Die kirchensteuerlichen Regelungen, nach denen die Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehegatten für die Bemessung des Kirchgelds auch dann am Einkommen beider Ehegatten gemessen wird, wenn dieser über ein eigenes Einkommen verfügt, bewegen sich innerhalb des den Religionsgemeinschaften eröffneten Gestaltungsspielraums.
Sachverhalt
Die Klägerin wurde mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer 2015 und 2016 veranlagt. Die Klägerin unterlag der evangelischen Kirchensteuerpflicht; ihr Ehemann gehörte keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft an. Die Einkommensteuerbescheide enthielten jeweils die Festsetzung eines besonderen Kirchgelds gegen die Klägerin, das von dem zu versteuernden Einkommen der Eheleute unter Berücksichtigung von Freibeträgen für zwei Kinder ermittelt worden war. Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch und beantragte die Festsetzung von Kircheneinkommensteuer nach Maßgabe ihres Einkommens gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (Kirchensteuergesetz – KiStG BW). Sie verfüge über eigenes Einkommen, das für die Kirchensteuer maßgeblich sei. Die Kirche dürfe nur ihre Mitglieder besteuern. Bei eigenem Einkommen des kirchenangehörigen Ehegatten einer glaubensverschiedenen Ehe müsse die Kirche dieses Einkommen besteuern. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. Dezember 1965 (1 BvR 606/60, BStBl I 1966 S. 196), das für alle Behörden und Gerichte bindend sei. Dementsprechend schreibe § 19 Abs. 4 KiStG BW vor, dass sich die Kirchensteuer nach dem Anteil des Kirchenmitglieds an der gemeinsamen Einkommensteuer bemesse. Diese zwingende Vorschrift gehe der „Kann-Vorschrift“ über das besondere Kirchgeld vor. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Aus den Gründen
Rechtmäßigkeit des besonderen Kirchgelds
Der 3. Senat bestätigte die Rechtmäßigkeit des besonderen Kirchgelds. Die Erhebung eines besonderen Kirchgelds sei nicht nur in den Fällen zulässig, in denen der – mit seinem nichtkirchenangehörigen Ehegatten zusammenveranlagte – kirchenangehörige Ehegatte über kein eigenes Einkommen verfüge. Den Religionsgemeinschaften sei es im Rahmen ihres Besteuerungsrechts (Art. 140 Grundgesetz i. V. m. Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung) nicht verwehrt, für die Erhebung der Kirchensteuer neben dem Einkommen andere, nach eigenen Kriterien gestaltete Besteuerungsmaßstäbe heranzuziehen. Der ihnen dabei eröffnete Gestaltungsspielraum sei grundsätzlich weit. Dieser Gestaltungsspielraum erlaube es den Religionsgemeinschaften, die Kirchensteuer entweder als Zuschlag zur Einkommensteuer oder als besonderes Kirchgeld von Kirchensteuerpflichtigen, deren Ehegatte keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört, als eigenständige Steuer zu erheben.
Rechtsgrundlagen des besonderen Kirchgelds
Gemäß § 1 Abs. 1 KiStG BW können u.a. die Kirchen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, zur Deckung ihrer Bedürfnisse von ihren Angehörigen Steuern erheben. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KiStG BW können die Steuern erhoben werden u.a. als Zuschlag zur Einkommensteuer (Nr. 1 Buchst. a) oder nach Maßgabe des Einkommens (Nr. 1 Buchst. b) oder als besonderes Kirchgeld von Kirchensteuerpflichtigen, deren Ehegatte oder Lebenspartner keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört (Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe oder glaubensverschiedener Lebenspartnerschaft; Nr. 5).
Die auf der Grundlage von § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 KiStG BW erlassene Steuerordnung der Evangelischen Kirche in Baden (KiStO Baden) regelt in § 4, dass die Kirchensteuern u. a. als Zuschlag zur Einkommensteuer (Nr. 1) oder als besonderes Kirchgeld von Kirchensteuerpflichtigen, deren Ehegatte keiner steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört (Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe, Nr. 4), erhoben werden können. Von Kirchenmitgliedern, deren Ehefrau oder Ehemann keiner kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaft angehört und die nicht nach dem Einkommensteuergesetz getrennt oder besonders veranlagt werden, wird nach den Kirchensteuerbeschlüssen Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe gemäß § 4 Nr. 4 KiStO Baden nach einer gestaffelten Tabelle mit 13 Stufen erhoben. Die Bemessungsgrundlage ist das gemeinsam zu versteuernde Einkommen unter sinngemäßer Anwendung des § 51a Abs. 2 EStG (im Wesentlichen die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Kinderfreibeträgen).
