Vorerbin muss nicht im Interesse der Vorerben-Erbin betreut werden

Der Betreuer der Vorerbin, den der Erblasser selbst zum Nacherben bestimmt hat, ist nicht gehalten, die Vorerbschaft auszuschlagen, damit die Vorerbin einen ihr dann zustehenden Pflichtteil verlangen kann, der dann nach ihrem Tode wiederum ihrer Erbin zu Gute kommt. Das hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.05.2017 entschieden und damit das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Münster vom 23.08.2016 (Az. 16 O 71/16 LG Münster) bestätigt.

Die in Amsterdam lebende Klägerin ist als Großnichte die alleinige Erbin der im Juni 2015 im Alter von 65 Jahren verstorbenen Witwe. Die Witwe war mit dem im März 2015 im Alter von 75 Jahren verstorbenen Erblasser verheiratet. Die Eheleute hatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament im Jahre 2008 gegenseitig als Alleinerben und die Klägerin als Schlusserbin eingesetzt.

Nach der Testamentserrichtung erkrankte die Ehefrau (und spätere Witwe) an Alzheimer und wurde von ihrem Ehemann (dem späteren Erblasser) versorgt. Als sich der Erblasser nicht mehr in der Lage sah, seine Angelegenheiten und die Angelegenheiten seiner Frau zu regeln, schlug er den mit ihm befreundeten Beklagten aus Coesfeld als Betreuer für sich und seine Frau vor. Der Beklagte wurde daraufhin im Mai 2013 zum Betreuer für den Erblasser und dessen Ehefrau bestellt.

Im November 2013 widerrief der Erblasser seine im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen (sodass diese unwirksam wurden). Der Erblasser errichtete ein neues Testament, mit dem er seine Ehefrau als Vorerbin und den Beklagten und dessen Ehefrau als Nacherben einsetzte. Einige Monate später adoptierte der Erblasser den Beklagten.

Nach dem Tode der Witwe schlug die Ehefrau des Beklagten die Nacherbschaft aus. Seitdem ist der Beklagte Alleinerbe des Erblassers. Als testamentarische Alleinerbin ihrer Großtante und Witwe hat die Klägerin vom Beklagten Auskunft über den Nachlass des Erblassers zu seinem Todeszeitpunkt und die Zahlung eines Viertels seines Nachlasses als Pflichtteil, hilfsweise Schadensersatz für einen ihrer Großtante entgangenen Pflichtteil verlangt. Ihren Anspruch hat sie mit ca. 67.500 Euro beziffert.

Die Klägerin hat gemeint, dass sie die der Witwe nach dem Tode des Erblassers angefallene Vorerbschaft noch habe ausschlagen können und deswegen als Erbin der Witwe den dann zu ihrem Vermögen gehörenden Pflichtteilsanspruch geltend machen könne. Jedenfalls schulde der Beklagte Schadensersatz in Höhe des Pflichtteilsanspruchs, da er als Betreuer der Ehefrau des Erblassers verpflichtet gewesen sei, die Vorerbschaft auszuschlagen, um der Ehefrau den für sie günstigeren Pflichtteilsanspruch zu sichern. Die Vorerbschaft habe die Ehefrau aufgrund ihrer schweren Erkrankung und vor dem Hintergrund ausreichend vorhandenen eigenen Vermögens und Einkommens nicht nutzen können.

Die Klage ist erfolglos geblieben. Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat der Klägerin weder den geltend gemachten Pflichtteil noch einen Schadensersatzanspruch zugesprochen. Der Klägerin stehe kein erbrechtlicher Pflichtteilsanspruch zu, so der Senat. Die Ehefrau des Erblassers sei seine Vorerbin geworden. Die Vorerbschaft hätten weder der Beklagte als ihr damaliger Betreuer noch – wirksam – die Klägerin ausgeschlagen. Die von der Klägerin erklärte Ausschlagung sei verfristet gewesen. Für die Ausschlagung gelte eine Frist von sechs Wochen, die zu dem Zeitpunkt, in dem die Ehefrau des Erblassers gestorben sei, bereits verstrichen gewesen sei.

Der Klägerin stehe gegen den Beklagten auch kein Schadensersatzanspruch zu. Die Entscheidung des Beklagten, die Vorerbschaft der Ehefrau des Erblassers nicht auszuschlagen, habe bei der betreuten Ehefrau keinen Vermögensschaden verursacht. Die betreute Ehefrau des Erblassers habe durch die Annahme der Vorerbschaft vermögensmäßig besser dagestanden, als wenn sie die Vorerbschaft ausgeschlagen hätte. Als Vorerbin habe sie – im Rahmen der gesetzlichen Regelungen – über zur die zur gesamten Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen dürfen. Ein Pflichtteilsanspruch der Betreuten hätte sich demgegenüber lediglich auf ein Viertel des Nachlasswertes belaufen. Dass die Erbschaft – anders als der Pflichtteilsanspruch – beim Tod der betreuten Vorerbin nicht in ihren Nachlass falle, begründe keinen ersatzfähigen Vermögensschaden der Betreuten. Auf einen Schaden der Klägerin als Erbin der Betreuten komme es insoweit nicht an.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig (Az. BGH-Az.: IV ZR 179/17).

Quelle: OLG Hamm, Pressemitteilung vom 05.02.2018 zum Urteil 10 U 72/16 vom 11.05.2017 (nrkr – BGH-Az.: IV ZR 179/17)