Alle Beiträge von steuerschroeder.de

Steuerberater

Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 UStG; Leistungen nach dem Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz (BKrFQG)

Gemäß § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG und § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG benötigen kulturelle Einrichtungen und Bildungseinrichtungen des privaten Rechts für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde.

Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt auch die Bescheinigung bzw. die einer solchen Bescheinigung inhaltlich entsprechende staatliche Anerkennung durch eine andere nach Landesrecht zuständige Behörde als eine entsprechende Bescheinigung.

Lehrgänge zum Erwerb der Grundqualifikation nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKrFQG, der beschleunigten Grundqualifikation nach § 4 Abs. 2 BKrFQG sowie die in § 5 BKrFQG vorgeschriebenen Weiterbildungskurse können von Fahrschulen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BKrFQG) sowie von anderen anerkannten Ausbildungseinrichtungen (§ 7 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. Abs. 2 BKrFQG) erbracht werden.

Die von Fahrschulen erbrachten Kurse nach dem BKrFQG sind umsatzsteuerfrei. Als Bescheinigung i. S. d. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG für den Nachweis, dass Fahrschulen ordnungsgemäß auf einen Beruf vorbereiten, gilt i. d. R. die Fahrschulerlaubnis (vgl. Abschnitt 4.21.2 Abs. 6 Satz 6 und 7 UStAE). Die Anerkennung von anderen Ausbildungsstätten durch eine nach Landesrecht zuständige Behörde gilt nunmehr ebenfalls als Bescheinigung i. S. d. § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG.

Dementsprechend wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 20. November 2013 – IV D 3 – S 7170/11/10005 (2013/1053873), BStBl I S. XXX, geändert worden ist, wie folgt geändert:

  1. In Abschnitt 4.20.5 Abs. 1 wird der Verweis in Satz 1 wie folgt gefasst:
    „Abschnitt 4.21.5 Abs. 2, 3 und 6„.
  2. In Abschnitt 4.21.2 Abs. 6 wird wie folgt geändert:
    1. ) Nach Satz 7 wird folgender neuer Satz 8 eingefügt:

      8Bei nach § 7 Abs. 2 BKrFQG anerkannten Ausbildungsstätten gilt die durch eine nach Landesrecht zuständige Behörde erfolgte staatliche Anerkennung als Ausbildungsstätte gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 BKrFQG ebenfalls als Bescheinigung im Sinne des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG.

    2. Der bisherige Satz 8 wird neuer Satz 9.
  3. In Abschnitt 4.21.5 wird folgender neuer Absatz 6 angefügt:

    (6) 1Die Bescheinigung durch eine nach Landesrecht zuständige untergeordnete Behörde gilt als eine nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG erforderliche Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde. 2Das Gleiche gilt für die staatliche Anerkennung der Bildungseinrichtungen durch eine nach Landesrecht zuständige Behörde, wenn diese Anerkennung inhaltlich der Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde entspricht.

Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Für vor dem 1. Januar 2014 erbrachte Umsätze wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von den Abschnitten 4.20.5 Satz 1, 4.21.2 Abs. 6 Satz 8 und 4.21.5 Abs. 6 UStAE umsatzsteuerpflichtig behandelt. Das gilt im Fall der entsprechenden Rechnungsstellung auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7179 / 07 / 10012 vom 21.11.2013

Umsatzsteuer – Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7203 / 07 / 10002 :004 vom 21.11.2013

Kurzfassung

Das BMF-Schreiben ersetzt das Schreiben vom 20. September 2012. Es teilt die Überarbeitungen mit, die die Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle und die Grundsätze des tauschähnlichen Umsatzes betreffen.

Das Schreiben geht ausführlich auf die folgenden Punkte ein:

  1. Tauschähnlicher Umsatz bei der Entsorgung werthaltiger Abfälle
  2. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
  3. Anwendungsregelung

Das vollständige Schreiben finden Sie auf den Seiten des BMF.

