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Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge sind bei der Einkünfteberechnung für Unterhaltsaufwendungen nicht abziehbar

Im Urteil des 8. Senats vom 22. Januar 2013 (Az.: 8 K 1103/12) ging es um Beiträge, die ein vom Steuerpflichtigen unterhaltener Angehöriger für seine eigene Renten- und Arbeitslosenversicherung leisten muss. Der 8. Senat hat entschieden, dass diese Beiträge nicht bei der Berechnung der Einkünfte des Angehörigen abziehbar sind, wenn es darum geht, in welcher Höhe der Steuerpflichtige die Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend machen kann. Das gleiche gilt nach den Ausführungen des Senats auch für einen Anteil von 4% an den Krankenversicherungsbeiträgen, da sie in diesem Umfang dazu bestimmt sind, einen Anspruch auf das – nicht zur Basisversorgung gehörende – Krankengeld zu begründen.

Hintergrund der Entscheidung ist eine gesetzliche Regelung in § 33a Abs. 1 EStG, wonach sich der Höchstbetrag, bis zu dem der Unterhaltsaufwand an den Angehörigen als sog. Außergewöhnliche Belastung berücksichtigungsfähig ist, um die eigenen Einkünfte und Bezüge der unterhaltsberechtigten Person vermindert. Die Kläger des Verfahrens hatten geltend gemacht, dass bei diesen Einkünften und Bezügen die Pflichtversicherungsbeiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung in vollem Umfang in Abzug zu bringen seien, weil sie dem von ihnen unterstützten Angehörigen (nämlich ihrem Sohn) tatsächlich für den Lebensunterhalt nicht zur Verfügung stünden und deshalb gleichfalls durch ihre Unterhaltsaufwendungen abgedeckt werden müssten.

Dieser Sichtweise ist der 8. Senat nicht gefolgt. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut flössen in die Berechnung des zu berücksichtigenden Höchstbetrags zwar die Beiträge des unterhaltenen Angehörigen zur (Basisversorgungs-) Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung ein, nicht aber dessen übrige Sonderausgaben. Deren Berücksichtigung sei auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn insoweit wirkten zwei Umstände kompensatorisch – zum einen bleibe bei den Einkünften und Bezügen ohnehin ein Teilbetrag von 624 Euro anrechnungsfrei, und zum anderen liege der abziehbare Höchstbetrag an außergewöhnlichen Belastungen deutlich über dem Existenzminimum.

Gegen die Entscheidung ist beim Bundesfinanzhof ein Revisionsverfahren unter dem Az. VI R 45/13 anhängig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 21.10.2013 zum Urteil 8 K 1103/12 vom 22.01.2013 (nrkr – BFH-Az.: VI R 45/13)

Quelle: Newsletter 3/2013

 

FG Baden-Württemberg Urteil vom 22.1.2013, 8 K 1103/12

Unterhaltsleistungen § 33a Abs. 1 EStG n.F.: Berechnung der Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person ohne Abzug der Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers

Tenor

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob bei der Berechnung der nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung vom 16. Juli 2009 (BGBl I 2009, 1959) beim Steuerpflichtigen abzugsfähigen Unterhaltsaufwendungen die Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person um die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 % des Beitragssatzes für Leistungen, die über das sozialhilferechtliche Niveau der Krankenversorgung hinausgehen) zu mindern sind.
2
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger ist der Vater des am 28. Oktober 1983 geborenen Kindes X., das im Streitjahr im Haushalt der Kläger wohnte und vom Vater unterhalten wurde.
3
Das Kind befand sich im Streitjahr in Ausbildung und erhielt eine Ausbildungsvergütung von 7.944 EUR brutto. Sein Arbeitgeber zog hiervon die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Krankenversicherung (627,56 EUR), Pflegeversicherung (97,32 EUR), Rentenversicherung (790,48 EUR) und Arbeitslosenversicherung (111,24 EUR) ab.
4
Die Kläger machten in ihrer Einkommensteuererklärung 2010 vom 12. August 2011 Unterhaltsaufwendungen nach § 33a EStG für das Kind geltend. Ihre Gesamtaufwendungen für das Kind gaben sie mit 8.004 EUR an. Die Einkünfte und Bezüge des Kindes in Höhe von 5.397,40 EUR berechneten sie wie folgt:
5
Bruttoarbeitslohn laut Lohnsteuerbescheinigung
7.944,00 EUR
./. Krankenversicherung
./. 627,56 EUR
./. Pflegeversicherung
./. 97,32 EUR
./. Rentenversicherung
./. 790,48 EUR
./. Arbeitslosenversicherung
./. 111,24 EUR
./. Arbeitnehmerpauschbetrag
./. 920,00 EUR
= Einkünfte des Kindes
5.397,40 EUR
6
Der Beklagte gewährte im Einkommensteuerbescheid 2010 vom 7. Oktober 2011 Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 1.604 EUR gemäß folgender Berechnung:
7
Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG)
8.004,00 EUR
Einkünfte des Kindes:
Ausbildungsvergütung
7.944,00 EUR
./. Werbungskostenpauschbetrag
./. 920,00 EUR
./. Freibetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 5 EStG)
./. 624,00 EUR
= schädliche Einkünfte
6.400,00 EUR
./. 6.400,00 EUR
= abziehbare Unterhaltsaufwendungen
1.604,00 EUR
8
Mit dem dagegen am 11. Oktober 2011 erhobenen Einspruch machten die Kläger geltend, ihre Berechnungen hätten einen Abzugsbetrag von 3.231 EUR ergeben.
9
Im Teilabhilfebescheid vom 26. Oktober 2011 gewährte der Beklagte Unterhaltsaufwendungen von 2.329 EUR. Im Unterschied zum ersten Einkommensteuerbescheid berücksichtigte er nunmehr die Erhöhung des Höchstbetrags nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG:
10
Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG)
8.004,00 EUR
+ Krankenversicherung
+ 627,56 EUR
+ Pflegeversicherung
+ 97,32 EUR
= erhöhter Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG)
8.728,88 EUR
Einkünfte des Kindes:
Ausbildungsvergütung
7.944,00 EUR
./. Werbungskostenpauschbetrag
./. 920,00 EUR
./. Freibetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 5 EStG)
./. 624,00 EUR
= schädliche Einkünfte
6.400,00 EUR
./. 6.400,00 EUR
= abziehbare Unterhaltsaufwendungen
2.328,88 EUR
11
Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 als unbegründet zurück. Nach seiner Auffassung könnten die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) nicht von den Einkünften und Bezügen des Kindes abgezogen werden. Der Gesetzgeber lasse keinen Spielraum. Ab dem Veranlagungszeitraum 2010 sei der bislang in § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG (jetzt: Satz 5) enthaltene Verweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entfallen. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien künftig bereits bei der Bemessung des Höchstbetrags zu berücksichtigen und dürften zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung nicht zusätzlich die Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person mindern (Hinweis auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF-, BStBl I 2010, 582, Tz. 13). Die anderen unvermeidbaren Versicherungsbeiträge wie Renten- und Arbeitslosenversicherung könnten dagegen von den Einkünften und Bezügen des Unterhaltsempfängers nicht abgezogen werden. Die Norm dürfe nicht über ihren Wortlaut hinaus ausgedehnt werden.
12
Mit der dagegen am 27. März 2012 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Ziel weiter. Sie legen erstmals eine auf den Streitfall bezogene Berechnung der nach ihrer Meinung abzugsfähigen Unterhaltsaufwendungen vor:
13
Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG)
8.004,00 EUR
+ Krankenversicherung, 96 % von 627,56 EUR
+ 602,46 EUR
+ Pflegeversicherung
+ 97,32 EUR
= erhöhter Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG)
8.703,78 EUR
Einkünfte des Kindes:
Ausbildungsvergütung
7.944,00 EUR
./. Werbungskostenpauschbetrag
./. 920,00 EUR
./. Krankenversicherung, 4 % von 627,56 EUR
./. 25,10 EUR
./. Rentenversicherung
./. 790,48 EUR
./. Arbeitslosenversicherung
./. 111,24 EUR
./. Freibetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 5 EStG)
./. 624,00 EUR
= schädliche Einkünfte
5.473,18 EUR
./. 5.473,18 EUR
= abziehbare Unterhaltsaufwendungen
3.230,60 EUR
14
Sie meinen, der Gesetzgeber habe mit der Streichung des Verweises auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG lediglich verhindern wollen, dass die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung doppelt (Erhöhung des Höchstbetrags und Minderung der Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person) berücksichtigt werden. Dies gelte jedoch nicht für die Renten- und Arbeitslosenversicherung. Einkünfte und Bezüge könnten nur solche Beträge sein, die der unterstützten Person tatsächlich für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Das sei bei den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht der Fall. Die Leistungsfähigkeit einer unterstützten Person mindere sich um die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung. Daher müssten diese Beträge wie bis zum Jahr 2009 in voller Höhe bei der Berechnung der abzugsfähigen Unterhaltsaufwendungen berücksichtigt werden, wobei im Ergebnis nicht entscheidend sei, ob dies durch eine Erhöhung des Höchstbetrags oder durch eine Minderung der eigenen Einkünfte und Bezüge der unterstützten Person geschehe.
15
Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26. Oktober 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 dahingehend abzuändern, dass Unterhaltsaufwendungen für das Kind X. in Höhe von 3.231 EUR berücksichtigt werden.
16
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
17
Er verweist in seiner Klagebegründung auf die Einspruchsentscheidung.
18
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

19
Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26. Oktober 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) erhöhen weder den Höchstbetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG noch sind sie von den Einkünften und Bezügen der unterhaltenen Person abzuziehen.
20
1. Nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 8.004 EUR im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, wenn einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person erwachsen. Der Höchst-betrag erhöht sich gemäß § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG um den Betrag der im jeweiligen Veranlagungszeitraum nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG für die Absicherung der unterhaltsberechtigten Person aufgewandten Beiträge; dies gilt nicht für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die bereits (beim Unterhaltsverpflichteten) nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG anzusetzen sind. Nach § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG vermindert sich die Summe der nach Satz 1 und Satz 2 ermittelten Beträge um Einkünfte oder Bezüge der unterhaltenen Person, soweit diese den Betrag von 624 EUR im Kalenderjahr übersteigen.
21
2. Vorliegend ist der erhöhte Höchstbetrag von 8.728,88 EUR anzusetzen.
22
Nach R 33a Abs. 1 Satz 5 der Einkommensteuerrichtlinien 2008 (EStR) kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass dem Steuerpflichtigen Unterhaltsaufwendungen in Höhe des maßgeblichen Höchstbetrags erwachsen, wenn die unterhaltsberechtigte Person -wie im Streitfall- zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehört.
23
Der Höchstbetrag von 8.004 EUR ist um die Beiträge für die Krankenversicherung in Höhe von 627,56 EUR und die Pflegeversicherung in Höhe von 97,32 EUR auf 8.728,88 EUR zu erhöhen. Der Beklagte hat zwar übersehen, dass sich nach dem ebenfalls in Bezug genommenen § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a Satz 4 EStG der anzusetzende Krankenversicherungsbeitrag um 4 % auf 602,46 EUR zu mindern gewesen wäre, wenn -wovon im Streitfall auszugehen ist- sich aus den Krankenversicherungsbeiträgen ein Anspruch auf (nicht zur Basisversorgung gehörendes) Krankengeld oder eine entsprechende Leistung ergeben kann. Dieser Fehler wirkt sich jedoch zugunsten der Kläger aus.
24
Die Hinzurechnung ist nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Die Ausnahme gilt nur in dem -hier nicht gegebenen- Fall des Vertrags zugunsten Dritter, d.h. wenn der Unterhaltsverpflichtete selbst vertraglicher Beitragsschuldner ist, der Beiträge für den Versicherungsschutz des Unterhaltsberechtigten entrichtet (Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 69).
25
Die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung erhöhen dagegen den Höchstbetrag nicht, da sie in § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht genannt werden.
26
3. Von dem erhöhten Höchstbetrag hat der Beklagte zu Recht schädliche Einkünfte des Kindes in Höhe von 6.400 EUR abgezogen.
27
Anrechenbare „Einkünfte“ i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG sind die nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG; Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen sind nicht zu berücksichtigen (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 19. Juni 2002 III R 28/99, BFHE 199, 355, BStBl II 2002, 753).
28
a) Im Streitfall erzielte das Kind eine Ausbildungsvergütung von 7.944 EUR brutto. Hiervon ist nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG lediglich der Werbungskostenpauschbetrag von 920 EUR abzuziehen, da das Kind keine höheren Werbungskosten geltend gemacht hat. Außerdem ist nach § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG der Freibetrag von 624 EUR abzuziehen. Bezüge hat das Kind nicht erhalten. Die schädlichen Einkünfte und Bezüge des Kindes betragen daher 6.400 EUR.
29
b) Ein Abzug der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der nicht im erhöhten Höchstbetrag angesetzten 4 % des Krankenversicherungsbeitrags von den Einkünften und Bezügen der unterhaltenen Person kommt nicht in Betracht (ebenso:  Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 96; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33a Rz. 193; Myßen/Wolter, Neue Wirtschafts-Briefe -NWB- 2009, 3900, 3907; zweifelnd: Schmidt/Loschelder, EStG, 31. Aufl. 2012, § 33a Rz. 26: teleologische Reduktion).
30
Der Gesetzgeber hat mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung den in § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. (jetzt: Satz 5) enthaltenen Verweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gestrichen. Nach dieser Vorschrift wurde ein Kind nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 8.004 EUR im Kalenderjahr hatte. Der auch für Einkünfte geltende Relativsatz „die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind“ wurde im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164) verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung (einschließlich der Renten- und Arbeitslosenversicherung) bei der Ermittlung der anrechenbaren Einkünfte abzuziehen waren (BFH-Urteil vom 26. März 2009 VI R 60/08, BFH/NV 2009, 1418, unter II.2.a). Die Finanzverwaltung hatte sich dem angeschlossen (R 32.10 Abs. 1 Satz 2 EStR).
31
In der Gesetzesbegründung zum Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung wird zwar darauf verwiesen, dass der Verweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bei der Berechnung der eigenen Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsberechtigten künftig entfalle, weil die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bereits nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG den Höchstbetrag erhöhen und daher zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung nicht zusätzlich die Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsberechtigten mindern dürfen (BT-Drucks. 16/12254, S. 26; vgl. auch BMF-Schreiben vom 7. Juli 2010, BStBl I 2010, 582, Tz. 13). Diese Begründung trägt nicht die Nichtabziehbarkeit der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Nichtabziehbarkeit folgt gleichwohl aus dem Wegfall des Bezuges auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einschließlich des einschränkenden Relativsatzes „die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind“. Es verbleibt dann lediglich der Rückgriff auf den Begriff der „Einkünfte“ i.S. des § 2 Abs. 2 EStG, zu deren Ermittlung Sonderausgaben nicht zu berücksichtigen sind (vgl. § 2 Abs. 4 EStG).
32
c) Die Nichtabziehbarkeit der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung und Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) ist zumindest im Streitfall verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
33
Es besteht ohnehin kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Berücksichtigung der Arbeitslosenversicherung in voller Höhe (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, unter II.2.a). Das gleiche gilt für den Teil der Krankenversicherungsbeiträge, mit dem gegen den Sozialversicherungsträger ein Anspruch auf Krankengeld erworben wird (BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008  2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, unter D.IV.1.a.); der Gesetzgeber nimmt diesen Teil mit 4 % an (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a Satz 4 EStG). Auch die Beiträge zur Rentenversicherung sind bis zum Ablauf der Übergangsphase nicht voll abziehbar (vgl. § 10 Abs. 3 Sätze 4 und 5 EStG). Die Entscheidungen betreffen die Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen beim Steuerpflichtigen selbst. Für Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen bei der unterhaltenen Person kann jedoch nichts anderes gelten.
34
Selbst wenn man im Grundsatz unterstellt, dass auch die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung dem Unterhaltsberechtigten nicht zur Verfügung stehen (vgl. Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 96), ist ein Abzug im Streitfall zum Schutz des Existenzminimums verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn es wirken zwei Umstände kompensatorisch. Zum einen lässt der Gesetzgeber -verfassungs-rechtlich nicht erforderlich (vgl. Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 99)- weiterhin Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person in Höhe von 624 EUR anrechnungsfrei. Zum anderen erhöhte der Gesetzgeber im Streitjahr den Höchstbetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG auf 8.004 EUR. Er folgte damit der Erhöhung des Grundfreibetrags auf den gleichen Betrag, obwohl das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum im Jahr 2010 lediglich 7.664 EUR betrug (Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2010 -Siebenter Existenzminimumbericht- vom 21. November 2008, BT-Drucks 16/11065).
35
Im Streitfall beläuft sich die Kompensation aus anrechnungsfreiem Betrag und nicht durch das Existenzminimum gefordertem Höchstbetrag auf 964 EUR (624 EUR + 340 EUR). Die von den Klägern geltend gemachten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) betragen dagegen lediglich 926,82 EUR (790,48 EUR + 111,24 EUR + 25,10 EUR).
36
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da sich die Lösung aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ergibt und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Nichtabziehbarkeit der Beiträge für die gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie die Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) zumindest im Streitfall nicht bestehen.
37
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
38
6. Die Entscheidung ergeht gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil.

 

Kosten für Liposuktion (Fettabsaugung) keine außergewöhnliche Belastung

Der 10. Senat hat mit Urteil vom 4. Februar 2013 (Az.: 10 K 542/12) entschieden, dass Aufwendungen für die operative Behandlung einer Liposuktion ohne ein vorheriges amtsärztliches Gutachten nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich absetzbar sind.

Bei der Klägerin wurde im Sommer 2006 ein Lipödem an den Beinen diagnostiziert, das mit Kompressionsstrümpfen versorgt werden musste. Eine bei der Krankenkasse beantragte Kostenübernahme für eine stationär vorzunehmende Liposuktion lehnte diese ab, weil aus schulmedizinischer Sicht andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Eine hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos.

Die Klägerin ließ sich im November 2007 und Januar 2008 an den Beinen (außen und innen) mehrfach operieren und wurde hierfür stationär in ein Therapiezentrum aufgenommen. Hierfür entstanden ihr Kosten in Höhe von ca. 12.000 Euro, die sie im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagung als außergewöhnliche Belastungen geltend machte. Dies lehnte das Finanzamt ab.

Ihre Klage vor dem Finanzgericht begründete die Klägerin damit, dass die Operationen nicht lediglich der optischen Korrektur der betroffenen Körperregionen gedient hätten, sondern auch erforderlich gewesen seien, damit sie in Zukunft schmerz- und beschwerdefrei leben könne und insbesondere weitere Komplikationen des Lymphsystems vermieden werden könnten.

Das Finanzgericht wies die Klage ab, weil die Klägerin vor der Behandlung kein amtsärztliches Gutachten vorgelegt hat, das die medizinische Indikation nachweist. Bei Operationen, die häufig nur aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden, sei dies dem Steuerpflichtigen zuzumuten. Für die Klägerin sei der besondere Charakter der Behandlungen erkennbar gewesen, weil ihre Krankenkasse die Aufwendungen hierfür nicht übernommen hatte. Zudem sei nach Auffassung des zuständigen Gesundheitsamtes die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und daher auch nicht medizinisch notwendig.

Die Revision wird beim Bundesfinanzhof unter dem Az.: VI R 51/13 geführt.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 21.10.2013 zum Urteil 10 K 542/12 vom 04.02.2013 (nrkr – BFH- Az.: VI R 51/13), Newsletter 3/2013

 

FG Baden-Württemberg Urteil vom 4.2.2013, 10 K 542/12

Keine Berücksichtigung der Kosten für Liposuktion als außergewöhnliche Belastung – Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten

Tenor

 

