Ein (Sammel-)Auskunftsersuchen gegen einen Verlag verstößt nicht ohne Weiteres gegen das Grundrecht zu Pressefreiheit. Es ist zu unbestimmt, soweit für den Empfänger nicht hinreichend erkennbar ist, nach welchen Kriterien die Auskunft zu erteilen ist.
Nichtzulassungsbeschwerde – BFH-Az.: II B 109/13
Niedersächsisches Finanzgericht 8. Senat, Urteil vom 27.08.2013, 8 K 78/12
§ 208 AO, § 93 AO
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Steuerfahndung ein rechtmäßiges Sammelauskunftsersuchen gegenüber der Klägerin erlassen hat.
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Die Klägerin gibt das „XXX-Blatt“ sowie das Anzeigenblatt „XXX-Blatt am Sonntag“ heraus. Dort findet sich im Anzeigenteil jeweils u.a. eine Rubrik „Kontakte“. Die Klägerin nutzte für die Verwaltung und Verarbeitung der Anzeigen die Verlagssoftware „JJK fliess“, die u.a. eine Exportfunktion auf Excel anbietet.
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Das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen (im Folgenden: FAFuSt) richtete am 21.10.2011 ein Sammelauskunftsersuchen unter Hinweis auf § 208 Abs. 1 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) an die Klägerin. Darin bat es entsprechend einer vorherigen persönlichen Rücksprache mit einem Mitarbeiter der Klägerin um Übersendung folgender Unterlagen:
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1. Eine Aufstellung mit Personen- und Auftragsdaten aller Anzeigenauftragsgeber für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis dato und
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2. ab dato bis 31. Dezember 2012 zusätzlich zu den vorstehenden Angaben den Anzeigentext,
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soweit die Anzeigen mit Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus im Zusammenhang stehen.
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Die Aufstellung zu 2. sollte jeweils nach Ablauf eines Monats, letztmalig zum 31.12.2012 übersandt werden. Das FAFuSt erklärte sich bereit, „vor Ort technische Unterstützung durch Gestellung eines Informatikers zu leisten“, soweit „erforderlich und gewünscht“ (zu weiteren Einzelheiten: Auskunftsersuchen vom 21.10.2011, Steuerakte, ohne Blattzahl).
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Gegen das Auskunftsersuchen richtete sich die Klägerin durch Einspruch, mit dem sie geltend machte, die Voraussetzungen für ein Sammelauskunftsersuchen lägen nicht vor. Das Ersuchen sei nicht verhältnismäßig und die Auskunft zu weit gefasst, da unklar sei, welche Anzeigen mit Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus in Zusammenhang stünden. Außerdem bestünde die Gefahr, dass Daten von Personen weitergegeben würden, die nicht im Zusammenhang mit möglichen Ermittlungen stünden. Das Ersuchen belaste die Klägerin zudem unzumutbar, da ein interner Arbeitsaufwand im Umfang von ca. 2 1/2 Tagen entstehe; bei Chiffre-Anzeigen könne der Beklagte zudem selbst den Kontakt herstellen und die Daten erheben. Schließlich verstoße das Ersuchen auch gegen die Pressefreiheit (Art 5 GG).
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Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück und vertrat die Auffassung, dass FAFuSt sei auf Grund eines hinreichenden Anlasses zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle im Sinne von § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO tätig geworden. Aufgrund der in der Vergangenheit geschalteten Anzeigen und der allgemeinen Erfahrung der Finanzbehörde, des Bundesrechnungshofes und des Niedersächsischen Landesrechnungshofes, wonach Vollzugsdefizite bei der Besteuerung von Einnahmen und Einkünften bei Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus bestünden, gebe es einen hinreichende Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen. Das Auskunftsersuchen erstrecke sich nur auf solche Anzeigen, in denen sexuelle Dienstleistungen in der jeweiligen Rubrik „Kontakte“ beworben würden (Einspruchsentscheidung Seite 4 unter 2., a). Das Auskunftsersuchen sei zur Sachverhaltsaufklärung auch geeignet und notwendig gewesen und die Pflichterfüllung für die Klägerin möglich und ihre Inanspruchnahme geeignet, erforderlich und zumutbar gewesen. Ein „erhebliches Risiko des Verlusts von Folgeaufträgen“ bestehe nicht. Schließlich sei nicht ersichtlich, dass technische Gründe einer Auskunftserteilung entgegenstünden. Eine Selektion der Anzeigen sei ohne weiteres möglich, da bei der Auftragsannahme für jede Annonce ein Rubrikschlüssel vergeben werde. In den Druckausgaben der Zeitung „XXX-Blatt“ finde man z.B. in der Rubrik „Kontakte“ ausschließlich Angebote aus dem Rotlichtbereich (Einspruchsentscheidung Seite 4 unter 2a). Der im Internet veröffentlichten Anzeigen-Preisliste der Zeitung „XXX-Blatt am Sonntag“ sei zudem zu entnehmen, dass für Kontaktanzeigen und Anzeigen im Bereich „Telefonerotik“ abweichende höhere Preise verlangt werden als bei der Rubrik „Kontakte“.
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Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage. die Klägerin ist nach wie vor der Auffassung, dass Auskunftsersuchen sei rechtswidrig.
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Die vom Beklagten vorgenommene Konkretisierung auf „solche Anzeigen, in denen erkennbar Prostituierte ihre Dienstleistungen anbieten oder Betriebe des Rotlichtmilieus beworben werden“, genüge rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht. Insoweit bleibe unklar, unter welchen Voraussetzungen eine Anzeige „mit Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus im Zusammenhang“ stehe. Das Auskunftsersuchen des Beklagten gehe in seinem Tenor zudem über die Rubrik „Kontakte“ hinaus. Die allenfalls ansatzweise umrissenen Kriterien des Beklagten zur Erfassung des Anzeigenkunden seien zu unbestimmt. Es bleibe unklar, auf welches konkrete Waren- oder Dienstleistungsangebot das Auskunftsersuchen abziele. Auch nach den Inhalten der zum Teil verklausuliert verfassten Anzeigen liege für unbeteiligte Dritte regelmäßig nicht auf der Hand, welches konkrete Angebot beworben werden solle. Die Klägerin wehre sich dagegen, sämtlichen Kunden in der genannten Rubrik Kontakte „Kontakte“ und anderen Rubriken rechtswidrige Steuerverkürzungsabsicht zu unterstellen.
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Es sei zudem für die Klägerin unmöglich, sämtliche Anzeigen danach zu selektieren, ob tatsächlich ein Bezug zum Rotlichtmilieu bestehe, oder ob die Anzeigenaufgeber lediglich persönliche Neigungen verfolgten und nicht erwerbswirtschaftlich handeln. Wie sich anhand des „XXX-Blatts am Sonntag“ des Monats April 2012 beispielhaft zeige, seien hier auch Anzeigen vorhanden, die gerade nicht eindeutig auf gewerblichen Sex hindeuteten, etwa die Anzeige für „Fernöstliche Massage“ sowie die Anzeige „Super-Service“ und die Werbeaussage „…“, zumal nicht ausgeschlossen werden könne, dass Anzeigen einer Rubrik versehentlich in einer anderen Rubrik veröffentlicht werden.
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Das Erfragen sämtlicher Auftraggeber für eine nicht näher eingegrenzte Anzahl abgedruckter Anzeigen in Verlagserzeugnissen der Klägerin über einen Zeitraum von insgesamt zwei Jahren sei darüber hinaus zu weitgehend. Dabei werde den Anzeigenkunden eine rechtswidrige Steuerverkürzungsabsicht unterstellt und es bestehe die Gefahr der Namensweitergabe bei Personen, die in keinem Zusammenhang mit Ermittlungen der Finanzverwaltung stehen.
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Zudem bestünden Bedenken am Vorliegen eines hinreichenden Anlasses. Das Ersuchen sei vielmehr als Rasterfahndung anzusehen. Schließlich sei das Sammelauskunftsersuchen auch unverhältnismäßig. Es sei unverständlich, den Ermittlungsaufwand der Klägerin aufzubürden, die nur „Dritte“ sei. Gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 Abgabenordnung (AO) hätte der Beklagte sich zunächst zudem an die Anzeigenaufgeber wenden müssen, zumindest aber dezidiert darlegen müssen, warum er der Ansicht sei, dass ein Auskunftsersuchen an die Beteiligten keine Aussicht auf Erfolg verspreche. Dies habe er nicht einmal ansatzweise getan. Dem Ausnahmetatbestand des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO habe der Beklagte damit nicht hinreichend Rechnung getragen, jedenfalls aber gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen. Ein pauschaler Auskunftsanspruch gegenüber der Presse widerspreche zudem der Pressefreiheit, die durch Art. 5 Grundgesetz verfassungsrechtlich garantiert sei. Insoweit sei auch der Anzeigenteil geschützt.
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Im Bereich der angeforderten Kontaktdaten der Anzeigenauftraggeber für die Rubik „Telefonerotik“ bleibe unklar, inwieweit die niedersächsische Finanzverwaltung für die Ermittlung von Kontakten außerhalb Niedersachsens zuständig sei.
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Die in die Zukunft gerichtete Verfügung des Beklagten sei überdies von vornherein ungeeignet, um zukünftige, noch nicht eindeutig für gewerblichen Sex werbende Anzeigenaufträge zu erfassen, da der Beklagte im Erlasszeitpunkt die Texte zukünftiger Anzeigenaufträge nicht kennen konnte.
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Zu den weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf die Schriftsätze der Klägerin verwiesen.
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Die Klägerin beantragt,
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das Auskunftsersuchen in der Fassung, die es in der mündlichen Verhandlung erhalten hat, aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertritt nach wie vor die Auffassung, das Auskunftsersuchen sei rechtmäßig. Insbesondere sei es inhaltlich hinreichend bestimmt. Auf welche Anzeigen das Auskunftsersuchen abziele, nämlich nur auf die in der Rubrik „Kontakte“, habe ein Mitarbeiter des Beklagten der Klägerin in einem persönlichen Gespräch am 12. Oktober 2011 umfassend erläutert. Die Auskunftsverlangen erstrecke sich nicht auf Anzeigen im Bereich der „Telefonerotik“. Bei der schriftlichen Abfassung des Auskunftsersuchens habe es ausgereicht, die tatsächlich verwendete Umschreibung zur Konkretisierung des gewünschten Auskunftsersuchens zu verwenden. Dass in dieser Rubrik medizinische Massagen angeboten oder gewöhnliche Gaststätten beworben würden, wie von der Klägerin vorgetragen, sei unglaubhaft. Die von der Klägerin in Bezug genommenen „fernöstlichen Massagen“ wiesen einen hinreichenden Bezug zu entgeltlich angebotenen sexuellen Dienstleistungen auf. Ebenso stehe die Anzeige mit der Überschrift „Super-Service“ sowie die mit der Bezeichnung „…“ in einem eindeutigen Zusammenhang zu derartigen sexuellen Dienstleistungen.
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Das Auskunftsersuchen sei auch notwendig zur Ermittlung der handelnden Personen. Allein die Angabe der Telefonnummer einer Anzeige sei nicht ausreichend, um Dienstleister und dahinter stehende Personen zu ermitteln. Entsprechende Anfragen bei der Bundesnetzagentur bzw. den Telekommunikationsunternehmen ließen i.d.R. keine Rückschlüsse auf die verantwortlichen Personen zu, da Anzeigen nach den bisherigen Erfahrungen auch von den die Dienste anbietenden Personen, vielfach aber auch durch die „hinter den Prostituierten handelnden Personen“ erfolgten.
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Schließlich sei auch ein unverhältnismäßig hoher Aufwand der Klägerin bei der Auskunftserteilung nicht ersichtlich. Aufgrund der Exportfunktion nach Excel seien die Angaben problemlos und ohne viel Aufwand in eine Datei exportierbar. Die Klägerin benutzte für die Anzeigenverwaltung das Programm „JJK fliess“, welches eine Exportfunktion nach Excel anbiete. Der Leiter der Geschäftskundenabteilung des XXX-Blattes, Herr M, habe zudem angegeben, die Zahl der Anzeigen aus dem Rotlichtbereich betrage lediglich ca. 3-5 für die Ausgaben Montag bis Samstag und ca. 8 für die Sonntagsausgabe. Überdies könnte die Klägerin etwaige Aufwendungen ggf. gem. § 107 AO in Rechnung stellen.
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Der Vertreter des Beklagten hat im Verlauf der mündlichen Verhandlung sein Auskunftsersuchen dergestalt eingeschränkt, dass eine Auskunft nicht zu erteilen ist für Betriebe, deren Anschriften sich aus den Anzeigen ergebe (vgl. Sitzungsprotokoll).
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Zu den weiteren Einzelheiten das Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Steuerakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Das von dem Beklagten an die Klägerin gerichtete Auskunftsersuchen in der im Rahmen der mündlichen Verhandlung geänderten Fassung ist rechtmäßig. Das FAFuSt hat im Rahmen der ihm zustehenden Befugnisse gehandelt und das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
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1. Nach § 68 FGO ist Gegenstand des Verfahrens das Auskunftsersuchen in der geänderten Fassung nach Einschränkung in der mündlichen Verhandlung, dass eine Auskunft nicht zu erteilen sei, soweit Betriebe mit Anschrift genannt werden. Das Auskunftsersuchen ist nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert worden, so dass das geänderte Ersuchen als neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens wird.
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2. Bei der Überprüfung einer konkreten Tätigkeit der Steuerfahndung auf ihre Rechtmäßigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BFH zwischen der Aufgabenzuweisung einerseits (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 AO) und den zur Erfüllung dieser Auf-gaben verliehenen Befugnissen andererseits (§ 208 Abs. 1 Satz 2 AO) zu unterscheiden (BFH-Beschlüsse vom 16.12.1997 VII B 45/97, BStBl II 1998, 231, und in BFH/NV 1998, 424, 428, m.w.N.). Eine konkrete Maßnahme des FAFuSt ist hiernach rechtmäßig, wenn sich das FAFuSt dabei im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten hat (nachfolgend 3.) und ihm die in Anspruch genommene Befugnis nach dem Gesetz zusteht (nachfolgend 4.).
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3. Das FAFuSt hat sich im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten.
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a) Das FAFuSt hat das Sammelauskunftsersuchen ausdrücklich auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO gestützt und damit zum Ausdruck gebracht, dass es nicht im Strafverfahren, sondern im Besteuerungsverfahren zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle tätig werden will. Die Angaben über Personen- und Auftragsdaten der Anzeigenauftraggeber im Zusammenhang mit dem Rotlichtbereich aus der Rubrik „Kontakte“, mit dem Ziel der Auswertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse, unterfällt grundsätzlich dem Aufgabenbereich des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO. Die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle umfasst Nachforschungen sowohl nach unbekannten Steuer-pflichtigen als auch nach bisher unbekannten steuerlichen Sachverhalten (vgl. BFH-Beschluss in BStBl II 2000, 643; Gesetzesbegründung des Finanzausschusses, BTDrucks 7/4292 zu § 208 AO). Etwaige Kontrollmitteilungen über die Anzeigenaufgabe ermöglichen dem für die Besteuerung jeweils zuständigen Finanzamt (FA) die Kontrolle, ob die jeweils im Rotlichtbereich tätige Person dort als Steuerpflichtige erfasst ist und ob die erzielten Einnahmen einer ordnungsgemäßen Besteuerung unterworfen worden sind. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre ein dem FA bisher unbekannter Steuerpflichtiger er-mittelt bzw. ein bisher unbekannter steuerlicher Sachverhalt aufgedeckt.
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b) Allerdings hat der BFH im Anschluss an die Rechtsprechung des BFH zum Recht der früheren Abgabenordnung (§ 201 der Reichsabgabenordnung) unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung sowie der Bedeutung der allgemeinen Steueraufsicht für die Sicherung der Staatseinnahmen, ferner unter Abwägung des hohen Stellenwerts, den das Gebot der Steuergleichheit und Steuergerechtigkeit für die Allgemeinheit hat, gegen die Rechte und Interessen des von einer Maßnahme des FAFuSt im Einzelfall Betroffenen, in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Aufgabenerfüllung des FAFuSt nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO erst dann einzusetzen hat, wenn für ein Tätigwerden ein hinreichender Anlass besteht. Ein solcher liegt vor, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte (z.B. wegen der Besonderheit des Objektes oder der Höhe des Wertes) oder aufgrund allgemeiner Erfahrung (auch konkreten Erfahrungen für bestimmte Gebiete) die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt und daher eine Anordnung bestimmter Art angezeigt ist (BFH v. 16.5.2013 II R 15/12, Juris). Ermittlungen „ins Blaue hinein“, Rasterfahndungen, Ausforschungsdurchsuchungen oder ähnliche Ermittlungsmaßnahmen sind unzulässig (vgl. BFH-Urteile vom 29.10.1986 VII R 82/85, BStBl II 1988, 359 -Chiffreanzeigen betreffend den Verkauf von ausländischem Grundbesitz durch Inländer-; vom 24.3.1987 VII R 30/86, BStBl II 1987, 484 – Vermittlungsprovisionen an Kreditvermittler-; vom 17.3.1992 VII R 122/91, BFH/NV 1992, 791 – Verkaufsanzeigen für Yachten im Anzeigenheft eines Yachtmaklers-; s. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 424).
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c) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den hier zu entscheidenden Fall ergibt sich, dass das FAFuSt hinreichenden Anlass zur Einholung der Auskünfte bei der Klägerin hatte. Ein hinreichendes Moment für ein Tätigwerden des FAFuSt ergab sich aus der Zusammenschau der diesem zur Kenntnis gelangten Umstände und Fakten im Zusammenhang mit den vorhandenen Erfahrungswerten im Zusammenhang mit dem Rotlichtmilieu. Insoweit war ein Verdachtsgrad erreicht, der –wie bereits der Große Senat des BFH zu § 201 AO (in der bis 1977 geltenden Fassung) entschieden hat (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 13. 2.1968 GrS 5/67, BStBl II 1968, 365)– sog. Vorfeldermittlungen mindestens rechtfertigt, wenn nicht gar gebietet, um die vom Gesetzgeber mit der Aufgabenstellung in § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO beabsichtigte möglichst lückenlose Verhinderung von Steuerverkürzungen zu gewährleisten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein hinreichender Anlass für Ermittlungen der Steuerfahndung zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle nach den §§ 93, 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auch dann vorliegen kann, wenn bei Betriebsprüfungen Steuerverkürzungen aufgedeckt worden sind, die durch bestimmte für die Berufsgruppe typische Geschäftsabläufe begünstigt worden sind. Da im Rotlichtbereich erzielte Einnahmen kaum für die Finanzverwaltung erkennbar sind und – wie aus diversen Streitfällen auch gerichtsbekannt ist – oftmals nicht erklärt werden, liegen diese Voraussetzungen vor. Sogar eine (relativ) geringe Anzahl bereits festgestellter Steuerverkürzungen steht der Aufnahme von Vorfeldermittlungen nicht entgegen (vgl. BFH v. 5.10.2006 VII R 63/05, BStBl. II 2007, 155). Denn der Anlass für das Auskunftsverlangen ergab sich im Streitfall primär aus einem die Möglichkeit einer Steuerverkürzung begünstigenden Geschäftsablauf, aber auch vor dem Hintergrund, dass im Rotlichtmilieu bekanntermaßen in einer Vielzahl von Fällen keine ordnungsmäßige Versteuerung erfolgt. Es überschreitet auch nicht die Grenzen des dem FAFuSt bei der gebotenen vorweggenommenen Beweiswürdigung eingeräumten Ermessens, aus den in der Vergangenheit aufgedeckten Fälle zu schließen, dass zur Aufklärung weiterer Hinterziehungen über die einzelfallbezogene Betriebsprüfung hinausgehende Ermittlungen geboten sind.
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d) Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse des FAFuSt sind die Ermittlungsmaßnahmen auch nicht als Rasterfahndung oder Ermittlung ins Blaue zu qualifizieren. Dem steht die (möglicher Weise) größere Zahl der von den Ermittlungsmaßnahmen betroffenen Personen nicht entgegen. Denn, wie ausgeführt, liegen hinsichtlich der im Rotlichtbereich tätigen Personen hinreichende Anhaltspunkte für ein statistisch relevantes und mehr als nur unerhebliches Nichtbefolgen der steuerlichen Erklärungspflichten vor. Eine unzulässige Rasterfahndung kann zwar auch vorliegen, wenn das FAFuSt aufgrund strafrechtlicher Ermittlungshandlungen unabhängig von der Höhe der festgestellten Beträge oder von sonstigen Besonderheiten Vorgänge auf ihre steuerlich korrekte Erfassung prüft. Im Streitfall verfügte das FAFuSt indes, wie ausgeführt, auch unter Berücksichtigung etwaiger regionaler Unterschiede über Erkenntnisse, die den Verdacht begründeten, dass in erheblichem Umfang erzielte Einnahmen nicht versteuert worden sind.
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4. Dem FAFuSt stehen die in Anspruch genommenen Befugnisse auch zu.
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a) Nach § 208 Abs. 1 Satz 2 AO stehen das FAFuSt in steuerverfahrensrechtlicher Hin-sicht grundsätzlich die Ermittlungsbefugnisse zu, die die FÄ im Besteuerungsverfahren haben. Wie die FÄ kann daher auch das FAFuSt zur Ermittlung der Besteuerungsgrund-lagen die Beweiserhebungs- und Ermittlungsbefugnisse der §§ 93 ff. AO in Anspruch nehmen, wobei das FAFuSt bei seiner Aufgabenerfüllung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO im Interesse einer ordnungsgemäßen Gewährleistung des Steueraufkommens sogar von bestimmten Beschränkungen, die für die FÄ gelten, befreit ist (§ 208 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz AO), mithin also noch weiter gehende Befugnisse als die FÄ hat (vgl. BFH-Beschluss in BStBl II 2001, 624, m.w.N.). § 93 Abs. 1 Satz 1 AO gibt hiernach dem FAFuSt das Recht, von den Beteiligten (§ 78 AO) und anderen Personen die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu verlangen. Dies gilt nicht nur für ein auf einen Einzelfall beschränktes Auskunftsersuchen, sondern im Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst lückenlosen Verhinderung von Steuerverkürzungen auch für Sammelauskunftsersuchen (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 1987, 484). Wie der BFH bereits entschieden hat, gehen die Anforderungen für die Einholung einer Sammelauskunft gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AO im Rahmen der Steuerfahndung nicht über die Anforderungen hinaus, die der Steuerfahndung bei den Ermittlungen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auferlegt sind (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 1988, 359).
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b) Das Sammelauskunftsersuchen genügt auch den allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen. Diese Grenzen sind eingehalten, wenn das Auskunftsverlangen zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und, gemessen an der Bedeutung der Angelegenheit, notwendig und verhältnismäßig erscheint, sowie dem Adressaten des Ersuchens die Erteilung der Auskunft möglich und zumutbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BStBl II 1997, 499, m.w.N.).
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Das Finanzamt hat das Auskunftsersuchen ausreichend begründet (§§ 121 Abs. 1, 126 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO). Das Ersuchen ist auch nicht wegen fehlender Bestimmtheit nichtig (vgl. hierzu Beermann/Hartmann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 93 AO Rz. 23; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Schuster, AO/FGO, § 93 AO Rz. 32 ff).
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aa) Das Ersuchen muss gem. § 119 Abs. 1 AO einen bestimmbaren Inhalt haben und ist gem. § 121 AO zu begründen. § 119 Abs. 2 S. 1 bestimmt, dass anzugeben ist, über welchen Sachverhalt Auskunft gegeben werden soll.
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Im Ausgangsbescheid hat das FAFuSt die Klägerin dazu aufgefordert, zu den unter Ziff. 1 und 2 aufgeführten Umständen Stellung zu nehmen, „soweit die Anzeigen mit Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus im Zusammenhang stehen“.
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bb) Dieses Ersuchen in seiner ursprünglichen Form wäre ohne die ergänzenden Ausführungen in der Einspruchsentscheidung oder eine mündliche Klarstellung zu unbestimmt gewesen, da für den Empfänger im Einzelfall nicht hinreichend erkennbar ist, nach welchen Kriterien der Begriff „Rotlichtmilieu“ zu definieren ist. Zwar wird Rotlichtmilieu zum Teil als eine soziale Umgebung (Milieu) definiert, „welches im Umfeld des sexorientierten Gewerbes, etwa der Prostitution, anzutreffen ist und oft seinen Schwerpunkt in einem Rotlichtviertel hat“ (z.B. Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Rotlichtmilieu). Die Zuordnung der Annoncen allein anhand dieser Definition wäre allerdings nicht unproblematisch, zumal die Beklagte den Begriff „Rotlichtmilieu“ nicht selbst in dem Ersuchen definiert hat. Der Senat würde es als zu weitgehend erachten, es dem Verlag aufzuerlegen, die Beurteilung, ob die Anzeige einen Zusammenhang zu einem solchen Umfeld hat, aufzuerlegen, soweit hiermit erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden sind. Da sich das Ersuchen sich indes – jedenfalls nach Maßgabe der klarstellenden Einspruchsentscheidung (sowie der Klageerwiderung) – lediglich auf die Rubrik „Kontakte“ bezog und in dieser Rubrik nach Überzeugung des Senats und soweit ersichtlich ausschließlich gewerbliche Gesuche mit Bezug zu entgeltlichen sexuellen Dienstleistungen enthalten waren, bedarf es einer zeitaufwändigen Selektion in schwierigen Abgrenzungsfällen indes grundsätzlich nicht. Die ergänzenden Ausführungen in der Einspruchsentscheidung sind bei Auslegung des Auskunftsersuchens nach dem Verständnis eines „objektiven Empfängerhorizonts“ (§§ 133, 157 BGB entsprechend) zu berücksichtigen. Danach ergab sich indes die Eingrenzung des Auskunftsersuchens auf die jeweilige Rubrik „Kontakte“
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Eine Aufgabe privater Annoncen oder Anzeigen, die keinen Zusammenhang mit sexuellen Dienstleistungen aufwiesen, war für den Senat aus den vorliegenden Annoncen auch anhand der von der Klägerin genannten Gegenbeispiele nicht erkennbar. Zudem bezog sich das Ersuchen entgegen der geäußerten Ansicht der Klägerin nicht auf etwaige Annoncen aus dem Bereich der „Telefonerotik“.
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Das Auskunftsersuchen ließ nach seiner Konkretisierung im Einspruchsbescheid keinen Spielraum für weitere Deutungen zu. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass grundsätzlich die Angaben für sämtliche Auftraggeber der Klägerin in der Rubrik „Kontakte“ zu machen waren. Durch den Zusatz „soweit die Anzeigen mit Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus im Zusammenhang stehen“ war auch eindeutig, dass, soweit ausnahmsweise in der Rubrik private Annoncen enthalten sein sollten, diese nicht vom Auskunftsverlangen umfasst sein sollten. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang, ob Anzeigen bei anderen Zeitungen (z.B. Tagesspiegel) eindeutig dem Rotlichtmilieu zuzuordnen sind, da die Anzeigen in der besagten Rubrik „Kontakte“ zur Überzeugung des Senats hinreichend eindeutig im Zusammenhang mit sexuellen entgeltlichen Dienstleistungen stehen. Im Übrigen wäre dem Geheimhaltsinteresse etwaiger privater Kontaktgesuche, soweit diese im Ausnahmefall enthalten sein sollten, auch dann hinreichend genüge getan, wenn der Beklagte einzelne Gesuche aussondert, die erkennbar in keinem Zusammenhang zu sexuellen Dienstleistungen stehen, soweit die Klägerin diese im Einzelfall nicht aussondert.
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cc) Zudem und unabhängig von den obigen Erwägungen (unter aa) und bb) kann eine Auskunft auch mündlich eingeholt werden. Die Form der Auskunftserteilung ist nicht gesetzlich vorgeschrieben; sie kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder fernmündlich erfolgen (§ 93 Abs. 4 S. 1). Die Form richtet sich in erster Linie nach der Art der Auskunft und der Bedeutung für das Steuerverfahren. Vor diesem Hintergrund war ergänzend zu berücksichtigen, dass der Mitarbeiter der Steuerfahndung Z das Auskunftsersuchen das Auskunftsersuchen mündlich mit einem Mitarbeiter der Klägerin abgesprochen hatte.
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dd) Das Auskunftsersuchen ist zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Auskunft ist für die Klägerin möglich und ihre Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar. Es kann dahinstehen, welche dieser Modalitäten rechtliche Grenzen für das Auskunftsverlangen nach § 93 AO sind und welche das Finanzamt lediglich im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen hat (BFH-Urteile vom 22.2.2000 VII R 73/98, BStBl II 2000, 366; vom 24.10.1989 VII R 1/87, BStBl II 1990, 198). Denn im Streitfall ist das angefochtene Auskunftsersuchen unter keinem dieser Gesichtspunkte rechtlich zu beanstanden.