I. Tauschähnlicher Umsatz bei der Entsorgung werthaltiger Abfälle
Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen – Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) – sind Abfälle alle Stoffe oder Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Abfälle in diesem Sinne sind nach den Vorgaben des KrWG zu ver-werten oder zu beseitigen. Daneben bestehen für bestimmte Abfallgruppen besondere Entsor-gungspflichten aufgrund einzelgesetzlicher Regelungen z. B. für Altfahrzeuge, Altglas, Altholz, Altöl, Bioabfall, gebrauchte Batterien und Akkumulatoren, gewerblichen Abfall, Elektro- und Elektronikgeräte, Klärschlamm, Verpackungen und tierische Nebenprodukte.
Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hin-sichtlich der Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle Folgendes:
1. Beauftragt ein Abfallerzeuger oder -besitzer einen Dritten mit der ordnungsgemäßen Ent-sorgung seines Abfalls, erbringt der Dritte mit der Übernahme und Erfüllung der Entsor-gungspflicht eine sonstige Leistung i. S. von § 3 Abs. 9 UStG, sofern der Entsorgung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Ist dem zur Entsorgung überlassenen Abfall ein wirtschaftlicher Wert beizumessen (sog. werthaltiger Abfall), liegt ein tausch-ähnlicher Umsatz (Entsorgungsleistung gegen Lieferung des Abfalls) – ggf. mit Barauf-gabe – vor, wenn nach den übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragspartner
Seite 2
• der überlassene Abfall die Höhe der Barvergütung für die Entsorgungsleistung oder
• die übernommene Entsorgung die Barvergütung für die Lieferung des Abfalls
beeinflusst hat (vgl. Abschnitt 10.5 Abs. 2 UStAE).
2. Entsorgungsleistung von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung
Eine Entsorgungsleistung von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung liegt vor, wenn Vereinbarungen über die Aufarbeitung oder Entsorgung der Abfälle getroffen wurden. Nicht ausreichend ist, dass sich der Entsorger allgemein zur Einhaltung abfallrechtlicher Normen (z. B. Einhaltung vorgeschriebener Verwertungsquoten) verpflichtet hat oder ein Entsorgungsnachweis ausgestellt wird.
a) Leistet der Entsorger dem Abfallerzeuger oder -besitzer eine Vergütung für den gelie-ferten Abfall, ohne dass der Entsorgungsleistung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt, ist von einer bloßen Abfalllieferung durch den Abfallerzeuger/-besitzer an den Entsorger auszugehen.
b) Haben Abfälle einen positiven Marktwert und werden sie unmittelbar in Produktions-prozessen z. B. als Roh- oder Brennstoff eingesetzt, steht im Falle ihrer Veräußerung nicht die Entsorgungsleistung im Vordergrund, selbst wenn die Stoffe ihre Abfall-eigenschaft noch nicht verloren haben. Gleiches gilt für bereits sortenrein gesammelte Produktionsabfälle.
Beispiele hierfür sind sortiertes und gepresstes Papier, sortierte Kunststoffe, sortier-tes Glas, Fluff, Lösemittel, Schrotte und sortiertes Altholz sowie sortenrein erfasste oder behandelte Altöle bzw. Öl-Wasser-Gemische und Emulsionen. Weitere Beispiele sind Klärschlammasche, edelmetallhaltige Katalysatoren, kupfer- und blei-haltiger Schlamm, silberhaltige Schlacke.
c) Auch beim Handel mit den unter b) genannten Produkten liegt keine Entsorgungsleis-tung vor. Ein tauschähnlicher Umsatz scheidet daher aus, selbst wenn die Materialien einer besonderen Behandlung (wie z. B. Zerkleinern und Verpressen) unterzogen werden, unabhängig davon, ob dadurch die Materialqualität oder -reinheit wesentlich verbessert wird oder nicht.
3. Beeinflussung der Barvergütung
Kommt der Entsorgungsleistung nach den Grundsätzen in Tz. 2 eine eigenständige wirt-schaftliche Bedeutung zu, ist aus Vereinfachungsgründen eine zum tauschähnlichen Umsatz führende Beeinflussung der Barvergütung durch den überlassenen Abfall grund-sätzlich nur anzunehmen,
Seite 3
a) wenn die Beteiligten ausdrücklich hierauf gerichtete Vereinbarungen getroffen, also neben dem Entsorgungsentgelt einen bestimmten Wert für eine bestimmte Menge der überlassenen Abfälle vereinbart haben,
b) oder die wechselseitige Beeinflussung auf Grund der getroffenen Vereinbarungen offensichtlich ist. Hiervon ist nur in folgenden Fällen auszugehen:
aa) Es wird vertraglich die Anpassung des ursprünglich ausdrücklich vereinbarten Entsorgungsentgelts an sich ändernde Marktverhältnisse für den übernommenen Abfall ausbedungen (sog. Preisanpassungsklauseln). Preisanpassungsklauseln, die nur Auswirkungen für zukünftige Umsätze haben, sind insoweit ohne Bedeutung.
Beispiel 1:
Unternehmer U1 übernimmt gegenüber dem Reifenservice R die Entsorgung von Altreifen. R zahlt U1 einen Preis von 2,- € je übernommenen Altreifen. Bei einer Veränderung des Preis-indexes von Stahl oder Gummigranulat im Vergleich zu den Verhältnissen bei Vertragsabschluss sind beide Beteiligten berechtigt, diesen Preis um 50 % der Indexveränderung anzupassen.
bb) Das nach Art und Menge bestimmte Entsorgungsentgelt ändert sich in Abhän-gigkeit von der Qualität der überlassenen Abfälle.
Beispiel 2:
Unternehmer U2 übernimmt gegenüber dem Bauunternehmer B die Entsorgung von Baustellen-mischabfällen. Die Beteiligten vereinbaren einen Grundpreis von 250,- € je Fuhre, welcher sich ab einem bestimmten Metall- und Folienanteil im Abfall um 50,- € reduziert.
cc) Es wird eine (Mehr-)Erlösverteilungsabrede getroffen.
Beispiel 3:
Unternehmer U3 übernimmt gegenüber dem Reifenhersteller R die Entsorgung von Fehlproduk-tionen und Materialresten für 80,- € je Tonne. Die Beteiligten verabreden, dass R an den von U3 bei der Veräußerung von daraus gewonnenem Gummigranulat und Stahl erzielten Erlösen zu 25 % beteiligt wird.
4. Sofern in den unter 3. b) genannten Fällen weder die Barvergütung einen Betrag von 50,- € je Umsatz noch die entsorgte Menge ein Gewicht von 100 kg je Umsatz übersteigt, braucht das Vorliegen eines tauschähnlichen Umsatzes aus Vereinfachungsgründen nicht geprüft zu werden.
Beispiel 4:
U4 übernimmt die Entsorgung des bei der Buchhaltungsfirma B anfallenden Altpapiers. Er ent-sorgt dort eine Menge von max. 20 kg Altpapier und berechnet hierfür 10,- €. Da die für B entsorgte Menge das Gewicht von 100 kg je Abholung nicht übersteigt und die Ent-
Seite 4
gelte hierfür 50,- € je Abholung nicht übersteigen, ist es aus Vereinfachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten keinen tauschähnlichen Umsatz angenommen und nur die Entsorgungsleistung des U4 der Besteuerung unterworfen haben.
Beispiel 5:
U5 betreibt einen Abholservice für bestimmten Schrott und unbrauchbare Haushaltsgeräte, wie Waschmaschinen, Wäschetrockner und Geschirrspüler. Er bietet seinen Service privaten Haus-halten kostenlos an. Daneben führt er unentgeltlich Altkleidersammlungen in Wohngebieten durch. Soweit das Gewicht des Abfalls je Abholung und Haushalt 100 kg nicht übersteigt, ist es aus Vereinfachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten ohne weitere Prüfung nur eine Entsorgungsleistung annehmen, die jedoch mangels Entgelt nicht steuerbar ist.
5. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt insbesondere nicht vor,
a) im Falle sog. Umleersammeltouren (z. B. Leerung von Altpapiertonnen, Austausch bzw. Leerpumpen von Altölsammelbehältern), bei denen die Menge des im Einzelfall abgelieferten Abfalls und seine Zusammensetzung und Qualität nicht festgestellt werden; hier ist davon auszugehen, dass eine wechselseitige Beeinflussung von Bar-vergütung und Entsorgungsleistung und damit ein tauschähnlicher Umsatz nicht vor-liegt.
b) in den Fällen, in denen die Werthaltigkeit von zur Entsorgung überlassenen Abfällen erst später festgestellt werden kann, ohne dass sich hierdurch Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung bereits getätigter Umsätze ergeben; eine Berücksichtigung der Werthaltigkeit der Abfälle beim Abschluss zukünftiger Entsorgungsverträge ist für bereits ausgeführte Umsätze unschädlich.
c) wenn Nebenerzeugnisse oder Abfälle im Rahmen von Gehaltslieferungen i. S. des § 3 Abs. 5 UStG zurückgenommen werden; hier fehlt es an einer Lieferung von Abfall.
Beispiel 6:
U6 liefert zum Preis von 4,10 € je Dezitonne Zuckerrüben an die Zuckerfabrik Z und behält sich die Rückgabe der bei der Zuckerproduktion anfallenden Rübenschnitzel für Fütterungszwecke vor. Es handelt sich lediglich um eine (Gehalts-)Lieferung des U6 an Z (Entgelt 4,10 € je Dezitonne). Z erbringt keine Lieferung von Abfall in Form von Rübenschnitzeln, weil diese nicht am Leis-tungsaustausch teilgenommen haben und somit nicht Gegenstand der Gehaltslieferung des U6 geworden sind.
d) wenn das angekaufte Material ohne weitere Behandlung marktfähig (z. B. an einer Rohstoffbörse handelbar) ist, auch keiner gesetzlichen Entsorgungsverpflichtung mehr unterliegt und damit seine Eigenschaft als Abfall verloren hat. Da in diesem Fall das Material nur noch den Status eines normalen Handelsguts hat, kann davon ausge-gangen werden, dass ggf. erforderliche Transport- oder Sortierleistungen ausschließ-
Seite 5
lich im eigenen unternehmerischen Interesse des Erwerbers ausgeführt werden und keine Entsorgungsleistung vorliegt.
Beispiel 7:
U7 erwirbt von verschiedenen Entsorgern unsortierte Altbleche, welche er nach Reinigung und Zerkleinerung einer elektrolytischen Entzinnung unterzieht. Das dabei gewonnene Eisen ver-äußert U7 an Stahlbearbeitungsbetriebe, das anfallende Zinn an Zinnhütten. Bei dem von U7 aus dem Altblechabfall zurück gewonnenen Zinn und Eisen handelt es sich um Rohstoffe für die weiterverarbeitende Industrie, die keiner gesetzlichen Entsorgungspflicht (mehr) unterliegen und deshalb nicht als Abfall anzusehen sind. Zwischen U7 und seinen Ab-nehmern finden keine tauschähnlichen Umsätze, sondern ausschließlich Rohstofflieferungen statt.
e) wenn bei der Entsorgung der Abfälle die werthaltigen Bestandteile (z. B. Edelmetalle) im Eigentum des Abfallerzeugers verbleiben und Barvergütungen für diese Entsor-gungsleistungen gesondert abgerechnet werden.
6. Für die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes ist es nicht erforderlich, dass beide Beteiligte Unternehmer sind bzw. die Abgabe des Abfalls im unternehmerischen Bereich erfolgt; dies ist jedoch für die ggf. erforderliche gegenseitige Rechnungsstellung sowie für die Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 2 Nr. 7 i. V. mit Abs. 5 Satz 1 UStG von Bedeutung, wenn der überlassene Abfall zu den Gegenständen i. S. der Anlage 3 zum UStG gehört (vgl. Abschnitt 13b.4 UStAE).
7. Im Falle eines tauschähnlichen Umsatzes ist der Wert des hingegebenen Abfalls Bemes-sungsgrundlage für die erbrachte Entsorgungsleistung. Bemessungsgrundlage für die Lie-ferung des Abfalls ist der Wert der Gegenleistung (Entsorgungsleistung). Baraufgaben sind zu berücksichtigen; eine ggf. enthaltene Umsatzsteuer ist stets herauszurechnen. Auf Abschnitt 10.5 UStAE wird hingewiesen.
Der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung des Wertes der gelieferten Abfälle ist der Zeitpunkt der Übergabe an den Entsorger. Dabei ist nicht auf die einzelnen Inhaltsstoffe abzustellen, d. h. der Wert muss dem Abfall im Zeitpunkt der Überlassung als solchem zukommen. Spätere Bearbeitungsschritte (Bündelung, Sortierung, Aufbereitung usw.) durch den Entsorger sind bei der Wertermittlung außer Betracht zu lassen.
Es bestehen keine Bedenken, dem zwischen den Beteiligten vereinbarten Wert der zur Entsorgung übergebenen Abfälle auch für umsatzsteuerrechtliche Zwecke zu folgen, sofern dieser Wert nicht offensichtlich unzutreffend erscheint.
8. Verändert sich der Marktpreis für die zu entsorgenden Abfälle nach Abschluss des Entsorgungs- und Liefervertrags, hat dies zunächst keine Auswirkung auf die Ermittlung
Seite 6
der Bemessungsgrundlagen für die tauschähnlichen Umsätze und die Rechnungsstellung. Für diese Zwecke ist vielmehr so lange auf den im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblichen Wert abzustellen, bis dieser durch eine Vertragsänderung oder durch Änderung der Bemessungsgrundlage, z. B. auf Grund einer vereinbarten Preisanpassungsklausel oder einer vereinbarten Mehr- oder Mindererlösbeteiligung, angepasst wird.
II.Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 21. November 2013 – IV D 3 – S 7179/07/10012 (2013/1068610), BStBl I S. XXX, geändert worden ist, wie folgt geändert:
1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:
Nach der Angabe „3.15. Dienstleistungskommission (§ 3 Abs. 11 UStG)“ wird die
Angabe „3.16. Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle“ eingefügt.
2. Nach Abschnitt 3.15 wird folgender Abschnitt 3.16 eingefügt:
„3.16. Leistungsbeziehungen bei der Abgabe werthaltiger Abfälle
(1) 1Beauftragt ein Abfallerzeuger oder -besitzer einen Dritten mit der ordnungsgemäßen Entsorgung seines Abfalls, erbringt der Dritte mit der Übernahme und Erfüllung der Entsorgungspflicht eine sonstige Leistung i. S. von § 3 Abs. 9 UStG, sofern der Entsorgung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt. 2Ist dem zur Entsorgung überlassenen Abfall ein wirtschaftlicher Wert beizumessen (sog. werthaltiger Abfall), liegt ein tauschähnlicher Umsatz (Entsorgungsleistung gegen Lieferung des Abfalls) – ggf. mit Baraufgabe – vor, wenn nach den übereinstimmenden Vorstellungen der Ver-tragspartner
– der überlassene Abfall die Höhe der Barvergütung für die Entsorgungsleistung oder
– die übernommene Entsorgung die Barvergütung für die Lieferung des Abfalls
beeinflusst hat (vgl. Abschnitt 10.5 Abs. 2).
Entsorgungsleistung von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung
(2) 1Eine Entsorgungsleistung von eigenständiger wirtschaftlicher Bedeutung liegt vor, wenn Verein-barungen über die Aufarbeitung oder Entsorgung der Abfälle getroffen wurden. 2Nicht ausreichend ist, dass sich der Entsorger allgemein zur Einhaltung abfallrechtlicher Normen (z. B. Einhaltung vorge-schriebener Verwertungsquoten) verpflichtet hat oder ein Entsorgungsnachweis ausgestellt wird. 3Leistet der Entsorger dem Abfallerzeuger oder -besitzer eine Vergütung für den gelieferten Abfall, ohne dass der Entsorgungsleistung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt, ist von einer bloßen Abfall-lieferung durch den Abfallerzeuger/-besitzer an den Entsorger auszugehen. 4Haben Abfälle einen posi-tiven Marktwert und werden sie unmittelbar in Produktionsprozessen z. B. als Roh- oder Brennstoff eingesetzt, steht im Falle ihrer Veräußerung nicht die Entsorgungsleistung im Vordergrund, selbst wenn die Stoffe ihre Abfalleigenschaft noch nicht verloren haben. 5Gleiches gilt für bereits sortenrein gesam-melte Produktionsabfälle. 6Auch beim Handel mit derartigen Produkten liegt keine Entsorgungsleistung vor.
Seite 7
Beeinflussung der Barvergütung
(3) 1Auch wenn der Entsorgungsleistung eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt, ist aus Vereinfachungsgründen eine zum tauschähnlichen Umsatz führende Beeinflussung der Barvergütung durch den überlassenen Abfall grundsätzlich nur anzunehmen,
1. wenn die Beteiligten ausdrücklich hierauf gerichtete Vereinbarungen getroffen, also neben dem Entsorgungsentgelt einen bestimmten Wert für eine bestimmte Menge der überlassenen Abfälle ver-einbart haben, oder
2. die wechselseitige Beeinflussung auf Grund der getroffenen Vereinbarungen offensichtlich ist. Hiervon ist nur in folgenden Fällen auszugehen:
a) 1Es wird vertraglich die Anpassung des ursprünglich ausdrücklich vereinbarten Entsorgungsent-gelts an sich ändernde Marktverhältnisse für den übernommenen Abfall ausbedungen (sog. Preisanpassungsklauseln). 2Preisanpassungsklauseln, die nur Auswirkungen für zukünftige Umsätze haben, sind insoweit ohne Bedeutung.
Beispiel 1:
1Unternehmer U1 übernimmt gegenüber dem Reifenservice R die Entsorgung von Altreifen. R zahlt U1 einen Preis von 2,- € je übernommenen Altreifen. 2Bei einer Verän-derung des Preisindexes von Stahl oder Gummigranulat im Vergleich zu den Verhält-nissen bei Vertragsabschluss sind beide Beteiligten berechtigt, diesen Preis um 50 % der Indexveränderung anzupassen.
b) Das nach Art und Menge bestimmte Entsorgungsentgelt ändert sich in Abhängigkeit von der Qualität der überlassenen Abfälle.
Beispiel 2:
1Unternehmer U2 übernimmt gegenüber dem Bauunternehmer B die Entsorgung von Baustellenmischabfällen. 2Die Beteiligten vereinbaren einen Grundpreis von 250,- € je Fuhre, welcher sich ab einem bestimmten Metall- und Folienanteil im Abfall um 50,- € reduziert.
c) Es wird eine (Mehr-)Erlösverteilungsabrede getroffen.
Beispiel 3:
1Unternehmer U3 übernimmt gegenüber dem Reifenhersteller R die Entsorgung von Fehlproduktionen und Materialresten für 80,- € je Tonne. 2Die Beteiligten verabreden, dass R an den von U3 bei der Veräußerung von daraus gewonnenem Gummigranulat und Stahl erzielten Erlösen zu 25 % beteiligt wird.
Vereinfachungsregelung
(4) Sofern in den unter Absatz 3 Nr. 2 genannten Fällen weder die Barvergütung einen Betrag von 50,- € je Umsatz noch die entsorgte Menge ein Gewicht von 100 kg je Umsatz übersteigt, ist das Vorliegen eines tauschähnlichen Umsatzes aus Vereinfachungsgründen nicht zu prüfen.
Beispiel 1:
1U1 übernimmt die Entsorgung des bei der Buchhaltungsfirma B anfallenden Altpapiers. 2Er ent-sorgt dort eine Menge von max. 20 kg Altpapier und berechnet hierfür 10,- €. 3Da die für B entsorgte Menge das Gewicht von 100 kg je Abholung nicht übersteigt und die Entgelte hierfür 50,- € je Abholung nicht übersteigen, ist es aus Vereinfachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten keinen tauschähnlichen Umsatz angenommen und nur die Entsorgungsleistung des U1 der Besteuerung unterworfen haben.
Beispiel 2:
1U2 betreibt einen Abholservice für bestimmten Schrott und unbrauchbare Haushaltsgeräte, wie Waschmaschinen, Wäschetrockner und Geschirrspüler. Er bietet seinen Service privaten Haushalten kostenlos an. 2Daneben führt er unentgeltlich Altkleidersammlungen in Wohngebieten durch. 3Soweit das Gewicht des Abfalls je Abholung und Haushalt 100 kg nicht übersteigt, ist es aus Verein-fachungsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Beteiligten ohne weitere Prüfung nur eine Entsor-gungsleistung annehmen, die jedoch mangels Entgelt nicht steuerbar ist.
Einzelfälle
(5) 1Ein tauschähnlicher Umsatz liegt insbesondere nicht vor,
1. im Falle sog. Umleersammeltouren (z. B. Leerung von Altpapiertonnen, Austausch bzw. Leerpumpen von Altölsammelbehältern), bei denen die Menge des im Einzelfall abgelieferten Abfalls und seine Zusammensetzung und Qualität nicht festgestellt werden; hier ist davon auszugehen, dass eine wech-
Seite 8
selseitige Beeinflussung von Barvergütung und Entsorgungsleistung und damit ein tauschähnlicher Umsatz nicht vorliegt.
2. in den Fällen, in denen die Werthaltigkeit von zur Entsorgung überlassenen Abfällen erst später festgestellt werden kann, ohne dass sich hierdurch Auswirkungen auf die Höhe der Vergütung bereits getätigter Umsätze ergeben; eine Berücksichtigung der Werthaltigkeit der Abfälle beim Abschluss zukünftiger Entsorgungsverträge ist für bereits ausgeführte Umsätze unschädlich.
3. wenn Nebenerzeugnisse oder Abfälle im Rahmen von Gehaltslieferungen i. S. des § 3 Abs. 5 UStG zurückgenommen werden; hier fehlt es an einer Lieferung von Abfall.
Beispiel 1:
1U1 liefert zum Preis von 4,10 € je Dezitonne Zuckerrüben an die Zuckerfabrik Z und behält sich die Rückgabe der bei der Zuckerproduktion anfallenden Rübenschnitzel für Fütterungszwecke vor. 2Es handelt sich lediglich um eine (Gehalts-)Lieferung des U1 an Z (Entgelt 4,10 € je Dezitonne). 3Z erbringt keine Lieferung von Abfall in Form von Rübenschnitzeln, weil diese nicht am Leistungsaustausch teilgenommen haben und somit nicht Gegenstand der Gehaltslieferung des U1 geworden sind.
4. 1wenn das angekaufte Material ohne weitere Behandlung marktfähig (z. B. an einer Rohstoffbörse handelbar) ist, auch keiner gesetzlichen Entsorgungsverpflichtung mehr unterliegt und damit seine Eigenschaft als Abfall verloren hat. 2Da in diesem Fall das Material nur noch den Status eines normalen Handelsguts hat, kann davon ausgegangen werden, dass ggf. erforderliche Transport- oder Sortierleistungen ausschließlich im eigenen unternehmerischen Interesse des Erwerbers ausgeführt werden und keine Entsorgungsleistung vorliegt.
Beispiel 2:
1U2 erwirbt von verschiedenen Entsorgern unsortierte Altbleche, welche er nach Reinigung und Zerkleinerung einer elektrolytischen Entzinnung unterzieht. 2Das dabei gewonnene Eisen ver-äußert U2 an Stahlbearbeitungsbetriebe, das anfallende Zinn an Zinnhütten. 3Bei dem von U2 aus dem Altblechabfall zurück gewonnenen Zinn und Eisen handelt es sich um Rohstoffe für die weiterverarbeitende Industrie, die keiner gesetzlichen Entsorgungspflicht (mehr) unterliegen und deshalb nicht als Abfall anzusehen sind. 4Zwischen U2 und seinen Ab-nehmern finden keine tauschähnlichen Umsätze, sondern ausschließlich Rohstofflieferungen statt.
5. wenn bei der Entsorgung der Abfälle die werthaltigen Bestandteile (z. B. Edelmetalle) im Eigentum des Abfallerzeugers verbleiben und Barvergütungen für diese Entsorgungsleistungen gesondert abgerechnet werden.
(6) Für die Annahme eines tauschähnlichen Umsatzes ist es nicht erforderlich, dass beide Beteiligte Unternehmer sind bzw. die Abgabe des Abfalls im unternehmerischen Bereich erfolgt; dies ist jedoch für die ggf. erforderliche gegenseitige Rechnungsstellung sowie für die Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 2 Nr. 7 i. V. mit Abs. 5 Satz 1 UStG von Bedeutung, wenn der überlassene Abfall zu den Gegen-ständen i. S. der Anlage 3 zum UStG gehört (vgl. Abschnitt 13b.4).
(7) 1Im Falle eines tauschähnlichen Umsatzes ist der Wert des hingegebenen Abfalls Bemessungsgrund-lage für die erbrachte Entsorgungsleistung. Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Abfalls ist der Wert der Gegenleistung (Entsorgungsleistung). 2Baraufgaben sind zu berücksichtigen; eine ggf. enthal-tene Umsatzsteuer ist stets herauszurechnen (vgl. Abschnitt 10.5). 3Der maßgebliche Zeitpunkt für die Ermittlung des Wertes der gelieferten Abfälle ist der Zeitpunkt der Übergabe an den Entsorger. 4Dabei ist nicht auf die einzelnen Inhaltsstoffe abzustellen, d. h. der Wert muss dem Abfall im Zeitpunkt der Über-lassung als solchem zukommen. 5Spätere Bearbeitungsschritte (Bündelung, Sortierung, Aufbereitung usw.) durch den Entsorger sind bei der Wertermittlung außer Betracht zu lassen. 6Es bestehen keine Bedenken, dem zwischen den Beteiligten vereinbarten Wert der zur Entsorgung übergebenen Abfälle auch für umsatzsteuerrechtliche Zwecke zu folgen, sofern dieser Wert nicht offensichtlich unzutreffend erscheint.
(8) 1Verändert sich der Marktpreis für die zu entsorgenden Abfälle nach Abschluss des Entsorgungs- und Liefervertrags, hat dies zunächst keine Auswirkung auf die Ermittlung der Bemessungsgrundlagen für die tauschähnlichen Umsätze und die Rechnungsstellung. 2Für diese Zwecke ist vielmehr so lange auf den im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblichen Wert abzustellen, bis dieser durch eine Ver-tragsänderung oder durch Änderung der Bemessungsgrundlage, z. B. auf Grund einer vereinbarten Preisanpassungsklausel oder einer vereinbarten Mehr- oder Mindererlösbeteiligung, angepasst wird.“
3. Abschnitt 10.5 Abs. 2 Satz 9 wird wie folgt gefasst:
„9Zu tauschähnlichen Umsätzen bei der Abgabe von werthaltigen Abfällen vgl. Abschnitt 3.16.“
Seite 9
III. Anwendungsregelung
Dieses Schreiben ersetzt das Schreiben vom 20. September 2012, BStBl I S. 944. Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. In Fortführung der Nichtbeanstandungsregelungen aus den vorangegangenen Schreiben ist jedoch Folgendes zu beachten:
1. Bei vor dem 1. Juli 2009 abgeschlossenen Verträgen über die Lieferung oder die Entsorgung von Abfällen wird es bis zum 31. Dezember 2010 nicht beanstandet, wenn die Beteiligten davon ausgegangen sind, dass kein tauschähnlicher Umsatz vorliegt. Dies gilt nicht für die Lieferung oder die Entsorgung von Materialabfall, der z. B. bei der Be- oder Verarbeitung bestimmter Materialien, die selbst keine Abfallstoffe sind, anfällt (Abschnitt 10.5 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 UStAE).
2. Bei Umsätzen, die vor dem 1. Januar 2013 ausgeführt worden sind, wird es – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs – nicht beanstandet, wenn diese Umsätze nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens vom 1. Dezember 2008, BStBl I S. 992, behandelt werden.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Im Auftrag

Das Ableisten eines Postulats oder Noviziats in einer Ordensgemeinschaft erfüllt die Voraussetzungen einer Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Kindergeld

Das Ableisten eines Postulats oder Noviziats in einer Ordensgemeinschaft erfüllt die Voraussetzungen einer Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.

Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 10.10.2013, 16 K 283/12

 

Tatbestand

1
Strittig ist, ob die Zeit als Postulant bzw. Novize in einem Orden als Berufsausbildung anzusehen ist.

2
Mit Bescheid vom 2. Februar 2012 lehnte die Beklagte Kindergeld für das am 25. Mai 1989 geborene Kind der Klägerin M für den Zeitraum von Juni 2007 bis August 2009 ab. Zugleich setzte es Kindergeld für den Zeitraum September 2009 bis April 2010 fest und verwies bezüglich des Zeitraums ab Mai 2010 auf den Bescheid vom 10. Oktober 2011, mit dem sie es abgelehnt hatte, ab Mai 2010 Kindergeld für M zu zahlen. Auf den Einspruch der Klägerin vom 10. Februar 2012 gegen den Bescheid vom 2. Februar 2012 hin, erließ die Beklagte am 23. August 2012 eine Einspruchsentscheidung wegen Ablehnung des Kindergeldantrages für M von Juni 2007 bis August 2009. Das Kind habe nach eigenen Angaben von Juni 2007 bis August 2009 eine Noviziat in einem Kloster absolviert. Diese Maßnahme stelle keine berufsbezogene Ausbildung im Sinne des Kindergeldrechts dar. Ein Novize in einem Orden befinde sich in der Regel in Vorbereitung auf ein Ordensgelübde. Dies stelle keinen Beruf dar.

3
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, M habe während des Streitzeitraums sowohl ein Postulat als auch ein Noviziat in einer polnischen Ordensgemeinschaft absolviert. Hierzu reichte sie eine Bescheinigung des Hospitalordens des Heiligen Jan Bosy in Krakau vom 4. September 2013 ein, wonach M in der Zeit vom 10. August 2006 bis 5. Oktober 2007 das Postulat sowie in der Zeit vom 6. Oktober 2007 bis 6. Oktober 2009 das Noviziat in dem Orden absolvierte. Obwohl sich der Einspruchsbescheid nicht zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010 verhalte, sei die Beklagte doch dazu zu verpflichten, auch ab dem 1. Mai 2010 Kindergeld für M zu zahlen. Mit der Verweisung im Bescheid vom 2. Februar 2012 auf die Entscheidung bezüglich der Kindergeldzahlung ab Mai 2010 auf den Bescheid vom 10. Oktober 2011 habe die Beklagte die Rechtsgewährung versagt, also eine Rechtsfolge herbeigeführt.

4
Mit ihrer Klageschrift vom 21. September 2012 hatte die Klägerin ursprünglich beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, für ihr Kind M Kindergeld für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 31. August 2009 und ab 1. Mai 2010 zu zahlen. Aufgrund einer nachgereichten Schulbescheinigung erließ die Beklagte am 6. Februar 2013 im Klageverfahren einen Änderungsbescheid, in dem sie Kindergeld nun auch für den Zeitraum von September 2008 bis August 2009 festsetzte. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärten, erging am 18. März 2013 ein Beschluss, mit dem das Gericht das Verfahren wegen Kindergeld für diesen Zeitraum abtrennte und das neue Aktenzeichen 16 K 62/13 gab; ferner erging eine Kostenentscheidung.

5
Die Klägerin beantragt nunmehr,

6
die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, Kindergeld für ihr Kind M in gesetzlicher Höhe für die Zeiträume Juni 2007 bis August 2008 und ab Mai 2010 zu bewilligen.

7
Die Beklagte beantragt,

8
die Klage abzuweisen.

9
Ein Postulat sowie ein Noviziat erfüllten nicht die Anforderungen einer Berufsausbildung.

10
Die Klägerin und die Beklagte haben mit Schriftsätzen vom 30. Mai 2013 bzw. 15. November 2012 gem. § 79 Abs. 3, 4 FGO ihr Einverständnis zu einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt sowie auf mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

11
1. Die Klage ist unzulässig, was den Klagezeitraum ab Mai 2010 betrifft, da weder der Ausgangsbescheid vom 2. Februar 2012 noch die Einspruchsentscheidung vom 23. August 2012 für diesen Zeitraum eine Regelung enthält. Soweit der Ausgangsbescheid hinsichtlich eines Kindesgeldanspruchs für den Zeitraum ab Januar 2010 auf den Bescheid vom 10. Oktober 2011 verweist, liegt insoweit mangels Regelungswillens kein die Klägerin belastender Verwaltungsakt vor. Die Klägerin ist insoweit durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert und daher auch nicht nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt.

12
2. Im Übrigen ist die Klage begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für Ihr Kind M für den Zeitraum Juni 2007 bis August 2009. Das vom Sohn der Klägerin in dieser Zeit in einem polnischen Kloster abgeleistete Postulat und Noviziat erfüllt die Voraussetzungen einer Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Einkommensteuergesetz (EStG).

13
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH- ist unter Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen danach alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. BFH-Urteile vom 16.04.2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523; und vom 09.06.1999 VI R 50/98, BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706, jeweils m.w.N.). Bei der angestrebten Tätigkeit muss es sich weder um einen Ausbildungsberuf im Sinne der §§ 4 ff. Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vom 23.03.2005 (BGBl I 2005, 931) noch um eine Tätigkeit handeln, die einem bestimmten Berufsbild entspricht (BFH-Urteile vom 09.06.1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; und in BFHE 189, 98, BStBl II 1999, 706). Danach ist es für den Begriff der Ausbildung ausreichend, wenn die Maßnahme geeignet ist, eine nicht nur vorübergehende Betätigungsmöglichkeit zu schaffen, die dem Aufbau oder der Erhaltung und Sicherung der beruflichen Existenz und damit der Erhaltung und Sicherung einer Lebensgrundlage dienen kann und soll (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 18.12.1987 VI R 149/81, BFHE 152, 337, BStBl II 1988, 494 bezüglich der Ausbildung zum „Gouverneur des Zeitalters der Erleuchtung“). Es kommt auch nicht darauf an, ob die Ausbildungsmaßnahme in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben ist oder -mangels solcher Regelungen- jedenfalls dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienen muss, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind. Das Berufsziel wird nach ständiger Rechtsprechung weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt. Denn Kindern und Eltern kommt bei der Gestaltung der Ausbildung von Verfassungswegen ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Nicht entscheidungserheblich ist, ob die Ausbildung im In- oder Ausland stattfindet (BFH-Urteil in BFHE 189, 95, BStBl II 1999, 713).

14
b) Die Ableistung eine Postulats und Noviziats ist nach diesen Grundsätzen eine Berufsausbildung. Die Tätigkeit als Ordensbruder ist ein Beruf, denn sie ist eine auf Dauer vorgesehene Arbeit, die der Existenzsicherung dient und die geeignet ist, materielle oder geistige in der Gesellschaft auftretende Bedürfnisse zu befriedigen und zu der die Befähigung durch Ausbildung (und Erziehung) erworben wird (so schon FG Münster-Urteil vom 2. Oktober 1991, 10 K 1108/91 L, EFG 1992, 269). Mit der Übernahme des Ordensstandes stellt sich zwar der einzelne der Ordensgemeinschaft mit seiner Person und seiner Tätigkeit unentgeltlich zur Verfügung, andererseits verpflichtet sich aber das Kloster dem Ordensbruder alles zur Verfügung zu stellen, was zur Erreichung des Zieles seiner Berufung erforderlich ist. Der Einzelne kann sich damit unabhängig von der Sorge um den täglichen Lebensbedarf voll und ganz der Erfüllung der Aufgaben widmen. Dass der Ordensangehörige dabei nach Kirchenrecht und ständiger klösterlicher Übung auf Vermögen und Erwerb zugunsten des Klosters verzichtet, steht der Anwendung des Berufsbegriffs nicht entgegen. Als Gegenleistung muss nämlich nicht stets ein in seinem Wertverhältnis angemessenes Entgelt für die einzelne Leistung oder für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft gewährt werden; es reicht auch aus, wenn lediglich der angemessene und bescheidene Unterhalt versprochen wird. Das Vorliegen eines Berufs kann auch nicht dann verneint werden, wenn die Berufstätigkeit einem inneren seelischen Bedürfnis („Berufung“) folgt und die Persönlichkeit im Ganzen erfasst, also als Gabe und Aufgabe bzw. als Entfaltung von Eignung und Neigung aufgefasst wird. Zum Berufsbewusstsein gehört bei einem Ordensangehörigen geradezu der Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Was einen Ordensangehörigen kenn- und auszeichnet, ist nicht allein sein durch die Ausbildung vermitteltes Wissen und Können. Vielmehr kommt als Charakteristikum die durch die klösterliche Erziehung geprägte Persönlichkeit hinzu.

15
Stellt aber die Tätigkeit eines Ordensbruders einen Beruf dar, so ist das Postulat ebenso wie das Noviziat als Ausbildung zu diesem Beruf zu werten. Das Postulat geht der Zulassung zum Noviziat voraus und stellt eine erste Bewährungsfrist in der Ausbildung für das monastische Leben dar. Aufgabe des Postulats ebenso wie die des anschließenden Noviziats ist es, den Anwärtern des Ordensstandes mit den Pflichten des Ordenslebens vertraut zu machen und ihn darin zu üben. Dass für diese Ausbildung die Erklärung der Ordensregeln und die Erschließung der Satzungen der Kongregation grundlegend sind und die Erziehung außer dem Kennenlernen der verschiedenen Arbeitsbereiche der eigenen Gemeinschaft durch Arbeitseinsätze und auch u.a. die Einführung in die Heilige Schrift und Liturgie, die Anleitung zu persönlichem Gebet und Betrachtung, die Behandlung grundlegender Glaubensfragen und der Geschichte des Mönchtums umfasst, ist für die Bejahung der hierdurch erfolgten Berufsausbildung unschädlich, da die während der Zeit des Postulats und des Noviziats durchgeführte Formung der Persönlichkeit unerlässlich für die Tätigkeit einer Ordensbruders ist.

16
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10 analog, § 711 Zivilprozessordnung. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

Steuerbefreiung nach § 4 S. 1 Nr. 16 k UStG für Kurse für Angehörige von Demezerkrankten.

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Umsatzsteuer Vorauszahlung Januar 2012
Steuerbefreiung nach § 4 S. 1 Nr. 16 k UStG für Kurse für Angehörige von Demenzerkrankten.

Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 19.04.2013, 16 K 239/12

 

Tatbestand

1
Die Klägerin ist Diplom Gerontologin und führt für Angehörige von Demenzerkrankten eine Schulungsreihe nach einer Rahmenvereinbarung mit der B-GEK durch. Das Honorar für diese Schulungen beträgt je durchgeführter Kurseinheit von 120 Minuten 140 € und wird von der Barmer-GEK entrichtet. Die Verpflichtung zur Durchführung der Schulungen erfolgt auf der Grundlage von § 45 SGB XI. Nach dieser Vorschrift sollen Pflegekassen für Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelisch Belastungen zu mindern.
2
Die Schulungen werden bisher nach der Rahmenvereinbarung mit der B-Pflegekasse von der Klägerin in den Ländern Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt angeboten und durch beauftragte Dozenten durchgeführt. Ein Kurs umfasst 14 Stunden, wird an sieben Terminen zweistündig durchgeführt und ist in mehrere Themenblöcke aufgeteilt. Die Anzahl der Teilnehmer ist auf 15 Personen beschränkt. Da die Kosten der Kurse die B-GEK trägt, haben die Teilnehmer keine Schulungsgebühr zu entrichten. Die Kurse werden für pflegende Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflege Interessierte durchgeführt. Mit diesem Angebot wird in Zusammenarbeit mit der B-GEK Angehörigen von Menschen mit Demenz eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Aspekten der Demenzerkrankung geboten. In der Schulungsreihe haben die Angehörigen die Möglichkeit Wissen zu erlangen, praktische Tipps zum Umgang mit Menschen mit Demenz zu bekommen und sich mit ihrer individuellen Lebenssituation auseinanderzusetzen.
3
Mit Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Januar 2012 vom 28. März 2012 berücksichtigte der Beklagte, das Finanzamt (FA), die von der Klägerin erklärten Einnahmen von 25.480 € als steuerpflichtige Umsätze und setzte die Umsatzsteuer auf 4.841 € fest. Den Einspruch hiergegen wies es mit Bescheid vom 19. Juli 2012 als unbegründet zurück. Nach § 16 S. 1 Nr. 16 k UStG seien nur Leistungen von der Umsatzsteuer befreit, die als Pflege der hilfsbedürftigen Personen erbracht würden. Unter die Befreiung fielen damit ausschließlich die Betreuungs- und Pflegeleistungen privater Altenheime. Im vorliegenden Fall dienten die Kurse der Beratung pflegender Angehöriger Personen. Vorrang habe hierbei die Gesundheitsprävention der Angehörigen selbst. Auch wenn die Erkrankten durch die Schulung der pflegenden Angehörigen indirekt einen Vorteil zögen, so handele es sich nicht um Pflegeleistungen für die Pflegebedürftigen, so dass für die Leistungen keine Umsatzsteuerbefreiung in Betracht komme.
4
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, ihre Umsätze seien gem. § 4 S. 1 Nr. 16k UStG steuerfrei. Die Klägerin sei im Sinne dieser Vorschrift als natürliche Person eine Einrichtung, deren Vergütung vollumfänglich von der B-GEK übernommen werde, da nach § 45 Abs. 1 SGB XI die Pflegekurse für die Teilnehmer unentgeltlich sein sollen. Die Pflegekurse seien für die Pflege und Betreuung von Demenzerkrankten im häuslichen Bereich durch Angehörige unerlässlich. Nach § 45 SGB XI sollen die Pflegekassen u.a. für Angehörige Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um Pflege und Betreuung zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern. Nach der Gesetzesbegründung hätten die Pflegekurse eine wichtige Funktion zur Sicherstellung der Qualität der pflegerischen Versorgung der zu Hause gepflegte Pflegebedürftigen. Vom Gesetzgeber seien die Pflegekurse somit als Teil der Pflege und Betreuung dargestellt. Die Teilnahme an einem Pflegekurs werde häufig Ergebnis einer Pflegeberatung sein, die gemäß § 7a Abs. 2 Satz 1 SGB XI auf Wunsch unter Einbeziehung von Dritten, insbesondere Angehörigen und Lebenspartnern zu erfolgen habe. Pflege und Betreuung dürften daher nicht nur verkürzt auf eine direkte Pflegeanwendung an dem Patienten reduziert werden. In den von der Klägerin durchgeführten Kursen würden die Angehörigen für die Pflege und Betreuung geschult, was unerlässlich sei, um eine häusliche Pflege überhaupt zu ermöglichen.
5
 Die Klägerin beantragt,
6
den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Januar 2012 vom 28. März 2012 in der Fassung der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2012 aufzuheben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
7
Das FA beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Nach § 4 Nr. 16k UStG seien nur die Grundpflegeleistungen und die Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen steuerbefreit. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen erfüllten damit nicht die gesetzlichen Voraussetzungen der Umsatzsteuerbefreiung.
10
Der Rechtsstreit ist mit Beschluss vom 31. Januar 2013 gemäß § 6 Abs. 1 FGO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
 