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob Aufwendungen für die operative Behandlung einer Liposuktion als außergewöhnliche Belastungen absetzbar sind, ohne dass ein vorheriges amtsärztliches Attest vorlag.
2
Die Klägerin war als … nichtselbständig tätig, ihr Ehemann arbeitete bei einer …. Mit der Einkommensteuererklärung 2007, die am 31. März 2008 beim beklagten Finanzamt einging, machte die Klägerin Aufwendungen in Höhe von insgesamt 12.228 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend (ESt-Akten Bl. 6 und 21), wovon der größte Betrag von 11.520 EUR auf die Vorauszahlung von Operations- und sonstigen Kosten an eine Firma X GmbH im Therapiezentrum A, sowie Arztrechnungen des dort tätigen Dr. Y entfielen. Ausweislich des Kontoauszugs wurde die Zahlung am 16.11.2007 im Voraus geleistet. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen. Daneben waren Beträge von 2 x 30,34 EUR für Rezeptgebühren vom 12.12. und 28.12.2007, Rezeptgebühren Krankengymnastik vom 14.8.2007 von 18,64 EUR, eine Kompressionsstrumpfhose vom 14.12.2007 mit 10 EUR, ein amtsärztliches Zeugnis vom 18.12.2007 mit 71,30 EUR enthalten. Beigefügt war eine nachgereichte Anlage, in der zusätzlich Fahrtkosten zum Therapiezentrum mit 337,20 EUR und ein Schnuppertag medizinische Leistung gemäß Anlage mit 99 EUR ergänzt worden waren, so dass die gesamten außergewöhnlichen Belastungen insgesamt 12.228 EUR betrugen. Die Operation vom 27.11.2007 erfolgte zunächst an den Beinen außen, außerdem waren Aufwendungen für den Aufenthalt im Therapiezentrum vom 26.11.2007 bis 2.12.2007 mit einem Rechnungsbetrag von 1.129,08 EUR enthalten. In der Folgezeit erfolgten weitere Operationen am 15.1.2008, bei denen die Beine innen operiert wurden, hierzu erfolgte ein Aufenthalt vom 14.1.2008 bis 20.1.2008, die Rechnung über die Schnuppertage über 99 EUR datierte vom 13.6.2007 für den Aufenthalt vom 11.6. bis 13.6.2007. Die Operation der Arme erfolgte am 7.4.2008.
3
Beigefügt war ein privatärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. B, C und D vom 26.7.2007, bei dem dargestellt wurde, dass im Sommer 2006 ein Lipödem diagnostiziert worden war, zwischenzeitlich eine Gewichtsreduktion um 15 Kilo erreicht worden und die Patientin mit flachgestrickten Kompressionsstrümpfen versorgt worden sei, diese betreibe mehrmals in der Woche Aquajogging. Bei der klinischen Untersuchung finde sich das deutliche Lipödem nicht nur an den Beinen, sondern diese begännen nun auch an den Oberarmen. Als Empfehlung wurde eine Fortführung der bisherigen entstauenden Maßnahmen vorgeschlagen, eventuell Liposuktion.
4
Die Klägerin beantragte bei ihrer Krankenkasse, der Z in E, die Kostenübernahme für eine Liposuktion. Durch Bescheid vom 8. November 2007 lehnte die Z dies ab. Zur Begründung führte sie aus, laut Aussage des medizinischen Dienstes der Krankenkasse handele es sich bei der beantragten Liposuktion um eine unkonventionelle Behandlungsmethode. Diese sei so lange von der vertraglichen Kassenleistung ausgeschlossen, bis der gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe. Eine solche Empfehlung liege über diese Methode bisher nicht vor. Es stünden aus schulmedizinischer Sicht Behandlungsmöglichkeiten, nämlich die konservative Behandlung mittels komplexer physikalischer Entstauungstherapie (manuelle Lymphdrainage, Kompression, Krankengymnastik) zur Verfügung. Eine Kostenübernahme könne deshalb nicht erteilt werden. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsentscheidung vom 27.3.2008 zurückgewiesen. Die darauf eingelegte Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos.
5
Die Klägerin legte Atteste des behandelnden Arztes bei der X GmbH vor und zwar von Herrn Dr. Y. Dieser vertrat im Attest vom 24.4.2008 sowie den übermittelten Untersuchungsberichten (Befundberichten) vom 26.1.2008, auf die verwiesen wird, die Auffassung, dass die Operation aus medizinischer Sicht notwendig gewesen sei, da die Patientin sonst eine lebenslange manuelle Lymphdrainage und Kompression gebraucht hätte. Ziel der Operation auf lange Sicht sei, dass die Patientin keine manuellen Lymphdrainagen und Kompression mehr benötige und schmerz- sowie beschwerdefrei sei.
6
Am 1.2.2008 stellte das Gesundheitsamt des F-Kreises folgende Bescheinigung für die Klägerin aus, die diese dem beklagten Finanzamt vorlegte:
7
„Die Liposuktion ist als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und kann aus diesem Grund aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden. Die psychische Beeinträchtigung kann durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden.“
8
Der Gebührenbescheid über ein amtsärztliches Zeugnis/Gutachten datiert vom 18.12.2007 (ESt-Akte Bl. 39). In dem Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10.6.2008, auf den verwiesen wird, anerkannte das Finanzamt nur Aufwendungen von 80 EUR des Ehemannes der Klägerin als agB, errechnete eine zumutbare Belastung von 3.887 EUR und setzte die geltend gemachten Aufwendungen für die Liposuktion nicht an. Zur Begründung führte es im Steuerbescheid aus, dass die geltend gemachten agB für die Liposuktion steuerlich nicht anerkannt würden, weil eine medizinische Indikation nicht gegeben sei. Dagegen richtete sich der form- und fristgerecht eingelegte Einspruch, der erfolglos blieb. Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück, da keine vorherige amtsärztliche Begutachtung erfolgt sei, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlungen zweifelsfrei ergebe. Es wies insbesondere auf die Entscheidung des BFH zur Liposuktion vom 29.5.2007 III B 37/06, BFH/NV 2007, 1865 hin.
9
Hiergegen erhob die Klägerin form- und fristgerecht Klage, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgte. Sie vertrat die Auffassung, die medizinische Indikation sei zweifelsfrei belegt und die durchgeführten Heilbehandlungsmaßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen. Sie hätten nicht lediglich der optischen Korrektur der betroffenen Körperregion gedient, sondern seien erforderlich gewesen, damit die Patientin in Zukunft schmerz- und beschwerdefrei leben könne und insbesondere weitere Komplikationen des Lymphsystems vermieden werden könnten. Es sei zwar richtig, dass im Zeitpunkt des Veranlagungsverfahrens die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen noch nicht in den Behandlungskatalog aufgenommen worden seien, der für die Krankenkassen verbindlich festlege, welche Behandlungsmaßnahmen zu übernehmen sei. Derzeit lägen jedoch mehrere Verfahren bei Sozialgerichten vor, in denen Klagen gegenüber den beteiligten Krankenkassen erhoben worden seien auf Feststellung, dass diese verpflichtet seien, die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen, die auch Gegenstand des Verfahrens seien, zu übernehmen.
10
Diese Klagen blieben im Endergebnis erfolglos (Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 B 1 KR 11/08 R, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 7.7.2011 L 8 KR 101/10, Sozialgericht Mainz, Urteil vom 23.4.2012, S 14 KR 143/11; jeweils Juris Datenbank). Die Urteile stützten sich darauf, dass zum einen die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet seien, die neue Methode der Fettabsaugung zu bezahlen, weil der gemeinsame Bundesausschuss diese Methode nicht positiv empfohlen habe und keine Ausnahme vorliege, in der dies entbehrlich sei. Als nicht vom gemeinsamen Bundesausschuss empfohlene neue Methode sei die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich auch nicht über die Grundsätze des sog. Systemversagens, der vorliege, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruhe. Diese liege dann vor, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen sei, dass das Verfahren vor dem gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzung nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt worden sei. Ein sonstiger Ausnahmefall liege nicht vor. Da die Leistung zudem in ambulanter Form in Anspruch genommen werden könne, scheide ein Anspruch auf die Liposuktion in Form einer Krankenhausbehandlung als Naturalleistung von vornherein aus. Versicherte hätten nur dann Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sei, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden könne. Die Krankenhausbehandlung müsse demnach allein aus medizinischen Gründen erforderlich sein. Daran fehle es.
11
Die Klägerin vertritt hingegen die Auffassung, dass die medizinische Notwendigkeit dieser Heilbehandlungsmethode im Ergebnis nicht mehr bestritten werden könne. Das Problem der Verfahren um die Liposuktion liege im wesentlichen darin, dass dieses von den Beteiligten, zum Teil auch von den beteiligten Ärzten, wie z.B. dem hier beteiligten Gesundheitsamt, oft mit einer rein kosmetischen Operation verwechselt werde. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht der Fall, vielmehr habe diese dazu gedient, die Beweglichkeit und Arbeitsfähigkeit der Patientin wieder herzustellen und ihr insbesondere Spätkomplikationen der Lymphgefäße zu ersparen. Ferner legte die Klägerin Leitlinien einer deutschen Gesellschaft für Phlebologie zugrunde, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Darin werden zur Lipödemreduktion sowohl physikalische Maßnahmen wie Bewegungstherapie, Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und intermittierende pneumatische Kompressionen genannt, andererseits auch die operative Therapie mittels Fettabsaugung. Vergleichsstudien zur konservativen und operativen Therapie seien nicht vorhanden. Ferner legte die Klägerin Unterlagen des ….. Landesamtes für Bezüge und Versorgung vor, das die Beihilfefähigkeit der Liposuktion in dem dort genannten Fall bejahte.
12
Im Erörterungstermin vom 16.6.2010, auf den verwiesen wird, schilderte die Klägerin ihre Beschwerden. Als Problem der Lymphdrainagen und Kompressionstherapie schilderte sie, dass man sowohl lebenslang Kompressionsstrümpfe tragen müsse als auch lebenslang Lymphdrainagen erhalten müsse. Die Erkrankung führte bei der Klägerin mit Ausnahme der Zeiten, die für die Operationen erforderlich waren, nicht zur Arbeitsunfähigkeit oder zu Fehlzeiten deshalb. Der Betrag von 11.520 EUR stellte den Betrag für sämtliche Operationen an Armen und Beinen dar und musste im Voraus bezahlt werden.
13
Zum Zeitpunkt des Erörterungstermins war die Klägerin nach ihren Angaben beschwerdefrei, brauchte keine Kompressionsstrümpfe und keine Lymphdrainage mehr. Die Beine und Arme seien auch nicht dicker geworden, sondern so geblieben wie sie nach der Operation gewesen seien. Da beim BFH Revisionsverfahren mit den Az.: VI R 17/09, VI R 18/09 und VI R 11/09 anhängig waren, wurde das Verfahren mit Zustimmung der Beteiligten durch Beschluss vom 23. Juni 2010 zum Ruhen gebracht. Nachdem die Revision VI R 17/09 durch Urteil vom 11.11.2010 zugunsten der dortigen Kläger entschieden worden war und der BFH auf die vorherige Einholung eines amtsärztlichen Attestes verzichtet hatte, wurde das Verfahren wieder aufgerufen. Die Entscheidung der Revision VI R 18/09 vom 11.11.2010 erging dementsprechend. Daraufhin erließ der Gesetzgeber schließlich im Jahressteuergesetz 2012 die neue Fassung der §§ 64, 84 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung -EStDV- mit rückwirkender Geltung für alle noch offenen Verfahren.
14
Daraufhin vertraten die Bevollmächtigten die Auffassung, es liege eine unzulässige echte Rückwirkung vor. In der Folgezeit stritten die Beteiligten über diese Rechtsfrage. Im Hinblick auf diese wurde das zwischenzeitlich wieder neu aufgenommene Verfahren unter dem Az.: 10 K 542/12 durch Beschluss vom 16. Mai 2012 erneut zum Ruhen bis zur Entscheidung des BFH im Revisionsverfahren VI R 13/12 gebracht. Durch Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10 entschied der 6. Senat des BFH, dass die in § 84 Abs. 3 f EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sei.
15
Nachdem eine weitere Entscheidung ausstand, vertraten die Kläger die Auffassung, es bestünden Zweifel, ob § 64 der EStDV im vorliegenden Fall angewandt werden könne. Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2f EStDV – eine andere Vorschrift komme ja wohl nicht in Betracht – werde der Nachweis eines amtsärztlichen Gutachtens nur dann verlangt, wenn es sich um wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlung, Sauerstofftherapie und Eigenbluttherapien handele. Im vorliegenden Fall stehe jedoch eine Liposuktion, d.h. ein operativer Eingriff im Streit. Aufgrund der bereits vorgelegten Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Phlebologie ergebe sich, dass es keinen Zweifel geben könne, dass die Behandlung des Lipödems der Beine durch eine Liposuktion eine wissenschaftlich anerkannte Therapie sei. Hierfür werde die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens beantragt. Die Tatsache, dass die Krankenkassen die Operationen nicht zahlten, stehe in keinem Zusammenhang damit, dass es sich etwa um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, sondern liege schlichtweg darin, dass in diesen Behandlungskatalog nur auf Antrag Behandlungsmethoden aufgenommen worden seien. Die verschärften Nachweiserfordernisse des § 64 Abs. 1 2f EStDV seien im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Das beklagte Finanzamt differenziere nicht zwischen wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden einerseits oder Behandlungsmethoden, die noch nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten seien, andererseits.
16
Die Kläger beantragen,
1. den zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Anerkennung der Krankheitskosten in Höhe von 12.000 EUR für die durchgeführten Liposuktionen niedriger festgesetzt wird,
2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,
3. für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
17
Das beklagte Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
18
Zur Begründung bezieht es sich zum einen auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung, hält die Neuregelung entsprechend der Rechtsprechung des BFH für verfassungsrechtlich zulässig und ist der Auffassung, dass es sich bei der Liposuktion um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, die nur durch ein vorheriges Attest eines Amtsarztes als medizinisch notwendig und zwangsläufig nachweisbar sei. Für diese Nachweiserfordernisse trage die Klägerin die Feststellungslast.
19
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einkommensteuererklärungen nebst sämtlichen Anlagen, den ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007, die Einspruchsbegründungen nebst sämtlichen Anlagen sowie die im Besteuerungs-, Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst sämtlichen Anlagen Bezug genommen.
20
Die Beteiligten haben nach § 90 Abs. 2 FGO auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Entscheidungsgründe

21
Die zulässige Klage ist unbegründet.
22
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. BFH-Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).
23
a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten -ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, und vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596).
24
Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind.
25
Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch -SGB V-) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei Bade- und Heilkuren (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011) sowie bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich, außerdem nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 f) EStDV für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden.
26
2. Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist auch im Streitjahr Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen -wie vorliegend- die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden.
27
a) Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 ist hinreichend bestimmt und mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vereinbar; auch hat sich der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung von § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen seiner Befugnisse gehalten. Die strenge Formalisierung des Nachweises der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall erscheint -jedenfalls im Grundsatz- nicht unverhältnismäßig. Aufgrund der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- und Vertrauensarztes ist dieses Nachweisverlangen im steuerlichen Massenverfahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um die nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Dem steht nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber beim Nachweis von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (im engeren Sinne) auf ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten verzichtet und eine vorherige Verordnung durch den behandelnden Arzt oder Heilpraktiker genügen lässt. Denn insoweit wird verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung getragen (Geserich, Finanz-Rundschau 2011, 1067).
28
Auch die in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Sie ist von der Ermächtigung des § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und deshalb im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) ist hierbei nicht zu beklagen. Denn dem Gesetzgeber ist es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (Anschluss an BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvL 11/06 u.a., BVerfGE 126, 369;BFH-Urteil vom 19.04.2012 VI R 74/10 BStBl II 2012, 577).
29
Da die medizinische Erforderlichkeit von Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können, schwer zu beurteilen ist, verlangt der BFH seit der Entscheidung vom 14. Februar 1980 VI R 218/77 (BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295) grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlung zweifelsfrei ergibt (- BFH-Urteil vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543).
30
Hinsichtlich des Erfordernisses einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung ist dem Steuerpflichtigen die Inanspruchnahme fachlicher Beratung grundsätzlich zuzumuten (BFH-Urteile in BFHE 183, 561, BStBl II 1997, 732, und vom 10. Oktober 1996 III R 118/95, BFH/NV 1997, 337). Dass die Anleitung der Finanzverwaltung zur Einkommensteuererklärung keinen Hinweis auf die Notwendigkeit einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung enthält, rechtfertigt es nicht, von diesem Erfordernis abzusehen. Ein nachträglich erstelltes amtsärztliches Gutachten hat der BFH nur ausnahmsweise dann als Nachweis ausreichen lassen, wenn das Erfordernis einer vorherigen amtlichen Begutachtung für bestimmte Aufwendungen erstmals höchstrichterlich aufgestellt worden war und vom Steuerpflichtigen deshalb nicht erwartet werden konnte, dass er dieses Erfordernis kennt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602, und BFH-Beschluss vom 20. November 2003 III B 44/03, BFH/NV 2004, 335).
31
Aufwendungen für ärztliche Maßnahmen, bei denen nicht eindeutig feststeht, ob sie zur Heilung oder Linderung einer Krankheit erforderlich sind, hat der BFH seit jeher nur als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, wenn durch ein amtsärztliches Gutachten vor der Behandlung die medizinische Indikation nachgewiesen war. Bei Operationen, die häufig nur aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden, ist es daher dem Steuerpflichtigen zuzumuten, fachlichen Rat einzuholen, unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen für derartige Operationen steuerlich berücksichtigt werden. Im Streitfall war der besondere Charakter der Behandlungen für die Kläger auch erkennbar, weil ihre Krankenkasse die Aufwendungen hierfür nicht übernommen hatte (zum Vorstehenden für eine Liposuktion: BFH-Beschluss vom 24.11.2006 III B 57/06 BFH/NV 2007, 438).
32
Die zuvor bestehende Rechtslage wurde durch die neu eingeführten Regelungen des § 64, 84 EStDV mit rückwirkender Geltung bestätigt. Der BFH hat die Rückwirkung dieser Regelung auch für das Streitjahr 2007 in dem o.a. Urteil ausdrücklich bestätigt. Bei der Liposuktion handelt es sich ausweislich der vorliegenden Unterlagen und der von der Klägerin selbst vorgelegten Atteste um eine Behandlungsmethode, die nach § 64 Nr. 2f EStDV eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode darstellt und deren Anwendung und Ergebnisse umstritten sind. Nach den Leitlinien wurden keine vergleichenden Untersuchungen über die Wirkungen der konservativen und operativen Methode angestellt. Die gesetzliche Krankenkasse und deren Medizinischer Dienst haben diese Methode vor der Behandlung als unkonventionelle Behandlungsmethode bezeichnet.
33
Nach § 64 Abs. 2 EStDV haben die zuständigen Gesundheitsbehörden auf Verlangen des Steuerpflichtigen die für steuerliche Zwecke erforderlichen Gesundheitszeugnisse, Gutachten oder Bescheinigungen auszustellen. Nach der ausdrücklichen Gesetzesfassung der EStDV muss nach § 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV der nach Satz 1 zu erbringende Nachweis vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestellt worden sein. Nach Abs. 2 der Vorschrift haben die zuständigen Gesundheitsbehörden auf Verlangen des Steuerpflichtigen die für steuerliche Zwecke erforderlichen Gesundheitszeugnisse, Gutachten oder Bescheinigungen auszustellen. Das Landratsamt als zuständige Gesundheitsbehörde hat jedoch mit der Bescheinigung vom 1.2.2008 durch die zuständige Amtsärztin festgestellt, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt ist und aus diesem Grunde aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden kann. Die psychische Beeinträchtigung kann durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden. Nach den Daten der Aufstellung für die außergewöhnlichen Belastungen des Streitjahres wurden die Kosten eines ärztlichen Zeugnisses mit Datum 18.12.2007 in Höhe von 71,30 EUR geltend gemacht, der Gebührenbescheid ist unter diesem Datum ergangen und von der Klägerin bezahlt worden. Damit muss die Klägerin bereits frühzeitig gewusst haben, dass das Gesundheitsamt diese Methode nicht anerkannt hat. Wenn sie die daraufhin folgenden Operationen dennoch durchführt, war ihr bewusst, dass sie diese auf eigenes Risiko durchführen ließ.
34
Damit steht für den Streitfall fest, dass jedenfalls der Nachweis durch ein vorher ausgestelltes Attest nicht erbracht werden kann, zumal diese Bescheinigung ausgestellt wurde, bevor im April 2008 die Arme operiert wurden. Die Klägerin hat daher den Nachweis, dass es sich um anerkannte wissenschaftliche Methode zur Behandlung dieses Falles handelt, vor der Operation gerade nicht erbracht. Das nach § 64 Abs. 2 EStDV zuständige Gesundheitsamt war vielmehr der Auffassung, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und aus diesem Grund nicht als medizinisch notwendig angesehen werden kann. Vielmehr könne die psychische Beeinträchtigung durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden.
35
Die zuständige Gesundheitsbehörde hat daher die Notwendigkeit dieser Behandlungsmethode gerade verneint und sie mit einem kosmetischen Eingriff in Zusammenhang gebracht. Die nach dem 18.12.2007 und nach der Bescheinigung vom 1.2.2008 an den Beinen und den Armen vorgenommenen Operationen können nicht durch ein nachträgliches Sachverständigengutachten als notwendig anerkannt werden, da es insoweit an den formalisierten Nachweiserfordernissen fehlt. Das gleiche gilt für die vor dem 18.12.2007 durchgeführte Operation der Beine.
36
Der Senat ist auch der Auffassung, dass es sich insoweit um eine der in der Verordnung genannten Methoden ähnliche Methode handelt, wie sich sowohl aus der Rechtsprechung des BFH in den zitierten Beschlüssen und der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergibt. Auch die vorgelegten Leitlinien der Gesellschaft für Phlebologie ersetzen nicht den Nachweis durch ein vor der Maßnahme ausgestelltes amtsärztliches Attest.
37
Der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens im Finanzgerichtsverfahren bedurfte es angesichts der vorliegenden Rechtsprechung nicht. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass die Auffassungen darüber, ob die Liposuktion als Heilmethode anzuerkennen ist oder nicht, in der Fachliteratur ersichtlich unterschiedlich sind. Während diejenigen, die Operationen vornehmen, diese Methode als Heilmethode anerkennen, setzen andere Ärzte aus schuldmedizinischer Sicht auf physikalische Therapien. In jedem Fall kann ein Sachverständigen-Gutachten, das nur im Nachhinein anhand von Fotos und Unterlagen erstellt werden könnte, nicht die vorherige Untersuchung der Patientin und die vorherige Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens ersetzen. Vielmehr ist das zuständige Gesundheitsamt für die Klägerin im konkreten Fall nach § 64 Abs. 2 EStDV 2011 gerade zum gegenteiligen Ergebnis gekommen. Durch ein nachträglich erstelltes Sachverständigen-Gutachten können demzufolge die Nachweiserfordernisse der §§ 64 Abs. 1 und 2, 84 EStDV 2011 nicht mehr erreicht werden. Das Sachverständigengutachten ist insofern ein untaugliches Beweismittel, so dass der Beweisantrag daher abzulehnen ist.
38
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 FGO.
39
Die Revision war nicht zuzulassen, da die streitigen Rechtsfragen durch die zwischenzeitlich ergangene und oben zitierte Rechtsprechung des BFH geklärt sind.

DStV appelliert an Gesetzgeber: Hände weg von der Selbstanzeige!

Kaum ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch die Berichterstattung der Medien zu einem ausgewählten Fall geweckt, schon stellt die Politik die strafbefreiende Selbstanzeige erneut grundlegend in Frage.

Harald Elster, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbands e.V. (DStV): „Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt! Die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist oberste Maxime unseres Steuerrechts. Der Kampf gegen die Steuerkriminalität muss deshalb konsequent vorangetrieben werden.“ Der DStV sieht die aktuellen Tendenzen in seinem jüngst an den Gesetzgeber übermittelten Positionspapier für den Erhalt der Selbstanzeige dennoch kritisch.

Elster weiter: „Statt weiterer Verschärfungen bedarf es endlich der Entkriminalisierung redlicher Steuerpflichtiger durch eine gesetzliche Ausnahme für die Anmeldesteuern. Die letzte Änderung der Selbstanzeige in 2011 hat zu einer hohen Rechtsunsicherheit in der Praxis geführt. Diese darf nicht noch verstärkt werden.“

Ein ganz entscheidendes Argument für die Selbstanzeige ist ihre ausgleichende Wirkung innerhalb des Spannungsfelds zwischen Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren. Die Steuerpflichtigen treffen bei ihrer Besteuerung weitreichende Auskunfts- und Mitwirkungspflichten. Eine fehlerhafte Steuererklärung muss selbst dann berichtigt werden, wenn damit eine eigene Straftat offen gelegt wird. Dies widerspricht dem maßgeblichen, verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz im Strafrecht: Niemand muss sich selbst einer Straftat bezichtigen. Die Verletzung dieses Grundsatzes ist nach der Rechtsprechung nur deshalb gerechtfertigt, weil der Steuerpflichtige durch die Selbstanzeige Sanktionsfreiheit erlangt.

Statt innerstaatliche Regeln zu verschärfen, sollte der Druck auf Steuerstraftäter durch einen grenzüberschreitenden Informationsaustausch weiter forciert werden. Nur so wird der Staat Herr der Flucht in Steueroasen.

Quelle: Deutscher Steuerberaterverband e. V. DStV, Pressemitteilung vom 21.10.2013

Besteuerung der digitalen Wirtschaft

Kommission setzt Expertengruppe für künftiges EU-Konzept ein

„Die heutigen Steuersysteme wurden vor dem Zeitalter der Datenverarbeitung konzipiert. Daher überrascht es nicht, dass sie für die moderne, digitale Wirtschaft häufig ungeeignet sind. Die positiven Aspekte der digitalen Revolution dürfen nicht durch die Besteuerung beeinträchtigt werden. Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass sich die digitale Wirtschaft an die Regeln hält und in angemessenem Umfang Steuern entrichtet. Die Besteuerung der digitalen Wirtschaft ist mit enormen Herausforderungen verbunden, für die es keine Standardantworten gibt. Daher müssen zu dieser Frage in der EU gründliche, sachkundige und zielgerichtete Überlegungen angestellt werden, damit wir richtig handeln,“ erklärte Algirdas Šemeta, für Steuern, Zollunion, Statistik, Audit und Betrugsbekämpfung zuständiges Mitglied der Kommission.

