Abgabenordnung: Schätzung von Weihnachtsmarktverkäufer

Einkommensteuer: In dem Verfahren einer Steuerpflichtigen, die zeitweilig auf Weihnachts- und sonstigen Sondermärkten einen Verkaufsstand betreibt, hat der 1. Senat mit dem Finanzamt die Ordnungsmäßigkeit ihrer Aufzeichnungen verneint, der Klage jedoch überwiegend stattgegeben, weil er im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis von dem Mittelwert für den Rohgewinnaufschlag der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Er-zeugnisse im Einzelhandel wegen der Besonderheiten ihres Gewerbes gegenüber einem „Normalbetrieb“ des Einzelhandels zugunsten der Klägerin abgewichen ist (85% statt 96%), Urteil vom 18.12.2012, 1 K 172/10, rechtskräftig.

 

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 1 K 172/10
Urteil des Senats vom 18.12.2012
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: FGO § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, AO 158, AO 162
Leitsatz: Der Betrieb eines Steuerpflichtigen, der nur zeitweilig auf Weihnachts- und sonstigen Sondermärkten einen Verkaufsstand betreibt, weicht gegenüber dem in der Richtsatzsammlung erfassten Normalbetrieb des Einzelhandels ab, was im Rahmen der Schätzungsbefugnis des Finanzgerichts einen Abschlag vom durchschnittlichen Rohgewinnaufschlag rechtfertigt.
Überschrift: Abgabenordnung: Schätzung von Weihnachtsmarktverkäufer
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Schätzungsbescheiden für die Jahre 2002 bis 2003.
Die Klägerin verkaufte auf Weihnachts-, Oster- und anderen Sondermärkten, überwiegend im A-Einkaufszentrum (A) der Stadt B, auf eigenen Ständen Artikel aus Keramik und Porzellan sowie Dekorationsartikel und Weihnachtsschmuck in der Regel gegen Bargeld. Nach den Aufzeichnungen der Klägerin nahm sie wie folgt an Veranstaltungen teil:
– im Jahr 2002 insgesamt 12 Ausstellungen an insgesamt 82 Kalendertagen, davon 54 Kalendertage im A,
– im Jahr 2003 insgesamt 13 Ausstellungen an insgesamt 76 Kalendertagen, davon 41 Kalendertage im A,
– im Jahr 2004 insgesamt 12 Ausstellungen an insgesamt 69 Kalendertagen, davon 43 Kalendertage im A.
Für die Tätigkeit der Klägerin im A berechnete sich die Standmiete nach den täglichen Nettoumsätzen der Klägerin. Die Klägerin teilte dem A ihre täglichen Nettoumsätze auf sogenannten „Umsatzmeldungen“ mit. In ihren Jahreskalendern (Timer) notierte die Klägerin den Bruttoumsatz des jeweiligen Tages sowie teilweise das jeweilige „Kleingeld/Wechselgeld“. Soweit die Klägerin auf Notizzetteln die anfängliche Summe des Kleingeldes notierte, warf sie diese Zettel teilweise nach Erfassung des Bruttoumsatzes weg.
Der Beklagte erließ erklärungsgemäß Einkommensteuerbescheide …. Den Umsatzsteuererklärungen stimmte der Beklagte zu.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte die Prüferin zu der Auffassung, die Klägerin führe kein ordnungsmäßiges Kassenbuch. Die Prüferin schätzte unter Berücksichtigung eines Abschlages in Höhe von 5 vom Hundert (v. H.) auf den Wareneinkauf wegen Bruchs/Diebstahls und eines Rohgewinnaufschlages in Höhe von 96 v. H. (Mittelwert der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Erzeugnisse im
Einzelhandel) Umsätze hinzu. Warenbestandsveränderungen berücksichtigte die Prüferin nicht. Die Prüferin kam danach zu Mehrumsätzen …. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 26.09.2006 verwiesen.
Der Beklagte folgte der Auffassung der Betriebsprüferin und erließ am … geänderte Einkommensteuerbescheide für 2002 bis 2004, in denen er die Einkommensteuer … höher festsetzte. Des Weiteren erließ der Beklagte Umsatzsteuerbescheide für 2002 bis 2004, in denen er die Umsatzsteuer höher festsetzte, sowie erstmalige Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer für 2003 und 2004, in denen er den Gewerbesteuermessbetrag festsetzte.
Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 legte die Klägerin am 28.03.2007 Einsprüche ein, gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 sowie die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004 am 15.06.2007. Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom 12.08.2010 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 13.09.2010 erhobene Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, es fehle an einer Schätzungsbefugnis dem Grunde nach. Sie habe jeden Abend „Kassensturz“ gemacht und ihre Umsätze ordnungsgemäß aufgezeichnet. Da die Umsatzmeldungen für das A anerkannt worden seien, seien ihre Unterlagen sachlich richtig. Selbst wenn eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach gegeben sein sollte, seien für die Zeiträume der Veranstaltungen im A die hierfür angefertigten Umsatzmeldungen zugrunde zu legen. Die Schätzung des Beklagten sei im Übrigen deshalb fehlerhaft, da er die Besonderheiten ihres Betriebes nicht berücksichtigt habe. Aufgrund der Beschaffenheit ihrer Waren komme ein nicht unerheblicher Teil zu Bruch. Zudem müsse von einer höheren Diebstahlsquote ausgegangen werden, da sie kein Ladengeschäft habe und ihre Ware nur auf offen zugänglichen Ständen von ca. 9 m² Größe anbiete. Wegen ihrer geringen Kosten habe sie die Ware deutlich preiswerter anbieten können. Im Übrigen sei es nicht möglich, die erworbenen Artikel noch im selben Jahr wieder zu verkaufen. Denn die Artikel der Klägerin unterlägen starken Modeschwankungen. Die in ihren Einnahme-Überschussrechnungen dargestellten Warenbestände habe sie in der Weise ermittelt, dass sie nur die Gegenstände gezählt habe, die in dem betreffenden Jahr eingekauft und nicht wieder verkauft worden seien. Für das Jahr 2003 sei in dieser Weise ein Warenbestand in Höhe von … EUR ermittelt worden. Soweit Waren aus Vorjahren noch vorhanden gewesen seien, seien diese in den Warenbeständen nicht enthalten.
Die Klägerin beantragt,
die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 vom 26.03.2007 sowie die Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2004 und Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004, jeweils vom 05.06.2007, in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12.08.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Schätzung sei dem Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden. Warenbestände seien im Streitfall unter Berücksichtigung des Mittelwerts der Richtsatzsammlung zu schätzen. Der Beklagte sei nicht gehalten, bei einer groben Verletzung von Aufzeichnungspflichten von dem unteren Wert der Richtsatzsammlung auszugehen, sondern könne auch bis an die obere Grenze gehen.
Auf eine mündliche Verhandlung haben die Klägerin mit Schriftsatz vom 17.10.2012, bei Gericht eingegangen am 19.10.2012, und der Beklagte mit Schriftsatz vom 12.11.2012, bei Gericht eingegangen am 13.11.2012, verzichtet.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
II.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide sind in der Weise rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als der Beklagte zu hohe Einnahmen bzw. Umsätze hinzugeschätzt hat. Die Hinzuschätzung erfolgt nach Maßgabe der Entscheidungsgründe und führt dazu, dass die Einkommensteuer 2002 bis 2004 und die Umsatzsteuer 2004 nicht ganz in dem begehrten Umfang herabgesetzt sowie die Umsatzsteuerbescheide 2002 und 2003 und die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004, jeweils vom 05.06.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010, aufgehoben werden. Die Berechnung wird gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

1. Die Besteuerungsgrundlagen sind dem Grunde nach zu schätzen.

Das Gericht hat die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 der Abgabenordnung (AO) zugrunde gelegt werden können (§ 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO in Verbindung mit – i. V. m. – § 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Gemäß § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.
Die Klägerin hat Aufzeichnungen nach den Steuergesetzen zu führen. Auch die Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes – EStG -, die die Klägerin vornahm, setzt voraus, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen werden. Dabei ergibt sich die Pflicht zur Einzelaufzeichnung aus § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i. V. m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV). Die
Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine Beschränkung aus der Natur der Sache nicht ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze, also auch für das EStG (Bundesfinanzhof – BFH -, Urteil vom 26.02.2004 XI R 25/02, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE – 205, 249, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 2004, 599 mit weiteren Nachweisen – m. w. N. -). Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Des Weiteren müssen nach § 63 Abs. 1 UStDV die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten.