Entscheidungsgründe

11
Die Klage ist begründet.
12
Der angefochtene Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Januar 2012 vom 28. März 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das FA hat die Umsätze der Klägerin zu Unrecht der Umsatzsteuer unterworfen.
13
1. Die Umsätze aus den von Klägerin durchgeführten Kursen für Angehörige von Demenzerkrankten sind jedenfalls nach richtlinienkonformer Auslegung des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG steuerfrei.
14
a) Nach § 4 S. 1 Nr. 16k UStG 2009 sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen steuerfrei „ die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind, erbracht werden.“
15
Die Vorschrift soll Art. 132 Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Art. 133 und 134 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) umsetzen.
16
Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL lautet:
17
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
18
19
g) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderer von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.“
20
Für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g           MwStSystRL genügt es, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar
21
– zum einen, dass es sich um Leistungen handelt, die mit der Fürsorge oder der sozialen Sicherheit verbunden sind, und
22
–  zum anderen, dass diese Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind, erbracht werden.
23
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Denn eng mit der sozialen Fürsorge verbunden sind alle in den Sozialgesetzbüchern nach Art und Umfang beschriebenen Leistungen (BFH-Urteil vom 18. August 2005 V R 71/03, BStBl. II 2006, 143; Hölzer in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 16 Rz. 16).
24
Die Klägerin hat die Kurse für Angehörige von Demenzerkrankten aufgrund einer Vereinbarung mit der einem Träger der Sozialversicherung (§ 12 und §§ 21, 21a SGB I), der B-GEK, erbracht. Grundlage für diese Vereinbarung war § 45 SGB XI, wonach Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen gesetzlich vorgesehen sind. Nach dieser Vorschrift sollen die Pflegekassen für Angehörige und sonstige an einer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit interessierte Personen Schulungskurse unentgeltlich anbieten, um soziales Engagement im Bereich der Pflege zu fördern und zu stärken, Pflege und Betreuung  zu erleichtern und zu verbessern sowie pflegebedingte körperliche und seelische Belastungen zu mindern.  Die Kurse sollen Fertigkeiten für eine eigenständige Durchführung der Pflege vermitteln. Nach § 1 Abs. 1 SGB I (Allgemeiner Teil) soll das Recht des Sozialgesetzbuches zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit Sozialleistungen einschließlich sozialer Hilfe gestalten.  Leistungen wie die von der Klägerin im Rahmen des § 45 SGB XI gegenüber der B-GEK erbrachten Leistungen sind danach eng mit der sozialen Fürsorge verbunden.
25
Der Begriff „Einrichtung“ ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen (EuGH-Urteil in UR 2005, 486 RandNr. 35; vgl. auch EuGH-Urteil vom 7. September 1999 Rs. C-216/97, Gregg, Slg. 1999, I-4947 RandNr. 17). Die Anerkennung eines Unternehmers als einer Einrichtung mit sozialem Charakter kann dabei insbesondere auch aus der Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden. Maßgebend ist insoweit, dass es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, für die die Kosten von den Sozialversicherungsträgern übernehmbar waren (BFH-Urteil in BFHE 205, 514, BStBl II 2004, 849, m.w.N.).  Die Klägerin erbringt ihre Leistungen aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit der B-GEK und rechnet die Kosten mit dieser ab. Das genügt.
26
b) Nach dem oben zitierten Wortlaut von § 4 S. 1 Nr. 16k UStG  ist es nicht ausgeschlossen, Schulungskurse, die wie die der Klägerin im Auftrage einer Pflegekasse für Angehörige von Demenzerkrankten durchgeführt werden als eng mit Pflegeleistungen verbundene Umsätze und damit als steuerbefreit anzusehen. Die Kurse kommen – was zwischen den Beteiligten unstrittig ist – den Demenzerkrankten zu Gute und sind nach § 45 Abs.1 SGB XI vorgesehen. Dass unter die Befreiung des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG, wie der Beklagte meint, ausschließlich Betreuungs- und Pflegeleistungen privater Altenheime fallen und dass die mit der Betreuung und Pflege steuerbefreiten eng verbundenen Leistungen direkt am Pflegebedürftigen selbst erbracht werden müssen, geht so aus der Vorschrift nicht hervor. Es ist daher Raum für eine richtlinienkonforme Auslegung, welche das oben gefundene Ergebnis, wonach die Klägerin für sich die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL in Anspruch nehmen kann, berücksichtigt. Danach ist es im Lichte der Richtlinie geboten, die von der Klägerin durchgeführten Kurse als eng mit Pflegeleistungen verbundene Umsätze i.S.v § 4 S. 1 Nr. 16k UStG anzusehen.  Dass die Gesundheitsprävention der Angehörigen in den Kursen mit im Fokus steht, ist dabei durch § 45 Abs. 1 SGB XI  und der hierzu zwischen der Klägerin und der B-GEK geschlossenen Rahmenvereinbarung mit abgedeckt und für eine effektive Betreuung und Pflege Demenzerkrankter im häuslichen Umfeld wie die Klägerin dem Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. April 2013 überzeugend dargetan hat auch zwingend erforderlich.
27
Die übrigen Voraussetzungen des § 4 S. 1 Nr. 16k UStG sind gegeben. Der Begriff der „Einrichtung“ ist von dem oben dargestellten gemeinschaftlichen Begriff der Einrichtung in Art. 132 MwStSystRL abgeleitet, so dass die Klägerin als natürliche Person hierunter fällt. Die Leistungen der Klägerin werden schließlich zu 100 % von der B-GEK, also einer gesetzlichen Trägerin der Sozialversicherung, vergütet, so dass es sich bei der Klägerin um eine sowohl von Art. 132 Buchst. g MwStSystRL als auch von § 4 S. 1 Nr. 16k UStG anerkannte Einrichtung handelt.
28
Das FA hat danach zu Unrecht den angefochtenen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Januar 2012 erlassen.
29
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.  Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3, § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Krankheitskosten als unvermeidbare, die Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mindernde Aufwendungen.

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Kindergeld

Krankheitskosten als unvermeidbare, die Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mindernde Aufwendungen.

Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 18.07.2013, 16 K 107/11

 

Tatbestand

1
Strittig ist der Anspruch auf Kindergeld der Klägerin für ihren Sohn M, geb. 21. April 1990, für das Jahr 2010.

2
Das Versorgungsamt Osnabrück stellte mit Bescheid vom 10. September 1996 für M ab dem 24. Juni 1996 infolge eines Marfan-Syndroms einen Grad der Behinderung von 40 % fest. M hatte im Streitzeitraum Einkünfte aus einer Ausbildungsvergütung in Höhe von 7.706,13 € und bezog zusätzlich eine Rente i.H.v. 2.327,28 €. Den Antrag der Klägerin auf Kindergeld lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Dezember 2010 wegen Überschreitung des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ab. Den Einspruch hiergegen wies sie mit Bescheid vom 21. Februar 2011 als unbegründet zurück. Die Gesamteinkünfte und Bezüge des Kindes hätten in 2010 10.033,41 € betragen. Von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sei nur der Arbeitnehmerpauschbetrag von 920 € abzusetzen. Hinsichtlich der Rentenzahlung sei ein Werbungskostenpauschbetrag von 102 € zu berücksichtigen. Die Bezüge seien sodann noch um die Kostenpauschale von 180 € zu vermindern. Die so ermittelten Einkünfte und Bezüge des Kindes von 8.831,41 € überschritten den maßgeblichen Grenzbetrag von 8.004 €.

3
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin geltend, die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes müssten noch um den Mehrbedarf für dessen Behinderung vermindert werden. Diesen bezifferte sie mit Schriftsatz vom 22. März 2011 mit 160 € monatlich für Kleidung und Ernährung. Zum Beleg reichte sie einen zwischen ihr und dem Landkreis Osnabrück vor dem Sozialgericht Osnabrück am 3. August 2010 geschlossenen Vergleich zu den Akten. Hierin verpflichtete sich der Landkreis für M einen Mehrbedarf zusätzlich zu dem bereits gewährten Mehrbedarf in Höhe von insgesamt 480 € zu gewähren, was einem monatlichen zusätzlichen Mehrbedarf von 40 € für die Zeit vom 1. März 2008 bis 28. Februar 2009 entspreche. Wie sich  aus einem Schreiben des Landkreis Osnabrück vom 18. März 2010 ergibt, betrug der bereits gewährte Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II 120 €. Am 1. August 2009 begann M die Ausbildung, so dass die Unterstützungen durch den Landkreis entfielen.

4
Zum weiteren Beleg des Mehrbedarfs reichte die Klägerin eine ärztliche Stellungnahme vom 22. Juli 2005, die im Auftrag des Gesundheitsdiensts für den Landkreis und die Stadt Osnabrück erstellt wurde, zu den Akten. Danach handelt es sich bei dem Marfan-Syndrom um eine angeborene Erkrankung mit Hochwuchs, Fettgewebsmangel, verminderter Muskelausprägung und Bindegewebsschwäche. Begleitsymptome sind eine allgemeine Leistungsschwäche und eine sehr eingeschränkte Belastbarkeit. Das Kind der Klägerin benötige eine kalorienreiche Kost, verteilt auf viele kleine Mahlzeiten. Es sei eine besonders hochwertige Ernährung notwendig, die viel hochwertiges Eiweiß aus Fleisch und Fisch enthalte, sowie vitaminreiches frisches Obst und Gemüse. Zusätzlich brauche M  Maltodextrin, um die Nahrung kalorisch anzureichern. M sei sehr Kälte und Haut empfindlich und benötige zusätzliche Kleidung. Er habe bei einer Größe von 190 cm und einem Gewicht von 62 kg eine Schuhgröße von 48. Die Beschaffung von Alters angemessener Oberbekleidung sei schwierig und teuer. Benötigt würde zusätzlich eine besondere, wärmestabilisierende Unterwäsche. Aus ärztlicher Sicht werde ein Mehrbedarf für die Ernährung in Höhe von 100 € pro Monat für erforderlich gehalten und ein Mehrbedarf an Kleidung in Höhe von 50 € pro Monat. Die Klägerin reichte ferner eine amtsärztliche Stellungnahme des Gesundheitsdiensts für Landkreis und Stadt Osnabrück vom 16. März 2010 zu den Akten. Hieraus ergebe sich ein durchschnittlicher Mehraufwand für Sonderernährung für M von 186 € monatlich.

5
Im Schriftsatz vom 14. August 2012 hat die Klägerin den monatlichen behindertenbedingten Mehraufwand mit 260 € berechnet. Es ergäben sich zusätzliche monatliche Kosten von 36 € für den Rehasport und Fahrtkosten hierfür von 50,40 €. Hinzu kämen Praxisgebühren und Medikamentzuzahlungen von 10 bis 20 € monatlich, so dass insgesamt von einem Mehraufwand von monatlich 260 € auszugehen sei.

6
  Die Klägerin beantragt sinngemäß,

7
die Beklagte zu verpflichten, ihr für ihr Kind M unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Dezember 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 2011 Kindergeld für 2010 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

8
Die Beklagte beantragt,

9
die Klage abzuweisen.

10
Ein behinderungsbedingter Mehraufwand sei bei der Berechnung der Einkünfte und Bezüge im Rahmen der Grenzbetragsbetrachtung nicht in Abzug zu bringen. Da der Grenzbetrag ohne die behinderungsbedingten Mehraufwendungen überschritten werde, komme eine Berücksichtigung des Kindes nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG nicht in Betracht. Eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG scheitere an der fehlenden Ursächlichkeit der Behinderung.

11
Mit Schriftsätzen vom 25. November 2011 bzw. vom 4. März 2011 haben die Klägerin und die Beklagte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 79a Abs. 3 und 4 FGO sowie den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO erklärt.

 

Entscheidungsgründe

12
Die Klage ist begründet. Der angegriffene Ablehnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 FGO). Die Klägerin hat für ihren Sohn für 2010 einen Anspruch auf Gewährung von Kindergeld.

13
1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das –wie M im Jahr 2010– das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge den für den Streitzeitraum maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 8.004 € im Kalenderjahr nicht übersteigen.

14
Zu Unrecht hat die Beklagte die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG allein deshalb verneint, weil es den monatlichen Mehrbedarf i.H.v. 160 € aufgrund der Erkrankung des Kindes der Klägerin am Marfan-Syndrom vom Einkommen des Kindes i.H.v. 8.831,41 € nicht abgezogen hat.

15
a) Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definiert –je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten–. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) kann der Begriff „Einkünfte“ daher nicht als „zu versteuerndes Einkommen“ ausgelegt werden.  § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sei  verfassungskonform auszulegen. Der Relativsatz „die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind“ sei nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte des Kindes zu beziehen. Nicht als Einkünfte anzusetzen seien daher jedenfalls diejenigen Beträge, die –wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge– von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stünden und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten könnten. Offen bleiben könne, „in welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf Einkünfte anzuwenden“ sei (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260, unter B.II.3.).

16
Nach der Entscheidung des BVerfG ist daher jeweils im Einzelfall zu prüfen, welche Teile der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG wegen eines sonst vorliegenden Grundrechtsverstoßes im Wege verfassungskonformer Einschränkung nicht angesetzt werden dürfen.

17
Der BFH hat im Urteil vom 26. September 2007 III R 4/07 (BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738, unter II. 8., betr. ansetzbare Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit) ausdrücklich offen gelassen, ob und inwieweit Krankheits- oder Krankheitsfolgekosten zu den nach der Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 unvermeidbaren, die Einkünfte und Bezüge des Kindes mindernden Aufwendungen gehören können. Auch in den Urteilen vom 17. Dezember 2009 III R 74/07 (BFHE 228,72, BStBl II 2010,552) und vom 9. Februar 2012 III R 5/08 (BFH/NV 2012, 851) musste er diese Frage nicht entscheiden, da sich der geminderte Ansatz einer Rentennachzahlung in den von den zitierten Urteilen entschiedenen Fällen allein aus der Zweckbestimmung der Verletztenrente ergibt.

18
b) Das erkennende Gericht ist aber der Ansicht, dass jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegendem Krankheitsfolgekosten aufgrund der Erkrankung des Kindes der Klägerin am Marfan-Syndrom zu den nach der Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 unvermeidbaren, die Einkünfte und Bezüge des Kindes mindernden Aufwendungen gehören. Hierfür spricht, dass die Einkünfte soweit sie für die Folgen der Erkrankung am Marfan-Syndrom aufgewandt werden müssen, dem Kind zur Bestreitung seines Unterhalts oder seiner Berufsausbildung nicht zur Verfügung stehen.

19
c) Das Gericht sieht vorliegend Krankheitsfolgekosten jedenfalls in Höhe von 160 € für erwiesen an. Der Nachweis ergibt sich aus einer Gesamtschau der ärztlichen Stellungnahmen des Gesundheitsdienstes für den Landkreis und die Stadt Osnabrück vom 22. Juli 2005 sowie vom 16. März 2010 in Verbindung mit dem Schreiben des Landkreises Osnabrück vom 18. März 2010 und dem in der Sitzung vom 3. August 2010 vor dem Sozialgericht Osnabrück geschlossenen Vergleich.

20
Bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge von M den Jahresgrenzbetrag von 8.004 € übersteigen, sind seine Einkünfte und Bezüge von 8.831,41 € daher um einen Betrag von 1.920 € zu mindern. Damit übersteigen seine Einkünfte und Bezüge von nunmehr 6.911 € den Jahresgrenzbetrag nicht.

21
Darauf, ob M, wie die Klägerin mit Schriftsatz vom 14. August 2012 meint, weitere unvermeidbare Krankheitsfolgenkosten hatte, die von den berücksichtigten 160 € nicht mit abgedeckt werden, kommt es nicht an.

22
2. Die Frage, ob M als behindertes Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen ist, ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich.

23
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. § 709 der Zivilprozessordnung.

Zur Rücknahme eines Antrags auf Aufteilung der Steuerschuld nach Erteilung des Aufteilungsbescheides

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Zur Rücknahme eines Antrags auf Aufteilung der Steuerschuld nach Erteilung des Aufteilungsbescheides

1. Mit dem Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld übt der Gesamtschuldner ein verwaltungsrechtliches Gestaltungsrecht aus.
2. Die Ausübung eines verwaltungsrechtlichen Gestaltungsrechts ist unwiederholbar und unwiderruflich.
3. Wer als Gesamtschuldner einen Antrag auf Aufteilung der Steuerschuld gestellt hat, kann den Aufteilungsantrag auch im Verfahren über den Einspruch gegen den Aufteilungsbescheid nicht zurücknehmen.

Niedersächsisches Finanzgericht 15. Senat, Urteil vom 05.11.2013, 15 K 14/13

§ 129 AO, § 268 AO, § 269 Abs 1 AO, § 277 AO, § 280 AO, § 367 Abs 2 AO, § 26a EStG, § 139 Abs 4 FGO

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger berechtigt ist, seinen Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung vor Bestandskraft des bereits erteilten Aufteilungsbescheides zurückzunehmen.

2
Mit Bescheid vom 24. November 2011 setzte der Beklagte (das Finanzamt – FA -) gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau, der Beigeladenen, die Einkommensteuer für das Jahr 2010 (Streitjahr) auf … € fest. Der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens legte das FA Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit sowie Einkünfte der Beigeladenen aus Gewerbebetrieb und aus nichtselbständiger Arbeit zugrunde. Da die Eheleute keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatten, ermittelte das FA die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege.

3
Gegen den Bescheid legte der Kläger Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren reichten der Kläger und die Beigeladene beim FA die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein, mit der sie Zusammenveranlagung beantragten. Der Kläger und die Beigeladene erklärten, seit Juli 2011 dauernd getrennt zu leben.