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission heute einen Beschluss zur Einsetzung einer hochrangigen Expertengruppe zum Thema „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“ gefasst. Diese Gruppe soll prüfen, wie die digitale Wirtschaft in der EU am besten besteuert werden kann und dabei die Vorteile und Risiken verschiedener Konzepte abwägen. Sie soll feststellen, welche Probleme für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft unter dem Gesichtspunkt der EU eine entscheidende Rolle spielen, und verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorschlagen. Danach wird die Kommission EU-Initiativen entwickeln, um den steuerlichen Rahmen für die digitale Wirtschaft in der EU zu verbessern.

Die Expertengruppe wird aus bis zu sieben Mitgliedern – international anerkannten Sachverständigen für die digitale Wirtschaft und Steuerfachleuten – bestehen. Sie soll von einer Persönlichkeit mit politischem Profil geleitet werden, die mit dem Bereich vertraut ist. Interessierte Sachverständige können ihre Bewerbung bis zum 5. November einreichen.
Da sich die digitale Wirtschaft schnell entwickelt, muss auf steuerlicher Ebene rasch gehandelt werden. Daher sollte die Expertengruppe ihre Arbeit noch vor dem Jahresende aufnehmen und der Kommission in der ersten Hälfte des Jahres 2014 Bericht erstatten.

Gleichzeitig wird die EU weiterhin aktiv zu den Arbeiten beitragen, die auf globaler Ebene in diesem Bereich im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD erfolgen. Das Ziel lautet, hinsichtlich der Besteuerung der digitalen Wirtschaft auf EU- und internationaler Ebene kohärent und komplementär vorzugehen.

Hintergrund
Die digitale Wirtschaft gibt in der EU anerkanntermaßen starke Wachstums- und Beschäftigungsimpulse, da sie sich in hohem Maße auf Forschung, Innovation und qualifiziertes Personal stützt. Daher müssen Änderungen der Vorschriften für diesen Bereich gut durchdacht sein, damit die Branche in Europa ihr volles Potenzial entwickeln und entfalten kann. In steuerpolitischer Hinsicht muss darauf geachtet werden, dass die Steuersysteme das Wachstum des digitalen Sektors im Binnenmarkt unterstützen und nicht hemmen. Das bedeutet, dass ein unternehmensfreundliches Umfeld begünstigt werden muss und steuerliche Hemmnisse, die Investitionen und Wachstum beeinträchtigen könnten, beseitigt werden müssen.

Andererseits muss die digitale Wirtschaft einen angemessenen Beitrag zu den öffentlichen Finanzen leisten. Besonders problematisch sind Steuervermeidung und aggressive Steuerplanung, da die global tätigen Unternehmen dieser Branche materiell nicht greifbar sind und der elektronische Geschäftsverkehr noch keine Rolle spielte, als die heutigen Steuervorschriften konzipiert wurden. Infolgedessen entsprechen die von der digitalen Wirtschaft gezahlten Steuern häufig nicht der Präsenz und den Gewinnen dieses Sektors in der EU. Es wird ein umfassendes Konzept zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft benötigt, um die Steuerbemessungsgrundlagen der Mitgliedstaaten zu schützen und sicherzustellen, dass der Grundsatz der gerechten Besteuerung in der EU nicht untergraben wird.

EU-Kommission, Pressemitteilung vom 22.10.2013

DE DE

EUROPÄISCHE
KOMMISSION
Brüssel, den 22.10.2013
C(2013) 7082 final

BESCHLUSS DER KOMMISSION
vom 22.10.2013
zur Einsetzung der Expertengruppe der Kommission zum Thema „Besteuerung der
digitalen Wirtschaft“
DE 2 DE
BESCHLUSS DER KOMMISSION
vom 22.10.2013
zur Einsetzung der Expertengruppe der Kommission zum Thema „Besteuerung der
digitalen Wirtschaft“
DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION –
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) Durch die Artikel 113 und 115 des Vertrags wurden die Europäische Union und die
Mitgliedstaaten beauftragt, für die Errichtung und das Funktionieren des
Binnenmarktes zu sorgen.
(2) Im Hinblick auf die Entwicklung eines umfassenden Standpunkts der Europäischen
Union zu steuerlichen Fragen in der digitalen Wirtschaft muss die Kommission
möglicherweise in einem beratenden Gremium auf das Fachwissen von Spezialisten
zurückgreifen.
(3) Daher ist eine Expertengruppe zum Thema „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“
einzusetzen, und es sind Aufgaben und Struktur dieser Gruppe festzulegen.
(4) Die Expertengruppe sollte zur Entwicklung eines umfassenden Standpunkts der
Europäischen Union zu steuerlichen Fragen in der digitalen Wirtschaft beitragen,
indem sie diese Fragen analysiert und der Kommission Vorschläge unterbreitet, wie
sie angegangen werden können.
(5) Die Expertengruppe sollte relativ klein sein, um rasch Fortschritte und Ergebnisse
erzielen zu können. Sie sollte aus Einzelpersonen bestehen, die mit der digitalen
Wirtschaft vertraut sind und entsprechende Praxiserfahrung haben, aus Einzelpersonen
mit wissenschaftlichem Hintergrund in Steuerfragen oder Wirtschaft (oder beidem)
und aus Einzelpersonen mit speziellen Steuerkenntnissen und vorzugsweise
praktischer Erfahrung mit der Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Die Gruppe sollte
von einem Mitglied mit umfassender politischer Erfahrung geleitet werden, um ihr
Autorität zu verleihen und ihre Unabhängigkeit zu sichern.
(6) Es sollten Vorschriften für die Weitergabe von Informationen durch die Mitglieder der
Expertengruppe festgelegt werden.
(7) Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte nach der Verordnung (EG)
Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates1
erfolgen.
(8) Es ist zweckmäßig, die Geltungsdauer dieses Beschlusses zu befristen –
HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:
Artikel 1
Gegenstand
1
ABl. L 8 vom 12.1.2011, S. 1. DE 3 DE
Hiermit wird die Expertengruppe „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“ (im Folgenden: „die
Expertengruppe“) eingesetzt.
Artikel 2
Aufgaben
(1) Die Expertengruppe hat folgende Aufgaben:
a) Unterstützung der Kommission bei der Vorbereitung von Vorschlägen für
Rechtsakte oder anderen politischen Initiativen;
b) Beobachtung der Entwicklung der Steuerpolitik in Bezug auf die digitale
Wirtschaft;
c) Herbeiführung eines Erfahrungsaustausches und des Austauschs bewährter
Verfahren bei der Besteuerung der digitalen Wirtschaft;
d) Beisteuern von Ideen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft sowie
Überprüfung möglicher Alternativen zu den derzeitigen
Steuerbemessungsgrundlagen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der
EU zum einen und der Entwicklung weltweiter politischer Antworten zum
anderen;
e) umfassende Analyse des Verhältnisses zwischen den Transaktionen von
Unternehmen, die in der EU in der digitalen Wirtschaft tätig sind, und ihrem
direkten oder indirekten Beitrag zu den Steuereinnahmen der Mitgliedstaaten
sowie möglicher Unzulänglichkeiten bei der Anpassung derzeitiger
internationaler Steuervorschriften an die digitale Wirtschaft;
f) Lösungsvorschläge an die Kommission für die wichtigsten bei der Analyse
gemäß Buchstabe e festgestellten Fragen und Nennung der Risiken, möglichen
Folgen und wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen, die jeder
Lösungsvorschlag für die EU hätte.
(2) Die Expertengruppe legt der Kommission vor dem 1. Juli 2014 einen Bericht über
ihre Arbeit vor.
Artikel 3
Konsultation
Die Kommission kann die Expertengruppe zu jeder Frage im Zusammenhang mit der
Besteuerung der digitalen Wirtschaft konsultieren.
Artikel 4
Mitgliedschaft – Ernennung
(1) Der Expertengruppe gehören mindestens sechs und höchstens sieben Mitglieder an:
a) ein ad personam ernanntes Mitglied mit einem allgemeinen wirtschaftlichen,
juristischen oder finanziellen Hintergrund und hohem Ansehen auf politischer
Ebene;
b) eines oder zwei ad personam ernannte Mitglieder mit umfassenden
Kenntnissen der digitalen Wirtschaft und entsprechender Praxiserfahrung; DE 4 DE
c) eines oder zwei ad personam ernannte Mitglieder mit überwiegend
wissenschaftlichem Hintergrund im Bereich Steuern oder Wirtschaft (oder
beidem);
d) eines oder zwei ad personam ernannte Mitglieder mit Fachkenntnissen im
Steuerwesen, vorzugsweise mit praktischer Erfahrung bei der Besteuerung der
digitalen Wirtschaft.
(2) Das Mitglied gemäß Absatz 1 Buchstabe a wird von dem für Steuern und Zollunion
zuständigen Kommissionsmitglied ernannt. Die Mitglieder gemäß Absatz 1
Buchstaben b, c und d werden vom Generaldirektor für Steuern und Zollunion aus
einem Kreis von Spezialisten ernannt, die über einschlägige Fachkompetenz in den
in Artikel 2 und 3 genannten Bereichen verfügen und sich auf einen Aufruf zur
Einreichung von Bewerbungen gemeldet haben.
(3) Die Mitglieder werden für den Zeitraum bis zum 1. Juli 2014 ernannt. Sofern sie
nicht ausgeschlossen oder ersetzt werden, bleiben sie bis zum Ende ihrer Amtszeit im
Amt.
(4) Mitglieder, die keinen wirksamen Beitrag mehr zur Arbeit der Gruppe zu leisten
vermögen, ihr Amt niederlegen oder die Bedingungen gemäß Absatz 2 Unterabsatz 2
dieses Artikels oder gemäß Artikel 399 AEUV nicht mehr erfüllen, können für die
verbleibende Dauer ihrer Amtszeit ausgeschlossen oder ersetzt werden.
(5) Die Mitglieder handeln unabhängig und im öffentlichen Interesse.
(6) Die Namen der Mitglieder werden im Register der Expertengruppen der Kommission
und anderer ähnlicher Einrichtungen („das Register“) veröffentlicht.
(7) Die Erfassung, Verarbeitung und Veröffentlichung personenbezogener Daten
unterliegt den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 45/2001.
Artikel 5
Arbeitsweise
(1) Den Vorsitz der Expertengruppe führt das in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a
genannte Mitglied.
(2) Das für Steuern und Zollunion zuständige Mitglied der Kommission ernennt einen
Vertreter der Kommission, der nicht der Expertengruppe angehörende Experten, die
über besondere Sachkenntnis zu einem der Tagesordnungspunkte verfügen,
auffordern kann, auf ad-hoc-Basis an den Arbeiten der Gruppe mitzuwirken.
(3) Die Mitglieder der Expertengruppe sowie hinzugezogene Experten sind im Einklang
mit den Verträgen und ihren Durchführungsbestimmungen zur Wahrung des
Berufsgeheimnisses sowie zur Einhaltung der im Anhang des Beschlusses
2001/844/EG, EGKS, Euratom der Kommission aufgeführten Sicherheitsvorschriften
zum Schutz von EU-Verschlusssachen verpflichtet2
. Sollten sie gegen diese
Verpflichtungen verstoßen, kann die Kommission alle erforderlichen Maßnahmen
treffen.
(4) Die Sitzungen der Expertengruppe finden in den Räumen der Kommission statt, es
sei denn, die Expertengruppe beschließt mit Zustimmung des Vertreters der
2
Beschluss der Kommission vom 29. November 2001 zur Änderung ihrer Geschäftsordnung (ABl. L 317
vom 3.12.2001, S. 1). DE 5 DE
Kommission etwas anderes. Die Kommission nimmt die Sekretariatsgeschäfte wahr.
Andere an den Arbeiten interessierte Beamte der Kommission können an den
Sitzungen der Expertengruppe teilnehmen.
(5) Die Expertengruppe gibt sich eine Geschäftsordnung auf der Grundlage der
Mustergeschäftsordnung für Expertengruppen.
(6) Die Kommission ermöglicht den Zugang zu allen einschlägigen Unterlagen wie
Tagesordnungen und Protokollen der Gruppe und Stellungnahmen der Teilnehmer
über das Register oder über ein Link, das vom Register zu einer speziellen Webseite
mit Informationen führt. Dokumente, deren Offenlegung den Schutz öffentlicher
oder privater Interessen im Sinne des Artikels 4 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001
beinträchtigen würde, werden nicht veröffentlicht.
Artikel 6
Sitzungskosten
(1) Die Tätigkeit der Mitglieder der Expertengruppe wird nicht vergütet.
(2) Reise- und Aufenthaltskosten der Teilnehmer im Zusammenhang mit der Tätigkeit
der Expertengruppe werden von der Kommission nach den für sie geltenden
Vorschriften erstattet.
(3) Die Kosten gemäß Absatz 2 werden nach Maßgabe der Mittel erstattet, die im
Rahmen des jährlichen Verfahrens der Mittelzuweisung zur Verfügung gestellt
werden.
Artikel 7
Geltungsdauer
Dieser Beschluss gilt bis zum 1. Juli 2014.
Geschehen zu Brüssel am 22.10.2013
Für die Kommission
Algirdas ŠEMETA
Mitglied der Kommission

Berücksichtigung von gewinnabhängigen Pensionsleistungen bei der Bewertung von Pensionsrückstellungen nach § 6a EStG

Nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 erster Halbsatz Einkommensteuergesetz (EStG) kommt die Bildung einer Rückstellung für eine Pensionsverpflichtung nur in Betracht, wenn und soweit die Pensionszusage keine Leistungen in Abhängigkeit von künftigen gewinnabhängigen Bezügen vorsieht.

Mit Beschluss vom 3. März 2010 (BStBl II 2013 S. …) hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Passivierung von Pensionsverpflichtungen aus gewinnabhängigen Vergütungen (hier: Gewinntantiemen) nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 erster Halbsatz EStG auch dann nicht möglich ist, wenn sie am Bilanzstichtag zwar dem Grunde und der Höhe nach unwiderruflich feststehen, zum Zeitpunkt der Zusage der Versorgungsleistungen jedoch noch ungewiss waren. Hierzu gilt nach Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder Folgendes:

Gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 2 erster Halbsatz EStG darf eine Pensionsrückstellung nicht gebildet werden, wenn und soweit die Pensionszusage Leistungen in Abhängigkeit von künftigen gewinnabhängigen Bezügen vorsieht. Bei der Bewertung der Pensionsverpflichtungen sind Änderungen der Pensionsleistungen nicht zu berücksichtigen, die erst nach dem Schluss des Wirtschaftsjahres (Bilanzstichtag) eintreten (§ 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG).

Am Bilanzstichtag bereits feststehende gewinnabhängige Pensionsleistungen sind bei der Bewertung einzubeziehen, wenn und soweit sie dem Grunde und der Höhe nach eindeutig bestimmt sind und die Erhöhung der Versorgungsleistungen schriftlich durch eine Ergänzung der Pensionszusage gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG festgeschrieben wurde. Unabhängig vom maßgebenden Gewinnentstehungsjahr können die zusätzlichen Versorgungsleistungen wegen des Schriftformerfordernisses nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG erstmals an dem der schriftlichen Festschreibung folgenden Bilanzstichtag bei der Rückstellungsbewertung berücksichtigt werden. Aus Vertrauensschutzgründen wird es nicht beanstandet, wenn die bis zum Tag der Veröffentlichung dieses Schreibens im Bundessteuerblatt feststehenden und entstandenen gewinnabhängigen Pensionsleistungen, die an bereits zum jeweiligen Bilanzstichtag erwirtschaftete und zugeteilte Gewinne gebunden sind, bis spätestens zum 31. Dezember 2014 schriftlich zugesagt werden.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 6 – S-2176 / 12 / 10001 vom 08.10.2013

Umsatzsteuer: Finanzgericht lässt rückwirkende Rechnungsberichtigung zu

Der 5. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat mit Beschluss vom 30. September 2013 (5 V 217/13) ernstliche Zweifel an der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung geäußert, wonach eine Rechnungsberichtigung keine Rückwirkung entfalten könne.

Das Gericht entschied im Anschluss an die EuGH-Entscheidungen „Pannon Gép“ (EuGH v. 15.07.2010 – C-368/09) und „Petroma Transports“ (EuGH v. 08.05.2013 – C-271/12), dass eine rückwirkende Rechnungsberichtigung in Betracht kommt, solange noch keine abschließende Entscheidung der zuständigen Finanzbehörde über den Vorsteuerabzug vorliegt und sofern das zunächst erteilte Dokument die Mindestangaben an eine Rechnung (Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt, gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer) erfüllt.

Der 5. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof nicht zugelassen.

FG Niedersachsen, Pressemitteilung vom 23.10.2013 zum Beschluss 5 V 217/13 vom 30.09.2013

 

Rückwirkende Rechnungsberichtigung

Die Rechnungsberichtigung wirkt auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zurück, sofern die Abrechnung die Mindestanforderungen an eine Rechnung enthält.

Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Beschluss vom 01.10.2013, 5 V 217/13

Art 168 EGRL 112/2006, Art 178 EGRL 112/2006, § 15 Abs 1 S 2 UStG

Gründe

I.

1
Die Antragstellerin betreibt einen Großhandel mit Textilien.

2
Im Rahmen einer Außenprüfung, die u. a. die Streitjahre 2008 bis 2011 betraf, stellte der Antragsgegner fest, dass ein Vorsteuerabzug aus erteilten Gutschriften an die Handelsvertreter nicht möglich sei, da die Gutschriften keine ordnungsgemäßen Rechnungen i. S. d. § 15 Abs. 1 UStG i.V.m. § 14 Abs. 4 UStG darstellten. Weder in den Provisionsabrechnungen noch in den Anlagen zu den Abrechnungen waren die Steuernummer oder die USt-Identifikationsnummer des jeweiligen Gutschriftempfängers enthalten. Gleiches gilt für den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Werbegestalters H. (siehe Tz. 28 und 29 des BP-Berichts vom 24.05.2013).

3
Die Antragstellerin berichtigte die Provisionsabrechnungen gegenüber ihren Handelsvertretern noch während der Außenprüfung mit Datum vom 02.05.2013. Auch die Rechnungen des Werbegestalters H. wurden noch während der Außenprüfung berichtigt.

4
Der Antragsgegner kürzte dennoch die Vorsteuern in den Streitjahren mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erst im Zeitpunkt der durchgeführten Rechnungsberichtigung (2013) vorlägen:

5
 2008  2009  2010  2011
       
 Wert vor Prüfung  93.450,94  109.457,67  140.684,86  143.370,90
 Vorsteuer Handelsvertreter  -32.111,75  -38.996,54  -50.326,40  -55.840,75
 Vorsteuer H.  -1.496,54  -1.175,72  -1.180,47  -1.382,25
 Wert lt. Prüfung  59.842,65  69.285,41  89.177,99  86.147,90
6
Gegen die aufgrund der Außenprüfung geänderten Umsatzsteuerbescheide 2008 bis 2011 vom 02.07.2013 legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte zugleich Aussetzung der Vollziehung unter Bezugnahme auf die Urteile des EuGH vom 15.07.2010 (C-368/09 – Pannon Gép, DStR 2010, 1475) und vom 08.05.2013 (C-271/12 – Petroma Transports, BB 2013, 1365).

7
Das Einspruchsverfahren ruht gemäß § 363 Abs. 2 AO wegen des beim BFH anhängigen Verfahrens XI R 41/10.

8
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wurde abgelehnt unter Hinweis auf Abschn. 15.2 Abs. 5 UStAE. Danach kann der Vorsteuerabzug bei Rechnungsberichtigungen erst zu dem Zeitpunkt in Anspruch genommen werden, in dem die Berichtigung erfolgte und diese dem Rechnungsempfänger übermittelt wurde. Da die Berichtigung der Gutschriften erst in 2013 erfolgt sei, seien die Vorsteuern aus den berichtigten Abrechnungen auch erst in 2013 und nicht bereits in den Streitjahren zu berücksichtigen.

9
Die Antragstellerin beantragt daraufhin vorläufigen Rechtsschutz durch das Gericht.

10
Sie trägt vor, der EuGH habe bereits in der Rechtssache Pannon Gép (C-368/09) entschieden, dass in gewissen engen Grenzen eine Rechnungsberichtigung ex tunc möglich sei.

11
Der neuerlichen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Petroma Transports (C-271/12) könne entnommen werden, dass der EuGH eine rückwirkende Rechnungsberichtigung zulasse, wenn die Berichtigung noch im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens erfolge. Diese Auffassung werde auch in der Literatur vertreten (Hammerl in NWB 23/2013, 1792). Der BFH habe bereits in einem vergleichbaren Fall die Aussetzung der Vollziehung angeordnet (Beschluss vom 20.07.2012, V B 82/11, BStBl II 2012, 809).

12
Die Antragstellerin beantragt,

13
die Vollziehung der geänderten Umsatzsteuerbescheide vom 02.07.2013 für die Jahre 2008 bis 2011 auszusetzen bzw. aufzuheben, soweit bereits eine Verrechnung mit Guthaben aus aktuellen Voranmeldungszeiträumen erfolgt ist.

14
Der Antragsgegner beantragt,

15
den Antrag abzulehnen.

16
Er ist der Ansicht, dass trotz des anhängigen Verfahrens vor dem BFH (XI R 41/10) und der von der Antragstellerin genannten EuGH-Urteile keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden. Die Berichtigung einer Rechnung entfalte keine Rückwirkung. Ebenso hätten auch das FG Hamburg (2 V 149/11), das Niedersächsische FG (5 K 425/08) und das FG Mecklenburg-Vorpommern (2 K 180/11) entschieden.

II.

17
Der Antrag ist begründet.

18
Der Senat hält eine rückwirkende Rechnungsberichtigung im Streitfall für zulässig, weil die streitbefangenen Abrechnungen die Mindestanforderungen an eine Rechnung enthalten und die Berichtigung noch während der Außenprüfung erfolgte.

19
1. Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

20
a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.

21
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG setzt die Ausübung des Vorsteuerabzugs voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Die Regelung beruht unionsrechtlich auf Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a MwStSystRL.

22
b) Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung erfolgen kann, ist das Urteil des EuGH in der Rechtssache Pannon Gép (C-368/09) zu berücksichtigen. In dieser Entscheidung führt der EuGH Folgendes aus (Rz. 45):

23
Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung oder Praxis entgegen, nach der die nationalen Behörden einem Steuerpflichtigen das Recht, den für ihm erbrachte Dienstleistungen geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuerbetrag von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, mit der Begründung absprechen, dass die ursprüngliche Rechnung, die zum Zeitpunkt der Vornahme des Vorsteuerabzugs in seinem Besitz war, ein falsches Datum des Abschlusses der Dienstleistung aufgewiesen habe und dass die später berichtigte Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift nicht fortlaufend nummeriert gewesen seien (…), wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, in der das zutreffende Datum des Abschlusses der genannten Dienstleistung vermerkt war, auch wenn diese Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift keine fortlaufende Nummerierung aufweisen“.

24
c) Ob sich hieraus eine Rückwirkung für den Fall der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung ergibt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und finanzgerichtlich sowie im Schrifttum umstritten.