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(1) Das Auskunftsverlangen war zur Sachverhaltsaufklärung geeignet. Das Auskunftsersuchen erging, um gewerblich erbrachte sexuelle Leistungen der Besteuerung unterwerfen zu können. dabei genügt es, dass ein solcher Erfolg möglich ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 18.2.1997 VIII R 33/95, BStBl II 1997, 499, unter B. III. 4. a) dd)).
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Eine „Selektion der in Frage kommenden Anzeigen war nicht unmöglich“, wie von der Klägerin vorgetragen. Die unter der Rubrik „Kontakte“ veröffentlichten Anzeigen betreffen, soweit anhand der vorgelegten Annoncen für den Senat ersichtlich, ausschließlich solche aus dem Rotlichtbereich.
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Das (zivilrechtliche) Vertragsverhältnis mit den Anzeigenaufgebern steht dem Auskunfts-verlangen nicht entgegen. Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden, die sich im Herrschaftsbereich des Auskunftspflichtigen befinden, stehen ihm nicht allein deshalb nicht zur Verfügung i.S. des § 93 Abs. 3 Satz 2 AO, weil sich der Auskunftspflichtige in einem zivilrechtlichen Vertrag gegenüber einem Dritten zu deren Geheimhaltung verpflichtet hat. Die Pflicht zur Beantwortung von Auskunftsersuchen der Finanzbehörden nach dieser Vorschrift kann durch zivilrechtliche Verträge nicht wirksam ausgeschlossen oder beschränkt werden. Sie unterliegt nicht der Disposition Privater. Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, wie sie §§ 101, 102, 103 und 104 AO enthalten.
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(2) Das Auskunftsersuchen war erforderlich, weil sich der Beklagte die geforderten Angaben nicht auf amtlichem Wege oder sonst einfacher hatte beschaffen können (Hübsch-mann/Hepp/Spitaler/ Schuster, AO/FGO, § 93 AO Rz. 66). Der Beklagte hatte erfolgsversprechende Auskunftsquellen ausgeschöpft und konnte hieraus keine weiteren Erkenntnisse gewinnen. Für den Fall, dass die Daten von Clubs unter Angabe der Anschrift im Inserat vorhanden sind, hat der Beklagte sein Ersuchen zudem eingeschränkt (vgl. Sitzungsprotokoll).
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Das FAFuSt durfte sein Auskunftsverlangen unmittelbar an die Klägerin richten (§ 208 Abs. 1 Satz 3 erster Halbsatz, § 93 Abs. 1 Satz 3 AO), zumal die möglichen Steuerpflichtigen dem FAFuSt auch gar nicht bekannt waren (vgl. § 30a Abs. 5 Satz 2 AO). Ein Auskunftsersuchen der Steuerfahndung wäre im Regelfall nur dann als nicht notwendig bzw. als unverhältnismäßig und unzumutbar zu werten, wenn die Steuerfahndung von einem Dritten Auskünfte fordern würde, die sie auf andere Weise einfacher und ohne größere Belastung Dritter erlangen könnte, z.B. wenn diese aus einem vom Auskunftspflichtigen herausgegebenen, regelmäßig erscheinenden Mitteilungsorgan („Deck- und Belegnach-richten“) entnommen werden können (BFH-Urteil in BStBl II 1987, 484, unter 2.). Wie der BFH bereits entschieden hat, kann die Steuerfahndung von einer Tageszeitung die Benennung der Inserenten von zwei Chiffre-Anzeigen fordern, ohne sich zunächst selbst über Chiffre an die unbekannten Inserenten zu wenden (BFH-Urteil in BStBl II 1988, 359, unter II.4.c). Die Klägerin kann das FA somit erst recht nicht auf eine Vielzahl von Einzelabfragen verweisen (hierzu BFH v. 16.5.2013 II R 15/12, Juris). Im Übrigen kann ein Dritter die Auskunft grundsätzlich nicht unter Hinweis darauf verweigern, dass das Finanzamt auch andere Personen um Auskunft ersuchen könne (BFH-Urteile vom 22.2.2000 VII R 73/98, BStBl II 2000, 366; vom 26.8.1980 VII R 42/80, BStBl II 1980, 699).
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Eine Beschränkung dieses Auskunftsersuchens, dahingehend, dass nur Anzeigen abgefragt werden, bei denen Anschlussinhaber von Telefonnummern über eine Anfrage bei der Bundesnetzagentur bzw. den Telekommunikationsunternehmen nicht ermittelt werden konnte, würde kein milderes Mittel für die Klägerin darstellen. In diesem Falle hätte die Klägerin einen nicht unbeachtlichen Mehraufwand, weil sie anhand der Auftragsnummern im Einzelfall prüfen müsste. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Anschlussinhaber und Anzeigenaufgeber nicht identisch sein müssen.
53
(3) Das Auskunftsersuchen war unter Berücksichtigung aller Umstände nicht unverhältnismäßig im engen Sinne oder unzumutbar (vgl. zu diesen Kriterien etwa Hübsch-mann/Hepp/Spitaler/Schuster, AO/FGO, § 93 AO Rz. 72). Im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit des Auskunftsersuchens sind insbesondere die geschäftlichen Interessen der Klägerin zu berücksichtigen und die durch die Ermittlungs-tätigkeit des FA zu wahrenden Rechtsgüter der Allgemeinheit abzuwägen (vgl. BFH-Urteile in BStBl II 1988, 359, unter II.4.e, 5.a, und in BStBl II 1987, 484, unter 3.b; BFH-Beschluss in BStBl II 2002, 495, unter II.2.c bb). Bei dieser Abwägung ist auch zu berück-sichtigen, dass die Daten, die die Klägerin dem FA aufgrund des Auskunftsersuchens übermittelt, dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) unterliegen und daher die von der Abfrage betroffenen Anzeigenaufgeber durch die Offenbarung der Daten gegenüber dem FAFuSt im Regelfall abgesehen von den möglichen steuerlichen und steuerstrafrechtlichen Folgen nicht belastet werden. Das etwaige Vertrauen der betroffenen Nutzer darauf, dass aufgrund der durch die Verwendung von Pseudonymen weitgehend gewährleisteten Anonymität der Anzeigenaufgeber Steuern gefahrlos verkürzt werden könnten, ist nicht schutzwürdig (BFH v. 16.5.2013 II R 15/12, Juris).
54
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalles ist das (in der mündlichen Verhandlung abgeänderte) Auskunftsersuchen rechtmäßig. Die Klägerin benutzte für die Anzeigenverwaltung das Programm „JJK fliess“, welches eine Exportfunktion zu Excel anbietet. Vor diesem Hintergrund kann die Klägerin die Angaben ohne größeren Aufwand machen, zumal der Beklagte Hilfestellung angeboten hat (Einspruchsentscheidung Seite 5). Auch unter Berücksichtigung des durch das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und den Anzeigenaufgebern geschaffenen Vertrauensverhältnisses wertet der Senat das Interesse des Staates an einer Ermittlung möglicher Steuerverkürzungen höher als das Geheimhaltungsinteresse der Klägerin, zumal das FAFuSt nach eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung gleichmäßig entsprechende Auskunftsersuchen gegenüber sämtlichen Verlagen im regionalen Einzugsbereich der Klägerin erlassen hat.
55
Das Ersuchen war auch rechtmäßig, soweit es auf zukünftige Zeiträume (ca. November 2011 bis Ende 2012) gerichtet war. Auch insoweit ist es bestimmt, geeignet, erforderlich und angemessen. Wenn die Art der Annoncen in der Rubrik „Kontakte“ sich im besagten Zeitraum geändert hätte, wäre das Ersuchen ebenso wie für die Vergangenheit sachgerecht gewesen, da die vom Beklagten vorzunehmende Prognose für die zukünftigen Zeiträume zum Zeitpunkt des Erlasses des Auskunftsersuchens anzustellen ist. In diesem Falle wäre durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB entsprechend) zu ermitteln, ob das Ersuchen sich auf die geänderte Rubrik bezieht.
56
Auch der Umfang der vom Beklagten geforderten Angaben ist nicht zu beanstanden. Die Personen- und Auftragsdaten der Anzeigenauftragsgeber sind für weitere Ermittlungsmaßnahmen grundsätzlich erforderlich. Auch ist die Abfrage etwaiger Kontodaten nicht unverhältnismäßig, da diese im Rahmen etwaiger Ermittlungsmaßnahmen von erheblicher Bedeutung sein können.
57
5. Das Auskunftsverlangen bzw. die dem Verlangen zugrundliegende Rechtsvorschrift verstößt schließlich auch nicht gegen höherrangige Rechtsvorschriften.
58
Dem Auskunftsverlangen steht das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 102 Abs. 1 Nr. 4 AO nicht entgegen, da sich dieses nur auf den redaktionellen Teil, nicht auf den Anzeigen- oder Werbeteil von Zeitungen bezieht (vgl. auch Rätke in Klein, Komm. zur Abga-benordnung, § 102 Rz. 31; Hübschmann/Hepp/Spitaler/ Schuster, AO/FGO, § 93 AO Rz. 78).
59
Das Grundrecht der Pressefreiheit (Art 5 GG) wird durch das Auskunftsersuchen nicht verletzt. Zwar umfasst der Schutzbereich der Pressefreiheit auch den Anzeigenteil einer Zeitung, weil der Anzeigenteil die öffentliche Aufgabe der Presse mit erfüllt (BVerfGE 21, S. 271/278 ff.; 64, 108/114f.). Art 5 Abs. 2 GG erlaubt indes Eingriffe in den Schutzbereich der Pressefreiheit im Rahmen der allgemeinen Gesetze. Die §§ 93 ff, 208 AO stellen allgemeine Gesetze dar, die mithin einen Eingriff (auch) in das Grundrecht der Pressefreiheit gestatten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die genannten Vorschriften der AO verfassungswidrig sind.
60
6. Die Kostenfolge beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Kosten waren nicht zu teilen, da das Obsiegen der Klägerin nur geringfügig zu bewerten war und die Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen war. Annoncen, bei denen Betriebe sich unter Angabe der Anschrift beworben haben, waren in den vorliegenden Anzeigen, fielen zumindest im Verhältnis zu den übrigen Annoncen nicht ins Gewicht.
Widerruf der Bestellung eines eigene Mitwirkungspflichten vernachlässigenden Steuerberaters wegen Vermögensverfall – Gefährdung der Interessen der Auftraggeber
Eine Gefährung von Auftraggeberinteressen lässt sich nicht ausschließen, wenn feststeht, dass der Steuerberater in seinen sonstigen geschäftlichen oder eigenen Angelegenheiten unzuverlässig ist.
Nichtzulassungsbeschwerde – BFH-Az.: VII B 63/13
Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 07.03.2013, 6 K 344/12
§ 46 Abs 2 Nr 4 StBerG
Tatbestand
1
(Überlassen von Datev)
2
Die Beteiligten streiten um den Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater.
3
Der 1944 geborene Kläger wurde 1985 zum Steuerberater bestellt und führt eine Steuerberatungskanzlei in … Die … teilte der Beklagten mit Schreiben vom 5. Juni 2012 mit, dass der Kläger in Vollstreckung befindliche Steuerrückstände i.H.v. 15.271,80 EUR habe. Diese beruhten unter anderem auf Rückständen zur Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2009 sowie zu Umsatzsteuern für das 1. bis 4. Quartal 2011. Das … habe nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen am 25. April 2012 beim Amtsgericht … die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers beantragt. Die … führte außerdem aus, die Steuererklärungen der Jahre 2009 bis 2011 lägen dem zuständigen Finanzamt (FA) … nicht vor. Die Einkommen- und Umsatzsteuerrückstände für 2009 resultierten aus Steuerbescheiden, die das FA … im Rahmen der Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 der Abgabenordnung (AO) festgesetzt habe. Die Steuerfestsetzungen seien inzwischen bestandskräftig, nachdem der Kläger die gegen die Bescheide erhobenen Klagen vor dem Niedersächsischen Finanzgericht (7 K 221/10 und 7 K 222/10) zurückgenommen habe. Ebenfalls seien Stundungs- und Erlassanträge des Klägers ohne Erfolg geblieben (Az. 7 K 10/12 und 7 K 11/12). Die Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteuervoranmeldungen seien ab dem Jahr 2010 stets verspätet eingereicht worden; einzige Ausnahme sei die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für das 1. Quartal 2012 gewesen.
4
Nachdem die … der Beklagten mit Schreiben vom 14. Juni 2012 mitgeteilt hatte, dass der Kläger beim Amtsgericht … im dort geführten Schuldnerverzeichnis mit insgesamt 16 Haftanordnungen gem. §§ 901, 915 der Zivilprozessordnung (ZPO; a.F., nunmehr ab 1. Januar 2013: § 882b ff. ZPO, Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. Juli 2009, Bundesgesetzblatt 1 2009, 2258) wegen Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung eingetragen sei (Eintragungen vom 4. bzw. 11. November 2010), hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 2012 zu einem möglichen Widerruf der Bestellung als Steuerberater mit Fristsetzung bis zum 28. Juli 2012 an.
5
Mit Schreiben vom 28. Juli 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er die Forderungen des FA … für das Kalenderjahr 2009 über insgesamt 10.010,16 EUR bestreite. Er habe insoweit Anträge auf Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide gestellt. Außerdem habe er die Steuererklärungen für 2010 inzwischen abgegeben und die Steuerbescheide erhalten. Für das Jahr 2011 habe er einen Fristverlängerungsantrag zur Abgabe der Steuererklärungen bis zum 15. August 2012 beantragt; die Fristverlängerung sei gewährt worden. Den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis lägen Vorgänge aus dem Jahr 2010 zugrunde. Insoweit würde er fristgerecht und betragsgenau die Monatsraten an den zuständigen Gerichtsvollzieher bezahlen, die von den Gläubigern im Rahmen der Vereinbarungen erwartet würden.
6
Die Beklagte widerrief mit Bescheid vom 9. August 2012 die Bestellung des Klägers als Steuerberater. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Widerruf erfolge gem. § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) aufgrund des Vermögensverfalls des Klägers. Der Vermögensverfall sei wegen der Eintragungen des Klägers im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts … vermuten. Im Übrigen befinde sich der Kläger auch tatsächlich in Vermögensverfall. Diese Annahme beruhe auf den Steuerrückständen des Klägers. Vereinbarungen mit allen Gläubigern, die erwarten ließen, dass es zu keinerlei Vollstreckungsmaßnahmen mehr kommen werde, habe der Kläger nicht vorgelegt. Der Kläger habe auch nicht nachgewiesen, dass Auftraggeberinteressen nicht gefährdet seien. Vielmehr sei im Streitfall von einer konkreten Gefährdung der Interessen der Auftraggeber auszugehen. Der Kläger habe seine Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren durch verspätete bzw. Nichtabgabe von Steuererklärungen der Jahre 2009 bis 2011 und von Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen seit dem Jahr 2010 verletzt. Außerdem habe der Kläger die Umsatzsteuern 2009 sowie für den Zeitraum 1. bis 4. Quartal 2011 bislang nicht entrichtet. Darüber hinaus verwies die Beklagte auf ein berufsgerichtliches Ermittlungsverfahren bei der Generalstaatsanwaltschaft X (Az. …), dessen Hintergrund die Verletzung der Pflicht zur Zahlung des Kammerbeitrags für das Geschäftsjahr 2011 sei.
7
Gegen den dem Kläger am 10. August 2012 zugestellten Widerruf der Bestellung als Steuerberater hat der Kläger am 10. September 2012 Klage erhoben.
8
Mit Verfügung vom 26. November 2012 hat der Berichterstatter den Kläger nach § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, ein vollständiges Vermögensverzeichnis über Vermögenswerte und Schulden sowie eine Aufstellung über seine laufenden Einnahmen und Ausgaben vorzulegen, Nachweise über Ratenzahlungsvereinbarungen mit sämtlichen Gläubigern, Löschung aller Eintragungen im Schuldnerverzeichnis bis zum 4. Januar 2013 nachzuweisen. Diese Frist hat der Berichterstatter aufgrund entsprechender Anträge des Klägers zunächst bis zum 4. Februar 2013 und sodann bis zum 4. März 2013 verlängert.
9
Zur Begründung der Klage wiederholt der Kläger seine Ansicht, ein Vermögensverfall läge nicht vor. In einem Termin zum 15. Dezember 2010 beim Obergerichtsvollzieher … aus … habe er durch geeignete und erforderliche Mittel bewirken können, dass durch Zahlung und durch die Vorlage von Urkunden die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung abgewendet worden sei. Eine konkrete Gefährdung der Vermögensinteressen seiner Mandanten läge nicht vor. Die Betreuung seiner noch verbliebenen Mandanten bestehe ausschließlich in der Erledigung von Buchführungen, beratenden Tätigkeiten und in der Fertigstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen. In keinem Fall habe er die Möglichkeit des Zugriffs auf Mandantengelder und verwalte auch treuhänderisch keine Fremdgelder. Es liefen niemals Mandantengelder über sein Geschäfts- oder Privatkonto, die Zahlungen erfolgen ausschließlich durch seine Mandanten selbst. Die ihm privat vorgeworfenen Unzuverlässigkeiten dürften nicht zu der Schlussfolgerung führen, dass eine Gefährdung von Mandanteninteressen wahrscheinlich sei.
10
Ferner trägt der Kläger unter Bezugnahme auf die dem Gericht mit Schriftsatz vom 4. März 2013 übersandten Unterlagen vor, er habe seit Januar 2012 regelmäßig Raten an den Gerichtsvollzieher … im Gesamtbetrag von 6.000 € geleistet. Diese Zahlungen habe der Gerichtsvollzieher … an die genannten Gläubiger weitergeleitet. Diese hätten der Ratenzahlung nicht widersprochen, sondern seien damit einverstanden. Deshalb drohe keine Vollstreckung durch die Gläubiger. Im Übrigen habe das FA … seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgenommen, sämtliche Steuerverbindlichkeiten seien beglichen. Er, der Kläger, sei zur Zeit nur noch mit 7 Haftandrohungen wegen Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung im Schuldnerverzeichnis eingetragen. Diese Eintragungen würden zudem in einigen Monaten gelöscht.
11
Ergänzend legt der Kläger eine Wirtschaftlichkeitsberechnung für 2013 auf der Grundlage der Zahlen von 2012 vor, in denen auch private Einnahmen und Ausgaben aufgeführt sind.
12
Der Kläger beantragt,
13
den Bescheid über den Widerruf der Bestellung als Steuerberater vom 9. August 2012 aufzuheben,
14
Die Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Sie hält an ihrer im Widerrufsbescheid vertretenen Rechtsauffassung fest und verweist auf die dortigen Ausführungen. Ergänzend verweist die Beklagte darauf, dass es sich bei § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG um einen abstrakten Gefährdungstatbestand handele und der Kläger der Entlastungsbeweis aufgrund seiner Nachlässigkeit in steuerlichen Angelegenheiten bislang nicht gelungen sei.
17
Nach Auskunft des Amtsgerichts vom 27. Februar 2013 war der Kläger seinerzeit im dort geführten Schuldnerverzeichnis noch mit insgesamt 15 Haftanordnungen wegen Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung eingetragen.
Entscheidungsgründe
18
Die Klage ist nicht begründet.
19
Der angefochtene Bescheid über den Widerruf der Bestellung als Steuerberater vom 9. August 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die Beklagte hat die Bestellung des Klägers als Steuerberater zu Recht widerrufen. Auf Grund des ihr seinerzeit bekannten Sachverhalts konnte die Beklagte davon ausgehen, zum Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater verpflichtet zu sein. Die Aufhebung des Widerrufs kommt auch nicht auf Grund einer bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 7. März 2013 eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage in Betracht. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung des Klägers zum Steuerberater lagen sowohl im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides vom 9. August 2012 als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am 7. März 2013 vor.
20
1. Der Widerruf der Bestellung als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG wegen Vermögensverfall des Klägers ist rechtmäßig erfolgt.
21
Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ist die Bestellung als Steuerberater zu widerrufen, wenn dieser in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind.
22
a) Der Vermögensverfall, der als insolvenzähnlicher Tatbestand die Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden in sich schließt, setzt über den Eintritt ungeordneter schlechter finanzieller Verhältnisse, die sich in absehbarer Zeit nicht beheben lassen voraus, dass der Schuldner außerstande ist, seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen (BFH-Urteile vom 6. Juni 2000 VII R 68/99, HFR 2000, 741, vom 22. August 1995 VII R 63/94, BStBl. II 1995, 909; zum Beruf des Notars: Beschluss des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 22. März 2004 NotZ 23/03, NJW 2004, 2018, m.w.N.). Dieser Vermögensverfall wird nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 2 StBerG u.a. bei Eintragung des Steuerberaters in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Schuldnerverzeichnis vermutet.
23
Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Bestellung lagen am 9. August 2012 vor. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt in Vermögensverfall, da er als Schuldner mit 16 Haftbefehlsanordnungen wegen Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung in das Schuldnerverzeichnis beim Amtsgericht … eingetragen war.
24
Die Vermutung des Vermögensverfalls ist zwar widerlegbar; eine Widerlegung ist dem Kläger jedoch nicht gelungen. Hierzu hätte es der genauen Angabe von Tatsachen bedurft, aus denen sich ergibt, dass im Einzelfall trotz der bestehenden Eintragungen im Schuldnerverzeichnis tatsächlich kein Vermögensverfall gegeben war. Es wäre hierfür erforderlich gewesen, dass der Kläger seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darlegt, insbesondere eine Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobenen Forderungen vorlegt und nachweist, dass diese inzwischen erfüllt sind oder dartut, wie sie auf Erfolg versprechende Weise in absehbarer Zeit erfüllt werden sollen (vgl. zum Beruf des Notars: BGH-Beschluss vom 22. März 2004 NotZ 23/03, a.a.O., m.w.N.). Dies hat der Kläger jedoch nicht getan. Im Anhörungsverfahren hat der Kläger lediglich geltend gemacht, er zahle vereinbarte Monatsraten an den zuständigen Gerichtsvollzieher und er bestreite Forderungen des FA i.H.v. 10.010,16 EUR. Damit hatte er die Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt. Stattdessen sprachen zumindest die unstreitigen Steuerrückstände des Klägers für die Vermutung des Vermögensverfalls.
25
b) Der Widerruf der Bestellung zum Steuerberater konnte auch nicht im Hinblick auf möglicherweise nicht gefährdete Mandanteninteressen unterbleiben. Die Bestellung ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG nicht zu widerrufen, wenn die Interessen der Auftraggeber durch den Vermögensverfall nicht gefährdet sind.
26
(1) Die Gefährdung von Auftraggeberinteressen wird auf Grund des Vermögensverfalls vermutet. Insoweit ist unerheblich, ob dem Vermögensverfall ein Verschulden des Klägers zu Grunde liegt. Für den Umstand, dass Mandanteninteressen im Zusammenhang mit dem Vermögensverfall nicht gefährdet sind, trägt der Steuerberater die Darlegungs- und Feststellungslast (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 86/99, HFR 86/99, HFR 2000, 741 m.w.N.). Derartige Umstände hat der Kläger jedoch nicht dargelegt. Die bloße Behauptung, Mandanteninteressen seien nicht gefährdet, reicht hierfür nicht aus. So reicht es für die Widerlegung der Vermutung, dass Auftraggeberinteressen gefährdet werden können, auch nicht aus, dass der Kläger sich nicht vorwerfen lassen muss, steuerliche Erklärungs- und Zahlungspflichten auf Dauer missachtet zu haben. Ist dies der Fall oder ein Steuerberater sonst in beruflichen oder eigenen Angelegenheiten unzuverlässig gewesen, fällt dies zwar zusätzlich zu seinen Lasten ins Gewicht, ohne dass indes umgekehrt bei bisher im Wesentlichen korrektem Verhalten des Steuerberaters ohne weiteres ausgeschlossen ist, dass er auf Grund seiner Schulden, insbesondere wenn diese erheblich sind, Mandanteninteressen nicht mit der erforderlichen Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit verfolgen kann, wie wenn er sich um seine eigene Vermögenslage nicht sorgen müsste (BFH-Beschluss vom 4. März 2004 VII R 21/02, BFH/NV 2004, 895, 897 m.w.N.).
27
Eine Gefährdung von Auftraggeberinteressen lässt sich aber jedenfalls dann nicht ausschließen, wenn feststeht, dass der Steuerberater in seinen sonstigen geschäftlichen oder eigenen Angelegenheiten unzuverlässig ist und sich nicht an gesetzliche Vorgaben hält. Daraus ist zu schließen, dass der Kläger die Interessen seiner Mandanten ebenfalls missachten würde, wenn ihn seine schlechten finanziellen Verhältnisse dazu zwingen würden (BFH-Urteil vom 4. Juli 2000 VII R 103/99, BFH/NV 2001, 69). In solchen Fällen ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene unter Missachtung vertraglicher Vereinbarungen auch Mandanteninteressen verletzt, so groß, dass von einer konkreten Gefährdung der Auftraggeberinteressen auszugehen ist (BFH-Urteil vom 4. Juli 2000 VII R 103/99 a.a.O.). Die Steuerrechtspflege ist ein wichtiges Gemeinschaftsgut und deshalb im Interesse des allgemeinen Wohles besonders zu schützen. Dazu gehört u. a. auch, die Gefährdung der Interessen solcher Personen auszuschließen, die sich bei der Wahrnehmung ihrer steuerrechtlichen Belange der Hilfe eines Steuerberaters bedienen. Wegen der mit der Steuerberatung notwendig verbundenen Vertrauensposition müssen die Auftraggeber soweit wie irgend möglich gegen einen Missbrauch dieser Position durch den Steuerberater zu eigenen Zwecken geschützt werden. Das bedeutet, dass, wenn die Gefährdung von Auftraggeberinteressen nicht auszuschließen ist, ein Schutz des Vertrauens in den Bestand einer Bestellung als Steuerberater hinter dem Interesse am Schutz des Allgemeinwohles mit der Folge des Widerrufs der Bestellung als Steuerberater zurückzutreten hat (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 2000 VII R 24/99).
28
(2) Im vorliegenden Fall konnte sich der Kläger bereits nicht darauf berufen, stets seinen beruflichen Pflichten nachgekommen zu sein und seine Tätigkeit beanstandungsfrei ausgeübt zu haben. Vielmehr ergibt sich eine konkrete Gefährdung von Mandanteninteressen – wie die Beklagte zutreffend angeführt hat – auch aus dem Umstand, dass der Kläger seinen steuerlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten gegenüber dem Finanzamt nicht bzw. nicht fristgerecht nachgekommen ist.
29
2. Die Aufhebung des Widerrufsbescheids kommt auch nicht auf Grund einer bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 7. März 2013 eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage in Betracht. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sind nicht als geordnet zu bewerten.
30
Zwar kann der Widerruf der Bestellung als Steuerberater nicht aufrechterhalten werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Rechtspflicht für eine sofortige Wiederbestellung besteht (BFH-Urteil vom 22. August 1995 VII R 63/94, BStBl. II 1995, 909), etwa weil die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse tatsächlich eingetreten ist (BFH-Beschluss vom 14. Februar 2008 VII B 227/07, juris). Es muss in diesem Fall zweifelsfrei feststehen, dass sich die Vermögensverhältnisse nachhaltig gebessert haben. Dies folgt auch aus § 48 Abs. 2 i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 StBerG, wonach vor der Wiederbestellung u.a. zu prüfen ist, ob der zu bestellende Steuerberater in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt (BFH-Urteil vom 22. August 1995 VII R 63/94, a.a.O.). Ein Anspruch des Klägers auf Wiederbestellung besteht jedoch nicht.
31
a) Geordnete wirtschaftliche Verhältnisse liegen vor, wenn die Ausgaben des Schuldners seine regelmäßigen Einkünfte nicht übersteigen, wenn der Schuldendienst gesichert ist und die Schulden nach Art und Höhe in Ansehung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse in einem überschaubaren Zeitraum getilgt werden können (BFH-Urteile vom 22. August 1995 VII R 63/94, a.a.O., vom 30. März 2004 VII R 56/03, BFH/NV 2004, 1426). Ein Vermögensverfall ist demnach erst dann beseitigt, wenn der Schuldner mit den Gläubigern der Forderungen Vereinbarungen getroffen hat, die erwarten lassen, dass es zu keinen Vollstreckungsmaßnahmen mehr kommen wird; nur dann ist anzunehmen, dass der Schuldner in Zukunft seine Schulden aus seinen Einkünften in geordneter und vorausschaubarer Weise begleichen kann und deshalb ein Vermögensverfall im Sinne des Gesetzes trotz der bestehenden Schulden nicht mehr besteht (BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 68/99, a.a.O.).