4
Mit Bescheid vom 13. Juni 2012 setzte das FA für das Streitjahr Einkommensteuer in Höhe von … € fest. Aus dem Abrechnungsteil ergab sich eine Nachforderung des FA in Höhe von insgesamt 1.100 € … Gegen die Festsetzung der Einkommensteuer legten der Kläger und die Beigeladene keinen Rechtsbehelf ein.

5
Auf Antrag des Klägers vom 21. Juni 2012 erteilte das FA am 11. Juli 2012 einen Aufteilungsbescheid. Dadurch teilte das FA die Gesamtschuld nach dem Verhältnis der Beträge auf, die sich bei getrennter Veranlagung zur Einkommensteuer ergäben. Dies führte dazu, dass auf den Kläger 100 v. H. und auf die Beigeladene 0 v. H. der Steuer entfielen. Den Kläger trifft hiernach eine Nachforderung in Höhe von 2.500 €, während der Beigeladenen eine Erstattung in Höhe von 1.400,00 € zusteht. …

6
Gegen den Aufteilungsbescheid legte der Kläger am 12. Juli 2012 Einspruch ein. Er nehme den Aufteilungsantrag zurück. Aufgrund des Bescheides habe sich die Steuerschuld des Klägers erhöht. Auch die Beigeladene habe durch den Bescheid keinen Vorteil. Einerseits würden die ihr zustehenden Erstattungen mit Rückständen aufgerechnet. Andererseits müsse der Kläger die Unterhaltszahlungen an die Beigeladene solange einstellen, bis die Abgabenschuld getilgt sei. Mit Bescheid vom 14. November 2012 zog das FA die Beigeladene zum Einspruchsverfahren hinzu.

7
Den eingelegten Rechtsbehelf wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2012 als unbegründet zurück. Ein Aufteilungsantrag könne nur solange zurückgenommen werden, bis der Aufteilungsbescheid nicht erteilt sei. Ein erteilter Aufteilungsbescheid könne nur aus den in § 280 der Abgabenordnung (AO) genannten Gründen geändert werden. Nicht zu diesen Gründen gehöre die Rücknahme des Aufteilungsantrags. Eine solche Rücknahme sei auch nicht im Einspruchsverfahren möglich. Denn in diesem Verfahren könnten nur Einwendungen gegen die Art der Aufteilung (d. h. gegen die Berechnung der Aufteilungsanteile) erhoben werden. Da § 280 AO gegenüber §§ 130 ff. AO und §§ 172 ff. AO die speziellere Vorschrift sei, würden die Änderungsmöglichkeiten für Aufteilungsbescheide hierdurch abschließend geregelt.

8
Der Kläger hat mit Schreiben vom 13. Januar 2013 Klage erhoben, mit der er die Aufhebung des Aufteilungsbescheides vom 11. Juli 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2012 begehrt. Er nehme den Antrag auf Aufteilung der Gesamtschuld zurück. Die Folgen des Antrags seien dem Kläger bei Antragstellung nicht klar gewesen.

9
§ 280 AO stehe einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht entgegen, weil diese Vorschrift nur die Änderung, nicht aber die Aufhebung eines Aufteilungsbescheides regele. Eine Ausweitung des Regelungsbereichs des § 280 AO auf die Aufhebung eines Aufteilungsbescheides widerspräche der Rechtssystematik der AO. Wenn der Schuldner im Einspruchsverfahren den Aufteilungsantrag zurücknehme, sei dem Aufteilungsbescheid die Grundlage entzogen.

10
Der Kläger beantragt,

11
den Aufteilungsbescheid vom 11. Juli 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Dezember 2012 aufzuheben.

12
Das FA beantragt,

13
die Klage abzuweisen.

14
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

15
Zur Begründung nimmt das FA im Wesentlichen auf die Gründe der Einspruchsentscheidung Bezug.

16
Nach Anhörung ist die Ehefrau des Klägers mit Beschluss vom 8. April 2013 notwendig beigeladen worden. Mit Schreiben vom 16. April 2013 hat der Berichterstatter die Beigeladene auf die sich aus § 60 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergebenden Rechte eines Beigeladenen hingewiesen.

17
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

18
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Aufteilungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in dessen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu Recht hat das FA durch die Einspruchsentscheidung eine Aufhebung des Aufteilungsbescheides abgelehnt.

19
1. Sind Personen Gesamtschuldner, weil sie zusammen zu einer Steuer vom Einkommen oder zur Vermögensteuer veranlagt worden sind, so kann nach § 268 AO jeder von ihnen beantragen, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuer jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO bei einer Aufteilung der Steuern ergibt. Der Antrag ist bei dem im Zeitpunkt der Antragstellung für die Besteuerung nach dem Einkommen oder dem Vermögen zuständigen Finanzamt schriftlich zu stellen oder zur Niederschrift zu erklären (§ 269 Abs. 1 AO). Die rückständige Steuer ist gemäß § 270 Satz 1 AO nach dem Verhältnis der Beträge aufzuteilen, die sich bei der Einzelveranlagung nach Maßgabe des § 26a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und der §§ 271 bis 276 AO ergeben würden. Über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung ist nach Einleitung der Vollstreckung durch schriftlichen Bescheid (Aufteilungsbescheid) gegenüber den Beteiligten einheitlich zu entscheiden (§ 279 Abs. 1 AO). Der Aufteilungsbescheid hat die Höhe der auf jeden Gesamtschuldner entfallenden anteiligen Steuer zu enthalten; ihm ist eine Belehrung beizufügen, welcher Rechtsbehelf zulässig ist und bei welcher Behörde er einzulegen ist (§ 279 Abs. 2 Satz 1 AO). Weitere Bestimmungen für den Inhalt des Aufteilungsbescheides enthält § 279 Abs. 2 Satz 2 AO. Gemäß § 280 Abs. 1 AO kann der Aufteilungsbescheid außer in den Fällen des § 129 AO nur geändert werden, wenn (Nr. 1) nachträglich bekannt wird, dass die Aufteilung auf unrichtigen Angaben beruht und die rückständige Steuer infolge falscher Aufteilung ganz oder teilweise nicht beigetrieben werden konnte oder (Nr. 2) sich die rückständige Steuer durch Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung oder ihre Berichtigung nach § 129 AO erhöht oder vermindert. Nach Beendigung der Vollstreckung ist eine Änderung des Aufteilungsbescheids oder seine Berichtigung nach § 129 AO nicht mehr zulässig (§ 280 Abs. 2 AO).

20
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt die Befugnis des Gesamtschuldners, einen Aufteilungsantrag zu stellen, keine Einrede i. S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dar. Unter Einreden versteht man materielle Leistungsverweigerungsrechte (vgl. Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., § 390 Rz 1), während der Antrag nach § 268 AO die Ausübung eines verwaltungsrechtlichen Gestaltungsrechts darstellt (vgl. Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 269 AO Rz 1; Horn in Schwarz, AO, § 269 Rz 2; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 269 AO Rz 5), das die Gesamtschuld als solche unberührt lässt (Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 268 AO Rz 5) und nur zu einer Beschränkung der Vollstreckung im weiteren Sinne führt (zum Ganzen BFH-Urteil vom 12. Juni 1990 VII R 69/89, BFHE 163, 498, BStBl II 1991, 493).

21
2. Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger nicht berechtigt, im Verfahren über den Einspruch gegen den Aufteilungsbescheid vom 11. Juli 2012 den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung (§§ 268 f. AO) zurückzunehmen.

22
a) Die Vorschriften über die Aufteilung einer Gesamtschuld (§§ 268 bis 280 AO) sehen nicht die Möglichkeit vor, dass der Schuldner den Aufteilungsantrag zurücknimmt.

23
Unter welchen Voraussetzungen ein Aufteilungsbescheid geändert werden kann, ist abschließend in § 280 Abs. 1 AO geregelt. Zu Recht hat das FA in seiner Einspruchsentscheidung darauf hingewiesen, dass es sich hierbei gegenüber §§ 130 ff. AO und §§ 172 ff. AO um die speziellere Vorschrift handelt. Das bedeutet, dass ein Aufteilungsbescheid ausschließlich nach Maßgabe der Bestimmungen des § 280 Abs. 1 AO korrigiert werden kann (vgl. Horn in Schwarz, AO, § 280 Rz 1; Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 280 Rz 1; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 280 AO Rz 2).

24
Die Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 AO liegen im Streitfall nicht vor. Denn der Aufteilungsbescheid vom 11. Juli 2012 beruht weder auf unrichtigen Angaben (Nr. 1), noch hat sich die rückständige Steuer nach Erteilung des Bescheides geändert (Nr. 2).

25
Eine Korrekturmöglichkeit nach §§ 268 ff. AO besteht demnach nicht.

26
b) Dem FA ist weder nach dem Vorbringen der Beteiligten noch nach Aktenlage bei Erlass des Aufteilungsbescheides eine offenbare Unrichtigkeit unterlaufen, die gemäß § 280 Abs. 1 AO i. V. m. § 129 AO durch eine Aufhebung des Bescheides berichtigt werden könnte.

27
c) Schließlich ist auch eine Aufhebung des Aufteilungsbescheides nach § 367 Abs. 2 AO ausgeschlossen. Da der Kläger mit seinem Antrag vom 21. Juni 2012 ein verwaltungsrechtliches Gestaltungsrecht ausgeübt hat und die Ausübung dieses Rechts unwiderruflich ist, kann der Kläger den Aufteilungsantrag nicht zurücknehmen.

28
aa) Nach § 367 Abs. 2 AO hat die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Der Verwaltungsakt kann auch zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden, wenn dieser auf die Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung unter Angabe von Gründen hingewiesen und ihm Gelegenheit gegeben worden ist, sich hierzu zu äußern. Einer Einspruchsentscheidung bedarf es nur insoweit, als die Finanzbehörde dem Einspruch nicht abhilft.

29
Obwohl § 280 Abs. 1 AO bei Aufteilungsbescheiden eine eigenständige und abschließende Regelung der Korrekturmöglichkeiten enthält, kann grundsätzlich auch im Rechtsbehelfsverfahren eine Änderung des Bescheides herbeigeführt werden (vgl. Urteil des Finanzgerichts – FG – Rheinland-Pfalz vom 28. April 1999 1 K 1679/98, juris Rz 17; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 280 AO Rz 2).

30
Eine Aufhebung des streitgegenständlichen Aufteilungsbescheides nach § 367 Abs. 2 AO kommt jedoch wegen dessen Rechtsnatur als verwaltungsrechtliches Gestaltungsrecht nicht in Betracht.

31
(1) Soweit ersichtlich ist in der abgabenrechtlichen Literatur die Frage, ob ein Aufteilungsbescheid im Rechtsbehelfsverfahren wegen Rücknahme des Antrags aufgehoben werden kann, bislang nicht erörtert worden. Vielfach wird jedoch die Auffassung vertreten, dass im Rechtsbehelfsverfahren nur Einwendungen gegen den aufzuteilenden Betrag, den angewendeten Aufteilungsmaßstab, die Anrechnung von Beträgen nach § 276 Abs. 6 AO und das Aufteilungsverfahren erhoben werden können (Horn in Schwarz, AO, § 279 Rz 9; Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 279 Rz 2; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 279 AO Rz 9; Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 279 AO Rz 9). Dagegen können Einwendungen gegen den Steuerbescheid weder hinsichtlich der Höhe der Steuer noch hinsichtlich der Zuordnung einzelner Besteuerungsgrundlagen zu dem einen oder anderen Zusammenveranlagten erhoben werden (BFH-Beschluss vom 27. August 1990 VI B 216/89, BFH/NV 1991, 214; Horn in Schwarz, AO, § 279 Rz 9; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 279 AO Rz 9).

32
(2) Nach der Rechtsprechung des BFH gibt es im Abgabenrecht neben verwaltungsrechtlichen Gestaltungsrechten wie dem Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung nach §§ 268 f. AO auch schuldrechtliche Gestaltungsrechte, zu denen z. B. die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gehören (§ 226 Abs. 1 AO). Die Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde ist eine rein rechtsgeschäftliche Erklärung, mit der ein schuldrechtliches Gestaltungsrecht ausgeübt und kein Verwaltungsakt erlassen wird (BFH-Urteil vom 31. August 1995 VII R 58/94, BFHE 178, 306, BStBl II 1996, 55; BFH-Beschluss vom 29. November 2012 VII B 88/12, BFH/NV 2013, 508, unter II. 1. c) der Gründe; Klein/Brockmeyer/Ratschow, AO, 11. Aufl., § 118 Rz 24; Klein/Rüsken, a. a. O., § 226 Rz 65, jeweils m. w. N.).

33
Ein Gestaltungsrecht ist nach einmaliger Ausübung verbraucht. Mit dieser Konsumtion des Gestaltungsrechts hängt auch die allgemein angenommene Unwiderruflichkeit der einmal abgegebenen Gestaltungserklärung zusammen (vgl. zur Unwiderruflichkeit von Gestaltungserklärungen im Allgemeinen Palandt/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., Überblick vor § 104 Rz 17, und zur Unwiderruflichkeit von Aufrechnungserklärungen im Besonderen Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 388 Rz 1; Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 145 Rz 11a; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 72. Aufl., § 145 Rz 12). Dem Gesetzgeber des BGB war die Unwiderruflichkeit einer Gestaltungserklärung so selbstverständlich, dass in dem heutigen § 315 BGB (§ 353 des ersten Entwurfs zum BGB) eine Bestimmung über die Unwiderruflichkeit, die noch im Entwurf enthalten war, von der Kommission ausdrücklich als selbstverständlich gestrichen worden ist (Protokolle zum Entwurf des BGB, Bd. VI, Seite 153). Unwiederholbarkeit und Unwiderruflichkeit der Gestaltungserklärung sind der Preis dafür, dass man auf so einfache Weise, nämlich durch bloße Willenserklärung sein Recht verwirklichen kann (Urteil des Bundesarbeitsgerichts – BAG – vom 26. August 1993, 2 AZR 159/93, BAGE 74, 143, m. w. N.).

34
bb) Hiernach hat das FA die Aufhebung des Aufteilungsbescheides auf den Einspruch des Klägers zu Recht abgelehnt.

35
(1) Die von Rechtsprechung und Literatur in erster Linie für schuldrechtliche Gestaltungsrechte aufgestellten Grundsätze sind auf verwaltungsrechtliche Gestaltungsrechte jedenfalls grundsätzlich übertragbar. Hier wie dort erfordern es die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, dass die Ausübung eines Gestaltungsrechts weder wiederholbar noch widerruflich ist.

36
Werden diese Grundsätze auf den Streitfall übertragen, kann der Kläger den am 21. Juni 2012 beim FA gestellten Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung unabhängig davon nicht zurücknehmen, dass der Aufteilungsbescheid vom 11. Juli 2012 noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist.

37
Es besteht kein Anlass dafür, von der grundsätzlichen Unwiderruflichkeit eines Aufteilungsantrags im Streitfall eine Ausnahme zuzulassen. Auch das Vorbringen des Klägers, ihm sei die Auswirkung des Antrags nicht klar gewesen, rechtfertigt eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht.

38
(2) Ferner spricht die Regelung des § 277 AO gegen eine Widerruflichkeit und damit eine gegen Wiederholbarkeit des Antrags auf Beschränkung der Vollstreckung.

39
Solange nicht über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung unanfechtbar entschieden ist, dürfen Vollstreckungsmaßnahmen gemäß § 277 AO nur soweit durchgeführt werden, als dies zur Sicherung des Anspruchs erforderlich ist. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass vollstreckungsrechtlich vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor endgültig feststeht, in welchem Umfang die einzelnen Gesamtschuldner für die rückständige Steuer in Anspruch genommen werden können (Horn in Schwarz, AO, § 277 Rz 1). Die Vollstreckung wird – und zwar für jeden der Gesamtschuldner – bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Aufteilungsantrag auf bloße Sicherungsmaßnahmen beschränkt. Eine endgültige Befriedigung des Abgabengläubigers ist vorerst ausgeschlossen (vgl. Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 277 AO Rz 2; Klein/Brockmeyer, AO, 11. Aufl., § 277 Rz 1). Bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen, die über den Sicherungszweck hinausgehen, sind auszusetzen bzw. aufzuheben, soweit dies noch möglich ist (Horn in Schwarz, AO, § 277 Rz 1).