Die Aufzeichnungen der Klägerin entsprechen nicht der Vorschrift des § 146 AO. Diese Norm gilt auch für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Die allgemeinen Ordnungsvorschriften in den §§ 145 ff. AO betreffen grundsätzlich jegliche zu Besteuerungszwecken gesetzlich geforderten Aufzeichnungen, also auch solche, zu denen der Steuerpflichtige aufgrund anderer Steuergesetze verpflichtet ist, wie z. B. nach § 22 UStG (BFH-Urteil vom 24.06.2009 VIII R 80/06, BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452 m. w. N.). Dabei ist bei der Überschussrechnung im Fall von Kasseneinnahmen die Vorschrift des § 146 Abs. 1 Satz 2 AO als spezielle Aufzeichnungsnorm zu beachten (vergleiche – vgl. – Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146 AO Rz. 30a m. w. N.). Entscheidend ist, dass die für die Besteuerung maßgebenden Vorgänge vollständig erfasst werden und die Einnahmeermittlung nachvollziehbar dokumentiert und überprüfbar ist (Finanzgericht – FG – des Saarlandes, Urteil vom 21.06.2012, 1 K 1124/10, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2012, 1816 m. w. N.).
Im Streitfall sind die Aufzeichnungen der Klägerin der Besteuerung nicht zugrunde zu legen, da die Aufzeichnungen der Klägerin den Vorgaben des § 146 AO nicht genügen. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO). Zwar ergibt sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung für Einzelhandelsunternehmer, die im Allgemeinen Waren an ihnen der Person nach nicht bekannte Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkaufen, in der Regel nicht die Verpflichtung, die baren Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen (BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60, BStBl III 1966, 372; Bundesministerium der Finanzen – BMF -, Schreiben vom 24.02.2004, IV D 2 – S 0315 – 4/04, BStBl I 2004, 419). Die Kassenaufzeichnungen müssen jedoch so beschaffen sein, dass ein Buchsachverständiger jederzeit in der Lage ist, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen (vgl. auch BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.; vgl. zu den Anforderungen an die Kassenbuchführung/Kassenaufzeichnungen auch BFH-Urteil vom 20.6.1985 IV R 41/82, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1985, 12 m. w. N.; BFH-Urteil vom 21.02.1990 X R 54/87, BFH/NV 1990, 683; FG des Saarlandes, Urteil vom 21.06.2012, 1 K 1124/10, EFG 2012, 1816 m. w. N.). Diese sogenannte Kassensturzfähigkeit liegt bei der Klägerin nicht vor. Es ist nicht möglich, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen. Die Klägerin hat lediglich den Gesamtbruttoumsatz der jeweiligen Tage in ihren Timern aufgezeichnet. Angaben zu Anfangsbeständen in ihrer Kasse sind nur rudimentär – ebenfalls in den Timern, wobei die Klägerin die Beträge als „Kleingeld“ bezeichnete – vorhanden. Nach eigenen Angaben hat die Klägerin Notizzettel, auf
denen Angaben zum Kassenanfangsbestand (dem „Kleingeld“) vorhanden waren, vernichtet.
Der Mangel der Aufzeichnungen der Klägerin ist derart gravierend, dass er den Aufzeichnungen der Klägerin die Ordnungsmäßigkeit nimmt. Mängel in der Kassenaufzeichnung können den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kassenaufzeichnungen wesentlicher Teil der Aufzeichnungen sind, weil der Steuerpflichtige nach der Art seines Unternehmens – wie im Streitfall – vorwiegend Bargeschäfte tätigt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 02.12.2008 X B 69/08, juris, m. w. N.; BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.).
Eine Schätzung scheidet nicht deswegen aus, weil die durch die Fehler der Aufzeichnungen verursachten Unklarheiten und Zweifel durch anderweitige zumutbare Ermittlungen beseitigt werden könnten (BFH-Urteil vom 14.12.2011 XI R 5/10, juris, m. w. N.). Die Fehler der Kassenaufzeichnung können nicht durch anderweitige Ermittlungen zur Höhe der Einnahmen des Betriebs beseitigt werden. Solche Möglichkeiten sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage erkennbar.
2. Das Gericht macht von seiner eigenen Schätzungsbefugnis gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO Gebrauch. Danach erfolgt die Schätzung anhand der Richtsatzsammlung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Betriebes der Klägerin.