Keine entgegenstehende Rechtsprechung des BVerfG
Der Festsetzung des besonderen Kirchgelds stehe das von der Klägerin angeführte Urteil des BVerfG vom 14. Dezember 1965 nicht entgegen. Das Urteil des BVerfG habe eine Verfassungsbeschwerde gegen eine finanzgerichtliche Entscheidung zu einer Regelung in der Hamburgischen Kirchensteuerordnung betroffen, wonach die Kirchensteuer bei getrennt veranlagten Eheleuten nach der Hälfte der zusammengerechneten Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben wurde, wenn nur ein Ehegatte der Kirche angehörte (Halbteilungsgrundsatz). Das BVerfG habe der Verfassungsbeschwerde stattgegeben. Nicht entschieden habe das BVerfG hingegen über die Zulässigkeit der Erhebung eines besonderen Kirchgelds. Es habe vielmehr lediglich – ohne dass es darauf für die konkrete Entscheidung ankam – angemerkt, dass es unbillig erscheinen könne, wenn ein einer steuerberechtigten Kirche angehörender Ehegatte, dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sich durch die Ehe erhöht habe, weil sein – der Kirche nicht angehörender – Ehegatte ein hohes Einkommen beziehe, mangels eigenen Einkommens im Sinne des EStG kirchensteuerfrei bliebe. Gegenstand der Besteuerung dürfe dann nicht das Einkommen (im Sinne des Einkommensteuerrechts) des anderen Ehegatten sein, sondern könne etwa der „Lebensführungsaufwand“ des kirchenangehörigen Ehegatten sein. Diese Ausführungen, die letztlich bei einigen Religionsgemeinschaften zur Einführung eines besonderen Kirchgelds geführt hätten, entfalte als nicht entscheidungserhebliches obiter dictum keine Bindungswirkung.
Keine entgegenstehende Rechtsprechung des BFH
Aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Oktober 2005 (BStBl II 2006, 274) ergebe sich nichts anderes. Das Urteil habe die Festsetzung eines besonderen Kirchgelds gegen einen kirchenangehörigen Steuerpflichtigen betroffen, der selbst keine eigenen Einkünfte erzielt habe, während der nichtkirchenangehörige Ehegatte das Familieneinkommen erwirtschaftete. Der BFH habe die Einführung des besonderen Kirchgelds im Urteilsfall für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten. Eine Einschränkung, dass dies nur in den Fällen gelte, in denen der kirchenangehörige Ehegatte sonst „mangels eigenen Einkommens kirchensteuerfrei bliebe“, enthalte das BFH-Urteil nicht.
Soweit der BFH-Beschluss vom 8. Oktober 2013 (BFH/NV 2014, 182) die (freilich unglückliche) Formulierung enthalte, dass sich das besondere Kirchgeld „nur für diese Fallkonstellation“, nämlich die vom BVerfG in seinem Urteil vom 14. Dezember 1965 benannte, der Höhe nach am „Lebensführungsaufwand“ orientiere, sollte mit dieser Formulierung ebenfalls eine Einschränkung des Inhalts, dass das besondere Kirchgeld nur im Falle eines einkommenslosen Kirchenmitglieds zulässig sei, nicht gemacht werden. Vielmehr beträfen die Ausführungen die dem Kirchensteuerrecht zu Grunde liegende strikte Trennung zwischen der – in dem BFH-Fall allein streitigen – Kircheneinkommensteuer als Annexsteuer und dem besonderen Kirchgeld als eigenständiger Steuer. Damit trete der BFH lediglich der Auffassung des dortigen Beschwerdeführers entgegen, dass es verfassungsrechtlich geboten sei, den für das besondere Kirchgeld herangezogenen Besteuerungsmaßstab des Lebensführungsaufwandes „korrespondierend“ auch auf die Kircheneinkommensteuer zu übertragen.