25
aa) Mehrere Finanzgerichte gingen in der Folge davon aus, dass einer Rechnungsberichtigung auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils „Pannon Gép“ keine Rückwirkung zukomme, weil sich der EuGH nicht ausdrücklich zu dieser Problematik geäußert habe (Niedersächsisches FG, Urteil vom 25.10.2010 5 K 425/08, DStRE 2011, 1337, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 41/10; ebenso Beschluss des FG Berlin-Brandenburg vom 22.02.2011 5 V 5004/11, EFG 2011, 1295; Urteil des FG Köln vom 13.07.2011 2 K 2695/10, juris, und Beschluss des FG Hamburg vom 06.12.2011  2 V 149/11, DStRE 2013, 93. Teile des Schrifttums habe sich dieser Auffassung angeschlossen (z. B. Huschens, UVR 2010, 333, Meurer, DStR 2010, 2442).

26
bb) Andere wiederum verstehen die Entscheidung „Pannon Gép“ dahingehend, dass der EuGH eine rückwirkende Rechnungsberichtigung für den Fall zulassen wollte, dass dem Finanzamt vor Erlass des (ablehnenden) Steuerbescheids die berichtigte Rechnung bereits vorgelegen hat (FG Nürnberg, Beschluss vom 07.10.2010 2 V 802/2009, EFG 2011, 1113; FG Saarland, Beschluss vom 16.02.2010 2 V 1343/11, EFG 2012, 1115; Martin, BFH/PR 2010, 388; Sterzinger, UR 2010, 700; Wäger, DStR 2010, 1478; Wagner, UVR 2010, 311).

27
cc) Die Finanzverwaltung lehnt eine rückwirkende Rechnungskorrektur ab. Als Begründung führt sie eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2004 an, wonach der Vorsteuerabzug davon abhängig ist, dass dem Steuerpflichtigen eine ordnungsgemäße Rechnung mit Umsatzsteuerausweis vorliegt (EuGH, Urteil vom 29.04.2004 – C-152/02 – BFH/NV 2004, Beil. 3, 229 „Terra Baubedarf-Handel“; BFH, Urteil vom 01.07.2004 V R 33/01, BStBl II 2004, 861). Neben dem BMF-Schreiben vom 16.03.2011 (IV D 2 – S 7500/0:003, n. v.) ist auf zwei Verfügungen aus Brandenburg (FinMin Brandenburg, Vfg. vom 09.03.2011 – S 7300-3/10) und Sachsen-Anhalt (OFD Magdeburg, Vfg. vom 03.11.2011 – S 7300-123-St 244) zu verweisen. Die letztere Verfügung gewährt Ruhen des Verfahrens (§ 363 AO) unter Berufung auf das anhängige BFH-Revisionsverfahren, jedoch keine Aussetzung der Vollziehung.

28
dd) Der BFH hat zwischenzeitlich in zwei Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz ernstliche Zweifel geäußert, ob der Vorsteuerabzug aus einer zunächst fehlerhaften Rechnung auch dann versagt werden kann, wenn diese Rechnung später berichtigt wird, sofern das zunächst erteilte Dokument die Mindestanforderungen (Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt, gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer) an eine Rechnung erfüllt (BFH-Beschlüsse vom 20.07.2012 V B 82/11, BStBl II 2012, 809 und vom 10.01.2013 XI B 33/12, BFH/NV 2013, 783).

29
Die Unsicherheit in der Bewertung der „Pannon-Gep“-Entscheidung beruht im Wesentlichen darauf, dass hier keine ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem „Terra-Baubedarf“-Urteil stattfindet, so dass unklar ist, ob der EuGH ggf. seine Auffassung geändert hat, oder ob beide Entscheidungen grundsätzlich miteinander vereinbar sind. Der BFH scheint nun in die zuletzt genannte Richtung zu tendieren, da er jedenfalls bestimmte Mindestmerkmale in einem Rechnungsdokument verlangt, damit dieses einer rückwirkenden Berichtigung offensteht. Dies würde dem „Terra-Baubedarf“-Urteil entsprechen, in dem gerade keine Rechnung mit Steuerausweis in dem Zeitpunkt vorgelegen hatte, in dem der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug begehrte (Prätzler, jurisPR-SteuerR 45/2012 Anm. 6).

30
ee) Mit der Entscheidung „Petroma Transports“ (Urteil vom 08.05.2013 C-271/12, BB 2013, 1365) präzisiert der EuGH nunmehr seine Haltung zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung. Aus der Abgrenzung in Rn. 34 und 35 ist zu entnehmen, dass der EuGH in seiner Pannon-Gep-Entscheidung tatsächlich die rückwirkende Berichtigung anerkennen wollte (ebenso Prätzler, jurisPR-SteuerR 26/2013 Anm. 5; Grune/AktStR 2013, 467f; Bunjes/Leonard, UStG, 13. Auflage 2013, § 13 Rz. 9a; zurückhaltender Grube, MwStR 2013, 276). Er nimmt nämlich auf die Pannon-Gep-Entscheidung Bezug und wiederholt ausdrücklich die dort bereits enthaltene Aussage, die Rechnungsberichtigung müsse vor Erlass der Entscheidung der Steuerbehörde ergehen (vgl. Rn. 34 unter Verweis auf die Rn. 43 bis 45 des Urteils „Pannon Gep“). Eine Berichtigung oder Ergänzung von Rechnungsangaben nach diesem Zeitpunkt reicht dagegen nicht aus.

31
Demnach können Rechnungen rückwirkend (ex tunc) berichtigt werden,

32
· sofern das zunächst erteilte Dokument die Mindestanforderungen (Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt, gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer) an eine Rechnung erfüllt und
33
· solange noch keine abschließende Entscheidung der zuständigen Finanzbehörde über den Vorsteuerabzug vorliegt.
34
d) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass sowohl die erteilten Provisionsabrechnungen (Gutschriften) als auch die Rechnungen des Werbegestalters H. die von BFH geforderten Mindestanforderungen an eine Rechnung erfüllen. In den Rechnungen fehlte lediglich die dem leistenden Unternehmer erteilte Steuernummer bzw. USt-Identifikationsnummer (vgl. § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG). Die fehlenden Angaben sind noch während der Außenprüfung und damit vor Erlass der ablehnenden Entscheidung des Finanzamts (Änderungsbescheide vom 02.07.2013) im Wege der Rechnungsberichtigung ergänzt worden.

35
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Kindergeld auch für Kinder einer eingetragenen Lebenspartnerin

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 08.08.2013 VI R 76/12 entschieden, dass einer Lebenspartnerin ein Kindergeldanspruch auch für die in den gemeinsamen Haushalt aufgenommenen Kinder ihrer eingetragenen Lebenspartnerin zusteht. Er hat damit die für Ehegatten geltende Regelung auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft angewandt, nach der im Haushalt lebende gemeinsame Kinder der Ehegatten zusammengezählt werden. Sobald beide Lebenspartner oder Ehegatten zusammen mehr als zwei Kinder haben, ist diese Regelung günstiger, als wenn jeder einzelne Ehegatte oder Lebenspartner für seine Kinder Kindergeld beantragt. Denn das Kindergeld steigt ab dem dritten Kind von 184 Euro auf 190 Euro an und beträgt für das vierte und jedes weitere Kind 215 Euro.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 07.05.2013 entschieden hatte, dass der Ausschluss eingetragener Lebenspartner vom Ehegattensplitting mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren sei, sind nunmehr die Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu Ehegatten und Ehen auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften anzuwenden (§ 2 Abs. 8 EStG). Die Neuregelung vom 15.07.2013 durch das Gesetz zur Änderung des EStG und Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 07.05.2013 findet auch bei noch nicht bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen Anwendung (§ 52 Abs. 2a EStG). Der BFH hat mit seinem Urteil entschieden, dass diese Anwendungsregelung auch für Kindergeldfestsetzungen gilt.

Im Streitfall lebt die Klägerin in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sie wohnt gemeinsam mit ihren beiden minderjährigen Kindern, ihrer eingetragenen Lebenspartnerin sowie mit deren beiden minderjährigen Kindern in einem Haushalt. Für ihre Kinder erhält sie Kindergeld. Darüber hinaus begehrte sie für den Zeitraum ab Dezember 2009 vergeblich Kindergeld für die in dem gemeinsamen Haushalt versorgten Kinder ihrer eingetragenen Lebenspartnerin nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Nach seiner Meinung ist zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen Einkommensteuer- und Kindergeldfestsetzungen die Gleichbehandlung von Lebenspartnern und Lebenspartnerschaften mit Ehegatten und Ehen auch insoweit geboten, als Kindergeldfestsetzungen noch nicht bestandskräftig sind. Der Gesetzgeber habe mit dem Gesetz vom 15.07.2013 eine Gleichbehandlung von Ehegatten und Lebenspartnern für das gesamte EStG und mithin auch für das in dem X. Abschnitt des EStG geregelten Kindergeldrecht bezweckt.

BFH, Pressemitteilung Nr. 73/13 vom 23.10.2013 zum Urteil VI R 76/12 vom 08.08.2013

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 8.8.2013, VI R 76/12

Kindergeld für das Kind der Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft

Leitsätze

1. Ein Kindergeldanspruch wird nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 2 Abs. 8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 gewährt, wenn ein eingetragener Lebenspartner in seinen Haushalt die Kinder seines eingetragenen Lebenspartners aufnimmt.

 

2. Die in § 2 Abs. 8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 bestimmte Gleichstellung von Lebenspartnern und Lebenspartnerschaften mit Ehegatten und Ehen ist in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. § 52 Abs. 2a EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 gilt insoweit entsprechend.

Tatbestand

1
I. Streitig ist, ob zugunsten eines eingetragenen Lebenspartners ein Kindergeldanspruch besteht, wenn dieser in seinen Haushalt die Kinder seines eingetragenen Lebenspartners aufnimmt.
2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) lebt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sie wohnt gemeinsam mit ihren beiden minderjährigen Kindern, ihrer eingetragenen Lebenspartnerin sowie mit deren beiden minderjährigen Kindern in einem Haushalt. Für ihre Kinder erhält sie Kindergeld. Darüber hinaus begehrte sie für den Zeitraum ab Dezember 2009 vergeblich Kindergeld für die in dem gemeinsamen Haushalt versorgten Kinder ihrer eingetragenen Lebenspartnerin nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Ihrer Auffassung nach verstoße es gegen Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht, dass nach dieser Vorschrift ein Kindergeldanspruch nur bei der Haushaltsaufnahme von Kindern des Ehegatten, nicht jedoch bei der Aufnahme von Kindern eines eingetragenen Lebenspartners bestehe.
3
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 306 veröffentlichten Gründen ab.
4
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Verfassungs- und Gemeinschaftsrechts.
5
Sie beantragt,

das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid vom 18. Mai 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Oktober 2011 aufzuheben und die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) zu verpflichten, zugunsten der Klägerin ab Dezember 2009 zusätzlich Kindergeld für die beiden Kinder ihrer eingetragenen Lebenspartnerin festzusetzen.

6
Die Familienkasse beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage. Entgegen der Entscheidung des FG wird aufgrund geänderter Rechtslage ein Kindergeldanspruch zugunsten eines eingetragenen Lebenspartners gewährt, wenn dieser in seinen Haushalt die Kinder seines eingetragenen Lebenspartners aufnimmt.
8
1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für die vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder seines Ehegatten.
9
a) Dies gilt nunmehr auch für die Aufnahme von Kindern eines eingetragenen Lebenspartners. Denn gemäß § 2 Abs. 8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2013 (Gesetz vom 15. Juli 2013 –BGBl I 2013, 2397–) sind die Regelungen des Einkommensteuergesetzes zu Ehegatten und Ehen auch auf Lebenspartner und Lebenspartnerschaften anzuwenden.
10
b) Die in § 2 Abs. 8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 bestimmte Gleichstellung von Lebenspartnern und Lebenspartnerschaften mit Ehegatten und Ehen ist in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist.
11
§ 52 Abs. 2a EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 bestimmt zwar, dass § 2 Abs. 8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 nur bei noch nicht bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen Anwendung finden soll. Diese Regelung gilt allerdings entsprechend für noch nicht bestandskräftige Kindergeldfestsetzungen. Dies ergibt sich zunächst aus § 31 Satz 3 EStG. Hiernach wird das Kindergeld als Steuervergütung gezahlt. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen Einkommensteuer- und Kindergeldfestsetzungen ist folglich die Gleichbehandlung von Lebenspartnern und Lebenspartnerschaften mit Ehegatten und Ehen auch insoweit geboten, als Kindergeldfestsetzungen noch nicht bestandskräftig sind. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz vom 15. Juli 2013 eine Gleichbehandlung von Ehegatten und Lebenspartnern für das gesamte Einkommensteuergesetz und mithin auch für das in dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes geregelten Kindergeldrecht bezweckte (BTDrucks 17/13870, S. 6). Anhaltspunkte dafür, dass diese Gleichstellung nicht auch für noch nicht bestandskräftige Kindergeldfestsetzungen Gültigkeit haben soll, bestehen nicht.
12
2. Da die Vorentscheidung diesen Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif und der Klage stattzugeben. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) hat die Klägerin die beiden minderjährigen Kinder ihrer eingetragenen Lebenspartnerin, für die sie Kindergeld beantragt hat, in ihren Haushalt aufgenommen. Der begehrte Kindergeldanspruch steht ihr daher nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, § 32 Abs. 3 EStG i.V.m. § 2 Abs. 8 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 sowie entsprechend § 52 Abs. 2a EStG i.d.F. des Gesetzes vom 15. Juli 2013 zu.

Umsatzsteuer: Zimmervermietung an Prostituierte

Wer in einem Eroscenter Zimmer an Prostituierte entgeltlich überlässt, vermietet keine „Wohn- und Schlafräume zur kurzfristigen Beherbergung“ (sog. Hotelsteuer) und muss seine Leistungen deshalb dem Regelsteuersatz unterwerfen.

So entschied der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 22. August 2013 V R 18/12 in einem Fall, in dem ein Bordellbetreiber Zimmer an Prostituierte vermietete. Diese sog. Erotikzimmer waren mit Doppelbett, Waschbecken, WC, Bidet, Whirlpool und Spiegeln ausgestattet. Der Tagespreis (je nach Ausstattung 110 bis 170Euro) umfasste volle Verpflegung; Bettwäsche und Handtücher wurden gestellt. Die Flure zu den Zimmern waren videoüberwacht. Der Bordellbetreiber verzichtete auf die Steuerfreiheit und unterwarf die Leistungen in der Umsatzsteuervoranmeldung dem ermäßigten Steuersatz. Finanzamt und Finanzgericht versteuerten die Umsätze nach dem Regelsteuersatz.

Das sah der BFH genauso. Vermietet ein Unternehmer Wohn- und Schlafräume, die er zur kurzfristen Beherbergung von Fremden bereithält, so ist diese Leistung anders als die auf Dauer angelegte Vermietung steuerpflichtig (§ 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes – UStG -), unterliegt aber nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG dem ermäßigten Steuersatz. Bei einem Bordell fehlt es am Tatbestandsmerkmal der „Beherbergung“. Die Zimmer werden den Prostituierten zur Ausübung gewerblicher Tätigkeiten überlassen.

BFH, Pressemitteilung Nr. 72/13 vom 23.10.2013 zum Urteil V R 18/12 vom 22.08.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 22.8.2013, V R 18/12

Zimmervermietung an Prostituierte – Kein ermäßigter Umsatzsteuertarif

Leitsätze

Die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG setzt ebenso wie § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG eine Vermietung von Wohn- und Schlafräumen zur kurzfristigen Beherbergung voraus. Hieran fehlt es bei einer Vermietung in einem „Bordell“.

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eröffnete am 1. Dezember 2007 in gemieteten Räumen ein sog. Eros-Center mit 13 „Erotikzimmern“, die mit Doppelbett, Waschbecken, WC, Bidet, Whirlpool und Spiegeln ausgestattet waren. Die Klägerin vermietete die Zimmer in dem Gebäude tage- und wochenweise an Prostituierte. Der Tagespreis belief sich nach Art und Ausstattung des jeweiligen Zimmers auf 110 EUR bis 170 EUR und umfasste Vollpension mit Heißgetränken und eine Flasche eines alkoholfreien Getränks pro Tag. Die Klägerin stellte auch Bettwäsche und Handtücher zur Verfügung. Die Flure zu den Zimmern wurden videoüberwacht. Zudem nahm die Klägerin als Bordellbetreiberin am sog. „Düsseldorfer Verfahren“ teil, in dem sie je Anwesenheitstag der Prostituierten einen Tagessatz einbehielt und diesen monatsweise als besonderen Vorauszahlungsbetrag auf die Einkommen- und Umsatzsteuer der Prostituierten an das zuständige Finanzamt abführte.
2
Erstmals in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen Januar und Februar 2010 versteuerte die Klägerin ihre Umsätze aus den Leistungen an die Prostituierten nach dem ermäßigten Steuersatz. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) demgegenüber davon aus, dass die Leistungen dem Regelsteuersatz unterlägen und erließ entsprechend geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für die Monate Januar bis März 2010, gegen die die Klägerin Einspruch einlegte und die das FA mit Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2010 als unbegründet zurückwies.
3
Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Finanzgericht (FG). Während des Klageverfahrens erging der Umsatzsteuer-Jahresbescheid vom 30. November 2011, der nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens wurde.
4
Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach dem Urteil des FG unterliegen die Leistungen der Klägerin nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG), da es an der hierfür erforderlichen Überlassung als Wohn- oder Schlafraum fehle. Die von der Klägerin überlassenen Zimmer seien nicht für Wohn- oder Schlafzwecke, sondern für gewerbliche Zwecke zur Erbringung sexueller Dienstleistungen genutzt worden. Im Gegensatz hierzu würden Hotelzimmer als Wohn- und Schlafräume und nicht als Gewerberäume überlassen. Die Prostituierten hätten zudem nicht für eine Beherbergungsleistung, sondern für die zur Ausübung der Prostitution erforderliche Infrastruktur, wie z.B. die Videoüberwachung zur Gewährleistung der Sicherheit gezahlt. § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG sei als Ausnahmetatbestand eng auszulegen. Die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution sei keine Beherbergung. Auch sei ein Bordellbetrieb keine einem Hotel ähnliche Einrichtung, wie dies das Unionsrecht voraussetze. Eine teilweise Anwendung des ermäßigten Steuersatzes komme nicht in Betracht, da die teilweise Nutzung zur Beherbergung hinter der Nutzung für gewerbliche Zwecke der Prostitution zurücktrete. Ob die Leistung als Vermietung nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sei oder eine steuerpflichtige sonstige Leistung eigener Art vorliege, könne offen bleiben, da die Klägerin zumindest auf die Steuerfreiheit nach § 9 Abs. 1 UStG verzichtet habe.
5
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, für die sie Verletzung materiellen Rechts anführt. Die Einrichtungen des von ihr betriebenen Hauses hätten dem üblichen Standard eines Hotels entsprochen. Die Räumlichkeiten seien nicht speziell für die „Verrichtung von sexuellen Leistungen“ hergerichtet worden, sondern hätten in vollem Umfang denen eines Hotelbetriebs entsprochen. Die Räumlichkeiten seien in den meisten Fällen tageweise vermietet worden und für die kurzfristige Beherbergung von Fremden geeignet gewesen. Ein Teil der Mieter und Mieterinnen habe in dem Haus auch übernachtet. Die Gewerblichkeit der Zimmervermietung stehe der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nicht entgegen. Sie habe im Übrigen eine gewerbliche Zimmervermietung, nicht aber ein Bordell betrieben. Sie habe mit den Prostituierten lediglich Beherbergungsverträge über Fremdenzimmer abgeschlossen und sei an den Einnahmen der Prostituierten nicht beteiligt gewesen. Die Zimmer seien wie Hotelzimmer mit Schlafraum und separatem Bad ausgestattet gewesen und täglich gesäubert und aufgeräumt worden. Lediglich die Dienstleistungen der Prostituierten unterlägen dem Regelsteuersatz. Die Leistungen der Prostituierten seien ihr nicht zuzurechnen.
6
Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid vom 30. November 2011 dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer auf … EUR herabgesetzt wird.

7
Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8
Die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes lägen nicht vor. Die erforderliche Beherbergung setze die Überlassung an einen Gast als Unterkunft voraus. Die Raumüberlassung dürfe nicht anderen Zwecken dienen. Bereits aus der Lage des Grundstücks in einem Rotlichtviertel ergebe sich, dass Gewerberäume zur Ausübung der Prostitution überlassen worden seien. Dass auch Hotelzimmer vereinzelt gewerblich genutzt werden, sei unerheblich. Eine andere Auslegung sei mit dem Unionsrecht nicht vereinbar. Eine Aufteilung der einheitlichen Leistung komme nicht in Betracht. Für die Steuersatzermäßigung sei von entscheidender Bedeutung, mit welcher Intention der Vermieter die Wohn- und Schlafräume bereithalte. Aus der Lage des Gebäudes in einem Rotlichtviertel und aus den Mietverträgen ergebe sich, dass die Klägerin die Räumlichkeiten nicht zur Beherbergung, sondern zur Ausübung der Prostitution bereitgehalten habe. Die Klägerin habe die hierfür erforderliche Infrastruktur zur Verfügung gestellt. Zwar könnten auch Hotelgäste in einem Hotel vergleichbaren Tätigkeiten nachgehen. Eine hierauf gerichtete „Intention“ liege beim normalen Hotelbetreiber aber nicht vor. § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG sei enger als § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG auszulegen. Eine einschränkende Auslegung ergebe sich auch aus dem Unionsrecht.

Entscheidungsgründe

9
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Wie das FG zu Recht entschieden hat, unterliegen die Leistungen der Klägerin dem Regelsteuersatz, da die Voraussetzungen für eine Vermietung von Wohn- und Schlafräumen zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG nicht vorliegen.
10
1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG gilt der ermäßigte Steuersatz insbesondere für „die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält“. Unionsrechtliche Grundlage hierfür ist Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG i.V.m. Anhang III Nr. 12. Danach sind die Mitgliedstaaten berechtigt, auf die „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften“ einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden.
11
2. § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG ordnet im Regelungszusammenhang mit § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a und Satz 2 UStG für die gemäß § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfreie, aber nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG steuerpflichtige Vermietung die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes an. Dabei ist das von § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG und § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG wortlautidentisch verwendete Tatbestandsmerkmal der „Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält“ einheitlich auszulegen.
12
§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG unterscheidet sich vom Grundtatbestand des § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG durch die an den Mietgegenstand zu stellenden Anforderungen, bei dem es sich um zur kurzfristigen Beherbergung bereitgehaltene Wohn- und Schlafräume handeln muss. Systematisch ist § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG ein Ausnahmetatbestand zu § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG. So ist z.B. die auf Dauer angelegte Vermietung möblierter Wohn- und Schlafräume nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG steuerfrei, da dann im Hinblick auf das zeitliche Element der Ausnahmetatbestand nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG nicht vorliegt (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 20. August 2009 V R 21/08, BFH/NV 2010, 473, unter II.1.b aa). Damit folgt der erkennende Senat der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH). Nach dessen Urteil vom 12. Februar 1998 C-346/95, Elisabeth Blasi (Slg. 1998, I-481) ist die Dauer der Beherbergung –bei der Überlassung „vollständig möblierter und mit Kochgelegenheiten ausgestatteter Zimmer“, bei der der Vermieter „für die Gestellung und Reinigung der Bettwäsche sowie für die Reinigung der Flure, Treppenhäuser, Bäder und WCs“ zu sorgen hatte– ein geeignetes Kriterium für die Unterscheidung zwischen der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe (als steuerpflichtigem Umsatz) einerseits und der Vermietung von Wohnräumen (als befreitem Umsatz) andererseits, da sich die Beherbergung im Hotel u.a. gerade bezüglich der Verweildauer von der Vermietung eines Wohnraumes unterscheidet.
13
3. Im Streitfall hat das FG zu Recht die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die aufgrund des Verzichts (§ 9 UStG) steuerpflichtige Leistung verneint. Wie das FG zutreffend entschieden hat, fehlt es an der nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG und § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG gleichermaßen erforderlichen Vermietung von zur kurzfristigen Beherbergung bereitgehaltenen Wohn- und Schlafräumen. Die von der Klägerin überlassenen Räumlichkeiten dienten nicht wie in der dem EuGH-Urteil Elisabeth Blasi in Slg. 1998, I-481 zugrunde liegenden Fallgestaltung der Beherbergung von Personen, sondern wurden für die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten (BFH-Beschluss vom 15. März 2012 III R 30/10, BFHE 237, 421, BStBl II 2012, 661, Rz 14 ff.) und dem folgend BFH-Beschluss vom 20. Februar 2013 GrS 1/12 (BFHE 140, 282, BStBl II 2013, 441) überlassen.

