Welche Steuerbefreiung geht vor?

Welche Steuerbefreiung geht vor?

Kernaussage
Das Umsatzsteuergesetz (UStG) kennt zahlreiche Steuerbefreiungen. Da diese teilweise unsystematisch normiert sind, ist es möglich, dass für einen Umsatz mehrere Steuerbefreiungen in Frage kommen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun in einem solchen Fall zu klären, ob eine Steuerbefreiung vorrangig zu behandeln ist. Dies ist zwar im Hinblick auf die Befreiung des Umsatzes egal, hat jedoch Bedeutung für den Vorsteuerabzug. In diesem Zusammenhang hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Ende 2006 entschieden, dass die Lieferung von Zahnersatz auch dann nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung handelt. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hatte dieses Urteil erst in 2011 veröffentlicht; beabsichtigte dies aber in allen offenen Fällen anzuwenden.

Sachverhalt
Die Klägerin, eine gemeinnützige GmbH, versandte 2001 und 2002 Blutplasma in das übrige Gemeinschaftsgebiet. Die Lieferungen waren als innergemeinschaftliche Lieferungen zu qualifizieren, die zum Vorsteuerabzug berechtigen. Allerdings ist die Lieferung von Blutplasma im Inland auch noch nach einer weiteren Vorschrift des Umsatzsteuergesetzes (§ 4 Nr. 17 UStG) befreit. Diese Befreiung lässt keinen Vorsteuerabzug zu. Die Klägerin wandte sich gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs aus den Lieferungen durch das Finanzamt nach einer Überprüfung in 2009.

Entscheidung
Das Sächsische Finanzgericht verweigert den Vorsteuerabzug. Zur Begründung verweist es auf das Urteil des EuGH, das auch in diesem Fall für anwendbar gehalten wird. Auch sieht das Finanzgericht keinen Grund, der Klägerin Vertrauensschutz zu gewähren, da die Finanzverwaltung bis zur Veröffentlichung des genannten BMF-Schreibens in 2011 in den Umsatzsteuer-Richtlinien noch den Vorsteuerabzug in derartigen Fällen zugelassen hatte.

Konsequenzen
Die Klägerin ist nun vor den BFH gezogen; die endgültige Entscheidung bleibt daher abzuwarten. Ähnliche Fälle sollten offen gehalten werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das Urteil des EuGH durchaus zutreffend ist. Der EuGH hatte die Versagung des Vorsteuerabzuges u. a. damit begründet, dass die Neutralität der Umsatzsteuer nicht gegeben sei, wenn der Vorsteuerabzug allein davon abhinge, ob eine Lieferung im Inland oder über die Grenze erfolge. Ob der BFH sich gegen die „rückwirkende“ Anwendung des BMF-Schreibens ausspricht, dürfte ebenfalls fraglich sein. Hier wäre es allerdings zu begrüßen, wenn einer derartigen Praxis ein Riegel vorgeschoben würde. Es ist kaum zumutbar, dass das BMF jahrelang Zeit benötigt, um Stellung zu wichtigen Urteilen zu beziehen (aktuell z. B. zur Organschaft und zum ermäßigten Steuersatz bei der Lieferung von Lebensmitteln).