32
b) Der Kläger befindet sich nach wie vor in Vermögensverfall, er ist nach eigenen Angaben weiterhin mit 7 Haftandrohungen im Schuldnerverzeichnis eingetragen. Der Kläger hat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung Tilgungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern nicht abgeschlossen. Dass die Gläubiger den Ratenzahlungen des Klägers an den Gerichtsvollzieher … nicht widersprochen haben, ersetzt nicht den Abschluss von Tilgungsvereinbarungen zwischen den Gläubigern und dem Kläger. Die Zahlungen an den Gerichtsvollzieher belegen stattdessen, dass die Gläubiger gegen den Kläger vollstrecken.
33
c) Ebenso ist keine Änderung der Sachlage hinsichtlich der Gefährdung von Auftraggeberinteressen eingetreten. Vielmehr fällt vorliegend ins Gewicht, dass eine konkrete Gefährdung von Auftraggeberinteressen schon deshalb nicht verneint werden kann, weil der Kläger in sonstigen geschäftlichen oder auch eigenen Angelegenheiten unzuverlässig ist und sich nicht an gesetzliche Vorgaben hält. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Steuerberater unter dem Druck seiner Vermögenslosigkeit auch Mandanteninteressen unter Missachtung vertraglicher Vereinbarungen verletzt, so groß, dass von einer konkreten Gefährdung von Auftraggeberinteressen auszugehen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 10. April 2006 VII B 232/05, BFH/NV 2006, 1520 m.w.N.). So ist bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung zu Ungunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er in der Vergangenheit seine Steuererklärungen nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben und seinen steuerlichen Zahlungspflichten, insbesondere zur Umsatzsteuer nicht bzw. nicht rechtzeitig nachgekommen ist.
34
Die Gefährdung von Auftraggeberinteressen entfällt auch nicht bereits durch den Vortrag des Klägers, die Betreuung seiner noch verbliebenen Mandanten bestehe ausschließlich in der Erledigung von Buchführungen, beratenden Tätigkeiten und in der Fertigstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen; in keinem Fall habe er die Möglichkeit des Zugriffs auf Mandantengelder und verwalte auch treuhänderisch keine Fremdgelder. Für den Fall der Insolvenzeröffnung hat der BGH entschieden, dass in der Regel erst dann, wenn das Insolvenzverfahren zu einem Abschluss führt, bei dem mit einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Insolvenzschuldners gerechnet werden kann, das heißt mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts, davon ausgegangen werden kann, dass nicht nur der Vermögensverfall, sondern auch eine Gefährdung der Interessen von Auftraggeberinteressen nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr fortbesteht (zum Beruf des Rechtsanwalts: BGH-Beschlüsse vom 25. Juni 2007 AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924; vom 18. Oktober 2004 AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; vom 16. April 2007 AnwZ (B) 6/06, juris). Anders liegt es zwar, wenn besondere Umstände, insbesondere arbeitsvertragliche Beschränkungen und Sicherungsvorkehrungen, die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts schon vor Abschluss des in die Wege geleiteten Insolvenzverfahrens nicht mehr zu befürchten ist (BGH-Beschlüsse vom 25. Juni 2007 AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924; vom 18. Oktober 2004 AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511). Solche Umstände sind im vorliegenden Streitfall nicht ersichtlich. Der Kläger hat im Rahmen des Klageverfahrens lediglich seine Ansicht vorgetragen, Mandanteninteressen seien nicht gefährdet. Umstände, die – trotz des Vermögensverfalls – diese Ansicht stützen könnten, hat er nicht vorgetragen. Arbeitsvertragliche Beschränkungen und Sicherungsvorkehrungen sind weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Der tatsächlich vom Kläger dargestellte praktizierte Arbeitsweise ist durch ihn selbst jederzeit änderbar und begründet damit keine besonderen Umstände, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht zu befürchten ist.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Aufwendungen für Golfturniere als nicht abziehbare Betriebsausgaben.
Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 19.09.2013, 6 K 38/12
§ 4 Abs 5 S 1 Nr 4 EStG
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen Steuerbescheide, die im Anschluss an Feststellungen einer Außenprüfung ergangen sind; streitig ist die Einordnung von Aufwendungen im Zusammenhang mit Golfturnieren als nicht abziehbare Betriebsausgaben gem. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetztes (EStG).
2
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Unternehmen, dessen Gegenstand der Betrieb einer Brauerei ist.
3
[…]
4
Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG unter Zugrundelegung eines vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahres vom 1. Oktober bis 30. September des Folgejahres (§ 4a EStG i.V.m. § 7 Abs. 4 Satz 2 KStG).
5
Die Klägerin hatte mit Betreibern von Golfplätzen (Vereinen) bzw. den Betreibern der angeschlossenen Gastronomie Verträge hinsichtlich der Lieferung von Getränken (insbesondere Bier) geschlossen. Im Rahmen dieser vertraglichen Beziehungen – grundsätzlich bereits bei Abschluss der (Bier-) Liefervereinbarungen – hatte sich die Klägerin vertraglich verpflichtet, Golfturniere durchzuführen (in der Regel ein Turnier pro Jahr) bzw. die Durchführung von Golfturnieren durch die Golfvereine finanziell zu unterstützen. Dies erfolgte im Rahmen einer Golfturnierreihe, des sog. „ABC“. In den Streitjahren wurden im Rahmen des „ABC“ durchschnittlich 20 Turniere pro Jahr von verschiedenen Golfvereinen ausgerichtet. Die Klägerin übernahm für die einzelnen Turniere Kosten i.H.v. jeweils etwa 2.000 – 3.000 EUR. Die Golfvereine übernahmen die Organisation, die Ausschreibung sowie die Turnierausrichtung und luden die Teilnehmer zu den Turnieren ein. Einzelheiten bezüglich der Preise und der Verpflegung sprach ein Außendienstmitarbeiter der Klägerin mit dem Spielführer bzw. Präsidenten sowie mit der Gastronomie des jeweiligen Golfklubs ab. Nach eigenen Angaben der Klägerin hatte sie keinen Einfluss auf die Teilnehmerliste. Die Teilnehmer der Turniere meldeten sich auf die Ausschreibungen der Vereine zur Teilnahme an. Es nahmen sowohl Mitglieder des ausschreibenden Klubs als auch Gäste aus anderen Vereinen teil. In der Regel nahm ein Vertreter der Klägerin die Siegerehrung vor. Die Klägerin übernahm vereinbarungsgemäß die Kosten für die Platzmiete, die Verpflegung und die Preise; diese Kosten stellten die Golfvereine der Klägerin in Rechnung. Gemäß den Bierliefervereinbarungen brachten die Golfvereine im Gegenzug beim „ABC“, während der anderen Golfturniere sowie in der angeschlossenen Gastronomie das gesamte Jahr über das Bier und weitere Getränke der Klägerin zum Ausschank.
6
Die Klägerin reichte die Steuererklärungen der Streitjahre am xx.xx 2005 (für 2004), am xx.xx 2006 (für 2005), am xx.xx 2007 (für 2006) sowie am xx.xx 2008 (für 2007) beim Beklagten ein. Im Rahmen der ebenfalls eingereichten Jahresabschlüsse hatte die Klägerin als Aufwendungen für die Unterstützung der Golfvereine für die Golfturniere im Rahmen des „ABC“ als Betriebsausgaben (brutto) berücksichtigt:
7
2004:
32.782 EUR
2005:
43.599 EUR
2006:
35.649 EUR
2007:
44.580 EUR
8
Der Beklagte folgte zunächst den Angaben der Klägerin in den Steuererklärungen und erließ Bescheide über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag […]. Die Bescheide ergingen jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).
9
[…]
10
In der Zeit vom 30. März 2009 bis 14. Juni 2010 führte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung J. bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, die die Jahre 2004 – 2007 umfasste. Im Rahmen dieser Außenprüfung kam der mit der Prüfung beauftragte Betriebsprüfer zu der Ansicht, dass die Aufwendungen der Klägerin im Rahmen des „ABC“ als nicht abziehbare Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG die Gewinne der Streitjahre nicht mindern dürften.
11
Die Klägerin trat dieser Ansicht bereits im Rahmen der Außenprüfung mit Schreiben vom 9. Juli 2010 entgegen. Es handele sich nicht um Repräsentationsaufwendungen und es bestehe nicht die Möglichkeit, Geschäftsfreunde zu unterhalten oder etwa privaten Neigungen nachzugehen. Die Golfturniere seien für die Klägerin eine Art „Türöffner/Türhalter“. Die Kosten dienten zur Bewahrung der Lieferbeziehungen; sie stellten daher einen „Naturalrabatt“ dar. Die Aufwendungen dienten nicht der Beziehung zu den Golf spielenden Turnierteilnehmern. Vielmehr gehe es um die Lieferbeziehungen zu den Golfvereinen bzw. den Betreibern der an die Golfplätze angeschlossenen Gastronomie. Weder die Kommanditisten der KG noch die Geschäftsführer und leitenden Angestellten der Klägerin spielten Golf bzw. seien diesem Sport persönlich verbunden.
12
Der Betriebsprüfer blieb jedoch bei seiner Ansicht und bewertete die Aufwendungen als nicht abziehbare Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG. Wegen der Einzelheiten der Feststellung wird auf Tz. 25 des Berichts über die Außenprüfung vom 25. Februar 2011 Bezug genommen (am Ende der unpaginierten Betriebsprüfungsarbeitsakte zu Außendienst Nr. 813-2/09).
13
Der Beklagte folgte den Feststellungen der Außenprüfung und erließ jeweils am xx.xx 2011 Änderungsbescheide für 2004 – 2007 […].
14
Die Klägerin legte am xx.xx 2011 Einsprüche ein gegen die „Körperschaftsteuerbescheide 2004 bis 2007“ und „Gewerbesteuermessbescheide 2004 bis 2007“. Zur Begründung nahm sie mit Schreiben vom 27. Juli 2011 Bezug auf ihr Schreiben vom 9. Juli 2010.
15
Die Einsprüche hatten keinen Erfolg; der Beklagte wies die Einsprüche „gegen Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2004 – 2007“ durch Einspruchsbescheid vom xx.xx 2012 als unbegründet zurück. Bei den Aufwendungen für Platzmiete, Teilnahmegebühren, Bewirtungen und Preisen im Zusammenhang mit Golfturnieren handele es sich um Aufwendungen für ähnliche Zwecke i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG. Die Aufwendungen dienten der Unterhaltung von Geschäftsfreunden. Als Geschäftsfreunde seien im Streitfall sowohl die Gaststättenbetreiber als auch die Mitglieder und Gäste der Vereine anzusehen, denen die aktive oder passive Teilnahme an den Golfturnieren zur sportlichen Betätigung bzw. Unterhaltung diene. Die Aufwendungen dienten auch insbesondere der Repräsentation. Es werde die Marke „Privatbrauerei Y“ im Zusammenhang mit einer exklusiven Sportart gebracht und somit der Öffentlichkeit als besonders hoch bewertet dargestellt. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Vertreter der Klägerin durch ihren Auftritt anlässlich der Preisverleihungen ein persönliches Repräsentationsbedürfnis befriedigten. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Aufwendungen für Golfturniere vertraglich in den Lieferbeziehungen mit den Golfklubs bzw. der angeschlossenen Gastronomie vereinbart worden seien. Das Ausrichten eines Golfturniers gehe über die üblichen Vertragsbedingungen hinaus und stelle einen Vorteil dar, den andere Gaststättenbetreiber nicht erhielten. Die Aufwendungen seien auch nicht mit einem Naturalrabatt vergleichbar, da die Unterstützungsmaßnahmen nicht in Abhängigkeit von erzielten Umsätzen gewährt würden.
16
Hiergegen hat die Klägerin am 13. Februar 2012 Klage erhoben. Sie begehrt die Änderung der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbetragsfestsetzung der Jahre 2004 – 2007. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsvorverfahren.
17
Ergänzend nimmt die Klägerin Bezug auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 1. September 2010 (4 K 11163/07, EFG 2011, 1314). Sie, die Klägerin, sei nicht als Bewirtender i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG anzusehen. Dies seien jeweils die organisierenden Golfvereine. Die Aufwendungen seien nicht durch die Durchführung von Golfturnieren, sondern durch den Abschluss der Bierlieferungsverträge veranlasst. Außerdem äußert die Klägerin die Ansicht, die Aufwendungen seien im Zusammenhang mit einer mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübten Betätigung angefallen, so dass diese auch aufgrund der Rückausnahme des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG abziehbar seien. Denn die Aufwendungen stünden in einem konkreten Zusammenhang mit dem Getränkeabsatz.
18
Der Senat hat durch Beschluss vom 19. September 2013 das Verfahren wegen Körperschaftsteuer 2004 abgetrennt und nach § 72 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt, da die Klägerin die Klage im Verlauf der mündlichen Verhandlung insoweit zurückgenommen hat.
19
Die Klägerin beantragt,
20
bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens 2005 – 2007 sowie des Gewerbeertrages 2004 – 2007 die Aufwendungen für den „ABC“ i.H.v. 32.782 EUR (für 2004), 43.599 EUR (für 2005), 35.649 EUR (für 2006) und i.H.v. 44.580 EUR (für 2007) nicht gewinnerhöhend zu berücksichtigen und daher die Bescheide für 2005 bis 2007 über Körperschaftsteuer und 2004 bis 2007 über den Gewerbesteuermessbetrag, jeweils vom xx.xx 2011 und in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom xx.xx 2012, zu ändern.
21
Der Beklagte beantragt,
22
die Klage abzuweisen.
23
Er hält an seiner dem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Rechtsauffassung fest und verweist insoweit auf die dortigen Ausführungen. Die Klägerin sei auch als „Bewirtender“ oder als „Veranstalter“ anzusehen. Sie habe die Rechnungen beglichen und sei nach außen hin als Verantwortlicher aufgetreten. Dafür spräche auch die Bezeichnung der Turniere als „ABC“. Ergänzend trägt sie ihre Ansicht vor, die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG greife nicht Platz. Die Klägerin betreibe kein Gewerbe im Bereich des Golfsports.
Entscheidungsgründe
24
Die Klage ist unbegründet.
25
Die angefochtenen Bescheide für 2005 bis 2007 über Körperschaftsteuer und 2004 bis 2007 über den Gewerbesteuermessbetrag, jeweils vom xx.xx 2011 und in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom xx.xx 2012 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Recht die Aufwendungen für den „ABC“ als nichtabzugsfähige Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG eingeordnet. Die Ausnahmeregelung nach § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG greift nicht Platz.
26
1. Die Aufwendungen für die Golfturniere sind gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig.
27
a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG Vorschrift dürfen Aufwendungen für Jagd oder Fischerei, für Segeljachten oder Motorjachten sowie für ähnliche Zwecke und für die hiermit zusammenhängenden Bewirtungen den Gewinn nicht mindern. Unter den Begriff der Aufwendungen für „ähnliche Zwecke“ im Sinne dieser Vorschrift fallen insbesondere Aufwendungen für Zwecke der sportlichen Betätigung, der Unterhaltung von Geschäftsfreunden, der Freizeitgestaltung oder der Repräsentation (BFH-Urteile vom 3. Februar 1993 I R 18/92, BStBl II 1993, 367; vom 7. Februar 2007 I R 27-29/05, BFH/NV 2007, 1230). Hierunter fällt auch der Golfsport und damit zusammenhängende Veranstaltungen (BFH-Urteil vom 3. Februar 1993, BStBl II 1993, 367; BFH-Beschlüsse vom 26. April 2005 I B 243/04, BFH/NV 2005, 1590; vom 29. Dezember 2008 X B 123/08, BFH/NV 2009, 752; Urteil des Hessischen FG vom 2. Mai 2013 11 K 1165/12, juris; ebenso Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 4 EStG, Rz 1320 mit Verweis auf die amtliche Begründung des Steueränderungsgesetzes 1960, Bundestags-Drucksache III/1811, Seite 8), da er ähnliche Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung, Unterhaltung, Freizeitgestaltung und Repräsentation bietet wie etwa der Segel-, Reit-, oder Flugsport. Aufwendungen im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG können durch eine entsprechende Einrichtung, die Ausübung der Tätigkeiten oder die Benutzung der Einrichtungen entstehen. Es ist ohne Bedeutung, ob es sich um eigene oder gepachtete Einrichtungen handelt. Auch die Kosten für die Benutzung fremder Anlagen oder Wirtschaftsgüter fallen unter das Abzugsverbot (Heinicke in Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 4 EStG, Rz 567).
28
Die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG ist nicht nur nach ihrem reinen Wortsinn, sondern auch nach dem Sinnzusammenhang auszulegen, in den sie gestellt ist. Danach ist § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG eine Vorschrift, die auf dem auch in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken beruht und letzterer Vorschrift vorgeht. Als ihre Rechtsfolge soll der Gewinn nicht um bestimmte betrieblich veranlasste Repräsentationsaufwendungen gemindert werden können. Dabei unterstellt das Gesetz die Unangemessenheit der Aufwendungen nach der Art einer unwiderlegbaren Vermutung, weshalb von ihrer Höhe nicht auf die Abziehbarkeit bzw. die Nichtabziehbarkeit geschlossen werden kam (BFH-Urteil vom 3. Februar 1993 I R 18/92, BStBl II 1993, 367; Urteil des Hessischen FG vom 2. Mai 2013 11 K 1165/12, juris). Durch die Abzugsverbote des § 4 Abs. 5 EStG wollte der Gesetzgeber die tatsächlichen Schwierigkeiten, die bei der Abgrenzung zwischen dem betrieblichen Bereich und der privaten Lebensführung auftreten, in pauschalierender Weise lösen und Missbräuchen des Steuerpflichtigen vorbeugen (BFH-Urteil vom 7. Februar 2007 I R 27-29/05, BFH/NV 2007, 1230). § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG ordnet ein Abzugsverbot für die von der Vorschrift erfassten Repräsentationsaufwendungen an, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit auf der Hand liegt, dass sie die private Lebensführung berühren. Scheitert die Abziehbarkeit nicht bereits an § 12 Nr. 1 EStG, greift das Abzugsverbot ein. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG genannten Aufwendungen generell nicht abziehbar sein sollen, weil sie nach Auffassung des Gesetzgebers bereits ihrer Art nach als unangemessener Repräsentationsaufwand anzusehen sind (BFH-Urteil vom 7. Februar 2007 I R 27-29/05, BFH/NV 2007, 1230).
29
Es widerspräche dem mit der Regelung verfolgten Vereinfachungszweck, wenn für die Frage des Abzugs der in Zusammenhang mit der Ausrichtung der Golfturniere anfallenden Kosten zu prüfen wäre, ob die Anbahnung und Förderung von Geschäftsabschlüssen im Vordergrund standen oder ob diese der Unterhaltung von Geschäftsfreunden oder der Befriedigung einer Neigung des Unternehmers diente. Diese Abgrenzung, die – wenn überhaupt – nur unter Schwierigkeiten möglich ist, zu erübrigen, ist gerade das Ziel der Vorschrift. Das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG greift daher jedenfalls immer dann ein, wenn – wie im Streitfall – bei typisierender Betrachtung die Möglichkeit besteht, Geschäftsfreunde zu unterhalten oder privaten Neigungen nachzugehen (BFH-Urteil vom 7. Februar 2007 I R 27-29/05, BFH/NV 2007, 1230; BFH-Beschluss vom 29. Dezember 2008 X B 123/08, BFH/NV 2009, 752; Urteil des Hessischen FG vom 2. Mai 2013 11 K 1165/12, juris). Die auf Kosten der Klägerin durchgeführten Golfturniere dienten jedenfalls auch der sportlichen Betätigung der Teilnehmer und der Repräsentation des klägerischen Unternehmens. Die Aufwendungen hierfür sind daher vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen.
30
b) Entgegen der Ansicht der Klägerin, greift im Streitfall die Ausnahmeregelung des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG nicht Platz.
31
Die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG findet nach Satz 2 des § 4 Abs. 5 EStG keine Anwendung, soweit der in Satz 1 Nr. 4 bezeichnete Zweck Gegenstand einer mit Gewinnabsicht ausgeübten Betätigung des Steuerpflichtigen ist. Die Voraussetzungen dieser (Rück-)Ausnahme sind im Streitfall aber nicht erfüllt, da die Klägerin die Finanzierung von Golfturnieren nicht gewerblich ausübt und aus dieser Tätigkeit nicht unmittelbar Einkünfte erzielt.
32
Die Klägerin betreibt zwar eine Brauerei, so dass durch den Ausschank des Bieres der Klägerin und die Verpflichtung der Ausrichtung eines Turniers in den Bierlieferverträgen eine Verbindung zwischen den Golfturnieren und den Leistungen des Unternehmens der Klägerin gegeben ist. Diese Verbindung reicht allerdings allein nicht aus, die Klägerin mit der Finanzierung von Golfturnieren aus dem Tatbestandsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG auszuschließen. Denn die Ausnahme zur Abzugsbeschränkung knüpft nicht personenbezogen an eine entsprechende betriebliche/berufliche Hauptbetätigung an. Sie erfordert im Zusammenhang mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG vielmehr eine konkret in Gewinnabsicht ausgeübte Betätigung (BFH-Beschluss vom 12. Mai 2003 I B 157/02, BFH/NV 2003, 1314 zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG). Die (konkrete) Betätigung muss stets einen konkreten Zusammenhang zur betrieblichen Tätigkeit des Unternehmers aufweisen (BFH-Urteil vom 7. September 2011 I R 12/11, BStBl II 2012, 194). Besteht ein solcher konkreter Zusammenhang nicht und liegt im Ergebnis nur eine indirekte Förderung der mit Gewinnabsicht ausgeübten Betätigung des Steuerpflichtigen vor (Anbahnung und Sicherung von Geschäftsfreundschaften), entfällt indes der Grund für die in § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG eingeräumte (Rück-)Ausnahme; der Unternehmer befindet sich dann in keiner anderen Situation als ein beliebiger anderer Unternehmer, dessen Betätigung nicht auf eine in Gewinnabsicht ausgeübte Betätigung gerichtet ist. Hier wie dort tritt der Zweck der Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG in den Vordergrund, der u.a. darin besteht, Aufwendungen, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten typisierend einen konkreten Bezug zur Lebensführung haben, nicht in vollem Umfang zum Abzug als Betriebsausgabe zuzulassen. Insoweit ist es gleichheitsgerecht, die Rückausnahme des § 4 Abs. 5 Satz 2 EStG eng aufzufassen (BFH-Urteil vom 7. September 2011 I R 12/11, BStBl II 2012, 194).
33
Im Streitfall steht die Finanzierung der Turniere (jeweils) nicht im konkreten Zusammenhang mit einer in Gewinnabsicht ausgeübten konkreten Betätigung der Klägerin. Die Klägerin hat zwar im Rahmen der gesamten vertraglichen Regelungen des jeweiligen Bierliefervertrags über die Dauer des Vertragszeitraums Getränke in Gewinnabsicht geliefert. Dagegen hat sie die konkreten einzelnen Golfturniere nicht mit Gewinnerzielungsabsicht finanziert, sondern diese vielmehr als werbende Veranstaltung genutzt. Wird – wie im Streitfall – das Golfturnier als werbende Veranstaltung für den Golfverein und die Klägerin finanziert, wird dem Golfspieler/Kunden/Geschäftspartner lediglich zur Schaffung eines besseren Geschäftsklimas etwas zugewendet, das jener anderenfalls auf eigene Kosten hätte gestalten müssen.
34
c) Der Beklagte war auch berechtigt, die Bescheide für 2005 bis 2007 über Körperschaft-steuer und 2004 bis 2007 über den Gewerbesteuermessbetrag […] nach § 164 Abs. 2 AO zu ändern. Die Festsetzungen standen unter Vorbehalt der Nachprüfung, so dass Änderungen nach § 164 Abs. 2 AO erfolgen konnten.
35
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
36
3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache und zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Widerruf der Bestellung als Steuerberater – Mehrfache Eintragung im Schuldnerverzeichnis
Eine Gefährdung von Auftraggeberinteressen entfällt nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die damit verbundene Verfügungsbeschränkung des Insolvenzschuldners.
Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 26.01.2012, 6 K 234/11
§ 46 Abs 2 Nr 4 StBerG
Tatbestand
1
(Überlassen von Datev)
2
Die Beteiligten streiten um den Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater.
3
Der Kläger wurde 1999 zum Steuerberater bestellt und führt eine Steuerberatungskanzlei in … Nachdem die Oberfinanzdirektion H der Beklagten mitgeteilt hatte, dass der Kläger in Vollstreckung befindliche Steuerrückstände habe (zuletzt mit Schreiben vom 21. April 2011: i.H.v. 15.977,55 €), mehrere Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn ergriffen worden seien, der Kläger Ratenzahlungsvereinbarungen nicht eingehalten habe und beim Amtsgericht S im dort geführten Schuldnerverzeichnis mit einer Haftanordnung gern. §§ 901, 915 der Zivilprozessordnung (ZPO) wegen Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung eingetragen sei, hörte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 9. Mai 2011 zu einem möglichen Widerruf der Bestellung als Steuerberater mit Fristsetzung bis zum 9. Juni 2011 an.
4
Nachdem der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt nicht Stellung genommen hatte, widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juni 2011 die Bestellung des Klägers als Steuerberater. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Widerruf erfolge gern. § 46 Abs. 2 Nr. 4 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) auf Grund des Vermögensverfalls des Klägers. Der Vermögensverfall sei wegen der Eintragung des Klägers im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts S zu vermuten. Im Übrigen befinde sich der Kläger auch tatsächlich in Vermögensverfall. Diese Annahme beruhe auf rückständigen Kammerbeiträgen und Zwangsgeldern (6.237 €), auf den Steuerrückständen des Klägers sowie weiteren Verbindlichkeiten gegenüber mehreren Gläubigern, die Frau Obergerichtsvollzieherin St. der Beklagten mit Schreiben vom 16. September 2010 sowie vom 31. Januar 2011 und vom 3. Mai 2011 mitgeteilt hatte (insgesamt 8.825,88 €). Der Kläger habe auch nicht nachgewiesen, dass Auftraggeberinteressen nicht gefährdet seien. Vielmehr sei im Streitfall von einer konkreten Gefährdung der Interessen der Auftraggeber auszugehen. Der Kläger habe seine Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren durch verspätete bzw. Nichtabgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen des Jahres 2010 und von Umsatzsteuererklärungen für 2005, 2006 und 2008 verletzt. Das Finanzamt S habe die Umsatzsteuer-Voranmeldung für das erste und zweite Quartal 2010 und die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer 2008 schätzen müssen. Darüber hinaus verwies die Beklagte auf zwei Urteile des Landgerichts H, in denen gegen den Kläger berufsgerichtliche Maßnahmen ausgeurteilt worden waren.
5
Gegen den dem Kläger am 25. Juni 2011 zugestellten Widerruf der Bestellung als Steuerberater hat der Kläger am 25. Juli 2011 Klage erhoben mit dem Hinweis, die Klage erfolge zunächst fristwahrend. Eine Begründung seiner Klage hat der Kläger im schriftlichen Verfahren nicht vorgetragen.
6
Mit Verfügung vom 5. September 2011 hat der Berichterstatter den Kläger nach § 79b Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgefordert, Tatsachen bis zum 5. Oktober 2011 anzugeben, durch deren Nichtberücksichtigung oder Berücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich beschwert fühle. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 8. September 2011 mitgeteilt, dass sich der Kläger auf Grund eines Herzinfarktes stationär behandeln lasse. Der Kläger hat mit Schreiben vom 26. September 2011 mitgeteilt, dass er sich in eine stationäre Anschlussheilbehandlung begeben müsse. Aus den zusätzlich eingereichten Unterlagen geht eine Therapiedauer von drei Wochen hervor. Die mit Verfügung vom 5. September 2011 gesetzte Frist ist auf Antrag des Klägers bis zum 7. November 2011 verlängert worden. Der Kläger hat keine Angaben gemacht.
7
Mit Verfügung vom 14. November 2011 hat der Berichterstatter den Kläger nach § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert, ein vollständiges Vermögensverzeichnis über Vermögenswerte und Schulden sowie eine Aufstellung über seine laufenden Einnahmen und Ausgaben vorzulegen und Nachweise über Ratenzahlungsvereinbarungen mit sämtlichen Gläubigern, Löschung aller Eintragungen im Schuldnerverzeichnis bis zum 16. Dezember 2011 nachzuweisen. Der Kläger hat keine Angaben gemacht.
8
Mit Schreiben vom 17. November 2011 hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Kläger mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen und ihres Wissens wieder im Büro tätig sei. Der zwischenzeitlich als Vertreter der Praxis des Klägers bestellte Vertreter, Herr Steuerberater M. habe mitgeteilt, dass er seine Tätigkeit als Vertreter eingestellt habe.
