Anforderungen an eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG für Fahrschulen

Niedersächsisches Finanzgericht 11. Senat, Urteil vom 19.04.2018, 11 K 262/17, ECLI:DE:FGNI:2018:0419.11K262.17.00

§ 4 Nr 21 Buchst a Buchst bb UStG

TATBESTAND

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Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob Leistungen des Klägers, der als Unternehmer eine Fahrschule betreibt, nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb Umsatzsteuergesetz (UStG) in den Streitjahren 2011 bis 2016 umsatzsteuerbefreit sind.
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Der Kläger betrieb in den Streitjahren als Einzelunternehmer eine Fahrschule in D. Die Besteuerung erfolgte nach vereinnahmten Entgelten. In seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2011 bis 2015 erfasste er seine Entgelte aus seiner Fahrschullehrertätigkeit als Umsätze zum allgemeinen Steuersatz. Die Erklärungen wurden vom Beklagten der Umsatzsteuerfestsetzung zugrunde gelegt.
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In der Zeit von November 2016 bis April 2017 führte der Beklagte beim Kläger eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch, die sich auf die steuerlichen Verhältnisse in den Streitjahren erstreckte. Dabei traf der Sonderprüfer folgende Feststellungen:
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1. Der Kläger hatte in den Streitjahren nach den Feststellungen des Sonderprüfers Lehrgänge zur Ausbildung für die Fahrerlaubnis der Klassen C, CE, D, DE, D1, D1E, T und L sowie Lehrgänge zum Erwerb der Grundqualifikation nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 des Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetzes (BKrFQG), zum Erwerb der beschleunigten Grundqualifikation nach § 4 Abs. 2 BKrFQG sowie für die nach § 5 BKrFQG erforderlichen Weiterbildungen durchgeführt. Die Entgelte hatte er der Umsatzsteuer zum allgemeinen Steuersatz unterworfen. Nach Auffassung des Sonderprüfers war dagegen die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG einschlägig. Eine Optionsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 UStG bestehe nicht. Die erklärten Umsätze zum allgemeinen Steuersatz seien deshalb zu stornieren.
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2. Die in den Steuererklärungen ausgewiesenen unentgeltlichen Wertabgaben nach § 3 Abs. 9 a UStG seien ebenso wie die bislang geltend gemachten Vorsteuerbeträge rückgängig zu machen, wobei wegen der in geringem Maße auch unstreitig steuerpflichtigen Umsätze aus Vermietungen und Anlagenverkäufen eine Aufteilung am Maßstab der Umsätze erfolge.
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3. Da der Kläger gegenüber seinen Auftraggebern allerdings Rechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erteilt habe, schulde er diese nach § 14 c Abs. 1 UStG bis zu einer erfolgten Rechnungsberichtigung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht des Beklagten vom xxx 2017 über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung zur StNr. xxx; AD-Nr. xxx hingewiesen.
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Der Beklagte folgte der Auffassung des Sonderprüfers und erließ am xxx 2017 für die Jahre 2011 bis 2015 entsprechende Umsatzsteuerbescheide, mit denen auch der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde. Da für 2016 noch keine Umsatzsteuererklärung vorlag, erließ der Beklagte am selben Tag einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Dezember 2016, in dem die Änderungen für das gesamte Jahr zusammengefasst berücksichtigt wurden.
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Gegen sämtliche Bescheide erhob der Kläger am xxx 2017 Einspruch. Die angefochtenen Bescheide seien aus folgenden Gründen rechtswidrig und aufzuheben:
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– Dem Erlass der Bescheide stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Der Beklagte habe in einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Jahre 2008 bis 2010 die Auffassung vertreten, die fraglichen Umsätze unterlägen der Umsatzbesteuerung.
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– Die fraglichen Leistungen des Klägers dienten nicht unmittelbar dem Schul- oder Bildungszweck. Auftraggeber seien keinesfalls die Auszubildenden gewesen, sondern im Regelfall deren Arbeitgeber. Man könne insoweit nur von einem mittelbaren Zusammenhang zwischen den Lehrveranstaltungen und dem verfolgten Bildungszweck ausgehen.