Ziel der Schätzung ist der Ansatz derjenigen Besteuerungsgrundlagen, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Die Schätzung muss in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (BFH-Urteil vom 24.6.1997 VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51). Die Auswahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde bzw. des Finanzgerichts, das an die von der Behörde gewählte Schätzungsmethode nicht gebunden ist und nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO eine eigene Schätzungsbefugnis besitzt. Das Gericht ist in der Wahl seiner Schätzungsmethode frei. Schätzungsunsicherheiten gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen (vgl. auch BFH-Urteil vom 18.12.1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226 m. w. N.).
Das Gericht übernimmt zunächst den Abschlag in Höhe von 5 v. H. des Wareneinkaufs für Bruch bzw. Diebstahl. Mangels konkreter Anhaltspunkte ist nicht ersichtlich, dass ein höherer Satz in Betracht kommt.
Sodann ist für die Schätzung von dem Mittelwert der Richtsatzsammlung für kunstgewerbliche Erzeugnisse im Einzelhandel auszugehen (96 v. H.; Richtsatzsammlung 2002, BStBl I 2003, 342). Allerdings weicht das Gericht von dem Mittelsatz ab, da dies aufgrund der besonderen betrieblichen Verhältnisse der Klägerin begründet ist, die nicht durch Entnormalisierungen erfassbar oder ansonsten betragsmäßig feststellbar sind (vgl. auch Nr. 10.2.1 Richtsatzsammlung 2002).
Die Klägerin ist nicht mit einem „Normalbetrieb“ des Einzelhandels vergleichbar. Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls ist von dem Mittelwert nach unten abzuweichen. Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin ihre Waren mit einem niedrigeren Rohgewinnaufschlag verkaufte, um die Ware preiswerter anzubieten und mehr Kundschaft zu erreichen. Die Klägerin konnte dies tun, da sie im Vergleich zu
einem Normalbetrieb geringere Kosten hat. Die Kostenstruktur der Klägerin weicht von der eines Normalbetriebs erheblich ab. Insbesondere war die Klägerin nicht durchgehend im Jahr in einem eigenen Ladengeschäft tätig, sondern verkaufte – mit Aushilfskräften – nur an wenigen Tagen im Jahr auf Ausstellungen auf einem Stand ihre Waren. Angesichts der Art ihrer Ware – überwiegend Saisonartikel -, die sie auf zeitlich begrenzten Ständen anbot, erscheint es dem Senat zudem nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin gegen Ende der Ausstellungszeiten ihre Ware mit weiteren Preisnachlässen anbot, um die Ware zu verkaufen. Nicht zuletzt erscheint auch die Möglichkeit nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin vermehrt Kunden gegenüberstand, die über den Preis der Ware stärker verhandelten, als es sonst im Einzelhandel verbreitet ist. Danach ist der Rohgewinnaufschlag griffweise in Höhe von 85 v. H. anzusetzen.
Hinzu kommt, dass die Warenbestandsänderungen auch bei der Klägerin zu erfassen sind. Mangels anderer Anhaltspunkte ist für die laufenden Warenbestände von den Beträgen auszugehen, die die Klägerin ermittelt hatte.
3. Ausgehend vom Wareneingang, den die Betriebsprüferin ermittelte, ergeben sich die hinzuzuschätzenden Beträge danach wie folgt:
2002 2003 2004
Wareneingang laufendes Jahr … EUR … EUR … EUR
abzüglich Bruch/Diebstahl (5 v. H.) … EUR … EUR … EUR
zuzüglich Warenbestand am Anfang
des Wirtschaftsjahres
(2002: geschätzt) … EUR … EUR … EUR
abzüglich Warenbestand am Ende
des Wirtschaftsjahres … EUR … EUR … EUR
Wareneinsatz … EUR … EUR … EUR
Rohgewinnaufschlag (85 v. H.) … EUR … EUR … EUR
Umsatz … EUR … EUR … EUR
abzüglich erklärte Verkaufserlöse … EUR … EUR … EUR
Hinzuschätzung … EUR … EUR … EUR
zuzüglich USt (16 v. H.) … EUR … EUR … EUR
4. Danach sind die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2004 unter Berücksichtigung folgender Gewinne/Verluste der Klägerin bei ihren Einkünften aus Gewerbebetrieb zu ändern:

Die Berechnung wird dem Beklagten gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
Die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer 2003 und 2004 vom 05.06.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.08.2010 werden aufgehoben. Ein Gewerbesteuermessbetrag wäre allenfalls mit 0 EUR festzusetzen. Der Gewinn 2003 liegt unter dem Freibetrag des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG). Im Jahr 2004 erzielte die Klägerin einen geringen Verlust.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 und 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.