9
Mit Beschluss vom 22. Dezember 2011 hat das Amtsgericht Bückeburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet (47 IN 176/11).
10
Nach telefonischer Auskunft des Amtsgerichts S ist die Eintragung des Klägers zu Az. NZS 9 M 2397/10 inzwischen gelöscht; allerdings ist der Kläger mit vier Haftanordnungen gern. §§ 901, 915 ZPO wegen Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung irr Schuldnerverzeichnis eingetragen. In einem dieser Verfahren hat der Kläger am 9. Dezember 2011 die eidesstattliche Versicherung abgegeben, mit der er ebenfalls im Schuldnerverzeichnis eingetragen ist.
11
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung trägt der Kläger vor, dass er sich im Jahr 2003 mit dem Bau eines Wohnhauses finanziell übernommen habe. Seit der Trennung von seiner Ehefrau im Jahr 2010 sei es „bergab“ gegangen. Am 1. Juli 2011 habe er sich auf Grund von Alkoholproblemen in eine Entziehungskur begeben. Seine finanziellen und privaten Probleme hätten am 4. September 2011 zu dem Herzinfarkt geführt. Seit Anfang November sei er als Steuerberater wieder tätig, den Insolvenzantrag habe er selbst gestellt. Er äußert die Ansicht, dass Mandanteninteressen nicht gefährdet seien.
12
Der Kläger beantragt,
13
den Bescheid über den Widerruf der Bestellung als Steuerberater vom 23. Juni 2011 aufzuheben.
14
Die Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Sie hält an ihrer im Widerrufsbescheid vertretenen Rechtsauffassung fest und verweist auf die dortigen Ausführungen.
Entscheidungsgründe
17
Die Klage ist unbegründet.
18
Der angefochtene Bescheid über den Widerruf der Bestellung als Steuerberater vom 23. Juni 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die Beklagte hat die Bestellung des Klägers als Steuerberater zu Recht widerrufen auf Grund des ihr seinerzeit bekannt gewesenen Sachverhalts konnte die Beklagte davon ausgehen, zum Widerruf der Bestellung des Klägers als Steuerberater verpflichtet zu sein. Die Aufhebung des Widerrufs kommt auch nicht auf Grund einer bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 26. Januar 2012 eingetretenen Änderung der Sach- und Rechtslage in Betracht. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Bestellung des Klägers zum Steuerberater lagen sowohl im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides vom 23. Juni 2011 als auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am 26. Januar 2012 vor.
19
1. Der Widerruf der Bestellung als Steuerberater nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG wegen Vermögensverfall des Klägers ist rechtmäßig erfolgt.
20
Gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ist die Bestellung als Steuerberater zu widerrufen, wenn dieser in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind.
21
a) Der Vermögensverfall, der als insolvenzähnlicher Tatbestand die Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden in sich schließt, setzt über den Eintritt ungeordneter schlechter finanzieller Verhältnisse, die sich in absehbarer Zeit nicht beheben lassen voraus, dass der Schuldner außerstande ist, seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen (BFH-Urteile vom 6. Juni 2000 VII R 68/99, HER 2000, 741, vom 22. August 1995 VII R 63/94, BStBl II 1995, 909; zum Beruf des Notars: Beschluss des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 22. März 2004 NotZ 23/03, NJW 2004, 2018, m.w.N.). Dieser Vermögensverfall wird nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 2 StBerG u.a. bei Eintragung des Steuerberaters in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Schuldnerverzeichnis vermutet.
22
Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Bestellung lagen am 23. Juni 2011 vor. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt in Vermögensverfall, da er als Schuldner mit einer Haftbefehlsanordnung wegen Nichtabgabe der eidesstattlichen Versicherung in das Schuldnerverzeichnis beim Amtsgericht S eingetragen war.
23
Die Vermutung des Vermögensverfalls ist zwar widerlegbar; eine Widerlegung ist dem Kläger jedoch nicht gelungen. Hierzu hätte es der genauen Angabe von Tatsachen bedurft, aus denen sich ergibt, dass im Einzelfall trotz der bestehenden Eintragungen im Schuldnerverzeichnis tatsächlich kein Vermögensverfall gegeben war. Es wäre hierfür erforderlich gewesen, dass der Kläger seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darlegt, insbesondere eine Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobenen Forderungen vorlegt und nachweist, dass diese inzwischen erfüllt sind oder dartut, wie sie auf Erfolg versprechende Weise in absehbarer Zeit erfüllt werden sollen (vgl. zum Beruf des Notars: BGH-Beschluss vom 22. März 2004 NotZ 23/03, a.a.O., m.w.N.). Dies hat der Kläger jedoch nicht getan. Im Anhörungsverfahren hat der Kläger sich nicht geäußert und zu seiner Vermögenssituation keine Angaben gemacht. Damit hat er auch die Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt. Stattdessen sprachen die rückständigen Kammerbeiträge, die Steuerrückstände und die sonstigen Verbindlichkeiten des Klägers für die Vermutung des Vermögensverfalls.
24
b) Der Widerruf der Bestellung zum Steuerberater konnte auch nicht im Hinblick auf möglicherweise nicht gefährdete Mandanteninteressen unterbleiben. Die Bestellung ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG nicht zu widerrufen, wenn die Interessen der Auftraggeber durch den Vermögensverfall nicht gefährdet sind.
25
(1) Die Gefährdung von Auftraggeberinteressen wird auf Grund des Vermögensverfalls vermutet. Insoweit ist unerheblich, ob dem Vermögensverfall ein Verschulden des Klägers zu Grunde liegt. Für den Umstand, dass Mandanteninteressen im Zusammenhang mit dem Vermögensverfall nicht gefährdet sind, trägt der Steuerberater die Darlegungs- und Feststellungslast (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 86/99, HFR 86/99, HFR 2000, 741 m.w.N.). Derartige Umstände hat der Kläger jedoch nicht dargelegt. Die bloße Behauptung, Mandanteninteressen seien nicht gefährdet, reicht hierfür nicht aus. So reicht es für die Widerlegung der Vermutung, dass Auftraggeberinteressen gefährdet werden können, auch nicht aus, dass der Kläger sich nicht vorwerfen lassen muss, steuerliche Erklärungs- und Zahlungspflichten auf Dauer missachtet zu haben. Ist dies der Fall oder ein Steuerberater sonst in beruflichen oder eigenen Angelegenheiten unzuverlässig gewesen, fällt dies zwar zusätzlich zu seinen Lasten ins Gewicht, ohne dass indes umgekehrt bei bisher im Wesentlichen korrektem Verhalten des Steuerberaters ohne weiteres ausgeschlossen ist, dass er auf Grund seiner Schulden, insbesondere wenn diese erheblich sind, Mandanteninteressen nicht mit der erforderlichen Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit verfolgen kann wie wenn er sich um seine eigene Vermögenslage nicht sorgen müsste (BFH-Beschluss vom 4. März 2004 VII R 21/02, BFH/NV 2004, 895, 897 m.w.N.).
26
Eine Gefährdung von Auftraggeberinteressen lässt sich aber jedenfalls dann nicht ausschließen, wenn feststeht, dass der Steuerberater in seinen sonstigen geschäftlichen oder eigenen Angelegenheiten unzuverlässig ist und sich nicht an gesetzliche Vorgaben hält. Daraus ist zu schließen, dass der Kläger die Interessen seiner Mandanten ebenfalls missachten würde, wenn ihn seine schlechten finanziellen Verhältnisse dazu zwingen würden (BFH-Urteil vom 4. Juli 2000 VII R 103/99, BFH/NV 2001, 69). In solchen Fällen ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene unter Missachtung vertraglicher Vereinbarungen auch Mandanteninteressen verletzt, so groß, dass von einer konkreten Gefährdung der Auftraggeberinteressen auszugehen ist (BFH-Urteil vom 4. Juli 2000 VII R 103/99 a.a.O.). Die Steuerrechtspflege ist ein wichtiges Gemeinschaftsgut und deshalb im Interesse des allgemeinen Wohles besonders zu schützen; dazu gehört u. a. auch, die Gefährdung der Interessen solcher Personen auszuschließen, die sich bei der Wahrnehmung ihrer steuerrechtlichen Belange der Hilfe eines Steuerberaters bedienen. Wegen der mit der Steuerberatung notwendig verbundenen Vertrauensposition müssen die Auftraggeber soweit wie irgend möglich gegen einen Missbrauch dieser Position durch den Steuerberater zu eigenen Zwecken geschützt werden. Das bedeutet, dass, wenn die Gefährdung von Auftraggeberinteressen nicht auszuschließen ist, ein Schutz des Vertrauens in den Bestand einer Bestellung als Steuerberater hinter dem Interesse am Schutz des Allgemeinwohles mit der Folge des Widerrufs der Bestellung als Steuerberater zurückzutreten hat (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 2000 VII R 24/99).
27
(2) Im vorliegenden Fall kann sich der Kläger bereits nicht darauf berufen, stets seinen beruflichen Pflichten nachgekommen zu sein und seine Tätigkeit beanstandungsfrei ausgeübt zu haben. Vielmehr ergibt sich eine konkrete Gefährdung von Mandanteninteressen – wie die Beklagte zutreffend angeführt hat – auch aus dem Umstand, dass der Kläger seinen steuerlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten gegenüber dem Finanzamt nicht bzw. nicht fristgerecht nachgekommen ist, In diesem Zusammenhang haben auch die vom Landgericht H ausgeurteilten berufsrechtlichen Maßnahmen wegen Berufspflichtverstöße des Klägers Bedeutung.
28
2. Die Aufhebung des Widerrufsbescheids kommt auch nicht auf Grund einer bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 26. Januar 2012 eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage in Betracht. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers sind nicht als geordnet zu bewerten.
29
Zwar kann der Widerruf der Bestellung als Steuerberater nicht aufrechterhalten werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Rechtspflicht für eine sofortige Wiederbestellung besteht (BFH-Urteil vom 22. August 1995 VII R 63/94, BStBl II 1995, 909), etwa weil die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse tatsächlich eingetreten ist (BFH-Beschluss vom 14. Februar 2008 VII B 227/07, Juris). Es muss in diesem Fall zweifelsfrei feststehen, dass sich die Vermögensverhältnisse nachhaltig gebessert haben. Dies folgt auch aus § 48 Abs. 2 i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 StBerG, wonach vor der Wiederbestellung u.a. zu prüfen ist, ob der zu bestellende Steuerberater in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt (BFH-Urteil vom 22. August 1995 VII R 63/94, a.a.O.). Ein Anspruch des Klägers auf Wiederbestellung besteht jedoch nicht.
30
a) Geordnete wirtschaftliche Verhältnisse liegen vor, wenn die Ausgaben des Schuldners seine regelmäßigen Einkünfte nicht übersteigen, wenn der Schuldendienst gesichert ist und die Schulden nach Art und Höhe in Ansehung der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse in einem überschaubaren Zeitraum getilgt werden können (BFH-Urteile vom 22. August 1995 VII R 63/94, a.a.O., vom 30. März 2004 VII R 56/03, BFH/NV 2004, 1426). Ein Vermögensverfall ist demnach erst dann beseitigt, wenn der Schuldner mit den Gläubigern der Forderungen Vereinbarungen getroffen hat, die erwarten lassen, dass es zu keinen Vollstreckungsmaßnahmen mehr kommen wird; nur dann ist anzunehmen, dass der Schuldner in Zukunft seine Schulden aus seinen Einkünften in geordneter und vorausschaubarer Weise begleichen kann und deshalb ein Vermögensverfall im Sinne des Gesetzes trotz der bestehenden Schulden nicht mehr besteht (BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 68/99, a.a.O.).
31
b) Der Kläger hat nicht hinreichend dargelegt und nachgewiesen, dass er die gegen ihn gerichteten Forderungen in einer Weise zu erfüllen vermag, die seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse wieder als geordnet erscheinen lässt und er in absehbarer Zeit entschuldet sein wird, die Erfüllung laufender Verbindlichkeiten erscheint nach den Darlegungen nicht gesichert.
32
Der Kläger befindet sich nach wie vor in Vermögensverfall, die Löschung der Eintragung im Schuldnerverzeichnis hat er nicht nachgewiesen. Tatsächlich ist der Kläger mehrfach im Schuldnerverzeichnis eingetragen und über sein Vermögen ist das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat trotz gerichtlicher Aufforderung seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht umfassend darlegt, insbesondere keine vollständige Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobener Forderungen sowie seiner Einnahmen und Ausgaben vorlegt. Insbesondere hat der Kläger keine hinreichenden Nachweise zu den Vermögenswerten und den laufenden Einnahmen vorgelegt. Tilgungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern hat der Kläger nicht vorgelegt, so dass nicht angenommen werden kann, dass er in Zukunft seine Schulden aus seinen Einkünften in geordneter und vorausschaubarer Weise wird begleichen können.
33
c) Ebenso ist keine Änderung der Sachlage hinsichtlich der Gefährdung von Auftraggeberinteressen eingetreten. Vielmehr fällt vorliegend ins Gewicht, dass eine konkrete Gefährdung von Auftraggeberinteressen schon deshalb nicht verneint werden kann, weil der Kläger in sonstigen geschäftlichen oder auch eigenen Angelegenheiten unzuverlässig ist und sich nicht an gesetzliche Vorgaben hält. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Steuerberater unter dem Druck seiner Vermögenslosigkeit auch Mandanteninteressen unter Missachtung vertraglicher Vereinbarungen verletzt, so groß, dass von einer konkreten Gefährdung von Auftraggeberinteressen auszugehen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 10. April 2006 VII B 232/05, BFH/NV 2006, 1520 m.w.N.). So ist bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung zu Ungunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er in der Vergangenheit seine Steuererklärungen nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben und seinen steuerlichen Zahlungspflichten, insbesondere zur Umsatzsteuer nicht bzw. nicht rechtzeitig nachgekommen ist.
34
Die Gefährdung von Auftraggeberinteressen entfällt auch nicht bereits durch die Insolvenzeröffnung und die damit verbundene Verfügungsbeschränkung des Klägers als Insolvenzschuldner. In der Regel kann erst dann, wenn das Insolvenzverfahren zu einem Abschluss führt, bei dem mit einer Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Insolvenzschuldners gerechnet werden kann, das heißt mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts, davon ausgegangen werden, dass nicht nur der Vermögensverfall, sondern auch eine Gefährdung der Interessen von Auftraggeberinteressen nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht mehr fortbesteht (zum Beruf des Rechtsanwalts: BGH-Beschlüsse vom 25. Juni 2007 AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924; vom 18. Oktober 2004 AnwZ(B) 43/03, NJW 2005, 511; vom 16. April 2007 AnwZ(B) 6/06, Juris). Anders liegt es zwar, wenn besondere Umstände, insbesondere arbeitsvertragliche Beschränkungen und Sicherungsvorkehrungen, die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts schon vor Abschluss des in die Wege geleiteten Insolvenzverfahrens nicht mehr zu befürchten ist (BGH-Beschlüsse vom 25. Juni 2007 AnwZ(B) 101/05, NJW 2007, 2924; vom 18. Oktober 2004 AnwZ(B) 43/03, NJW 2005, 511). Solche Umstände sind im vorliegenden Streitfall nicht ersichtlich. Der Kläger hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung lediglich seine Ansicht vorgetragen, Mandanteninteressen seien nicht gefährdet. Umstände, die – trotz des laufenden Insolvenzverfahrens – diese Ansicht stützen könnten, hat er nicht vorgetragen; solche sind auch aus den Akten nicht ersichtlich. Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren und im vorbereitenden schriftlichen Klageverfahren nicht mitgewirkt; es ist nicht erkennbar, dass er nach Kräften bemüht wäre, seine finanziellen Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass gegen den Kläger in zwei Verfahren vor dem Landgericht H berufsgerichtliche Maßnahmen ausgeurteilt worden waren.
35
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Körperschaftsteuer 2000 – ges. Feststellung des Einkommens und der Tarifbelastung gem. § 47 Abs. 2 KStG zum 31.12.2000
Bewertungseinheiten bei Credit Linked Notes
Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 24.10.2013, 6 K 128/11
§ 5 Abs 4a EStG, § 254 HGB, § 249 HGB
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung eines bilanziellen Risikovorsorgebetrages i.H.v. 5.236.143 € im Zusammenhang mit drohenden Ausfällen bei Pool-Darlehen.
2
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft ein Unternehmen, dessen Gegenstand das Betreiben aller zulässigen Geschäfte eines Kreditinstitutes einschließlich der Ausgabe von Pfandbriefen, des Eingehens von Beteiligungen und der Gründung von Zweigniederlassungen ist. Die Klägerin wurde mit Satzung vom xx.xx.xx mit Sitz in A und B gegründet. Gegenstand des Unternehmens waren zunächst alle Geschäfte, welche den Hypothekenbanken nach dem Hypothekenbankgesetz vom 13. Juli 1899 und den danach ergangenen Gesetzen und Verordnungen sowie etwas später noch ergehenden Gesetzen und Verordnungen noch gestattet waren. Die Hauptversammlung vom 18. Mai 2006 beschloss die Änderung des Unternehmensgegenstandes. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetztes (EStG) i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) unter Berücksichtigung eines Wirtschaftsjahres, welches dem Kalenderjahr entspricht.
3
Im Jahr 1999 verfügte die Klägerin über ein umfangreiches Kreditportfolio, unter anderem Forderungen aus Hypothekendarlehen an bestimmte Kreditnehmer. Zur Entlastung von Kreditrisiken aus diesem Kreditportfolio emittierte die Klägerin im Jahre 1999 Schuldverschreibungen mit dem Gesamtnennbetrag i.H.v. 267.300.000 €. Diese Emission diente zum einen der Refinanzierung der Bank, zum anderen dazu, sich von den trotz der insbesondere dinglichen Besicherung verbleibenden Kreditrisiken der Forderungen zu entlasten und diese am Kapitalmarkt zu platzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Schuldverschreibungen ausgegeben, die – im Grundsatz – mit der Entwicklung von Teilen der Darlehensforderungen in einem Volumen von 267.300.000 € („Pool-Darlehen“) verbunden waren (sog. Credit Linked Notes, CLN = Kombination einer Schuldverschreibung mit einem Credit Default Swap). Die Tilgung der von den Anlegern gezeichneten Schuldverschreibungen an den jeweiligen vierteljährlichen Fälligkeitsterminen war von der Entwicklung der Pool-Darlehen nach Maßgabe der Emissionsbedingungen abhängig. Gleiches galt für Zinszahlungen, da die Zinsbasis durch die Reduktion der Schuldverschreibung um Forderungsausfälle, die den CLN am Fälligkeitstermin oder davor zugeordnet wurden, geschmälert wurde.
4
Die Klägerin gab die Schuldverschreibungen in folgenden Tranchen mit folgender Verzinsung heraus:
5
Bezeichnung
Betrag in Euro
Verzinsung
CLN Klasse Y
9.300.000
Euribor + 0,5 %
Summe
267.300.000
6
Hinterlegt waren die CLN mit Darlehen, die mit mindestens einer Hypothek gesichert waren (Pool-Darlehen). Nach den Emissionsbedingungen sollten ausfallende Pool-Darlehen auf die CLN – beginnend mit der Tranche Y aufsteigend – angerechnet werden. Im Ergebnis führen Kreditereignisse zu einem Verlust der Kapitalrückzahlung und danach zum Verlust der Zinsen. Die Abrechnungen erfolgten und erfolgen bis längstens 2040 quartalsweise jeweils zum 27. Februar, 27. Mai, 27. August und 27. November, beginnend mit dem 27. Februar 2000. Außerdem hatte die Klägerin den Gläubigern der CLN Klasse Y eine eingeschränkte Unterbeteiligung an bestimmten Zinseinnahmen bis zur maximalen Höhe von 9.300.000 € zugesagt. Diese Sicherheit sollte dann eintreten, wenn ausgefallene Forderungen nach den Emissionsbedingungen abzuziehen seien. Betragsmäßig ist die Sicherheitsleistung begrenzt durch einen positiven Saldo zwischen Zinsertrag aus dem Referenzpool und dem Zinsaufwand auf die CLN in den folgenden Perioden (§ 2, § 7 Emissionsbedingungen).
7
Wegen der Einzelheiten der Emissionsbedingungen wird auf die zu den Gerichtsakten gegebenen Kopien der deutschen Übersetzung der Allgemeinen Emissionsbedingungen für Schuldverschreibungen der Klasse Y (Emissionsbedingungen) Bezug genommen (Anlage A II 1).
8
Im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2000 passivierte die Klägerin die CLN als Verbindlichkeit zum Rückzahlungspreis. Die auf die CLN entfallenden Zinsen berücksichtigte die Klägerin in der Gewinn- und Verlustrechnung. Ebenfalls erfasste sie die aus den Pool-Darlehen erzielten Zinsen i.H.v. 1.895.188,40 € (für 1999) und i.H.v. 13.267.391,36 € (für 2000) gewinnerhöhend in der Buchführung.
9
Die Klägerin bildete zudem für die drohenden Ausfälle und die Inanspruchnahme aus der Zinsunterbeteiligung eine Rückstellung zum 31. Dezember 2000 i.H.v. 5.463.684,37 € unter Zuführung dieses Betrags im Jahr 2000. Dieses beruhte nach ihren Angaben auf den Risiken folgender Verträge (vgl. Bl. 56 ff GA und Aktenordner, Zusammenfassung bei A I 9):
10
Kreditnehmer
Betrag
Risiko
Beschluss über die Bildung einer Wertberichtigung
1:
1.348.162,98 €
Tilgungsrückstände i.H.v. 67.407,74 €
08./14.12.2000,
A I 1
2:
1.055.326,61 €
Rückstände i.H.v. 67.811,73 €, Insolvenz des Schuldners im Jahre 2003
07.12.2000, A I 2
3:
993.378,56 €
Rückstände i.H.v. 41.209,09 €, Liquiditätsschwierigkeiten, Stundungsantrag von Leistungsraten, Schuldner geriet 2005 in Insolvenz
08.12.2000, A I 3
4.
116.707,71 €
Kündigung des Kredits in 2000, Vollstreckungsversuche waren erfolglos geblieben
07.12.2000, A I 4
5.
110.832,59 €
Kündigung des Kredits in 2000, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 12. Juli 2001
07.12.2000, A I 5
6.
929.892,17 €
Antrag auf Tilgungsaussetzung, Leistungsstörungen im September 2000, Eröffnung des Insolvenzverfahrens in 2001
28.12.2000, A I 6
7.
85.232,36 €
Zahlungsunregelmäßigkeiten, Lager eines Großteils der Objekte in vermietungsschwachen Gebieten
08.12.2000, A I 7
8.
824.151,31 €
Stockende Zahlungen des Kreditnehmers, permanente Rückstände. Insolvenz eines Mitverpflichteten, Vollstreckungsmaßnahmen der Klägerin. Objektverkauf in 2001 führte zur Deckung des Engagements der Klägerin.
08.12.2000, A I 7
11
Die Klägerin reichte am 27. November 2001 die Körperschaftsteuererklärung für 2000 und jeweils am 8. Februar 2002 und am 22. Oktober 2005 geänderte Körperschaftsteuererklärungen für 2000 beim Beklagten ein. Der Beklagte erließ unter Berücksichtigung der Angaben in den Erklärungen einen Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG vom 27. Dezember 2001; der Bescheid erging dabei unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Jeweils am 28. Februar 2002 und am 27. November 2003 erließ der Beklagte geänderte Bescheide für 2000 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG; die Bescheidänderungen stützte der Beklagte jeweils auf § 164 Abs. 2 AO, der Vorbehalt der Nachprüfung blieb jeweils bestehen.
12
In der Zeit vom 5. Oktober 2005 bis 8. Juni 2006 führte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung B bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, die die Jahre 1999 – 2002 umfasste. Im Rahmen dieser Außenprüfung überprüfte der mit der Prüfung beauftragte Außenprüfer in Zusammenarbeit mit einem Bundesprüfer vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt, Abteilung Bundesbetriebsprüfung) u.a. die von der Klägerin zum 31. Dezember 2000 passivierte Rückstellung i.H.v. 5.463.684,37 €. Der Außenprüfer vertrat die Ansicht, es handele sich insoweit um eine sog. Drohverlustrückstellung i.S. des § 5 Abs. 4a EStG, deren Ansatz in der Steuerbilanz nicht zulässig sei.
13
Die Klägerin trat bereits im Rahmen der Außenprüfung dieser Ansicht entgegen. Hilfsweise müssten passive Wertberichtigungen im Rahmen einer Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 EStG berücksichtigt werden.
14
Der Außenprüfer blieb bei seiner Ansicht, dass die Rückstellung nicht berücksichtigt werden könne. Zudem käme eine Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 EStG nicht in Betracht. Die Forderungsbewertung im Rahmen der Bewertungseinheit von Pool-Darlehen und CLN könne im Ergebnis nicht zu einer Bewertung unter dem bisherigen Bilanzansatz führen, da die Inhaber der Schuldverschreibung das Ausfallrisiko trügen. Dagegen knüpfe die Verpflichtung der Klägerin aus der Zinsunterbeteiligung an die CLN an. Insoweit handele es sich um die Bewertung bzw. Bildung einer passiven Bilanzposition. Mangels Übertragbarkeit der Grundsätze zur Forderungsbewertung auf die Bewertung von Bilanzposition der Passivseite und wegen der Maßgeblichkeit der Ansätze in der Handelsbilanz käme die von der Klägerin begehrte Bilanzberichtigung nicht in Betracht. Der Außenprüfer berücksichtigte im Ergebnis eine Gewinnänderung i.H.v. 5.464.000 €.
15
Wegen der Einzelheiten der Feststellung wird auf Tz. 16 des Berichts über die Außenprüfung 20. Juli 2006 zu Auftragsbuch-Nr. 838-2/2005 Gew und Tz. 7.04 des Teilberichts über die Mitwirkung einer Außenprüfung bei der Klägerin des Bundeszentralamtes für Steuern vom 31. Juli 2006 Bezug genommen (Berichtsakte des Beklagten).
16
Der Beklagte folgte den Feststellungen der Außenprüfung und erließ mit Datum vom 10. Oktober 2006 einen geänderten Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG. Die Bescheidänderungen stützte der Beklagte dabei auf § 164 Abs. 2 AO.
17
Die Klägerin erhob u.a. gegen den Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG vom 10. Oktober 2006 form- und fristgerecht Sprungklage beim Niedersächsischen Finanzgericht, die mangels Zustimmung des Beklagten im Weiteren gemäß § 45 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als Einspruch behandelt wurde. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens wandte die Klägerin sich unter anderem gegen die Nichtberücksichtigung einer bilanziellen Risikovorsorge aus der Zinsunterbeteiligung. Zur Begründung trug sie vor:
18
Der Höchstbetrag der Zinsunterbeteiligung sei durch eine fixe und eine variable Kappungsgrenze gedeckelt. Die fixe Kappungsgrenze betrage für die gesamte Laufzeit der CLN insgesamt 9.300.000 € und entspreche dem Nennbetrag der CLN Klasse Y. Außerdem sei der jährlich als Zinsunterbeteiligung zu gewährende Betrag begrenzt durch die jährlichen Zinseinnahmen aus dem Referenzportfolio (variable Kappungsgrenze). Die variable Kappungsgrenze sei jedoch nicht notwendig beschränkt auf den Betrag der jährlichen Zinseinnahmen. Vielmehr werde ein bestimmter Betrag der jährlichen Zinseinnahmen vorgetragen und erhöhe somit den Betrag der variablen Kappungsgrenze in den Folgejahren. Der Betrag, der vorgetragen werde, ergebe sich aus dem Betrag, für den im jeweiligen Geschäftsjahr ein sog. Ausfall der Pool-Darlehen i.S.v. § 12 (4) der Emissionsbedingungen Y eingetreten sei. Dieser Ausfall i.S. der Emissionsbedingungen sei sehr weit gefasst und meine bereits Zahlungsunregelmäßigkeiten durch den Darlehensnehmer. Soweit daher in einem Geschäftsjahr Forderungen als ausgefallen i.S. der Emissionsbedingungen nach § 12 (4) gelten, deren Ausfall aber noch nicht zu einem Verlust i.S. der Emissionsbedingungen nach § 9 (2) führe, sei ein entsprechender Betrag der Zinseinnahmen des betreffenden Jahres vorzutragen. Dieser Betrag erhöhe für das nächste Geschäftsjahr die variable Kappungsgrenze und könne auch weiter vorgetragen werden. Im Ergebnis werde sichergestellt, dass den Inhaber der CLN Klasse Y ein Zinsertrag aus dem Jahr oder den Jahren, denen der später realisierte Verlust wirtschaftlich zuzurechnen sei, für den später erfolgten Ausgleich des Verlust i.S. der Emissionsbedingungen nach Maßgabe der Zinsunterbeteiligung zur Verfügung stehe. Zweck dieser Regelung sei es, Anleger an den Zinserträgen der Jahre partizipieren zu lassen, in denen der Ausfall i.S. der der Emissionsbedingungen eingetreten und damit der Verlust der Forderung wirtschaftlich begründet sei. Die variable Kappungsgrenze werde in der Regel nicht relevant, da die jährlichen Zinseinnahmen aus dem Referenzportfolio regelmäßig über der fixen Deckungsgrenze von 9.300.000 € lägen.
19
Die Beträge aus der Zinsunterbeteiligung würden dem Inhaber der CLN Klasse Y zusammen mit den anderen Zahlungen unter den CLN ausgezahlt. Die Berechnungsgrundlagen der Auszahlung würden den Inhabern der CLN in einem Report mitgeteilt. Aufgrund des Verlustes i.S. der Emissionsbedingungen reduziere sich der ausstehende Betrag der CLN Klasse Y und somit mittelbar auch die Basis für die Berechnung des Anspruch der Anleger gegen die Klägerin auf Zahlung von Zinsen. Allerdings werde in diesem Zeitpunkt dem Anleger sein Kapital nach Maßgabe der Regelungen über die Zinsunterbeteiligung zurückgezahlt. Ein Verlust des Anlegers trete daher – soweit die Zinsunterbeteiligung reicht – auch bezüglich der Zinsen nicht ein.
20
Die Klägerin vertrat zur Begründung des Einspruchs die Auffassung, sie sei berechtigt, wegen der von ihr zu tragenden Risiken entweder eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten für die Zinsunterbeteiligung zu bilden, da es sich bei der Rückstellung insbesondere nicht um eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften handele oder eine Einzelwertberichtigung auf die ausfallgefährdeten Pool-Forderungen zu bilden.
21
Die Rückstellungen für eine drohende Inanspruchnahme aus der Zinsunterbeteiligung stellten Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 249 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) dar, insbesondere sei die ungewisse Verbindlichkeit aufgrund der Inanspruchnahme aus der Zinsunterbeteiligung bereits in dem Zeitpunkt wirtschaftlich verursacht, in dem Anlass bestanden habe, infolge eines Kreditereignisses eine Einzelwertberichtigung der Pool-Forderungen vorzunehmen. Die ungewisse Verbindlichkeit beruhe auf der Verpflichtung zum Ausgleich von Verlusten nach Maßgabe der Zinsunterbeteiligung. Zum 31. Dezember 2000 seien entsprechend den Regelungen über Kreditereignisse Sachverhalte eingetreten, die Anlass für eine Wertberichtigung von Pool-Forderungen böten und damit das Risiko bezeichneten, dass sie, die Klägerin, aus ihrer Einstandspflicht im Falle von Verwertungsverlusten tatsächlich in Anspruch genommen werde. In Höhe der wegen dieser Risiken gebildeten Rückstellungen sei sie nach § 7 (2) (b) i.V.m. § 12 (4) der Emissionsbedingungen verpflichtet gewesen, Beträge aus den in dieser Periode erwirtschafteten Zinserträge für die Bedienung der Verpflichtung aus der Zinsunterbeteiligung zu reservieren und vorzutragen. Eine Inanspruchnahme aus der Zinsunterbeteiligung sei auch wahrscheinlich gewesen. Bezüglich der Darlehensforderungen, für die Rückstellungen gebildet worden seien, habe es zum Zeitpunkt der Rückstellungsbildung mehr Gründe gegeben, die für als gegen den Eintritt einer nachhaltigen Wertminderung der Forderungen gesprochen hätten.
22
Eine Rückstellung i.S. des § 5 Abs. 4a Satz 1 EStG sei nicht gegeben. Es handele sich bei den rechtlichen Beziehungen zwischen ihr, der Klägerin, und den Inhabern der CLN um kein schwebendes Geschäft. Die Zahlungsverpflichtungen hätten zivilrechtlich ihren Rechtsgrund ausschließlich in dem wertpapiermäßig verbrieften Versprechen der Klägerin. Die CLN stellten eine Schuldverschreibung auf den Inhaber i.S. von § 793 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dar. Aufgrund der CLN sei die Klägerin verpflichtet, Zahlungen an Inhaber der CLN vorzunehmen. Die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung an Inhaber der CLN ergebe sich jedoch nicht aus einem gegenseitigen Vertrag, sondern unmittelbar aus dem in den Wertpapieren verbrieften Rechten. Ein gegenseitiger Vertrag bestehe allenfalls zwischen dem Ersterwerber der CLN und der Klägerin. Dieser Vertrag sei jedoch kein schwebendes Geschäft, da dieser Vertrag mit Übergabe der CLN und Zahlung des Emissionspreises erfüllt worden sei.
23
Hilfsweise sei Risikovorsorge im Wege der Einzelwertberichtigung auf die Forderungen des Referenzportfolios zu betreiben. Die Pool-Darlehensforderungen und die CNL könnten nicht als Bewertungseinheit betrachtet werden, da sie, die Klägerin, den Inhabern der CLN Klasse Y erlittene Verluste infolge der Zinsunterbeteiligung ausgleichen müsse. In Höhe der Zinsunterbeteiligung verbleibe das Ausfallrisiko aus den Pool-Darlehen bei der Klägerin. In wirtschaftlicher Hinsicht wirke die Zinsunterbeteiligung wie eine Eigenbeteiligung der Klägerin an den Kreditrisiken.
24
Die Klägerin äußerte außerdem die Ansicht, die Bildung der Einzelwertberichtigung für die Pool-Darlehen sei nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG als Bilanzberichtigung zulässig. Für den Fall, dass die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten wegen desselben Risikos nicht erfolgen könne, sei die Steuerbilanz um die Bildung einer Einzelwertberichtigung zwingend zu berichtigen. In diesem Fall sei die Klägerin verpflichtet, Einzelwertberichtigungen durchzuführen. Eine Pflicht zum Ansatz des niedrigen Teilwerts in der Steuerbilanz ergebe sich aus dem Maßgeblichkeitsprinzip i.V.m. dem handelsrechtlichen Niederstwertprinzip nach § 253 Abs. 3 Satz 1 bzw. Satz 2 HGB.
25
Im Verlauf des Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte jeweils aus anderen Gründen den Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG mit Bescheiden vom 16. April 2007 (gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO) und vom 19. Januar 2009 (gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO).
26
Der Einspruch hatte nur teilweise Erfolg; der Beklagte setzte durch Einspruchsbescheid vom 10. März 2011 die Körperschaftsteuer für 2000 von 18.433.280 DM auf 18.288.277 DM herab. Im Übrigen wies er den Einspruch „gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2000“ als unbegründet zurück. Mit Schreiben vom selben Tag teilte der Beklagte mit, zur Reduzierung des Streitwerts sei „ein Einspruchsbescheid mit heutigem Tag für den Veranlagungszeitraum 2000 erteilt worden. Die übrigen Einsprüche für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 ruhen gem. § 363 Abs. 2 Satz 1 AO … bis zur rechtskräftigen Entscheidung hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 2000.“
27
Zur Begründung der Einspruchsentscheidung führte der Beklagte aus, dass eine Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung gem. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG nicht in Betracht komme. Die von der Klägerin zu dem Bilanzstichtag 31. Dezember 2000 geltend gemachten Unregelmäßigkeiten bei der Bedienung der Darlehensforderungen führten, abgesehen davon, dass hinsichtlich der streitbefangenen Pool-Darlehensforderungen die Voraussetzungen für eine voraussichtlich dauerhafte Teilwertminderung nicht vorlägen, nicht zu einer wesentlichen und wirtschaftlichen Verwirklichung des Tatbestandes eines Forderungsausfalles i.S. der § 8 (2) bzw. § 9 (2) der Emissionsbedingungen, die eine abgeschlossene, – teilweise oder vollständige – fruchtlose Verwertung von Grundpfandrechten bzw. Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners verlangten.
28
Die Verpflichtung der Inhaber der CLN der Klasse Y, auf eine angemessene Verzinsung zu verzichten, obwohl im Falle eines Forderungsausfalles ein Anspruch auf Kapitalrückzahlung entfalle, bilde zudem ein schwebendes Geschäft im Gegenzug zu der Verpflichtung der Klägerin aus der Zinsunterbeteiligung, so dass das Passivierungsverbot gem. § 5 Abs. 4a EStG Platz greife. Daran könne auch die Einfügung der Vorschriften des § 5 Abs. 1a und Abs. 4a Satz 2 EStG durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28. April 2006 (BGBl I 2006, 1095, BStBl I 2006, 353) und die Änderung des § 254 HGB durch Art. 1 Nr. 10 des Bilanzrechts Modernisierungsgesetzes vom 25. Mai 2009 (BilMoG, BGBl I 2009, 1102) nichts ändern.
29
Entgegen der Auffassung der Klägerin erfüllten die von ihr zum 31. Dezember 2000 geltend gemachten Unregelmäßigkeiten bei der Bedienung der Darlehensforderungen weder die Voraussetzung für eine voraussichtlich dauerhafte Teilwertminderung noch führten sie zu einer wirtschaftlichen Belastung der Klägerin. Zum einen sprächen aus der Sicht eines sorgfältigen gewissenhaften Kaufmanns zum Bilanzstichtag nicht mehr Gründe für als gegen eine voraussichtlich nachhaltige Teilwertminderung der betreffenden Pool-Darlehen, zum anderen sei aufgrund des Wegfalls der Kapitalrückzahlungsverpflichtung auf die Pool-Darlehen der CLN der Klasse Y zwischen den Darlehen des Referenzpools und den CLN eine Bewertungseinheit zu bilden.
30
Der Beklagte berücksichtigte allerdings bezüglich der Pool-Darlehensforderungen Kreditnehmer 4 und Kreditnehmer 5 i.H.v. 116.708 € und 110.833 € eine zum 31. Dezember 2000 zu passivierende Verbindlichkeit aus der Zinsunterbeteiligung. Insofern sei nach den vorgelegten Unterlagen ein Forderungsausfall gem. § 9 (2) der Emissionsbedingungen bereits eingetreten, so dass eine Teilwertminderung der Forderungen, eine Minderung der Rückzahlungsverpflichtung aus den CLN und eine Passivierung einer Verbindlichkeit aus der Zinsunterbeteiligung zu berücksichtigen seien. Insofern berücksichtigte der Beklagte einen verminderten Jahresüberschuss i.H.v. 227.541 €.
31
Die Klägerin hat am 13. April 2011 Klage erhoben hinsichtlich des Bescheids für 2000 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren. Sie wiederholt insbesondere ihre Ansicht, die Voraussetzungen der Einzelwertberichtigung seien gegeben. Infolge des Selbstbehalts der Klägerin liege keine Bewertungseinheit i.S. der §§ 254 HGB, 5 Abs. 1a Satz 2 EStG vor, die der Wertminderung der Ausfall gefährdeten Forderung entgegenstünde. In Höhe der Zinsunterbeteiligung führten die CLN Klasse Y gerade zu keiner gegenläufigen Absicherungswirkung durch die Emission der CLN, wie sie eine Bewertungseinheit voraussetzen würde. Da die Zinseinnahmen im Jahr 2000 bereits ausgereicht hätten, um das Gesamtvolumen der Selbstbeteiligung der Klägerin i.H.v. 9.300.000 € aufzubauen, habe bereits zum 31. Dezember 2000 festgestanden, dass Forderungsausfälle nicht durch die Abstockung von Verbindlichkeiten aus den CLN Klasse Y abgesichert seien.
32
Alternativ lägen aufgrund des Selbstbehalts die Voraussetzungen für eine bilanzielle Risikovorsorge durch Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten vor. Eine solche Rückstellung sei auch für die Steuerbilanz anzuerkennen, da die Tatbestandsmerkmale einer Drohverlustrückstellung aus schwebenden Geschäften nicht vorlägen. Ergänzend trägt die Klägerin vor, die Portfoliodarlehen seien zwar grundpfandrechtlich gesichert. Mit den Gläubigern der CLN-Tranchen sei jedoch schuldrechtlich vereinbart worden, dass die grundpfandrechtliche Sicherung vorrangig zur Sicherung von Ansprüchen von Pfandbriefgläubigern und nur nachrangig zur Sicherung von Gläubigern der CLN-Tranchen diene. Die Deckungsbeträge aus Grundpfandrechten für die einzelnen Darlehensteile seien kein Sicherungsinstrument der Klägerin, soweit es um CLN-gesicherte Forderungen gehe, und hätten deshalb für deren Risikovorsorge keine Bedeutung. Die Grundpfandrechte sicherten zuvorderst die von der Klägerin ausgegebenen Hypothekenpfandbriefe. Die Klägerin nimmt Bezug auf die Regelung in §§ 10, 11 Abs. 2 des Hypothekenbankgesetzes (HypBkG; Anlage R1), nach deren Inhalt als Deckung für Hypothekenpfandbriefe die Beleihung der Hypotheken die ersten drei Fünftel des Wertes des Grundstückes nicht übersteigen darf. Insoweit bestimme § 3 (3)(c) der Emissionsbedingungen „für Zwecke der Umlage von Forderungsausfällen“, dass eine Pool-Darlehensforderung nur nachrangig durch Referenzgrundpfandrechten gesichert sei, wenn diese Grundpfandrechte durch den Bank für die Deckung von Hypothekenpfandbriefen verwendet werde oder dazu geeignet seien. Die grundpfandrechtliche Sicherung der CLN-Darlehensforderungen sei demnach bewusst und zwingend nachrangig ausgestaltet. Die Klägerin macht weitere Angaben zu den einzelnen Kreditverhältnissen. Insoweit wird auf die Schriftsätze vom 23. September 2011 mit Anlagen (Bl. 139 – 147 der Gerichtsakte mit Anlagen) und vom 6. September 2012 (Bl. 231 – 237 GA) Bezug genommen.
33
Die Klägerin beantragt,
34
den Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 19. Januar 2009 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 10. März 2011 sowie den Bescheid über die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG vom 19. Januar 2009, dahingehend zu ändern, dass unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Gewerbesteuerrückstellung, ein bilanzieller Risikovorsorgebetrag i.H.v. 5.236.143 EUR berücksichtigt wird.
35
Der Beklagte beantragt,
36
die Klage abzuweisen.
37
Er hält an seiner im Einspruchsbescheid vertretenen Rechtsauffassung fest und wiederholt im Wesentlichen die dortigen Ausführungen. Der Beklagte nimmt ausführlich Stellung zu der Frage der Wertberichtigungen hinsichtlich der Forderungen gegen einzelne Kreditnehmer. Insoweit wird auf die Schriftsätze vom 13. Juli 2011 (Bl. 87 ff GA), 10. Oktober 2011 (Bl. 152 ff GA) und vom 18. September 2012 (Bl. 269 ff GA) Bezug genommen.
38
Ergänzend trägt der Beklagte vor, für die Annahme einer voraussichtlich dauernden Wertminderung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG fehle es insbesondere an einer nachvollziehbaren Zuordnung und Bewertung der Grundpfandrechte zu den durch die CNL gesicherten Pool-Darlehensforderungen.
Entscheidungsgründe
39
Die Klage hat keinen Erfolg.
40
I. Die Klage ist insgesamt zulässig.
41
Der Beklagte hat zwar im Einspruchsbescheid vom 10. März 2011 lediglich über den Einspruch „gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2000“ entschieden. Die Klage ist im Übrigen aber nach § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig, da der Beklagte nicht in angemessener Frist über den außergerichtlichen Rechtsbehelf der Klägerin sachlich entschieden hat. Der Beklagte hat auch keinen zureichenden Grund hierfür mitgeteilt. Vielmehr hat der Beklagte mit Schreiben vom 10. März 2011 mitgeteilt, dass mit dem Einspruchsbescheid vom 10. März 2011 über den Veranlagungszeitraum 2000 entschieden werden sollte. Dies umfasste nach verständiger Würdigung auch den Bescheid für 2000 über den Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG.
42
II. Die Klage ist unbegründet.
43
Der Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom 19. Januar 2009 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 10. März 2011 sowie der Bescheid über die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG vom 19. Januar 2009 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zutreffend die Berücksichtigung von Wertberichtigungen der Pool-Darlehensforderungen sowie den Ansatz einer Rückstellung i.H.v. 5.236.143 € abgelehnt.
44
1. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG hat die Klägerin in ihrer Bilanz das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) auszuweisen ist.
45
a) Die Klägerin hat zu Recht die Schuldverschreibung als verbriefte Verbindlichkeit in Höhe deren Nennwert passiviert.
46
Die CLN erfordert als Kombination eines Credit Default Swap mit einer Schuldverschreibung die getrennte Bilanzierung von Anleihe und Kreditderivat; die Schuldverschreibung ist dabei als verbriefte Verbindlichkeit zu passivieren und mit dem Nennwert zu bewerten (Wagner in StuB 2004, 1084; Geurts in DB 2001, 1163).
47
b) Zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2000 kommen Wertberichtigungen auf die Pool-Darlehensforderungen nach den Grundsätzen zur Bildung von Bewertungseinheiten nicht in Betracht.
48
aa) Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BStBl I 1999, 304) sind Darlehensforderungen als Wirtschaftsgüter des Betriebs, die nicht der Abnutzung unterliegen, in der Steuerbilanz im Grundsatz mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen. Diese entsprechen ihrem Nennwert. Jedoch kann für Forderungen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG der Teilwert angesetzt werden, wenn dieser aufgrund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist und der Steuerpflichtige dies nachweist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG). Der Teilwert entspricht dem Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebes im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
49
Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung liegt bei Wirtschaftsgütern vor, wenn der Teilwert nachhaltig unter den maßgeblichen Buchwert gesunken ist. Von einem „nachhaltig“ gesunkenen Teilwert unter die Anschaffungskosten ist auszugehen, wenn aus der Sicht des Bilanzstichtags aufgrund objektiver Anzeichen ernstlich mit einem langfristigen Anhalten der Wertminderung gerechnet werden muss. Hierfür bedarf es einer an der Eigenart des Wirtschaftsgutes ausgerichteten Prognose.
50
Sind Forderungen mit einem über das allgemeine Kreditrisiko hinausgehenden Ausfallrisiko behaftet, ist dem im Wege der Einzelberichtigung Rechnung zu tragen. Zweifelhafte Forderungen sind mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen, uneinbringliche Forderungen sind abzuschreiben (BFH-Urteil vom 20. August 2003 I R 49/02, BFHE 203, 319, BStBl II 2003, 941).
51
Ein (wegen Ausfallrisikos) unter ihrem Nennbetrag liegender Teilwert (beizulegender Wert) von Geldforderungen kann im Allgemeinen nur im Wege der Schätzung ermittelt werden. Dabei kommt dem Ermessen des Kaufmanns besondere Bedeutung zu (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 20. August 2003 I R 49/02, BFHE 203, 319, BStBl II 2003, 941 m.w.N.). Maßgebend ist, ob ein vorsichtig bewertender Kaufmann nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalles die Annahme eines – teilweisen – Forderungsausfalls herleiten darf. Die Zahlungsfähigkeit und die Zahlungswilligkeit (Bonität) eines Schuldners sind dabei individuell nach dessen Verhältnissen zu ermitteln (BFH-Urteil vom 20. August 2003 I R 49/02, BFHE 203, 319, BStBl II 2003, 941 m.w.N.).
52
Allerdings muss die Schätzung eine objektive Grundlage in den am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnissen finden. Schätzungen, die auf bloßen pessimistischen Prognosen zur zukünftigen Entwicklung beruhen, sind unbeachtlich.
53
Schließlich sind auch Geldforderungen nach allgemeinen Grundsätzen unter Berücksichtigung wertaufhellender Umstände zu bewerten (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Danach sind bis zum Tag der Bilanzerstellung erlangte Kenntnisse über den Wert von Forderungen zum Bilanzstichtag zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 15. Juni 2009 I B 46/09, BFH/NV 2009, 1843). Auch der Umstand einer späteren (teilweisen) Erfüllung der Forderung kann deren Wert zum Bilanzstichtag „aufhellen“. Der Wertermittlung zugrunde zu legen ist er jedoch nur, wenn er spätestens am Tag der Bilanzerstellung verwirklicht worden ist. Nach dem Tag der Bilanzerstellung eingetretene Umstände oder erlangte Kenntnisse sind unbeachtlich (BFH-Urteil vom 20. August 2003 I R 49/02, BFHE 203, 319, BStBl II 2003, 941 m.w.N.). Ebenfalls unbeachtlich sind wertbeeinflussende Tatsachen, d.h. solche Tatsachen, die erst nach dem Bilanzstichtag eingetreten sind und sich auf den Wert der Forderung auswirken (BFH-Beschluss vom 15. Juni 2009 I B 46/09, BFH/NV 2009, 1843).
54
Für die Umstände, die zu einer Teilwertabschreibung berechtigen, trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast. Er muss belegen, dass seine Teilwertschätzung eine objektive Grundlage hat (BFH-Urteile vom 12. April 1989 II R 213/85, BFHE 156, 507, BStBl II 1989, 545 und vom 4. März 1998 X R 151/94, BFH/NV 1998, 1086).
55
bb) Im Streitfall scheitert der Ansatz niedrigerer Teilwerte der Pool-Darlehensforderungen zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2000 an den Grundsätzen zu Bewertungseinheiten.
56
(1) Nach § 5 Abs. 1a EStG dürfen Posten der Aktivseite nicht mit Posten der Passivseite verrechnet werden; die Ergebnisse der in der handelsrechtlichen Rechnungslegung zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken gebildeten Bewertungseinheiten sind auch für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich.
57
Werden Vermögensgegenstände, Schulden, schwebende Geschäfte oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete Transaktionen zum Ausgleich gegenläufiger Wertänderungen oder Zahlungsströme aus dem Eintritt vergleichbarer Risiken mit Finanzinstrumenten zusammengefasst (Bewertungseinheit), sind nach § 254 HGB in der Fassung vom 25. Mai 2009 die Vorschriften des § 249 Abs. 1, § 252 Abs. 1 Nr. 3 und 4, § 253 Abs. 1 Satz 1 und § 256a in dem Umfang und für den Zeitraum nicht anzuwenden, in dem die gegenläufigen Wertänderungen oder Zahlungsströme sich ausgleichen. Die Vorschrift normiert die vorher als Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung anerkannte Bilanzierung von Bewertungseinheiten. Ob sich die gegenläufigen Wertveränderungen tatsächlich neutralisieren, ist zu jedem Bilanzstichtag positiv festzustellen; soweit sich die gegenläufigen Wertänderungen nicht ausgleichen, sind die allgemeinen Vorschriften anzuwenden (Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 35. Auflage 2012, § 254 Rz. 1, 4).
58
(2) Im Streitfall steht einer niedrigen Bewertung der Kreditforderungen der vereinbarte Credit Default Swap entgegen.
59
Ein Credit Default Swap ist als Sicherheit nicht im Jahresabschluss auszuweisen. Analog zu Garantien/Kreditsicherungsvereinbarungen ist aber dem Sicherungszweck des Credit Default Swap in der Weise Rechnung zu tragen, dass im Rahmen der Bewertung der Forderung eine eventuelle Wertberichtigung in Höhe des durch den Credit Default Swap gesicherten Betrags unterbleiben muss, soweit die Voraussetzungen einer Bewertungseinheit vorliegen (Wagner in StuB 2004, 1084; Geurts in DB 2001, 1163).
60
Der im Streitfall mit den Schuldverschreibungen kombinierte Credit Default Swap diente bei Ausgabe der Schuldverschreibungen der Absicherung der Klägerin hinsichtlich der Ausfallrisiken der Pool-Darlehen. Entsprechend der Emissionsbedingungen führen Forderungsausfälle dazu, dass auch die Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung des Kapitals auf die Schuldverschreibungen sinkt (vgl. § 2, § 8). Insofern lagen die Voraussetzungen einer Bewertungseinheit zum 31. Dezember 2000 vor, da sich die gegenläufigen Wertveränderungen hinsichtlich der Forderungen und der Verpflichtungen aus den CNL neutralisierten.
61
Diesem Ergebnis steht die Vereinbarung zur Zinsunterbeteiligung nach § 7 der Emissionsbedingungen nicht entgegen. Denn nach der Regelung in § 7 (1) (b) (i) der Emissionsbedingungen beläuft sich die Höhe der Unterbeteiligung höchstens auf die Höhe der jeweiligen Schuldverschreibung der Klasse Y zugeordneten Forderungsausfälle. Forderungsausfälle i.S. des Regelung in § 9 (2) der Emissionsbedingungen waren aber zumindest im Zusammenhang mit den noch streitigen Forderungsbeträgen nicht gegeben. Hinsichtlich der Kreditnehmer 1 – 3, 6 – 8 lagen zum 31. Dezember 2000 zwar Leistungsstörungen hinsichtlich der Kreditverpflichtungen vor; Forderungsausfälle bzw. zwangsverwertete Pool-Darlehensforderungen nach § 9 (2) der Emissionsbedingungen, die zu Ansprüchen aus der Zinsunterbeteiligung führen würden, waren aber (noch) nicht gegeben.
62
c) Für eine drohende Inanspruchnahme der Klägerin aus den Regelungen zur Zinsunterbeteiligung nach § 7 der Emissionsbedingungen ist zum 31. Dezember 2000 keine Rückstellung zu bilden.
63
aa) Die GoB ergeben sich u.a. aus § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB. Danach sind für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Ungewisse Verbindlichkeiten in diesem Sinne sind einerseits Verbindlichkeiten, die dem Grunde nach bestehen, deren Höhe aber noch ungewiss ist, andererseits Verbindlichkeiten, deren künftiges Entstehen, ggf. zusätzlich auch deren Höhe, noch ungewiss ist (ständige Rechtsprechung, vgl. dazu BFH-Urteile vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; vom 30. November 2005 I R 110/04, BFHE 212, 83, BStBl II 2007, 251).
64
Im Streitfall ist die Verpflichtung der Klägerin aus der Vereinbarung der Zinsunterbeteiligung als ungewisse Verbindlichkeit im letzteren Sinne zu beurteilen. Denn das Entstehen dieser Verbindlichkeit setzte den Eintritt der Bedingungen nach § 7 der Emissionsbedingungen voraus, die zumindest hinsichtlich der streitigen Kreditverhältnisse bis zum 31. Dezember 2000 noch nicht eingetreten waren.
65
Für eine dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeit ist nach den GoB eine Rückstellung zu bilden, wenn sie erstens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entstehen und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen wird und wenn sie zweitens ihre wirtschaftliche Verursachung im Zeitraum vor dem Bilanzstichtag findet (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH-Urteile vom 8. November 2000 I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349; vom 30. Januar 2002 I R 71/00, BFHE 198, 420, BStBl II 2003, 279).
66
bb) Für eine Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aus der Vereinbarung der Zinsunterbeteiligung könnte die Regelung in § 7 (2) (d), § 12 (4) der Emissionsbedingungen hinsichtlich der leistungsgestörten Pool-Darlehen sprechen. Allerdings stehen im Streitfall einer Rückstellungsbildung die Grundsätze der Bilanzierung schwebender Geschäfte entgegen. Ansprüche und Verbindlichkeiten aus fortbestehenden schwebenden Geschäften werden nicht bilanziert, solange und soweit sie einander ausgleichend gegenüberstehen. Eine Passivierung erfolgt lediglich im Falle drohender Verluste – wobei dem im Streitjahr in der Steuerbilanz gemäß § 5 Abs. 4a EStG nicht zu folgen wäre – oder bei Vorliegen sog. Erfüllungsrückstände (ständige Rechtsprechung, vgl. dazu BFH-Urteile vom 26. Mai 1976 I R 80/74, BFHE 119, 261, BStBl II 1976, 622; vom 2. Oktober 1997 IV R 82/96, BFHE 184, 422, BStBl II 1998, 205; vom 30. November 2005 I R 110/04, a.a.O.).
67
Schwebende Geschäfte werden allgemein als Vertragsverhältnisse definiert, die zum Bilanzstichtag (noch) auf einen gegenseitigen Leistungsaustausch gerichtet sind (BFH-Urteil vom 27. Juni 2001 I R 11/00, BFHE 195, 567, BStBl II 2001, 758). Der Klägerin ist zwar zuzustimmen, dass die Leistungsverpflichtung der Klägerin nicht aufgrund eines Vertrags, sondern aufgrund eines Schuldversprechens i.S. des § 793 BGB als einseitigem Rechtsgeschäft beruht. Allerdings bestimmen die Emissionsbedingungen mit dem vereinbarten Credit Default Swap „Maßgaben des Versprechens“, die – wie bei gegenseitigen Verträgen – die Leistungspflicht der Klägerin bestimmen. Dementsprechend wird die Anwendung des § 5 Abs. 4a EStG auf Wertpapier-Derivate bejaht (Hoffmann in BB 1997, 1195, 1197; Naumann in BB 1998, 527, 528; vgl. auch Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, EStG, §§ 4, 5 Rz. 893).