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– Eine Anwendung des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG scheitere letztlich auch daran, dass entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung die Fahrschulerlaubnis und die staatliche Anerkennung als Ausbildungsstätte nach dem BKrFQG keinesfalls den inhaltlichen Vorgaben der Befreiungsvorschrift. genügten.
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Der Rechtsbehelf blieb erfolglos. Im Einspruchsbescheid vom xxx 2017 führte der Beklagte zur Begründung aus, der Kläger könne sich im Hinblick auf die nunmehr als unzutreffend erkannte Rechtsansicht des Beklagten in der vorangegangenen Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht berufen. Ohne eine verbindliche Zusage nach § 294 Abgabenordnung (AO) begründe nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung eine bloße Nichtbeanstandung keinen Vertrauenstatbestand für die Zukunft. Die Fahrschulerlaubnis und die amtliche Anerkennung einer Ausbildungsstätte stellten nach Abschn. 4.21.2. Abs. 6 Satz 6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses 2016/17 (UStAE) taugliche Bescheinigungen dar; mit welcher Zielsetzung diese Dokumente ausgestellt worden seien, sei unerheblich. Schließlich spreche gegen den unmittelbaren Bildungszweck auch nicht der Umstand, dass sich der Kläger zivilrechtlich gegenüber den Arbeitgebern der Kursteilnehmer zur Leistungserbringung verpflichtet habe (Abschn. 4.21.4. Abs. 1 Satz 3 UStAE).
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Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Ergänzend weist er zu seiner Einspruchsbegründung auf Folgendes hin:
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– Die Fahrschulerlaubnisurkunde und die Erlaubnisurkunde zur Durchführung von Qualifikationsmaßnahmen nach dem Berufsfahrer- Qualifikationsgesetz seien inhaltlich keinesfalls Bescheinigungen i. S. d. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG, sie enthielten vielmehr Erlaubnisse aus ordnungsrechtlichen bzw. gewerberechtlichen Gründen.
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– Die Kurse hätten auch zumindest zu einem nicht unerheblichen Teil nur mittelbar einem Schul- und Bildungszweck gedient, weil die Arbeitgeber die Leistungen nur deshalb in Anspruch genommen hätten, um ihre Arbeitnehmer entsprechend einsetzen zu können. Diese Differenzierung sei insbesondere bei den Leistungen zu beachten, die nicht unmittelbar Ausbildungs- bzw. Weiterbildungsleistungen nach dem BKrFQG seien, z. B. in den Bereichen der qualifizierten Logistik I, der Tourenplanung für Führungskräfte, der Fahrerbegleitung, des wirtschaftlichen Fahrens, des Fuhrparkmanagements, der Lenk- und Ruhezeiten, der DAKO-Software und anderer Bereiche. Insoweit habe es sich um Beratungsleistungen in Schulungsform gehandelt; der Kläger habe aufgrund seines beruflichen Werdegangs auch die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen erworben.
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– Der Beklagte habe in Fortführung seiner damaligen Rechtsansicht in weiteren Schreiben an den Kläger signalisiert, die Fahrschulerlaubnis und die Anerkennung nicht als ausreichende Bescheinigungen anerkennen zu wollen. In diesem Zusammenhang sei auf die Auskunft des Beklagten vom xxx 2013 hinzuweisen, die die vorherrschende einheitliche Meinung dort wiedergebe. Zudem habe das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 21. November 2013 IV D 3 – S 7179/07/10012 ausgeführt, dass es nicht beanstandet werden solle, wenn ein Steuerpflichtiger vor dem 1. Januar 2014 erbrachte Leistungen als steuerpflichtig behandelt habe. Auch diese Verwaltungsvorschrift habe der Beklagte nicht beachtet.
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Am xxx 2017 ist beim Beklagten eine Umsatzsteuererklärung für 2016 eingegangen, die der Beklagte der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt hat. Der Erklärung hat der Kläger die Rechtsauffassung des Beklagten zur Steuerfreiheit der Umsätze zugrunde gelegt.
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Der Kläger beantragt,
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die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2015 vom xxx 2017 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom xxx 2017 aufzuheben;
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die Umsatzsteuererklärung 2016 vom xxx 2017 zu ändern und die Umsatzsteuer 2016 auf xxx € herabzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält an seiner im Einspruchsbescheid geäußerten Rechtsansicht fest.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

