Keine Schenkungsteuerpflicht bei Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zum Nennwert

Die Beteiligten stritten um die Frage, ob Schenkungsteuer entsteht, wenn ein Gesellschafter unter Auszahlung nur des Nennbetrags seines Geschäftsanteils aus einer Kapitalgesellschaft ausscheidet, die nach dem sog. Managermodell organisiert ist. Die Frage hat insbesondere für Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften große praktische Bedeutung. Das Managermodell zeichnet sich dadurch aus, dass den Seniorpartnern der Gesellschaft regelmäßig eine Gesellschafterstellung eingeräumt wird, für die sie nur ein Entgelt in Höhe des Nennwerts zu zahlen haben und die sie bei Beendigung ihrer Gesellschafterstellung gegen eine der Höhe nach begrenzte Abfindung zurück zu übertragen haben.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben und eine Schenkungsteuerpflicht verneint. Im Streitfall war der Geschäftsanteil des ausscheidenden Gesellschafters zum Nennwert auf einen Treuhänder übertragen worden, der den Anteil bis zum Eintritt eines neuen Gesellschafters in die Gesellschaft für die verbliebenen Altgesellschafter zu halten hatte. Maßgebend für die Entscheidung des Gerichts war, dass es an einer Bereicherung der Gesellschaft und der verbleibenden Gesellschafter fehle. Der Treuhänder habe weder für die klagende Gesellschaft noch für die anderen Gesellschafter frei über den Geschäftsanteil verfügen können. Es sei nicht zu einem Übergang der Vermögenssubstanz auf die Gesellschaft oder die anderen Gesellschafter gekommen.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Die Entscheidungen im Volltext: 4 K 834/13 Erb und 4 K 788/13 Erb

 

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 834/13 Erb

Datum:
13.11.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 834/13 Erb
Tenor:

Der Schenkungsteuerbescheid vom 13. November 2013 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

1T a t b e s t a n d:

2Die Klägerin ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit beschränkter Haftung, die durch Umwandlung der A KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Jahr 2001 entstanden ist. Nach § 15 des Gesellschaftsvertrags der Klägerin vom 30. Juni 2004 bedarf die Abtretung von Geschäftsanteilen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung und der Gesellschaft. Neben dem Gesellschaftsvertrag haben die Gesellschafter der Klägerin, die Geschäftsanteile von jeweils 50.000 € halten, einen notariell beurkundeten Poolvertrag vom 30. Juni 2004 abgeschlossen. Gegenstand des Poolvertrags ist nach dessen § 1 Abs. 1 die Regelung der Verhältnisse der Gesellschafter untereinander sowie die gemeinschaftliche Ausübung der Gesellschafterrechte. Parteien des Poolvertrags können nach dessen § 2 Abs. 1 nur Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte sowie sonstige Personen sein, die nach dem Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung) als Geschäftsführer einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zugelassen werden können. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 des Poolvertrags endet die Mitgliedschaft unter anderem aus Altersgründen gemäß § 14 des Vertrags. Nach § 14 Abs. 1 des Poolvertrags verkauft und überträgt ein Poolmitglied mit Vollendung seines 63. Lebensjahres mit schuldrechtlicher Wirkung zum Ende des Tages der Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses der Klägerin sowie über die Rechnungslegung über die Gewinnverteilung und die Nebenrechnung nach § 10 Abs. 4 des Vertrags für das Geschäftsjahr, in dem es das 63. Lebensjahr vollendet hat, seinen Geschäftsanteil an einen Pooltreuhänder. Der Pooltreuhänder hat unter anderem die Aufgabe, die Geschäftsanteile, die für die Aufnahme neuer Poolmitglieder vorgesehen sind, bis zu ihrer Übertragung treuhänderisch für alle Poolmitglieder zu halten, sowie die Geschäftsanteile ausscheidender Poolmitglieder treuhänderisch für alle in der Klägerin verbleidenden Poolmitglieder zu erwerben und zu halten. Die Einzelheiten sind in einem Treuhandvertrag (Anlage 13 zum Poolvertrag) geregelt (§ 19 Abs. 9 des Poolvertrags). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Treuhandvertrags hält der Treuhänder die Geschäftsanteile ausscheidender Poolmitglieder für die verbleibenden Poolmitglieder als fremdnütziger Treuhänder. Im Außenverhältnis ist der Pooltreuhänder Vollrechtsinhaber (§ 1 Abs. 3 des Treuhandvertrags). Für die Übertragung des Geschäftsanteils ausscheidender Gesellschafter sieht § 13 Abs. 1 des Poolvertrags i.V.m. § 3 des Kauf- und Übertragungsvertrags – Typ A – (Anlage 8 zum Poolvertrag) vor, dass der Pooltreuhänder an den Verkäufer ein Entgelt in Höhe des Nennbetrags des Geschäftsanteils zu zahlen hat. Ein Anspruch auf stille Reserven oder einen Goodwill besteht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Kauf- und Übertragungsvertrags – Typ A – (Anlage 8 zum Poolvertrag) nicht.

3Gesellschafter der Klägerin war unter anderem X, der nach der Umwandlung der A KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in die Klägerin einen Geschäftsanteil von 50.000 € hielt. X kündigte aus Altersgründen und übertrug seinen Geschäftsanteil auf der Grundlage der für ihn geltenden Übergangsregelung für Gesellschafter der vormaligen A KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Anlage 5 zum Poolvertrag) zum 30. Juni 2005 auf den Pooltreuhänder. Hierfür erhielt er ein Entgelt von 50.000 €.

4Das beklagte Finanzamt erlangte am 3. April 2007 Kenntnis von der Übertragung. Es forderte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Oktober 2011 auf, eine Schenkungsteuererklärung abzugeben. Dem kam die Klägerin am 22. November 2011 nach.

5Das beklagte Finanzamt stellte sich auf den Standpunkt, dass die Übertragung des Geschäftsanteils des X gegen Zahlung eines Kaufpreises von 50.000 € nach § 7 Abs. 7 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) der Schenkungsteuer unterliege. Es setzte deshalb gegen die Klägerin mit Bescheid vom 25. November 2011  513.730 € Schenkungsteuer fest. Dabei schätzte es den gemeinen Wert des übertragenen Geschäftsanteils mit 1.473.000 €, wovon es den Kaufpreis von 50.000 € abzog.

6Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein, den sie mit Schreiben vom 15. März 2012 begründete.

7Das beklagte Finanzamt wies die Klägerin mit Schreiben vom 22. August 2012 darauf hin, dass der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils mit 4.296,85 € je 100 €-Geschäftsanteil anzusetzen sei, so dass der Wert ihres Erwerbs mit 2.098.425 € anzunehmen sei. Demgemäß setzte das beklagte Finanzamt die Schenkungsteuer gegen die Klägerin mit Einspruchsentscheidung vom 14. Februar 2013 auf 585.445 € neu fest. Zur Begründung führte es aus: Die Übertragung des Geschäftsanteils beruhe auf einem Gesellschaftsvertrag, obgleich dies nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG in der im Streitfall anzuwendenden Fassung nicht mehr erforderlich sei. Der Poolvertrag enthalte den Gesellschaftsvertrag der Klägerin ergänzende wesentliche Regelungen und betreffe damit die Grundlagen der Gesellschaft. § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG finde auch bei sog. Managermodellen Anwendung, bei denen eine zeitlich befristete Beteiligung an einer GmbH vorgesehen sei und der Erwerb sowie die spätere Veräußerung eines Geschäftsanteils nur zum Nennwert erfolge. Bei dem an X gezahlten Kaufpreis handele es sich um eine Abfindung, weil das Entgelt nicht frei ausgehandelt worden sei. Ein Wille zur Unentgeltlichkeit des Zuwendenden müsse nicht vorliegen. Die Klägerin sei als Erwerberin auch Steuerschuldnerin, weil das Ausscheiden des X ihre Beziehung zu ihm betreffe. Unerheblich sei, dass der Geschäftsanteil an den Pooltreuhänder veräußert worden sei. Hierdurch sei nur der Leistungsweg abgekürzt worden.

8Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Die Übertragung des Geschäftsanteils des X unterliege nicht nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG der Schenkungsteuer, weil sie nicht auf Gesetz oder Gesellschaftsvertrag beruhe. Die Übertragung beruhe vielmehr auf dem Poolvertrag sowie auf dem Kauf- und Übertragungsvertrag. Hierbei handele es sich um schuldrechtliche Vereinbarungen. Entsprechendes gelte für den gezahlten Kaufpreis, der deshalb keine Abfindung sei. Jedenfalls sei § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG im Streitfall nicht anwendbar, weil bei einem Managermodell andere Grundsätze zu gelten hätten als bei einer gewöhnlichen kapitalistisch geprägten Beteiligung. Bei dem vorliegenden Managermodell sei eine Gesellschafterstellung nur auf Zeit eingeräumt und gleichzeitig eine Kaufpreisbeschränkung für den Rückkauf vereinbart worden. Im Vordergrund stehe nicht die Überlassung von Kapital, sondern die Zurverfügungstellung von Arbeitskraft. Durch die Kapitalbeteiligung werde dem Gesellschafter ein zusätzliches Arbeitsentgelt in Gestalt von Gewinnausschüttungen gewährt. Demgemäß bringe die Rückübertragung der Beteiligung nur zum Ausdruck, dass der Gesellschafter nicht mehr Geschäftsführer sei und keinen Vergütungsanspruch für seine Tätigkeit mehr habe. Ein Zugriff auf stille Reserven sei ausgeschlossen, weil diese in nennenswertem Umfang ohnehin nicht vorhanden seien. Die Gewinne würden vollständig ausgeschüttet. Zudem fehle einem neu eintretenden Gesellschafter nach dem Poolvertrag die freie Verfügungsmöglichkeit über seinen Geschäftsanteil. Die Besteuerung führe zu einem nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das ihr zustehende Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes. Bei ihr komme es laufend zu einem Wechsel von Gesellschaftern, um die Nachfolge von hoch qualifizierten Berufsträgern zu sichern. Die vom beklagten Finanzamt aufgegriffenen Fälle führten zu einer Schenkungsteuer von insgesamt etwa 13.000.000 €. Ihre wirtschaftliche Existenz stehe deshalb auf dem Spiel. In Anbetracht der drohenden Steuerbelastung sei es für sie überdies schwer, neue qualifizierte Gesellschafter zu finden. Aus diesen Gründen sei § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass für eine Besteuerung eine objektive Unentgeltlichkeit und eine Bereicherungsabsicht erforderlich seien. Sie sei jedenfalls nicht Steuerschuldnerin. Parteien des Kauf- und Übertragungsvertrags seien nur  X und der Pooltreuhänder, der den Geschäftsanteil für die Gesellschafter halte. X habe in Bezug auf sie auch keinen Zuwendungswillen gehabt. Selbst wenn man sie als Erwerberin ansähe, sei zu berücksichtigen, dass sie den Geschäftsanteil nur vorübergehend bis zum Eintritt eines neuen Gesellschafters halten würde, der den Anteil zum Nennwert erwerben werde. Der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils betrage allenfalls 50.000 €. Die Übertragungen anderer Gesellschafter zum Nennwert ein Jahr vor dem 30. Juni 2005 stellten Verkäufe dar, die Vorrang vor einer Schätzung des gemeinen Werts hätten. Im Übrigen sei die Schätzung des beklagten Finanzamts unzutreffend und führe zu einer krassen Überbewertung. Der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils betrage bei einer Anwendung des Stuttgarter Verfahrens höchstens 1.151.500 €.

9Das beklagte Finanzamt hat die Schenkungsteuer gegen die Klägerin mit Bescheid vom 13. November 2013 auf 416.780 € neu festgesetzt. Dabei ist es von einem gemeinen Wert des übertragenen Geschäftsanteils von 1.246.000 € ausgegangen, wovon es den Kaufpreis von 50.000 € abgezogen hat.

10Die Klägerin beantragt,

11

  • 121 den Schenkungsteuerbescheid vom 13. November 2013 aufzuheben;
  • 132 hilfsweise die Revision zu zulassen.

14Das beklagte Finanzamt beantragt,

15

  • 161 die Klage abzuweisen;
  • 172 hilfsweise die Revision zuzulassen.

18Zur Begründung verweist es im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung. Darüber hinaus trägt es vor: Der gemeine Wert des übertragenen Geschäftsanteils betrage unter teilweiser Berücksichtigung der Einwendungen der Klägerin 1.246.000 €.

19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

20Die Klage ist begründet. Der Schenkungsteuerbescheid vom 13. November 2013, der gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das beklagte Finanzamt hat die Schenkungsteuer zu Unrecht gegen die Klägerin festgesetzt.

21Die Klägerin ist schon nicht Steuerschuldnerin für den vom beklagten Finanzamt besteuerten Vorgang. Steuerschuldner ist nach § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG unter anderem der Erwerber. Nach § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG gilt als Schenkung auch der auf dem Ausscheiden eines Gesellschafters beruhende Übergang des Anteils oder des Teils eines Anteils eines Gesellschafters einer Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft auf die anderen Gesellschafter oder die Gesellschaft, soweit der Wert, der sich für seinen Anteil zur Zeit seines Ausscheidens nach § 12 ErbStG ergibt, den Abfindungsanspruch übersteigt. Bei der Prüfung der Frage, wer als Zuwendender und Bedachter an einer freigebigen Zuwendung beteiligt ist, kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage und nicht darauf an, wem nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise Vermögen zuzurechnen ist (vgl. Bundesfinanzhof – BFH -, Urteile vom 9. Juli 2009 II R 47/07, BFHE 226, 399, BStBl II 2010, 74 sowie vom 9. Dezember 2009 II R 22/08, BFHE 228, 165, BStBl II 2010, 363).

22Der Geschäftsanteil des X ist nicht auf die Klägerin übergegangen. X hat seinen Geschäftsanteil vielmehr gemäß § 17 Abs. 1 des Poolvertrags i.V.m. den §§ 1 Abs. 1, 2 Buchst. a und 13 Abs. 1 der Anlage 8 zum Poolvertrag an den Pooltreuhänder verkauft und abgetreten (§ 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 des Poolvertrags und § 2 Abs. 1 Satz 1 des Treuhandvertrags (Anlage 13 zum Poolvertrag) hält der Treuhänder die Geschäftsanteile ausscheidender Poolmitglieder für die verbleibenden Poolmitglieder – d.h. für die Gesellschafter der Klägerin – als fremdnütziger Treuhänder. Im Außenverhältnis ist der Pooltreuhänder Vollrechtsinhaber (§ 1 Abs. 3 des Treuhandvertrags). Die Poolmitglieder und nicht die Klägerin sind nach § 19 Abs. 4 des Poolvertrags und nach § 3 Abs. 2 des Treuhandvertrags verpflichtet, dem Treuhänder das für den Erwerb des Geschäftsanteils zu zahlende Entgelt zur Verfügung zu stellen. Der Erwerb des Geschäftsanteils des X kann daher schenkungsteuerrechtlich nicht der Klägerin zugerechnet werden, die weder Partei des Poolvertrags noch Partei des Kauf- und Übertragungsvertrags (Anlage 8 zum Poolvertrag) war.

23Der Senat kann nicht der vom beklagten Finanzamt vertretenen Auffassung folgen, dass die Übertragung des Geschäftsanteils auf den Pooltreuhänder der Klägerin zuzurechnen sei, weil das Ausscheiden des X ihre Beziehung zu ihm betreffe (vgl. ähnlich: Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG § 7 Randnr. 410; Fischer in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 7 Randnr. 547; Ostermeyer/Riedel, BB 2006, 1662, 1664). Der Senat vermag keine Rechtsgrundlage für eine solche Zurechnung zu erkennen. Es würde zudem der maßgeblichen Zivilrechtslage widersprechen, der Klägerin den Erwerb des Pooltreuhänders schenkungsteuerrechtlich zuzurechnen.

24Nicht zu entscheiden hat der Senat, ob der Erwerb des Geschäftsanteils den Gesellschaftern der Klägerin zuzurechnen ist, die sich durch den Abschluss des Poolvertrags zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 705 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) zusammengeschlossen haben (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. September 1986 II ZR 272/85, NJW 1987, 890).

25Unbeschadet dessen ist der angefochtene Steuerbescheid auch deshalb rechtswidrig, weil es im Streitfall an einem Übergang des Geschäftsanteils i.S. des § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG auf die anderen Gesellschafter oder die Klägerin fehlt. Die vorgenannte Bestimmung enthält zwar eine Fiktion. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie eine objektive Bereicherung der anderen Gesellschafter oder der Gesellschaft voraussetzt (vgl. BFH, Urteil vom 1. Juli 1992 II R 12/90, BFHE 168, 390, BStBl II 1992, 925; Fischer in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 7 Randnr. 542). Erforderlich für die Annahme einer Bereicherung ist eine Vermögensverschiebung, die sich auf die Vermögenssubstanz beziehen muss (vgl. BFH, Urteil vom 30. Januar 2013 II R 38/11, BFHE 240, 287). Der Bedachte muss über den Gegenstand der Zuwendung tatsächlich und rechtlich frei verfügen können (vgl. Urteil vom 22. August 2007 II R 33/06, BFHE 218, 403, BStBl II 2008, 28).

26Hiervon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden. Der Pooltreuhänder hält den von X erworbenen Geschäftsanteil nur treuhänderisch auf Zeit bis zur Aufnahme neuer Gesellschafter (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 des Poolvertrags; §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 Satz 1 des Treuhandvertrags; Vortrag der Klägerin auf Bl. 136 GA), die den Anteil zum Nennwert erwerben werden. Der Treuhänder kann mithin weder für die Klägerin noch für die anderen Gesellschafter frei über den Geschäftsanteil verfügen. Mangels Realisierbarkeit eines über den Nennwert des Geschäftsanteils hinausgehenden Wertes ist es nicht zu einem Übergang der Vermögenssubstanz auf die Klägerin oder die anderen Gesellschafter gekommen.

27Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 138 Abs. 2 Satz 1, 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Keine Verzinsung der Wegzugsteuer

Die Kläger wendeten sich gegen die Verzinsung der sog. Wegzugsteuer. Sie besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit und unterhielten bis 2011 einen Wohnsitz in Deutschland. Der Kläger war zu 25 % an einer inländischen GmbH beteiligt. Dabei handelte es sich zum Teil um eine steuerlich relevante Beteiligung des Privatvermögens, zum Teil um sog. einbringungsgeborene Anteile. Im Jahr 2006 begründeten die Kläger einen weiteren Wohnsitz in Österreich und verlagerten ihren Lebensmittelpunkt dorthin. Auf Antrag der Kläger unterwarf das Finanzamt den in den Anteilen entstandenen Vermögenszuwachs im Jahr 2011 der Wegzugsteuer und stundete diese zinslos und ohne Sicherheitsleistung. Zugleich setzte es Zinsen auf die verspätet festgesetzte Wegzugsteuer fest, stundete diese aber ebenfalls.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass zwar die gesetzlichen Voraussetzungen des Zinstatbestands erfüllt seien, dieser jedoch durch die Regelung über die zinslose Stundung der Wegzugsteuer verdrängt werde. Diese stehe nicht nur der Festsetzung von Stundungszinsen, sondern auch der Vollverzinsung entgegen. Denn der Gesetzgeber habe die Wegzugsteuer nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs europarechtskonform ausgestalten wollen. Die Festsetzung von Zinsen auf die geschuldete, aber verspätet festgesetzte Steuer verletze ebenso wie die Festsetzung von Zinsen auf die festgesetzte, aber gestundete Steuer die Niederlassungsfreiheit. Die Stundung der Zinsen genüge den europarechtlichen Anforderungen nicht. Schließlich hätten die Steuerpflichtigen auch keinen Liquiditätsvorteil erlangt, der die Vollverzinsung rechtfertige.

Finanzgericht Düsseldorf, 1 K 3233/11 AO

Datum:
27.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3233/11 AO
Tenor:

Der Bescheid über die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer 2006 gemäß § 233a AO vom 18.5.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.8.2011 wird dahingehend gehändert, dass die Zinsen auf „…“ € herabgesetzt werden.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:

2Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer.

3Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit und unterhielten bis zum Jahr 2011 einen Wohnsitz in „N-Stadt“. Im Streitjahr 2006 begründeten die Kläger einen weiteren Wohnsitz in „S-Stadt“/Österreich und verlagerten ihren Lebensmittelpunkt dorthin, nachdem sie zuvor seit mehr als 10 Jahren ihren Wohnsitz in Deutschland inne hatten. Zur Zeit des Wegzugs war der Kläger mit 25 % an der „U-Holding GmbH“ ‑GmbH‑ mit Sitz in „E-Stadt“ beteiligt. Ein geringfügiger Teil im Nennwert von „…“ € gehörte zum Sonderbetriebsvermögen des Klägers bei der „V-GmbH & Co KG“. Im Übrigen waren die Anteile iHv „…“ € teilweise einbringungsgeborene Anteile iSv § 21 Abs. 1 Umwandlungssteuergesetz vom 20.12.1996 ‑UmwStG 1995‑, ansonsten solche iSv § 17 EStG. Durch den Wegzug verwirklichte der Kläger, was unstreitig ist, den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG (hinsichtlich seiner Anteile iSv § 17 EStG) bzw. des § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG 1995 (hinsichtlich der einbringungsgeborenen Anteile).

4Die Kläger reichten ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2006 am 11.10.2007 beim zuständigen Finanzamt „O-Stadt“ ein. Mit dem beigefügten Anschreiben des steuerlichen Beraters der Kläger teilten sie mit, dass sie ihren Wohnsitz in „N-Stadt“ beibehalten hätten, aufgrund der Verlagerung ihres Lebensmittelpunktes nach Österreich jedoch die in 2006 erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen und die erhaltenen Pensionen in Österreich zu versteuern seien. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 27.2.2008 erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, ohne Berücksichtigung eines Gewinnes iSv § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG bzw. § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG 1995, ebenso wie die nachfolgenden Änderungsbescheide, zuletzt vom 23.7.2010.

5„…“

6Mit Schreiben vom 14.4.2011 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger, die Steuerfestsetzung für den Wegzug im Jahr 2006 nachzuholen, und fügte eine vorläufige Berechnung des zu berücksichtigenden Vermögenszuwachses der GmbH-Anteile bei. Mit einem gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 18.5.2011 erfasste das FA einen Veräußerungsgewinn iHv „…“ € als zu versteuernden Vermögenszuwachs, und erhöhte die festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2006 um „…“ €. Gleichzeitig setzte das FA gemäß § 233a AO Zinsen zur Einkommensteuer iHv „…“ € fest, wovon ein Betrag von „…“ € auf die durch den Wegzug entstandene Einkommensteuer gemäß § 6 Abs. 1 AStG entfiel. In den Erläuterungen des Steuerbescheides führte das FA aus, dass die Steuer auf den Vermögenszuwachs unter den in § 6 Abs. 5 Satz 1 – 3 AStG genannten Voraussetzungen von Amts wegen zinslos gestundet werde. Zur Prüfung, ob diese Stundung ihre Berechtigung habe oder zu widerrufen sei, habe der Steuerpflichtige die in § 6 Abs. 7 AStG genannten Voraussetzungen zu erfüllen. Mit Bescheid vom 25.5.2011 wurden die Einkommensteuer, der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer, soweit sie noch nicht entrichtet waren, gemäß § 6 Abs. 4 AStG befristet auf maximal 5 Jahre gestundet.

7Gegen die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO und gegen die befristete Stundung erhoben die Kläger mit Schreiben vom 22.6.2011 Einspruch. Daraufhin hob das FA den Stundungsbescheid vom 25.5.2011 auf und stundete mit Bescheid vom 28.6.2011 Einkommensteuer und Zinsen 2006, „…“ Kirchensteuer 2006 und Solidaritätszuschlag 2006 gemäß § 6 Abs. 5 AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung. Zudem wurde ausgeführt, dass die Stundung über den 31.1.2012 hinaus verlängert werde, wenn jährlich bis zum Ablauf des 31.1., erstmals bis zum Ablauf des 31.1.2012 die Meldung nach § 6 Abs. 7 AStG an das FA gesandt werde. Die Stundung werde bei Eintritt der Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 2 AStG widerrufen.

8Zur Begründung des Einspruchs gegen die Festsetzung der Zinsen auf die Wegzug-steuer gemäß § 233a AO führten die Kläger aus, dass diese Vorschrift bei zweckkonformer Auslegung in den Fällen verspäteter Festsetzung einer von Amts wegen zu stundenden Wegzugsteuer nicht anwendbar sei, hilfsweise seien die Zinsen aufgrund sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.

9Mit Einspruchsentscheidung vom 15.8.2011 wurde der Einspruch der Kläger gegen die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO als unbegründet zurückgewiesen. Die Zinsfestsetzung sei rechtmäßig. Die Vorschrift der zinsfreien Stundung von Steuerbeträgen gemäß § 6 Abs. 5 AStG hindere nicht die Festsetzung von Nachforderungszinsen oder Erstattungszinsen, die sich in Folge von Änderungen der Steuerfestsetzung nach § 233a AO ergäben. § 233a AO sei auch nicht unter Berücksichtigung des § 6 Abs. 5 AStG dahingehend auszulegen, dass Nachzahlungszinsen nicht festgesetzt werden dürften, wenn die festgesetzte Steuer auf einen Entstrickungsgewinn entfalle und diese Steuer bei erstmaliger zutreffender Steuerfestsetzung zu stunden sei. Die festgesetzte und gestundete Entstrickungssteuer könne im Rahmen der Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen nach § 233a AO nicht so behandelt werden, als wäre sie gezahlt worden.

10Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage wenden sich die Kläger weiterhin gegen die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO. Zwar seien die Voraussetzungen des § 233a AO dem Wortlaut nach erfüllt, die Vorschrift bedürfe jedoch im Fall der verspäteten Festsetzung der sog. Wegzugsteuer wegen § 6 Abs. 5 AStG und aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben einer Einschränkung.

11a. Auslegung des § 233a AO im Lichte des § 6 Abs. 5 AStG

12Die Vollverzinsung nach § 233a AO bezwecke, einen Ausgleich dafür zu schaffen, wenn die Steuern bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig würden. Im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung sollten solche Liquiditätsvorteile des Steuerpflichtigen abgeschöpft und Zinsnachteile auf Seiten des Steuergläubigers ausgeglichen werden, die mit einer Steuerfestsetzung nach Ablauf der Karenzfrist von 15 Monaten verbunden seien.

13Demgegenüber bewirke § 6 Abs. 5 AStG eine andere Verteilung des aus der Stundung der Wegzugsteuer resultierenden Liquiditätsvorteils. Beim Wegzug eines Unionsbürgers in einen anderen EU-Mitgliedsstaat, in dem er einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt, sei die gemäß § 6 Abs. 1 AStG entstehende Wegzugsteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Hier werde die Fälligkeit des Steueranspruchs hinausgeschoben und der damit verbundene Liquiditätsvorteil dem Steuerpflichtigen zugewiesen.

14§ 6 Abs. 5 AStG verdränge nicht nur die Erhebung von Stundungszinsen nach § 234 AO, sondern sei auch bei der Anwendung des § 233a AO zu berücksichtigen. Es sei widersprüchlich, eine Steuerforderung vor ihrer Festsetzung zu verzinsen, wenn sie nach der Festsetzung kraft Gesetzes ohne Antrag unverzinslich gestundet werde. Andernfalls wandele sich § 233a AO von einer Vorschrift zum Ausgleich eines Liquiditätsvorteils zu einer solchen zur Sanktion für eine verspätete Festsetzung. Werde der Steueranspruch nicht mit seiner Festsetzung fällig, gebe es keinen Grund, die verspätete Festsetzung mit einem Zinsnachteil zu belegen. In diesem speziellen Fall fehle es an dem von § 233a AO vorausgesetzten ausgleichspflichtigen Liquiditätsvorteil.

15Einer solchen einschränkenden Auslegung des § 233a AO stehe nicht entgegen, dass der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung der Vollverzinsung für eine typisierende Betrachtung entschieden habe, so dass es für das Entstehen der Nachzahlungszinsen nicht auf einen konkreten Zinsvorteil ankomme. Stehe zweifelsfrei fest, dass dem Steuerpflichtigen aus der verspäteten Festsetzung kein Vorteil erwachse, widerspreche die Vollverzinsung dem Gesetzeszweck von § 233a AO und habe zu unterbleiben.

16In einer solchen Situation befänden sich die Kläger. Aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 6 Abs. 5 AStG habe die verspätete Festsetzung der Wegzugsteuer den Klägern keinen Vorteil gebracht, den sie nicht gehabt hätten, wenn die Festsetzung innerhalb der Karenzfrist des § 233a AO erfolgt wäre.

17Die Vorschriften der § 233a AO und §§ 222, 234 AO beträfen den gleichen Regelungskreis. Zwar überschnitten sich die Anwendungsbereiche der § 233a AO und § 234 AO grundsätzlich nicht. Beide Vorschriften hätten jedoch den Ausgleich von Liquiditätsvorteilen bzw. –nachteilen aus dem Steuerschuldverhältnis im Zeitraum zwischen Steuerentstehung und Begleichung der Steuerschuld zum Gegenstand. Diese Zerlegung in eine Zeit vor und eine Zeit nach der Steuerfestsetzung habe vor allem historische Gründe.

18Soweit eine Steuerstundung die Höhe der gemäß § 233a AO festzusetzenden Zinsen grundsätzlich nicht beeinflusse, gelte dies nur für die Verzinsung von Steuererstattungsansprüchen des Steuerpflichtigen iSv § 233a Abs. 3 Satz 3 AO, nicht jedoch für die bloße Festsetzung von Zinsen auf eine festgesetzte Steuer.

19Auch ein Vergleich des § 6 Abs. 5 AStG mit § 21 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 führe nicht weiter. Letzterer schließe lediglich die Erhebung von Stundungszinsen aus, während § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG anordne, dass die geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden sei. Es bestehe gerade kein Zusammenhang zwischen Steuerfestsetzung und Fälligkeit des Steueranspruchs. Nach diesem Wortlaut sei selbst eine Verzinsung des Steueranspruchs auch aufgrund anderer Rechtsgrundlagen als § 234 AO ausgeschlossen. Zudem ermögliche § 21 UmwStG 1995 keine dauerhafte Stundung, sondern lediglich eine Ratenzahlung in einem genau definierten Zeitraum von 5 Jahren ab Festsetzung der Steuer.

20b. Vollverzinsung der Wegzugsteuer im Lichte des Unionsrechtes

21Die Vollverzinsung der Wegzugsteuer sei mit Unionsrecht nicht vereinbar. Die Zuweisung des Liquiditätsvorteils zum Steuerpflichtigen in § 6 Abs. 5 AStG beruhe nicht auf einer autonomen Entscheidung des nationalen Gesetzgebers. Die Regelung sei vielmehr Ausfluss europarechtlicher Vorgaben, wonach den Mitgliedstaaten eine an den Wegzug ins EU-Ausland anknüpfende Steuer erlaubt sei, sofern die damit verbundenen Belastungen des Steuerpflichtigen nicht über das hinausgingen, was unbedingt erforderlich sei, um das mit der Wegzugsteuer verfolgte Ziel einer angemessenen Aufteilung von Steuerhoheiten zu erreichen. Hierzu gehöre eine vollständige Freistellung von Zinsen, was nicht durch den Rückgriff auf nationale Zinsvorschriften wie den § 233a AO unterlaufen werden dürfe.

22Art. 49 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ‑AEUV‑ verbiete die Beschränkung der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates. Hieraus folge zwar nicht das Verbot einer Wegzugsteuer, aber das einer sofortigen Fälligkeit einer derartigen Steuer, zudem dürfe der Aufschub der Fälligkeit nicht mit einer Zinspflicht verbunden werden. Dieses Gebot der Unverzinslichkeit des Steueraufschubs sei mit der Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO nicht vereinbar. Die Niederlassungsfreiheit stehe einer durch den Wegzug ausgelösten Zinsbelastung ohne Rücksicht auf deren Einordnung in die Kategorien des nationalen Rechts entgegen, wenn diese Belastung bei einem Umzug im Inland nicht entstehen würde.

23Dem könne nicht entgegen gehalten werden, dass § 233a AO unterschiedslos auf grenzüberschreitende und inländische Sachverhalte angewandt werde. Eine Steuer auf den Vermögenszuwachs werde nur bei einem Wegzug ins Ausland, nicht jedoch bei einem Umzug im Inland festgesetzt. Zudem dürfe die Wegzugsteuer nach der Rechtsprechung des EuGH nur deswegen festgesetzt werden, um bei einer u.U. nach Jahrzehnten erfolgenden Veräußerung der Anteile Unsicherheiten über die Höhe der der Besteuerung des Herkunftsstaates unterfallenden stillen Reserven zu vermeiden. Weitergehende Belastungen dürften an die Festsetzung nicht geknüpft werden. Die Anwendung des § 233a AO bei einem ins Ausland umziehenden Steuerpflichtigen schöpfe einen angeblichen Liquiditätsvorteil ab, der einem im Inland umziehenden Steuerpflichtigen bis zur Veräußerung belassen werde.

24c. tatsächlicher Nachteil durch Festsetzung der Zinsen

25Trotz der erfolgten Stundung auch der Zinsen nach § 6 Abs. 5 AStG sei den Klägern durch die Festsetzung ein Nachteil entstanden. Werde der Steueranspruch in Zukunft fällig, müssten die Kläger auch die festgesetzten Zinsen bezahlen. Wäre dies anders, würde es den Klägern an einer Beschwer durch die Zinsfestsetzung fehlen und der Beklagte hätte den Einspruch gegen die Zinsfestsetzung als unzulässig zurückweisen müssen.

26Die Kläger beantragen,

27den Bescheid für 2006 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 18. Mai 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. August 2011 insoweit aufzuheben, als darin Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von „…“ € festgesetzt werden,

28hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, diese Zinsen zu erlassen, sowie

29hilfsweise die Revision zuzulassen.

30Der Beklagte beantragt,

31die Klage abzuweisen,

32hilfsweise die Revision zuzulassen.

33Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung vom 15.8.2011 und führt ergänzend aus, dass die Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO durch § 6 Abs. 5 AStG und unionsrechtliche Vorgabe nicht eingeschränkt werde. Betroffen sei das Verhältnis von § 233a AO zur Stundung nach § 222 ff AO. § 6 Abs. 5 AStG sei ausschließlich lex specialis zu § 222 AO (FG Hamburg, Urteil vom 28.2.2006 VI 401/03 EFG 2006, 1380). Demgegenüber werde die Höhe der gemäß § 233a AO festzusetzenden Zinsen durch eine etwaige Stundung nicht beeinflusst (BFH, Urteil vom 16.12.2009 I R 48/09, BFH/NV 2010, 827). Die durch den Wegzug der Kläger nach Österreich entstandene Wegzugsteuer sei tatsächlich verspätet festgesetzt worden, obwohl die Kläger hätten darauf hinwirken können, dass mit Verwirklichung des Wegzugstatbestandes zeitnah ein entsprechender Steuerbescheid erging, und die Rechtsfolgen des § 233a AO so vermieden worden wären.

34Die Vollverzinsung gemäß § 233a AO sei bereits im Jahre 1990 durch das Steuerreformgesetz ‑StReformG 1990‑ eingeführt worden. Dem Gesetzgeber wäre es bei der Schaffung des § 6 AStG, der erst im Jahre 2006 durch das SEStEG auch zur Umsetzung der Entscheidung des EuGH (Urteil vom 11.03.2004 C- 9/02 Lasteyrie du Saillent, IStR 2004, 236) geschaffen wurde, möglich gewesen, das Entstehen von Zinsen gemäß § 233a AO auf die Wegzugsteuer zu verhindern, indem er eine dem § 234 Abs. 3 AO vergleichbare Regelung getroffen hätte. Dass der Gesetzgeber eine solche Regelung nicht getroffen habe, spreche gegen eine planwidrige Lücke.

35Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des  Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die dem Gericht übersandten Steuerakten Bezug genommen.

36Entscheidungsgründe:

37Die Klage ist begründet.

38Die Festsetzung der Zinsen gemäß § 233a AO zur Einkommensteuer für das Jahr 2006 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, als die Zinsen iHv „…“ € auf die sog. Wegzugsteuer entfallen, § 100 Abs. 1 FGO.

39Zu Unrecht hat das FA im Rahmen der Ermittlung der nach § 233a Abs. 1 AO festzusetzenden Zinsen bei der festgesetzten Steuer iSv § 233a Abs. 3 AO auch die gemäß § 6 Abs. 1 AStG geschuldete und nach Maßgabe des § 6 Abs. 5 Satz AStG zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stundende Steuer berücksichtigt.

40a. Voraussetzungen des § 233a Abs. 1 AO

41Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 233a Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 3 AO auch hinsichtlich der gemäß § 6 Abs. 1 AStG iVm § 17 EStG festgesetzten Wegzugsteuer der Kläger vor.

42Führt die Festsetzung der Einkommensteuer zu einem Unterschiedsbetrag, resultierend aus der festgesetzten Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (§ 233a Abs. 3 Satz 1 AO), ist dieser unabhängig davon, zu wessen Gunsten er ausfällt, nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO grundsätzlich 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

43Die gemäß § 233a AO festgesetzten Zinsen iHv „…“ € auf die gemäß § 6 Abs. 1 AStG durch den Wegzug entstandene und verspätetet festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2006 wurden, was unstreitig ist, rechnerisch richtig für 37 volle Monate, vom 1.4.2008 bis 23.5.2011, mit 0,5 % pro Monat, insgesamt 18,5 %, berechnet.

44b. Verdrängung des § 233a AO durch § 6 Abs. 5 AStG

45Die Regelung des § 233a AO wird jedoch im Streitfall durch § 6 Abs. 5 AStG verdrängt. Zwar regelt § 6 Abs. 5 AStG dem Wortlaut nach lediglich die – zinslose – Stundung der Wegzugsteuer. Nach der Zielsetzung der Neuregelung des § 6 Abs. 5 AStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung steht dieser nicht nur der Festsetzung von Stundungszinsen gemäß § 234 AO, sondern auch der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO entgegen.

46aa. Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG

47Die durch den Wegzug der Kläger entstandene Wegzugsteuer ist, wie das FA dies auch mit Bescheid vom 28.6.2011 durchgeführt hat, gemäß § 6 Abs.5 AStG zinslos zu stunden.

48Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG ist die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden, wenn der Steuerpflichtige im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Staats ist, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist (Vertragsstaat des EWR-Abkommens), und er nach der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht in einem dieser Staaten (Zuzugsstaat) einer der deutschen unbeschränkten Einkommensteuerpflicht vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt.

49Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind.

50§ 27 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 UmwStG 2006 ordnet in den Fällen des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 die Anwendung von § 6 Abs. 5 AStG für alle noch nicht bestandkräftigen Einkommensteuerveranlagungen an.

51Wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist, hat der Kläger durch die mit dem Umzug verbundene Verlagerung seines Lebensmittelpunktes von Deutschland nach Österreich im Streitjahr den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG iVm § 17 EStG bzw. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG 1995 hinsichtlich der einbringungsgeborenen Anteile verwirklicht. Die Kläger waren als deutsche Staatsangehörige zuvor über 10 Jahre in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig, § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Nach der Verlagerung des Lebensmittelpunktes der Kläger nach Österreich unterliegen sie dort gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2 öEStG mit allen in- und ausländischen Einkünften der österreichischen Einkommensbesteuerung.

52bb. Zielsetzung des § 6 Abs. 5 AStG reicht über den Wortlaut hinaus

53Der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG, wonach die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, steht der Festsetzung von Zinsen gemäß § 233a AO auf eine verspätet festgesetzte Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG nicht entgegen. Hiernach handelt es sich bei der Regelung des § 6 Abs. 5 AStG um eine Sonderregelung zu §§ 222, 234 AO: die geschuldete Wegzugsteuer ist – im Gegensatz zur Stundung nach der Abgabenordnung – zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden.

54Nach der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 AStG steht dieser jedoch nicht nur einer zinsbewehrten Stundung, sondern auch der sog. Vollverzinsung des § 233a AO für eine verspätet festgesetzte Wegzugsteuer entgegen.

55Mit den durch das SEStEG vom 7. Dezember 2006 (Bundesgesetzblatt – BGBl – I 2006, 2782, berichtigt BGBl I 2007, 68) geänderten Vorschriften insbesondere des § 6 AStG sollte die Wegzugsbesteuerung des AStG den Vorgaben des EuGH in seiner Entscheidung vom 11. März 2004 (C-9/02 Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236) angepasst und europarechtskonform ausgestaltet werden. Nach dieser Entscheidung des EuGH ist der in Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung nunmehr Art. 49 AEUV) verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, zur Vorbeugung gegen die Steuerflucht eine Regelung einzuführen, wonach latente – also noch nicht realisierte – Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten besteuert werden, wenn ein Steuerpflichtiger seinen steuerlichen Wohnsitz ins Ausland verlegt (vgl. auch EuGH-Urteil vom 7. September 2006, C-470/04 „N“, IStR 2006, 702). Zwar steht der Bundesrepublik Deutschland das Recht zu, den Wertzuwachs wesentlicher Beteiligungen bei Wegzug von Steuerpflichtigen zu besteuern, die Steuer soll aber erst dann erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen Veräußerungsgewinn erzielt (Bt-Drs. – 16/2710, S. 27).

56In der Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 5 Satz 1 AStG heißt es hierzu:

57Der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland löst die Steuerpflicht aus. Da aber der Wegzug eines unbeschränkt steuerpflichtigen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der EU oder des EWR, der aus Deutschland in einen dieser Staaten zieht, nach EG-Recht (z. B. Niederlassungsfreiheit) nicht behindert werden darf, wird die nach Absatz 1 zusätzlich geschuldete Steuer nach Satz 1 von Amts wegen zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet. Der Betrag der zusätzlich geschuldeten Steuer entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen der tariflichen Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen unter Einbeziehung der Einkünfte nach Absatz 1 und der tariflichen Einkommensteuer ohne Anwendung des Absatzes (Bt-Drs. 16/2710, S. 53).

58Der Fall der Festsetzung von Zinsen auf die geschuldete, aber verspätete festgesetzte Steuer verletzt ebenso wie die Festsetzung von Zinsen auf die festgesetzte, aber gestundete Steuer die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Auch in der Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO auf die Wegzugsteuer liegt eine Benachteiligung des Steuerpflichtigen, der von Deutschland in einen EU-Mitgliedstaat verzieht, gegenüber dem Steuerpflichtigen, der innerhalb Deutschlands umzieht, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Benachteiligung erkennbar wäre.

59(1) Benachteiligung des Umzugs in das EU-Ausland gegenüber Inlandsumzug

60Wären die Kläger nicht nach Österreich, sondern lediglich im Inland verzogen, wäre keine Steuer allein durch den Wegzug entstanden; dementsprechend wäre – mangels Steuer – auch keine Zinsfestsetzung nach § 233a AO möglich. Der Fall des Wegzugs in einen anderen Mitgliedstaat wird folglich gegenüber dem Inlandsfall benachteiligt und macht die Ausübung der durch Art. 49 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit zumindest weniger attraktiv.