68
Der erkennende Senat folgt insoweit auch der Ansicht des Beklagten, dass – trotz des im Falle eines Forderungsausfalls entfallenden Anspruchs auf Kapitalrückzahlung – die den Inhabern der CLN der Klasse Y zustehende vergleichsweise nur geringe Verzinsung (Euribor + 0,5%) ein schwebendes Geschäft im Gegenzug zu der Verpflichtung der Klägerin aus der Zinsunterbeteiligung bildet, so dass das Passivierungsverbot gem. § 5 Abs. 4a EStG Platz greift.
69
Eine andere Beurteilung bedeutete, die Grundsätze zur Bilanzierung von Bewertungseinheiten zu unterlaufen (vgl. Hoffmann in BB 1997, 1195; Naumann in BB 1998, 527, 530).
70
Der gesetzlich nicht definierte Begriff des Erfüllungsrückstandes bildet Verpflichtungen ab zur Erbringung von vom Vertragspartner durch dessen erbrachte Vorleistung erdiente und am Bilanzstichtag rückständige Gegenleistungen im synallagmatischen und zeitlichen Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses. Ein derartiger Erfüllungsrückstand der Klägerin liegt im Streitfall nicht vor.
71
2. Der Beklagte war auch berechtigt, den ursprünglichen Bescheid für 2000 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG vom 27. November 2003 mit Bescheid vom 10. Oktober 2006 nach § 164 Abs. 2 AO zu ändern, da ersterer unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangen war.
72
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
73
4. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache und zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Entscheidungen des BFH zur Frage der Bildung von Bewertungseinheiten und Rückstellungen zur Risikovorsorge im Zusammenhang mit Wertpapier-Derivaten sind nicht ersichtlich.
Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994; abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO; Abrechnungsbescheid über die Feststellung der Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994
Änderung der Zinsfestsetzung nach vorherigem Erlass von Zinsen.
Nichtzulassungsbeschwerde – BFH-Az.: I B 121/13
Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 27.06.2013, 6 K 66/11
§ 223a AO
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Erstattung von (weiteren) Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994 gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO) i.H.v. 1.738.444 EUR.
2
Die Klägerin reichte am xx.xx 1996 beim Beklagten die Körperschaftsteuererklärung für 1994 ein. Auf der Grundlage der erklärten Daten erließ der Beklagten am 14. Mai 1996 gegenüber der Klägerin den Erstbescheid für 1994 über Körperschaftsteuer mit einer Festsetzung der Körperschaftsteuer i.H.v. 139.089.603 DM. Im gleichen Zuge setzte der Beklagte gemäß § 233a AO Nachzahlungszinsen für einen Monat i.H.v. 9.057 DM gegenüber der Klägerin fest. Der Bescheid erging nach § 164 Abs. 1 AO unter Vorbehalt der Nachprüfung.
3
Mit Bescheid vom 20. Mai 1998 (Änderungsbescheid I) setzte der Beklagte die Körperschaftsteuer für 1994 in verminderter Höhe auf 65.614.032 DM fest. Unter Berücksichtigung des Unterschiedsbetrags zugunsten der Kläger i.H.v. 74.171.022 DM setzte der Beklagte nach § 233a AO Erstattungszinsen i.H.v. 9.254.147 DM fest, die sich mit den bereits gezahlten Zinsen i.H.v. 9.057 DM zu einem Restguthaben i.H.v. 9.263.204 DM summierten. Die Bescheidänderung stützte der Beklagte auf § 164 Abs. 2 AO; der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
4
Da die Klägerin infolge einer zwischenzeitlich durch den Beklagten angeordneten Außenprüfung für den Zeitraum 1992 – 1997 mit Mehrsteuern i.H.v. ca. 44.300.000 EUR rechnete, kündigte sie mit Schreiben vom 14. Februar 2002 dem Beklagten freiwillige Zahlungen i.H.v. insgesamt 44.280.000 EUR, davon hinsichtlich der Körperschaftsteuer 1994 einen Betrag von 13.800.000 EUR an. Ebenfalls stellte die Klägerin beim Beklagten unter Bezugnahme auf Tz. 70.1.1 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) den Antrag, im Hinblick auf die freiwilligen Leistungen auf die zu erwartenden Steuernachforderungen die Nachzahlungszinsen für den Zeitraum ab Eingang der freiwilligen Leistungen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Die Klägerin leistete die Zahlung der 44.280.000 EUR am 25. Februar 2002.
5
Aufgrund der Feststellungen der Außenprüfung erließ der Beklagte am 22. März 2004 erneut einen Änderungsbescheid für 1994 über Körperschaftsteuer (Änderungsbescheid II), in dem er gegenüber der Klägerin die Körperschaftsteuer 1994 i.H.v. 92.168.471 DM festsetzte. Unter Berücksichtigung des Unterschiedsbetrags i.S. des § 233a Abs. 3 Satz 1 AO i.H.v. 28.039.950,30 EUR und des bisherigen Unterschiedsbetrags i.H.v. 14.132.370,91 EUR ermittelte der Beklagte einen Unterschiedsbetrag i.S. des § 233a Abs. 5 Satz 2 AO zu Ungunsten der Klägerin i.H.v. 13.907.579,39 EUR. Unter Ansatz der bisher festgesetzten Zinsen i.H.v. 9.254.147 DM (entspricht 4.731.570,23 EUR, § 233a Abs. 5 Satz 3 AO) ermittelte der Beklagte festzusetzende Nachzahlungszinsen hinsichtlich der Körperschaftsteuer für 1994 i.H.v. 1.874.516 EUR, die zusammen mit den bereits erstatteten Zinsen sich zu einer Restzahlung i.H.v. 6.606.086,23 EUR addierten. Die Bescheidänderung stützte der Beklagte auf § 164 Abs. 2 AO und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
6
Mit Bescheid vom 20. April 2004 erließ der Beklagte gemäß § 227 AO aufgrund der freiwilligen Zahlung vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung unter Hinweis auf die Regelungen des AEAO zu § 233a AO Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994 i.H.v. 1.738.444 EUR. Diesen Betrag hatte der Beklagte unter Berücksichtigung eines Zahlungsbetrages von 13.907.550 EUR bei einem Zinssatz von 0,5 v.H. für 25 Monate (25. Februar 2002 bis 25. März 2004) ermittelt.
7
Die Klägerin legte am 20. April 2004 gegen den Bescheid für 1994 über Körperschaft-steuer und Zinsen zur Körperschaftsteuer vom 22. März 2004 (Änderungsbescheid II) Einspruch ein. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Gerichtsakten gegebene Kopie des Einspruchsschreibens Bezug genommen (Bl. 148 der Gerichtsakte zu 6 K 376/12).
8
Dieser Einspruch hatte insoweit Erfolg, als der Beklagte unter Hinweis auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §132 AO mit Bescheid vom 18. November 2010 (Änderungsbescheid III) die Körperschaftsteuer für 1994 gegenüber der Klägerin niedriger, sprich i.H.v. 81.625.380 DM festsetzte. Nach Anrechnung von Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer ergab sich ein verbleibender Betrag i.H.v. 44.298.285 DM (entspricht 22.649.353,47 EUR), welcher unter Berücksichtigung der bereits gezahlten 28.039.950,30 EUR zu einem Restguthaben i.H.v. 5.390.596,83 EUR führte. Die Bescheidänderung stützte der Beklagte auf § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 132 AO. Außerdem setzte der Beklagte Erstattungszinsen i.H.v. 3.489.105 EUR fest, die er wie folgt ermittelt hatte:
9
Unterschiedsbetrag nach § 233a Abs. 3 Satz 1 AO neu
22.649.353,47 EUR
Unterschiedsbetrag nach § 233a Abs. 3 Satz 1 AO bisher
./. 5.390.550 EUR vom 25. Februar 2002 bis 22. November 2010
13
(104 Monate zu 0,5 v.H. = 52 v.H.)
./. 2.803.086 EUR
bisher festgesetzte Zinsen
1.874.516 EUR
14
Minderung bisher festgesetzter Nachzahlungszinsen
15
5.390.600 EUR vom 1. April 1996 bis 25. März 2004
16
(95 Monate zu 0,5 v.H. = 47,5 v.H.)
./. 2.560.535 EUR
Festzusetzende Zinsen (Erstattungszinsen)
./. 3.489.105 EUR
17
Im Rahmen des Anrechnungsteils berücksichtigte der Beklagte einen auf die Zinsen gezahlten Betrag i.H.v. 136.072 EUR (dies entspricht der bisherigen Festsetzung i.H.v. 1.874.516 EUR abzgl. der erlassenen Zinsen i.H.v. 1.738.444 EUR) und wies ein Restguthaben der Klägerin i.H.v. 3.625.177 EUR aus.
18
Die Klägerin legte mit Schreiben vom 13. Dezember 2010 gegen den Bescheid für 1994 über Körperschaftsteuer (Änderungsbescheid III) und die festzusetzenden Zinsen und gegen die Anrechnung Einsprüche ein und begehrte eine Zinserstattung i.H.v. insgesamt 5.363.621 EUR.
19
Der Beklagte deutete das Schreiben der Klägerin zugleich als „Antrag auf abweichende Festsetzung gemäß § 163 Satz 1 AO betreffend der mit Bescheid vom 18. November 2010 festgesetzten Erstattungszinsen gemäß § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 mit dem Ziel, eine Erhöhung des festgesetzten Erstattungsbetrags um 1.738.444 EUR [alter Erlassbetrag] zu erreichen“ und lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Januar 2011 als unbegründet ab. Gegen diesen Ablehnungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Januar 2011 wiederum Einspruch ein.
20
Die Einsprüche hatten keinen Erfolg; der Beklagte wies die Einsprüche durch Einspruchsbescheide, jeweils vom 26. Januar 2011 als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Festsetzung der Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994 äußerte der Beklagte seine Ansicht, dass die Festsetzung des Betrags in Anwendung der gesetzlichen Regelung nach § 233a Abs. 5 AO rechtmäßig erfolgt sei. Eine abweichende Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 163 Abs. 1 AO sei nicht gerechtfertigt. Eine Erstattung von (zusätzlichen) Erstattungszinsen, die rechnerisch auf einen Verzinsungszeitraum für eine freiwillige Überzahlung eines steuerpflichtigen auf seine später tatsächlich mit einem niedrigeren Betrag festgesetzten Steuernachzahlung entfällt, habe der Gesetzgeber nicht erreichen wollen (Hinweis auf Bundestagsdrucksache – BT-Drucks. – 11/2157, Art. 14 Nr. 4 Abs. 3, Seite 196).
21
Aufgrund des Einspruchs der Klägerin gegen die Anrechnung im Bescheid für 1994 über Körperschaftsteuer und festzusetzende Zinsen vom 18. November 2010 (Änderungsbescheid III) erließ der Beklagte am 7. März 2011 einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO, in dem der Beklagte feststellte, dass für die nach § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 festgesetzten Erstattungszinsen i.H.v. 3.489.105 EUR Zahlungen i.H.v. 136.072 EUR geleistet worden waren, das Guthaben i.H.v. 3.625.177 EUR am 19. November 2010 ausgezahlt worden war und damit kein weiterer Anspruch auf Erstattung bzw. Zahlungsverpflichtung aus den Zinsen nach § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 bestehe. Zur Begründung äußerte der Beklagte seine Ansicht, der nach § 227 AO ausgesprochene Erlass der Nachforderungszinsen i.H.v. 1.738.444 EUR stelle den Verzicht auf die Erhebung der Nachzahlungszinsen dar. Der Erlass begründe allerdings keine Zahlung, die bei einer später geänderten Festsetzung zu einem Erstattungsbetrag führe.
22
Gegen den Abrechnungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 22. März 2011 Einspruch ein.
23
Der Einspruch hatte keinen Erfolg; der Beklagte wies diesen durch Einspruchsentscheidung vom 20. September 2012 als unbegründet zurück.
24
Die Klägerin hat am 28. Februar 2011 Klage hinsichtlich der Einspruchsentscheidungen vom 26. Januar 2011 (6 K 66/11) und am 17. Oktober 2012 hinsichtlich der Einspruchsentscheidung vom 20. September 2012 erhoben (6 K 376/12). Sie begehrt eine um 1.874.516 EUR höhere Festsetzung der Erstattungszinsen zur Körperschaftsteuer 1994 von insgesamt 5.363.621 EUR, die Verpflichtung des Beklagten zur abweichenden höheren Festsetzung von Erstattungszinsen zur Körperschaftsteuer 1994 gemäß § 163 Satz 1 AO von zusätzlich 1.738.444 EUR und die Verpflichtung des Beklagten zur Änderung des Abrechnungsbescheids gemäß § 218 Abs. 2 AO und Feststellung eines noch bestehenden Erstattungsanspruchs hinsichtlich der Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994 i.H.v. 1.738.444 EUR.
25
Zur Begründung trägt die Klägerin ihre Ansicht vor, der Beklagte hätte anstatt der 136.072 EUR einen Betrag von 1.874.516 EUR anrechnen müssen. „Anstelle einer Festsetzung von Erstattungszinsen auf Körperschaftsteuer hätte der Beklagte anstelle von 3.489.105 EUR eine Festsetzung von Erstattungszinsen auf Körperschaftsteuer von 5.363.621 EUR vornehmen oder im Wege der Reduzierung des Ermessens auf 0 einen Erlass i.H.v. weiteren 1.874.516 EUR zugunsten der Klägerin nach § 227 AO vornehmen müssen.“
26
Die Nachzahlungszinsen seien zu erlassen, soweit sich die Klägerin durch die freiwillige Zahlung am 25. Februar 2002 ihrer vom Gesetzgeber unterstellten Liquiditätsvorteile begeben und dem Steuergläubiger habe zukommen lassen. Der Beklagte habe zwar Nachzahlungszinsen i.H.v. 1.738.444 EUR erlassen. Es seien allerdings weitere 1.874.516 EUR nach § 227 AO zu erlassen bzw. nach § 163 AO abweichend festzusetzen. Der Ermessensspielraum des Beklagten sei im vorliegenden Fall derart eingeengt, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht komme. Die Literatur halte den Übergang von der Soll-Verzinsung zur Ist-Verzinsung in Erstattungsfällen nach § 233a Abs. 3 AO für wenig praktikabel. Eine Rechtsgrundlage für die Berechnungsweise des Beklagten sei nicht erkennbar, diese sei ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. Die Berechnungsweise führe zu einem Gesetzesüberhang, der für die Klägerin zu einem Anspruch auf Auszahlung der festgesetzten Nachzahlungszinsen von 1.738.444 EUR aus sachlichen Billigkeitsgründen begründe.
27
Ergänzend trägt die Klägerin ihre Ansicht vor, eine Änderung der Zinsfestsetzung hätte mit Bescheid vom 18. November 2010 nicht erfolgen dürfen. Zum einen sei die Festsetzungsfrist von einem Jahr nach § 239 Abs. 1 Nr. 1 AO bereits verstrichen gewesen. Zum anderen seien die Voraussetzungen einer Änderungsnorm nicht gegeben; der vorherige Bescheid habe nicht unter Vorbehalt der Nachprüfung gestanden. Die Klägerin habe mit Schreiben vom 20. April 2004 keinen Einspruch gegen die Zinsfestsetzung eingelegt. Stattdessen habe sie einen beschränkten Einspruch mit einem beschränkten Antrag i.S. des § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO gestellt. Außerdem widerspreche der Inhalt des Abrechnungsbescheids den Grundsätzen von Treu und Glauben.
28
Mit Schreiben vom 25. Juni 2013 weist die Klägerin darauf hin, dass der Bundesfinanzhof (BFH) gegen zwei Urteile des Finanzgerichts Nürnberg (7 K 4/10 und 7 K 3/10) die Revision zugelassen hat (III R 52/12 und III R 53/12). Außerdem nimmt die Klägerin Bezug auf die BT-Drucks. 13/5952 und äußert die Klägerin die Ansicht, im Rahmen der Zinsfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 1997 habe die Klägerin schließlich anders verfahren.
29
Mit Beschluss vom 27. Juni 2013 hat der Senat die Verfahren gem. § 73 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.
30
Die Klägerin beantragt,
31
den Bescheid für 1994 über Zinsen auf Körperschaftsteuer vom 18. November 2010 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 26. Januar 2011 dahingehend zu ändern, dass die Zinsen auf Körperschaftsteuer für 1994 auf 5.227.549 EUR festzusetzen sind,
32
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung der Bescheide vom 4. Januar 2011 über die Ablehnung des Antrags auf eine gem. § 163 Satz 1 AO abweichende höhere Festsetzung von Erstattungszinsen gem. § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 und des Einspruchsbescheides vom 26. Januar 2011 dahingehend zu bescheiden, dass der Klägerin Zinsen auf Körperschaftsteuer für 1994 i.H.v. 1.738.444 EUR im Wege der sachlichen Billigkeit zu erstatten sind,
33
den Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO über die Feststellung der Zinsen gemäß § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 vom 7. März 2011 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 20. September 2012 dahingehend zu ändern, dass für die Zinsen nach § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 Zahlungen i.H.v. 1.874.516 EUR geleistet wurden und ein weiterer Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Zinsen nach § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 i.H.v. 1.738.444 EUR besteht.
34
Der Beklagte beantragt,
35
die Klage abzuweisen.
36
Er hält an seinen den Einspruchsentscheidungen zugrunde liegenden Rechtsauffassungen fest und verweist insoweit auf die dortigen Ausführungen.
37
Insbesondere wiederholt er seine Ansicht, dass die Festsetzung der Zinsen in Anwendung der gesetzlichen Regelungen in § 233a AO erfolgt ist. Eine abweichende Festsetzung aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 163 Satz 1 AO sei nicht gerechtfertigt. Die Auszahlung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO im Wege eines Erlasses nach § 227 AO oder einer abweichenden Festsetzung gemäß § 163 Satz 1 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen sei – wie sich auch aus den Tz. 69.3 und 70.1.2 AEAO ergebe – nicht zulässig. Der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass es durch die Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO nicht zur Festsetzung von Erstattungszinsen auf freiwillig geleistete Zahlungen kommen dürfe, die über die spätere Steuerfestsetzung hinausgingen. Die Regelungen in § 163 AO und § 227 AO regelten die Beendigung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, könnten jedoch keinen neuen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis begründen.
38
Die durch Bescheid vom 20. April 2005 erlassenen Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994 i.H.v. 1.738.444 EUR seien im Rahmen der Anrechnungsverfügung im Bescheid vom 18. November 2010 und im Rahmen des Abrechnungsbescheids vom 7. März 2011 nicht zu berücksichtigen. Insoweit liege keine Zahlung vor, die zu einem Erstattungsbetrag führen könne. Der Erlassbescheid vom 20. April 2004 habe sich vielmehr aufgrund der geänderten Zinsfestsetzung gemäß § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise erledigt.
39
Der Beklagte äußert die Ansicht, die Änderung der Zinsfestsetzung zur Körperschaftsteuer 1994 sei aufgrund der Änderungsnorm des § 233a Abs. 5 AO und im zeitlichen Rahmen der Festsetzungsfrist nach § 239 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig gewesen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben liege nicht vor.
Entscheidungsgründe
40
Die Klage ist unbegründet.
41
1. Der angefochtene Bescheid für 1994 über Zinsen auf Körperschaftsteuer vom 18. November 2010 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 26. Januar 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die Zinsen zutreffend nach § 233a AO festgesetzt.
42
a) Führt die Festsetzung der Körperschaftsteuer zu einem Unterschiedsbetrag, ist dieser gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt nach § 233a Abs. 2 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Unterschiedsbetrag ist die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen (§ 233a Abs. 3 Satz 1 AO). Der Zinslauf beginnt nach § 233a Abs. 2 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen ist nur bis zur Höhe des zu erstattenden Betrags zu verzinsen; die Verzinsung beginnt frühestens mit dem Tag der Zahlung (§ 233a Abs. 3 Satz 3 AO).
43
Wird die Steuerfestsetzung geändert, ist gemäß § 233a Abs. 5 Satz 1 AO auch eine bisherige Zinsfestsetzung zu ändern. Maßgebend für die Zinsberechnung ist der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und um die anzurechnende Körperschaftsteuer (§ 233a Abs. 5 Satz 2 AO). Nach § 233a Abs. 5 Satz 3 AO sind die sich hiernach ergebenden Zinsen den bisher festzusetzende Zinsen hinzuzurechnen; bei einem Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen entfallen darauf festgesetzte Zinsen.
44
b) Entsprechend dieser gesetzlichen Vorgaben hat der Beklagte die Zinsberechnung und Zinsfestsetzung mit Bescheid vom 18. November 2010 zutreffend durchgeführt. Gründe für eine Festsetzung von Erstattungszinsen in größerem Umfang sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist für die Zinsfestsetzung unerheblich, dass der Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2004 Nachzahlungszinsen zur Körperschaftsteuer 1994 i.H.v. 1.738.444 EUR erlassen hatte. Denn für eine gemäß § 233a Abs. 5 AO zu ändernde Zinsberechnung ist es unerheblich, ob die Finanzbehörde ursprünglich festgesetzte Nachzahlungszinsen nach § 227 AO erlassen oder aus Billigkeitsgründen abweichend mit 0 € festgesetzt hat, da dem neu berechneten Zinsbetrag nach § 233a Abs. 5 Satz 3 AO die bisher festzusetzenden Zinsen hinzuzurechnen sind (BFH-Beschluss vom 11. Dezember 2012 III B 91/12, BFH/NV 2013, 509).
45
c) Der Beklagte war auch berechtigt, die bisherige Zinsfestsetzung entsprechend zu ändern. Die Änderung der Zinsfestsetzung war aufgrund der Änderungsnorm des § 233a Abs. 5 AO und im Rahmen der Festsetzungsfrist nach § 239 Abs. 1 Nr. 1 AO zulässig.
46
Der Vortrag der Klägerin, sie habe gegen die Zinsfestsetzung keinen Einspruch und hinsichtlich der Körperschaftsteuerfestsetzung einen beschränkten Einspruch mit beschränktem Antrag eingelegt, ist unerheblich, da der Beklagte die Körperschaftsteuerfestsetzung in diesem Rahmen zugunsten der Klägerin nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a i.V.m. § 132 AO geändert hat und ändern durfte. Zudem ist der Vortrag unrichtig, da das Einspruchsschreiben vom 20. April 2004 sich ausdrücklich auch gegen die Zinsfestsetzung zur Körperschaftsteuer für 1994 richtet.
47
2. Der angefochtene Bescheid vom 4. Januar 2011 über die Ablehnung des Antrags auf eine gemäß § 163 Satz 1 AO abweichende höhere Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 26. Januar 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass eines entsprechenden Bescheids. Der Beklagte hat ermessensfehlerfrei eine gemäß § 163 Satz 1 AO abweichende höhere Festsetzung von Erstattungszinsen gemäß § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 abgelehnt.
48
Gemäß § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuern nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. § 163 AO bezweckt, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrages in einem eigenständigen Verfahren insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen. Die Unbilligkeit der Steuerfestsetzung kann sich aus sachlichen oder persönlichen Gründen ergeben. Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO ist die Regelung des § 163 AO auch bei der Festsetzung von Zinsen anwendbar.
49
Die Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO sind Ermessensentscheidungen, die nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden können. Die gerichtliche Überprüfung bezieht sich im Fall der Versagung darauf, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessensgrenzen überschritten oder von ihrem eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 5 AO).
50
a) Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber im Einzelfall nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint (vgl. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297, vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546 und vom 21. Januar 1992 VIII R 51/88, BStBl II 1993, 3). Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt – im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. BFH-Urteil vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BStBl II 1994, 833).
51
aa) Die abweichende Festsetzung von Steuern ist ebenso wie der Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen dazu bestimmt, ungewollten Überhängen des gesetzlichen Tatbestandes entgegenzuwirken (z.B. BFH-Urteile vom 24. September 1987 V R 76/78, BStBl II 1988, 561; vom 20. Februar 1991 II R 63/88, BStBl II 1991, 541; vom 9. Dezember 1993 V R 45/91, BStBl II 1994, 131; vom 24. Februar 1994 V R 43/92, BFH/NV 1995, 358 und vom 26. April 1985 XI R 81/93, BStBl II 1995, 754). Letztlich kann die Erhebung einer Steuer somit nur dann unbillig sein, wenn die Steuerfestsetzung zwar dem Buchstaben des Gesetzes entspricht, jedoch im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist. Eine Unbilligkeit kann sich deshalb nicht aus Umständen ergeben, die der Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen hat. Bei der sachlichen Billigkeitsprüfung müssen, vor allem im Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes), grundsätzlich solche Erwägungen unbeachtet bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546).
52
Darüber hinaus kann die Festsetzung einer Steuer sachlich unbillig sein, wenn sie den Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der Zumutbarkeit oder dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Zweck widerspricht (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86, BStBl II 1991, 610). Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann nur in besonderen Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maße schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990 I R 3/86 a.a.O.).
53
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall liegt keine sachliche Unbilligkeit vor. Das Ergebnis der Zinsfestsetzung zur Körperschaftsteuer 1994 entspricht der rechtmäßigen Anwendung des geltenden Gesetzes und entspricht nicht nur dem Wortlaut dieses Gesetzes, sondern auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Denn – wie der Beklagte zutreffend im Rahmen seiner Ermessensausübung ausgeführt hat – ist in den Regelungen des AEAO in Tz. 69.3 und 70.1.2 und hat der Gesetzgeber in der BT-Drucks. 11/2157, S. 196 klargestellt, dass er durch die gesetzlichen Regelungen in § 233a AO eine Verzinsung freiwilliger geleisteter Zahlungen auf nicht festgesetzte Steuern vermeiden wollte. Genau zu diesem – nicht erwünschten und gesetzlich nicht geregelten – Ergebnis würde aber die von der Klägerin begehrte Billigkeitsmaßnahme führen. Etwas anderes kann auch nicht aus den Zinsfestsetzungen für die Jahre 1995 bis 1997 oder aus den Entscheidungen des BFH zur Zulassung der Revision in den Verfahren III R 52/12 und III R 53/12 hergeleitet werden, da jeweils die Festsetzung von Nachzahlungszinsen Gegenstand war bzw. ist. Ebenfalls führt der Hinweis der Klägerin auf die BT-Drucks. 13/5952 zu keiner anderen Entscheidung, da der Gesetzgeber auch bezüglich der dort behandelten Problematik der verspäteten Vorauszahlungen deutlich macht, dass die Regelung des § 233a AO Zins- oder Liquiditätsvorteile ausgleichen soll, die aufgrund der Festsetzungslage, nicht aufgrund von freiwilligen Leistungen des Steuerpflichtigen entstanden sind.
54
Die Zinsfestsetzung ist auch nicht aufgrund der Grundsätze von Treu und Glauben sachlich unbillig. Ein besonderer Fall, in dem das Vertrauen der Klägerin in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maße schutzwürdig gewesen ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssten, liegt nicht vor. Aus welchen Gründen die Klägerin darauf vertrauen haben dürfte, den wirtschaftlichen Vorteil aus dem Erlass der Nachzahlungszinsen mit Bescheid vom 20. April 2004 bei einer späteren Änderung in Form der Festsetzung höherer Erstattungszinsen erhalten zu können, ist nicht ersichtlich.
55
b) Als persönliche Billigkeitsgründe werden die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen angesehen (BFH-Urteil vom 29. April 1981 IV R 23/78, BStBl II 1981, 726). Eine Unbilligkeit ist hier anzunehmen, wenn im Falle der Versagung des Erlasses dessen wirtschaftliche Existenz vernichtet oder ernsthaft gefährdet würde (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 1981 IV R 23/78, a.a.O., sowie BFH-Beschluss vom 2. April 1996 III B 171/95, BFH/NV 1996, 728).
56
Das Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Die Klägerin hatte ihren Antrag auch auf sachliche Billigkeitsgründe beschränkt.
57
c) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Der Beklagte hat sich strikt am Zweck des § 233a AO orientiert. Die Ermessensentscheidung wurde auch ausreichend begründet (§ 121 AO).
58
3. Der angefochtene Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO über die Feststellung der Zinsen gemäß § 233a AO zur Körperschaftsteuer 1994 vom 7. März 2011 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 20. September 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zutreffend einen Anspruch auf Feststellung eines weiteren Anspruchs nach § 233a AO auf Erstattung von Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994 i.H.v. 1.738.444 EUR verneint.
59
a) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind nach § 37 Abs. 1 AO der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.
60
Ist eine Steuer, eine Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO).