Anerkennung eines Arbeitsverhältnisses zwischen nahen Angehörigen (Fortentwicklung der Rechtsprechung)

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 17. Juli 2013 X R 31/12 die Maßstäbe präzisiert, die für den steuermindernden Abzug von Betriebsausgaben für die Vergütung von Arbeitsleistungen naher Angehöriger gelten.

Der Kläger betrieb als Einzelunternehmer eine in den Streitjahren stetig wachsende Werbeagentur. Er schloss zunächst mit seinem in Frührente befindlichen Vater, später auch mit seiner Mutter einen Arbeitsvertrag ab. Die Eltern sollten für den Kläger Bürohilfstätigkeiten im Umfang von 10 bzw. 20 Wochenstunden erbringen. Das Finanzamt versagte den Betriebsausgabenabzug mit der Begründung, es seien keine Aufzeichnungen über die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden geführt worden. Das Finanzgericht bestätigte diese Auffassung und führte aus, die Arbeitsverträge seien nicht entsprechend der Vereinbarung durchgeführt worden, weil beide Elternteile tatsächlich mehr als die vertraglich festgelegten 10 bzw. 20 Wochenstunden gearbeitet hätten. Darauf hätten sich fremde Arbeitnehmer nicht eingelassen.

Dem ist der BFH nicht gefolgt. Ob ein Vertrag zwischen nahen Angehörigen steuerlich anzuerkennen ist, wird anhand eines Fremdvergleichs beurteilt. Dabei hängt die Intensität der Prüfung auch vom Anlass des Vertragsschlusses ab. Hätte der Steuerpflichtige im Falle der Nichtbeschäftigung seines Angehörigen einen fremden Dritten einstellen müssen, ist der Fremdvergleich weniger strikt durchzuführen.

Vor allem aber ist der Umstand, dass beide Elternteile „unbezahlte Mehrarbeit“ geleistet haben sollen, für die steuerrechtliche Beurteilung nicht von wesentlicher Bedeutung. Entscheidend für den Betriebsausgabenabzug ist, dass der Angehörige für die an ihn gezahlte Vergütung die vereinbarte Gegenleistung (Arbeitsleistung) tatsächlich erbringt. Dies ist auch dann der Fall, wenn er seine arbeitsvertraglichen Pflichten durch Leistung von Mehrarbeit übererfüllt. Ob Arbeitszeitnachweise geführt worden sind, betrifft hier nicht die Frage der Fremdüblichkeit des Arbeitsverhältnisses, sondern hat allein Bedeutung für den – dem Steuerpflichtigen obliegenden – Nachweis, dass der Angehörige die vereinbarten Arbeitsleistungen tatsächlich erbracht hat.

BFH, Pressemitteilung Nr. 74/13 vom 23.10.2013 zum Urteil X R 31/12 vom 17.07.2013

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.7.2013, X R 31/12

Arbeitsverträge zwischen nahen Angehörigen – Unschädliche Erwähnung überholter Bescheide im Revisionsantrag – Erweiterung des Klageantrags im zweiten Rechtsgang

Leitsätze

1. Bei Arbeitsverträgen zwischen nahen Angehörigen ist die Intensität der erforderlichen Prüfung der Fremdüblichkeit der Vertragsbedingungen auch vom Anlass des Vertragsschlusses abhängig.

 

2. Leistet der als Arbeitnehmer beschäftigte Angehörige unbezahlte Mehrarbeit über seine vertragliche Stundenzahl hinaus, steht dies der Annahme, das Arbeitsverhältnis sei tatsächlich durchgeführt worden, grundsätzlich nicht entgegen. Etwas anderes gilt nur, wenn die vereinbarte Vergütung schlechterdings nicht mehr als Gegenleistung für die Tätigkeit des Angehörigen angesehen werden kann und deshalb auf das Fehlen eines Rechtsbindungswillens zu schließen ist.

 

3. Die unterbliebene Führung von Arbeitszeitnachweisen betrifft –sofern nicht aus einem betriebsinternen Fremdvergleich Gegenteiliges folgt– in der Regel nicht die Frage der Fremdüblichkeit der Arbeitsbedingungen, sondern hat vorrangig Bedeutung für den dem Steuerpflichtigen obliegenden Nachweis, dass der Angehörige tatsächlich Arbeitsleistungen jedenfalls in dem vertraglich vereinbarten Umfang erbracht hat (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 15/98, BFH/NV 1999, 919).

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in den Streitjahren 2005 bis 2007 als Einzelunternehmer eine Werbe- und Medienagentur. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Zum 1. Januar 2005 schloss er mit seinem Vater (V) einen Arbeitsvertrag. Danach wurde V als Bürohilfskraft mit einer Arbeitszeit von zehn Stunden wöchentlich zu einem Monatslohn von 400 EUR eingestellt. V war im Jahr 2004 wegen Berufsunfähigkeit aus dem Forstdienst ausgeschieden und bezog seither eine Rente.
2
Zum 1. Februar 2005 schloss der Kläger auch mit seiner Mutter (M) einen Arbeitsvertrag. M sollte ebenfalls als Bürohilfskraft mit zehn Wochenstunden tätig werden, allerdings nur einen Monatslohn von 200 EUR erhalten. Mit Wirkung vom 1. August 2005 wurde die Wochenarbeitszeit der M auf 20 Stunden und der Monatslohn auf 800 EUR erhöht, womit dieses Beschäftigungsverhältnis regulär sozialversicherungspflichtig wurde. Neben ihrer Tätigkeit für den Kläger erzielte M aus einem Gartenpflegebetrieb in den Streitjahren Einnahmen zwischen 2.612 EUR und 5.725 EUR jährlich.
3
Die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften wurden –einschließlich der für geringfügig Beschäftigte geltenden Beitragspflichten– vom Kläger beachtet. Eine im Jahr 2007 durchgeführte Prüfung des Rentenversicherungsträgers, die sich u.a. auf die Streitjahre 2005 und 2006 bezog, blieb ohne Beanstandungen.
4
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wurde der Kläger „gelegentlich“ von einer weiteren Bürokraft unterstützt, deren Jahreslohn 665 EUR (2005) bzw. 660 EUR (2006) betragen habe.
5
Im Anschluss an eine Außenprüfung versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -FA-) den Betriebsausgabenabzug für die an V und M gezahlten Arbeitslöhne mit der Begründung, es seien keine Aufzeichnungen über die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten geführt worden. Das FA erhöhte den Gewinn des Klägers in den angefochtenen Bescheiden über die gesonderte Feststellung des Gewinns und die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für 2005 bis 2007 entsprechend. Das FG hat hierzu im Tatbestand seines Urteils die folgenden Beträge mitgeteilt:
2005:
 8.335,20 EUR,
2006:
 9.234,00 EUR,
2007:
14.919,93 EUR.
6
Im Verwaltungsverfahren erklärte der Kläger, zum Aufgabengebiet des V habe der Finanzbereich, das Controlling, der Zahlungsverkehr, die Ablage der Kontoauszüge und das Vorbereiten der Kostenbelege für das Steuerbüro gehört. M habe den Telefondienst, die Reinigung der Betriebsräume, die Pflege der Betriebsfahrzeuge, umfangreiche Kurierfahrten sowie die Auftragsterminüberwachung übernommen.
7
Zeitlich nach der genannten, auf die Veranlagungssteuern bezogenen Außenprüfung führte das FA beim Kläger noch eine Lohnsteuer-Außenprüfung u.a. für die Streitjahre durch, die ohne Beanstandungen blieb.
8
Das FA wies die Einsprüche zurück und vertrat in den Einspruchsentscheidungen die Auffassung, der tatsächlich von V und M geleistete Arbeitsumfang dürfte gering gewesen sein. Es erscheine zweifelhaft, ob M neben ihrer eigenen gewerblichen Tätigkeit noch 20 Stunden pro Woche für den Kläger habe arbeiten können. Dass auch die familienfremde Teilzeitbeschäftigte keinen Arbeitszeitnachweis geführt habe, sei im Hinblick auf den Fremdvergleich unbeachtlich, weil wegen des insoweit bestehenden Interessengegensatzes beide Seiten auf die Einhaltung der Vertragspflichten achten würden.
9
Im Klageverfahren führte der Kläger aus, die vom FA zitierte Rechtsprechung betreffe Arbeitsverhältnisse mit Ehegatten oder minderjährigen Kindern, nicht aber mit berufserfahrenen Elternteilen. Die im Betrieb erwirtschafteten Umsatzerlöse wären ohne die Hilfe von Arbeitnehmern nicht erzielbar gewesen.
10
Das FG hörte V in der mündlichen Verhandlung „informatorisch“ an. V erklärte, er habe seit Gründung der Werbeagentur (im Jahr 2002) dort mitgearbeitet, dafür zunächst aber keinen Lohn erhalten. Anfang 2005 hätten der Kläger und er sich für den Abschluss eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses entschieden, damit er über die Berufsgenossenschaft abgesichert sei. Er habe etwa eine Stunde täglich für Botengänge benötigt. Darüber hinaus habe er Fahrten unternommen, darunter auch Auslandsreisen, zum Teil gemeinsam mit dem Kläger. Aufgrund dieser Reisen habe seine tatsächliche Arbeitszeit die vereinbarten zehn Wochenstunden stets überschritten. Da sich der Betrieb noch in der Aufbauphase befunden habe, habe er nicht über ein höheres Gehalt nachgedacht. Teilweise habe auch M Arbeiten übernommen, „weil es einfach notwendig war“.
11
Das FG wies die Klage in diesem Punkt ab (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2013, 15). Es führte aus, bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen müsse sichergestellt sein, dass die Vertragsbeziehungen dem betrieblichen Bereich zuzurechnen seien und es sich nicht um private Unterhaltsleistungen handele. Hier seien zwar die Inhalte der schriftlichen Arbeitsverträge fremdüblich. Insbesondere sei das Fehlen von Regelungen zur Art der Arbeitsleistungen und zur konkreten Verteilung der Arbeitszeit unschädlich, weil die geschuldeten Leistungen bestimmbar seien und derartige Vereinbarungen bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen auch im Verhältnis zwischen fremden Dritten nicht immer ausdrücklich getroffen würden. Ferner überschreite der Umfang der von M und V ausgeübten Tätigkeiten den Rahmen dessen, was üblicherweise als Hilfeleistung auf lediglich familienrechtlicher Grundlage erbracht werde.
12
Allerdings seien die Arbeitsverhältnisse tatsächlich nicht wie vereinbart durchgeführt worden. Denn V habe „immer mehr als die vereinbarten 10 Wochenstunden gearbeitet“. Auch M habe „teilweise zusätzliche Arbeiten übernommen“. Damit hätten beide Elternteile „ein weitaus höheres Arbeitspensum als vertraglich geschuldet geleistet“; die vertragliche Vereinbarung einer Arbeitszeit von zehn bzw. 20 Wochenstunden sei nicht durchgeführt worden. Es entspreche regelmäßig dem Interesse eines Arbeitnehmers, nur die vereinbarte Arbeitszeit zu erbringen. Zudem seien bei Arbeitsverhältnissen unterhalb der Schwelle einer Vollzeitbeschäftigung „Arbeitszeitnachweise unter Fremden durchaus üblich“. Weil die vereinbarten Wochenarbeitszeiten zur Erledigung der von den Eltern „auf dem Papier“ angegebenen Arbeiten eher großzügig bemessen gewesen seien und M einen eigenen Kleinbetrieb geführt habe, sei eine Kontrolle der tatsächlichen Arbeitsleistung angezeigt gewesen.
13
Für das Streitjahr 2005 gab das FG der Klage hinsichtlich eines im Revisionsverfahren nicht mehr streitigen Punktes teilweise statt. Im Hinblick darauf hat das FA am 25. Mai 2012 Änderungsbescheide für alle Streitjahre und am 16. Juli 2013 erneut Änderungsbescheide für das Streitjahr 2005 erlassen.
14
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren hinsichtlich der Lohnaufwendungen weiter. Selbst wenn die zusätzlich geleisteten Arbeitsstunden auf familiärer Gefälligkeit beruhen sollten, dürfe dies nicht dazu führen, dass der Lohnaufwand, der für den vertragsgemäß erbrachten Teil der Arbeitsleistung angefallen sei, nicht als Betriebsausgabe anerkannt werde.
15
Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidungen vom 1. Juni 2010 teilweise aufzuheben und die Bescheide über die gesonderte Feststellung des Gewinns für 2005 bis 2007 vom 10. März 2010 (Streitjahre 2005 und 2006) bzw. 7. April 2010 (Streitjahr 2007) sowie die Gewerbesteuermessbescheide für 2005 bis 2007 vom 10. März 2010 (Streitjahre 2005 und 2006) bzw. 7. April 2010 (Streitjahr 2007) dahingehend zu ändern, dass für die Arbeitsverhältnisse mit V und M Lohnaufwendungen in Höhe von 8.335,20 EUR (2005), 9.234,00 EUR (2006) bzw. 14.919,93 EUR (2007) als Betriebsausgaben berücksichtigt werden.

16
Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

17
Es vertritt die Auffassung, soweit das FG die Behauptung als glaubhaft angesehen habe, V und M hätten tatsächlich mehr Arbeitsstunden geleistet als vertraglich vereinbart war, sei der Fremdvergleich nicht erfüllt, da ein familienfremder Arbeitnehmer Mehrarbeit nur gegen Freizeitausgleich oder zusätzliche Vergütung geleistet hätte. In solchen Fällen sei auch eine Anerkennung des Arbeitsverhältnisses mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit nicht möglich, da ansonsten der Dokumentationsmangel durch die Behauptung geleisteter Mehrarbeit jederzeit geheilt werden könnte.