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Die Klage ist begründet.
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Die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2015 vom xxx 2017 und der Einspruchsbescheid vom xxx 2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie sind aufzuheben, weil die Änderungen der ursprünglichen Steuererklärungen nach den Ergebnissen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung keinen Bestand haben können. Eine Steuerbefreiung der vom Kläger getätigten Umsätze nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ist nicht gegeben. Aus diesem Grunde ist auch die durch die Umsatzsteuererklärung erfolgte Festsetzung der Umsatzsteuer für 2016 zu ändern, die getätigten Umsätze einschließlich der unentgeltlichen Wertabgaben als steuerpflichtig zu behandeln und die Vorsteuer abzuziehen.
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Die Leistungen des Klägers sind nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerbefreit. Diese Vorschrift erfasst die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegenden Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde ist dabei materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung der in der oben genannten Norm bezeichneten Umsätze (Bundesfinanzhof – BFH -, Urteile vom 17. April 2008 V R 58/05, BFH/NV 2008, 1418; FG Köln, Urteil vom 27. Juni 2012 15 K 1581/09, EFG 2012, 2319 = Juris Rdnr. 27). Aus der Bescheinigung muss sich inhaltlich ergeben, dass die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen, für die die Steuerfreiheit gelten soll, auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegenden Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet. Es reicht demgegenüber z. B. nicht aus, wenn in der Bescheinigung ausgeführt wird, dass berufliche Bildungsmaßnahmen ordnungsgemäß durchgeführt werden (BFH, Urteile vom 17. April 2008 V R 58/05, BFH/NV 2008, 1418 = Juris Rdnr. 36; vom 20. März 2014 V R 3/13, BFH/NV 2014, 1175 = Juris Rdnr. 21; FG Köln, Urteil vom 27. Juni 2012 15 K 1581/09, EFG 2012, 2319 = Juris Rdnr. 28).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Senat zunächst offenlassen, in welchem Umfang der Kläger die unstreitig von ihm als Beratungsleistungen in Schulungsform erbrachten Umsätze getätigt hat. Für diese Umsätze ist eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG – ungeachtet des Problems des unmittelbaren Schul- oder Bildungszwecks – schon wegen der gänzlich fehlenden Bescheinigung einer Landesbehörde ausgeschlossen.
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Aber auch soweit der Kläger Lehrgänge zur Ausbildung für die verschiedenen Fahrerlaubnisse oder zum Erwerb der Qualifikationen nach dem BKrFQG erbracht hat, ist eine Steuerbefreiung nach dieser Vorschrift ausgeschlossen, weil die vom Beklagten als Bescheinigungen akzeptierte Fahrschulerlaubnisurkunde und die Urkunde zur Durchführung von Qualifikationsmaßnahmen nicht den Anforderungen genügt. Zum einen wird mit den Erlaubnisurkunden keinesfalls bescheinigt, dass die entsprechenden Lehrgänge auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des Öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten. Nach § 17 Abs. 1 des Fahrlehrergesetzes enthält die Fahrschulerlaubnis nur die Berechtigung, als selbständiger Fahrlehrer Fahrschüler auszubilden oder durch angestellte Fahrlehrer ausbilden zu lassen. Mit dieser Fahrschulerlaubnis ist nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 BKrFG auch die Anerkennung zur Durchführung von Qualifikationsmaßnahmen verbunden. Zum zweiten sind für die Erteilung der Fahrschulerlaubnis die Landkreise und kreisfreien Städte nach § 8 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Verkehr zuständig, während nach dem Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 6. November 2006 S 7177-40-32/S 7179-96-32 (Nds. MBl. 2006, 1384) das Niedersächsische Kultusministerium für die Erteilung der Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG sachlich zuständig ist (vgl. zur Zuständigkeit auch Oberfinanzdirektion Niedersachsen, Verfügung vom 13. Februar 2012 S 7179-17-St 182 (USt-kartei Niedersachsen § 4 Nr. 21 a) bb) UStG S 7179 Karte 2). Die vom Beklagten herangezogenen Unterlagen als Bescheinigungen sind deshalb untauglich (so ausdrücklich FG München, Urteil vom 22. März 1972, 66/70, EFG 1972, 361, rkr.).
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Da der Kläger für sich die Steuerpflichtigkeit der getätigten Umsätze begehrt, konnte der Senat auch nicht die Voraussetzungen eventuell einschlägigen Rechts der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie prüfen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO) und hinsichtlich der Erklärung zur Hinzuziehung eines Bevollmächtigten auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
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Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil mit der Entscheidung von den Regelungen in Abschn. 4.21.2. UStAE abgewichen wird und der BFH die Frage der Anerkennung von Fahrschulerlaubnissen als Bescheinigungen nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ausdrücklich offengelassen hat (BFH, EuGH-Vorlage vom 16. März 2017 V R 38/16, BStBl. II 2017, 1017 = Juris Rdnr. 25).