61
b) Nach dem Inhalt des Bescheids vom 18. November 2010 hatte die Klägerin gemäß § 37 Abs. 1 i.V.m. § 233 a AO Anspruch auf Erstattungszinsen i.H.v. 3.489.105 EUR.
62
Da die Klägerin nach Änderung der Zinsfestsetzung durch Bescheid vom 18. November 2010 Zinsen i.H.v. 136.072 EUR ohne Rechtsgrund gezahlt hatte, hatte sie zusätzlich einen Anspruch nach § 37 Abs. 2 AO in dieser Höhe, den der Beklagte im Rahmen der Anrechnung und des Abrechnungsbescheids zutreffend berücksichtigt hat. Ein weitergehender Anspruch der Klägerin nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund des Erlasses mit Bescheid vom 20. April 2004 besteht nicht. Der Erlass hat zwar – wie die Zahlung einer steuerlichen Nebenleistung – erlöschende Wirkung i.S. des § 47 AO, führt aber – anders als die Zahlung – im Fall der Änderung des zugrundeliegenden Festsetzungsbescheids nicht zu einem Erstattungsanspruch i.S. des § 37 Abs. 2 AO.
63
Aufgrund der Zahlung des Beklagten i.H.v. 3.625.177 EUR bestand im Zeitpunkt des Abrechnungsbescheids und besteht auch aktuell kein Anspruch der Klägerin auf Auszahlung eines weiteren Betrags an Zinsen zur Körperschaftsteuer 1994.
64
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Darf das FA gegen einen Umsatzsteuererstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin mit deren vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Umsatzsteuerverbindlichkeiten aufrechnen?
Wann verjährt das Recht des Insolvenzverwalters seine Rechte aus einer in anfechtbarer Weise erfolgten Aufrechnung wahrzunehmen?
Revision eingelegt – BFH-Az.: VII R 37/13
Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Urteil vom 06.06.2013, 5 K 2/13
Der Kläger ist Verwalter in dem am 21.12.2006 über das Vermögen der Z GmbH & Co. KG (Insolvenzschuldnerin) durch Beschluss des Amtsgerichts H. eröffneten Insolvenzverfahren. Für seine vorangegangene Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter seit dem 02.10.2006 ist vom Amtsgericht H. auf Antrag des Klägers vom 14.01.2010 mit Beschluss vom 12.01.2010 eine Vergütung in Höhe von 50.994,03 € zuzüglich 8.159,04 € Umsatzsteuer festgesetzt worden. Dieser Betrag wurde im 1. Quartal 2010 aus der Insolvenzmasse entnommen. Die Umsatzsteuer hat der Kläger als Vorsteuer der Insolvenzschuldnerin in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das erste Quartal 2010 geltend gemacht. Das Finanzamt verrechnete den angemeldeten Vorsteuerbetrag mit Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin, aus 2000 in Höhe von 7.015,42 € und aus 2005 in Höhe von 1.143,62 €.
2
Nachdem der Kläger gegen die Verrechnung Einwendungen erhoben hatte, erteilte das Finanzamt am 29.05.2012 einen Abrechnungsbescheid, gegen den sich der Kläger nach erfolglosem Vorverfahren mit seiner Klage wendet.
3
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Aufrechnungserklärung des Finanzamts das Aufrechnungsverbot nach §§ 96 Abs. 1 Ziff. 3, 131 Abs. 1 Ziff. 1 Insolvenzordnung (InsO) entgegenstehe. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 02.11.2010 VII R 62/10, BStBl II 2011, 439) sei klargestellt, dass eine Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sei, sofern bei der Erbringung der Leistungen des vorläufigen Insolvenzverwalters die Voraussetzungen der §§ 130, 131 InsO vorgelegen hätten. Im Streitfall sei der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt. Danach sei eine Rechtshandlung anfechtbar, wenn sie einem Insolvenzgläubiger eine Befriedigung ermöglicht, die er nicht beanspruchen könne und wenn die betreffende Rechtshandlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden sei. Die in diesem Sinne maßgebliche Rechtshandlung sei die Leistung des Klägers als vorläufiger Insolvenzverwalter, die erst nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden sei. Hierdurch sei dem Finanzamt die Möglichkeit der Aufrechnung und damit der Befriedigung seiner Steuerforderungen gegen die Gemeinschuldnerin verschafft worden. Diese habe das Finanzamt nach § 131 Abs. 1 InsO gegenüber der Gemeinschuldnerin nicht beanspruchen können.
4
Der Anspruch sei nicht verjährt. Es könne dahinstehen, ob sich die Verjährung nach Vorschriften der Abgabenordnung oder nach § 146 Abs. 1 InsO in Verbindung mit §§ 195 ff BGB richte. Der Anfechtungsanspruch sei nach den Vorschriften des § 146 InsO mit §§ 195 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht verjährt. Der Kläger ist der Auffassung, dass die dreijährige Anfechtungsfrist frühestens mit der Erklärung der Aufrechnung durch das Finanzamt zu laufen beginne. Denn erst ab diesem Zeitpunkt sei ein Anfechtungstatbestand entstanden, der durch den Insolvenzverwalter angefochten werden könne. Das Finanzamt habe am 23.04.2010 die Umbuchung des Vorsteueranspruchs des Gemeinschuldners auf rückständige Umsatzsteuer mitgeteilt. Frühestens ab diesem Zeitpunkt könne die Verjährungsfrist zu laufen beginnen. Sollte der Zeitpunkt der Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters für die Verjährung maßgebend sein, werde der Verjährungsbeginn nach Maßgabe des § 199 Abs. 1 BGB hinausgeschoben. Denn wegen der Änderung der Rechtsprechung des BFH sei die Rechtslage unsicher und zweifelhaft gewesen.
5
Der Kläger beantragt,
6
den Bescheid vom 29.05.2012 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 30.11.2012 dahingehend abzuändern, dass ein Umsatzsteuerguthaben der Insolvenzschuldnerin in Höhe von 8.159,04 € bestehe.
7
Der Beklagte beantragt,
8
die Klage abzuweisen.
9
Das Finanzamt ist der Auffassung, dass der Anfechtungsanspruch des Klägers nach § 146 InsO verjährt sei. Maßgebliche Rechtshandlung sei die Leistung des Klägers als vorläufiger Insolvenzverwalter, durch die der Vorsteuer-Erstattungsanspruch zwar steuerrechtlich noch nicht entstanden sei, wohl aber als insolvenzrechtlicher Anspruch begründet worden sei. Der Kläger sei durch Beschluss des Amtsgerichts am 02.10.2006 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Das Insolvenzverfahren selbst sei mit Beschluss vom 20.12.2006 eröffnet worden. Nach den Verjährungsvorschriften des § 146 InsO mit §§ 195 ff BGB beginne die Verjährung am 01.01.2007 und ende am 31.12.2009. Nach Übermittlung der Vorsteuer-Voranmeldung für das erste Quartal 2010 und der damit verbundenen steuerverfahrensrechtlichen Entstehung des Erstattungsanspruchs am 12.04.2010 sei die zugrunde liegende Leistung nicht mehr anfechtbar gewesen, weil die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei.
10
Der Beginn der Anfechtungsfrist sei auch nicht gemäß § 199 BGB hinaus geschoben. Grundsätzlich komme es nur darauf an, dass der Gläubiger die anspruchsbegründenden Tatsachen kenne. Dagegen sei nicht erforderlich, dass er den Vorgang rechtlich zutreffend beurteile. Eine Rechtsunkenntnis des Gläubigers könne ausnahmsweise den Verjährungsbeginn hinaus schieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliege, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig zu beurteilen vermöge. Dies sei im Streitfall nicht der Fall gewesen. Denn die Rechtslage sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geklärt gewesen. Eine Unsicherheit in der Rechtslage könne erst durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.10.2009 aufgetreten sein, in dem das Gericht eine von der des Bundesfinanzhofs abweichende Rechtsauffassung vertreten habe. Da diese Unsicherheit erst nach Ausführung der maßgeblichen Rechtshandlung aufgetreten sei, könne sie den Beginn der Anfechtungsfrist nicht hinaus schieben.
Entscheidungsgründe
11
Die Klage ist begründet.
12
Das Finanzamt kann gegen den Umsatzsteuererstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin nicht mit deren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Umsatzsteuerverbindlichkeiten aufrechnen.
13
1. Der Aufrechnung des FA steht § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung (InsO) entgegen. Danach ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat.
14
a. Das FA ist nach § 38 InsO Insolvenzgläubiger, denn es hatte zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen die Insolvenzschuldnerin aus Umsatzsteuer 2000 und 2005.
15
Das FA hat die Möglichkeit der Aufrechnung der eigenen Forderung gegen die der Insolvenzschuldnerin durch eine anfechtbare Rechtshandlung nach §§ 129 ff InsO erhalten. Nach § 129 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die die Insolvenzgläubiger benachteiligen, nach Maßgabe der §§ 130 bis 146 InsO anfechten.
16
Rechtshandlung in diesem Sinne ist jedes von einem Willen getragene Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (BGH Urteil vom 22.10.2009 IX ZR 147/06, DStR 2010, 1145 und BFH Urteil vom 02.11.2010, BStBl II 2011, 374 ). Zu den Rechtshandlungen zählen daher nicht nur Willenserklärungen als Bestandteil von Rechtsgeschäften aller Art und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, sondern auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst. Als Rechtshandlung kommt danach jede Handlung in Betracht, die zum (anfechtbaren) Erwerb einer Gläubiger- oder Schuldnerstellung führt. Das ist hier die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters an die Insolvenzschuldnerin nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu dessen Eröffnung.
17
Die Rechtshandlung ist nach § 131 Abs.1 Nr.1 InsO anfechtbar. Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzschuldner eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung nach Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist nach Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden. Hierdurch hat das FA die Möglichkeit zur Aufrechnung gegen den Erstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin erhalten, die es im Sinne des § 131 InsO nicht beanspruchen konnte. Ob die Begründung der Aufrechnungslage zu einer kongruenten oder einer inkongruenten Deckung führt, richtet sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach, ob der Aufrechnende einen Anspruch auf Abschluss der Vereinbarung hatte, welche die Aufrechnungslage entstehen ließ, oder ob dies nicht der Fall war (Urteil vom 09.02.2006 IX ZR 121/03, NJW-RR 2006, 1062). Das FA hatte einen Zahlungsanspruch hinsichtlich der bei der Insolvenzschuldnerin entstandenen Steuerschulden durch Zahlung, nicht jedoch durch das Verschaffen einer Aufrechnungsbefugnis. Diese hat das FA erst dadurch erhalten, dass der Insolvenzschuldnerin durch die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters einen Vorsteuervergütungsanspruch erlangt hat, der nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
18
b. Als Rechtsfolge bestimmt § 96 InsO, dass die Aufrechnung „unzulässig“ ist. Zwar ist die vom FA erklärte Aufrechnung nach § 224 der Abgabenordnung in Verbindung mit §§ 387 ff BGB wirksam und hat zur Folge, dass der Vorsteuererstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin und der Umsatzsteueranspruch des FA (teilweise) erloschen sind. Für die Dauer und für Zwecke des Insolvenzverfahrens besteht der Erstattungsanspruch der Insolvenzschuldnerin aber fort.
19
Insoweit hat sich die Rechtslage mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung geändert. Nach §§ 30, 31 der Konkursordnung hatte der Konkursverwalter bei Vorliegen von Anfechtungstatbeständen eine Anfechtungsklage zu erheben. Dies ist nach der Insolvenzordnung nicht mehr erforderlich. Vielmehr ergibt sich die Unwirksamkeit der Aufrechnung bereits aus § 96 InsO selbst. Der Insolvenzverwalter kann sich vielmehr ohne Anfechtung der Rechtshandlung unmittelbar auf die Unwirksamkeit der Aufrechnung berufen.
20
2. Die Rechte, die der Insolvenzverwalter aus der anfechtbar herbeigeführten Aufrechnung geltend machen kann, unterliegen der Verjährung. Nach der Auffassung des BGH (Urteil vom 28.09.2006 IX ZR 136/05, NJW 2007,78) ist § 146 InsO analog in Verbindung mit §§ 195 ff BGB anzuwenden. Der Insolvenzverwalter muss demnach gegen den in anfechtbarer Weise Aufrechnenden innerhalb einer Frist von 3 Jahren nach Entstehung des Anspruchs und seiner Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen seine Rechte geltend machen.
21
Bei Beantwortung der Frage, welcher Zeitpunkt für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebend ist, muss berücksichtigt werden, dass § 146 InsO und §§ 195 ff BGB nicht direkt, sondern nur entsprechend anzuwenden sind. Denn § 146 InsO regelt die Verjährung eines Anfechtungsanspruchs, also die Frage, innerhalb welcher Frist der Insolvenzverwalter die Anfechtung einer nach §§ 129 ff InsO anfechtbaren Rechtshandlung erklären muss. Hierum geht es im Streitfall aber nicht. Denn einer Anfechtung bedarf es nicht mehr. Deshalb wendet der BGH § 146 InsO auch nur entsprechend an. Innerhalb der Verjährungsfrist muss der Insolvenzverwalter seine Rechte gegen einen Insolvenzgläubiger geltend machen, der durch eine anfechtbare Rechtshandlung einen inkongruenten Vorteil erlangt hat. Dies mag bei einem vom Insolvenzverwalter geltend zu machenden Zahlungsanspruch der Zeitpunkt seiner Entstehung sein. Dies kann nach Auffassung des Senats aber nicht gelten, wenn sich der Insolvenzverwalter gegen eine vom FA erklärte Aufrechnung wendet.
22
Maßgebend für den Beginn der Verjährungsfrist ist in diesem Fall die Verrechnungserklärung des FA.
23
Erst durch die vom FA vorgenommene Verrechnung des Vorsteuererstattungsanspruchs mit rückständiger Umsatzsteuer ist der „Anfechtungstatbestand“ verwirklicht worden. Erst in diesem Zeitpunkt konnte sich der Kläger erstmals gegen die von dem FA vorgenommene Verrechnung wenden. Wollte man bei einer erst im Insolvenzverfahren erklärten Aufrechnung auch auf den Zeitpunkt der Anspruchs Entstehung abstellen, hinge der Eintritt der Verjährung von Zufälligkeiten ab, z.B. von dem Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung oder dem Vorliegen der formalen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugs. In diesem Sinne hat auch der BGH bei einer Aufrechnungsbefugnis nach §§ 53 ff KO für die Frage des Verjährungsbeginns auf die Aufrechnungserklärung abgestellt (vgl. Urteil vom 26.01.1983 VIII ZR 254/81, NJW 1983, 1020).
24
Danach hat das FA zu Unrecht mit eigenen Umsatzsteuerforderungen gegen den Vorsteuererstattungsanspruch des Insolvenzschuldners aufgerechnet.
25
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 FGO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151 Abs.1 und 3, 155 FGO mit §§ 708 Nr. 100,711 ZPO.
26
Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs.2 Nr.1 FGO zugelassen.
Sofern Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen wird, fallen auch Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern oder über nicht ausgeführte Leistungen unter § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG.
Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Urteil vom 09.10.2013, 5 K 319/12
§ 14 Abs 2 S 2 UStG, § 14c Abs 2 S 2 UStG
Tatbestand
1
Streitig ist die Steuerschuld für den unberechtigten Ausweis von Umsatzsteuer in Gutschriften.
2
Der Kläger meldete zum 01.02.2008 bei der Gemeinde H. ein Gewerbe „Abbau und Entsorgung von nicht mehr benötigten Messeständen“ an. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung benannte der Kläger sein Gewerbe mit „An- und Verkauf von Metall und Maschinen“.
3
Für die Voranmeldungszeiträume Januar bis April 2009 gab der Kläger Umsatzsteuer-Voranmeldungen über 0,– € ab. Umsatzsteuererklärungen für 2008 und 2009 wurden nicht eingereicht. Am 06.10.2009 meldete der Kläger sein Gewerbe bei der Gemeinde ab.
4
Für den Streitzeitraum erklärte der Kläger nur Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Er war und ist bis heute in Vollzeit bei einer Spedition tätig. Nebenberuflich arbeitete er als Türsteher einer Diskothek.
5
Das Finanzamt erhielt Kontrollmaterial, aus dem hervorging, dass 2008 und 2009 unter dem Namen des Klägers in erheblichem Umfang Ablieferungen von Schrott und (Alt-)Metallen bei vier Recyclingunternehmen getätigt wurden. In den Abrechnungen (Gutschriften) der Recyclingunternehmen mit dem Kläger wurde stets Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen.
6
Der Beklagte führte daraufhin für die Voranmeldungszeiträume Januar bis April 2009 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch und ermittelte daneben gemäß § 88 AO den Sachverhalt für 2008. Dabei kam er zu der Erkenntnis, dass der Kläger nicht selbst als Unternehmer tätig gewesen sei, sondern als Strohmann (sog. „Schreiber“) fungiert habe. Der Kläger habe Dritten seinen Namen und sein Gewerbe für deren Ablieferungen zur Verfügung gestellt. Der Kläger habe Gutschriften für Schrottlieferungen unterschrieben, den Kaufpreis incl. Umsatzsteuer entgegengenommen und das Geld an namentlich nicht bekannte Hintermänner weitergeleitet. Vor den Lieferungen des Schrotts sei der Kläger jeweils von den Hintermännern telefonisch kontaktiert und z.B. zur Fa. M. bestellt worden, wo er von deren Mitarbeitern bereits erwartet worden sei.
7
Dies alles räumte der Kläger ein. Als Hintermann bzw. Kontaktmann habe sich ihm gegenüber ein Türke aus Hamburg unter dem Namen B. vorgestellt. Diesen habe er in der Diskothek kennengelernt. Der Türke habe ihm erklärt, er würde ihm etwas verkaufen und zum selben Preis weiterverkaufen. Dies ginge „plus minus null“ auf. Deshalb habe der Kläger „irgendwas“ unterschrieben und pro Unterschrift ein sog. Handgeld von 100 € erhalten.
8
Aufgrund der oben genannten Feststellungen gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, dass der Kläger die in den Gutschriften unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer als Gutschriftempfänger nach § 14c Abs. 2 UStG schulde. Es erließ daher am 21.04.2010 Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Januar 2009 bis April 2009 und am 22.04.2010 einen Bescheid für 2008 über Umsatzsteuer.
9
Im Einspruchsverfahren konnte nachgewiesen werden, dass bei Abrechnungen mit drei der vier Recyclingunternehmen keine Gefährdung des Steueraufkommens mehr bestand, nachdem die Vorsteuern von diesen (drei) Recyclingunternehmen zurückgefordert werden konnten. Dementsprechend änderte der Beklagte im Einspruchsbescheid vom 25.10.2012 die Steuerfestsetzung nach § 14c Abs. 2 UStG insoweit zugunsten des Klägers ab, als die Umsatzsteuer für 2008 von 264.083,04 € auf 225.938,16 € herabgesetzt wurde. Die Umsatzsteuer für 2009 wurde im Einspruchsbescheid in Höhe von 84.256,98 € festgesetzt, d. h., die bisher als Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Januar bis April festgesetzte Umsatzsteuer von insgesamt 100.309,24 € wurde im Rahmen der Jahresfestsetzung für 2009 auf 84.256,98 € vermindert.
10
Streitig sind noch die Abrechnungen betreffend die Fa. M., wo eine Rückforderung der Vorsteuern scheiterte.
11
Der Kläger trägt vor, auch diese Abrechnungen erfüllten nicht den Tatbestand des § 14c Abs. 2 UStG. Nach übereinstimmender Kommentarmeinung sei die Anwendung von § 14c Abs. 2 UStG auf Gutschriften zumindest eingeschränkt. Ob die Erteilung einer Gutschrift an einen Nichtunternehmer zu dessen Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG führe, sei danach fraglich. Der Wortlaut dieser Vorschrift lasse eine Anwendung auf Gutschriften nur zu, soweit die Beteiligten vorher dieses Abrechnungsverfahren vereinbart und auch Kenntnis vom Widerrufsrecht gehabt hätten. Jedenfalls bei geschäftsunerfahrenen Nichtunternehmern dürfe man dies nicht voraussetzen. Aus dem Protokoll der Vernehmung des Klägers durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Lüneburg vom 25.09.2009 ergebe sich, dass dieser als Nichtunternehmer erkennbar keine Kenntnis von der Wirkung und Bedeutung seiner Unterschriften gehabt habe.
12
In den Fällen des unberechtigten Steuerausweises setze die Inanspruchnahme des Empfängers einer Gutschrift zudem voraus, dass dieser an der Erstellung der Gutschrift unter Einbeziehung der Grundsätze der Stellvertretung mitgewirkt habe. Dies könne angesichts der unstreitigen Unwissenheit des Klägers nicht angenommen werden.
13
Ausdrücklich verweist der Kläger schließlich auf die Rechtsauffassung von Stadie (z. B. in Rau/Dürrwächter, UStG, § 14c Rz. 100), wonach Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern oder über nicht ausgeführte Leistungen nicht unter § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG fallen und damit gerade nicht als Rechnungen anzusehen seien. § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG sei nicht einschlägig, weil dieser eine Abrechnung „wie ein leistender Unternehmer“ voraussetze.
14
Der Kläger beantragt,
15
den Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 22. April 2010 und den dazu ergangenen Einspruchsbescheid vom 25. Oktober 2012 sowie den Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 25. Oktober 2012 aufzuheben.
16
Der Beklagte beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
18
Er trägt vor, es sei nicht einleuchtend, dass die Gutschrifterteilung an einen Nichtunternehmer nicht zu dessen Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG führen solle. Eine Gefährdung des Steueraufkommens bestehe hier wie in allen übrigen Fällen. Diese Auslegung entspreche auch dem Gesetzeszweck, der auf die Sicherung des Steueraufkommens gerichtet sei. Der Rechtsprechung lasse sich nicht entnehmen, dass die Kenntnis des Widerrufsrechts o. ä. Relevanz für die Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG zukommen könne.
19
Im Schrifttum werde die Auffassung bestätigt, dass die Gutschrifterteilung an einen Nichtunternehmer zu dessen Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG führe (Widmann in Plückebaum/Malitzky, UStG, § 14c Rz 14, 15, 19 und 20 sowie Leplow, Praxis Steuerstrafrecht – PStR – 2010, 38 ff.).
20
Zu berücksichtigen sei auch, dass dem Kläger aufgrund der „Handgelder“ und der außergewöhnlichen Umstände klar gewesen sein müsste, dass er an illegalen Handlungen teilnahm. Wenn ihm schon nicht das Widerrufsrecht als solches bekannt gewesen sei, so sei es ihm zumindest zuzumuten gewesen, die Sach- und Rechtslage zu prüfen bzw. bei einem Steuerberater oder dem Finanzamt Auskünfte einzuholen. Dies habe der Kläger aber nicht getan. Vielmehr sei Zweck der Aktionen gewesen, anderen unrechtmäßig einen Vorsteuerabzug zu verschaffen. Hierfür sei die Nichtausübung des Widerrufsrechts unerlässliche Voraussetzung gewesen. Aus dem Geschehensablauf (telefonische Kontaktaufnahme, Treffen bei der Fa. M. etc.) gehe auch hervor, dass die Abrechnung mittels Gutschrift vorher vereinbart worden sei.
Entscheidungsgründe
21
Die Klage ist unbegründet.
22
1. Der Beklagte hat zu Recht entschieden, dass der Kläger die Umsatzsteuer aus den streitigen Gutschriften nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG schuldet.
23
Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, schuldet den ausgewiesenen Betrag (§ 14c Abs. 2 Satz 1 UStG). Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14c Abs. 2 Satz 2 UStG). § 14c Abs. 2 UStG „beruht“ auf Art. 203 MwStSystRL. Nach dieser Bestimmung schuldet „jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist“, diese Steuer.
24
a) Zweck der Regelungen in § 14c Abs. 2 UStG sowie in Art. 203 MwStSystRL ist es, Missbräuche durch Ausstellung von Rechnungen mit offenem Steuerausweis zu verhindern (vgl. zu § 14 Abs. 3 UStG a. F. bzw. Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG: BFH-Urteile vom 30. Januar 2003 V R 98/01, BStBl II 2003, 498; vom 30. März 2006 V R 46/03, BFH/NV 2006, 1365; Urteil des EuGH vom 19. September 2000 C-454/98, Schmeink & Cofreth/Manfred Strobel, BFH/NV Beilage 2001, 33). Dementsprechend ist die Vorschrift als Gefährdungstatbestand ausgestaltet. Derjenige, der mit einer Rechnung das Umsatzsteueraufkommen gefährdet oder schädigt, muss hierfür einstehen. Auf ein vorwerfbares Verhalten kommt es nicht an. Der gesetzliche Tatbestand verlangt weder, dass der Aussteller der Rechnung deren missbräuchliche Verwendung durch den Rechnungsempfänger kennt, noch ist eine dahin gehende Absicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 30. Januar 2003 V R 98/01, BStBl II 2003, 498; vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954).
25
b) Die in einer Rechnung als Aussteller bezeichnete Person kann allerdings nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sie in irgendeiner Weise an der Erstellung der Urkunde mitgewirkt hat oder wenn ihr die Ausstellung zuzurechnen ist (BFH-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954). Für Rechnungen sind die für Rechtsgeschäfte geltenden Regelungen entsprechend anwendbar. Aussteller einer Rechnung ist daher – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht nur, wer die betreffende Rechnung eigenhändig erstellt hat. Vielmehr sind insoweit die zum Recht der Stellvertretung entwickelten Grundsätze zur Anscheins- oder Duldungsvollmacht zu beachten (BFH-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954 m. w. N.).
26
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen schuldet daher nach der Rechtsprechung des BFH derjenige, der die offen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG a. F. bzw. § 14c Abs. 2 UStG, – ohne Unternehmer zu sein und Lieferungen oder sonstige Leistungen auszuführen – einem Dritten mit seiner Unterschrift und seinem Stempelaufdruck versehene Blankogeschäftsbriefbögen überlässt (BFH-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954).
27
c) Für Gutschriften kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Die im Schrifttum vertretene Auffassung, wonach Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern oder über nicht ausgeführte Leistungen nicht unter § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG fallen (Stadie, UStG, 2. Auflage 2012, § 14 c Rz. 21; ders. in Rau/Dürrwächter, UStG, § 14c Rz. 100; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 14c Rz. 87), überzeugt den Senat nicht.
28
Zwar verlangt § 14c Abs. 2 UStG eine Abrechnung „wie ein leistender Unternehmer“. Der Wortlaut der Vorschrift steht der Anwendung auf Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Beteiligten zuvor dieses Abrechnungsverfahren vereinbart haben (Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 14c Rz. 153). Wer zulässt, dass ein Dritter Scheingutschriften an ihn ausstellt, die abstrakt die Gefahr begründen, dass der Aussteller den Vorsteuerabzug hieraus geltend macht, wird sich der Inanspruchnahme durch § 14c Abs. 2 UStG nicht entziehen können (Bunjes/Korn, UStG, 11. Auflage, § 14c Rz 5).
29
d) Der Senat geht – wie der Beklagte – davon aus, dass im Streitfall eine Abrechnung mittels Gutschrift vereinbart war. Auch wenn dem Kläger sicherlich nicht die Einzelheiten des Abrechnungsverfahren mittels Gutschrift bekannt waren, so war ihm doch aufgrund des kollusiven Zusammenwirkens mit dem türkischen Hintermann bzw. Kontaktmann klar und bewusst, dass sein Name, sein Gewerbe sowie seine (regelmäßige) Anwesenheit bei den Abrechnungen benötigt wurden, um anderen (hier der Fa. M.) einen unrechtmäßigen steuerlichen Vorteil (Vorsteuerabzug) zu verschaffen. Anderenfalls hätte auch keine Notwendigkeit zur Zahlung der „Handgelder“ bestanden. Der Kläger hat nicht nur geduldet, dass auf seinen Namen abgerechnet wird, sondern hieran sogar aktiv mitgewirkt, z. B. durch das persönliche Erscheinen bei der Fa. M., die Entgegennahme und das Weitergeben des Entgelts sowie das (regelmäßige) Unterschreiben der Gutschriften. Der Vorsteuerausweis mittels Gutschrift war gerade der Zweck der „Ablieferungen“, die über einen längeren Zeitraum kontinuierlich stattfanden.
30
Dem Kläger war unter Berücksichtigung der Parallelwertung in der Laiensphäre auch bekannt und bewusst, dass ein Widerruf der erteilten Abrechnungen auch Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug der Fa. M. gehabt hätte.
31
Im Ergebnis fallen daher auch die gegenüber dem Kläger als Nichtunternehmer erteilten Gutschriften unter § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG mit der Folge, dass dieser die in den Abrechnungen unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer schuldet.
32
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
33
3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
1. Das Teileinkünfteverfahren kommt ab VZ 2011 auch dann zur Anwendung, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits feststeht, dass aus der Beteiligung an einer KapGes keine Einnahmen mehr erzielt werden.