40
Könnte ein Gesamtschuldner – wie im Streitfall der Kläger – einen Aufteilungsantrag zurücknehmen bzw. widerrufen, hätte er oder ein anderer Gesamtschuldner – im Streitfall: die Beigeladene – die Möglichkeit, erneut einen Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung zu stellen. Dadurch würde eine endgültige Befriedigung des Abgabengläubigers ein weiteres Mal vorläufig vereitelt. Es spricht nichts dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das Beitreibungsinteresse des Abgabengläubigers in dieser Weise durch die §§ 268 ff. AO beeinträchtigt werden soll.

41
Auch im Lichte des § 277 AO ist die angefochtene Entscheidung deshalb nicht zu beanstanden.

42
(3) Nach alledem folgt der erkennende Senat nicht dem 7. Senat des FG Berlin-Brandenburg, der in seinem Urteil vom 16. September 2009 7 K 7453/06 B (EFG 2010, 386) – ohne Begründung – offenbar davon ausgeht, ein Aufteilungsantrag könne zurückgenommen werden.

43
Diese Ansicht lässt sich auch nicht mit den Vorschriften über die Veranlagung von Ehegatten begründen.

44
Nach §§ 26 ff. EStG in der bis 31. Dezember 2012 geltenden Fassung kann die Wahl der Veranlagungsart bis zur Bestandskraft des Zusammenveranlagungsbescheides oder – bei getrennter Veranlagung bzw. besonderer Veranlagung nach § 26c EStG – eines der beiden Bescheide geändert werden (vgl. im Einzelnen Schmidt/Seeger, EStG, 32. Aufl., § 26 Rz 23 f.). Die Grundsätze über die Änderbarkeit der Wahl der Veranlagungsart sind für die Frage, ob ein Aufteilungsantrag zurückgenommen werden kann, allein deshalb nicht maßgeblich, weil die §§ 26 ff. EStG den Ehegatten ein Wahlrecht („können … wählen“, § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG) einräumen und das im 4. Teil der AO geregelte Festsetzungsverfahren betreffen, die §§ 268 ff. AO dagegen ein verwaltungsrechtliches Gestaltungsrecht begründen – was vor allem in § 277 AO zum Ausdruck kommt (vgl. Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 277 AO Rz 2) – und dem Vollstreckungsrecht (6. Teil der AO) angehören.

45
3. a) Der Senat konnte gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

46
b) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

47
Die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn das Gericht sie aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt (§ 139 Abs. 4 FGO). Im Regelfall entspricht es der Billigkeit, dem Beigeladenen Kostenerstattung zuzubilligen, wenn er Sachanträge gestellt hat, weil er dann auch das Risiko getragen hat, zu unterliegen und mit Kosten belastet zu werden (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl II 1998, 63, unter I. C. der Gründe). Voraussetzung für eine Billigkeitsentscheidung nach § 139 Abs. 4 FGO ist, dass der Beigeladene den obsiegenden Beteiligten unterstützt hat (vgl. Stapperfend in Gräber, FGO, 7. Aufl., § 139 Rz 136, m. w. N.).

48
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Beigeladene hat auch auf ausdrückliche Nachfrage durch das Gericht (Schreiben vom 16. April 2013) davon abgesehen, Sachanträge zu stellen.

49
c) Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 FGO zuzulassen. Durch die Rechtsprechung des BFH ist bislang nicht geklärt, ob ein Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung nach §§ 268 f.  AO vor Eintritt der Bestandskraft des erteilten Aufteilungsbescheides zurückgenommen werden kann.

Kosten für Erststudium sind keine Werbungskosten.

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Einkommensteuer 2010

Kosten für Erststudium sind keine Werbungskosten.

Revision eingelegt – BFH-Az.: VI R 48/13.

Niedersächsisches Finanzgericht 13. Senat, Urteil vom 14.05.2013, 13 K 89/12

§ 12 Nr 5 EStG

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Aufwendungen für ein Erststudium Werbungskosten sind.

2
Die Klägerin ist Studentin der Tiermedizin. Sie studiert in Hannover. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 2010 hat sie keine Einnahmen erklärt, aber die Aufwendungen für ihr Studium, ausbildungsbedingte Bahnfahrten, doppelte Haushaltsführung, Fachliteratur, Semesterbeiträge und Ähnliches als Werbungskosten angesetzt. Der Beklagte hat diese in der Höhe unstreitigen Aufwendungen als Sonderausgaben behandelt und die Einkommensteuer auf 0 EUR festgesetzt. Hierzu hat er sich auf den Wortlaut des § 12 Nr. 5 EStG. berufen.

3
Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Die Klägerin beruft sich auf die Rechtsprechung des 6. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH). Nach dieser Rechtsprechung können auch Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung trotz der Regelung in § 12 Nr. 5 Einkommensteuergesetz (EStG) Werbungskosten sein. Es bestehe eine enge Verknüpfung zwischen Ausbildung und späterem Beruf. Da Werbungskosten vorrangig vor Sonderausgaben steuerlich zu behandeln seien, rechtfertige dies die Annahme, die Ausbildungskosten für ein Erststudium als Werbungskosten anzusetzen. § 12 Nr. 5 EStG könne diesen Veranlassungszusammenhang nicht außer Kraft setzen.

4
Die Klägerin beantragt,

5
den angefochtenen Steuerbescheid vom 14. Juli 2011 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 2012 aufzuheben und der Klägerin die geltend gemachten Aufwendungen (4.629,48 EUR) als vorweggenommene Werbungskosten anzuerkennen.

6
Der Beklagte beantragt,

7
die Klage abzuweisen.

8
Der Beklagte weist auf den Wortlaut des § 12 Nr. 5 EStG und auf das Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetz vom Dezember 2011 hin. Dort sei in § 4 Abs. 9 EStG und § 9 Abs. 6 EStG klargestellt, dass Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium keine Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten seien. Diese Regelungen gelten für Veranlagungszeiträume ab 2004, also auch für das Streitjahr.

 

Entscheidungsgründe

9
Die Klage ist unbegründet.

10
Die Klägerin hat in den Streitjahren keine negativen Einkünfte erzielt. Die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für ihre erstmalige Ausbildung zur Tierärztin sind nicht als Werbungskosten i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei den Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit abzugsfähig, so dass keine Werbungskostenüberschüsse angefallen sind. Der Abzug der Aufwendungen der Klägerin für ihre erstmalige Berufsausbildung als Werbungskosten ist gem. § 9 Abs. 6, § 12 Nr. 5 EStG ausgeschlossen. Maßgeblich ist im Streitfall § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetzes. Die neue Regelung wurde im Bundesgesetzblatt vom 13. Dezember 2011 verkündet. Gemäß Art. 25 Abs. 4 des Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetzes trat sie am Tag nach ihrer Verkündung also 14. Dezember 2011 in Kraft. Sie sind daher im Streitfall anzuwenden, in dem am 15. März 2012 Klage erhoben wurde.

11
Nach § 9 Abs. 6 EStG sind Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Gemäß § 12 Nr. 5 EStG dürfen die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Dieses Abzugsverbot gilt ebenfalls nicht, wenn die Berufsausbildung oder das Erststudium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Die Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung sind nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG i.d.F. des Streitjahres bis zu einem Betrag in Höhe von 4.000 EUR als Sonderausgaben begrenzt abzugsfähig. Diese Regelungen sind gem. Art. 2 Nr. 34 lit.d) des Beitreibungsrichtlinien-Umsetzungsgesetzes für Veranlagungszeiträume ab 2004 anzuwenden.

12
Die Klägerin hat ihre Ausbildung zur Tierärztin außerhalb eines Dienstverhältnisses absolviert. Die dem Grunde und der Höhe nach unstreitig entstandenen Aufwendungen hierfür sind daher nach §§ 9 Abs. 6, 12 Nr. 5 EStG keine abziehbaren Werbungskosten.

13
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung bestehen nicht.

14
Dabei geht der Senat davon aus, dass trotz der Entscheidung des BFH vom 28.07.2011 (VI R 38/10, BStBl II 2012/561) bereits ab Geltung des § 12 Nr. 5 EStG der Werbungskostenabzug für Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für sein Erststudium ausgeschlossen ist. Der Wortlaut der Vorschrift des § 12 Nr. 5 EStG ist eindeutig. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, ebenfalls eindeutig, dass der Gesetzgeber mit der Regelung in § 12 Nr. 5 EStG den Werbungskostenabzug  für eine Erstausbildung ausschließen wollte.

15
In der Gesetzesbegründung wird dazu ausgeführt, dass jedes erstmalige Studium unabhängig von vorangegangenen Berufsausbildungen im Wege des Sonderausgabenabzugs bis zu einem Betrag von 4.000 EUR steuerlich wirksam werden soll. Begründet wird diese Einschränkung damit, dass ein Erststudium eine neue berufliche soziale und wirtschaftliche Stellung eröffne und dass die dafür getätigten Aufwendungen typisierend den Lebensführungskosten zugerechnet werden (BT-Drucks. 15/3339 S.10). Der streitentscheidende Senat hat in seinem Urteil vom 15.05.2007 (13 K 570/06, EFG 2007, 1431 – 1433) den durch Einführung des § 12 Nr. 5 EStG vom Gesetzgeber gewollten Ausschluss des Werbungskostenabzug für ein Erststudium dargestellt und befand sich mit dieser Rechtsauffassung in Übereinstimmung mit den anderen Finanzgerichten (Nachweise zur Finanzgerichtsrechtsprechung: Urteil des FG Düsseldorf vom 14.12.2011, 14 K 4407/10 F; EFG 2012, 686 Rdz. 30). Diese klare gesetzgeberische Entscheidung, die von den Instanzgerichten einhellig als eindeutig angesehen wurde, kann nicht aufgrund eines Urteils des Bundesfinanzhofes ins Gegenteil verkehrt werden. Nur das Bundesverfassungsgericht hat die Befugnis klare und eindeutige gesetzgeberische Regelungen zu verwerfen.

16
Aber auch wenn dieser Rechtsansicht nicht gefolgt wird, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rückwirkung. Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des Urteils des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 26.11.2012 (10 K 4245/11, EFG 2013, 433 – 435 Rz. 18 und 19) an. Dort hat das Finanzgericht Baden-Württemberg ausgeführt:

17
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) ist zwischen echter und unechter Rückwirkung zu unterscheiden. Eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung entfaltet eine Rechtsnorm, wenn sie Rechtsfolgen für Zeiträume anordnet, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegen und abgeschlossen sind, sogenannte Rückbewirkung von Rechtsfolgen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR- 2009, 187; vom 7. Juli 2010 2 BvL14/02 u.a., Entscheidungen des BVerfG –BVerfGE- 127, 1). Gesetze mit echter Rückwirkung, die die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändern, bedürfen mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (GG) einer besonderen Rechtfertigung. In der Rechtsprechung des BVerfG sind jedoch verschiedene Fallgruppen anerkannt, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen werden darf (BVerfG-Beschluss vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187). Insbesondere tritt das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, zurück, wenn ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts nicht oder nicht mehr bestehen konnte (vgl. BVerfG-Urteil vom 23. November 1999 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239). Eine Änderung mit Rückwirkung ist auch dann zulässig, wenn die geltende Rechtslage, die durch die rückwirkend geltende Vorschrift geändert wurde, unklar und verworren war (BVerfG-Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200; vom 17. Januar 1979 1 BvR 446/77, 1 BvR 1174/77, BVerfGE 50, 177). Dem Gesetzgeber ist es unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes daher erst recht nicht verwehrt, rückwirkend eine Rechtslage festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (BVerfG-Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187; vom 23. Januar 1990 1 BvL 4 bis 7/87, BVerfGE 81, 228). Es widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip noch dem Gewaltenteilungsgrundsatz, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der seinerzeit bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein mag, deren Ergebnis er aber für nicht sachgerecht hält (BVerfG-Beschluss vom 15. Oktober 2008 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187). Treten belastende Rechtsfolgen einer Vorschrift erst nach ihrer Verkündung ein, werden aber tatbestandlich von einem schon verwirklichten Sachverhalt ausgelöst (tatbestandliche Rückanknüpfung), spricht man von einer unechten Rückwirkung, die nicht grundsätzlich unzulässig ist (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 Bvl 14/02 u.a., BVerfGE 127, 1).

18
Im Streitfall handelt es sich – ausgehend von diesen Grundsätzen – um eine echte Rückwirkung, die aber ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig ist, denn die Klägerin konnte gerade im Hinblick auf den klaren Gesetzeswillen und die dem Gesetzeswillen folgenden Entscheidungen der Instanzgerichte kein schützenwertes Vertrauen dahingehend bilden, dass die von ihr getätigten Aufwendungen für ihre Ausbildung als Werbungskosten abzugsfähig sind.

19
Die Klage ist folglich unbegründet und war mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.

20
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Die Beteiligung einer gemeinnützigen Stiftung an einer gewerblich geprägten GmbH & Co KG begründet keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Körperschaftsteuer 2011

Die Beteiligung einer gemeinnützigen Stiftung an einer gewerblich geprägten GmbH & Co KG begründet keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.

Niedersächsisches Finanzgericht 10. Senat, Urteil vom 10.10.2013, 10 K 158/13

§ 14 AO, § 15 Abs 3 EStG

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob eine Beteiligung der Klägerin an einer GmbH & Co. KG zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb führt.

2
Die Klägerin wurde 1990 von den Eheleuten X als rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts mit einem Grundstockvermögen vom 100.000 DM gegründet. Stiftungszweck ist die Förderung des Tierschutzes, des Sportes und des Umweltschutzes. Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) hat die Klägerin als gemeinnützig i.S.d. §§ 51 ff. Abgabenordnung (AO) anerkannt.

3
Nach dem Tod von Frau X am 3. Juli 2006 erbte die Klägerin deren 100-prozentigen Kommanditanteil an der Y GmbH & Co. KG (im folgenden KG) sowie 100 % der Anteile an der dazugehörenden Verwaltungs–GmbH.

4
Die KG betrieb ursprünglich einen Schuhwareneinzelhandel mit Schuhgeschäften in A, B und C. Seit 1986 nutzte die KG ihr Betriebsgrundstück in A, S-Str. 8, nicht mehr für Schuhwareneinzelhandel, sondern vermietete dieses Wohn- und Geschäftshaus an einen Dritten. Zum 30. Juni 2006 beendete die KG ihre Tätigkeit als Schuhwareneinzelhändler und veräußerte ihre Filialen in A, B und C. Im Betriebsvermögen verblieb lediglich das Objekt in A, S-Str.. 8. Dieses Gebäude wurde umgebaut und danach eine (ehemalige) Wohnung als Büroraum für die KG und die Klägerin genutzt. Die übrigen Räumlichkeiten vermietet die KG an gewerbliche Mieter bzw. Wohnungsmieter. Weitere wirtschaftliche Betätigungen übt die KG seitdem nicht aus.

5
Gegenüber dem FA deklarierte die KG die Veräußerung der Schuhgeschäfte in 2006 als Teilbetriebsveräußerung i.S.d. §§ 16, 34 Einkommensteuergesetz (EStG). Dieser
Betrachtung folgte das FA, da es sich nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten bei dem Grundstück in der S-Str. in A im Jahr 2006 nicht (mehr) um eine wesentliche Betriebsgrundlage des Schuhwareneinzelhandels gehandelt habe. Ebenso gewährte das FA der KG für die Folgejahre die erweiterte Kürzung für Grundstücksunternehmen nach § 9 Nr. 1 Sätze 2 und 3 Gewerbesteuergesetz (GewStG).

6
Die Klägerin behandelte ihre Beteiligung an der KG seit 2006 als steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Dieser Betrachtung schloss sich das FA an und erfasste folgende Beteiligungsergebnisse:

7
 2006: -8.116 €
2007: -63.673 €
2008: 6.682 €
2009: 84.594 €
2010: 52.502 €
2011: 101.082 €
8
Dies führte bei der Klägerin im Streitjahr 2011 zu einer Körperschaftssteuer in Höhe von 14.412 €.