Keine entgegenstehende Rechtsprechung des EGMR
Schließlich lasse sich auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 6. April 2017 (NJW 2018, 3295) nicht ableiten, dass das besondere Kirchgeld nur bei einem einkommenslosen kirchenangehörigen Ehegatten erhoben werden dürfte.
Anders als die Klägerin behauptet, behandle die Entscheidung nicht lediglich den Fall einer Verrechnung der Kirchensteuerschuld (in Form des besonderen Kirchgelds) der Ehefrau mit dem Einkommensteuererstattungsanspruch des konfessionslosen Ehemanns. Der EGMR habe in der Verrechnung auch keine Verletzung der negativen Religionsfreiheit des Beschwerdeführers zu 1) gesehen, sondern vielmehr einen Eingriff in die durch Art. 9 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geschützte Religionsfreiheit festgestellt, der aber auf einer gesetzlichen Grundlage beruht habe, einem rechtmäßigen Ziel gedient und auch notwendig gewesen, insbesondere verhältnismäßig gewesen sei, sodass Art. 9 EMRK nicht verletzt worden sei. Die Individualbeschwerde der Beschwerdeführer zu 3) und zu 4) habe die Festsetzung von Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer betroffen. Lediglich in den Individualbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2) und zu 5) sei es um das besondere Kirchgeld und dessen Bemessung am Lebensführungsaufwand gegangen, wobei einer der Beschwerdeführer ein eigenes Einkommen erzielt habe, der andere nicht. In beiden Fällen habe der EGMR schon einen Eingriff in die Rechte der Beschwerdeführer nach Art. 9 EMRK verneint und dies damit begründet, dass es sich bei der Beitragserhebung um eine autonome kirchliche Aktivität handle, die nicht dem beschwerdegegnerischen Staat zugerechnet werden könne.
Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung
Die Regelungen über das besondere Kirchgeld widersprächen auch nicht dem Grundsatz der Individualbesteuerung, weil es in zulässiger Weise an den Lebensführungsaufwand des kirchenangehörigen Ehegatten und damit an die individuelle Leistungsfähigkeit anknüpfe. Soweit angesichts der Schwierigkeiten, den Lebensführungsaufwand als Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bestimmen, das gemeinsame Einkommen der Ehegatten als Hilfsmaßstab herangezogen werde, führe dies nicht zu einer unzulässigen Haushaltsbesteuerung.
Denn zwischen dem Lebensführungsaufwand eines Ehegatten und dem Einkommen beider Ehegatten bestünden Abhängigkeiten. Bei der Zugrundelegung des gemeinsam zu versteuernden Einkommens der Ehegatten für die Bemessung des besonderen Kirchgeldes berücksichtigten die Kirchensteuerbeschlüsse der Evangelischen Landeskirche in Baden ausreichend, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des kirchenangehörigen Ehegatten bei geringerem Einkommen beider Ehegatten stark eingeschränkt sei, dass ein Teil des gemeinsamen Einkommens nicht zur Erhöhung dieses Lebensführungsaufwandes führe und von einer gewissen Einkommenshöhe an der Lebensführungsaufwand nicht mehr steige, indem sie einer in 13 Stufen gestaffelten Bemessungsgrundlage jeweils ein sich progressiv erhöhendes Kirchgeld zuordne. Dass in einigen Fällen auf diese Weise mittelbar auch das Einkommen des konfessionslosen Ehegatten in die Kirchenbesteuerung mit einbezogen werde, sei der Anknüpfung an den Lebensführungsaufwand als eigenständigem Besteuerungsmaßstab immanent. Gerechtfertigt sei dies nicht zuletzt dadurch, dass der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Ehegatten auf einen angemessenen Teil des gemeinsamen Einkommens gemäß § 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) den Gesetzesmaterialien zufolge ausdrücklich auch der Deckung von kirchlichen Mitgliedsbeiträgen dienen solle.
Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 04.04.2022 zum Urteil 3 K 3268/18 vom 14.10.2021 (nrkr – BFH-Az.: I B 91/21)2022