Entscheidungsgründe

18
II. Die Revision ist zulässig.
19
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger in seinem Revisionsantrag noch die Bescheide vom 10. März 2010 bzw. 7. April 2010 bezeichnet, obwohl diese durch die zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheide vom 25. Mai 2012 bzw. vom 16. Juli 2013 gegenstandslos geworden sind.
20
Nach § 120 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) muss die Revisionsbegründung die Erklärung enthalten, inwieweit das Urteil angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Revisionsanträge). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung kann auf einen förmlichen Revisionsantrag sogar ganz verzichtet werden, wenn sich aus der Revisionsbegründung das Prozessbegehren des Revisionsklägers unzweifelhaft ergibt (Senatsurteil vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975, unter II.A.). Dann ist aber die Erwähnung überholter Bescheide im Revisionsantrag erst recht unschädlich, zumal aus der Formulierung des Antrags im vorliegenden Fall deutlich hervorgeht, welche Änderung der Kläger erstrebt.
III.
21
Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
22
Die Auffassung des FG, den streitgegenständlichen Arbeitsverträgen sei die ertragsteuerrechtliche Anerkennung allein deshalb zu versagen, weil die als Arbeitnehmer beschäftigten Angehörigen mehr Arbeitsstunden geleistet hätten als vertraglich vereinbart und keine Stundenaufzeichnungen geführt worden seien, erweist sich als rechtsfehlerhaft (dazu unten 1.). Der Senat kann auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen nur in Bezug auf den mit V geschlossenen Arbeitsvertrag eine eigene abschließende Beurteilung vornehmen (unten 2.), nicht aber in Bezug auf den mit M geschlossenen Arbeitsvertrag, weil die Feststellungen des FG insoweit widersprüchlich sind (unten 3.). Die Sache geht daher zur Nachholung tragfähiger Feststellungen an das FG zurück.
23
1. Mit der vom FG gegebenen Begründung kann der Betriebsausgabenabzug für die Lohnaufwendungen des Klägers nicht versagt werden.
24
a) Maßgebend für die Beurteilung, ob Verträge zwischen nahen Angehörigen durch die Einkunftserzielung (§ 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes –EStG–) veranlasst oder aber durch private Zuwendungs- oder Unterhaltsüberlegungen (§ 12 Nr. 1 und 2 EStG) motiviert sind, ist seit der Neuausrichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. November 1995  2 BvR 802/90 (BStBl II 1996, 34, unter B.I.2.) die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten. Zwar ist weiterhin Voraussetzung, dass die vertraglichen Hauptpflichten klar und eindeutig vereinbart sowie entsprechend dem Vereinbarten durchgeführt werden. Jedoch schließt nicht mehr jede geringfügige Abweichung einzelner Sachverhaltsmerkmale vom Üblichen die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus. Vielmehr sind einzelne Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, ob sie den Rückschluss auf eine privat veranlasste Vereinbarung zulassen (zum Ganzen Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 16. Dezember 1998 X R 139/95, BFH/NV 1999, 780, unter II.1., und vom 13. Juli 1999 VIII R 29/97, BFHE 191, 250, BStBl II 2000, 386, unter 2.a, m.w.N.).
25
Diese Grundsätze gelten gemäß § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes auch für die Gewerbesteuer.
26
b) In Bezug auf Arbeitsverhältnisse geht die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass Lohnzahlungen an einen im Betrieb des Steuerpflichtigen mitarbeitenden Angehörigen als Betriebsausgaben abziehbar sind, wenn der Angehörige aufgrund eines wirksamen, inhaltlich dem zwischen Fremden Üblichen entsprechenden Arbeitsvertrags beschäftigt wird, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringt und der Steuerpflichtige seinerseits alle Arbeitgeberpflichten, insbesondere die der Lohnzahlung, erfüllt (BFH-Urteile vom 25. Januar 1989 X R 168/87, BFHE 156, 134, BStBl II 1989, 453, unter 1., und vom 26. August 2004 IV R 68/02, BFH/NV 2005, 553, unter II.1.a., m.w.N.).
27
Dabei ist –ebenso wie bei Darlehensverträgen zwischen nahen Angehörigen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 4. Juni 1991 IX R 150/85, BFHE 165, 53, BStBl II 1991, 838)– die Intensität der erforderlichen Prüfung der Fremdüblichkeit der Vertragsbedingungen auch vom Anlass des Vertragsschlusses abhängig. Hätte der Steuerpflichtige im Falle der Nichtbeschäftigung seines Angehörigen einen fremden Dritten einstellen müssen, ist der Fremdvergleich weniger strikt durchzuführen als wenn der Angehörige für solche Tätigkeiten eingestellt wird, die üblicherweise vom Steuerpflichtigen selbst oder unentgeltlich von Familienangehörigen erledigt werden (vgl. zu derartigen Fallgestaltungen BFH-Urteil vom 17. März 1988 IV R 188/85, BFHE 153, 117, BStBl II 1988, 632).
28
c) Vor diesem Hintergrund bestehen revisionsrechtlich keine Bedenken gegen die Würdigung des FG, dass die Inhalte der Arbeitsverträge einem Fremdvergleich standhalten und der Umfang der geschuldeten Tätigkeiten den Rahmen der familienrechtlichen Hilfeleistungspflicht überstiegen hat. Weil dies im Revisionsverfahren auch zwischen den Beteiligten nicht mehr umstritten ist, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab.
29
Als rechtsfehlerhaft erweist sich die angefochtene Entscheidung jedoch insoweit, als das FG allein den Umstand, dass V und M Mehrarbeit geleistet (unten aa) und die tatsächliche Zahl ihrer Arbeitsstunden nicht aufgezeichnet haben (unten bb), als ausreichend angesehen hat, um den Betriebsausgabenabzug zu versagen. Eine solche Rechtsfolge darf nur gezogen werden, wenn einer Abweichung der tatsächlichen Durchführung von dem vereinbarten Inhalt des Vertrags ein derartiges Gewicht zukommt, dass dies unter Berücksichtigung des Gesamtbildes der Verhältnisse eine Nichtanerkennung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 553, unter II.2.). Dies ist hier nicht der Fall.
30
aa) In der Leistung von Mehrarbeit hat das FG eine Abweichung der tatsächlichen Durchführung der Arbeitsverhältnisse von dem vertraglich Vereinbarten in Bezug auf eine Hauptleistungspflicht gesehen. Dies trifft zwar bei abstrakter Betrachtung zu. Die daraus vom FG gezogenen Schlüsse vermag der Senat aber nicht zu teilen.
31
(1) Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers ist gemäß § 611 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Leistung der versprochenen Dienste. Leistet ein Angehörigen-Arbeitnehmer die von ihm arbeitsvertraglich geschuldeten Dienste nicht, stellt dies ein gewichtiges Indiz gegen die ertragsteuerrechtliche Anerkennung des Arbeitsverhältnisses dar (vgl. oben b).
32
Im Streitfall haben V und M –jedenfalls nach den Feststellungen des FG (zu deren Bindungswirkung siehe aber unten 2. und 3.)– die genannte Hauptleistungspflicht indes erfüllt, da sie zumindest im Umfang der vertraglich vereinbarten zehn bzw. 20 Wochenstunden für den Kläger tätig geworden sein sollen.
33
Die Bedenken des FG beruhen vielmehr allein darauf, dass V und M ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt haben. Ein solches Verhalten –und das damit möglicherweise eintretende Missverhältnis zwischen der Arbeitsleistung und der dafür bezogenen Vergütung– steht der ertragsteuerrechtlichen Anerkennung jedoch selbst dann nicht entgegen, wenn die Mehrarbeit durch das Näheverhältnis zwischen dem Kläger und seinen Angehörigen veranlasst gewesen sein sollte (dazu unten (2)). Im Übrigen hat das FG nicht berücksichtigt, dass die Übererfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten –anders als die Nichterfüllung von Hauptleistungspflichten– auch zwischen fremden Dritten nicht völlig unüblich ist (unten (3)).
34
(2) Leistet ein Angehörigen-Arbeitnehmer unbezahlte Mehrarbeit, lässt dies die –darin notwendigerweise liegende– vollständige Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht unberührt. Die freiwillige Mehrarbeit kann aus dem Arbeitsverhältnis abgespalten und der familiären Nähebeziehung zugeordnet werden, ohne dass sich daraus in Bezug auf die ertragsteuerrechtliche Anerkennung des Arbeitsverhältnisses Konsequenzen ergeben, die für den Steuerpflichtigen nachteilig sind.
35
Dies folgt bereits aus der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Fallgestaltungen, in denen der Steuerpflichtige mit seinem als Arbeitnehmer beschäftigten nahen Angehörigen nur eine deutlich unterhalb des Fremdvergleichslohns liegende Vergütung vereinbart. Der BFH zieht die Ernsthaftigkeit eines solchen Angehörigen-Arbeitsvertrags nicht in Zweifel (Urteil vom 28. Juli 1983 IV R 103/82, BFHE 139, 376, BStBl II 1984, 60, unter 1.a, m.w.N.: Vergütung in Höhe von 25 % des Fremdvergleichslohns; Urteil vom 22. März 1990 IV R 115/89, BFHE 160, 463, BStBl II 1990, 776, unter 2.: Vergütung in Höhe von 1/3 des Tariflohns; Urteil in BFH/NV 2005, 553, unter II.2.). Danach können Angehörige nicht nur entscheiden, ob, sondern auch in welchem Umfang eine Mitarbeit auf arbeitsvertraglicher oder aber familienrechtlicher Grundlage geschehen soll; eine Aufteilung des Vorgangs im Sinne einer „Teilentgeltlichkeit“ ist möglich (so ausdrücklich BFH-Urteil in BFHE 139, 376, BStBl II 1984, 60, unter 1.a). Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige von einem nahen Angehörigen ein Darlehen zu einem unterhalb der Marktzinsen liegenden Zinssatz erhält (BFH-Urteil in BFHE 165, 53, BStBl II 1991, 838).
36
Die Vereinbarung eines unüblich niedrigen Arbeitslohns betrifft zwar –anders als der vorliegend zu beurteilende Fall der Erbringung von Mehrarbeit ohne Mehrvergütung– nicht die tatsächliche Durchführung, sondern den fremdüblichen Inhalt des Arbeitsvertrags. Wertungsmäßig sind beide Fallgruppen aber vergleichbar, da das Äquivalenzverhältnis zwischen dem Umfang der Arbeitsleistung und der dafür bezogenen Vergütung im Vergleich zu dem zwischen fremden Dritten Üblichen jeweils zugunsten des Steuerpflichtigen –und damit zu Lasten des von ihm beschäftigten Angehörigen– verschoben ist. Für die ertragsteuerrechtliche Anerkennung des Arbeitsverhältnisses, bei der es entscheidend um die Abgrenzung zwischen Betriebsausgaben und Unterhaltsleistungen geht (vgl. oben a), ist eine solche Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses zu Lasten des beschäftigten Angehörigen aber deshalb nicht von wesentlicher Indizwirkung, weil jedenfalls die vergleichsweise niedrige, tatsächlich gezahlte –und damit allein als Betriebsausgabe in Betracht kommende– Vergütung in vollem Umfang eine Gegenleistung für eine erbrachte Arbeitsleistung des Angehörigen darstellt. Der Schluss, dass es sich bei den Zahlungen des Steuerpflichtigen um Unterhaltsleistungen –also Zuwendungen– an seinen Angehörigen handeln könnte, liegt angesichts der vom Angehörigen tatsächlich erbrachten werthaltigen Gegenleistung fern.
37
Etwas anderes gilt nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur, wenn die vereinbarte Vergütung im Verhältnis zur Arbeitsleistung so niedrig ist, dass sie schlechterdings nicht mehr eine Gegenleistung für die Tätigkeit des Angehörigen sein kann und deshalb angenommen werden muss, dass die Beteiligten sich nicht rechtsgeschäftlich haben binden wollen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 139, 376, BStBl II 1984, 60, unter 1.a). Davon kann im Streitfall aber keine Rede sein.
38
(3) Darüber hinaus hat das FG sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Erbringung unbezahlter Mehrarbeit überhaupt als unüblich angesehen werden kann. In der Praxis mag ein solches Arbeitnehmerverhalten zwar nicht die Regel sein, kommt aber auch zwischen Arbeitsvertragsparteien, die zueinander nicht in einem familiären Näheverhältnis stehen, nicht nur in ganz ungewöhnlich gelagerten Ausnahmefällen vor. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Von Bedeutung mögen Sorgen des Arbeitnehmers um den Erhalt seines Arbeitsplatzes, aber auch die Gepflogenheiten der jeweiligen Branche sein.
39
bb) Die unterbliebene Führung von Arbeitszeitnachweisen betrifft im Streitfall nicht die Frage der Fremdüblichkeit des Arbeitsverhältnisses, sondern hat allein Bedeutung für den –dem Steuerpflichtigen obliegenden– Nachweis, dass der Angehörige Arbeitsleistungen jedenfalls in dem vertraglich vereinbarten Umfang tatsächlich erbracht hat.
40
(1) Das FG missversteht die von ihm angeführten BFH-Entscheidungen, wenn es ihnen entnimmt, in einem Fall wie dem vorliegenden sei die Führung von Arbeitszeitnachweisen fremdüblich, so dass ihr Fehlen die Anerkennung des Arbeitsverhältnisses ausschließe. Damit würde das Vorhandensein von Arbeitszeitaufzeichnungen (z.B. Stundenzettel) in den Rang eines Tatbestandsmerkmals erhoben, was weder der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. den Beschluss in BStBl II 1996, 34) noch den vom FG zitierten BFH-Entscheidungen entnommen werden kann.
41
Der IV. Senat des BFH hat in seinem Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 15/98 (BFH/NV 1999, 919, unter 1.b) –zur Frage des notwendigen Inhalts eines Arbeitsvertrags zwischen nahen Angehörigen– ausgeführt: „Gerade bei einem Arbeitsverhältnis, das Hilfstätigkeiten von untergeordneter Bedeutung zum Gegenstand hat, werden das Aufgabengebiet und der zeitliche Einsatz des Arbeitnehmers auch in Arbeitsverträgen unter fremden Dritten nicht stets in allen Einzelheiten festgelegt, sondern der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers überlassen (…). Zum Nachweis der vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitsleistung können dann aber Belege (z.B. Stundenzettel) üblich sein“.
42
Für diese Aussage zitiert der IV. Senat zwei instanzgerichtliche Entscheidungen (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. März 1995  14 K 323/91, EFG 1995, 705, rkr.; FG Düsseldorf, Urteil vom 18. April 1996  15 K 1449/93 E, EFG 1996, 1152, rkr.), in denen jedoch das Fehlen von Arbeitszeitnachweisen nicht von entscheidender Bedeutung für die Klageabweisung war, sondern vielmehr jeweils nur einen Randaspekt darstellte, der die schon aus anderen Gründen gebotene Würdigung, ein Arbeitsverhältnis sei nicht anzuerkennen, abrundete. Im Urteil des IV. Senats, der ohnehin eher vorsichtig formuliert (Belege „können … üblich sein“), ging es nicht etwa um die Erbringung von Mehrarbeit; vielmehr gab der BFH dem FG die Klärung der Frage auf, ob es überhaupt genügend Aufgaben für den formal als Arbeitnehmer geführten Angehörigen gab (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 919, unter 2.). Dieser Hinweis bezieht sich auf die Funktion von Stundenzetteln, dem Steuerpflichtigen den Nachweis zu ermöglichen, dass der Arbeitnehmer seine Hauptleistungspflichten erfüllt hat. Dass auch der IV. Senat die Arbeitszeitnachweise letztlich nicht als entscheidend angesehen hat, folgt zudem daraus, dass er das klageabweisende Urteil des FG aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen hat. Eine solche Zurückverweisung wäre aber nicht erforderlich gewesen, wenn die –im dortigen Fall unstreitig fehlenden– Arbeitszeitnachweise von entscheidender Bedeutung für den IV. Senat gewesen wären.
43
In seinem Beschluss vom 17. Mai 2001 IV B 71/00 (BFH/NV 2001, 1390, unter 2.c) hat der IV. Senat dann auf die Grundsätze seiner Entscheidung in BFH/NV 1999, 919 Bezug genommen. Dem lag –ausweislich des Tatbestands des vorinstanzlichen Urteils– ein Arbeitsvertrag mit dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erst 17 Jahre alten, noch die Schule besuchenden und unterhaltsberechtigten Sohn des dortigen Klägers zugrunde, den das FG nicht anerkannt hatte, weil es nicht hatte feststellen können, in welchem Umfang der Sohn überhaupt Arbeitsleistungen erbracht hatte. Damit ist der vorliegende Fall, in dem der Kläger Arbeitsverträge mit volljährigen, von ihm finanziell unabhängigen und nicht konkret unterhaltsbedürftigen Angehörigen abgeschlossen hat, die ihre Hauptleistungspflichten erfüllt haben, nicht vergleichbar. Dies gilt auch für den weiteren von der Vorinstanz und dem FA angeführten BFH-Beschluss vom 11. Mai 2005 IV B 140/03 (juris, unter 2.b), in dem die Tatsacheninstanz die tatsächliche Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistung durch die Angehörigen-Arbeitnehmer ebenfalls nicht hatte feststellen können.
44
Soweit das FG Nürnberg im Urteil vom 3. April 2008 VI 140/2006 (EFG 2008, 1013, rkr.) zunächst –auf eher zweifelhafter Tatsachengrundlage– die Fremdüblichkeit des Arbeitsvertrags, die Lohnzahlung und die tatsächliche Erbringung der vereinbarten Arbeitsleistungen unterstellt, aber gleichwohl das Führen von Arbeitszeitnachweisen für erforderlich hält, selbst wenn in dem Betrieb für fremde Arbeitskräfte mit vergleichbaren Aufgaben keine Aufzeichnungen geführt worden sind, könnte der erkennende Senat dem nicht folgen.
45
In Übereinstimmung damit hat auch der VI. Senat des BFH eine finanzgerichtliche Entscheidung, die maßgebend auf das Fehlen von Stundenzetteln gestützt worden war, beanstandet (Urteil vom 18. Oktober 2007 VI R 59/06, BFHE 219, 208, BStBl II 2009, 200, unter II.2.b bb).
46
(2) Da vorliegend das FG ausdrücklich festgestellt hat, dass sowohl V als auch M nicht allein die vertraglich vereinbarten Arbeitsstunden, sondern sogar noch darüber hinausgehende Arbeitsleistungen erbracht haben, bedurfte es keines weiteren Nachweises durch eine Aufzeichnung der konkret geleisteten Arbeitsstunden.
47
2. Nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen erfüllen die Aufwendungen des Klägers für den mit V geschlossenen Arbeitsvertrag die Voraussetzungen des Betriebsausgabenabzugs.
48
Zwischen V und dem Kläger bestand ein Arbeitsvertrag, dessen Inhalt das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als fremdüblich gewürdigt hat. Die vertraglichen Vereinbarungen sind auch tatsächlich durchgeführt worden. Umstände, die gegen die vollständige und pünktliche Lohnzahlung durch den Kläger sprechen würden, sind weder vom FA vorgetragen noch vom FG festgestellt worden. Auch die –im Streitfall durch den Rentenversicherungsträger und das FA geprüfte und für korrekt befundene– sozialversicherungs- und lohnsteuerrechtliche Behandlung lässt Schlüsse auf die Ernsthaftigkeit und damit die steuerrechtliche Beachtlichkeit arbeitsvertraglicher Abreden zu (vgl. BFH-Urteil in BFHE 139, 376, BStBl II 1984, 60, unter 1.b).
49
Der Umstand, dass V unbezahlte Mehrarbeit geleistet hat, steht der Würdigung, er habe seine arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht erfüllt, nicht entgegen (vgl. oben 1.c aa). Das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ist im Streitfall erkennbar nicht in einem solchen Maße gestört, dass ein Rechtsbindungswillen der Arbeitsvertragsparteien zu verneinen wäre. Dass V keinen Arbeitszeitnachweis geführt hat, ist für den Kläger im Streitfall nicht nachteilig, weil das FG sich aus anderen Umständen –insoweit revisionsrechtlich bedenkenfrei– die Überzeugung hat verschaffen können, dass V jedenfalls die arbeitsvertraglich vereinbarte Stundenzahl geleistet hat.
50
3. Hinsichtlich des mit M geschlossenen Arbeitsvertrags ist dem Senat eine eigene Entscheidung nicht möglich, da die von der Vorinstanz hierzu getroffenen Feststellungen teilweise widersprüchlich sind und teilweise nicht durch die vom FG herangezogenen Entscheidungsgrundlagen getragen werden.
51
Das FG hat seine Feststellung, auch M habe ein „weitaus höheres Arbeitspensum als vertraglich geschuldet geleistet“, allein auf die „informatorische“ Vernehmung des V gestützt. Dieser hatte ausweislich des Vernehmungsprotokolls in Bezug auf M allerdings lediglich ausgeführt: „Teilweise hat auch meine Frau Arbeiten übernommen, weil es einfach notwendig war.“ Damit hat der Zeuge aber nur bekundet, dass M tatsächlich im Betrieb des Klägers gearbeitet habe, nicht aber, dass sie die vertraglich vereinbarte Zahl von 20 Wochenstunden „weitaus“ überschritten habe. Andere Erkenntnisquellen als die Aussage des V hat das FG für seine Feststellung nicht herangezogen; die Entscheidung wird daher insoweit nicht durch hinreichende tatsächliche Grundlagen getragen.
52
Widersprüchlich ist die Vorentscheidung insoweit, als das FG einerseits ausgeführt hat, auch M habe „ein weitaus höheres Arbeitspensum als vertraglich geschuldet geleistet“, andererseits aber die Auffassung vertreten hat, die vereinbarten Wochenarbeitszeiten dürften zur Erledigung der angegebenen Arbeiten eher großzügig bemessen gewesen sein. Die letztgenannte Formulierung könnte darauf schließen lassen, dass das FG Zweifel hatte, ob M tatsächlich Arbeitsleistungen in dem vertraglich vereinbarten Umfang von 20 Wochenstunden erbracht hat. Auch das FA hat in sämtlichen Verfahrensabschnitten –bis hinein ins Revisionsverfahren– entsprechende Zweifel geäußert.
53
Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass diese Zweifel –anders als FA und FG offenbar meinen– jedenfalls ohne nähere Ermittlungen, an denen es bisher fehlt, nicht darauf gestützt werden können, dass M zusätzlich zu ihrer beim Kläger ausgeübten Halbtagsbeschäftigung noch Einnahmen aus Gartenpflegearbeiten erzielt hat. Denn die insoweit vom FG festgestellten Einnahmen (in den Streitjahren zwischen 2.612 EUR und 5.725 EUR jährlich) sind derart gering, dass sie ohne das Vorliegen besonderer Umstände nicht geeignet erscheinen, eine Arbeitnehmerin ernsthaft an der Ausfüllung einer Halbtagsstelle zu hindern.
54
Zur Aufklärung des Umfangs der tatsächlich von M erbrachten Arbeitsleistungen geht die Sache daher an das FG zurück. Sollte sich ergeben, dass die Tätigkeit der M für den Kläger einen größeren Umfang als die vereinbarten 20 Wochenstunden hatte, würde dies nach den unter 2. dargestellten Grundsätzen dem Betriebsausgabenabzug nicht entgegenstehen. Sollte das FG hingegen feststellen, dass M tatsächlich weniger Arbeitsstunden geleistet hat als es ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung entsprach, wäre eine Hauptleistungspflicht des Arbeitsvertrags nicht entsprechend der Vereinbarung durchgeführt worden. Das FG hätte daraus –je nach dem Schweregrad des Mangels der Vertragsdurchführung– die entsprechenden Schlüsse für die ertragsteuerrechtliche Würdigung zu ziehen. Sollte der Umfang der von M erbrachten Arbeitsleistungen nicht aufklärbar sein, hätte der Kläger, der die Feststellungslast für den Betriebsausgabenabzug trägt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 919, unter 3.), mit seinen Arbeitnehmern aber nicht die Führung von Arbeitszeitnachweisen vereinbart hat, die Folgen der Unaufklärbarkeit zu tragen.
55
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat –insoweit ohne die rechtliche Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO– auf die folgenden Gesichtspunkte hin:
56
a) Das FG hat die Höhe der durch das FA vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossenen Beträge für die Streitjahre 2005 und 2006 im Tatbestand seines Urteils unzutreffend wiedergegeben. Ausweislich der Mehr-Weniger-Rechnung des Betriebsprüfers (Anlage 6 zum Betriebsprüfungsbericht), die Grundlage für die angefochtenen Bescheide war, wurde Lohnaufwand in Höhe von 12.110 EUR (2005) bzw. 14.919,93 EUR (2006) nicht als Betriebsausgabe anerkannt. Demgegenüber beziehen sich die vom FG genannten Beträge von 8.335,20 EUR (2005) bzw. 9.234,00 EUR (2006) lediglich auf die Nettolöhne (vgl. Tz. 1.5 des Betriebsprüfungsberichts); das FA hat aber auch für die vom Kläger für V und M geleisteten Sozialversicherungsbeiträge und Abzugssteuern den Betriebsausgabenabzug versagt.
57
Im zweiten Rechtsgang wird das ursprüngliche Klageverfahren, das noch nicht abgeschlossen war, fortgesetzt (BFH-Urteile vom 18. Februar 1997 IX R 63/95, BFHE 182, 287, BStBl II 1997, 409, unter 2., und vom 16. Mai 2007 II R 36/05, BFH/NV 2007, 1827, unter II.5.). Daher kann ein Klageantrag im zweiten Rechtsgang unter denselben Voraussetzungen erweitert werden, die für eine Erweiterung des Klageantrags im ersten Rechtsgang gelten.
58
b) Für 2007 hat das FG –auf der Grundlage der von ihm vorgenommenen rechtlichen Beurteilung folgerichtig– keine Feststellungen zur tatsächlichen Höhe der auf V und M entfallenden Lohnaufwendungen des Klägers getroffen. Der vom FA für 2007 hinzugerechnete Betrag von 14.919,93 EUR beruht auf einer Schätzung des FA nach den Verhältnissen des Vorjahres 2006, da die Prozessbevollmächtigte des Klägers auf Nachfrage des FA nicht bereit war, die tatsächlichen Lohnaufwendungen des Jahres 2007 zu nennen. Das FG wird den Kläger daher erneut zur Mitwirkung auffordern und aus einer weiteren Verweigerung der Mitwirkung ggf. Schlüsse zum Nachteil des Klägers ziehen können (vgl. Senatsurteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).
59
c) Nicht durch den Akteninhalt getragen wird auch die Feststellung des FG, der Kläger sei lediglich von einer einzigen weiteren –familienfremden– Bürokraft „gelegentlich“ unterstützt worden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Lohnjournale wurden vielmehr mehrere familienfremde Mitarbeiterinnen beschäftigt. So bestanden im Jahr 2005 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse mit Frau N und Frau E, im Jahr 2006 mit Frau S. Zudem stellte der Kläger zum 1. August 2006 Frau T als Auszubildende ein; dieses Ausbildungsverhältnis unterlag der regulären Sozialversicherungspflicht.
60
Für das Jahr 2007 beliefen sich die betrieblichen Lohnkosten ausweislich der Gewinn- und Verlustrechnung auf 43.882,79 EUR (Summe der Positionen „Löhne und Gehälter“, „Aushilfslöhne und Pauschalsteuer“ sowie „gesetzliche Sozialversicherung“). Wenn man die nach der Schätzung des FA auf M und V entfallenden Beträge (Arbeitgeberaufwand brutto insgesamt 14.919,93 EUR) abzieht, entfällt der verbleibende Betrag von 28.962,86 EUR auf Arbeitsverhältnisse mit fremden Dritten. Da dieser Betrag nicht allein mit den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und dem Ausbildungsverhältnis erklärt werden kann, muss der Kläger zumindest ein weiteres sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis begründet haben.
61
Im Hinblick auf das damit aufgezeigte Bestehen weiterer Arbeitsverhältnisse kann das FG erneut prüfen, ob in Bezug auf die unterbliebene Aufzeichnung der Arbeitsstunden ein betriebsinterner Fremdvergleich möglich ist.

 

Pflicht zur Abgabe der Anlage EÜR

 Leitsatz

1. § 60 Abs. 4 EStDV stellt eine wirksame Rechtsgrundlage für die Pflicht zur Abgabe der Anlage EÜR dar.

2. Wird eine Rechtsverordnung durch den Parlamentsgesetzgeber geändert, braucht das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG nicht befolgt zu werden.

3. Die Aufforderung zur Einreichung der Anlage EÜR ist ein anfechtbarer Verwaltungsakt.

4. Weder durch § 60 Abs. 4 EStDV noch durch die Anlage EÜR wird eine neue Form der Gewinnermittlung eingeführt.

5. Die in § 60 Abs. 4 EStDV enthaltene Pflicht zur Beifügung einer Gewinnermittlung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck ist verhältnismäßig; sie ist insbesondere zur Erreichung der verfolgten Zwecke (Gleichmäßigkeit der Besteuerung, Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens) geeignet.

 Gesetze

GG Art. 80 Abs. 1
EStG § 4 Abs. 3
EStG § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
EStDV § 60 Abs. 4
AO § 118

 Instanzenzug

FG Münster vom 17. Dezember 2008 6 K 2187/08 (EFG 2009, 818 )BFH X R 18/09

 Gründe

A.

[1 ] Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt eine Schmiede als gewerbliches Einzelunternehmen. Er ermittelt seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. In seiner Erklärung zur gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr 2006 wies er ausdrücklich darauf hin, dass er die Anlage EÜR nicht beigefügt habe, weil nach seiner Auffassung keine wirksame gesetzliche Grundlage für die Verpflichtung zur Einreichung dieses Vordrucks existiere. Stattdessen reichte er eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung ein, die er unter Anwendung der DATEV-Software erstellt hatte.

[2 ] Mit Bescheid vom 15. Februar 2008 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) den Gewinn aus Gewerbebetrieb erklärungsgemäß auf 27.303 € fest. Die Feststellung erging nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. In einer Anlage zum Bescheid bat das FA um Nachreichung der Anlage EÜR innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Bescheids. In der Rechtsmittelbelehrung ist lediglich von der Möglichkeit eines Einspruchs gegen den Gewinnfeststellungsbescheid die Rede. Mit Schreiben vom 18. März 2008 erinnerte das FA den Kläger an die Abgabe der Anlage EÜR.

[3 ] Am 27. März 2008 legte der Kläger Einspruch gegen die Erinnerung vom 18. März 2008 ein. Auf Hinweis des FA erweiterte er seinen Einspruch am 28. April 2008 auch auf die Aufforderung vom 15. Februar 2008. Er vertrat die Auffassung, die Aufforderung habe keine Rechtsgrundlage, da § 60 Abs. 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) unwirksam sei. Die in der DATEV-Gliederung eingereichte Gewinnermittlung enthalte wesentlich detailliertere Informationen als die Anlage EÜR, so dass nicht erkennbar sei, welcher Vorteil für die Finanzverwaltung mit der Anlage EÜR verbunden sei. Der Aufwand für das Umrechnen der vorhandenen Daten in die Gliederung der Anlage EÜR sei unverhältnismäßig. Zur Überführung der DATEV-Gliederung in die Gliederung der Anlage EÜR sei die Einrichtung von 60 neuen Konten erforderlich.