9
Gegen den Körperschaftssteuerbescheid für 2011 wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der vorliegenden Klage. Sie ist der Ansicht, dass nach dem BFH-Urteil vom 25. Mai 2011 (I R 60/10, BStBl. II 2011, 858) die Einkünfte aus der Beteiligung an einer gewerblich geprägten KG bei der Klägerin als gemeinnütziger Stiftung nicht steuerpflichtig seien, da diese Einkünfte nicht im Rahmen eines wirtschaftlichen
Geschäftsbetriebs erzielt würden, sondern ausschließlich aus einer vermögensverwaltenden Tätigkeit stammten. Dabei sei es unerheblich, ob die KG von Anfang an nur eine Vermietungstätigkeit ausgeübt habe oder ob sie diese erst nach einer originär gewerblichen Tätigkeit ausübe, da die KG selbst aufgrund ihrer Rechtsform nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG immer gewerbliche Einkünfte generiere. Für die Qualifizierung dieser Einkünfte beim Anteileigner komme es jedoch nur auf den Status des Beteiligten sowie auf die
tatsächliche Tätigkeit der KG an.

10
Die Klägerin beantragt,

11
den Bescheid über Körperschaftssteuer und Solidaritätszuschlag für 2011 vom 10. Oktober 2012 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 29. Mai 2013 aufzuheben.

12
Der Beklagte beantragt,

13
die Klage abzuweisen.

14
Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung geäußerten Rechtsauffassung fest.
Danach könne die Klägerin nicht von der neueren Rechtsprechung des BFH profitieren. Denn vorliegend seien die Einkünfte der KG nicht nur aufgrund der Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als gewerblich einzustufen; vielmehr handele es sich bei der Tätigkeit der KG um einen ruhenden Gewerbebetrieb, da die KG vor 1986 auch das nunmehr
vermietete Grundstück in A S-Str. für ihren Schuhwareneinzelhandel genutzt habe. Damit stelle sich die Vermietung dieses Objekts nach wie vor als genuin gewerbliche Tätigkeit da. Dies führe bei der Klägerin als Gesellschafterin zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb i.S.d. § 14 AO.

15
Der Senat hat die Steuerakten der KG zum Verfahren beigezogen.

 

Entscheidungsgründe

16
I. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das FA hat zu Unrecht angenommen, die Klägerin unterhalte mit ihrer streitgegenständlichen
Beteiligung an der gewerblich geprägten Personengesellschaft einen wirtschaftlichen
Geschäftsbetrieb i.S.d. § 14 AO.

17
1. Die Klägerin ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Körperschaftssteuergesetz (KStG) von der Körperschaftssteuer befreit. Soweit sie einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält, ist die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG ausgeschlossen. Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist nach der Legaldefinition in § 14 AO eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen und andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgeht. Die Absicht, Gewinn zu erzielen ist nicht erforderlich (§ 14 Satz 2 AO). Ebenso wenig muss eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr vorliegen. Aus der gesetzlichen Definition ergibt sich, dass ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb in der Regel durch Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 EStG begründet wird. Denn dabei ist begrifflich auch der Rahmen einer Vermögensverwaltung i.S.d. § 14 Satz 3 AO überschritten (vgl. BFH-Urteil vom 27. März 2001 I R 78/99, BStBl II 2001, 449).

18
Für die Beteiligung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft, bei der der Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen ist, gilt nichts anderes (vgl. BFH-Urteil vom
9. Mai 1984 I R 25/81, BStBl II 1984, 726; BFH-Urteil vom 27. März 2001 I R 78/79, BStBl II 2001, 449 m.w.N.). Denn auch die daraus bezogenen Gewinnanteile stellen Einkünfte des Gesellschafters aus Gewerbebetrieb da (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

19
Diese Betrachtung greift jedoch nach der Entscheidung des BFH vom 25. Mai 2011
(I R 60/10, BStBl II 2011, 858) dann nicht, wenn es sich – wie im Streitfall – um eine Kommanditbeteiligung an einer vermögensverwaltenden, aber gewerblich geprägten
Personengesellschaft handelt. Denn in diesem Fall gehen die Gesellschafter nur einer vermögensverwaltenden und nicht einer gewerblichen Tätigkeit nach. Insoweit ist es
gerade Tatbestandsmerkmal des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG das keine Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausgeübt wird. Demgegenüber wird die Fiktion gewerblicher Einkünfte des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG in § 14 AO für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb nicht aufgegriffen. § 14 AO verknüpft das Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs auch nicht mit der Erzielung gewerblicher Einkünfte. Da es sich bei dem Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nicht um einen ertragsteuerlichen, sondern um einen eigenständigen abgabenrechtlichen Begriff handelt, wäre für einen Gleichlauf mit § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG eine eigene entsprechende Fiktion oder ein Verweis auf die Einkünfte i.S.d. § 15 EStG erforderlich (vgl. BFH-Urteil vom 25. Mai 2011 I R 60/10, BStBl II 2011, 858).

20
2. Nach diesen Grundsätzen, denen sich der erkennende Senat anschließt, führt die
Beteiligung der Klägerin an der KG vorliegend bei ihr nicht zu einem wirtschaftlichen
Geschäftsbetrieb, da die KG mit der Vermietung des Grundstück in A, S-Str. als einziger unternehmerischer Tätigkeit im Streitjahr ausschließlich vermögensverwaltend tätig geworden ist.

21
a) Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass in den Bescheiden zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der KG die Beteiligungserträge der Klägerin als gewerbliche Einkünfte festgestellt worden sind. Denn mit dieser Feststellung ist nicht
zugleich entschieden, ob diese gewerblichen Einkünfte bei der Klägerin einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründen, weil gewerbliche Einkünfte zwar in der Regel, aber nicht notwendiger Weise mit Einkünften aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben i.S.d. § 14 AO deckungsgleich sind. Insoweit werden nach dem BFH-Beschluss vom 11. April 2005 (GrS 2/02, BStBl II 2005, 679) nur solche Merkmale in die Gewinnfest-stellung einbezogen, die von den Gesellschaftern in ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit gemeinschaftlich verwirklicht werden. Darüber, ob die gewerblichen Einkünfte bei der Klägerin steuerfrei oder als (steuerpflichtiger) wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zu beurteilen sind, ist außerhalb des Feststellungsverfahrens allein bei der Klägerin zu entscheiden.

22
b) Entgegen der Ansicht des FA führt auch der Umstand, dass die KG vorliegend das nunmehr vermietete Grundstück vormals im Rahmen des Schuhwareneinzelhandels zur Erzielung gewerblicher Einkünfte genutzt hat, zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit geht das FA davon aus, dass es sich bei dem Grundstück in der S-Str. in A um einen ruhenden Gewerbebetrieb handelt, so dass die durch die Vermietung dieses Grundstücks erzielten Einkünfte genuin gewerblich seien. Diese Annahme steht jedoch entgegen, dass die KG als gewerblich geprägte Personengesellschaft gar keinen ruhenden Gewerbebetrieb unterhalten kann (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1977 IV R 174/74, BStBl II 1978, 73). Insoweit fehlt es gerade für die Ausübung des Verpächterwahlrechts und der sich daran anschließenden Rechtsfigur des ruhenden Gewerbebetriebes an der Möglichkeit der Klägerin, bestimmte Gegenstände des Betriebsvermögens in eine Privatsphäre zu überführen und damit im steuerlichen Sinne zu enthaften. Vielmehr geht der BFH zutreffend davon aus, dass eine gewerbliche geprägte Personengesellschaft immer einen Gewerbebetrieb ausübe. Eine weitere Qualifizierung nach gewerblich geprägtem Gewerbebetrieb und genuin gewerblichen Gewerbebetrieb ist nicht vorzunehmen.

23
c) Auch soweit sich das FA auf die BFH-Entscheidung vom 17. März 2010 (IV R 41/07, BStBl II 2010, 977) beruft, führt dies nicht zu einer Abweisung der Klage. In dieser
Entscheidung führt der BFH aus, dass eine Betriebsaufgabe für Zwecke der Gewerbesteuer dann zu verneinen sei, wenn zwar die bisherige originär gewerbliche Tätigkeit aufgegeben werde, eine wesentliche Betriebsgrundlage aber als Vermietungsobjekt weiterhin in einem fiktiven Gewerbebetrieb einer gewerblich geprägten Personengesellschaft eingesetzt werde.

24
Diese Konstellation liegt möglicherweise auch hier vor. Zweifelhaft ist allerdings, ob das Grundstück in A, S-Str. im Jahr 2006 tatsächlich noch wesentliche Betriebsgrundlage war. Dagegen könnte sprechen, dass das Grundstück zu diesem Zeitpunkt bereits seit 20 Jahren nur noch vermietet worden war (so auch die Betriebsprüfung in ihrem Bp-Bericht). Letztlich kann diese Frage jedoch dahin stehen, da sich das vom FA genannte Urteil vorliegend als nicht einschlägig erweist. Denn dort nimmt der BFH eine gewerbesteuerliche Betrachtung vor und unterscheidet demzufolge zwischen den laufenden Einkünften und Veräußerungseinkünften. Vorliegend ist jedoch eine Betrachtung aus Sicht der Abgabenordnung anzustellen. Danach ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb einer befreiten Körperschaft nur dann gegeben und eine Besteuerung dieser Einkünfte dementsprechend nur dann gerechtfertigt, wenn die Körperschaft selbst als Mitunternehmer eine gewerbliche Tätigkeit ausführt. Es kommt damit auf den Charakter der Tätigkeit und nicht auf dessen einkommensteuerrechtliche oder gewerbesteuerrechtliche Qualifizierung an. Dies folgt aus dem Zweck der Besteuerung wirtschaftlicher Geschäftsbetriebe. Dieser Zweck besteht vor allem darin, die Gewinne aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben aus Gründen der Wettbewerbsneutralität von der Steuerbefreiung auszunehmen. Den vermögensverwaltenden Tätigkeiten misst der Gesetzgeber demgegenüber keine erhebliche Wettbewerbsrelevanz zu (vgl. BFH-Urteil vom 25. August 2010 I R 97/09, BFH/NV 2011, 312). Da die KG vorliegend tatsächlich nur vermögensverwaltend tätig war, führt die Beteiligung der Klägerin insoweit nicht zu einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.

25
II.   Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung in entsprechender Anwendung. Die Zulassung der Revision
erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO; die Frage, ob die Beteiligung einer gemeinnützigen Stiftung an einer vermögensverwaltenden GmbH & Co KG einen wirtschaftlichen
Geschäftsbetrieb darstellt, wenn die KG zuvor gewerblich tätig war, hat grundsätzliche Bedeutung. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO auszusprechen.

Es besteht keine Verpflichtung des Finanzamts, Einsprüche bis zur Entscheidung des EGMR in den Verfahren 7227/11 und 7258/11 ruhen zu lassen.

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Einkommensteuer 2010

Es besteht keine Verpflichtung des Finanzamts, Einsprüche bis zur Entscheidung des EGMR in den Verfahren 7227/11 und 7258/11 ruhen zu lassen.

Niedersächsisches Finanzgericht 10. Senat, Urteil vom 31.01.2013, 10 K 233/12

§ 363 AO

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte (das Finanzamt -FA-) berechtigt war, über einen Einspruch des Klägers zu entscheiden oder ob das Einspruchsverfahren nach § 363 der Abgabenordnung (AO) hätten ruhen müssen.

2
Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt unter anderem als Arzt Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Mit Bescheid vom 12. Dezember 2011 veranlagte das Finanzamt die Kläger erklärungsgemäß zur Einkommensteuer 2010.

3
Mit Einspruch vom 3. Januar 2012 macht der Kläger Rechtsbedenken dagegen geltend, dass „normale“ Steuerpflichtige für eine Freistellung ihrer Einkünfte den Nachweis sämtlicher beruflicher oder betrieblicher Aufwendungen erbringen müssten, während Bundestagsabgeordnete ohne Nachweis eine steuerfreie Aufwands-/Kostenpauschale in Höhe von ca. 30 % ihrer Gesamtbezüge erhielten. Dies stelle Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 der europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) sowie das Recht auf Schutz des Eigentums gem. Artikel 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot aus Artikel 14 EMRK dar. Diesbezüglich seien zwei entsprechende Beschwerden beim europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) unter den Aktenzeichen 7258/11 und 7227/11 anhängig. Diese Verfahren seien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und nach Artikel 46 EMRK für alle gleichgelagerten Fälle in Deutschland von Bedeutung. Weiterhin erklärten sich die Kläger mit einem Ruhen des Einspruchsverfahrens gem. § 363 Abs. 2 Satz 1 AO aus Zweckmäßigkeitsgründen einverstanden.

4
Das FA stellte die Erledigung der Einsprüche unter Hinweis auf gleichgelagerte Verfahren beim Bundesfinanzhof (BFH) unter den Aktenzeichen X B 182 – 184/11 zurück. Nachdem diese Nichtzulassungsbeschwerden durch Beschlüsse vom 10. Mai 2012 als unbegründet zurückgewiesen worden waren, teilte das FA den Klägern mit, dass das Einspruchsverfahren nunmehr fortgeführt werde, da ein weiteres Ruhen des Verfahrens weder nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO noch nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO gerechtfertigt sei. Auch sei die Rechtsfrage, ob die Abgeordnetenpauschale auf alle Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit anzuwenden sei, bereits abschlägig entscheiden; dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerden seien vom BVerfG als unbegründet zurückgewiesen worden.

5
In ihrem Antwortschreiben vom 28. August 2012 äußerten die Kläger ihr Unverständnis, warum die Finanzverwaltung die Urteile des EGMR in dieser Angelegenheit nicht abwarten könne. Weitere Anträge stellten die Kläger im Einspruchsverfahren nicht. Daraufhin wies das FA den Einspruch am 18. September 2012 als unbegründet zurück. In der Einspruchsentscheidung führt das Finanzamt aus, dass die beantragte steuerfreie Kostenpauschale nicht gewährt werden könne und ein weiteres Ruhen des Verfahrens wegen der beim EGMR anhängigen Verfahren weder nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO noch nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO in Betracht komme.

6
Mit der hiergegen erhobenen Klage begehren die Kläger die Aufhebung der Einspruchsentscheidung und eine Verpflichtung des FA, dass Einspruchsverfahren ruhen zu lassen. Zur Begründung berufen sich die Kläger im Klageverfahren erstmals auf die beim BFH anhängigen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren mit den Aktenzeichen VI B 99/12 und VI B 101/12. Gegenstand dieser Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren sei die Frage, ob das Ruhen von Einspruchsverfahren anzuordnen sei, wenn die streitige Rechtsfrage im Rahmen eines Musterbeschwerdeverfahrens beim EGMR anhängig sei. Die Kläger sind der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Zwangsruhe und eine Zweckmäßigkeitsruhe von entsprechenden Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO nunmehr im Hinblick auf die Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim BFH erfüllt seien.

7
Die Kläger beantragen sinngemäß,

8
die Einspruchsentscheidung zur Einkommensteuer 2010 vom 18. September 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dass Einspruchsverfahren bis zur Entscheidung des EGMR in den Verfahren 7227/11 und 7258/11 ruhen zu lassen.

9
Der Beklagte beantragt,

10
die Klage abzuweisen.

11
Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest.

 

Entscheidungsgründe

12
I. Die Klage ist unbegründet. Die angefochtene Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das FA war nicht verpflichtet, den Einspruch bis zur Entscheidung des EGMR in den Verfahren 7227/11 und 7258/11 ruhen zu lassen.

13
1. Das FA durfte die angefochtene Einspruchsentscheidung erlassen. Das Einspruchsverfahren ruhte nicht zwangsweise nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.

14
Nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruht das Einspruchsverfahren, wenn wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren bei dem europäischen Gerichtshof, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird.

15
a) Soweit die Kläger die Ansicht vertreten, dass die von ihnen im Einspruchsverfahren genannten Verfahren vor dem EGMR zur Zwangsruhe des Einspruchsverfahrens hätten führen müssen, da es sich bei dem EGMR um einen europäischen Gerichtshof im Sinne des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO handele, folgt das Gericht dem nicht. Denn mit dem in § 363 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 AO genannten „Europäischen Gerichtshof“ ist der EuGH in Luxemburg, nicht aber der EGMR gemeint (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Mai 2012 X B 183/11, BFH/NV 2012, 1570). Daher begründeten die von den Klägern im Einspruchsverfahren genannten Bezugsverfahren vor dem EGMR keine Zwangsruhe im Sinne des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.

16
b) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass sich die Kläger im Klageverfahren zur Erreichung der Zwangsruhe nunmehr auch auf die beim BFH anhängigen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren (VI B 99/12 und VI B 101/12) berufen. Insoweit kann dahinstehen, ob Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren überhaupt geeignet sind, als sogenanntes Musterverfahren eine Zwangsruhe im Sinne des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zu bewirken.

17
Tatbestandliche Voraussetzung der Zwangsruhe ist in jedem Fall, dass die Einspruchsführer ihren Einspruch auf die von ihnen genannten Verfahren stützen. Dabei muss sich der Einspruchsführer in der Einspruchsbegründung auf das von ihm zu bezeichnende konkrete Musterverfahren berufen (Pahlke in Pahlke/Koenig, Kommentar zur Abgabenordnung, § 363, Rd.-Nr. 48 m.w.N.). Es genügt nicht, dass das Musterverfahren lediglich bereits anhängig ist (BFH-Urteil vom 27. April 2006 IV R 18/04, BFH/NV 2006, 2017). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn unabhängig von der Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren bereits während des Einspruchsverfahrens anhängig waren, haben sich die Kläger auf diese im Einspruchsverfahren jedenfalls nicht berufen. Daher kommt eine Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO im Hinblick auf die Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht in Betracht.

18
2. Das Finanzamt war auch nicht verpflichtet, das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ruhen zu lassen.

19
Nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde das Verfahren mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn das aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Da es sich bei § 363 Abs. 2 Satz 1 AO um eine Ermessensvorschrift handelt, ist deren Anwendung durch die Finanzverwaltung vom Gericht nur in dem durch § 102 FGO genannten eingeschränkten Umfang zu überprüfen. Konkrete Ermessensfehler sind aber weder von den Klägern vorgetragen worden, noch sind solche aus den Akten ersichtlich. Insbesondere führen die von den Klägern im Einspruchsverfahren genannten Verfahren vor dem EGMR nicht zu einer Ermessungsreduzierung des Finanzamts. Denn da der EGMR von der Zwangsruhe des § 363 Abs. 2 Satz 2 nicht erfasst ist, kann im Umkehrschluss eine Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 1 nicht mit Rücksicht auf ein vor dem EGMR betriebenes Verfahren zwingend sein (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Mai 2012 X B 183/11, BFH/NV 1570).

20
3. Die angefochtene Einspruchsentscheidung erweist sich auch in materieller Hinsicht als rechtmäßig. Das Finanzamt hatte die von den Klägern im Einspruchsverfahren begehrte Übertragung der Grundsätze der teilweisen Steuerfreiheit für Abgeordnetenpauschalen auf die Einkünfte des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit zu Recht abgelehnt. Wegen der Begründung wird auf das BFH-Urteil vom 11. September 2008 (VI R 13/06, BStBl. II 2008, 928) Bezug genommen. Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2010 (2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08) nicht zur Entscheidung angenommen.

21
II. Das Gericht durfte in der Sache entscheiden. Das Verfahren war nicht entsprechend § 74 FGO auszusetzen. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreit ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei.

22
Der erkennende Senat hält eine Aussetzung des Klageverfahrens im Hinblick auf die beim BFH unter den Aktenzeichen VI B 99/12 und VI B 101/12 anhängigen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht für geboten. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, darf ein Rechtsstreit nicht allein deshalb nach § 74 FGO ausgesetzt werden, weil beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig ist, dass eine vergleichbare Rechtsfrage betrifft oder als Musterverfahren geführt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 24. September 2012 VI B 79/12, juris, m.w.N.). Diese gilt erst recht, wenn beim BFH lediglich Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren anhängig sind.

23
In solchen Fällen können beim FG anhängige Verfahren nur gem. § 251 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO zum Ruhen gebracht werden. Hierzu bedarf es der Zustimmung beider Beteiligten. Diese liegt hier nicht vor.

24
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Wohnsitz bei mehrjährigem Aufenthalt und Schulbesuch der Kinder im außereuropäischen Ausland.

Rechtsprechung der niedersächsischen Justiz

Dokumentansicht

Kindergeld

Wohnsitz bei mehrjährigem Aufenthalt und Schulbesuch der Kinder im außereuropäischen Ausland.

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 25.07.2012, 9 K 325/11

 

Tatbestand

1
Streitig ist, ob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Kinder des Klägers A (geboren 1997) und B (geboren 1994) ab Januar 2011 zu Recht aufgehoben hat.

2
Der Kläger war seit 1992 für die Firma X nichtselbstständig tätig. Im Rahmen seiner Tätigkeit fanden diverse Auslandseinsätze statt, die meist auf mehrere Jahre begrenzt waren. Mit Schreiben vom ….2007 hat der Kläger der Beklagten mitgeteilt, dass er seit dem 1. Juni 2005 nach S (außereuropäisches Ausland) entsandt worden ist. Der derzeitige Vertrag ende am 31. Mai 2008, seine Ehefrau und seine beiden Söhne lebten mit ihm seit August 2006  in S.

3
Seit dem …. 2010 ruht das Arbeitsverhältnis mit der Firma X. Ab ….. 2010 ist der Kläger aufgrund eines gesondert geschlossenen Anstellungsvertrages bei der Firma XS in S tätig. Dieser  Vertrag ist auf fünf Jahre, für die Zeit vom …..2010 bis ….. 2015, befristet.

4
Seit August 2006  gehen die beiden Kinder A und B in S  zur Schule.

5
Im Jahr 2011 hielt sich der Kläger  nach seinen Angaben  fünf Mal für ein bis zwei Tage in Deutschland auf, die beiden Kinder sind in 2011 nicht in Deutschland gewesen. In der Zeit vom … Dezember 2009 bis …Januar 2010 hat sich die gesamte Familie im Inland aufgehalten. In 2010 ist der Kläger  insgesamt fünf Mal in Deutschland gewesen, der Sohn A war nach Angaben des Klägers in den letzten 1 ½ Jahren zwei Mal in Deutschland. Ein Aufenthalt dauerte vom  …. August 2010 bis zum ….. September 2010, die Dauer und der Zeitpunkt des zweiten Aufenthaltes sind vom Kläger nicht mitgeteilt worden.

6
Mit Bescheid vom 15. September 2011 hat die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung ab Januar 2011 für die beiden Kinder A und B aufgehoben. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Kinder könnten nicht bzw. nicht mehr berücksichtigt werden, weil sie weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hätten noch in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung finde (§ 63 Abs. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz – EStG -).

7
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trug der Kläger vor, er unterhalte sehr wohl einen Wohnsitz in Deutschland. Dieser befände sich im Haus Straße Y in H. Er, seine Ehefrau und seine Kinder seien unter dieser Anschrift mit alleiniger Wohnung gemeldet. Der Kläger legte entsprechende Meldebescheinigungen der Stadt H vor.

8
Der Einspruch blieb erfolglos. Da die Kinder im Haushalt des Kindergeldberechtigten im Ausland lebten und dort zur Schule gingen, könne ein Wohnsitz der Kinder im Inland nicht festgestellt werden. Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland, der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum sei nicht feststellbar. Da die Kindergeldberechtigung in den Fällen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG u. a. vom Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes im Inland abhänge, sei der Einspruch zurückzuweisen.

9
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung verweist der Kläger erneut auf seinen durchgängigen Wohnsitz im Inland. Dort sei er mit seiner Familie gemeldet. Er habe für seine Kinder über Jahre hinweg während aller Auslandsaufenthalte das gesetzlich vorgesehene Kindergeld erhalten. Bei der jetzigen Wohnung der Familie in H handele es sich um eine Eigentumswohnung. Natürlich müsse er auch im Ausland einen Wohnsitz nehmen. Da die Kinder minderjährig seien, sei es nachvollziehbar, dass er die Kinder mit sich nehme. Tatsache sei jedoch, dass die Familie ihren Lebensmittelpunkt ganz eindeutig in Deutschland habe. Regelmäßig kehrten der Kläger, seine Ehefrau oder die Kinder nach H zurück und bewohnten die dort unterhaltene Wohnung. Andernfalls wäre es völlig widersinnig, diesen Wohnsitz überhaupt noch in Deutschland zu unterhalten. Stattdessen könnte die jetzige Wohnung verkauft oder vermietet werden. Seit Mitte 2010 sei der Arbeitgeber des Klägers nicht mehr bereit, Heimreisen des Klägers zu bezahlen. Die bis dahin regelmäßigen Familienheimfahrten seien daher entfallen.

10
Der Kläger sei in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

 

11
Der Kläger beantragt,

12
den Bescheid der Beklagten vom …..2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom …..2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, rückwirkend mit Wirkung ab Januar 2011 für die Kinder A und B mit Wirkung ab Januar 2011 das gesetzlich vorgesehene Kindergeld an den Kläger zu zahlen.

13
Die Beklagte beantragt,

14
die Klage abzuweisen.

15
Sie verweist auf ihre Ausführungen im Einspruchsbescheid vom …. 2011 und trägt ergänzend vor:

16
Auch in seiner Klagebegründung habe der Kläger nicht nachgewiesen, dass die beiden Kinder und er selber im streitigen Zeitraum ab Januar 2011 ihren Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten.

17
Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG und die Kinder die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht. Hiernach habe nur derjenige, der im Inland über einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt verfüge, einen Kindergeldanspruch für diejenigen Kinder, die ebenfalls im Inland in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Der Staat …. zähle nicht zu den in § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Staaten. Deshalb komme es darauf an, ob die Kinder des Klägers in Deutschland ihren Wohnsitz behalten hätten.

18
Im Streitfall liege der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der beiden Kinder des Klägers, des Klägers selber und seiner Ehefrau eindeutig inS. Die gesamte Familie lebe bereits seit August 2006 in S. Aufenthalte in Deutschland seien nicht belegt und nicht nachgewiesen. Da die beiden Kinder auch die Schule in S besuchen, könnten sie sich auch nur besuchsweise – in den Ferien – in Deutschland aufhalten.

19
Auch den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 9 Abgabenordnung (AO) hätten die Kinder im streitigen Zeitraum in S.

 

Entscheidungsgründe

20
Die Klage ist unbegründet.

21
Zu Recht hat die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Kinder A und B ab Januar 2011 aufgehoben. Die beiden Söhne des Klägers verfügten nach Überzeugung des Gerichts im Jahr 2011 weder über einen Wohnsitz im Inland noch hatten sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

22
1.Für Kinder im Sinne des § 63 EStG hat gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG derjenige  Anspruch auf Kindergeld, der im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland   nach § 1 Abs. 2 EStG  unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 62 Abs. 1 Nr.2 Buchstabe a EStG) ist oder nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG). Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG werden Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, nicht berücksichtigt, es sei denn sie leben im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG.

23
a) Der Begriff des Wohnsitzes i.S.d. § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass jemand tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit –wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist nach den objektiven Umständen zu beurteilen. Melderechtliche Angaben sind unmaßgeblich (BFH Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009,564).  Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 21. November 2000 VI R 165/99, BStBl II 2001,279 mit weiteren Nachweisen). Bei einem ins Ausland entsandten Arbeitnehmer gelten insoweit keine anderen Maßstäbe (BFH-Beschluss vom 5.Januar 2012 III B 42/11, BFH/NV 2012,978).

24
Ein solcher Umstand, der auf die Beibehaltung und Benutzung einer Wohnung schließen lässt, ist die voraussichtliche Nutzungsdauer. Als Anhaltspunkt für die Beibehaltung und Nutzung ist regelmäßig auf die Sechs-Monats-Frist des § 9 Satz 2 AO zurückzugreifen, da in dieser Frist zum Ausdruck kommt, ab welcher Zeitdauer ein Aufenthalt nicht mehr nur vorübergehend ist. Dies ist auch für § 8 AO maßgebend, weil eine nur vorübergehende Nutzung einer Wohnung keinen Wohnsitz begründet (BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564; BFH-Urteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351).

25
b) Bei von vornherein auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalten reichen kurzzeitige Besuche und sonstige kurzfristige Aufenthalte zu Urlaubs-, Berufs- oder familiären Zwecken, die nicht einem Aufenthalt mit Wohncharakter gleichkommen, und daher nicht „zwischenzeitliches Wohnen“ in der bisherigen Wohnung bedeuten, nicht für die Annahme aus, der Inlandswohnsitz werde aufrechterhalten. Denn nicht nur die objektiven Wohnverhältnisse müssen die Möglichkeit eines längeren Wohnens bieten. Insbesondere darf, wie der Bundesfinanzhof für den langjährigen Auslandsaufenthalt eines Kindes entschieden hat, die Anwesenheit in der Wohnung der Eltern im Inland nicht nur Besuchscharakter haben (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294; BFH-Urteil vom 20.November 2008 III R 53/05 a.a.O.,BFH-Beschluss vom 27. Dezember 2011 III B 24/10, BFH/NV 2012,917).

26
2. Nach diesen Grundsätzen, denen sich der erkennende Senat anschließt, vermag der Senat einen Wohnsitz der Kinder im Inland im streitigen Zeitraum ab Januar 2011 nicht festzustellen.

27
a) Die Meldung bei der Stadt H reicht für die Begründung oder Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht aus.

28
b)  Der Kläger, seine Ehefrau und die beiden Kinder leben seit August 2006 in S und haben dort ihren Familienwohnsitz. Die Kinder gehen seitdem dort zur Schule. Der im Jahr 2010 geschlossene Arbeitsvertrag mit der Firma XS war auf fünf Jahre, d. h. vom …. 2010 bis ….. 2015, befristet, somit war der Auslandsaufenthalt, zumindest ab ….. 2010, auf einen längeren Zeitraum ausgelegt.

29
Wie oft die Kinder bzw. deren Eltern ab 2006 tatsächlich in Deutschland waren und wie lange sie sich im Inland aufgehalten haben, hat der Kläger trotz Nachfrage seitens der Berichterstatterin (Verfügung vom 13.Juni 2012) zwar nicht vollständig angegeben. Aufgrund des Schulbesuches der Kinder in S ist aber davon auszugehen, dass Aufenthalte der Kinder in Deutschland  ab 2006 nur in den Schulferien stattgefunden haben können und damit nur Besuchscharakter haben. Lediglich für den Zeitraum ab 2010 sind die Inlandsaufenthalte des Klägers, der Ehefrau und der beiden Söhne bekannt. Nach den Angaben des Klägers waren beide Kinder im Jahr 2011 gar nicht in Deutschland und haben die Wohnung in H nicht genutzt. In 2010 war lediglich der Sohn A für 8 Tage zusammen mit dem Kläger im Inland. Die gesamte Familie war zuletzt in der Zeit vom … Dezember 2009 bis … Januar 2010 in Deutschland. Für den streitigen Zeitraum ab Januar 2011 kann aufgrund dieser Umstände von einem Wohnsitz der Kinder in Deutschland, der  als Bleibe ständig genutzt oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufgesucht wird, nicht mehr die Rede sein. Auch  die Aufenthalte des Sohnes A in Deutschland in 2009/2010 haben aufgrund ihrer kurzen Dauer nur Besuchscharakter und begründen keinen Wohnsitz oder halten einen früheren Wohnsitz aufrecht. Unter Würdigung der Gesamtumstände geht der Senat daher davon aus, dass die Kinder A und B ihren früheren Wohnsitz in Deutschland im streitigen Zeitraum aufgegeben hatten.

30
c) Aus den gleichen Gründen kann auch nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO)  der Kinder im streitigen Zeitraum im Inland ausgegangen werden.

31
d) Ein inländischer Wohnsitz der Kinder wäre nur dann entbehrlich, wenn der Kläger  die Voraussetzungen des § 62 Abs.1 Nr.2 Buchstabe a i.V.m. § 1 Abs. 2 EStG erfüllt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG setzt u.a. voraus, dass ein Dienstverhältnis zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts besteht und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse bezogen wird. Dies ist im Streitfall nicht gegeben.

32
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen.