wirtschaftlich einen Sinn. Die Einschaltung eines
ausländischen Brokers sowie die nicht termingerechte Erfüllung bei einzelnen
Transaktionen und die Einschaltung von Herrn X als Berater der Antragstellerin
bei Anbahnung und Abwicklung der Geschäfte lassen bei summarischer Prüfung
darauf schließen, dass es sich vorliegend um Aktienverkäufe nach dem im Gutachten
vorgegebenen Muster handelte. Zwar weist die Antragstellerin zutreffend
– 19 –
darauf hin, dass ausländische Broker sich auch einer inländischen Depotbank bedienen
könnten. Diese theoretische Möglichkeit ist jedoch praktisch auszuschließen,
da sie bei der o.g. Handelsstrategie wirtschaftlich keinen Sinn macht.
bb. Soweit die Antragstellerin ausführt, dass sie mit der Handelsstrategie lediglich
Arbitragegewinne haben erzielen wollen, ist dies nicht glaubhaft. Der Antragsgegner
weist zutreffend darauf hin, dass die gewählte Gestaltung unter Einschaltung
der BANK 1 für die behauptete Arbitragestrategie viel zu kostenintensiv und
der Handel Antragstellerin/Broker der kürzere, günstigere und risikolosere Weg
gewesen wäre. Im Einzelnen wird insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des
Antragsgegners in seinem Schriftsatz vom … verwiesen. Auch widerspricht die
gewählte Gewinnverteilung dem Vorliegen von Arbitragegeschäften. Es wäre unter
wirtschaftlichen Gesichtspunkten bei Arbitragegeschäften nicht nachvollziehbar,
warum die Antragstellerin 65 % des durch sie zu erzielenden Kapitalertragsteueranrechnungsvolumens
an die BANK 1 London hätte zahlen sollen.
Vielmehr sprechen sowohl die Gewinnverteilungsvereinbarung als
auch die gewählte Gestaltung bei summarischer Prüfung für das Vorliegen von
Aktienleerverkaufsgestaltungen.
Aufgrund der genannten Umstände ergibt sich nach summarischer Prüfung zur
Überzeugung des Gerichts, dass den vorliegend geltend gemachten Kapitalertragsteueranrechnungen
Aktienleerverkäufe unter Einschaltung einer ausländischen
Depotbank zugrunde liegen, bei denen keine Kapitalertragsteuer auf die
Aktienkompensationszahlungen einbehalten wurde.
Dass der Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter der Antragstellerin, Herr G
1, die näheren Einzelheiten der Handelsstrategie kannte, ergibt sich bei summarischer
Prüfung zum einen bereits aus der Höhe des eingesetzten Kapitals von rund
15 Milliarden Euro. Es erscheint lebensfremd, dass ein kapitalmarkterfahrener
Investor wie Herr G 1 solche Beträge einsetzt, ohne das Risiko zu kennen und dazu
die Einzelheiten der Handelsstrategie geprüft zu haben. Zum anderen lässt der
Umstand, dass Herr G 1 der eigentliche Initiator der Geschäfte war, der sich aktiv
– 20 –
auf die Suche nach Herrn X und der BANK 1 begeben hat (vgl. Schreiben der
BANK 2 vom …, Anlage …, vom … Anlage …, und vom …, Anlage … a.a.O.)
sowie der Umstand, dass Herr G 1 bei der BANK 1 angefragt hat, ob sie in der
Lage sei, die Struktur nach dem Gutachten X umzusetzen (vgl. Email von Herrn
vom …, Anlage … a.a.O.) darauf schließen, dass Herrn G 1 zumindest die wesentlichen
Punkte der Handelsstrategie bekannt waren, er die Sache überblickt
und damit wissentlich gehandelt hat.
Mit dem Geltendmachen von nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer als Abzugssteuer
im Rahmen der Körperschaftsteuererklärung in Kenntnis des Umstandes,
dass dem bescheinigten Kapitalertragsteuerbetrag keine einbehaltene Steuer
zugrunde lag, täuschte er den Antragsgegner nach Aktenlage über das Vorliegen
der Voraussetzungen einer Steueranrechnung. Er handelte damit arglistig, um sich
nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu verschaffen. Dass er dabei auf die Anrechnung
von nicht einbehaltener Abzugssteuer vertraut hat, widerspricht elementaren
Grundsätzen der Plausibilität im System der Steueranrechnung und kann nur als
Schutzbehauptung angesehen werden.
3. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Vollziehung der geänderten
Anrechnungsverfügungen auch nicht bereits deshalb auszusetzen, weil die Vollziehung
der Bescheide eine unbillige nicht durch überwiegend öffentliche Interessen
gebotene Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO darstellt. Eine unbillige
und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor,
wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides
wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der
eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer wieder gut zu
machen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen
Existenz des Steuerpflichtigen führen würde (BFH-Beschluss vom
05.03.1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325). Anhaltspunkte hierfür sind im
Streitfall nicht ersichtlich. Zwar handelt es sich hier um eine überdurchschnittlich
hohe Forderung, die jedoch lediglich die Rückzahlung bereits ausgezahlter Gelder
betrifft. Bei dem Geschäftsvolumen der Antragstellerin dürfte sie in der Lage
– 21 –
sein, sich zum Ausgleich der Forderung notfalls die erforderlichen Gelder von
ihrem Alleingesellschafter, dessen Vermögen sie einsetzt und verwaltet, zu beschaffen.
Auch hat der Ausgleich eines Großteils der Forderungen gezeigt, dass
die Antragstellerin über Finanzierungsmöglichkeiten verfügt, die über das Übliche
hinausgehen. Abgesehen davon führt vorliegend wegen der geringen Aussichten
der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren das Vorliegen einer unbilligen
Härte nicht zur Aussetzung der Vollziehung.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
5. Gründe, die die Zulassung der Beschwerde rechtfertigen, sind nicht ersichtlich.