[4 ] Das FA verwarf den Einspruch gegen die Erinnerung vom 18. März 2008 als unzulässig, weil es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt habe. Den Einspruch gegen die Aufforderung vom 15. Februar 2008 hielt es hingegen für zulässig, insbesondere für fristgerecht erhoben. Denn mangels eigenständiger Rechtsbehelfsbelehrung sei die Jahresfrist des § 356 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) anzuwenden. Der Einspruch sei aber unbegründet, weil § 60 Abs. 4 EStDV wirksam sei und der Finanzverwaltung keinen Ermessensspielraum belasse.

[5 ] Die Klage —die der Kläger im Verlauf des Verfahrens auf die Aufforderung vom 15. Februar 2008 beschränkt hat— hatte Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2009, 818 ). Das Finanzgericht (FG) hielt § 60 Abs. 4 EStDV für unwirksam, weil diese Vorschrift sich nicht im Rahmen ihrer Ermächtigungsgrundlage halte. Zum einen führe die Anlage EÜR nicht zu der von § 51 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorausgesetzten Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens. Denn bei allen Steuerpflichtigen, die ihre Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach anderen Gliederungsstandards erstellten, entstehe ein Mehraufwand.

[6 ] Zum anderen werde auch der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG alternativ vorgesehene Verordnungszweck der Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung durch die Anlage EÜR nicht erfüllt. Zwar dienten die durch die Anlage EÜR ermöglichten maschinellen Abgleiche und Plausibilitätsprüfungen durchaus der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie seien Teil des zulässigen Konzepts eines maßvollen Gesetzesvollzugs einschließlich eines Risikomanagements, von dem die meisten Steuerpflichtigen profitieren würden. Auch sei der Aufwand der Steuerpflichtigen für das Ausfüllen der Anlage EÜR vernachlässigbar, weil zu erwarten sei, dass die meisten Steuerpflichtigen ihre Aufzeichnungen an die Anlage EÜR anpassen und gewerbliche Softwareanbieter ihre Systeme entsprechend angleichen würden. Zudem seien durch dasselbe Gesetz, mit dem § 60 Abs. 4 EStDV angefügt worden sei, die Buchführungsgrenzen erheblich angehoben worden, so dass zahlreiche Steuerpflichtige aus der —nur mit wesentlich größerem Aufwand zu erfüllenden— Buchführungspflicht herausgefallen seien. Gleichwohl diene § 60 Abs. 4 EStDV nicht der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil die Anlage EÜR die von ihr betroffenen Steuerpflichtigen benachteilige, indem die Kontrolldichte im Vergleich zu Land- und Forstwirten sowie zu Bilanzierenden erhöht werde. Denn für die zuletzt genannten Personenkreise seien im Streitjahr 2006 noch keine rechnergestützten Plausibilitätskontrollen vorgesehen gewesen.

[7 ] In jedem Fall hätte aber die in § 60 Abs. 4 EStDV getroffene Anordnung eines Parlamentsgesetzes bedurft. Denn zuvor seien für die Fälle des § 4 Abs. 3 EStG weder bestimmte Formen der Gewinnermittlung noch allgemeine Aufzeichnungspflichten vorgeschrieben gewesen. Die nunmehr vorgesehene Form der Einnahmen-Überschuss-Rechnung entspreche von ihrem Sinngehalt her der Verpflichtung zur Erstellung von Bilanzen, die aber auf einem formellen Gesetz (Handelsgesetzbuch ) beruhe.

[8 ] Mit seiner Revision bringt das FA vor, die Befugnis zur Einführung der Anlage EÜR folge —ohne Notwendigkeit der Heranziehung des § 60 Abs. 4 EStDV — bereits aus § 51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. c EStG in der im Streitjahr 2006 geltenden Fassung (Ermächtigung, die Vordrucke für die Erklärungen zur Einkommensbesteuerung zu bestimmen; ab 2009 § 51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. b EStG ). Hilfsweise seien aber auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG erfüllt. Die Anlage EÜR diene der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens. Das FG habe übersehen, dass die Prüfung sich nicht allein an den Verhältnissen eines einzelnen Steuerpflichtigen orientieren dürfe, sondern auch solche Vereinfachungswirkungen einbeziehen müsse, die sich für die Finanzverwaltung und die Gesamtheit der Steuerpflichtigen ergäben.

[9 ] Daneben diene die Anlage EÜR auch der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Im Gegensatz zur Auffassung des FG gelte die Regelung des § 60 Abs. 4 EStDV uneingeschränkt auch für Land- und Forstwirte. Die Nichtanwendung auf bilanzierende Steuerpflichtige stelle keine relevante Ungleichbehandlung dar. Zum einen würden diese Personen —je nach Betriebsgröße— in erheblich kürzeren Zeitabständen als Überschussrechner der Außenprüfung unterliegen und schon auf diesem Wege intensiv geprüft. Zum anderen habe der Gesetzgeber seit Einführung des § 60 Abs. 4 EStDV das Ziel verfolgt, bei allen Formen der Gewinnermittlung die Standardisierung zu erhöhen. Dieses Vorhaben sei zwischenzeitlich durch § 5b EStG verwirklicht worden. Die —vom FG geforderte— gleichzeitige Umsetzung mehrerer derartiger EDV-technischer Großprojekte würde die Kapazitäten sowohl der Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtigen und ihrer Berater überfordern.

[10 ] Die Einführung der Anlage EÜR sei nicht dem Parlamentsgesetzgeber vorbehalten gewesen. Der Charakter der in § 4 Abs. 3 EStG vorgesehenen Gewinnermittlungsart ändere sich durch die Vorgabe eines bestimmten Gliederungsschemas nicht.

[11 ] Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

[12 ] Das dem Revisionsverfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) unterstützt das Vorbringen des FA, stellt aber keinen Antrag.

[13 ] Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

[14 ] Er bezieht sich im Wesentlichen auf die Entscheidung der Vorinstanz, die seine Argumentation übernommen habe. Ergänzend behauptet er, die Finanzverwaltung fordere in vielen Fällen zusätzlich zur gesetzlichen Anlage EÜR noch eine ausführliche Kontenaufgliederung nach dem DATEV-System nach. Daher sei eine Vereinfachungswirkung nicht erkennbar. Die Anlage EÜR sei weder für die betriebswirtschaftliche Information des Steuerpflichtigen selbst noch für die Vorlage bei Banken, Mitgesellschaftern, „shareholdern” oder „stakeholdern” geeignet. Für die Erstellung der Anlage EÜR genüge eine bloße Umstellung der verwendeten Software nicht; vielmehr müssten bereits die Geschäftsvorfälle in anderer und aufwändigerer Weise „verbucht” werden. Die Finanzverwaltung sollte besser die Daten der DATEV elektronisch übernehmen und auf Plausibilität prüfen.

B.

[15 ] Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO —).

[16 ] I. Die Klage war zulässig und als Anfechtungsklage statthaft. Insbesondere handelt es sich bei der in der Anlage zum Feststellungsbescheid vom 15. Februar 2008 enthaltenen Aufforderung, die Anlage EÜR innerhalb von vier Wochen nachzureichen, um einen anfechtbaren Verwaltungsakt.

[17 ] In Teilen der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur wird der Regelungsgehalt einer Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung bzw. zur Einreichung bestimmter Unterlagen —und damit das Vorliegen eines Verwaltungsaktes— verneint, wenn sich die Steuererklärungspflicht bzw. die Pflicht zur Beifügung bestimmter Unterlagen als solche bereits aus dem Gesetz ergibt (FG München, Beschluss vom 10. April 1995 1 V 2335/94 , EFG 1995, 752 , rkr.; Söhn in Hübschmann/ Hepp/Spitaler —HHSp—, § 118 AO Rz 543, Stand Juni 2006). Dies wäre vorliegend angesichts der Vorschrift des § 60 Abs. 4 EStDV —dessen Wirksamkeit unterstellt— der Fall.

[18 ] Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt indes auch eine gesetzeskonkretisierende Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen, die der Steuererklärung beizufügen sind, einen Verwaltungsakt dar (Beschluss des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 22. Dezember 1993 I B 59/93 , nicht veröffentlicht, juris, unter 3.a, betr. Beifügung der Bilanz i.S. des § 60 Abs. 1 EStDV ). Denn das für die Unterscheidung zwischen einem Verwaltungsakt und einer bloßen Vorbereitungshandlung entscheidende Kriterium ist im Steuerrecht die Erzwingbarkeit der Maßnahme nach den Vorschriften der §§ 328 ff. AO (BFH-Urteil vom 10. November 1998 VIII R 3/98 , BFHE 187, 386 , BStBl II 1999, 199, unter 1.a; kritisch Söhn in HHSp, § 118 AO Rz 179 ff.). Erzwingbar sind gemäß §§ 328 ff. AO aber allein Verwaltungsakte. Die abstrakte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen oder zur Beifügung bestimmter Unterlagen kann daher nicht bereits als solche mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden; sie bedarf vielmehr einer Konkretisierung und Individualisierung durch einen Verwaltungsakt, der erst die Grundlage für den Einsatz von Zwangsmitteln darstellen kann.

[19 ] Die bloße Erinnerung an die Befolgung einer früheren Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen zur Steuererklärung stellt hingegen mangels Regelungsgehalts keinen Verwaltungsakt dar (BFH-Urteil vom 2. Juli 1997 I R 45/96 , BFH/NV 1998, 14 ; anders möglicherweise BFH-Urteil vom 11. Oktober 1989 I R 101/87 , BFHE 159, 98 , BStBl II 1990, 280, unter II.A.1.).

[20 ] Zu Recht haben FA und FG die Einspruchsfrist als gewahrt angesehen, da die Rechtsbehelfsbelehrung unvollständig war. Weil dies zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sieht der Senat insoweit von weiteren Ausführungen ab.

[21 ] II. Die Aufforderung des FA an den Kläger, die Anlage EÜR nachzureichen, ist rechtmäßig. Dieses Verlangen beruht auf einer wirksamen Rechtsgrundlage (dazu unten 1.) und ist auch im Übrigen zu Recht ergangen (dazu unten 2.).

[22 ] 1. Rechtsgrundlage für die an den Kläger gerichtete Aufforderung ist § 60 Abs. 4 EStDV . Danach ist der Steuererklärung eine Gewinnermittlung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beizufügen, wenn der Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG durch den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelt wird. Den Steuererklärungen müssen die Unterlagen beigefügt werden, die nach den Steuergesetzen —zu denen auch der im Range einer Rechtsverordnung stehende § 60 Abs. 4 EStDV gehört— vorzulegen sind (§ 150 Abs. 4 Satz 1 AO ).

[23 ] Die Vorschrift des § 60 Abs. 4 EStDV beruht auf einer Ermächtigungsgrundlage, die ihrerseits verfassungsgemäß ist (unten a). Auch die Rechtsverordnung ist formell (dazu unten b) und materiell (unten c) verfassungsgemäß.

[24 ] a) Formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für § 60 Abs. 4 EStDV ist die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG . Danach wird die Bundesregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung des EStG Rechtsverordnungen zu erlassen, soweit dies zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung…oder zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens erforderlich ist, und zwar u.a. über die den Einkommensteuererklärungen beizufügenden Unterlagen.

[25 ] aa) Die genannte Norm enthält i.S. von Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG ) eine hinreichende Bestimmung von Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung. Inhalt der Ermächtigung ist die Festlegung der den Einkommensteuererklärungen beizufügenden Unterlagen. Ihr Zweck liegt in der Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung oder der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens. Das Ausmaß der Ermächtigung wird zwar in § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht ausdrücklich genannt; die Grenzen der Ermächtigung lassen sich insoweit aber ihrem Inhalt und Zweck entnehmen. Danach geht das Ausmaß der Ermächtigung hier nicht über das zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung oder der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens Erforderliche hinaus.

[26 ] bb) Sonstige Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage sind weder vom FG noch den Beteiligten vorgebracht worden noch sonst ersichtlich.

[27 ] b) § 60 Abs. 4 EStDV ist —was weder vom FG noch von den Beteiligten angesprochen worden ist— formell verfassungsgemäß. Weder der Normerlass durch einen nicht in Art. 80 Abs. 1 GG genannten Normgeber (dazu unten aa) noch die —entgegen Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG — unterbliebene Zitierung der Ermächtigungsgrundlage (dazu unten bb) führen zur Annahme eines durchgreifenden formellen Mangels. Der Bundesrat hat zugestimmt (unten cc).

[28 ] aa) Die Rechtsverordnung ist insoweit zwar nicht durch einen der in Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 4 GG genannten exekutivischen Normgeber erlassen worden, sondern durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst. Ein solches Verfahren ist aber nicht generell unzulässig. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13. September 2005 2 BvF 2/03 (BVerfGE 114, 196 , unter C.II.2.) Bezug.

[29 ] Die vom BVerfG (in BVerfGE 114, 196 , unter C.II.2.c) genannten einschränkenden Voraussetzungen sind vorliegend gegeben: So darf der Parlamentsgesetzgeber eine Verordnung nur ändern, wenn es sich um eine Anpassung handelt, die im Rahmen der —anderweitigen— Änderung eines Sachbereichs durch den Gesetzgeber liegt. Dies ist hier der Fall, da mit dem Kleinunternehmerförderungsgesetz (im Folgenden: KleinUntFördG) vom 31. Juli 2003 (BGBl I 2003, 1550 ) an mehreren Stellen im formellen Gesetz (EStG , UStG , AO ) Änderungen in Bezug auf Kleinunternehmer, insbesondere Erleichterungen bei den Buchführungspflichten, vorgenommen worden sind. Das Verfahren nach Art. 76 ff. GG ist eingehalten worden. Zwar ist auch der parlamentarische Gesetzgeber, der  selbst  eine Verordnung ändert, an die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage gebunden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 196 , unter C.II.2.c cc). Diese Grenzen sind aber beachtet worden (unten c aa).

[30 ] bb) Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG ist in der Verordnung allerdings die Rechtsgrundlage (Ermächtigungsgrundlage) anzugeben. Dieses Zitiergebot ist bei der Anfügung des § 60 Abs. 4 EStDV durch das KleinUntFördG nicht beachtet worden. Seine Einhaltung ist bei Verordnungen, die durch den Parlamentsgesetzgeber erlassen werden, indes entbehrlich.

[31 ] Zweck des Zitiergebots ist es, die Delegation von Rechtsetzungskompetenzen auf die Exekutive in ihren gesetzlichen Grundlagen verständlich und kontrollierbar zu machen. Es soll die Feststellung ermöglichen, ob der Verordnungsgeber beim Erlass der Regelungen von einer gesetzlichen Ermächtigung überhaupt hat Gebrauch machen wollen. Die Exekutive muss sich selbst durch Angabe der von ihr in Anspruch genommenen Ermächtigungsgrundlage des ihr aufgegebenen Normsetzungsprogramms vergewissern und hat sich auf dieses zu beschränken. Daneben dient Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG der Offenlegung des Ermächtigungsrahmens gegenüber dem Adressaten der Verordnung, dem die Kontrolle ermöglicht werden soll, ob die Verordnung mit dem ermächtigenden Gesetz übereinstimmt (zum Ganzen BVerfG-Urteil vom 6. Juli 1999 2 BvF 3/90 , BVerfGE 101, 1 , unter D.I.1.).

[32 ] Zumindest die erstgenannten Zwecke des Zitiergebots sind bei Rechtsverordnungen, die nicht durch die Exekutive, sondern im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 76 ff. GG erlassen werden, allenfalls von abgeschwächter Bedeutung. Denn einer Vergewisserung der Exekutive über den ihr zustehenden, beschränkten Normsetzungsrahmen bedarf es nicht, wenn die Normsetzung gar nicht durch die Exekutive erfolgt.

[33 ] Soweit in der Literatur darüber hinaus angeführt wird, das Zitiergebot diene auch der erleichterten Abgrenzung zwischen den Handlungsformen der Rechtsverordnung einerseits und der Verwaltungsvorschrift andererseits (Brenner, in v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG , 6. Aufl., Art. 80 Rz 48), hat dieser Gesichtspunkt bei solchen Verordnungen, die im parlamentarischen Verfahren erlassen werden, erkennbar keine Bedeutung.

[34 ] Nach Auffassung des Senats kann dann allein der vom BVerfG ergänzend genannte Gesichtspunkt der verbesserten Möglichkeit einer Kontrolle durch die Adressaten ein formales Festhalten am Zitiergebot bei Verordnungen, die wie ein Parlamentsgesetz erlassen werden, nicht rechtfertigen. Entsprechend hat das BVerfG zur —parallelen— Frage der Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates zu Rechtsverordnungen entschieden, dass eine Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon dann besteht, wenn die Rechtsverordnung aufgrund eines Bundesgesetzes erlassen wird, das seinerseits der Zustimmung des Bundesrates bedarf (so Art. 80 Abs. 2 Alternative 4 GG ), sondern sich dies allein nach den Regeln für die Zustimmungsbedürftigkeit  förmlicher  Gesetze beurteilt (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 196 , unter C.I.3.c, C.II.2.c dd).

[35 ] Der Senat sieht sich in seiner Auffassung dadurch bestärkt, dass das BVerfG die Anfügung von § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 6 der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) durch das Beitragssatzsicherungsgesetz vom 23. Dezember 2002 (BGBl I 2002, 4637 ) trotz einer intensiven Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit dieser Verordnung nicht beanstandet hat, obwohl in dem genannten Änderungsgesetz die formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Ergänzung der BPflV —ebenso wie bei der Anfügung des § 60 Abs. 4 EStDV durch das KleinUntFördG— nicht angegeben worden ist (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 114, 196 , insbesondere die detaillierten Vorgaben zu dem vom Parlamentsgesetzgeber bei Änderungen von Rechtsverordnungen einzuhaltenden Verfahren unter C.II.2.c aa-ee der genannten Entscheidung, in denen von der Notwendigkeit einer Beachtung des Zitiergebots nicht die Rede ist; ebenso im Ergebnis Seiler, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff —KSM—, EStG , § 51 Rz B 152; siehe auch Bauer in Dreier, Grundgesetz -Kommentar, 2. Aufl., Art. 80 Rz 50). Im Sondervotum zweier Richter zu der genannten Entscheidung (BVerfGE 114, 196 , 250 , unter 3.b am Ende) wird die fehlende Anwendung des Zitiergebots als „inkonsequent” gerügt, was im Umkehrschluss zeigt, dass die Entscheidung der Senatsmehrheit des BVerfG auf einer bewussten Nichtanwendung des Zitiergebots auf Rechtsverordnungen, die im parlamentarischen Verfahren erlassen werden, beruht.

[36 ] cc) Der Bundesrat hat zugestimmt; die Notwendigkeit der Zustimmung beruht nach den unter bb dargestellten Grundsätzen zwar nicht auf Art. 80 Abs. 2 Alternative 4 GG , wohl aber auf Art. 105 Abs. 3 i.V.m. Art. 106 Abs. 3 GG .

[37 ] c) § 60 Abs. 4 EStDV ist auch materiell verfassungsgemäß. Die Vorschrift hält sich innerhalb des durch die Ermächtigungsgrundlage gezogenen Rahmens (unten aa). Sie wahrt die Anforderungen sowohl des Parlamentsvorbehalts (unten bb) als auch des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (unten cc).

[38 ] aa) Die in § 60 Abs. 4 EStDV getroffene Anordnung überschreitet nicht den durch ihre formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gezogenen Rahmen.

[39 ] (1) Grundvoraussetzung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist, dass die aufgrund dieser Vorschrift zu erlassenden Rechtsverordnungen „zur Durchführung dieses Gesetzes” dienen. Dies ist bei der Pflicht zur Abgabe der Anlage EÜR, einer standardisierten Form der in § 4 Abs. 3 EStG vorgesehenen vereinfachten Gewinnermittlung, der Fall.

[40 ] (2) Rechtsverordnungen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG können erlassen werden, wenn dies zur Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung erforderlich ist. Dies trifft auf die in § 60 Abs. 4 EStDV getroffene Anordnung zu.

[41 ] (a) Bereits das FG hat —jedenfalls als Ausgangspunkt seiner Überlegungen— ausgeführt, die durch die Anlage EÜR ermöglichten maschinellen Abgleiche und Plausibilitätsprüfungen dienten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Dem tritt der Senat bei. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass durch routinemäßige maschinelle Abgleiche und Plausibilitätsprüfungen in steuerlichen Massenverfahren eine wesentlich höhere Kontrolldichte erreicht werden kann als durch eine rein personelle Bearbeitung der Gewinnermittlungen. Die Erhöhung der Kontrolldichte dient aber der Gleichmäßigkeit der Besteuerung.

[42 ] (b) Soweit das FG im Ergebnis gleichwohl zu dem Schluss gekommen ist, die Einführung der Anlage EÜR diene nicht der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

[43 ] (aa) Das FG hat seine Auffassung zum einen damit begründet, dass Land- und Forstwirte die Anlage EÜR nicht ausfüllen müssten und § 60 Abs. 4 EStDV insoweit nicht zur Herstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, sondern zu einer stärkeren Ungleichbehandlung zwischen den Steuerpflichtigen führe. Dies erweist sich bereits im Ansatz als unzutreffend. Denn § 60 Abs. 4 EStDV enthält die vom FG angenommene Ausnahme für Land- und Forstwirte nicht. Vielmehr hat nach dem klaren Wortlaut dieser Norm jeder Steuerpflichtige, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, der Steuererklärung eine Gewinnermittlung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beizufügen. Hierunter fallen auch Land- und Forstwirte, die ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln.

[44 ] (bb) Des Weiteren hat das FG angenommen, auch die im Vergleich zu bilanzierenden Steuerpflichtigen ermöglichte höhere Kontrolldichte führe zu Ungleichbehandlungen, die die Anwendbarkeit der Ermächtigungsgrundlage „Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung” ausschließe. Dieser Erwägung folgt der Senat ebenfalls nicht.

[45 ] Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der im Streitjahr 2006 geltenden Rechtslage nur um eine Momentaufnahme im Rahmen eines grundlegenden, einen längeren Zeitraum beanspruchenden Umstellungsprozesses in der —insoweit rechtlich determinierten— Arbeitsweise der Finanzverwaltung handelt. Vor 2005 konnten nur die Einzelangaben von Arbeitnehmern zu ihren Werbungskosten durch die entsprechende Aufgliederung der Steuererklärungsvordrucke und die Zuweisung individueller Kennziffern für die maschinelle Verarbeitung („Verkennzifferung”) einer automatisierten Plausibilitätskontrolle unterzogen werden. Diese Möglichkeit wurde ab 2005 durch die im vorliegenden Verfahren auf ihre Wirksamkeit zu prüfende Regelung des § 60 Abs. 4 EStDV auch auf Steuerpflichtige ausgedehnt, die Gewinneinkünfte erzielen und diese durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln. Durch das Steuerbürokratieabbaugesetz vom 20. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2850 ) ist dann die Vorschrift des § 5b EStG eingefügt worden, die auch in Fällen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 , § 5 EStG die Übermittlung des Inhalts der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz anordnet. Ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung des § 5b EStG (vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 28. September 2011 , BStBl I 2011, 855, Rz 7, 26, 27: grundsätzlich für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2011 beginnen) wird daher auch bei bilanzierenden Steuerpflichtigen ein maschineller Abgleich möglich sein. Diese Änderung wird wiederum Rückwirkungen auf das Veranlagungsverfahren in Fällen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung haben: Denn ebenfalls durch das Steuerbürokratieabbaugesetz ist § 60 Abs. 4 EStDV —mit Wirkung ab dem 1. Januar 2011 (vgl. § 84 Abs. 3d EStDV )— dahingehend geändert worden, dass die Anlage EÜR grundsätzlich in Form eines amtlich vorgeschriebenen Datensatzes durch Datenfernübertragung zu übermitteln ist.