2. Ein Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung ist ausschließlich mit der Basisabsicherung zu verrechnen.
Revision eingelegt – BFH-Az.: IX R 43/13
Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 06.09.2013, 3 K 230/13
Streitig ist die Frage, ob der nach § 17 EStG zu berücksichtigende Verlust nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens zum Ansatz kommt und inwieweit ein Arbeitgeberzuschuss zu der Krankenversicherung auf die Basisabsicherung oder auf Wahlleistungen entfällt.
2
Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.
3
Der Kläger war zu 20 % am Kapital der D GmbH (im Folgenden: D) beteiligt, deren Geschäftsführer er war. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 25.000,- €. Der Kläger erwarb seine Anteile zum Nominalbetrag.
4
Mit notariell beurkundetem Gesellschafterbeschluss vom 2. März 2011 wurde die Auflösung der D beschlossen und der Kläger zum Liquidator bestellt. Ausweislich der Bilanz auf den 31. Dezember 2011 lag eine bilanzielle Überschuldung der D in Höhe von 1.675.864,28 € vor.
5
Die Kläger zahlten im Streitjahr 2011 Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 6.597,- €, wovon 5.697,12 € auf die Basisabsicherung und 899,88 € auf die Wahlleistungen entfallen. Außerdem erhielt der Kläger einen Arbeitgeberzuschuss in Höhe von 3.436,- €.
6
In seiner Einkommensteuererklärung für 2011 machte der Kläger einen Verlust gem. § 17 EStG in Höhe von 25.000,- €. Dabei handelt es sich um 20% des Stammkapitals von 25.000,- € sowie um 20% der in der Bilanz auf den 31. Dezember 2011 ausgewiesenen Kapitalrücklage von 100.000,- €, auf die der Kläger am 20. und 22. Februar 2008 insgesamt 20.000,- € eingezahlt hatte.
7
Der Beklagte berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 2011 vom 5. Dezember 2012 den Verlust gem. § 17 EStG zwar dem Grunde nach, wandte auf ihn aber das Teileinkünfteverfahren gem. § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG an, so dass sich der Verlust auf 60 % von 25.000,- € = 15.000,- € minderte. Bei den Sonderausgaben verrechnete der Beklagte den Arbeitgeberzuschuss vollständig mit den Beiträgen zur Basisabsicherung.
8
Der dagegen eingelegte Einspruch, der ausschließlich mit der Kürzung des Verlustes nach § 17 EStG begründet wurde, hatte keinen Erfolg.
9
Die Kläger machen geltend, dass § 3c Abs. 2 EStG bei den Verlusten nach § 17 EStG keine Anwendung finde. Nach der Rechtsprechung des BFH sei diese Rechtsnorm nicht einschlägig, wenn der Steuerpflichtige aus der Beteiligung keine dem Teileinkünfteverfahren unterliegenden Einkünfte erzielt habe. Das sei hier der Fall. Etwas anderes gelte auch nicht im Hinblick auf den durch das Jahressteuergesetz 2010 eingefügten § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG. Diese Regelung und die damit einhergehende Änderung der Rechtslage gelte erst ab dem Veranlagungszeitraum 2011, d.h. nur dann, wenn der Steuerpflichtige nach dem 1. Januar 2011 die Absicht habe, nach § 3 Nr. 40 EStG teilweise steuerfreie Einnahmen zu erzielen. Da sich die D seit geraumer Zeit in der Krise befunden habe, habe schon lange vor dem 1. Januar 2011 unumstößlich festgestanden, dass die Inhaber der Geschäftsanteile keine nach § 3 Nr. 40 EStG steuerfreien Erträge erzielen würden. Somit hätte in 2011 zu keinem Zeitpunkt die Absicht bestanden, nach § 3 Nr. 40 EStG steuerfreie Einnahmen zu erzielen.
10
Darüber hinaus verstoße § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die vollständige oder teilweise Nichtabzugsfähigkeit von Veräußerungs- und Aufgabeverlusten bedeute eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips. Für dessen Durchbrechung müssten stets besondere sachlich rechtfertigende Gründe bestehen. Eine solche Rechtfertigung bestehe allein insoweit, als § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG sicherstelle, dass Verluste aus Kapitalanlagen nur insoweit steuerlich zu berücksichtigen seien, wie auch Gewinne besteuert werden. Die Kürzung der Ausgaben und Verluste nach § 3c Abs. 2 EStG setze allerdings begrifflich voraus, dass überhaupt Einnahmen und/oder Gewinne erzielt und unter Inanspruchnahme der Steuerbefreiung des § 3 Nr. 40 EStG der Besteuerung unterworfen würden. Denn nur dann trete die für die Kürzung der Aufwendungen notwendige Bedingung ein.
11
Es sei unzutreffend, wenn der Beklagte den Arbeitgeberzuschuss insoweit bei der Basisabsicherung berücksichtige, als dieser im Zusammenhang mit den Wahlleistungen stehe. Der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG setzte voraus, dass die Vorsorgeaufwendungen nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden. Ein solcher Zusammenhang bestünde, wenn die Vorsorgeaufwendungen und die steuerfreien Einnahmen nach Entstehung und Zweckbestimmung so miteinander verbunden seien, dass die Beiträge unmittelbar auf Vorgänge zurückzuführen seien, die die steuerfreien Einnahmen beträfen. Die Beiträge für die Basisabsicherung wären nicht unmittelbar auf Vorgänge zurückzuführen, die die Zuschüsse für die Wahlleistungen beträfen. Die Kläger verweisen auf § 257 Abs. 2 SGB V. Danach werde der Arbeitgeberzuschuss gleichermaßen den Wahlleistungen und der Basisabsicherung zugerechnet.
12
Die Kläger beantragen,
13
unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2011 vom 5. Dezember 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 24. April 2013 einen weiteren Verlust gem. § 17 EStG in Höhe von 10.000,- € zu berücksichtigen und bei den Sonderausgaben die Basisabsicherung lediglich um einen Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 2.986,06 € zu kürzen.
14
Der Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Der Beklagte verweist auf den durch Jahressteuergesetz 2010 eingefügten § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG, wonach die Absicht zur Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen i.S.d. § 3 Nr. 40 EStG für die Anwendung des Teileinkünfteverfahrens ausreichend sei. Diese Regelung gelte gem. § 52 Abs. 8a Satz 3 EStG mit Wirkung ab dem VZ 2011. Die von der Klägerseite zitierte BFH-Rechtsprechung sei infolge der Gesetzesänderung des § 3c Abs. 2 EStG nicht mehr anwendbar.
17
Der Beklagte hält eine anderweitige Verrechnung des Arbeitgeberzuschusses nur dann für möglich, wenn der Kläger nachweise, dass der Zuschuss auch für die Wahlleistungen zur Krankenversicherung und nicht nur für die Basisabsicherung gewährt werde.
Entscheidungsgründe
18
Die Klage ist unbegründet.
19
I. Ansatz des Auflösungsverlustes gem. § 17 Abs. 4 EStG unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens
20
Der Kläger kann keinen höheren Verlust gem. § 17 Abs. 4 EStG aus der Auflösung der D GmbH geltend machen als die bereits vom Beklagten berücksichtigten 15.000,- €.
21
Gem. § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG dürfen Betriebsvermögensmehrungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten oder Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen oder mit Vergütungen nach § 3 Nr. 40a EStG in wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zu 60 Prozent abgezogen werden. Bei Anwendung des Teileinkünfteverfahrens auf den Streitfall wären in der Tat nur 60 Prozent = 15.000,- € des Auflösungsverlustes von insgesamt 25.000,- € steuerlich zu berücksichtigen.
22
Mit Urteilen vom 25. Juni 2009 IX R 42/08, BStBl. II 2010, 220 und 9. Juni 2010 IX R 52/09, BStBl. II 2010, 1102 und Beschluss vom 18. März 2010 IX B 227/09, BStBl. II 627 hat der BFH entschieden, dass die maßgebende Bedingung für den nur teilweisen Abzug von Verlusten gem. § 17 EStG nicht eintritt, wenn der Steuerpflichtige mit seiner Beteiligung keine Einnahmen erzielt hat, weil der Abzug dann nicht in wirtschaftlichem Zusammenhang mit teilversteuerten Einnahmen stehe.
23
Allerdings hat der Gesetzgeber die Regelung in § 3c Abs. 2 EStG durch Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, 1768) um einen neu eingefügten Satz 2 ergänzt. Danach ist für die Anwendung des Satzes 1 die Absicht zur Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 40 EStG oder von Vergütungen im Sinne des § 3 Nr. 40a EStG ausreichend. Da sich der Kläger in der Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Erfolg an der D GmbH beteiligt hat, war bei ihm einstmals auch die Absicht vorhanden, mit der Beteiligung Erträge zu erzielen. § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 ist nach § 52 Abs. 8a Satz 3 EStG erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2011, dem Streitjahr, anzuwenden. Damit kann der Auflösungsverlust nicht in voller Höhe berücksichtigt werden.
24
Das Gericht teilt nicht die Rechtsansicht der Kläger, dass im Streitfall § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG deshalb nicht zur Anwendung komme, weil die geänderte Gesetzesfassung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2011 anzuwenden sei und der Kläger wegen der bevorstehenden Liquidation der D GmbH zu Jahresbeginn 2011 keine Einnahmeerzielungsabsicht mehr gehabt habe. Maßgebend für den Anwendungszeitraum des neuen § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG ist demgegenüber der maßgebende Besteuerungstatbestand, d.h. hier der Veranlagungszeitraum, in dem der zu berücksichtigende Auflösungsverlust gem. § 17 Abs. 4 EStG entstanden ist. Das ist aber das Streitjahr 2011. Das Vorhandensein der Absicht zur Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 40 EStG ist lediglich eine Bedingung, die zu irgendeinem Zeitpunkt während des Bestehens der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft vorgelegen haben muss. Nicht erforderlich ist nach der gesetzlichen Konzeption, dass die Absicht im eigentlichen Besteuerungszeitraum bestanden hat, was auch der systematische Zusammenhang des § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG mit § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG zeigt, der ausdrücklich klarstellt, dass die Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen im Sinne von § 3 Nr. 40 bzw. 40a EStG die Anwendung des § 3c EStG unabhängig davon nach sich zieht, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen angefallen sind.
25
Nach Auffassung des Gerichts liegt in dem Zurückgreifen auf ein subjektives Tatbestandsmerkmal, das vor Inkrafttreten des Gesetzes erfüllt wurde, auch keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Denn das Änderungsgesetz datiert auf den 8. Dezember 2010 und damit auf einen Zeitpunkt vor erstmaliger Anwendung der neuen Gesetzesfassung. Jeder Steuerpflichtige, der nach dem 1. Januar 2011 einen Tatbestand des § 17 EStG verwirklichte, konnte wissen, dass die steuerliche Berücksichtigung eines Aufgabe- oder Veräußerungsverlustes nunmehr nur noch nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens erfolgen würde, so dass mit der Neuregelung kein berechtigtes Vertrauen auf die Beibehaltung der bisherigen Rechtslage enttäuscht wird.
26
Schließlich führt die Änderung des § 3c EStG entgegen der Rechtsansicht der Kläger zu keinem Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip. Denn auch nach der Neuregelung des § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG bleibt der Zusammenhang zwischen teilversteuerten Einnahmen und teilversteuerten Abzügen gewahrt, nur ist er nicht mehr konkret, sondern abstrakt: Hätte der Kläger in den Veranlagungszeiträumen vor 2011 Gewinnanteile aus seiner Beteiligung an der D GmbH bezogen, so hätten diese dem Teileinkünfteverfahren unterlegen. Da Gesetze abstrakt-generell sind, kann es für die Frage, inwieweit ein Gesetz mit dem objektiven Nettoprinzip in Einklang steht, auch nur auf die abstrakte gesetzliche Konzeption ankommen, nicht aber darauf, ob im konkreten Einzelfall die Rechtsanwendung für den Steuerpflichtigen deshalb ungünstig ist, weil sich eine gesetzliche Regelung für ihn steuerlich ungünstig auswirkt, ohne dass er von den im Gesetz ebenfalls angelegten Vorteilen profitieren kann.
27
II. Verrechnung des Arbeitgeberzuschusses zur Krankenversicherung mit der Basisversicherung
28
Der Beklagte hat den Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung zutreffend mit der Basisabsicherung verrechnet.
29
Gem. § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist Voraussetzung für den Abzug von Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3, 3a EStG, dass sie nicht in unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen. Steuerfrei Zuschüsse zu einer Kranken- oder Pflegeversicherung stehen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 10 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG „insgesamt“ – d.h. nicht nur teilweise, wie es dem Begehren der Kläger entspricht – in unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG, der sog. Basisabsicherung. Auf die Wahlleistungen der Krankenversicherung, die nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG abzugsfähig sind, nimmt § 10 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG hingegen keinen Bezug. Dies entspricht im Übrigen dem wirtschaftlichen Hintergrund der sozialversicherungsrechtlichen Regelung des § 257 SGB V. Gem. § 257 Abs. 2 SGB V erhalten nichtselbständig Beschäftigte, deren Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung überschreitet und die in einer privaten Krankenversicherung versichert sind, von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuss. Dieser Zuschuss beträgt die Hälfte des Betrages, den der Beschäftigte für seine Krankenversicherung zu zahlen hat (§ 257 Abs. 2 Satz 2 am Ende SGB V) und ist gedeckelt in Höhe der Hälfte des Höchstbeitragssatzes zur AOK (§ 257 Abs. 2 Satz 2 1. Satzhälfte). Durch die Begrenzung des Arbeitgeberzuschusses auf die Hälfte des Krankenversicherungsbeitragssatzes der AOK wird eine Gleichstellung des Arbeitgeberzuschusses bei privater Krankenversicherung des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeberbeitrag bei gesetzlicher Krankenversicherung erreicht. Ersetzt aber der Arbeitgeberzuschuss den Arbeitgeberbeitrag bei gesetzlicher Krankenversicherung, dann folgt daraus aber auch, dass er nur mit der Basisabsicherung der privaten Krankenversicherung in wirtschaftlichem Zusammenhang steht, weil die gesetzliche Krankenversicherung die Wahlleistungen der privaten Krankenkasse (wie etwa Chefarztbehandlung) nicht abdeckt.
30
Aus der Höhe des im Streitfall gezahlten Arbeitgeberzuschusses ergibt sich auch, dass der Arbeitgeber keine freiwilligen Leistungen erbracht, sondern lediglich seinen Pflichtbeitrag geleistet hat. Für das Streitjahr 2011 betrug der maximale monatliche Arbeitgeberzuschuss 271,01 €, was einem Jahresbetrag von 3.252,12 € entspricht. Zusammen mit dem Arbeitgeberzuschuss zur Pflegeversicherung ergibt sich genau der Zuschuss in Höhe von 3.436,- €, den der Kläger in seiner Steuererklärung angegeben hat.
31
Die Verrechnung des Arbeitgeberzuschusses zur Krankenversicherung ausschließlich mit der Basisabsicherung der Krankenversicherung entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung anderer Finanzgerichte (FG Hamburg, Urteil vom 21. September 2012 3 K 144/11, EFG 2013, 26; FG Nürnberg, Urteil vom 16. Januar 2013 3 K 974/11, EFG 2013, 843; FG Münster, Urteil vom 20. Februar 2013 7 K 2814/11 E, juris).
32
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
33
Das Gericht lässt gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil die Frage der Auslegung der Übergangsregelung zu § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, 1768) bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist.
Laufende Zahlungen eines Elternteil auf rückständige Unterhaltsansprüche des Kindes sind nicht als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG anzusetzen.
Revision eingelegt – BFH-Az.: III R 57/13
Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 26.09.2013, 3 K 158/13
§ 1612 Abs 1 S 1 BGB, § 1612 Abs 3 S 1 BGB, § 64 Abs 3 S 2 EStG
Tatbestand
1
Streitig ist noch, ob der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum von August bis November 2012 zusteht.
2
Die Tochter der Klägerin (A) bemühte sich nach dem Erreichen der Fachhochschulreife im Sommer 2012 weiter um einen Ausbildungsplatz. Sie bezog zum August 2012 eine eigene Wohnung und erhielt laufend Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des Kindergeldes. Die Tochter gab insoweit an, dass der Landkreis X, dort das Jobcenter X, ihr das „Kindergeld vorgestreckt“ habe. Der Landkreis X machte mit Schreiben vom 28. August 2012 Erstattungsansprüche nach § 102 ff. SGB X geltend.
3
Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Kindergeld zunächst mangels nachgewiesener Bewerbungsbemühungen ab. Im Einspruchsverfahren erfuhr die Familienkasse, dass die Tochter der Klägerin mit anwaltlicher Hilfe aus einer Urkunde über die Verpflichtung zum Unterhalt vom November 1999 und einer Urkunde zur Abänderung eines Unterhaltstitels vom Mai 2002 gegen ihren Vater Ansprüche auf rückständigen Unterhalt für die Zeit bis zu ihrer Volljährigkeit in Höhe von rund 16.000 € zzgl. Anwaltskosten etc. geltend gemacht hatte. Der Vater hatte daraufhin zur Vermeidung der Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung – im Streitzeitraum – ab August 2012 monatliche Zahlungen in Höhe von 200 € an die Tochter erbracht. Die Familienkasse vertrat daraufhin die Rechtsansicht, diese Zahlungen seien als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusehen. Da die Klägerin ihrerseits keine Unterhaltsrente an die Tochter zahle, sei sie nicht kindergeldberechtigt. Dagegen richtet sich die Klage.
4
Die Klägerin ist der Ansicht, Zahlungen auf rückständigen Unterhalt seien nicht als Unterhaltsrente zu berücksichtigen. Sodann stehe ihr gemäß § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG das Kindergeld zu, da sie von den Berechtigten dazu bestimmt worden sei, das Kindergeld zu erhalten.
5
Die Klägerin beantragt,
6
den Bescheid über die Ablehnung des Kindergeldes für die Tochter A ab August 2012 vom 31. Oktober 2012 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 26. März 2013 dahingehend zu ändern, dass die Beklagte verpflichtet wird, für A für den Zeitraum von August 2012 bis April 2013 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
7
Die Beklagte beantragt,
8
die Klage abzuweisen
9
und hält daran fest, dass als Barunterhalt jede laufende und regelmäßige Zahlung zu verstehen sei, wenn es sich wiederkehrend um in etwa in gleichen zeitlichen Abständen geleistete Geldbeträge handele. Im Streitfall seien vom Vater unstreitig, wenn auch nachträglich, laufend Unterhaltszahlungen erbracht worden. Die Klägerin habe selbst keinen Barunterhalt geleistet. Dies schließe die Klägerin gemäß § 64 Abs. 3 EStG als Kindergeldberechtigte aus, auch wenn im Übrigen – ebenfalls unstreitig – für die Tochter ein Kindergeldanspruch für den Zeitraum von August bis November 2012 bestehe. Auch der BFH stelle lediglich auf laufende Zahlungen ab und halte es für unerheblich, für welchen Zeitraum Unterhalt gezahlt werde.
Entscheidungsgründe
10
Die Klage ist hinsichtlich des Kindergeldes für den Zeitraum von August 2012 bis November 2012 begründet und im Übrigen unbegründet.
11
1. Kindergeld für August 2012 bis November 2012:
12
Die Klägerin hat gemäß § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG für den vorgenannten Zeitraum Anspruch auf Kindergeld für A, da keiner der Eltern die Tochter in ihren Haushalt aufgenommen hatte, keiner der Eltern dem Kind eine Unterhaltsrente zahlte und die Eltern die Klägerin zur Kindergeldberechtigten bestimmt hatten.
13
Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die laufenden Zahlungen des Kindesvaters in Höhe von 200 € monatlich nicht als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG anzusetzen.
14
Unter dem in § 64 Abs. 3 EStG verwendeten Begriff der Unterhaltsrente fallen nach ständiger Rechtsprechung auch des BFH Unterhaltsleistungen im Sinne des § 1612 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2003 VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934 m.w.N.). Dazu bestimmt das BGB:
15
„§ 1612 BGB Art der Unterhaltsgewährung
16
(1) 1Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren. 2Der Verpflichtete kann verlangen, dass ihm die Gewährung des Unterhalts in anderer Art gestattet wird, wenn besondere Gründe es rechtfertigen.
17
(2) 1Haben Eltern einem unverheirateten Kind Unterhalt zu gewähren, können sie bestimmen, in welcher Art und für welche Zeit im Voraus der Unterhalt gewährt werden soll, sofern auf die Belange des Kindes die gebotene Rücksicht genommen wird. 2Ist das Kind minderjährig, kann ein Elternteil, dem die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht, eine Bestimmung nur für die Zeit treffen, in der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen ist.
18
(3) 1Eine Geldrente ist monatlich im Voraus zu zahlen. 2Der Verpflichtete schuldet den vollen Monatsbetrag auch dann, wenn der Berechtigte im Laufe des Monats stirbt.“
19
Danach handelt es sich gemäß § 1612 Abs. 1 Satz 1 mit Abs. 3 Satz 1 BGB bei Unterhalt um eine monatlich im Voraus zu zahlende – also laufende – Geldrente, die sich dem Grunde und der Höhe nach der Unterhaltsverpflichtung der Eltern einerseits und der Unterhaltsbedürftigkeit der Tochter andererseits richtet.
20
Bei der Regelung des § 64 Abs. 3 EStG geht es um die Bestimmung des (richtigen) Kindergeldberechtigten. Die Norm dient allein der Zuweisung des Kindergeldes an einen Elternteil. Dazu soll die Verknüpfung zwischen der festzulegenden Kindergeldberechtigung einerseits und der Unterhaltsrente andererseits nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs 13/1558, S. 165 zu § 3 Abs. 3 BKGG n.F., der § 64 Abs. 3 EStG entspricht) im § 64 Abs. 3 EStG sicherstellen, dass derjenige das Kindergeld erhält, der durch den (laufenden) Kindesunterhalt am meisten belastet ist. Der Gesetzgeber stellt in einem gestuften System – soweit dies hier streiterheblich ist – auf die Höhe der der gezahlten Unterhaltsrente oder in der Diktion des BFH auf die Höhe des „laufenden Barunterhalt“ (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2003 VIII R 67/00, BFH/NV 2004, 934; BFH-Beschlüsse vom 28. Oktober 2004 VIII B 253/04, BFH/NV 2005, 346 und vom 28. Oktober 2005 III B 107/05, BFH/NV 2006, 549 unter II. 2. a aa) der Gründe m.w.N.) ab. Als laufender Barunterhalt wird insoweit der Teil einer laufenden Unterhaltszahlung, der quasi aus der Weiterleitung des Kindergeldes besteht, nicht einbezogen, da der Zahlende insoweit nicht belastet ist (BFH, Urteil vom 2. 6. 2005 III R 66/04, BStBl II 2006, 184). Es kommt darauf an, wer durch die Unterhaltsrente (laufend) finanziell höher belastet ist. Eine nachträglich erbrachte Unterhaltsleistung wirkt sich auf die Bestimmung des Unterhaltsberechtigten gemäß § 64 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht aus, da die Regelung des § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG ausschließlich auf den „laufenden Barunterhalt“ abstellt (BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2005, aaO., unter II. 2. a aa) der Gründe).
21
Im Streitfall haben die Eltern beide – unstreitig – tatsächlich keinen laufenden Barunterhalt an die Tochter im Sinne des § 1612 BGB gezahlt, ohne dass es durch die Änderung der Vorschrift im Jahre 2000 noch darauf ankäme, ob sie dazu verpflichtet gewesen wären. Es hat aber auch kein Beteiligter geltend gemacht, dass die Tochter noch Ansprüche auf laufenden Unterhalt gegen ihre Eltern gehabt habe. Die Zahlungen hatten ihren Rechtsgrund allein in der Verpflichtung des Vaters zur Nachzahlung des Unterhalts für frühere Jahre (rückständiger Unterhalt). Dies hat die Klägerin im Einzelnen nachgewiesen. Diese Verbindlichkeit belastete den Vater bereits laufend in der Vergangenheit in den Monaten, in denen er diese Leistungen bereits zu erbringen gehabt hätte. Im Sinne der BFH war er durch diese Zahlungen zwar wirtschaftlich im Streitzeitraum belastet; diese Belastung rührte aber gerade nicht von einer Verpflichtung zur Zahlung eines „laufenden Barunterhalts“ her. Dies wäre aber Voraussetzung für die Berücksichtigung solcher Zahlungen bei der Bestimmung der Kindergeldberechtigung für den Streitzeitraum.
22
Die Rechtsansicht der Beklagten, aus dem BFH-Beschluss im Umkehrschluss folgern zu wollen, dass Zahlungen auf rückständigen Unterhalt zwar nicht im (zurückliegenden) Monat des Rechtsgrundes für die Zahlung aber im Monat der tatsächlichen Zahlung zu berücksichtigen seien, findet weder in der zitierten Entscheidung noch in der gesetzlichen Regelung eine Stütze.
23
Es widerspräche auch dem Wortlaut und Sinne und Zweck des § 64 EStG, wenn man jedwede laufende Zahlung eines Elternteils erfassen wollte. Das Gesetz erfasst nämlich nur eine „Unterhaltsrente“ und hat damit eindeutig eine Beschränkung auf den Rechtsgrund der (laufenden) Zahlung in den Wortlaut der Regelung aufgenommen.
24
Ein erweiterndes Verständnis der Norm wäre geeignet, zu widersprüchlichen Ergebnissen zu führen: Die Unterhaltsverpflichtung des Vaters, auf der die Zahlungen beruhen, betreffen Zeiträume, in denen die Tochter in den Haushalt der Mutter aufgenommen war. Für diese Zeiträume konnte der Vater kein Kindergeld beanspruchen. Wollte man – wie die Beklagte – nunmehr Zahlungen auf rückständigen Unterhalt im Rahmen des § 64 Abs. 3 EStG berücksichtigen, würde der vormals widerrechtlich keinen Unterhalt leistende Elternteil dadurch begünstigt, dass ihm seine späteren Zahlungen eine Kindergeldberechtigung vermitteln würden.
25
Die laufenden Zahlungen des Vaters auf den rückständigen Unterhalt zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung sind danach nicht auf den Streitzeitraum zu beziehen. Danach leisteten beide Elternteile für den Zeitraum August bis November 2012 keine Unterhaltsrenten, so dass ihre untereinander einvernehmlich vorgenommene Berechtigtenbestimmung zugunsten der Klägerin durchgreift.
26
Letztlich ist im Streitfall die aufgeworfene Rechtsfrage – wirtschaftlich betrachtet – letztlich eher theoretischer Natur. In den Fällen, dass beide Eltern keinen Unterhalt zahlen oder zahlen können und ein Sozialleistungsträger für die Eltern einspringen muss, wird die Familienkasse auf Antrag stets eine Abzweigung gemäß § 74 Abs. 1 EStG zu beachten haben. Die Bestimmung des Kindergeldberechtigten nach § 64 Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG hat dann zwar gleichwohl zu erfolgen, diese Entscheidung kann letztlich wirtschaftlich überlagert werden durch eine Anordnung der Familienkasse, das Kindergeld an das Kind oder eine andere Person, die das Kind unterhält, auszuzahlen (vgl. Blümich-Treiber, EStG, § 64 Rz. 54). Im Streitfall hat die Tochter bereits angegeben, vom Landkreis X Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld erhalten zu haben. Der Landkreis X hat auch bereits die Erstattung eine festzusetzen Kindergeldes an sich beantragt. Danach wird die Klägerin voraussichtlich trotz ihres Teilerfolges kein Kindergeld ausgezahlt bekommen.
27
2. Kindergeld für Dezember 2012 bis April 2013:
28
Für den übrigen Zeitraum besteht kein Anspruch auf Kindergeld. Die Tochter nahm – nach einer erstmals abgeschlossenen Ausbildung als Assistentin für Wirtschaftsinformatik im Jahre 2010 – zum 15. November 2012 eine Beschäftigung mit 30 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit auf. Dies schließt nach der ab dem Jahre 2012 geltenden Fassung des § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG den Anspruch auf Kindergeld aus.
29
3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs wegen der als Unterhaltsrente zu berücksichtigenden Zahlungen von Elternteilen zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Das Finanzgericht Münster hat im Urteil vom 23. März 2007 (4 K 1807/05 Kg, EFG 2007, 372) auch rückständigen Unterhalt als Unterhaltsrente im Sinne des § 64 Abs. 3 Satz 3 EStG angesehen, während das FG Hamburg im Urteil vom 16. Februar 2001 (I 289/99, juris) – wie der erkennende Senat – entschieden hat, dass die Zahlung rückständigen Unterhalts nicht bei der Bestimmung des Kindergeldberechtigten einzubeziehen ist.
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