FG Niedersachsen, Urteil vom 26.08.2025 – 12 K 250/11 (Mitteilung vom 08.10.2025)
Revision zugelassen – Grundsatzentscheidung zur zeitlichen Anwendung und zu den Veräußerungskosten nach § 17 EStG erwartet.
Hintergrund: Herabsenkung der Wesentlichkeitsgrenze
Mit dem Steuersenkungsgesetz vom 26. Oktober 2000 wurde die sogenannte Wesentlichkeitsgrenze des § 17 EStG – also die Beteiligungsschwelle, ab der Veräußerungsgewinne aus Anteilen an Kapitalgesellschaften steuerpflichtig sind – von 10 % auf 1 % gesenkt.
Die Neuregelung gilt seit dem 1. Januar 2002.
Diese Absenkung hatte erhebliche verfassungsrechtliche und praktische Folgen: Sie führte dazu, dass bereits geringe Beteiligungen steuerlich erfasst werden konnten – auch dann, wenn der Wertzuwachs der Anteile bereits vor der Gesetzesverkündung entstanden war.
Der Streitfall
Im nun entschiedenen Fall hatte der Rechtsvorgänger der Kläger im Jahr 2002 Anteile von über 1 % an einer GmbH gewinnbringend veräußert. Das Finanzamt behandelte den Gewinn als steuerpflichtig nach § 17 EStG.
Zur Ermittlung des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns stellte es – in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvR 748/05) – auf den gemeinen Wert der Anteile zum 26.10.2000 (Tag der Gesetzesverkündung) ab. Damit sollten Wertzuwächse, die vor diesem Stichtag entstanden waren, von der Besteuerung ausgenommen werden.
Die Kläger argumentierten dagegen, der maßgebliche Zeitpunkt müsse der 1. Januar 2002 – also der Inkrafttretenszeitpunkt der Neuregelung – sein.
Die Entscheidung des FG Niedersachsen (12. Senat)
Der 12. Senat bestätigte die Sichtweise des Finanzamts:
👉 Maßgeblich sei der gemeine Wert zum 26. Oktober 2000, dem Tag der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes.
Zur Begründung verwies das Gericht auf die ständige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, nach der der Gesetzgeber mit der Verkündung den Vertrauenstatbestand beendet. Damit ist ein Schutz von Wertzuwächsen, die nach der Verkündung eintreten, verfassungsrechtlich nicht mehr geboten.
Interessant ist, dass der Senat Zweifel daran äußerte, ob überhaupt eine Freistellung der vor der Verkündung entstandenen Wertzuwächse verfassungsrechtlich zwingend erforderlich sei.
Da eine Verböserung (also eine für die Kläger nachteiligere Entscheidung) gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO unzulässig war, blieb diese Frage jedoch nicht entscheidungserheblich.
Rechtsverfolgungskosten – keine Veräußerungskosten i.S.d. § 17 EStG
Ebenfalls von großer praktischer Bedeutung ist die zweite Aussage des Urteils:
Steuerberatungskosten, die im Zusammenhang mit einem Rechtsbehelfsverfahren über die Steuerpflicht eines Veräußerungsgewinns entstehen, stellen keine Veräußerungskosten i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG dar.
Begründung: Diese Kosten werden nicht durch den Veräußerungsvorgang selbst, sondern durch den nachgelagerten Streit über dessen steuerliche Behandlung veranlasst. Sie sind daher nicht einkünftemindernd im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen.
Revision zugelassen – Grundsatzfragen offen
Das FG Niedersachsen hat die Revision zum BFH zugelassen.
Es ist daher zu erwarten, dass der Bundesfinanzhof die verfassungsrechtliche Relevanz des Stichtags 26.10.2000 sowie die Abgrenzung von Rechtsverfolgungskosten und Veräußerungskosten in einem Grundsatzurteil klären wird.
Praxishinweis
- Bei der Veräußerung von GmbH-Anteilen sollte sorgfältig geprüft werden, welche Wertzuwächse steuerpflichtig sind und welche aufgrund verfassungsrechtlicher Schutzwirkungen außer Ansatz bleiben.
- Steuerberatungskosten im Rahmen von Einsprüchen oder Klagen gegen die Steuerfestsetzung sind nicht als Veräußerungskosten abziehbar, können aber ggf. als Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastung geprüft werden.
- Bis zur Entscheidung des BFH empfiehlt sich, entsprechende Fälle offen zu halten (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Quelle:
Niedersächsisches Finanzgericht, Mitteilung vom 08.10.2025 zum Urteil vom 26.08.2025 – 12 K 250/11, Newsletter 11/2025