Wann darf ein Änderungsbescheid wegen neuer Tatsachen geändert werden?

Wann darf ein Änderungsbescheid wegen neuer Tatsachen geändert werden?

Ist das Finanzamt dazu verpflichtet, bei einer Änderung eines Bescheids alle bekanntgewordenen Tatsachen umfassend zu berücksichtigen, ist eine weitere Änderung des Bescheids wegen neuer Tatsachen nicht möglich. Ist das Finanzamt aber nicht dazu verpflichtet, bleibt eine spätere Änderung wegen neuer Tatsachen möglich.

A wurde vom Finanzamt für das Streitjahr 2004 veranlagt (Juni 2006). Dagegen legte sie Einspruch ein wegen Berücksichtigung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende und beantragte das Ruhen des Verfahrens wegen anhängiger Musterverfahren beim Bundesfinanzhof bzw. Bundesverfassungsgericht. Das Finanzamt erließ einen Änderungsbescheid, in dem es den Entlastungsbetrag teilweise gewährte und dem Ruhen des Verfahrens zustimmte. Auf den erneuten Einspruch gewährte das Finanzamt den Entlastungsbetrag in voller Höhe und stimmte dem weiteren Ruhen des Verfahrens zu. Im Juni 2009 nahm das Finanzamt im Hinblick auf die Musterverfahren entsprechende Vorläufigkeitsvermerke in den Bescheid auf. Im Übrigen blieb der Bescheid unverändert.

Im März 2010 erließ das Finanzamt erneut einen geänderten Bescheid, mit dem es einen geldwerten Vorteil aufgrund einer Kfz-Überlassung an A ansetzte. Das Finanzamt wertete eine Prüfmitteilung vom März 2008 aufgrund einer beim Arbeitgeber der A durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung aus.

Gegen diesen Änderungsbescheid wandte A ein, zum Zeitpunkt der Vornahme der Vorläufigkeitsvermerke seien die Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung bereits bekannt gewesen. Bei der erneuten Änderung im März 2010 seien daher die Feststellungen nicht mehr neu gewesen. Eine Änderung wegen neuer Tatsachen scheide daher aus. Das Finanzgericht wies die Klage mit der Begründung ab, das Finanzamt sei beim Erlass des Vorläufigkeitsbescheids nicht verpflichtet gewesen, den Sachverhalt von Amts wegen umfassend aufzuklären.

Entscheidung

Auch der Bundesfinanzhof ist der Auffassung, dass ein Änderungsbescheid, der wegen anhängiger Musterverfahren für vorläufig erklärt wird, auch dann noch wegen neuer Tatsachen geändert werden kann, wenn die Tatsachen dem Finanzamt bereits beim Erlass der Vorläufigkeitserklärung bekannt geworden sind.

Denn ist das Finanzamt bei einer beabsichtigten Bescheidänderung nicht zur weiteren Sachprüfung verpflichtet, bleibt eine spätere Änderung des Änderungsbescheids wegen neuer Tatsachen möglich.

Eine solche Pflicht zur umfassenden Berücksichtigung aller bis dahin bekannt gewordenen Tatsachen besteht insbesondere nicht bei Änderungen nach Ergehen eines Grundlagenbescheids, die das Finanzamt ohne eigene Sachprüfung übernehmen muss.

Entsprechendes gilt, wenn das Finanzamt im Hinblick auf Musterverfahren die Steuer vorläufig festsetzt. Auch in diesen Massenrechtsbehelfen, die allein darauf abzielen, eine spätere Änderung zu ermöglichen, ist das Finanzamt lediglich zu einer punktuellen Prüfung des Bescheids im Hinblick auf den Vorläufigkeitsausspruch verpflichtet. Andere als die Ungewissheit betreffenden Tatsachen brauchen nicht berücksichtigt zu werden, auch wenn sie dem Finanzamt zum Zeitpunkt der Bescheidänderung bekannt sind oder als Bestandteil der Akten als bekannt gelten.

Deshalb durfte der Einkommensteuerbescheid vom Juni 2009 durch das Finanzamt geändert werden. Denn die Erkenntnisse aus der Prüfungsmitteilung vom März 2008 gelten als neu, auch wenn sie zum Zeitpunkt der punktuellen Änderung im Juni 2009 bereits Inhalt der Akten waren.