61(2) Fehlen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung

62Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO auf eine zwar verspätet festgesetzte, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zu stundende Wegzugsteuer geht über das hinaus, was zur Erreichung des mit der Festsetzung der Wegzugsteuer verfolgten Zieles erforderlich ist.

63Nationale Maßnahmen sind europarechtlich trotz Behinderung der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten zulässig, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist (EuGH, Urteile vom 11. März 2004 C-9/02 Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236; und vom 7. September 2006, C-470/04 „N“, IStR 2006, 702).

64Die Festsetzung der Steuer nach § 6 Abs. 1 AStG iVm § 17 EStG ist lediglich in Hinblick auf die Sicherstellung der Rechte auf Besteuerung der auf dem Staatsgebiet des Mitgliedstaates Deutschland entstandenen stillen Reserven zulässig. Ein Mitgliedstaat darf den zugrunde liegenden Betrag, über den er seine Besteuerungshoheit wahren will, festlegen, sofern dies nicht zu einer sofortigen Erhebung der Steuer führt und der Steueraufschub an keine weiteren, den Steuerpflichtigen unverhältnismäßig belastenden Bedingungen gebunden ist. Unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben darf es nicht zu einer mit wirtschaftlichen Nachteilen belasteten Festsetzung der Wegzugsteuer kommen (EuGH, Urteile vom 11. März 2004 C-9/02 Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236; und vom 7. September 2006, C-470/04 „N“, IStR 2006, 702; Dörfler/Ribbrock in BB 2008, 304 (308)).

65Um die in Deutschland angefallenen Wertzuwächse für den in der Zukunft liegenden Fall zu erfassen, dass der Steuerpflichtige diese Wertzuwächse auch realisiert, ist ausreichend, dass die Steuer gleichsam festgestellt wird, wie dies mit Festsetzung und zinsloser Stundung nach § 6 AStG realisiert werden soll. Nicht erforderlich zur Sicherstellung dieses Besteuerungsrechts ist jedoch, dass bei verspäteter Festsetzung der zu stundenden Steuer Zinsen gemäß § 233a AO festgesetzt werden.

66Nach den Vorgaben des EuGH und der Zielsetzung des § 6 Abs. 5 Satz 6 AStG, wie sie in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommen, ist die Vorschrift daher europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass nicht nur eine geschuldete und festgesetzte Wegzugsteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden ist, sondern auch, dass eine geschuldete und verspätet festgesetzte Wegzugsteuer ohne eine aus der Verspätung resultierende Zinsbelastung festzusetzen ist, wenn diese nach § 6 Abs. 5 AStG nach Festsetzung zinslos zu stunden ist. Die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind in die betroffene nationale Norm hineinzulesen (vgl. BFH, Urteil vom 25.08.2009 I R 88,89/07, BFHE 226, 296; BFH/NV 2009, 2295).

67(3) Stundung auch der Zinsen kein Nachteilsausgleich

68Diesen europarechtlichen Erfordernisse wird nicht dadurch genügt, dass – wie im Streitfall – die gemäß § 233a AO festgesetzten Zinsen auf die Wegzugsteuer ebenso wie diese zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet werden. Hierdurch wird der Zeitpunkt der europarechtlich unzulässigen Belastung mit den festgesetzten Zinsen lediglich hinausgeschoben, aber die Belastung selber nicht beseitigt.

69Zum einen geht bereits diese Stundung über den Wortlaut des § 6 Abs. 5 AStG hinaus: hiernach ist nur die gemäß § 6 Abs. 1 AStG geschuldete Steuer zu stunden, von etwaigen Zinsen ist keine Rede. Zum anderen ändert diese Stundung nichts an der erfolgten Festsetzung der Zinsen und der hiermit verbundenen Belastung; wird die Stundung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG widerrufen, weil der Steuerpflichtige die in Deutschland begründeten Wertzuwächse tatsächlich realisiert oder in ein Drittland verzieht, werden auch die festgesetzten Zinsen gemäß § 233a AO fällig.

70cc. Sinn und Zweck des § 233a AO

71Es entspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 233a AO, wenn die nach § 6 Abs. 1 AStG geschuldete, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stundende Wegzugsteuer nicht der Vollverzinsung unterfällt.

72Zinsen sind steuerliche Nebenleistungen iSv § 3 Abs. 4 AO, die das Bestehen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis voraussetzen und nur erhoben werden, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Es besteht kein allgemeiner Grundsatz der Abgabenordnung, dass Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis stets zu verzinsen sind (BFH, Urteil vom 16.12.2009 I R 48/09, BFH/NV 2010, 827). Dementsprechend handelt es sich bei der gesetzlich geregelten Verzinsung nicht um eine steuerliche Sanktion, sondern diese dient allein dem Zweck, potentielle Liquiditätsvorteile abzuschöpfen. Die Vollverzinsung des § 233a AO hat zwei Zielsetzungen: zum einen dient sie der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, indem sie einen Ausgleich dafür schafft, dass die Steuern bei einzelnen Steuerpflichtigen aus verschiedenen Gründen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (vgl. Bt-Drs. 11/2157,194). Zum anderen sollen erlangte Nutzungsvorteile abgeschöpft werden, indem der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und der Zinsvorteil des Steuergläubigers gleichermaßen ausgeglichen werden (vgl. BFH, Urteil vom 19.3.1997 I R 7/96, BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446; Seer/Klemke, Neuordnung der Verzinsung von Ansprüchen aus Steuerschuldverhältnis, Berlin 2013, S. 21, 125).

73Beiden Zielsetzungen der Verzinsung nach der Abgabenordnung widerspricht eine Verzinsung der Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG, die unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG zinslos zu stunden ist:

74Der Kläger, dessen gemäß § 6 Abs. 1 AStG entstandene Steuer nach Ablauf der Karenzfrist des § 233 Abs. 2 Satz 1 AO festgesetzt wurde, erlangte hierdurch keinen, auch keinen abstrakten, Nutzungsvorteil gegenüber demjenigen, dessen Steuerfestsetzung innerhalb dieser Karenzfrist erfolgte, weil die Wegzugsteuer gemäß § 6 Abs. 5 AStG von Anfang an zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden war. In beiden Fällen ist die Steuer nicht fällig, ohne dass das Herausschieben der Fälligkeit einen Nutzungsvorteil auf Seiten des einen Steuerpflichtigen begründet, den ein anderer Steuerpflichtiger, dessen Wegzugsteuer zeitnah festgesetzt wurde, nicht hätte.

75Auch ist kein Zinsnachteil des Steuergläubigers bei einer verspätet festgesetzten, aber gemäß § 6 Abs. 5 AStG zu stundenden Wegzugsteuer erkennbar.

76Zwar ist für die Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO nicht erforderlich, dass tatsächlich ein Zinsvorteil oder -nachteil entstanden ist, weil § 233a AO den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und den Zinsnachteil des Steuergläubigers ausgleichen soll, ohne dass es auf eine konkrete Berechnung tatsächlich eingetretener Zinsvorteile und Zinsnachteile ankommt; diese sollen für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen (BFH, Urteil vom 19.3.1997 I R 7/96, BFHE 182, 293, BStBl II 1997, 446). Bei der Wegzug-steuer nach § 6 Abs. 1 AStG kann es aufgrund der Ausgestaltung des § 6 Abs. 5 AStG jedoch generell nicht zu einem Vorteil des Steuerpflichtigen kommen, dessen Steuer nicht zeitnah festgesetzt und beigetrieben wird, ohne dass es einer konkreten Berechnung bedürfte. Die Erhebung der Wegzugsteuer soll gerade nicht zeitnah, sondern erst dann erfolgen, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich einen der Tatbestände des § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG erfüllt. Steht jedoch zweifelsfrei fest, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Festsetzung keine Vor- oder Nachteile hatte, kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenen Steuernachforderung kein Vor- oder Nachteil ausgeglichen werden. Für den durch die Vorschrift des § 233a AO bezweckten Ausgleich ist dann kein Raum (BFH, Urteil vom 10.7.1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).

77Zinsen sind das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals (BFH, Urteil vom 16.10.1991 I R 145/90, BFHE 166, 145, BStBl II 1992, 321). Anders als im Falle einer Stundung nach § 222 AO wird der Steuerpflichtige durch eine auf § 6 Abs. 5 AStG gestützte Stundung in die Lage versetzt, das Geldkapital, das die gestundete Steuerschuld verkörpert, ohne Zinsen, also ohne Entgelt anderweitig zu nutzen. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, warum für die Zeit zwischen materiell-rechtlicher Entstehung und Festsetzung einer Steuerschuld Zinsen für diese entstehen sollen, wenn dies auch für die Zeit nach der Festsetzung durch die Verpflichtung zur zinslosen Stundung ausgeschlossen ist.

78Das Absehen von Zinsen gemäß § 233a AO auf eine verspätet festgesetzte Wegzug-steuer führt auch nicht dazu, dass diese als gezahlte Steuer iSv § 233a Abs. 3 AO bei der Berechnung von Zinsen zugunsten des Steuerpflichtigen und damit gleichsam doppelt berücksichtigt wird (vgl. zur Berücksichtigung einer gemäß § 21 Abs. 2 UmwStG 1995 gestundeten „Entstrickungssteuer“ als „gezahlte Steuer“ iSv § 233a Abs. 3 AO: FG Hamburg, Urteil vom 28.2.2006 VI 401/03, EFG 2006, 1380; zur Berücksichtigung einer zu Unrecht erfolgten Aufrechnung von zu erstattenden Steuerabzugsbeträgen mit einer gemäß § 21 Abs. 2 UmwStG 1995 gestundeten Entstrickungssteuer im Rahmen der Zinsberechnung des § 233a Abs. 3 AO: FG Hamburg, Urteil vom 24.4.2009 6 K 44/08, juris; BFH, Urteil vom 16.12.2009 I R 48/09, BFH/NV 2010, 827: hier ist der Ausgleich des Liquiditätsvorteils über den Erlass eines Abrechnungsbescheides hinsichtlich der zu Unrecht erfolgten Aufrechnung zu suchen).

79Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

80Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Kosten für ein Schlichtungsverfahren als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig

Der Kläger ist Eigentümer eines Zweifamilienhauses in einem ehemaligen Bergbaugebiet. In seiner Einkommensteuererklärung für 2010 machte er Rechtsanwaltsgebühren und Gutachterkosten im Zusammenhang mit einem Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Kläger hatte Schadensersatzansprüche gegen das Bergbauunternehmen erhoben und schließlich vor der Schlichtungsstelle einen Vergleich erwirkt. Das Finanzamt lehnte den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung unter Hinweis auf die fehlende Zwangsläufigkeit ab.

Dem ist das Finanzgericht Düsseldorf unter Berufung auf die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die einen Abzug von Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastung zulässt, entgegen getreten. Zwar handele es sich bei der Anrufung der Schlichtungsstelle Bergschaden nicht um die Beschreitung des Rechtswegs im engeren Sinne, das Schlichtungsverfahren stelle aber eine „Vorstufe“ zum Zivilprozess dar. Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens sei ebenfalls Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols. Tragfähige Gründe, die eine Differenzierung zwischen zivilgerichtlichen Verfahren und Schlichtungsverfahren rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat hier ebenfalls die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 06.12.2013 zum Urteil 11 K 3540/12 vom 08.08.2013 aus Newsletter 11/2013

Finanzgericht Düsseldorf, 11 K 3540/12 E

Datum:
08.08.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 K 3540/12 E
Tenor:

Der Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr 2010 vom 21. November 2012 wird dahingehend abgeändert, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 5.388 € nach Abzug der zumutbaren Belastung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Die Berechnung des festzusetzenden Steuerbetrags wird dem Beklagten übertragen.

Die Verfahrenskosten trägt der Beklagte.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:2Streitig ist die Berücksichtigung von Kosten für ein Schlichtungsverfahren als außergewöhnliche Belastung.

3Die Kläger werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erzielt der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Solaranlage).

4Der Kläger ist seit 8. Dezember 2010 Eigentümer des Objekts A-Weg in A-Stadt, das sich in einem ehemaligen Bergbaugebiet befindet. Er hat das Zweifamilienhaus aufgrund des notariellen Übergabevertrags vom 4. März 2010 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge von seinen Eltern, den Eheleuten E, übernommen. Besitz, Nutzungen und Lasten sind am 1. April 2010 auf den Kläger übergegangen. Nachdem der Vater des Klägers zwischenzeitlich verstorben und von der Mutter des Klägers beerbt worden war, änderten der Kläger und seine Mutter den Vertrag mit notarieller Urkunde vom 28. Oktober 2010 im Hinblick auf nicht streitrelevante Regelungen ab. Zugleich wurde der Vertrag vom 4. März 2010 genehmigt.

5In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2010 machten die Kläger Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Bergbauschaden an dem vorgenannten Objekt i. H. v. 5.388 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Hierbei handelte es sich um Rechtsanwaltsgebühren für die Vertretung in einem Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW i. H. v. 3.111,85 €, die den Eltern des Klägers in Rechnung gestellt worden waren, sowie um gegenüber dem Kläger selbst abgerechnete Gutachterkosten im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 2.275,28 €. Im Einzelnen wurden folgende Aufwendungen geltend gemacht:

6

Zahlungsempfänger (Rechnungsdatum) Abgerechnete Tätigkeit Betrag
RA R (24.04.2010) Vorschussrechnung für die Vertretung im Schlichtungsverfahren 3.111,85 €
Dipl.-Ing. D (27.10.2010) Bergschadenkundliche Begleitung im Verhandlungstermin vor der Schlichtungsstelle 547,40 €
Dipl.-Ing. D (29.06.2010) Erstellung der Schadensdokumentation 561,68 €
Dipl.-Ing. D (04.06.2010) Markscheiderische Fachbegleitung im Schlichtungsverfahren 309,40 €
Dipl.-Ing. D (26.05.2010) Markscheiderische Fachbegleitung im Schlichtungsverfahren 309,40 €
Dipl.-Ing. D (21.04..2010) Bergschadenkundliche Begleitung im Verhandlungstermin vor der Schlichtungsstelle 547,40 €

7Hintergrund dieser Aufwendungen war, dass die Eltern des Klägers im Jahr 2009 einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem zuständigen Bergbauunternehmen geltend gemacht hatten. Diese hatte zunächst weitere – über eine im Jahr 2007 erfolgte Schadensregulierung hinausgehende – Entschädigungszahlungen abgelehnt (vgl. Schreiben vom 9. Oktober 2009, Blatt 21 ff. der Gerichtsakte). Daraufhin hatten die Eltern des Klägers ein Schlichtungsverfahren bei der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW beim Regionalverband Ruhr eingeleitet. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 15. Februar 2011 hatten die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, wonach das Bergbauunternehmen 22.000 € zu zahlen hatte (Blatt 24 der Gerichtsakte). Die Zahlung war auf das Konto des Klägers erfolgt.

8Der Beklagte versagte den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Einkommensteuerbescheid vom 10. August 2011 und wies auf die fehlende Zwangsläufigkeit der Aufwendungen hin. Dagegen legten die Kläger rechtzeitig Einspruch ein und beriefen sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015). Mit Bescheid vom 17. Oktober 2011 änderte der Beklagte die Festsetzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung – AO –, allerdings ohne die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens verwies er auf den Nichtanwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 20. Dezember 2011 (BStBl I 2011, 1286).

9Mit Einspruchsentscheidung vom 21. August 2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass dem Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung die fehlende Zwangsläufigkeit entgegenstehe. Das BFH-Urteil vom 12. Mai 2012 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) sei zu Zivilprozesskosten ergangen. Anders als der Zivilprozess, dem sich der Steuerpflichtige aufgrund des Rechtsstaatsprinzips nicht entziehen könne, sei das Schlichtungsverfahren ein freiwilliges Verfahren. Zudem seien die Gutachterkosten im Zeitraum April bis Oktober 2010 und damit vor dem Eigentumsübergang auf den Kläger abgerechnet worden. Der Kläger selbst habe den Sachverständigen beauftragt, Schadensersatzansprüche hätten jedoch allein seinen Eltern zugestanden. Daher lägen steuerlich nicht absetzbare Zuwendungen des Klägers an seine Eltern vor. Soweit die Eltern selbst Rechnungsempfänger gewesen seien, komme eine Berücksichtigung nach den Grundsätzen des abgekürzten Zahlungs- oder Vertragswegs ebenfalls nicht in Betracht.

10Die Kläger haben am 24. September 2012 Klage erhoben. Zur Begründung berufen sie sich weiterhin auf das BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015) und machen geltend, die Aufwendungen seien zwangsläufig entstanden. Das Bergbauunternehmen habe eine Schadensregulierung mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 abschließend zurückgewiesen. Für derartige Fälle sei beim Regionalverband Ruhr eine Schlichtungsstelle für Bergschäden eingerichtet, an die sich Bergschadensbetroffene in NRW wenden könnten. Der ordentliche Rechtsweg werde durch dieses Schlichtungsverfahren nicht ausgeschlossen, allerdings werde die Verjährung etwaiger Schadensersatzansprüche gehemmt. Da sich im Schlichtungsverfahren regelmäßig Kostenvorteile ergäben, da insbesondere für das Verfahren selbst keine Kosten – insbesondere keine Gerichtskosten – anfielen, sei dies für Betroffene der günstigste Weg, ihre Entschädigungsansprüche geltend zu machen, ohne einen Rechtsverlust zu erleiden. Im Rahmen des Schlichtungsverfahrens sei in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2011 hinsichtlich der geltend gemachten Schäden eine Einigung gefunden worden. Dieses Verfahren habe der Kläger selbst geführt, die Entschädigung sei auf sein Konto geflossen. Das Verhandlungsergebnis zeige, dass das Schlichtungsverfahren nicht mutwillig gewesen sei, sondern Aussicht auf Erfolg geboten habe, denn ansonsten hätte sich das Bergbauunternehmen zu der entsprechenden Zahlung nicht verpflichtet.

11Die angefallenen Rechtsverfolgungskosten seien zwangsläufig, da die Bergbauschäden insbesondere im Hinblick auf die damit regelmäßig verbundenen Schadenshöhen und die Auswirkungen in vermögensrechtlicher Sicht gravierend und existenzberührend seien. Insbesondere aufgrund dieser für die Geschädigten mit der Geltendmachung verbundenen Folgen, der bergbaurechtlichen Besonderheiten und gesetzlichen Regelungen sei auch die anwaltliche Zuhilfenahme im Verfahren dringend geboten und daher im Sinne der gesetzlichen Regelung zwangsläufig. Denn alternativ zum Schlichtungsverfahren wäre den Klägern nur die Durchführung der Zivilklage möglich gewesen, um die eindeutige und endgültige Zurückweisung der Ansprüche durch das Bergbauunternehmen angreifen zu können. In diesem Verfahren wären jedoch nicht nur identische, sondern tatsächlich sogar noch höhere Kosten – insbesondere Gerichtskosten – angefallen, die durch die Durchführung des Schlichtungsverfahrens tatsächlich hätten vermieden werden können. Die Auffassung des Beklagten, es würde sich insoweit nicht um Prozesskosten handeln, sei jedenfalls falsch. Tatsächlich sei der ordnungsgemäße Rechtsweg beschritten und eine staatliche Stelle genutzt worden. Im Übrigen werde auch ein Zivilprozess freiwillig eingeleitet. Es könne keinerlei Unterschied machen, ob der Steuerpflichtige unmittelbar ein (kostenträchtigeres) Zivilverfahren einleite oder ein staatlich zur Verfügung gestelltes Schlichtungsverfahren nutze. Die Ausführungen des BFH im vorgenannten Urteil seien eins zu eins auf das Schlichtungsverfahren übertragbar.

12Im Hinblick auf die angefallenen Gutachterkosten werde auf die einzelnen Rechnungen und Gutachten (Blatt 104 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen. Hintergrund der Aufwendungen sei die Schadensdokumentation und -feststellung sowie die fachkundliche Begleitung in dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle gewesen. Daher seien auch diese Aufwendungen zwangsläufig angefallen.

13Schließlich komme der Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung auch auf der Grundlage der früheren – strengeren – Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung in Betracht. Da die dem Kläger gehörende und durch Bergschäden erheblich beschädigte Immobilie betroffen sei, habe das Schlichtungsverfahren eine existenziell wichtige Lebensfrage im Kernbereich des Lebens berührt. Dies gelte umso mehr, als die Bergschäden zu einer Beschädigung des Entwässerungssystems und damit zu einer Verunreinigung des Grundwasserbrunnens geführt hätten.

14Nachdem der Beklagte den angefochtenen Bescheid am 21. November 2012 wegen nicht streitiger Gesichtspunkte nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert hat, beantragen die Kläger,

15den Einkommensteueränderungsbescheid vom 21. November 2012 dahingehend abzuändern, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 5.388 € nach Abzug der zumutbaren Belastung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden sowie

16die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,

17hilfsweise, die Revision zuzulassen.

18Der Beklagte beantragt,

19              die Klage abzuweisen,

20              hilfsweise, die Revision zuzulassen.

21Zur Begründung verweist der Beklagte im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, das Schlichtungsverfahren sei – anders als der Zivilprozess – ein freiwilliges Verfahren. Denn der ordentliche Rechtsweg sei durch das Schlichtungsverfahren nicht ausgeschlossen worden. Der Steuerpflichtige müsse aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols zur Durchsetzung seiner Ansprüche den Rechtsweg beschreiten, nicht aber ein Schlichtungsverfahren durchführen.