Anrechnung von Kapitalertragsteuer auf Fondserträge

Anrechnung von Kapitalertragsteuer auf Fondserträge

Einführung

Thesaurierende Investmentfonds schütten ihre Erträge nicht an die Anteilseigner aus, sondern verwenden diese zum Erwerb weiterer Vermögenswerte. Dennoch gelten die Erträge als beim Anteilseigner zugeflossen und sind der Einkommensbesteuerung zu unterwerfen. Die auf die Erträge entfallende Kapitalertragsteuer wird bei ausländischen Fonds erst im Zeitpunkt der Veräußerung der Fondsanteile einbehalten und abgeführt.

Sachverhalt

Der Kläger erhielt von seiner Mutter im Jahr 1998 Anteile an einem thesaurierenden ausländischen Fonds geschenkt, die er in 2004 veräußerte. Die depotverwahrende Bank ermittelte den Gesamtbetrag der thesaurierten Erträge bis zum Verkaufstag und führte die daraus resultierende Zinsabschlagsteuer sowie den Solidaritätszuschlag an das Finanzamt ab. Der Kläger gab in seiner Steuererklärung 2004 keine Einnahmen im Zusammenhang mit den Fondsanteilen an, beantragte jedoch die Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Zinsabschlagsteuer sowie des Solidaritätszuschlags. Das beklagte Finanzamt hingegen erfasste die thesaurierten Erträge, soweit sie auf noch nicht festsetzungsverjährte Jahre entfielen, anteilig als Einnahmen und ließ auch die Zinsabschlagsteuer und den Solidaritätszuschlag nur anteilig zur Anrechnung zu. Es ging stillschweigend davon aus, dass die thesaurierten Erträge in der Vergangenheit weder bei der Mutter noch beim Kläger versteuert wurden. Der Kläger hatte schließlich vor dem BFH Erfolg.

Entscheidung des BFH

Die Anrechnung von Kapitalertragsteuer kann nur insoweit erfolgen, als die entsprechenden Kapitalerträge auch als Einnahmen versteuert wurden. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen durch die rechtliche Verknüpfung zwischen Einkünftebesteuerung und Kapitalertragsteuerabzug Steuerausfälle und Steuerverkürzungen vermieden werden. Dies setzt keine Personenidentität zwischen demjenigen, der die Kapitalerträge erzielt und demjenigen, der den Kapitalertragsteuerabzug begehrt, voraus. Es kommt lediglich darauf an, dass im Ergebnis die Erfassung der Kapitalerträge gewährleistet ist. Allerdings bemängelte der BFH, dass sich das FG lediglich auf die Annahme des Finanzamtes gestützt habe, die Einnahmen seien bei der Mutter des Klägers nicht besteuert worden und könnten auch wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr besteuert werden, ohne dies eingehend geprüft zu haben. Der BFH verwies den Fall daher zurück an das FG. Sollte das FG zu dem Ergebnis gelangen, dass die Mutter die Erträge tatsächlich nicht versteuert hat, ist der vom Finanzamt ergangene Steuerbescheid rechtmäßig.

Konsequenz

Seit dem 1.1.2009 unterliegen Kapitalerträge, die über eine inländische Bank erzielt werden, regelmäßig dem Abgeltungsteuersatz von 25 % (zzgl. Solidaritätszuschlag). Da die Bank den Steuerabzug vornimmt, müssen die Erträge vom Steuerpflichtigen nicht mehr in die Steuererklärung aufgenommen werden. Hiervon ausgenommen sind aber ausschüttungsgleiche Erträge aus ausländischen thesaurierenden Fonds. Diese sind in den bescheinigten Kapitalerträgen der Banken nicht enthalten und müssen vom Steuerpflichtigen weiterhin in der Anlage KAP aufgeführt werden.