[46 ] Dass der Gesetzgeber die Umstellung auf maschinell unterstützte Formen der Veranlagung nicht bei allen Einkunfts- und Gewinnermittlungsarten gleichzeitig durchführt, erweist sich bei einer am Gleichheitssatz orientierten Betrachtung —die auch die Vielgestaltigkeit der hinter der Einkunfts- und Gewinnermittlung stehenden Lebenssachverhalte einbeziehen muss— als sachgerecht. Bei Arbeitnehmern lassen sich die Werbungskosten einer relativ geringen Zahl von Fallgruppen (Kennziffern) zuordnen. Zudem ist die Zahl der zu veranlagenden Arbeitnehmer erheblich höher als diejenige der Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften, so dass das Bedürfnis nach maschineller Unterstützung im Veranlagungsverfahren hier wesentlich dringender war. Dass der Gesetzgeber als nächsten Schritt der Rationalisierung der Veranlagungsarbeiten noch nicht bei der Standardisierung der Bilanzen —der „Königsdisziplin” der Gewinnermittlung— angesetzt hat, sondern bei der wesentlich einfacher strukturierten Einnahmen-Überschuss-Rechnung, erweist sich nicht nur als zulässig, sondern geradezu als geboten: Während die Anlage EÜR des Streitjahrs 2006 aus lediglich 56 Zeilen besteht —und damit den Umfang der Anlage N nicht wesentlich überschreitet—, enthält das für § 5b EStG vorgesehene Datenschema der Taxonomie bereits im Stammdaten-Modul 56 Felder und im Jahresabschluss-Modul zusätzlich 458 Zeilen mit maximal 550 Feldern (vgl. DATEV-Lexinform-Dokument 5228358). Die in Form einer Excel-Tabelle veröffentlichte Taxonomie (www.esteuer.de/ schnittstellen) umfasst nahezu 600 Druckseiten. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, dass der Gesetzgeber zunächst die Erfahrungen abgewartet hat, die die Finanzverwaltung, die Steuerpflichtigen und ihre Berater mit dem —wesentlich einfacheren— Vordruck der Anlage EÜR sammeln, bevor er das erheblich komplexere Vorhaben einer Standardisierung und „Verkennzifferung” der Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen in Angriff nimmt.

[47 ] In jedem Fall ist erkennbar, dass der Gesetzgeber für alle Einkunfts- und Gewinnermittlungsarten einen stärkeren Einsatz maschineller Kontrollmöglichkeiten anstrebt. Eine zeitgleiche Umstellung für sämtliche Lebenssachverhalte wird von Verfassungs wegen nicht gefordert. Der mit einer solchen zeitgleichen Umstellung verbundene, geballt anfallende Organisationsaufwand wäre zudem —wie das FA zu Recht ausführt— weder den steuerberatenden Berufen noch der Finanzverwaltung zuzumuten.

[48 ] Das FG hat nicht festgestellt, dass die Anlage EÜR bereits in der Übergangs- und Erprobungszeit bis zum Inkrafttreten des § 5b EStG tatsächlich zu einer derart erhöhten Kontrolldichte bei Steuerpflichtigen mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG geführt hätte, die im Vergleich mit der Kontrolldichte bei bilanzierenden Steuerpflichtigen einer Prüfung am Maßstab des Gleichheitssatzes nicht mehr standhielte. Für einen solchen Befund ist auch sonst nichts ersichtlich.

[49 ] Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass Gewerbetreibende, die —wie der Kläger— die Buchführungsgrenzen des § 141 AO nicht erreichen, nur in sehr großen zeitlichen Abständen einer Außenprüfung unterzogen werden und die Prüfung im Veranlagungsverfahren daher die einzige Möglichkeit ist, die Angaben in den Steuererklärungen der —verfassungsrechtlich gebotenen— Verifikation zu unterziehen. Demgegenüber unterliegen Steuerpflichtige, die die Buchführungsgrenzen des § 141 AO überschreiten und daher ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln, in kürzeren Zeitabständen der Außenprüfung. Zudem sind Buchführungspflichtige bereits seit 2002 verpflichtet, den Finanzbehörden im Rahmen von Außenprüfungen den Zugriff auf ihre Datenverarbeitungssysteme zu gewähren (§ 147 Abs. 6 AO ).

[50 ] (3) Auch wenn bereits die vorstehenden Ausführungen unter (2) die Vereinbarkeit des § 60 Abs. 4 EStDV mit seiner formell-gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage hinreichend zeigen, ist der Senat ergänzend der Auffassung, dass die zu prüfende Rechtsverordnung daneben auch auf den —ebenfalls in § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten— Gesichtspunkt der „Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens” gestützt werden kann.

[51 ] Das FG hat dies verneint. Dabei ist es —ohne weitere Begründung— davon ausgegangen, dass die Verfahrensvereinfachung ausschließlich den Steuerpflichtigen zugutekommen dürfe, eine Vereinfachung des Verfahrens auf Seiten der Finanzverwaltung hingegen nicht ausreiche.

[52 ] Für diese Auslegung des FG spricht nichts. Der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass die vom FG vorgenommene Beschränkung zutreffend sein könnte. Im Gegenteil folgt bereits aus dem Wortbestandteil „Verfahren” der eindeutige Hinweis darauf, dass —zumindest auch— Verfahrensvereinfachungen auf Seiten der Finanzverwaltung von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt sein sollten. Denn der Begriff des „Verfahrens” nimmt erkennbar die Terminologie des Dritten Teils (§§ 78-133) der AO auf, der mit „Allgemeine Verfahrensvorschriften” überschrieben ist. Die AO regelt aber unzweifelhaft allein das Verfahren der Finanzbehörden, nicht das Verfahren in Kanzleien der steuerberatenden Berufe oder bei einzelnen Steuerpflichtigen. Zum selben Ergebnis führt eine systematische Auslegung. Denn die anderen im Einleitungssatz des § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Verordnungszwecke (Wahrung der Gleichmäßigkeit bei der Besteuerung, Beseitigung von Unbilligkeiten in Härtefällen, Steuerfreistellung des Existenzminimums) sind entweder ausschließlich oder zumindest in erster Linie an die Finanzverwaltung gerichtet, nicht aber an die Steuerpflichtigen oder ihre Berater. Vor diesem Hintergrund spricht alles dafür, dass es sich bei dem Verordnungszweck „Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens” ebenso verhält.

[53 ] Dass durch eine standardisierte und zudem maschinell verarbeitungsfähige Form der Einnahmen-Überschuss-Rechnung auf Seiten der Finanzverwaltung eine erhebliche Verfahrensvereinfachung im Vergleich zur rein personellen Prüfung von Gewinnermittlungen, die auf einer Vielzahl unterschiedlicher Gliederungsschemata basieren, eintritt, liegt auf der Hand.

[54 ] Die —nicht näher begründete— Behauptung des Klägers, die Bedeutung der Anlage EÜR erschöpfe sich darin, den Steuerpflichtigen eine Arbeitshilfe anzubieten, wird durch die Gesetzesmaterialien widerlegt. Die Regierungsfraktionen haben die Anlage EÜR bei Einbringung des Gesetzentwurfs zum KleinUntFördG (BTDrucks 15/537, 10) zwar auch als Beitrag zur erleichterten Erfüllung der Erklärungs- und Auskunftspflichten des Steuerpflichtigen bezeichnet. Gleichrangig haben sie aber auf die Möglichkeiten der Finanzverwaltung hingewiesen, computerunterstützte Verprobungen und Abgleiche vorzunehmen, und dadurch die Veranlagungsarbeiten und Betriebsprüfungen ökonomischer und effizienter zu gestalten.

[55 ] Danach sind die Voraussetzungen auch dieses Verordnungszwecks erfüllt.

[56 ] (4) Schließlich begrenzt § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG den Inhalt der Rechtsverordnungen, die auf diese Ermächtigungsgrundlage gestützt werden, u.a. auf die Festlegung der „den Einkommensteuererklärungen beizufügenden Unterlagen”. Auch diese Voraussetzung ist erfüllt, da die Anlage EÜR —ebenso wie die in § 60 Abs. 1 EStDV genannte Bilanz— zu den der Einkommensteuererklärung beizufügenden Unterlagen gehört.

[57 ] bb) Die Grundsätze über den Parlamentsvorbehalt stehen der Wirksamkeit des § 60 Abs. 4 EStDV nicht entgegen.

[58 ] (1) Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet es, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber zu überlassen. Die Normierungspflicht betrifft sowohl die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt werden muss, als auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 1 , unter C.II.1.c vor aa, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; zur „Wesentlichkeitstheorie” siehe auch KSM/Seiler, a.a.O., § 51 Rz B 4 ff., Stand November 2000, mit zahlreichen Nachweisen).

[59 ] (2) Das FG hat zwar den rechtlichen Maßstab des Parlamentsvorbehalts nicht erwähnt, seine Einhaltung aber im Ergebnis verneint, indem es die Auffassung vertreten hat, § 60 Abs. 4 EStDV konstituiere eine besondere Form der Gewinnermittlung, deren Einführung dem Parlamentsgesetzgeber vorbehalten sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

[60 ] Weder durch § 60 Abs. 4 EStDV noch durch die Anlage EÜR wird eine neue Form der Gewinnermittlung eingeführt. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Konkretisierung und Standardisierung derjenigen Angaben, die die Steuerpflichtigen in Fällen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung bereits vor Inkrafttreten des § 60 Abs. 4 EStDV zu machen hatten.

[61 ] Unter den Parlamentsvorbehalt fällt im Steuerrecht jedenfalls die Festlegung der grundlegenden Merkmale wie Steuerschuldner, Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und Steuersatz (KSM/ Seiler, a.a.O., § 51 Rz B 31). Von derart grundrechtsrelevanten Regelungen ist die bloße Pflicht zur Beifügung eines bestimmten Vordrucks zur Steuererklärung weit entfernt. Dies gilt umso mehr, als die inhaltlichen Grundsätze der Einnahmen-Überschuss-Rechnung auf der formell-gesetzlichen Regelung des § 4 Abs. 3 EStG beruhen und durch § 60 Abs. 4 EStDV nicht angetastet werden.

[62 ] cc) Die in § 60 Abs. 4 EStDV enthaltene Pflicht zur Beifügung einer Gewinnermittlung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck erweist sich auch als verhältnismäßig.

[63 ] (1) Sie ist zur Erreichung der verfolgten, legitimen Zwecke (Gleichmäßigkeit der Besteuerung, Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens) geeignet.

[64 ] Gerade bei routinemäßig durchzuführenden Plausibilitätskontrollen solcher Angaben, die jährlich sowie bei einer größeren Anzahl von Steuerpflichtigen wiederkehren, zeigt sich der Vorteil einer maschinellen Prüfung im Vergleich zu einer rein personellen Bearbeitung. Letztere benötigt erheblich mehr Zeit und verursacht damit —bei gleichbleibenden Qualitätsanforderungen— entweder einen höheren Personalbedarf und damit höhere Verwaltungskosten oder führt —auf der Grundlage eines durch den Haushaltsgesetzgeber fest vorgegebenen Personalbestands— zu Arbeitsergebnissen von geringerer Qualität als sie mittels einer durch geeignete maschinelle Vorprüfungen unterstützten Veranlagung erzielt werden könnten.

[65 ] (2) Die in § 60 Abs. 4 EStDV getroffene Anordnung ist auch erforderlich. Ein milderes, zur Erreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks aber gleich geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich.

[66 ] Insbesondere wäre die vom Kläger vorgeschlagene Verwendung der DATEV-Daten durch die Finanzverwaltung kein gleich geeignetes Mittel. Denn dies würde, weil die Verwaltung nicht einen einzigen kommerziellen Software-Anbieter bevorzugen darf, aus Gleichbehandlungsgründen die Notwendigkeit mit sich bringen, ein Verfahren zu entwickeln, das auch für alle anderen Anbieter elektronischer Einnahmen-Überschuss-Rechnungen offen wäre. Die Notwendigkeit, zahllose private Gliederungs-Systematiken in das von der Finanzverwaltung vorgesehene Format umzuschlüsseln, würde aber einen unverhältnismäßigen Programmier-Mehraufwand auf Seiten der Finanzverwaltung auslösen.

[67 ] (3) Die gesetzliche Anordnung steht auch in angemessenem Verhältnis zu den mit ihr verfolgten Zwecken.

[68 ] (a) Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass es sich sowohl bei der Sicherstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG ) als auch bei der Gewährleistung einer effektiven, möglichst einfachen Verwaltung (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG ) um hochrangige Rechts- und Verfassungsgüter handelt. Die Standardisierung und maschinelle Bearbeitungsfähigkeit der Gewinnermittlung sind in besonderem Maße geeignet, die Verwirklichung der genannten Rechtsgüter zu fördern.

[69 ] (b) Auf der anderen Seite erweisen sich die Belastungen, die für den Kläger und andere Steuerpflichtige mit der Befolgung der in § 60 Abs. 4 EStDV enthaltenen Anordnung verbunden sind, als vergleichsweise gering. Das FG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass kommerzielle Softwareanbieter ihr System der Anlage EÜR angleichen oder zumindest automatisierte Umschlüsselungsfunktionen anbieten werden. Steuerpflichtige, die ihre Einnahmen-Überschuss-Rechnung manuell anfertigen, haben innerhalb der Umstellungsphase Gelegenheit, ihre Gliederung der Anlage EÜR anzupassen.

[70 ] Dass der mit der Beachtung des § 60 Abs. 4 EStDV verbundene Aufwand eher gering ist, zeigt gerade der Streitfall, in dem sich die vom Kläger eingereichte Gewinnermittlung problemlos in das durch die Anlage EÜR vorgegebene Gliederungsschema umschlüsseln lässt. Entgegen der —nicht näher substantiierten— Behauptung des Klägers benötigt man dazu nicht etwa 60 zusätzliche Konten, sondern kein einziges zusätzliches Konto. Im Einzelnen:

[71 ]

 

  Konten lt. DATEV-Gliederung Kläger   Zeile der Anlage EÜR
  „Erlöse 16% USt” (Konto 4400)   Zeile 5
  „Erlöse Sachanlageverkäufe 16% USt” (Konto 4845)   Zeile 9
  „Verwendung von Gegenständen 16% USt” (Konto 4640)   Zeile 10 oder 11
  „Umsatzsteuer 16%” (Konto 3805)   Zeile 7
  „Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, bezogene Waren” (Konten 5100-5800)   Zeile 16
  „Löhne und Gehälter soziale Aufwendungen” (Konten 6010-6120)   Zeile 18
  „Miete, Gas, Instandhaltung” (Konten 6310, 6325, 6335)   Zeile 30
  „Arbeitszimmer” (Konto 6311)   Zeile 29
  „Steuern, Versicherungen und Beiträge” (Konten 6400-6430)   Zeile 42
  „Kfz-Steuer, -Versicherung, -Kosten” (Konten 7685, 6522-6574)   Zeile 25
  „Geschenke abzugsfähig” (Konto 6610)   Zeile 34
  „Reisekosten AN” (Konto 6660)   Zeile 36
  „Reparatur / Instandhaltung” (Konto 6470)   Zeile 42
  „Werkzeuge und Kleingeräte” (Konto 6845)   Zeile 23
  „Abschreibungen auf Anlagevermögen” (Konten 6220-6222)   Zeile 21
  „Sofortabschreibung GWG” (Konto 6260)   Zeile 23
  „Sonstige betriebliche Aufwend.” (Konto 6300)   Zeile 42
  „Porto, Telefon, Bürobedarf” (Konten 6800-6815)   Zeile 39
  „Zeitschriften, Bücher” (Konto 6820)   Zeile 40
  „Rechts- und Beratungskosten, Buchführungskosten” (Konten 6825-6830)   Zeile 41
  „Sonstiger Betriebsbedarf, Nebenkosten Geldverkehr” (Konten 6850-6855)   Zeile 42
  „Abziehbare Vorsteuer” (Konten 1401-1405)   Zeile 43
  „Umsatzsteuer-Zahlungen” (Konten 3820-3845)   Zeile 44
  „Zinsen und ähnliche Aufwendungen” (Konten 7300-7642)   Zeile 32, 33

 

[72 ] Dieser Befund wird durch den Verlauf der Sachverständigenanhörung zum KleinUntFördG vom 9. April 2003 (Protokoll Nr. 15 des Finanzausschusses in der 15. Wahlperiode) unterstützt. In dem immerhin 38-seitigen Protokoll ist —vom Vertreter der Deutschen Steuer-Gewerkschaft abgesehen— keine einzige Stellungnahme zur verpflichtenden Einführung der Anlage EÜR enthalten.

[73 ] Gesetzgeber und Finanzverwaltung haben den betroffenen Steuerpflichtigen und ihren Beratern zudem einen hinreichenden Übergangszeitraum eingeräumt. So ist das KleinUntFördG, mit dem § 60 Abs. 4 EStDV eingefügt worden ist, am 8. August 2003 (BGBl I 2003, 1550 ) verkündet worden. Im Hinblick auf die Umstellungsschwierigkeiten auf Seiten der Steuerpflichtigen ist die erstmalige Anwendbarkeit dieser Neuregelung durch die 23. Verordnung zur Änderung der EStDV vom 29. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3884 ) vom Veranlagungszeitraum 2004 auf den Veranlagungszeitraum 2005 hinausgeschoben worden. Auch für den Veranlagungszeitraum 2005 beanstandet die Finanzverwaltung die Nichtabgabe der Anlage EÜR nicht, sofern eine im Übrigen ordnungsmäßige Gewinnermittlung eingereicht wird (Verfügung der Oberfinanzdirektion Münster, zitiert in BTDrucks 16/2184, 3). Die Steuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2006, für den die Finanzverwaltung die gesetzliche Pflicht zur Abgabe der Anlage EÜR erstmalig durchsetzt, war aber frühestens im Jahr 2007 —und damit mindestens vier Jahre nach Inkrafttreten des § 60 Abs. 4 EStDV — abzugeben.

[74 ] Auf die Kritik an dem ursprünglich vorgesehenen Vordruck der Anlage EÜR (eingeführt mit BMF-Schreiben vom 17. Oktober 2003 , BStBl I 2003, 502) hat die Finanzverwaltung reagiert, indem sie das Formular übersichtlicher gestaltet und —insbesondere bei den Betriebseinnahmen— einige Zeilen herausgenommen hat.

[75 ] Soweit der Kläger im Revisionsverfahren behauptet, die Finanzverwaltung fordere in vielen Fällen zusätzlich zur Anlage EÜR noch die DATEV-Kontenaufgliederung an, kann dieses —zudem unsubstantiierte— Vorbringen revisionsrechtlich schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil das FG hierzu keinerlei Feststellungen getroffen hat.

[76 ] (4) Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Gestaltung des Vordrucks der Anlage EÜR im Detail nicht durch § 60 Abs. 4 EStDV festgelegt wird, sondern in den eigenständigen Funktionsbereich der Exekutive fällt und keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt (zutreffend KSM/Seiler, a.a.O., § 51 Rz C 321). Dass auch der Gesetzgeber diese rechtliche Einschätzung teilt, folgt aus § 51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. c EStG 2006 (ab 2009: § 51 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. b EStG ), wonach das BMF zur Bestimmung der Vordrucke für die Erklärungen zur Einkommensbesteuerung ermächtigt wird. Diese Regelung stellt nicht etwa eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung dar, sondern die bloße Zuweisung einer Verwaltungskompetenz. Sie ist indes —entgegen der Auffassung des FA— im Streitfall nicht einschlägig, weil die Anlage EÜR nicht unmittelbar Teil der „Erklärung zur Einkommensbesteuerung” ist (dies wäre nur die Anlage GSE), sondern zu den „den Einkommensteuererklärungen beizufügenden Unterlagen” i.S. des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG gehört.

[77 ] Auch wenn die Anlage EÜR danach als solche keine Rechtsnormqualität hat und sich insbesondere nicht unmittelbar an § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG messen lassen muss, wird der Steuerpflichtige insoweit nicht schutzlos gestellt. Denn eine Aufforderung zur Ausfüllung und Abgabe eines Vordrucks wäre, soweit der Vordruck unzumutbare oder unter keinem steuerlichen Gesichtspunkt erforderliche Fragen enthält, unverhältnismäßig und damit nicht mehr von § 60 Abs. 4 EStDV gedeckt.

[78 ] d) Soweit der Kläger meint, § 60 Abs. 4 EStDV sei im Hinblick auf die Neufassung des § 84 Abs. 3d EStDV durch das Steuerbürokratieabbaugesetz (BGBl I 2008, 2850 ) für Veranlagungszeiträume vor 2011 nicht anwendbar, missversteht er diese Norm. Die Neufassung hat den folgenden Wortlaut: „§ 60 Abs. 1 und 4 in der Fassung des Artikels 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2850 ) ist erstmals für Wirtschaftsjahre (Gewinnermittlungszeiträume) anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2010 beginnen.” Diese Anwendungsregelung betrifft ersichtlich nur die durch das Steuerbürokratieabbaugesetz geänderte Fassung des § 60 Abs. 4 EStDV . Sie lässt indes die Anwendbarkeit der durch das KleinUntFördG eingeführten und für das Streitjahr 2006 geltenden Fassung des § 60 Abs. 4 EStDV unberührt.

[79 ] 2. Auch im konkreten Einzelfall ist die angefochtene Aufforderung des FA an den Kläger, die Anlage EÜR nachzureichen, zu Recht ergangen.

[80 ] Dass die Anlage EÜR für das Streitjahr 2006 unzumutbare oder nicht erforderliche Fragen enthielte, wird weder vom Kläger selbst vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.

[81 ] Demgegenüber kommt es im Rahmen der Prüfung, ob auch im jeweiligen Einzelfall der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, nicht darauf an, ob der konkrete Steuerpflichtige —wie der Kläger im Streitfall— meint, die durch ihn vorgenommene Aufgliederung seiner Einnahmen und Ausgaben sei von größerem Informationsgehalt als die amtliche Anlage EÜR. Wenn der Verordnungsgeber —im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative in vertretbarer Weise— meint, der Finanzverwaltung ein Instrument zur Ermöglichung standardisierter Prüfungen zur Verfügung stellen zu sollen, kann sich der einzelne Steuerpflichtige diesen Prüfungen nicht dadurch entziehen, dass er der Verwaltung ausschließlich Daten liefert, die nach einer anderen Systematik aufbereitet sind, auch wenn er die von ihm verwendete Systematik im Einzelfall für besser geeignet hält.

[82 ] Die von der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 10. Februar 2005 , BStBl I 2005 , 320 ) angenommene Nichtbeanstandungsgrenze (Einnahmen bis 17.500 €) ist im Streitfall überschritten.

[83 ] Die unterbliebene Beifügung eines Vorbehalts der Nachprüfung steht der nachträglichen Anforderung der Anlage EÜR nicht entgegen, da die in diesem Vordruck zu machenden Angaben auch für einen Mehrjahresvergleich von Bedeutung sein können.