22Darüber hinaus hat der Beklagte im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Revisionsverfahren das Ruhen des Verfahrens angeregt.

23Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Sitzungsniederschrift vom 8. August 2013, und der beigezogenen Steuerakte des Beklagten Bezug genommen.

24Entscheidungsgründe:

25Die vom Beklagten vor dem Hintergrund der anhängigen Revisionsverfahren angeregte Verfahrensruhe (§ 155 der Finanzgerichtsordnung – FGO – in Verbindung mit § 251 der Zivilprozessordnung – ZPO –) kommt nicht in Betracht, da die Kläger ihr nicht zugestimmt haben. Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO hält der Senat im Hinblick auf die besonderen Umstände des Streitfalls (Schlichtungsverfahren als besondere „Form“ des Zivilprozesses) für nicht angezeigt.

26Die Klage ist begründet

27Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 21. November 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit der Beklagte Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Schlichtungsverfahren i. H. v. 5.388 € nach Abzug der zumutbaren Belastung nicht als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG berücksichtigt hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

28Die geltend gemachten Aufwendungen können i. H. v. 5.388 € unter Abzug der zumutbaren Belatung als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes – EStG – abgezogen werden.

29Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

30Nach dem BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 (VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 mit weiteren Nachweisen) können Zivilprozesskosten – in Änderung der bis dato ständigen Rechtsprechung – unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, dass die Auffassung, der Steuerpflichtige übernehme das Prozesskostenrisiko „freiwillig“, verkenne, dass streitige Ansprüche wegen des staatlichen Gewaltmonopols regelmäßig nur gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren seien. Dies folge aus dem Rechtsstaatsgrundsatz. Es sei ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen grundsätzlich zu verwehren. Die Parteien würden zur gewaltfreien Lösung von Rechtsstreitigkeiten und Interessenkonflikten der Staatsbürger vielmehr auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung sei für die Frage der Zwangsläufigkeit von Prozesskosten nicht auf die Unausweichlichkeit des der streitgegenständlichen Zahlungsverpflichtung oder dem strittigen Zahlungsanspruch zugrunde liegenden Ereignisses abzustellen. Denn der Steuerpflichtige müsse, um sein Recht durchzusetzen, im Verfassungsstaat des Grundgesetzes den Rechtsweg beschreiten. Dieser Unausweichlichkeit stehe nicht entgegen, dass mit den Kosten eines Zivilprozesses in der Regel nur die unterliegende Partei (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO) belastet sei. Denn der Einwand, der Unterliegende hätte bei gehöriger Prüfung seiner Rechte und Pflichten erkennen können, der Prozess werde keinen Erfolg haben, werde der Lebenswirklichkeit nicht gerecht. Als außergewöhnliche Belastungen seien Zivilprozesskosten jedoch nur zu berücksichtigen, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen habe. Er müsse diesen vielmehr unter verständiger Würdigung des Für und Wider – auch des Kostenrisikos – eingegangen sein. Demgemäß seien Zivilprozesskosten des Klägers wie des Beklagten nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten habe.

311. In Anwendung dieser Grundsätze sind dem Kläger die streitgegenständlichen Aufwendungen aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Zwar handelt es sich bei der Anrufung der Schlichtungsstelle Bergschaden in NRW nicht um die Beschreitung des Rechtsweges im engeren Sinne. Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens stellt insbesondere keine Prozessvoraussetzung für das zivilgerichtliche Verfahren (vgl. die obligatorische Streitschlichtung in § 15a des Einführungsgesetzes zur ZPO – EGZPO –) dar. Zudem ist die Einrichtung der Schlichtungsstelle nicht auf gesetzlicher Grundlage erfolgt, vielmehr haben sich das Bergbauunternehmen und weitere Bergbauunternehmen vertraglich zur Beilegung von Streitigkeiten aus Bergschadensersatzansprüchen im Steinkohlerevier in NRW verpflichtet. Gleichwohl sieht der erkennende Senat im Schlichtungsverfahren eine „Vorstufe“ zum Zivilprozess und damit eine Maßnahme zur Beschreitung des Rechtswegs im weiteren Sinne. Die Durchführung des Schlichtungsverfahrens ist ebenfalls Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols. Dafür spricht insbesondere, dass das Wirtschaftsministerium des Landes NRW die Schlichtungsstelle auf Anregung des Landesverbandes der Bergbaubetroffenen und auf Initiative des Unterausschusses „Bergbausicherheit“ des Landtages unter Mitwirkung der beteiligten Interessenverbände, der Unternehmen des Steinkohlenbergbaus sowie des Regionalverbands Ruhr und des Justizministeriums organisiert hat (vgl. Presseinformation des Landesministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Energie vom 6. Februar 2009, abrufbar unter. Zudem ist die Schlichtungsstelle beim Regionalverband Ruhr, dem Zusammenschluss der elf kreisfreien Städte und vier Kreise in der Metropole Ruhr, und damit bei einer staatlichen Stelle eingerichtet worden.

32Der erkennende Senat kann keine tragfähigen Gründe erkennen, die eine Differenzierung zwischen zivilgerichtlichen Verfahren und Schlichtungsverfahren im Anwendungsbereich des § 33 EStG rechtfertigen könnten. Beide Verfahren werden auf der Grundlage einer freien Entscheidung des Steuerpflichtigen eingeleitet. Gleichwohl handelt es sich jeweils um vom Verfassungsstaat legitimierte geordnete (staatliche) Verfahren. Sie dienen letztlich beide dazu, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen zu verwehren, einem zentralen Aspekt der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015). Die Schlichtungsstelle trifft ihre Entscheidungen ebenfalls auf der Grundlage der Rechtsvorschriften der BRD (§ 4 Ziff. 2 der Schlichtungsordnung). Das Schlichtungsverfahren stellt aus der Sicht der Betroffenen allein eine kostengünstige Maßnahme zur Streitbeilegung dar, wobei der (ordentliche) Rechtsweg nicht ausgeschlossen und die Verjährung von Bergschadensersatzansprüchen gehemmt wird (§ 8 der Schlichtungsordnung). Dies rechtfertigt mit Blick auf § 33 EStG aber keine abweichende Beurteilung. Es kann dem Steuerpflichtigen aus steuerlicher Sicht nicht zum Nachteil gereichen, wenn er aus wirtschaftlichen Gründen nicht den Weg zu den Zivilgerichten beschreitet, sondern ein Schlichtungsverfahren einleitet. Auch dann wird die subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gemindert, so dass der Sinn und Zweck des § 33 EStG die Berücksichtigung der Aufwendungen gebietet.

33Der Kläger hat sich auch nicht mutwillig oder leichtfertig auf das Schlichtungsverfahren eingelassen. Die Kosten stellen sich als unausweichlich dar, da die Rechtsverfolgung aus der Sicht eines verständigen Dritten – wie der Ausgang des Schlichtungsverfahrens zeigt – hinreichende Aussicht auf Erfolg bot.

34Vor diesem Hintergrund kann der Senat offen lassen, ob sich die Schlichtungskosten – wie die Kläger meinen – auch in Anwendung der mittlerweile überholten BFH-Rechtsprechung zu Prozesskosten als abzugsfähig darstellen. Danach konnten Zivilprozesskosten (nur dann) abzugsfähig sein, wenn der Steuerpflichtige ohne den Prozess Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren, oder wenn um Kernbereiche des Lebens gestritten wird (vgl. nur BFH-Urteil vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726; Loschelder, in: Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 33 Rn. 35 „Prozesskosten“). Im Hinblick auf die aus den streitgegenständlichen Bergschäden resultierende Trinkwasserproblematik liegt eine Berührung des Kernbereichs des Lebens zumindest nicht fern. Darauf kommt es jedoch nicht mehr an, da die rechtliche Zwangsläufigkeit ohnehin zu bejahen ist.

352. Die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 und 2 EStG sind erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Aufwendungen i. H. v. 5.388 € können daher nach Abzug der zumutbaren Belastung im Sinne des § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i. H. v. 945,90 € (31.530 € Gesamtbetrag der Einkünfte gemäß Bescheid vom 21. November 2012 x 3 %) – mithin im Umfang von 4.442,10 € – als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt werden.

363. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 (BGBl. I 2013, 1809) – AmthilfeRLUmsG –, wonach Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) vom Abzug ausgeschlossen sind, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, gelangt im Streitfall nicht zur Anwendung. Da der Gesetzgeber keine besondere Anwendungsbestimmung aufgestellt hat, gilt die am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Norm (Art. 31 Abs. 1 des AmtshilfeRLUmsG) ab dem Veranlagungszeitraum 2013 (§ 52 Abs. 1 EStG).

37Die Übertragung der Ermittlung des festzusetzenden Steuerbetrags auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

38Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

39Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

40Die Revision war zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) zuzulassen.

Kein ermäßigter Steuersatz für Frühstücksleistungen an Hotelgäste

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Urteil vom 24. April 2013 (XI R 3/11) entschieden, dass bei Übernachtungen in einem Hotel nur die unmittelbar der Beherbergung dienenden Leistungen des Hoteliers dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 % unterliegen. Frühstücksleistungen an Hotelgäste gehören nicht dazu; sie sind mit dem Regelsteuersatz von 19 % zu versteuern, auch wenn der Hotelier die „Übernachtung mit Frühstück“ zu einem Pauschalpreis anbietet.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ermäßigt sich die Umsatzsteuer von 19 % der Bemessungsgrundlage (sog. Regelsteuersatz) auf 7 % für „die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Satz 1 gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.“ Die Vorschrift ist mit Wirkung vom 1. Januar 2010 in das UStG eingefügt worden (sog. Hotelsteuer).

Die Klägerin betrieb ein Hotel, in dem sie ausschließlich „Übernachtungen mit Frühstück“ anbot. Im Zimmerpreis war das Frühstück mit einem bestimmten Anteil kalkulatorisch enthalten. Für den auf das Frühstück entfallenden Teil des Gesamtpreises forderte das Finanzamt den Regelsteuersatz.

Zu Recht, wie der BFH nun befand, weil die Frühstücksleistungen nicht unmittelbar der Vermietung dienen. Dass die Steuerbegünstigung für Übernachtungen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auch das Frühstück umfassen sollte, war zudem im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich erörtert und beschlossen worden.

BFH, Pressemitteilung Nr. 83/13 vom 04.12.2013 zum Urteil XI R 3/11 vom 24.04.2013

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 24.4.2013, XI R 3/11

Regelsteuersatz für Frühstücksleistungen an Hotelgäste – Aufteilungsgebot – Hauptleistung und Nebenleistung

Leitsätze

1. Bei Übernachtungen in einem Hotel unterliegen nur die unmittelbar der Vermietung (Beherbergung) dienenden Leistungen des Hoteliers dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 %.

 

2. Frühstücksleistungen an die Hotelgäste gehören nicht dazu; sie sind mit dem Regelsteuersatz von 19 % zu versteuern. Das gilt auch dann, wenn der Hotelier „Übernachtung mit Frühstück“ zu einem Pauschalpreis anbietet.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb im Streitjahr 2010 ein Hotel mit angeschlossenem Restaurant, in dem ausschließlich „Übernachtungen mit Frühstück“ angeboten wurden. Hierbei berechnete sie für das Einzelzimmer 45 EUR (brutto) und für das Doppelzimmer 65 EUR (brutto). Im Preis enthalten war ein Frühstück in Buffetform, auf das nach ihrer Kalkulation ein Anteil von 8 EUR (brutto) pro Person entfiel. Sie bot zudem ein Tellerfrühstück an, auf das nach ihrer Kalkulation ein Anteil von 4,80 EUR (brutto) entfiel, ohne dass hiermit eine Minderung des Zimmerpreises verbunden war.
2
In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar und für Februar 2010 unterwarf die Klägerin ihre Frühstücksumsätze an Hotelgäste (Privatkunden) dem ermäßigten Steuersatz von 7 %.
3
Am 10. Mai 2010 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Januar und für Februar 2010 abweichend fest und besteuerte die Frühstücksumsätze mit dem Regelsteuersatz von 19 %.
4
Die Einsprüche und die Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) folgte der Ansicht des FA.
5
Es führte im Wesentlichen aus, die Überlassung von Hotelzimmern zur Übernachtung unterfalle gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, dem ermäßigten Steuersatz. Die Frühstücksleistungen seien dagegen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 UStG dem vollen Steuersatz zu unterwerfen. Es handele sich um selbständige Leistungen, die nicht „unmittelbar der Übernachtung“ dienten. Der Senat schließe sich insoweit der Auffassung der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen –BMF– vom 5. März 2010 IV D 2 – S 7210/07/10003, IV C 5 – S 2353/09/10008, 2010/0166200, BStBl I 2010, 259, und vom 4. Mai 2010 IV D 2 – S 7100/08/10011:009, 2010/0323351, BStBl I 2010, 490) an.
6
Anders als in dem dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97 –Madgett und Baldwin– (Slg. 1998, I-6229, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 1999, 129) zugrunde liegenden Fall handele es sich hier nicht um ein pauschales Leistungspaket, bestehend aus einer Hotelunterbringung mit Halbpension und Busbeförderung, sondern lediglich um Individualübernachtungen mit Frühstück von Privaten.
7
Die Frühstücksleistung stelle sich aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers als eigenständige Leistung dar, die für die Kundschaft einen eigenen Zweck beinhalte. Sie diene nicht lediglich dazu, die Übernachtungsleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
8
Dies ergebe sich daraus, dass mit beiden Leistungen unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt würden (Schlafmöglichkeit einerseits und Nahrungsaufnahme andererseits). Die Frühstücksleistung erfülle danach einen eigenständigen Zweck. Ihr Sinn erschöpfe sich nicht darin, die Übernachtungsleistung abzurunden. Auch im Übrigen seien beide Leistungen weder rechtlich noch tatsächlich derart miteinander verbunden, dass die eine Leistung nicht ohne die andere erbracht werden könne. Es bestehe zwischen beiden Leistungen keine derart enge Verbindung, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden würden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
9
Die Vereinbarung eines pauschalen Entgelts könne hieran nichts ändern. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG seien von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes Leistungen ausgenommen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten seien. Die Frühstücksleistungen würden zwar im Zusammenhang mit der Übernachtungsleistung erbracht, jedoch zu einem eigenen, selbständigen Zweck, der Beköstigung der Gäste. Sie dienten daher nicht unmittelbar der Übernachtung.
10
Diese Rechtsansicht entspreche im Ergebnis dem in den Begründungen des Finanzausschusses (BTDrucks 17/147) zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen, Verpflegungsleistungen im Zusammenhang mit Übernachtungen nicht ermäßigt zu besteuern.
11
Das Urteil ist veröffentlicht in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2011, 1408.
12
Mit der Revision macht die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts geltend. Sie trägt vor, die Vorentscheidung widerspreche dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung, der sich aus § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG ergebe, und verstoße gegen § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG. Denn die Frühstücksleistung sei unselbständige Nebenleistung der Hauptleistung „Beherbergung“, so dass der darauf entfallende Entgeltteil dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliege.
13
Das Urteil des FG weiche von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Januar 2009 V R 9/06 (BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433) ab. Darin sei die hier in Rede stehende Rechtsfrage, ob Verpflegungsleistungen an Gäste eines Hotelbetriebs umsatzsteuerrechtlich als Nebenleistung zur Beherbergungsleistung zu betrachten seien, nämlich als unselbständige Nebenleistung zur Beherbergungsleistung, bereits umfassend beurteilt und bejaht worden. Das müsse auch im Streitfall gelten. Die Frühstücksleistung habe wertmäßig nur einen geringen Teil der insgesamt erbrachten Beherbergungsleistung ausgemacht; es sei ferner ausschließlich die Kombination „Übernachtung mit Frühstück“ angeboten worden. Der Auffassung des FG, die Frühstücksleistung trete aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers nicht hinter die Übernachtungsleistung zurück, werde auch in der Fachliteratur widersprochen.
14
Die Vorentscheidung widerspreche auch dem EuGH-Urteil –Madgett und Baldwin– (Slg. 1998, I-6229, HFR 1999, 129). Auch danach müssten die streitigen Frühstücksleistungen als unselbständige Nebenleistungen zur Hauptleistung „Beherbergung“ angesehen werden. Denn es handele sich um „traditionelle Aufgaben der Hoteliers“ im Sinne dieses Urteils, die damit auch als „reine“ Nebenleistungen zu betrachten seien.
15
Ebenso wenig rechtfertige die vom FG vorgenommene Unterscheidung zwischen Pauschalreisen und Individualübernachtungen eine unterschiedliche rechtliche Würdigung.
16
Die Rechtsansicht des FG entspreche –entgegen der Vorentscheidung– auch nicht dem Willen des Gesetzgebers. Im Bericht des Finanzausschusses vom 3. Dezember 2009 (BTDrucks 17/147) sei zwar deutlich formuliert, dass Frühstücksleistungen nicht unmittelbar der Beherbergung dienten und damit nicht dem ermäßigten Steuersatz unterworfen seien. Diese Auffassung stehe allerdings im Widerspruch zu anderen Formulierungen in diesem Bericht und zu im Gesetzgebungsverfahren geäußerten kritischen Stimmen Dritter. Sie stehe jedenfalls nicht im Einklang mit dem verabschiedeten Gesetzeswortlaut, der nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung maßgebend sei. Der Gesetzgeber habe –wie aus dem Bericht des Finanzausschusses (BTDrucks 17/147, 7) geschlossen werden könne– nicht die Absicht verfolgt, die Abgrenzung von umsatzsteuerrechtlicher Haupt- und Nebenleistung systematisch neu zu ordnen.
17
Wie die Gesetzesformulierung „nicht unmittelbar (…) dienen“ in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG umsatzsteuerrechtlich zu werten sei, lasse sich möglicherweise auch aus anderen Stellen des UStG ableiten. Das Wort „unmittelbar“ finde sich in § 12 Abs. 2 Nrn. 4, 7 Buchst. d, 8 Buchst. a, 9 UStG. Exemplarisch sei die Nr. 9 untersucht: § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG betreffe die ermäßigte Besteuerung von „… unmittelbar mit dem Betrieb der Schwimmbäder verbundenen Umsätze[n]“. Zu den unmittelbar damit verbundenen Umsätzen zählten nach Klenk (in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 12 Rz 427) alle ergänzenden Nebenleistungen und notwendigen Hilfsleistungen.
18
„Unmittelbare Verbindung“ oder „unmittelbares Dienen“ umfasse auch unselbständige Neben- und Hilfsleistungen. Durch die gewählte Formulierung werde die unselbständige Nebenleistung nicht von der Hauptleistung abgetrennt.
19
Nachdem das FA im Revisionsverfahren am 6. Januar 2012 einen Umsatzsteuerjahresbescheid für 2010 erlassen hat, in dem es die im Streitjahr von der Klägerin erbrachten Frühstücksleistungen (wiederum) dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG unterwarf, beantragt die Klägerin sinngemäß,

das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2010 aufzuheben und den Umsatzsteuerjahresbescheid für 2010 vom 6. Januar 2012 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2010 auf … EUR festgesetzt wird.

20
Das FA beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

21
Das gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetretene BMF stimmt –wie das FA– der Auffassung des FG zu, hat aber keinen Antrag gestellt.
22
Das BMF führt aus, Beherbergungs- und Verpflegungsleistungen stellten jeweils eigenständige Hauptleistungen dar. Es könne nicht in das Belieben der am Leistungsaustausch Beteiligten gestellt werden, zwei getrennte Leistungen zu einer einheitlichen Leistung zu machen.
23
Jedenfalls nehme § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG gerade nicht auf die Einstufung als Haupt- und Nebenleistung Bezug, sondern schließe alle Leistungen von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aus, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, unabhängig davon, ob ein gesondertes Entgelt hierfür gefordert werde. Diese Abgrenzung gehe über die Unterscheidung von Haupt- und Nebenleistung hinaus und sei deutlich restriktiver. Es sei wohl unstreitig, dass die Bereitstellung des Frühstücks nicht unmittelbar der begünstigten Vermietung diene. Daher sei nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG insoweit die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausgeschlossen. Dies entspreche auch der Teleologie des Gesetzes.

Entscheidungsgründe

24
II. Das Urteil des FG ist zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Die Revision der Klägerin ist aber unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Frühstücksleistungen dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG unterliegen.
25
1. Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Da dem FG-Urteil nicht mehr existierende Verwaltungsakte zugrunde liegen, konnte es keinen Bestand haben (vgl. BFH-Urteile vom 30. Mai 2001 VI R 85/00, BFH/NV 2001, 1291; vom 3. November 2005 V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337; vom 10. November 2010 XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311).
26
Der im Revisionsverfahren ergangene Umsatzsteuerjahresbescheid für 2010 vom 6. Januar 2012 hat die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Januar und Februar 2010, die Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen sind, i.S. der §§ 68 Satz 1, 121 Satz 1 FGO ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird gemäß der auch im Revisionsverfahren (§ 121 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das gilt auch für den Umsatzsteuerjahresbescheid im Verhältnis zum Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. Februar 1991 V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465; vom 4. November 1999 V R 35/98, BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454, unter II.1.; in BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1.; in BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, unter II.1.). Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist deshalb nunmehr die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerjahresbescheides für 2010 vom 6. Januar 2012.
27
2. Die Sache ist spruchreif, weil der vom FG festgestellte Sachverhalt ausreicht, um abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob der Umsatzsteuerjahresbescheid für 2010 vom 6. Januar 2012 rechtmäßig ist.
28
Denn hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein streitigen Frage, ob auf die von der Klägerin erbrachten Frühstücksleistungen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG der ermäßigte Steuersatz Anwendung findet, hat sich durch Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheides für 2010 vom 6. Januar 2012 nichts geändert. Die Klägerin hat hierzu unwidersprochen mitgeteilt, dass das FA in dem Bescheid vom 6. Januar 2012 keine weiteren Änderungen gegenüber ihrer Umsatzsteuerjahreserklärung für 2010 vorgenommen hat.
29
Der Senat sieht deshalb von einer Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG nach § 127 FGO ab.
30
3. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin erbrachten Frühstücksleistungen nicht dem ermäßigten Steuersatz, sondern dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG unterliegen.
31
a) Die Steuer beträgt gemäß § 12 Abs. 1 UStG für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 % der Bemessungsgrundlage (sog. Regelsteuersatz). Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für „die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Satz 1 gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.“
32
b) § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG wurde durch das Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums vom 22. Dezember 2009 (BGBl I 2009, 3950) mit Wirkung vom 1. Januar 2010 neu in das UStG eingefügt.
33
aa) Der Gesetzentwurf vom 9. November 2009 hatte folgende Fassung der Vorschrift vorgesehen (BTDrucks 17/15, 7):
34
„11. die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält“.
35
In der Begründung des Gesetzentwurfs (BTDrucks 17/15, 20) wird hierzu ausgeführt: „Mit der Änderung wird der Umsatzsteuersatz für Beherbergungsleistungen auf 7 Prozent gesenkt. Die Ermäßigung umfasst sowohl die Umsätze des klassischen Hotelgewerbes als auch kurzfristige Beherbergungen in Pensionen, Fremdenzimmern und vergleichbaren Einrichtungen. Mit der Maßnahme wird von der Option in Artikel 98 Absatz 1 und 2 i.V.m. Kategorie 12 des Anhangs III der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. EU Nr. L 347 S. 1) Gebrauch gemacht.“
36
bb) In der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 2. Dezember 2009 (BTDrucks 17/138, 2) heißt es:
37
„Der Finanzausschuss empfiehlt insbesondere folgende Veränderungen:

(…)

Umsatzsteuerermäßigung für Beherbergungsleistungen: Klarstellende Einschränkung auf die unmittelbar für die Beherbergung notwendigen Leistungen sowie Ausweitung auf die kurzfristige Vermietung von Campingflächen.“
38
Der Finanzausschuss (BTDrucks 17/138, 5, 6) empfahl daher dem Bundestag, die vom Gesetzgeber auch verabschiedete –oben dargestellte– Fassung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG zu beschließen.
39
cc) Hierzu wird in dem Bericht des Finanzausschusses vom 3. Dezember 2009 (BTDrucks 17/147, 7) im „Allgemeine[n] Teil“ u.a. ausgeführt:
40
„Die Koalitionsfraktionen brachten einen Änderungsantrag zur klarstellenden Einschränkung auf die unmittelbar für die Beherbergung notwendigen Leistungen sowie zur Ausweitung auf die kurzfristige Vermietung von Campingflächen ein. Die Koalitionsfraktionen betonten, hiermit werde eine eindeutige Abgrenzung des Beherbergungsgewerbes gegenüber den Nebenleistungen des Hotelgewerbes normiert. […] Auf mehrere Nachfragen nach der Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenleistungen hält die Bundesregierung es gegebenenfalls für notwendig, die einheitliche Anwendung der Regelung durch entsprechende Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen sicherzustellen. Eine systematische Änderung der Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistungen wurde jedoch abgelehnt. Die Oppositionsfraktionen kritisierten dies wegen des zusätzlichen Verwaltungsaufwands und der entstehenden Bürokratiekosten scharf. Die Koalitionsfraktionen hielten dem jedoch entgegen, wie auch in anderen Branchen sei es bereits in der Vergangenheit beispielsweise durch den Verkauf von Zeitungen in Hotels notwendig, den Kunden verschiedene Umsatzsteuersätze in Rechnung zu stellen.“
41
dd) Weiter heißt es im „Besondere[n] Teil“ des Berichts des Finanzausschusses vom 3. Dezember 2009 (BTDrucks 17/147, 9):
42
„Nicht von der Steuerermäßigung umfasst, da sie nicht unmittelbar der Beherbergung dienen, sind die Verpflegung, insbesondere das Frühstück, der Zugang zu Kommunikationsnetzen (insbesondere Telefon und Internet), die TV-Nutzung (‚pay per view‘), die Getränkeversorgung aus der Minibar, Wellnessangebote, Überlassung von Tagungsräumen, sonstige Pauschalangebote usw., auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Beherbergung abgegolten sind.“
43
c) Der Gesetzgeber hat mit § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG –wie er in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Ausdruck bringt (BTDrucks 17/15, 20)– von der Option in Art. 98 Abs. 1 und 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 12 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) Gebrauch gemacht. In Anhang III Kategorie 12 MwStSystRL heißt es: „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen“.
44
4. Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die von der Klägerin erbrachten Frühstücksleistungen nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
45
Zwar ist die entgeltliche Überlassung der Hotelzimmer –wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist– eine Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die die Klägerin zur kurzfristigen Beherbergung bereithielt. Die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Vermietung erbrachten Frühstücksleistungen sind aber Leistungen, die i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG nicht unmittelbar der Vermietung dienen, und deshalb von der Steuerermäßigung ausgenommen sind.
46
Dies folgt aus dem Wortlaut des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG und der dargestellten Entstehungsgeschichte dieser Norm, die –entgegen der Ansicht der Klägerin– im Gesetzeswortlaut hinreichend zum Ausdruck kommt und deshalb bei der Auslegung berücksichtigt werden darf bzw. muss (vgl. dazu z.B. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1987  1 BvR 1135/86, Neue Juristische Wochenschrift 1987, 3246; vom 31. Mai 2007  1 BvR 1316/04, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2007, 737, unter IV.3.b; BFH-Urteile vom 15. Oktober 1998 V R 69/97, BFHE 187, 93, BStBl II 1999, 41, unter II.2.a; vom 14. März 2012 XI R 33/09, BFHE 236, 283, BStBl II 2012, 477, unter II.2.b).
47
a) Nach dem Gesetzentwurf zu § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG (s. oben unter II.3.b aa) wären neben den klassischen Beherbergungsleistungen auch die (unselbständigen) Nebenleistungen steuerermäßigt gewesen. Eine Nebenleistung liegt vor, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des leistenden Unternehmers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen; sie „teilt das steuerliche Schicksal der Hauptleistung“, d.h. sie wird umsatzsteuerrechtlich wie die Hauptleistung behandelt (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433, unter II.1.a; vom 19. Oktober 2011 XI R 20/09, BFHE 235, 538, BStBl II 2012, 374, unter II.2.a; Lange, UR 2009, 289 ff.).
48
Diese Einbeziehung sämtlicher Nebenleistungen in die in § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG vorgesehene Steuerermäßigung wollte der Gesetzgeber durch den auf Vorschlag des Finanzausschusses „zur klarstellenden Einschränkung“ eingefügten Satz 2 der Vorschrift gerade verhindern (zutreffend Huschens, Neue Wirtschafts-Briefe –NWB– 2010, 100, unter I.; Lippross, Umsatzsteuer, 23. Aufl., S. 780; Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG Rz 3; a.A. von Streit, Der Umsatz-Steuer-Berater –UStB– 2010, 46, 48).
49
Die vom Gesetzgeber sodann verabschiedete Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG ist mithin auf reine Vermietungs- bzw. Beherbergungsleistungen beschränkt (vgl. Huschens, NWB 2010, 100, unter I.; Widmann, UR 2010, 8, 9; Neufang/Beisswenger/ Treiber, Betriebs-Berater –BB– 2010, 740, 742) und schließt durch § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG (bloße) Nebenleistungen zur Vermietung, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, vom ermäßigten Steuersatz aus (vgl. Birkenfeld in Birkenfeld/ Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 148a Rz 141, 145; Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG Rz 3; Beiser, Deutsche Steuer-Zeitung –DStZ– 2010, 568; Huschens, NWB 2010, 100, unter IV.; Walkenhorst, UStB 2010, 108, 109).
50
Damit normiert § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG ein Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen (vgl. Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, a.a.O., § 148a Rz 141; Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 389.15; Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG Rz 57; Klenk, UR 2010, 727, 732; Tiedtke, UR 2010, 517, 521; BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 259, Rz 10; Abschn. 12.16. Abs. 8 Satz 1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses –UStAE–).
51
b) Dies ist unionsrechtskonform (vgl. Nieskens in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 31 ff.; Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 389.16; Beiser, DStZ 2010, 568; Kretzer-Moßner/Neeser, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 2010, 153, 156).
52
aa) Nach Art. 98 Abs. 1 und 2 MwStSystRL haben die Mitgliedstaaten unter der Voraussetzung, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt, die Möglichkeit, (nur) konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Dienstleistungen i.S. des Anhangs III MwStSystRL mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen (vgl. EuGH-Urteile vom 11. Oktober 2001 C-267/99 –Adam–, Slg. 2001, I-7467, Rz 35, 36; vom 23. Oktober 2003 C-109/02 –Kommission/Deutschland–, Slg. 2003, I-12691, Rz 19; vom 6. Mai 2010 C-94/09 –Kommission/Frankreich–, Slg. 2010, I-4261, UR 2010, 454, HFR 2010, 781, Rz 26, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 10. Juli 2012 XI R 22/10, BFHE 238, 551, BStBl II 2013, 291, Rz 40).
53
bb) Der nationale Gesetzgeber hat von der Ermächtigung in Art. 98 Abs. 1 und 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 12 MwStSystRL in selektiver Weise –und ohne Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität– dadurch Gebrauch gemacht, dass nicht sämtliche „Beherbergungen in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ einschließlich der dabei erbrachten Nebenleistungen dem ermäßigten Steuersatz unterworfen werden, sondern nur die Leistungen, die unmittelbar der Vermietung dienen. Dies ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden.
54
c) Welche Leistungen i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG „nicht unmittelbar der Vermietung dienen“, hat der Gesetzgeber (bewusst) nicht näher definiert. Die Abgrenzung im Einzelnen kann schwierig sein und ist teilweise umstritten (vgl. Dudde/ Zielinski, BB 2010, 603; Neufang/Beisswenger/Treiber, BB 2010, 740, 742 f.; Tiedtke, UR 2010, 517; Tonner, Der Betrieb –DB– 2010, 585; Abschn. 12.16. Abs. 4 und 8 UStAE).
55
Jedenfalls gehören Frühstücksleistungen, wie sie die Klägerin erbracht hat, nach zutreffender allgemeiner Auffassung zu den Leistungen, die i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG „nicht unmittelbar der Vermietung dienen“ (vgl. Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, a.a.O., § 148a Rz 161; Kraeusel in Reiß/ Kraeusel/Langer, UStG § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 389.15; Waza in Offerhaus/Söhn/Lange, § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG Rz 59; Beiser, DStZ 2010, 568; Huschens, NWB 2010, 100, unter IV.; Neufang/ Beisswenger/Treiber, BB 2010, 740, 742; Lippross, a.a.O., S. 780; Scheunemann/Dennisen/Behrens, BB 2010, 23, 34; von Streit, UStB 2010, 46, 47; Walkenhorst, UStB 2010, 108, 109; Widmann, UR 2010, 8, 9; Finanzausschuss, BTDrucks 17/147, 9; BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 259, Rz 10; Abschn. 12.16. Abs. 8 Satz 1 UStAE).
56
Das Angebot eines Frühstücks steht neben der reinen Vermietungs- bzw. Beherbergungsleistung. Wohn- und Schlafräume zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden (insbesondere Hotelzimmer) können auch ohne Frühstück bewohnt werden und werden in der Praxis auch ohne Frühstück angeboten und genutzt. Dass Frühstücksleistungen üblicherweise ergänzend zu Beherbergungsleistungen (insbesondere im Hotelgewerbe) erbracht werden und dass die Klägerin ausschließlich die Kombination „Übernachtung mit Frühstück“ angeboten hat, ändert an dieser Beurteilung nichts.
57
d) Die Frühstücksleistungen können auch nicht unter dem Gesichtspunkt der umsatzsteuerrechtlichen Nebenleistung an der Steuerermäßigung der Vermietungsleistung teilhaben. Denn der Grundsatz, dass die (unselbständige) Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt, wird von dem Aufteilungsgebot verdrängt (vgl. BFH-Urteil vom 28. Mai 1998 V R 19/96, BFHE 185, 555, BStBl II 2010, 307; EuGH-Urteile vom 6. Juli 2006 C-251/05 –Talacre Beach Caravan Sales–, Slg. 2006, I-6269, UR 2006, 582; –Kommission/Frankreich– in Slg. 2010, I-4261, UR 2010, 454, HFR 2010, 781, Rz 34; Nieskens in Rau/ Dürrwächter, a.a.O., § 12 Abs. 2 Nr. 11 Rz 21, 24; Lippross, a.a.O., S. 780; Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, a.a.O., § 148a Rz 141, 161; a.A. von Streit, UStB 2010, 46, 48; ders., UR 2012, 293, 300 ff.; zweifelnd FG München, Beschluss vom 12. November 2012  2 V 2192/12, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2013, 178 [Aussetzung der Vollziehung]; kritisch Dudde/Zielinski, BB 2010, 603, 604 f.; Büchter-Hole, EFG 2013, 179, 180).
58
Dementsprechend kommt es auf die Beurteilung der Frühstücksleistung als Nebenleistung zur „Vermietung von Wohn- und Schlafräumen“, die das FG verneint hat und wogegen sich die Klägerin mit beachtlichen Argumenten wendet, nicht an. Ebenso wenig kann aus vorstehenden Gründen der –ausweislich der unter II.3.b cc dargelegten Gesetzesmaterialien zutreffende– Einwand der Klägerin durchdringen, der Gesetzgeber habe nicht die Absicht verfolgt, die Abgrenzung von umsatzsteuerrechtlicher Haupt- und Nebenleistung systematisch neu zu ordnen.
59
e) Dass im Streitfall ein Pauschalpreis vereinbart worden war, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
60
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG sind von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes Leistungen ausgenommen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, „auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind“.
61
5. Die weiteren Einwendungen der Klägerin dringen ebenfalls nicht durch.
62
a) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auf das EuGH-Urteil –Madgett und Baldwin– (Slg. 1998, I-6229, HFR 1999, 129), wonach mit Reisen verbundene Dienstleistungen gewöhnlich Nebenleistungen darstellen, wenn auf sie im Verhältnis zur Unterbringung nur ein geringer Teil des Pauschalbetrags entfällt und sie zu den traditionellen Aufgaben eines Hoteliers gehören, sowie auf das Urteil des BFH in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433, wonach es sich bei der Verpflegung von Hotelgästen um eine Nebenleistung zur Übernachtung handelt, die als Teil der Gesamtleistung am Ort des Hotels steuerbar ist.
63
Die genannten Urteile sind zu –im Streitfall nicht einschlägigen– Regelungen in Art. 26 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Sonderregelung für Reisebüros; EuGH-Urteil –Madgett und Baldwin–, Slg. 1998, I-6229, HFR 1999, 129) und § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993 (Ort der sonstigen Leistung; BFH-Urteil in BFHE 224, 166, BStBl II 2010, 433) ergangen und haben für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG keine Bedeutung (vgl. Klenk in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 12 Rz 546; Huschens, NWB 2010, 100, 102; Neufang/Beisswenger/Treiber, BB 2010, 740, 742; vgl. auch Lange, UR 2009, 289, 292). Denn die gesetzliche Regelung in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG, die ein Aufteilungsgebot für einheitliche Leistungen enthält, geht –wie unter II.4.a dargelegt– den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistung vor.
64
b) Soweit die Klägerin vorbringt, die umsatzsteuerrechtliche Wertung der Gesetzesformulierung „nicht unmittelbar (…) dienen“ in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG lasse sich möglicherweise auch aus § 12 Abs. 2 Nrn. 4, 7 Buchst. d, 8 Buchst. a, 9 UStG ableiten, folgt der Senat dem nicht. Denn die Auslegungsgrundsätze zu den genannten Tatbeständen können auf die vom Gesetzgeber bewusst eng gehaltene Steuerermäßigung des § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG nicht übertragen werden.

Kapitalabfindungen von berufsständischen Versorgungswerken

Kapitalabfindungen, die von berufsständischen Versorgungswerken ihren Versicherten gewährt werden, sind steuerpflichtig, wenn sie ab dem 1. Januar 2005, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Alterseinkünftegesetzes, dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Seitdem werden die einmaligen Leistungen ebenso wie die laufenden Renten der berufsständischen Versorgungswerke mit dem sog. Besteuerungsanteil, der im Jahr 2005 50 % betrug und der jährlich ansteigt, der Besteuerung unterworfen. Vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes konnte die Kapitalleistung demgegenüber in den meisten Fällen steuerfrei vereinnahmt werden.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 23. Oktober 2013 X R 3/12 entschieden, dass die auf der Neuregelung beruhende Steuerpflicht dem Sinn und Zweck der neugeregelten Alterseinkünftebesteuerung mit dem Übergang zur nachgelagerten Besteuerung entspricht und weder den Gleichheitssatz verletzt noch gegen das Rückwirkungsverbot verstößt.

Im Streitfall hatte der Kläger im März 2009 eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe von 350.000 Euro von seinem Versorgungswerk erhalten. Diese wurde vom Finanzamt mit dem Besteuerungsanteil von 58 % besteuert, während der Kläger der Auffassung war, die Abfindung sei nicht steuerbar.

Das Finanzgericht und auch der BFH sahen dies anders. Die gesetzliche Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte sei ausdrücklich auch auf andere als lediglich laufende Rentenleistungen, und damit auch auf einmalige Zahlungen, anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2004 zugeflossen seien. Für eine Einschränkung dieser Vorschrift bestehe keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Da aber für den Bereich der Basisversorgung lediglich Rentenzahlungen typisch sind und die Versorgungswerke nur Abfindungen zahlen dürfen, die auf vor 2005 bezahlten Beiträgen beruhen, hat der BFH eine atypische Zusammenballung von Einkünften bejaht und insoweit auf die Kapitalleistung die Fünftelregelung gemäß § 34 EStG angewendet.

BFH, Pressemitteilung Nr. 84/13 vom 04.12.2013 zum Urteil X R 3/12 vom 23.10.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 23.10.2013, X R 3/12

Kapitalleistungen berufsständischer Versorgungseinrichtungen sind steuerpflichtig, können aber ermäßigt besteuert werden

Leitsätze

1. Kapitalleistungen, die von berufsständischen Versorgungseinrichtungen nach dem 31. Dezember 2004 gezahlt werden, sind als „andere Leistungen“ mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu besteuern.

 

2. Die durch das AltEinkG begründete Steuerpflicht von Kapitalleistungen verstößt weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen das Rückwirkungsverbot.

 

3. Die Kapitalleistungen berufsständischer Versorgungseinrichtungen können gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt besteuert werden.

Tatbestand

Entscheidungsgründe
17
II. Die Revision der Kläger führt zur Aufhebung des Urteils und der Einspruchsentscheidung vom 4. August 2011 sowie zur Änderung des Einkommensteuerbescheids 2009 in dem durch den Urteilstenor umschriebenen Umfang. Das FG hat zwar zu Recht die Entscheidung des FA nicht beanstandet, die vom Kläger bezogene Kapitalzahlung in Höhe von 350.642,34 EUR gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit einem Besteuerungsanteil von 58 % zu besteuern. Zu Unrecht hat es aber die Anwendung des § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG abgelehnt.
18
Bei der Kapitalzahlung des Versorgungswerks handelt es sich um eine andere Leistung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG (unter 1.). Ihre Besteuerung mit dem Besteuerungsanteil des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG verletzt weder den Gleichheitssatz (unter 2.) noch das Verbot der Doppelbesteuerung (unter 3.) oder das der Rückwirkung (unter 4.). Die Kapitalzahlung kann nicht lediglich in Höhe von 226.978 EUR mit dem Besteuerungsanteil von 58 % besteuert werden (unter 5.). Sie ist jedoch gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern (unter 6.).
19
1. Gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG sind sonstige Einkünfte Einkünfte aus „wiederkehrenden Leistungen“. Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG gehören zu den in Satz 1 bezeichneten Einkünften auch Leibrenten und „andere Leistungen“, die u.a. aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und den berufsständischen Versorgungseinrichtungen erbracht werden, soweit sie der Besteuerung unterliegen.
20
a) Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (Urteil des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 20. März 2002  2 BvR 794/95, BVerfGE 105, 135, unter B.II.1.a, m.w.N.). Um den objektiven Willen des Gesetzgebers zu erfassen, können alle herkömmlichen Auslegungsmethoden herangezogen werden. Sie schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig. Das gilt auch für die Heranziehung der Gesetzesmaterialien, soweit sie auf den objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen. Sie dürfen jedoch nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen. Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes daher nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (so BVerfG-Beschluss vom 17. Mai 1960  2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126, unter B.I.1., m.w.N.).
21
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG so auszulegen, dass eine Besteuerung als „andere Leistung“ nicht zugleich das Vorliegen wiederkehrender Bezüge i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG erfordert.
22
aa) Der auslegungsbedürftige Wortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG ist so zu verstehen, dass der Besteuerungsgegenstand der sonstigen Einkünfte des § 22 EStG für die Fallgruppen des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG autonom durch die Begriffe „Leibrenten und andere Leistungen“ in Verbindung mit den Aufzählungen und Definitionen in den nachfolgenden Doppelbuchst. aa und bb umschrieben wird. Die „anderen Leistungen“ des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG liegen damit unabhängig davon vor, ob sie gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG wiederkehrend sind (so im Ergebnis z.B. Senatsbeschluss vom 25. März 2010 X B 142/09, BFH/NV 2010, 1275, unter II.2.e; Niedersächsisches FG, Urteil vom 27. März 2012  12 K 74/11, nicht veröffentlicht –n.v.–; FG Münster, Urteil vom 16. Mai 2012  12 K 1280/08 E, EFG 2012, 1753; BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 681, Rz 143; die h.M. in der Literatur, vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 32. Aufl., § 22 Rz 4, 41; Fischer in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 22 Rz 38; Bauschatz in Korn, § 22 EStG Rz 94; Lüsch in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 22 Rz 88; a.A. Killat-Risthaus in Herrmann/Heuer/ Raupach –HHR–, § 22 EStG Rz 277; zweifelnd Lindberg in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 22 Rz 151). Dass in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 2 EStG als Bemessungsgrundlage für den der Besteuerung unterliegenden Anteil der Jahresbetrag der Rente gesondert genannt wird, steht einer solchen Auslegung nicht entgegen, da es sich um eine notwendige Spezialvorschrift für Rentenbezüge handelt, auf die § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG in erster Linie zugeschnitten ist (vgl. auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 27. März 2012  12 K 74/11, n.v.).
23
bb) Der Auffassung der Kläger, die „anderen Leistungen“ i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG müssten ebenfalls das in § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG genannte Merkmal der „wiederkehrenden Bezüge“ erfüllen (so auch HHR/Killat-Risthaus, § 22 EStG Rz 277), steht der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers entgegen.
24
Im Gesetzgebungsverfahren zum AltEinkG wurde der ursprüngliche Gesetzesentwurf hinsichtlich der steuerlichen Behandlung der Beiträge und Leistungen berufsständischer Versorgungswerke durch den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (Finanzausschuss) mit der Begründung geändert, die berufsständischen Versorgungseinrichtungen stellten ein auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhendes Ersatzsystem zur gesetzlichen Rentenversicherung dar (BTDrucks 15/3004, 17). Infolgedessen sind die an die Versorgungswerke geleisteten Beiträge nicht mehr wie Beiträge zugunsten privater Leibrentenprodukte zu behandeln, sondern gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wie Beiträge zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung, sofern vergleichbare Leistungen gewährt werden. Auf der Leistungsseite wurde in § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG der Besteuerungsgegenstand bewusst um die „anderen Leistungen“ erweitert. Zur Begründung wies der Finanzausschuss ausdrücklich darauf hin, dass bei berufsständischen Versorgungseinrichtungen und Pensionskassen Teilkapitalisierungen zulässig seien, die andernfalls nicht steuerbar wären (BTDrucks 15/3004, 19). Eine Einschränkung der „anderen Leistungen“ auf Kinderzuschüsse u.Ä. und damit eine Nichteinbeziehung von Kapitalzahlungen ist den Materialien –im Gegensatz zur Auffassung der Kläger– nicht zu entnehmen.
25
Der Wille des Gesetzgebers, neben den Leibrenten auch andere Leistungen zu besteuern, ist sowohl in Bezug auf die steuerliche Behandlung der Beiträge als auch in Bezug auf die Besteuerung der entsprechenden Leistungen aus den berufsständischen Versorgungswerken durch den im Vergleich zum Regierungsentwurf geänderten Gesetzeswortlaut in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen. Demgegenüber sind die gesetzgeberischen Erwägungen, die dem ursprünglichen, aber nicht zum Gesetz gewordenen Entwurf oder einer früheren Gesetzesfassung zugrunde gelegen haben, unbeachtlich.
26
cc) Die Besteuerung der Kapitalleistungen der berufsständischen Versorgungswerke gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG entspricht dem Sinn und Zweck des AltEinkG und den darin enthaltenen grundlegenden Wertungen. Dazu gehören die Einordnung der berufsständischen Versorgung in die Basisversorgung des sog. Drei-Schichten-Modells (unter (1)), der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung bei der Basisversorgung (unter (2)) sowie die Kohortenlösung der Übergangsregelung (unter (3)).
27
(1) Die gesetzliche Neuregelung beruht auf dem von der Sachverständigenkommission zur Neuordnung der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen –Sachverständigenkommission– erarbeiteten Drei-Schichten-Modell (vgl. auch den Abschlussbericht der Sachverständigenkommission, BMF-Schriftenreihe Bd. 74, S. 13 ff.). Die sog. erste Schicht bildet dabei die Basisversorgung, die sog. zweite Schicht dient der Zusatzversorgung (betriebliche Altersvorsorge und Riester-Rente) und die sog. dritte Schicht umfasst Kapitalanlageprodukte, die der Alterssicherung dienen können, aber nicht müssen. Zur sog. ersten Schicht gehören Leibrenten und andere Leistungen, die aus einem durch Beiträge erworbenen Anspruch gegen einen gesetzlichen oder privaten Versorgungsträger auf lebenslängliche Versorgung frühestens ab seinem 60. Lebensjahr (ab 2014 ab dem 62. Lebensjahr) gezahlt werden und bei denen die Anwartschaften nicht vererblich, nicht übertragbar, nicht beleihbar, nicht veräußerbar und nicht kapitalisierbar sein dürfen.
28
Die Zuordnung der berufsständischen Versorgungswerke zur Basisversorgung und damit zur sog. ersten Schicht ist folgerichtig. Auch ist die Unterscheidung der berufsständischen Versorgung von den auf einem freiwilligen Entschluss beruhenden sog. Rürup-Renten des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht zu beanstanden, da „berufsständische Versorgungseinrichtungen“ nach der Legaldefinition in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch öffentlich-rechtliche Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen einer Berufsgruppe sind, in der die Mitgliedschaft durch Gesetz angeordnet ist.
29
Durch die zutreffende Qualifizierung der berufsständischen Versorgung als Basisversorgung sind die steuerlichen Regelungen für Kapitalanlageprodukte der sog. dritten Schicht, die der vorgelagerten Besteuerung unterliegen, nicht anwendbar. Die Hinweise der Kläger auf die steuerliche Behandlung von Kapitalzahlungen und Renten aus privaten Kapitallebensversicherungsverträgen gehen daher fehl.
30
(2) Die zweite Grundentscheidung des AltEinkG ist der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung für den Bereich der Basisversorgung.
31
(a) Das Konzept der nachgelagerten Besteuerung ersetzt die bisherige Ertragsanteilsbesteuerung von Altersrenten. Der Gesetzgeber hat sich damit grundsätzlich von seiner früheren Sichtweise gelöst. Vor Inkrafttreten des AltEinkG handelte es sich bei den ausbezahlten Versicherungsleistungen um eine –nicht steuerbare– Vermögensumschichtung; d.h. nur die „Erträge“, die sich aus der Annahme einer „fiktiven Verzinsung“ der ratierlichen Auszahlung ergaben, unterlagen der Ertragsanteilsbesteuerung. Die neue nachgelagerte Besteuerung geht dagegen von einem Vermögensaufbau und nicht mehr von einer Vermögensumschichtung aus. Der Vermögensaufbau, d.h. der Erwerb von Renten- bzw. Versorgungsanwartschaften, wird dem Steuerpflichtigen aus unversteuerten Mitteln ermöglicht. Konsequenz dieses Konzepts ist, dass nunmehr nicht nur die „Erträge“ aus dem Vermögen, das aus steuerlich entlasteten Beiträgen aufgebaut wurde, sondern auch der Rückfluss des Altersvorsorgevermögens als solches einschließlich der damit verbundenen Wertsteigerungen vom Gesetzgeber als steuerpflichtiges Einkommen angesehen werden. Demgemäß kann es auf die Form der Auszahlung nicht mehr ankommen, so dass auch einmalige, nicht wiederkehrend erbrachte Leistungen der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG unterliegen (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 1275, unter II.2.e).
32
(b) Für die Basisversorgung sind damit die früheren gesetzgeberischen Grundentscheidungen überholt; sie können zur Gesetzesauslegung nicht mehr herangezogen werden. Infolgedessen geht die Argumentation der Kläger fehl, die Kapitalleistung und Renten beruhten auf keinem einheitlichen Rentenrecht, sondern seien getrennt zu behandeln. Für sämtliche Leistungen der Basisversorgung kommt es steuerlich nicht mehr auf das Vorliegen eines solchen Rentenrechts an. Vielmehr sind die Leistungen –jedenfalls nach Ablauf des Übergangszeitraums– voll steuerpflichtige Einkünfte. Diese bestehen bei Leistungen aus berufsständischen Versorgungswerken –jedenfalls solange noch Altanwartschaften bestehen– nicht nur aus Rentenzahlungen, sondern ggf. auch aus einer Kapitalleistung.
33
(3) Die dritte für die Behandlung der Kapitalleistung der berufsständischen Versorgungswerke wesentliche Entscheidung des Gesetzgebers ist die Überführung der bestehenden unterschiedlichen Altersvorsorge- und Alterseinkünftesysteme der Basisversorgung in das System der nachgelagerten Besteuerung durch die Kohortenlösung im Rahmen der gesetzlichen Übergangsregelungen der § 10 Abs. 3 Sätze 4 ff. und § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 3 ff. EStG.
34
(a) In die Übergangsregelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG sind alle Leistungen der Basisversorgung einzubeziehen, unabhängig davon, ob sie wiederkehrend sind oder nicht. Dies gilt nicht nur für den 2040 erreichten Endzustand der nachgelagerten Besteuerung, sondern muss zwingend auch für die Übergangsregelung gelten, da es deren Aufgabe ist, den vorgefundenen Rechtszustand in die neue gesetzgeberische Konzeption des AltEinkG zu überführen. Die Übergangsregelung gilt für sämtliche Leistungen, und damit auch für die Kapitalzahlung der berufsständischen Versorgungswerke. Für eine Herausnahme bestimmter Leistungen dieser Einrichtungen aus der für die Basisversorgung geltenden Übergangsregelung fehlt eine gesetzliche Grundlage.
35
(b) Die Kläger machen indes geltend, der Sonderausgabenabzug für die Beiträge stimme nicht mit der Besteuerung der Leistungen aus berufsständischen Versorgungswerken überein, da es in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG auf die Vergleichbarkeit der Leistungen nicht ankomme, während in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gefordert werde, dass die berufsständischen Versorgungseinrichtungen Leistungen erbrächten, die denen der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar seien.
36
(aa) Die unterschiedlichen Anforderungen in § 10 und § 22 EStG in Bezug auf die berufsständischen Versorgungswerke beruhen jedoch nicht auf einem Versehen des Gesetzgebers, sondern sind die konsequente Umsetzung der Kohortenlösung der Übergangsregelung, nach der ab 2005 alle Leistungen mit dem gesetzlich vorgegebenen Besteuerungsanteil zu besteuern sind. Diese Besteuerungsanordnung gilt unabhängig davon, ob die Leistungen auf Beiträgen beruhen, die zu einem Zeitpunkt geleistet wurden, in dem das Versorgungswerk –wie im Streitfall– die ab 2005 geltenden Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug (noch) nicht erfüllte.
37
(bb) Hätte der Gesetzgeber in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG für die Leistungen der berufsständischen Versorgungseinrichtungen ebenfalls ein mit dem der gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbares Leistungsspektrum gefordert, könnten die Leistungen, die auf vor 2005 geleisteten Beiträgen beruhen, nicht wie die anderen Leistungen der Basisversorgung besteuert werden. Konsequenterweise würde dies aber nicht nur für Kapitalzahlungen der berufsständischen Versorgungseinrichtungen gelten, sondern auch für deren Rentenleistungen. Diese könnten infolgedessen nur mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG besteuert werden. Ein solches Ergebnis widerspräche jedoch der Konzeption des AltEinkG, nach der sämtliche Leibrenten der Basisversorgung, also der gesetzlichen Rentenversicherungen, aus landwirtschaftlichen Alterskassen, aus berufsständischen Versorgungseinrichtungen sowie aus vergleichbaren privaten Rentenversicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG als sonstige Einkünfte mit einem in der Übergangsphase festgelegten Besteuerungsanteil zu besteuern sind. Die Ertragsanteilsbesteuerung ist demgegenüber für die Basisversorgung nicht (mehr) realitätsgerecht, da sie implizit zur Voraussetzung hat, dass die Beiträge, auf denen die Leibrente beruht, sämtlich aus versteuertem Einkommen geleistet wurden (siehe BTDrucks 15/2150, 40 unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 6. März 2002  2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73).
38
(cc) Dementsprechend hat der Finanzausschuss den ursprünglichen Entwurf des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG, in dem vorgeschlagen wurde, Leibrenten aus gesetzlichen Rentenversicherungen, den landwirtschaftlichen Alterskassen, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und aus Rentenversicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, die nach dem 31. Dezember 2004 abgeschlossen worden sind, der Basisbesteuerung zu unterwerfen, insoweit modifiziert, als er den die zeitliche Bedingung bezeichnenden Relativsatz gestrichen hat. Dadurch sollte –laut Gesetzesbegründung– sichergestellt werden, dass sich die Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG auch auf bereits bestehende Verträge erstreckt, um so eine Besteuerungslücke zu schließen (vgl. BTDrucks 15/3004, 19).
39
(c) Das Konzept der nachgelagerten Besteuerung ist verfassungsrechtlich so lange nicht zu beanstanden, wie die entsprechenden Beiträge zu einer steuerlichen Entlastung geführt haben (Senatsurteil vom 26. November 2008 X R 15/07, BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710). Insoweit ist den Klägern zuzugeben, dass es durch die unterschiedlichen Anforderungen in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu einer unzulässigen Doppelbesteuerung kommen kann, wenn nämlich die berufsständischen Versorgungseinrichtungen keine den gesetzlichen Rentenversicherungen vergleichbaren Leistungen gewähren. Die an sie geleisteten Beiträge wären dann zwar nicht als Sonderausgaben abziehbar, die daraus resultierenden Leistungen müssten aber dennoch gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG versteuert werden.
40
Die berufsständischen Versorgungswerke haben jedoch ihre Satzungen zwischenzeitlich den gesetzlichen Vorgaben angepasst (vgl. HHR/Killat-Risthaus, § 22 EStG Rz 281), so dass sich dieses Problem nur bei solchen Leistungen stellt, die auf Beiträgen beruhen, die vor 2005 eingezahlt wurden. Diese Beiträge waren aber gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG a.F. im Rahmen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 EStG a.F. ebenso wie die Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen abziehbar; bei einem nichtselbstständig Tätigen war zudem der entsprechende Arbeitgeberanteil gemäß § 3 Nr. 62 EStG a.F. steuerfrei.
41
Unabhängig davon ist jedoch –ebenso wie bei allen anderen Leistungen der Basisversorgung– zu prüfen, ob im jeweiligen Einzelfall die gesetzliche Übergangsregelung zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Doppelbesteuerung führt (siehe dazu unter 3.).
42
2. Die Einbeziehung der Kapitalzahlung in die Besteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG verstößt weder im Hinblick auf die steuerliche Behandlung von Versicherungsverträgen, die in Rürup-Verträge umgewandelt wurden (unter a), noch im Hinblick auf die steuerliche Behandlung von privaten Lebens- oder Rentenversicherungen (unter b) gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
43
a) Die Kläger weisen darauf hin, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung die Umwandlung eines Kapitallebensversicherungsvertrags in einen Rürup-Rentenvertrag zur Beendigung des bestehenden Vertrags und zum Abschluss eines neuen Basisvertrags führe (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 681, Rz 148). Im Vergleich dazu werde der Übergang eines bisher nicht die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erfüllenden Versorgungswerks in ein solches, das diese Voraussetzungen erfüllt, einkommensteuerrechtlich anders behandelt.
44
Der Grund für diese Ungleichbehandlung ist darin zu sehen, dass der wirtschaftliche Gehalt der berufsständischen Versorgung trotz der notwendig gewordenen Satzungsanpassungen im Wesentlichen gleich geblieben ist, da es die vorrangige Aufgabe eines Versorgungswerks ist, den Kammerangehörigen und deren Familienangehörigen eine Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 9. Februar 2011 I R 47/09, BFHE 233, 109, BStBl II 2012, 601, unter III.2.b bb). Demgegenüber bedeutet die Umwandlung eines Lebensversicherungsvertrags in einen Rürup-Vertrag den Wechsel in einen vollkommen anderen Vertragstyp, so dass die Ungleichbehandlung durch sachliche Unterschiede gerechtfertigt ist.
45
b) In der unterschiedlichen Behandlung der Kapitalzahlung des berufsständischen Versorgungswerks im Vergleich zu der Kapitalabfindung einer privaten Lebensversicherung, für die als Teil der sog. dritten Schicht das Prinzip der vorgelagerten Besteuerung gilt, ist ebenfalls kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu sehen.
46
aa) Bereits im Urteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710 (unter II.2.b cc) hat der erkennende Senat entschieden, dass in der weiteren Anwendung der Ertragsanteilsbesteuerung (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG) auf private Leibrentenversicherungen keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zu Lasten der Bezieher von Rentenleistungen der Basisversorgung (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG) zu sehen ist. Das gilt insbesondere auch für die steuerliche Behandlung der Renten aus Leibrentenversicherungen, die vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossen worden sind. Die dem dortigen Urteil zugrunde liegenden Erwägungen gelten auch im Streitfall.
47
bb) Im Rahmen der Neuregelung hat der Gesetzgeber Beitragszahlungen der sog. dritten Schicht, d.h. auch an Rentenversicherungen, die nicht von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfasst sind, aus dem Bereich der begünstigten Altersvorsorgeaufwendungen herausgenommen; er begünstigt nur noch Altverträge i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b EStG im Rahmen der –in der Praxis regelmäßig schon durch andere Aufwendungen ausgeschöpften– Höchstbeträge des § 10 Abs. 4 EStG sowie im Rahmen der Günstigerprüfung nach § 10 Abs. 4a EStG.
48
Vor diesem Hintergrund beruht der gesetzgeberische Ansatz, Ansprüche aufgrund solcher Verträge lediglich der Ertragsanteilsbesteuerung zu unterwerfen, auf der folgerichtigen Umsetzung der neuen gesetzgeberischen Konzeption. Haben sich nämlich die Beitragszahlungen nicht steuermindernd ausgewirkt, dann ist es gerechtfertigt, nur den Teil der Rente steuerlich zu erfassen, der zusätzlich zum angesparten Rentenkapital als Zinsanteil zur Auszahlung gelangt (Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.b cc). Nichts anderes kann für die Besteuerung von Kapitalleistungen privater Rentenversicherungen gelten: Wurden diese vor 2005 abgeschlossen, können die Auszahlungen –wie bei jeder anderen privaten Rentenversicherung auch– entweder gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG oder gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. i.V.m. § 52 Abs. 36 Satz 5 EStG besteuert oder steuerfrei vereinnahmt werden.
49
cc) Dass die Beiträge für private Rentenversicherungen in der Vergangenheit in einem ähnlichen Ausmaß wie die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung oder für ein berufsständisches Versorgungswerk steuermindernd waren, ist unerheblich. Es liegt im Wesen einer Übergangsregelung, einen vorgefundenen Rechtszustand gleitend in eine neue gesetzgeberische Konzeption zu überführen. Sind nach dieser neuen Konzeption die Einzahlungen in Rentenversicherungsverträge nicht bzw. nur in einem geringeren Umfang steuerlich begünstigt, liegt es im Rahmen des weiten gesetzgeberischen Spielraums, bei der Besteuerung der Rentenzuflüsse aus solchen Rentenverträgen zugunsten des Steuerpflichtigen die in der Vergangenheit gewährten Steuervorteile zu vernachlässigen und sich an der ab dem Jahr 2005 geltenden gesetzlichen Neukonzeption zu orientieren. Die von dem Gesetzgeber aus Praktikabilitätsgründen gewählte Lösung, die Leistungen von privaten Rentenversicherungen, die nicht unter § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG fallen, entweder gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG oder gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. und § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG n.F. zu besteuern, stellt eine zulässige Pauschalierung dar (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurteil in BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710, unter II.2.b cc).
50
3. Die Besteuerung der Kapitalzahlung verstößt im Streitfall nicht gegen das Verbot der Doppelbesteuerung.
51
a) In seinem Urteil in BVerfGE 105, 73 (unter D.II.) fordert das BVerfG, die steuerliche Behandlung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen „in jedem Fall“ so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird, ohne jedoch den Begriff „doppelte Besteuerung“ zu konkretisieren.
52
Nach der Rechtsprechung des BVerfG sowie des erkennenden Senats ist eine doppelte Besteuerung gegeben, wenn die steuerliche Belastung der Vorsorgeaufwendungen höher ist als die steuerliche Entlastung der Altersbezüge, dabei gilt grundsätzlich das Nominalwertprinzip (siehe auch BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010  2 BvL 14/02, 2/04, 13/05, BVerfGE 127, 1, unter III.2.c). Bei der Ermittlung der steuerlichen Belastung der Aufwendungen ist der Sonderausgabenabzug anhand der Beitragssätze der gesetzlichen Sozialversicherung aufzuspalten. In die Berechnung der steuerlichen Entlastung der Altersbezüge sind die bisher vereinnahmten sowie die der statistischen Wahrscheinlichkeit nach zu erwartenden Leistungen einzubeziehen.
53
b) Nach den dem FG-Urteil zugrunde liegenden Zahlen, an die der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist, hat der Kläger in den Jahren von 1981 bis 2004 Beträge in Höhe von 194.899 EUR an das Versorgungswerk entrichtet. Aufgrund der Berechnung des Anteils der steuerwirksamen Aufwendungen an den gesamten geleisteten Vorsorgeaufwendungen der Jahre 1997 bis 2004, der auf die gesamte Vertragslaufzeit übertragen wurde, gehen die Beteiligten und das FG übereinstimmend davon aus, dass 63,45 % der Aufwendungen aus versteuertem Einkommen geleistet wurden. Diese Schätzung führt dazu, dass die Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 123.664 EUR steuerbelastet waren. Dem ist der steuerfreie Teil der Kapitalleistung in Höhe von 147.269 EUR (42 % von 350.642 EUR) gegenüberzustellen. Bereits diese Berechnung zeigt, dass eine Doppelbesteuerung erkennbar nicht gegeben ist. Daher kann der Senat darauf verzichten, auch die ab 2005 geleisteten Vorsorgeaufwendungen und die bislang erhaltenen und entsprechend der statistischen Lebenserwartung künftig zu erwartenden Rentenzahlungen in die Berechnung mit einzubeziehen.
54
4. Soweit die Kläger rügen, die ab 2005 geltende Besteuerung auch einmaliger Kapitalzahlungen stelle eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zur früheren Nichtbesteuerung dar, machen sie keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz, sondern die Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes geltend.
55
Die durch das AltEinkG ab 2005 eingeführte Steuerpflicht für Kapitalleistungen verstößt indes nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Rückwirkungsverbot.
56
a) In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, die Änderung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG genüge den Anforderungen an den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz und halte einer einzelfallbezogenen Abwägung der wechselseitigen Interessen stand. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Senatsurteile vom 19. Januar 2010 X R 53/08 (BFHE 228, 223, BStBl II 2011, 567, unter B.II.2.), und vom 4. Februar 2010 X R 52/08 (BFH/NV 2010, 1253, unter B.II.2.b) und X R 58/08 (BFHE 228, 326, BStBl II 2011, 579, unter B.II.2.) verwiesen.
57
b) Auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BVerfG zur unechten Rückwirkung (Beschlüsse vom 7. Juli 2010  2 BvR 748, 753, 1738/05, BVerfGE 127, 61; in BVerfGE 127, 1, und 2 BvL 1/03, 57, 58/06, BVerfGE 127, 31, sowie vom 10. Oktober 2012  1 BvL 6/07, BGBl I 2012, 2344) ist nicht nur die Besteuerung der laufenden Renten, sondern auch die steuerliche Behandlung von Kapitalleistungen der berufsständischen Versorgungswerke verfassungsgemäß.
58
aa) Der Gesetzgeber ist verpflichtet, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maße Rechnung zu tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind gegeneinander abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Beschluss in BVerfGE 127, 1, unter C.II.1.c, m.w.N.).
59
Damit ist eine Interessenabwägung notwendig zwischen dem Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Fortbestand der Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Disposition (im Streitfall dem Eintritt des Klägers in das Versorgungswerk) und dem Gemeinwohlinteresse an der Änderung der Alterseinkünftebesteuerung.
60
bb) Die Gesetzesänderung ist beim Bezug einmaliger Kapitalleistungen –wie im Streitfall– besonders gravierend, da nicht lediglich ein steuerpflichtiger Anteil erhöht, sondern derartige Leistungen erstmals durch die Neufassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG steuerpflichtig wurden.
61
Bis Ende 2004 hätte der Kläger –bei Erfüllung der satzungsmäßigen Voraussetzungen– die Kapitalauszahlung steuerfrei vereinnahmen können. Dabei kann es dahinstehen, ob diese Steuerfreiheit aufgrund einer analogen Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. gewährt worden wäre oder ob nicht bereits die Auskehrung des bei Eintritt des Versorgungsfalls vorhandenen Vermögenswerts als nicht steuerbar anzusehen gewesen wäre (siehe dazu Senatsbeschluss vom 6. März 2006 X B 5/05, BFH/NV 2006, 1091).
62
Der Kläger hatte damit vor dem 1. Januar 2005 bereits eine Rechtsposition inne, die über die –vertrauensrechtlich nicht besonders geschützte– Erwartungshaltung hinausging, Leistungen später steuerfrei vereinnahmen zu können. Die Position des Klägers kann infolgedessen mit derjenigen eines Grundstückseigentümers verglichen werden, der ein Grundstück mehr als zwei Jahre vor der Verlängerung der Spekulationsfrist durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 erworben hatte. Da durch die Gesetzesänderung eine bereits verfestigte Vermögensposition nachträglich entwertet wurde, hat das BVerfG in dieser Konstellation einen erhöhten Rechtfertigungsbedarf gesehen (Beschluss in BVerfGE 127, 1, unter C.II.2.b aa).
63
cc) Die besondere Rechtfertigung ergibt sich im Streitfall daraus, dass eine gesetzliche Neuregelung der Besteuerung der Alterseinkünfte ihrerseits verfassungsrechtlich geboten war, da sonst die Besteuerung der Beamtenpensionen gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. wegen Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz nicht mehr möglich gewesen wäre (BVerfG-Urteil in BVerfGE 105, 73; vgl. auch Senatsurteil in BFH/NV 2010, 1253, unter B.II.2.). Das Ziel des Gesetzgebers, die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung der Ungleichbehandlung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Finanzierbarkeit der Neuregelung für die öffentlichen Haushalte, konnte nur dadurch erreicht werden, dass alle Alterseinkünfte der Basisversorgung in die nachgelagerte Besteuerung sowie in die zu diesem Ziel führende Übergangsregelung einbezogen wurden. Nachgelagerte Besteuerung bedeutet aber –wie bereits unter II.1.b cc(2) dargestellt– auch, dass die Zuflüsse aus dem Vermögen, das aus Beiträgen aufgebaut wurde, die die Steuerbelastung des Steuerpflichtigen in der Beitragsphase gemindert haben, sowie die Wertsteigerungen dieses Vermögens vom Gesetzgeber als steuerpflichtiges Einkommen angesehen werden. Das gilt sowohl für den Zufluss einer Rente, die nicht mehr lediglich mit dem Ertragsanteil der Besteuerung unterliegt, als auch für den Zufluss einer Einmalzahlung. Die Nichteinbeziehung einer teilweise auf steuerlich entlasteten Beiträgen beruhenden Kapitalleistung in die gesetzliche Neuregelung hätte zu einem Systembruch geführt, der seinerseits zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung geführt hätte.
64
Angesichts dieser –verfassungsrechtlich gebotenen– grundlegenden Systemumstellung sind die Anforderungen des Vertrauensschutzgrundsatzes daher im Ergebnis ebenfalls auf die strikte Beachtung des Verbots der doppelten Besteuerung (vgl. dazu bereits unter II.3.) beschränkt.
65
5. Die Kapitalzahlung kann –im Gegensatz zur Auffassung der Kläger– nicht lediglich unter Zugrundelegung eines Betrags in Höhe von 226.978 EUR mit dem Besteuerungsanteil von 58 % besteuert werden.
66
Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ist die gesamte Kapitalzahlung als „andere Leistung“ mit dem Besteuerungsanteil, der sich aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG ergibt und der im Streitfall 58 % beträgt, der Besteuerung zu unterwerfen. Dem Gesetz ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der Besteuerungsanteil nicht auf den vollen Betrag der Kapitalleistung, sondern auf einen Unterschiedsbetrag, wie z.B. in § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG gesetzlich vorgesehen, anzuwenden ist.
67
Eine solche Regelung würde auch der Grundkonzeption des AltEinkG nicht gerecht, in der die Leistungen der Basisversorgung aufgrund der nachgelagerten Besteuerung als voll steuerpflichtige Einkünfte angesehen werden (vgl. dazu oben unter II.1.b cc(2)). Lediglich für den Übergangszeitraum bis 2040 werden die Einkünfte nur anteilig mit dem Besteuerungsanteil des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG besteuert. Dies ist der bislang nicht vollständigen Abziehbarkeit der zugrunde liegenden Beiträge geschuldet.
68
6. Die vom Kläger bezogene Kapitalzahlung kann jedoch gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt besteuert werden, weil sie eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten darstellt.
69
a) § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG gilt seit der Ersetzung des Begriffs „Entlohnung“ durch den der „Vergütung“ auch für Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1 EStG (vgl. R 34.4 Abs. 1 Satz 2 EStR; Sieker, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rz B 125; HHR/Horn, § 34 EStG Rz 60; Mellinghoff in Kirchhof, a.a.O., § 34 Rz 27; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 34 Rz 45).
70
b) Da die mehrjährige Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG jedes sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckende, der Erzielung von Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG dienende Verhalten ist (ebenso HHR/Horn, § 34 Rz 62; Sieker, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 34 Rz B 122), muss bei den Einkünften gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG auf die Beitragszahlungen in die Einrichtungen der Basisversorgung (u.a. gesetzliche Rentenversicherungen, berufsständische Versorgungseinrichtungen) abgestellt werden. Nur aufgrund dieser Beitragsleistungen können später Leibrenten und andere Leistungen vereinnahmt werden. Im Streitfall kann aus der nunmehr maßgeblichen Sicht des AltEinkG kein Zweifel am Vorliegen eines mehrjährigen auf die Erzielung von Einkünften gerichteten Verhaltens bestehen, da die Kapitalzahlung des Versorgungswerks auf den vom Kläger in der Zeit von 1981 bis einschließlich 2004 geleisteten Beiträgen beruht.
71
c) Zur notwendigen Unterscheidung der außerordentlichen Einkünfte des § 34 EStG von den Einkünften, die der Regelbesteuerung unterliegen, setzen alle Tatbestände des § 34 Abs. 2 EStG eine atypische Zusammenballung voraus.
72
aa) Dies rechtfertigt sich aus dem Zweck der Regelung, Progressionsnachteile auszugleichen. Deshalb liegen außerordentliche Einkünfte grundsätzlich nur dann vor, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem einzigen Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (BFH-Urteile vom 10. Februar 1972 IV R 8/68, BFHE 105, 255, BStBl II 1972, 529; vom 21. März 1975 VI R 55/73, BFHE 115, 366, BStBl II 1975, 690; vom 2. September 1992 XI R 63/89, BFHE 171, 416, BStBl II 1993, 831; vom 28. Juli 1993 XI R 74/92, BFH/NV 1994, 368; vom 14. Oktober 2004 VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289; vom 29. Mai 2008 IX R 55/05, BFH/NV 2008, 1666, und vom 21. April 2009 VIII R 65/06, BFH/NV 2009, 1973).
73
Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die auf den Beitragszahlungen vor 2005 beruhende, gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG steuerpflichtige Kapitalleistung wurde im Streitjahr vollständig ausgezahlt.
74
bb) Um dem Charakter der außerordentlichen Einkünfte gemäß § 34 EStG Rechnung zu tragen, darf die Zusammenballung der Einkünfte nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung entsprechen (so auch R 34.4 Abs. 1 Satz 3 EStR; HHR/Horn, § 34 EStG Rz 67; Mellinghoff in Kirchhoff, a.a.O., § 34 Rz 28; Sieker, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, a.a.O., § 34 Rz B 129).
75
Zwar war die Geltendmachung der Kapitalzahlung im Streitfall vertrags- bzw. satzungsgemäß, weil die Satzung des Versorgungswerks eine solche Möglichkeit ausdrücklich vorsah. Sie war aber atypisch, da wesentliches Charakteristikum der von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG erfassten Einkünfte ist, dass sie der Basisversorgung des Versicherten dienen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind wesentliche Merkmale der Basisversorgung, dass die Renten erst bei Erreichen einer bestimmten Altersgrenze bzw. bei Erwerbsunfähigkeit gezahlt werden und als Entgeltersatzleistung in der Grundkonzeption der Lebensunterhaltssicherung zugutekommen. Die tatsächliche Verwendung als Altersversorgung wird dadurch grundsätzlich sichergestellt, dass die Rentenversicherungsansprüche nicht beleihbar, nicht vererblich, nicht veräußerbar, nicht übertragbar und nicht kapitalisierbar sind (Senatsentscheidungen in BFH/NV 2010, 1275, und vom 14. Juli 2010 X R 37/08, BFHE 230, 361, BStBl II 2011, 628).
76
Für den Bereich der Basisversorgung sind daher ausschließlich Rentenzahlungen typisch. Seit dem Inkrafttreten des AltEinkG können berufsständische Versorgungswerke Kapitalleistungen nur noch gewähren, soweit diese auf Beiträgen beruhen, die vor dem Jahr 2005 geleistet worden sind. Dies stellt eine eng begrenzte und auslaufende Ausnahmeregelung dar; eine Satzungsregelung, die Kapitalleistungen auch noch insoweit ermöglichen würde, als sie auf ab dem Jahr 2005 geleisteten Beiträgen beruhen, würde der Einordnung eines solchen Versorgungswerks als Basisversorgung entgegenstehen.
77
d) Dass der Gesetzgeber auch im Bereich der Altersvorsorge ein Bedürfnis nach progressionsmildernden Regelungen für den Fall des Bezugs von Einmalleistungen sieht, zeigt die Rechtsentwicklung bei Leistungen aus Kapitallebensversicherungen: Im Rahmen der Beratungen des AltEinkG hatte der Finanzausschuss zunächst vorgesehen, für Einkünfte aus Kapitallebensversicherungen, die aufgrund der seinerzeit vorgenommenen Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG künftig steuerpflichtig sein sollten, die Progressionswirkung durch Schaffung eines § 34 Abs. 2 Nr. 6 EStG abzumildern (BTDrucks 15/2986, 25 und 15/3004, 21). Durch den Vermittlungsausschuss wurde diesem Anliegen indes dadurch –weitergehend– Rechnung getragen, dass anstelle einer Regelung in § 34 EStG unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG lediglich die Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen der Versicherungsleistung und der Summe der auf sie entrichteten Beiträge anzusetzen ist (Anlage zu BTDrucks 15/3230).
78
7. Die Berechnung der festzusetzenden Einkommensteuer wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

Beratungskosten für Verständigungsverfahren mindern Veräußerungsgewinn nicht

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 9. Oktober 2013 (IX R 25/12) entschieden, dass Beratungskosten eines in Deutschland beschränkt Steuerpflichtigen für ein Verständigungsverfahren über die Besteuerung einer Anteilsveräußerung keine Veräußerungskosten darstellen und so den steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn nicht mindern (§ 17 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG -).

Im entschiedenen Fall war der Kläger im Streitjahr 2000 in den USA ansässig und in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig. Er veräußerte Anteile an einer GmbH. Da der hieraus erzielte Veräußerungsgewinn auch in den USA versteuert wurde, beantragte er zur Vermeidung dieser Doppelbesteuerung ein Verständigungsverfahren nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA. Nach dem Ergebnis dieses Verfahrens wurde Deutschland ein Besteuerungsrecht in Höhe von 60 % an dem Veräußerungsgewinn zuerkannt. Dem Kläger entstanden im Zusammenhang mit dem Verständigungsverfahren Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskosten, die er als Veräußerungskosten geltend machte. Diese wurden vom Finanzamt nicht, wohl aber vom Finanzgericht (FG) anerkannt.

Der BFH folgte dem FG nicht, da Veräußerungskosten i. S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG in unmittelbarem sachlichem Zusammenhang mit der Veräußerung stehen müssen. Die Aufwendungen für das Verständigungsverfahren sind aber nicht durch die steuerbare Anteilsveräußerung veranlasst. Das Verständigungsverfahren diente nicht der Durchführung der Veräußerung, sondern der Klärung der Frage, welchem Staat das Besteuerungsrecht zusteht. Auch war nicht die Veräußerung selbst das auslösende Moment für das Verständigungsverfahren, sondern deren Steuerbarkeit. Es fehlt an einer unmittelbaren sachlichen Beziehung gerade zum Veräußerungsgeschäft, wie sie etwa Notariatskosten, Maklerprovisionen oder Grundbuchgebühren aufweisen.

BFH, Pressemitteilung Nr. 85/13 vom 04.12.2013 zum Urteil IX R 25/12 vom 09.10.2013

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 9.10.2013, IX R 25/12

Veräußerungskosten i.S. von § 17 Abs. 2 EStG

Leitsätze

Aufwendungen eines in Deutschland beschränkt Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit einem Verständigungsverfahren zwischen Deutschland und den USA wegen des Besteuerungsrechts hinsichtlich eines Gewinns aus der Veräußerung einer GmbH-Beteiligung stellen keine Veräußerungskosten i.S. von § 17 Abs. 2 EStG dar.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 2000 in den USA ansässig und mit seinen Einkünften in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) beschränkt steuerpflichtig. Er veräußerte im Streitjahr Anteile an einer GmbH mit 3.960.000 DM Gewinn.
2
Der Kläger legte gegen den daraufhin erlassenen Einkommensteuerbescheid vom 27. August 2003 Einspruch ein. Zur Begründung wies er darauf hin, dass der Veräußerungsgewinn auch in den USA versteuert wurde und insoweit eine Doppelbesteuerung vorliege. Er beantragte ein Verständigungsverfahren mit den USA und das Ruhen des Einspruchsverfahrens.
3
Mit Schreiben vom 23. März 2010 teilte das Bundeszentralamt für Steuern mit, dass in dem Verständigungsverfahren mit der amerikanischen Finanzverwaltung eine Einigung erzielt wurde. Deutschland stehe danach ein Besteuerungsrecht in Höhe von 60 % an dem Veräußerungsgewinn zu. Der Kläger stimmte dem Verständigungsergebnis mit Schreiben vom 4. Juni 2010 zu. Daraufhin änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) die Einkommensteuerfestsetzung des Streitjahres. Der Änderungsbescheid vom 24. August 2010 wurde Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
4
In diesem Einspruchsverfahren macht der Kläger ergänzend geltend, dass ihm im Zusammenhang mit dem Verständigungsverfahren Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskosten entstanden seien. Diese mache er zusätzlich als Veräußerungskosten geltend. Das FA folgte dem nicht. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1550 veröffentlichten Urteil stattgegeben. Das FA habe zu Unrecht die geltend gemachten Rechts- und Steuerberatungskosten nicht als Veräußerungskosten im Rahmen des § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuermindernd berücksichtigt. Zu den in unmittelbarer sachlicher Beziehung zu dem Veräußerungsgeschäft stehenden Kosten gehörten auch die Kosten, die dem Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit einem Verständigungsverfahren entstünden.
5
Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) rügt. Insbesondere teilten Prozesskosten grundsätzlich die einkommensteuerrechtliche Qualifikation der Aufwendungen, die Gegenstand des Prozesses seien; Steuerberatungskosten seien danach Betriebsausgaben, soweit es um Fragen der Gewinnermittlung gehe. Die Höhe der Einkünfte sei jedoch nicht Gegenstand des Verständigungsverfahrens; dieses betreffe ausschließlich die Frage, welchem Staat das Besteuerungsrecht für die erzielten Einkünfte zustehe. Die Kosten des Verständigungsverfahrens seien nach vollzogener Gewinnrealisierung und -ermittlung angefallen und bezögen sich allein auf die der privaten Lebensführung nach § 12 EStG zuzuordnende Einkommensbesteuerung. Eine Berücksichtigung als Veräußerungskosten im Rahmen des § 17 EStG sei daher nicht möglich.
6
Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7
Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8
Es sei denklogisch geradezu ausgeschlossen, dass ein Verständigungsverfahren nach einem Doppelbesteuerungsabkommen der privaten Lebensführung nach § 12 EStG zuzuordnen sei. Ein Fall einer Doppelbesteuerung betreffe stets einen Steuertatbestand über die Erzielung von Einkünften.

Entscheidungsgründe

9
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung). Zu Unrecht hat das FG die streitbefangenen Aufwendungen des Klägers im Zusammenhang mit dem Verständigungsverfahren als Veräußerungskosten i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG behandelt.
10
1. Veräußerungskosten i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Aufwendungen in unmittelbarem sachlichem Zusammenhang mit der Veräußerung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 1. Dezember 1992 VIII R 43/90, BFH/NV 1993, 520; Schmidt/ Weber-Grellet, EStG, 31. Aufl., § 17 Rz 150; vgl. auch § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG n.F.), d.h. durch die Veräußerung wirtschaftlich veranlasste Aufwendungen (BFH-Urteile vom 8. Februar 2011 IX R 15/10, BStBl II 2011, 684, sowie vom 11. Mai 2010 IX R 26/09, BFH/NV 2010, 2067). Einen darüber hinausgehenden Abzug von Aufwendungen als Betriebsausgaben/ Werbungskosten kennt § 17 EStG nicht. Dies gilt auch für Rechtsverfolgungskosten.
11
Nach allgemeinen Grundsätzen teilen Kosten der Rechtsverfolgung die einkommensteuerliche Qualifikation des Gegenstands der Rechtsverfolgung. Sind etwa die Aufwendungen, die Gegenstand eines finanzgerichtlichen Verfahrens waren, als Werbungskosten zu beurteilen, gilt das gleichermaßen für die damit in Zusammenhang stehenden Prozesskosten (BFH-Urteil vom 13. April 2010 VIII R 27/08, BFH/NV 2010, 2038). So sind etwa Strafverteidigungskosten nur dann als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist (BFH-Urteil vom 16. April 2013 IX R 5/12, BFHE 241, 355, BFH/NV 2013, 1683). Maßgeblich ist stets der objektive Zusammenhang mit der steuerbaren Tätigkeit, im Kontext des § 17 EStG also der Anteilsveräußerung.
12
2. Nach diesen Grundsätzen sind die streitbefangenen Aufwendungen für das Verständigungsverfahren nicht abziehbar, denn sie sind nicht durch die steuerbare Anteilsveräußerung veranlasst. Das Verständigungsverfahren diente nicht der Durchführung der Veräußerung, sondern der Frage, welchem Staat das Besteuerungsrecht zusteht. Auch war nicht die Veräußerung selbst das auslösende Moment für das Verständigungsverfahren, sondern deren Steuerbarkeit. Betrifft doch das Verständigungsverfahren die Aufteilung des Besteuerungssubstrates aus einer Erwerbsquelle. Zwar sind die Kosten des Verständigungsverfahrens mittelbar durch die Veräußerung der Anteile verursacht. Sie entstanden aber nicht im Zuge der Veräußerung; es fehlt an einer unmittelbaren sachlichen Beziehung gerade zum Veräußerungsgeschäft, wie sie etwa Notariatskosten, Maklerprovisionen oder Grundbuchgebühren aufweisen. Die im Verständigungsverfahren zu klärende Frage der Besteuerungsbefugnisse Deutschlands bzw. der USA betrifft nicht das steuerbare Veräußerungsgeschäft.
13
Danach sind die Kosten des Verständigungsverfahrens nicht als Veräußerungskosten i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG einzustufen. Auch ein Abzug aus anderen Gründen kommt nicht in Betracht.
14
3. Ob es sich bei den Aufwendungen für das Verständigungsverfahren um Sonderausgaben i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG a.F. handelt, kann dahinstehen, da diese Vorschrift auf den beschränkt steuerpflichtigen Kläger nicht anwendbar ist (§ 50 Abs. 1 Satz 4 EStG a.F.).

 

Erzeugung künstlicher Verluste durch Bondstripping und Ausnutzung des Schachtelprivilegs im geltenden DBA mit Luxemburg

Mir wurde ein Gestaltungsmodell mitgeteilt, welches nachfolgend beispielhaft beschrieben wird:

Ein Anleger erwirbt am 1. Oktober 2012 Anteile an einer deutschen Investmentaktiengesellschaft (Hedgefonds) im Wert von 1.246.106 Euro.

Die Investmentaktiengesellschaft nimmt einen Kredit in Höhe von 11.464.174 Euro auf. Mit dem Kredit und einem Teil des Eigenkapitals des Anlegers erwirbt die Investmentaktiengesellschaft am 8. Oktober 2012 mehr als 25 % der Anteile an einer Luxemburger SICAV. Es werden Anteile in einem Wert von 12.336.448 Euro erworben. Hinzu kommen 124.611 Euro, die die Investmentaktiengesellschaft als Ausgabeaufschlag zu zahlen hat. Insgesamt wendet die Investmentaktiengesellschaft 12.461.059 Euro als Anschaffungskosten für die SICAV-Anteile auf. In der Investmentaktiengesellschaft verbleibt ein Barvermögen in Höhe von 249.221 Euro.

Die Luxemburger SICAV erwirbt mit dem eingelegten Kapital festverzinsliche Anleihen. Der Kupon und der Mantel der jeweiligen Anleihe werden von der SICAV getrennt. Die Kupons werden zu einem Preis von 9.252.336 Euro veräußert. Der Erlös wird am 25. Oktober 2012 von der SICAV an die Investmentaktiengesellschaft ausgeschüttet. Der Wert der SICAV-Anteile sinkt durch die Ausschüttung auf 3.084.112 Euro.

Von der Investmentaktiengesellschaft wird die Ausschüttung in voller Höhe dazu verwendet, den aufgenommenen Kredit zurück zu führen; es verbleibt eine Restschuld in Höhe von 2.211.838 Euro.

Am 3. November 2012 gibt die Investmentaktiengesellschaft die Anteile an der SICAV zurück. Dabei fällt ein Rücknahmeabschlag in Höhe von 623.053 Euro an. Der verbleibende Rückgabeerlös der Investmentaktiengesellschaft beträgt 2.461.059 Euro. Diesen Erlös verwendet die Investmentaktiengesellschaft in Höhe von 2.211.838 Euro dazu, die verbliebene Restschuld aus dem von ihr aufgenommen Kredit zu tilgen. In der Investmentaktiengesellschaft verbleibt ein restlicher Erlös in Höhe von 249.221 Euro. Hinzukommen 249.221 Euro Barmittel. Der Anteilswert beträgt 498.442 Euro.

Am 6. November 2012 gibt der Anleger die Anteile an der Investmentaktiengesellschaft zurück und erzielt einen Erlös in Höhe von 498.442 Euro. Der Veräußerungsverlust beträgt 747.664 Euro.

Nach Auffassung der Anbieter des Gestaltungsmodells soll die Ausschüttung der SICAV an die Investmentaktiengesellschaft eine nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 des geltenden DBA mit Luxemburg steuerbefreite Schachteldividende sein. Diese Dividende sei auf Ebene der Investmentaktiengesellschaft thesauriert worden, so dass in Höhe von 9.252.336 Euro ausschüttungsgleiche Erträge zum Geschäftsjahresende der Investmentaktiengesellschaft (Ende Oktober 2012) angefallen seien. Diese ausschüttungsgleichen Erträge seien steuerfrei. Insgesamt könne der Anleger steuerliche Verluste in Höhe von 10.000.000 Euro geltend machen. Diese würden sich zusammensetzen aus 747.664 Euro unmittelbaren Verlusten aus der Anteilsrückgabe zuzüglich 9.252.336 Euro, die bei der Anteilsrückgabe als steuerfreie ausschüttungsgleiche Erträge vom Erlös abzuziehen seien.

Bei einem (betrieblichen) Anleger mit einer Einkommensteuerbelastung von 45 % zzgl. Solidaritätszuschlag würde sich eine Steuerentlastung von 4.747.500 Euro ergeben. D. h. ein real erzielter Verlust aus dem Erwerb und der Veräußerung des Investmentanteils in Höhe von 747.664 Euro würde durch die Steuerentlastung zu einem „Ertrag“ des Anlegers in Höhe von 3.999.836 Euro führen.

Ich bitte, hierzu und bei vergleichbaren Gestaltungen folgende Rechtsauffassung zu vertreten:

Die von der Luxemburger SICAV ausgeschütteten Beträge sind nicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG von der Besteuerung freizustellen. Eine Steuerfreistellung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 InvStG setzt voraus, dass die Erträge aus einem ausländischen Staat stammende Einkünfte enthalten, für die Deutschland auf Grund eines DBA auf die Ausübung des Besteuerungsrechts tatsächlich verzichtet hat. Eine Freistellung der Ausschüttung der Luxemburger SICAV nach Art. 20 Abs. 2 Satz 3 des DBA Luxemburg vom 23. August 1958 (Schachtelprivileg) scheidet jedoch bei der vorliegenden Gestaltung aus, da die ausgeschütteten Beträge keine Dividenden im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 3 DBA Luxemburg sind.

Der Begriff der Dividende wird in Nummer 12 des Schlussprotokolls zum DBA Luxemburg definiert. Danach werden Einkünfte aus Aktien, Kuxen, Anteilsscheinen und ähnlichen Wertpapieren, von Anteilen an Genossenschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie von Anteilscheinen einer Kapitalanlagegesellschaft als Dividende behandelt. Eine weitergehende Auslegung des Dividendenbegriffs, insbesondere eine Erläuterung zum Begriff der Einkünfte, ist im DBA Luxemburg nicht enthalten. Nach Art. 2 Abs. 2 des DBA Luxemburg sind nicht im DBA definierte Begriffe nach dem Recht des jeweiligen Anwenderstaates auszulegen.

Nach deutschem Einkommensteuerrecht stellen „Einkünfte“ am Markt erwirtschaftete Vermögensmehrungen dar. In § 2 Abs. 2 EStG werden die Einkünfte als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten betrachtet. Es fehlt jedoch in den Gestaltungsfällen typischerweise an einer Vermögensmehrung. Die Anleihen werden innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums erworben, die Trennung des Zinskupons vollzogen und der Kupon veräußert. Innerhalb dieses kurzen Zeitraums ist regelmäßig davon auszugehen, dass noch keine relevanten Zinserträge oder sonstige Wertsteigerungen erzielt werden. Vielmehr entspricht der Verkaufserlös der Wertminderung bei den Anleihen, so dass der Wert des Anteils an der Luxemburger SICAV nicht gestiegen ist. Es ist sogar eher davon auszugehen, dass durch die Transaktionskosten eine Wertminderung eingetreten ist. Auch aus Sicht des Anlegers der Luxemburger SICAV ist keine Vermögensmehrung im Vergleich zu den Anschaffungskosten eingetreten. Der Anleger hat zwar eine Zahlung erhalten, aber in entsprechendem Umfang ist der Anteilswert gesunken.

Lediglich aufgrund einer gesetzlichen Fiktion in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gelten die Erlöse aus der Veräußerung von Zinskupons als Kapitalertrag. Es handelt sich dabei nach innerdeutschem Recht um „vorgezogene“ Zinserträge und nicht um Dividenden, so dass diese innerdeutsche Einkünftequalifikation nicht auf die Auslegung des Dividendenbegriffs im Sinne des DBA Luxemburg durchschlagen kann. Aus diesem Grund stellen die aus dem Verkauf von Zinskupons resultierenden Ausschüttungen keine Dividenden im Sinne des DBA Luxemburg, aber Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG dar. Diese Kapitalerträge sind als ausgeschüttete Erträge im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 InvStG von den Anlegern der SICAV zu versteuern.

Hilfsweise bitte ich folgende Rechtsauffassung zu vertreten:

Sofern eine modellhafte Gestaltung nachgewiesen werden kann, findet die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15b EStG nach § 8 Abs. 7 InvStG sinngemäß Anwendung.

Im Übrigen ist bei dem oben dargestellten Gestaltungsmodell vom Vorliegen eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeit im Sinne des § 42 AO auszugehen. Für einen Gestaltungsmissbrauch spricht insbesondere, dass bei einer Betrachtung der Gesamtinvestition kein steuerlicher Überschuss erzielt werden kann, wenn die Steuerersparnis außen vor gelassen wird (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juli 1999, BStBl II, S. 769).

Quelle: BMF, Schreiben IV C 1 – S-1980-1 / 12 / 10005 :004 vom 02.12.2013

Kosten für ein Seminar „Meditativer Tanz“ keine vorweggenommenen Betriebsausgaben

Mit inzwischen rechtskräftigem Urteil vom 26. August 2013 (Az.: 1 K 2278/12) hat das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz entschieden, dass Seminargebühren für „Meditatives Tanzen“ im entschiedenen Fall nicht als vorweggenommene Betriebsausgaben abzugsfähig sind.Der Kläger besuchte im Jahr 2010 ein dreitägiges Seminar „Meditatives Tanzen“ in einem Exerzitienhaus. Die Seminarkosten (170,00 Euro) machte er in seiner Einkommensteuererklärung als vorweggenommene Betriebsausgaben geltend, mit der Begründung, er wolle zukünftig selbst solche Kurse anbieten. Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen nicht an, worauf der Kläger Klage beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz erhob. Er machte geltend, er sei krankheits- und altersbedingt nicht mehr so leistungsfähig und suche daher nach anderen Formen einer Erwerbstätigkeit. Er habe in einem seiner Miethäuser einen Tanzraum eingerichtet, in dem er Tanz-, Kunst- und Meditationskurse anbieten wolle. Das Vorhalten dieses Raumes belege, dass er die Absicht zur Einkunftserzielung habe. Um dort Tänze lehren zu können, müsse er diese auch lernen. Sein privates Interesse daran habe nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Neben den Seminarkosten seien auch Aufwendungen für die Ausstattung der Räumlichkeiten in Höhe von 1.200,00 Euro entstanden (Beleuchtung, Dekoration, Möblierung, Spiegelschrank, Kühlschrank, Herd, Spüle, Oberschrank, Tische, Stühle, Gardinen, Leiter, Teppich, Duschvorhang aus privatem Eigentum). Auch diese Kosten seien als Betriebsausgaben anzuerkennen.

Das Finanzgericht wies die Klage als unbegründet ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe nicht näher dargelegt, wie er mit Tanzkursen oder dergleichen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen wolle. Es möge zwar sein Wunschtraum sein, mit einigen Leuten diese Freizeitbeschäftigung auszuüben und vielleicht auch Kurse zu veranstalten. Wie er sich aber vorstelle, hier jemals positive Einkünfte zu erzielen, habe er nicht ansatzweise erläutern können.

Quelle: FG Rheinland-Pfalz

 

Programmablaufpläne für den Lohnsteuerabzug 2014

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 5 – S-2361 / 13 / 10002 vom 03.12.2013

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder werden hiermit

  • der Programmablaufplan für die maschinelle Berechnung der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer, des Solidaritätszuschlags und der Maßstabsteuer für die Kirchenlohnsteuer für 2014 – Anlage 1 – und
  • der Programmablaufplan für die Erstellung von Lohnsteuertabellen für 2014 zur manuellen Berechnung der Lohnsteuer (einschließlich der Berechnung des Solidaritätszuschlags und der Bemessungsgrundlage für die Kirchenlohnsteuer) – Anlage 2 –

bekannt gemacht (§ 39b Abs. 6 und § 51 Abs. 4 Nr. 1a EStG).

Auf die Erläuterungen unter „1. Gesetzliche Grundlagen/Allgemeines“ wird gesondert hingewiesen.

Anlage 1 und Anlage 2 finden Sie auf den Seiten des BMF.

Quelle: BMF

Anwendung der Differenzbesteuerung (§ 25a UStG) durch Unternehmer des Münz- und Briefmarkenhandels

Übergangsregelung für zum 31. Dezember 2013 vorhandene Warenbestände Änderung von Abschnitt 25a.1 Abs. 12 UStAE

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7229 / 10 / 10001-04 vom 29.11.2013

Die Unternehmer des Münz- und Briefmarkenhandels haben in der Vergangenheit vielfach gemäß § 25a Abs. 8 UStG auf die Anwendung der Differenzbesteuerung verzichtet und auf ihre Umsätze die allgemeinen Regelungen des Umsatzsteuergesetzes angewendet. Vor dem Hintergrund der Änderungen des Umsatzsteuergesetzes im Bereich des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Sammlungsstücke (Artikel 10 Nr. 5 des Gesetzes vom 26. Juni 2013, BGBl. I S. 1809) beabsichtigen viele Unternehmer, ab dem 1. Januar 2014 verstärkt die Differenzbesteuerung anzuwenden. Dieser Übergang ist sowohl hinsichtlich der Frage, welche Gegenstände die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Nr. 2 UStG erfüllen, als auch hinsichtlich der Ermittlung des Einkaufspreises mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird es deshalb für die Anwendung der Differenzbesteuerung nach § 25a Abs. 1 UStG nicht beanstandet, wenn Unternehmer, deren Haupttätigkeit im Handel mit Münzen oder Briefmarken oder deren öffentlicher Versteigerung besteht, für zum 31. Dezember 2013 vorhandene Warenbestände folgendes vereinfachte Verfahren anwenden:

I. Ermittlung der Umsatzsteuer nach der Einzeldifferenz (§ 25a Abs. 3 UStG)

1. Der Unternehmer teilt die Anzahl der am 31. Dezember 2013 vorhandenen Gegenstände in einem Verhältnis 60 : 40 auf. Für 60 % der vorhandenen Gegenstände kann davon ausgegangen werden, dass sie die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Nr. 2 UStG erfüllen und einer Anwendung der Differenzbesteuerung zugänglich sind („60-%-Topf“). Für die verbleibenden 40 % kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Gegenstände handelt, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen und deren Lieferungen grundsätzlich den allgemeinen Regelungen des Umsatzsteuergesetzes unterliegen („40-%-Topf“). Der Unternehmer ordnet die vorhandenen Gegenstände einem der beiden Töpfe zu. Diese Zuordnung ist vom Unternehmer aufzuzeichnen.

2. Veräußert der Unternehmer einen Gegenstand, der dem „60-%-Topf“ zugeordnet wurde, kann der Einkaufspreis mit 70 % des Verkaufspreises geschätzt werden.

3. Die Lieferungen von Gegenständen, die dem „40-%-Topf“ zugeordnet wurden, unterliegen den allgemeinen Regelungen des Umsatzsteuergesetzes.

II. Ermittlung der Umsatzsteuer nach der Gesamtdifferenz (§ 25a Abs. 4 UStG)

1. Der Unternehmer teilt die Anzahl der am 31. Dezember 2013 vorhandenen Gegenstände, deren Einkaufspreis 500 Euro nicht übersteigt, in einem Verhältnis 60 : 40 auf. Für 60% der vorhandenen Gegenstände kann davon ausgegangen werden, dass sie die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Nr. 2 UStG erfüllen und einer Anwendung der Differenzbesteuerung zugänglich sind („60-%-Topf“). Für die verbleibenden 40 % kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Gegenstände handelt, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen und deren Lieferungen grundsätzlich den allgemeinen Regelungen des Umsatzsteuergesetzes unterliegen („40-%-Topf“). Der Unternehmer ordnet die vorhandenen Gegenstände einem der beiden Töpfe zu. Diese Zuordnung ist vom Unternehmer aufzuzeichnen.

2. Veräußert der Unternehmer einen Gegenstand, der dem „60-%-Topf“ zugeordnet wurde, kann der Einkaufspreis dieses Gegenstandes mit 70 % des Verkaufspreises geschätzt werden. Die Summe der innerhalb eines Besteuerungszeitraums geschätzten Einkaufspreise kann bei der Berechnung der Umsatzsteuer nach der Gesamtdifferenz (§ 25a Abs. 4 UStG) von der Summe der Verkaufspreise dieses Besteuerungszeitraums abgezogen werden. Der Abzug der Summe der tatsächlichen Einkaufspreise dieses Besteuerungszeitraums bleibt hiervon unberührt. Für Kalenderjahre, in denen der Unternehmer die Einzeldifferenzmethode anwendet (Abschnitt 25a.1 Abs. 14 UStAE), unterbleibt ein Abzug der geschätzten Einkaufspreise. Ein Übertrag auf andere Kalenderjahre ist nicht möglich.

3. Die Lieferungen von Gegenständen, die dem „40-%-Topf“ zugeordnet wurden, unterliegen den allgemeinen Regelungen des Umsatzsteuergesetzes.

4. Für Gegenstände, deren Einkaufspreis 500 Euro übersteigt, sind die Regelungen in Abschnitt I anzuwenden.

III. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

Abschnitt 25a.1 Abs. 12 Satz 6 Nr. 2 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 28. November 2013 – IV D 2 – S 7200/13/10004 (2013/1093635), geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:

„2. 1Übersteigt der Gesamteinkaufspreis den Betrag von 500 Euro, ist der auf die einzelnen Gegenstände entfallende Einkaufspreis grundsätzlich im Wege sachgerechter Schätzung zu ermitteln. 2Die Schätzung kann auf wertbestimmende Einzelgegenstände solange beschränkt werden, bis der Gesamtbetrag für die restlichen Gegenstände 500 Euro oder weniger beträgt. 3Erwirbt der Unternehmer eine Vielzahl gleichartiger Gegenstände (z. B. eine Münz- oder Briefmarkensammlung) kann sich die Schätzung des anteiligen Einkaufspreises auf die Gegenstände beschränken, deren Einkaufspreis 500 Euro übersteigt.

Beispiel 1:
1Der Antiquitätenhändler A kauft eine Wohnungseinrichtung für 3.000 Euro. 2Dabei ist er insbesondere an einer antiken Truhe (geschätzter anteiliger Einkaufspreis 1.500 Euro) und einem Weichholzschrank (Schätzpreis 800 Euro) interessiert. 3Die restlichen Einrichtungsgegenstände, zu denen ein Fernsehgerät (Schätzpreis 250 Euro) gehört, will er an einen Trödelhändler verkaufen.

4A muss beim Weiterverkauf der Truhe und des Weichholzschranks die Bemessungsgrundlage nach der Einzeldifferenz ermitteln. 5Das Fernsehgerät hat er den Gegenständen zuzuordnen, für die die Bemessungsgrundlage nach der Gesamtdifferenz ermittelt wird. 6Das Gleiche gilt für die restlichen Einrichtungsgegenstände. 7Da ihr Anteil am Gesamtpreis 450 Euro beträgt, kann von einer Ermittlung der auf die einzelnen Gegenstände entfallenden Einkaufspreise abgesehen werden.

Beispiel 2:
1Der Münzhändler M erwirbt eine Münzsammlung für 5.000 Euro. 2Darin enthalten sind zwei besonders wertvolle Stücke, mit einem geschätzten anteiligen Einkaufspreis von 600 Euro bzw. 900 Euro. 3Die Einzelwerte der übrigen Münzen liegen unter 500 Euro.
4M muss beim Weiterverkauf die Bemessungsgrundlage der beiden besonders wertvollen Münzen nach der Einzeldifferenz ermitteln. 5Für die übrigen Stücke kann M die Gesamtdifferenzmethode anwenden. 6Dabei kann die Summe der Einkaufspreise mit 3.500 Euro angesetzt werden, ohne dass es einer Ermittlung des auf die einzelne Münze entfallenden Einkaufspreises bedarf.“

IV. Anwendungsregelungen

Die in den Abschnitten I und II dieses Schreibens dargestellten Vereinfachungsregelungen gelten für nach dem 31. Dezember 2013 und vor dem 1. Januar 2017 ausgeführte Umsätze. Veräußert der Unternehmer nach dem 31. Dezember 2016 Gegenstände, die bereits am 31. Dezember 2013 in seinem Bestand waren, gelten die allgemeinen Regelungen zur Anwendung der Differenzbesteuerung. Dies betrifft insbesondere die Nachweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Nr. 2 UStG und die Höhe des Einkaufspreises für den einzelnen Gegenstand.

Die Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses in Abschnitt III dieses Schreibens ist in allen offenen Fällen anzuwenden.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF