Besteuerung eines Lebensmittels

Zur umsatzsteuerlichen Einordnung eines diätetischen Lebensmittels.

Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, BFH-Az. VII B 176/12

Niedersächsisches Finanzgericht 16. Senat, Urteil vom 10.05.2012, 16 K 281/11
Pos 2106 KN, Pos 3004 KN, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 2005, Kap 21 KN, § 12 Anl 2 Nr 33 UStG 2005, UStG VZ 2005
Tatbestand
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Die Klägerin ist Organträgerin zur Organgesellschaft L GmbH (nachfolgend: GmbH). Die GmbH stellt Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel her und veräußert diese. Zu den Produkten, die hergestellt und vertrieben werden, gehört das Produkt „v00“. Streitig ist, ob die Lieferung dieses Produkts dem Regelsteuersatz oder dem begünstigten Steuersatz unterliegt.
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V00 wird in einer Faltschachtel angeboten, in der entweder 30 oder 90 Dragees des Produkts enthalten sind. Der Faltschachtel wird jeweils eine schriftlich verfasste Verbraucherinformation beigegeben. Wegen des äußeren Erscheinungsbildes der Verpackung und der Verbraucherinformation wird auf die Seiten 45, 46 der Gerichtsakte verwiesen. Nach den Aufdrucken auf der Verpackung wird v00 als ergänzende bilanzierte Diät beschrieben, die zur diätetischen Behandlung von Gefäßerkrankungen infolge eines erhöhten Homocysteinspiegels dient. Die Inhaltsstoffe werden angegeben. Es wird die Verzehrempfehlung gegeben 1 Dragee pro Tag zu verzehren. Die Verpackung erhält die weiteren Hinweise: „Aufgrund der besonderen Ernährungserfordernisse bei der diätetischen Behandlung von Gefäßerkrankungen infolge eines erhöhten Homocysteinspiegels ist der Gehalt an Vitamin B12 erhöht. V00 ist kein vollständiges Lebensmittel. … Mit einer gezielten diätetischen Versorgung mit den Vitaminen Folsäure, B6 und B12 können Patienten mit einem erhöhten Homocysteinspiegel sinnvoll ihre Ernährung ergänzen. V00 enthält diese wertvollen Vitamine in bilanzierter und sinnvoller Kombination, wie sie durch eine Ernährungsumstellung nicht zu erreichen wären. Mit der diätetischen Zufuhr dieser Vitamine können erhöhte Homocysteinspiegel günstig diätetisch Beeinfluss werden.“
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Aus der beigefügten Verbraucherinformation ergibt sich, dass pro Dragee in dem Produkt v00 8 mg an Vitamin B6, 100 µg an Vitamin B12 und 800 µg an Folsäure enthalten ist.
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Die Klägerin erklärte die mit dem Produkt v00 erzielten Umsätze als solche mit dem begünstigten Steuersatz von 7 v.H. Dabei stufte sie das Produkt als Lebensmittelzubereitung, die unter Zollnomenklatur 2106 einzuordnen sei, ein.
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Nach einer in 2009 stattgefundenen Außenprüfung nahm der Beklagte an, dass die Umsätze dem Regelsteuersatz unterlägen. Entsprechend erhöhte der Beklagte diesbezüglich die Umsatzsteuer um 32.814,98 €. Das Erzeugnis sei in Position 3004 der kombinierten Nomenklatur (KN) einzuordnen.
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Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.
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Das Präparat v00 sei keine Arzneiware. Arzneiwaren seien Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG bzw. des Artikel 1 Ziffer 2 der Richtlinie 2001/83/EG. Es handele sich vielmehr um ein diätetischen Lebensmittel gemäß § 1 Abs. 4 a i.V.m. § 21 DiätVO. Es handele sich hierbei um ein Erzeugnis das für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sei. Es diene der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung Modifikationen der normalen Ernährung, andere Lebensmittel zur besonderen Ernährung bzw. Kombinationen aus beiden nicht ausreichend seien. Der Hinweis auf der Verpackung, wonach das Produkt zur diätetischen Behandlung von Gefäßerkrankungen bestimmt sei, stelle keine Formulierung her, die die Klägerin selbst bestimmt gewählt habe. Vielmehr sei dies eine Vorgabe durch § 21 Abs. 2 Ziffer 1 DiätVO. Diese beruhe auf den entsprechenden Vorgaben der europäischen Richtlinie 1999/21/EG. Es bleibe dennoch dabei, dass es sich bei dem Produkt um ein Lebensmittel handele und nicht um Arzneimittel. Der juristisch relevante Unterschied bestehe darin, dass Arzneimittel/Arzneiwaren eine pharmakologische Wirkung gemäß Artikel 1 Ziffer 2 b der Richtlinie 2001/89/EG aufwiesen, die diätetischen Lebensmittel hingegen ernährungsphysiologisch bzw. diätetisch ihre Wirkung entfalteten. Es könne das streitige Produkt deshalb nicht als Arzneiware im Sinne der Position 3004 der KN eingereiht werden. Es werde auch auf die EG-Verordnung 17177/2001 verwiesen, die in ihren Erwägungsgründen besonders hervorhebe, dass Zubereitungen für besondere diätetische Zwecke, die speziell hergestellt oder zubereitet wurden, um den bei bestimmten physischen oder physiologischen Umständen bestehenden Bedürfnissen zu entsprechen, vom Anwendungsbereich der Arzneiware auszunehmen sind. Hinzu trete, dass die vom deutschen Gesetzgeber in § 21 Abs. 2 Ziffer 1 DiätVO verwendete Formulierung (zur diätetischen Behandlung von …) „eine Übersetzung darstelle, die den ernährungsbezogenen Charakter dieser diätetischen Ernährung nicht vollständig gerecht werde. Zutreffender sei sicherlich der Wortlaut in der englischen Version der Richtlinie 1999/21/10; darin heiße es: „The labelling shall also include: The statement for the dietary management of …“. Aus der Formulierung ergebe sich weit aus eindeutiger als in der deutschen Übersetzung, dass es sich um eine diätetischen Ernährungsmaßnahme im Sinne eines Ernährungsmanagements handele und nicht um eine therapeutische Behandlung einer Krankheit.
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Die Klägerin beantragt,
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die Umsatzsteuer 2005 auf XX € herabzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es werde weiter daran festgehalten, dass das im Streit stehende Produkt eine zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken hergestellte Arzneiware sei und demgemäß in Position 3004 der KN einzureihen sei. In der kombinierten Nomenklatur werde durch die zusätzliche Anmerkung 1 zum Kapitel 30 die Abgrenzung von Arzneiwaren zu Lebensmittel und damit auch zu diätetischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln geregelt. Danach seien pflanzliche Arzneizubereitungen und Zubereitung auf der Grundlage von Vitaminen, Mineralstoffen, essentiellen Aminosäuren oder Fettsäuren, in Aufmachungen für den Einzelverkauf, dann in die Position 3004 der KN einzureihen, wenn auf dem Etikett, der Verpackung oder dem Beipackzettel folgende Angaben enthalten sind:
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a. die spezifischen Krankheiten, Leiden oder deren Symptome, bei dem das Erzeugnis verwendet werden soll;
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b. die Konzentration des enthaltenen Wirkstoffs oder der darin enthaltenen Stoffe;
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c. die zu verabreichende Menge und
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d. die Art der Anwendung.
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Bei Zubereitungen auf der Grundlage von Vitaminen, Mineralstoffen, essentiellen Aminosäuren oder Fettsäuren müsse die Menge eines dieser Stoffe pro auf dem Etikett angegebener empfohlener Tagesdosis deutlich höher sein, als die für den Erhalt der allgemeinen Gesundheit oder des allgemeinen Wohlbefindens empfohlene Tagesdosis. Nach den Erläuterungen zur KN des Kapitels 30 Rz. 06.1 und 07.2 müssten Zubereitungen auf der Grundlage von Vitaminen im Allgemeinen eine mindestens dreimal höhere Tagesdosis als die normalerweise empfohlene Tagesdosis enthalten. Der Nachweis einer Wirksamkeit entsprechender Waren sei nicht erforderlich. Die Rechtsvorschrift ziele allein auf die Aufmachung der Ware ab. Das streitbefangene Erzeugnis erfülle alle genannten Voraussetzungen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte. Dem Gericht haben die für die Klägerin beim Beklagten geführten Steuerakten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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Für das streitige Produkt ist der Steuersatz mit 7 v.H. zu bestimmen.
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Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Umsatzsteuer auf 7 v.H. für die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb der in Anlage 2 zum Umsatzsteuergesetz bezeichneten Gegenstände. In laufender Nummer 33 der Anlage 2 sind verschiedene Lebensmittelzubereitungen aus dem Zolltarif Kapitel 21 genannt. In die Position 2106 der KN gehören Lebensmittelzubereitungen, die anderweit weder genannt noch inbegriffen sind. Das streitige Produkt ist in diese Position 2106 der KN einzuordnen. Denn es gehört nicht in die Position 3004 der KN.
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Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Arzneiwaren im Sinne der Position 3004 der KN Erzeugnisse sind, die genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften aufweisen und deren Wirkungen auf ganz bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert sind (vgl. Urteil vom 9. Januar 2007 C-40/06 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
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Im Streitfall mangelt es dem streitigen Produkt an genau umschriebenen therapeutischen oder prophylaktischen Eigenschaften. Der einzige Hinweis auf der Verpackung der diesbezüglich in Betracht käme, ist derjenige, dass das Produkt zur diätetischen Behandlung von Gefäßerkrankungen in Folge eines erhöhten Homocysteinspiegels verwendet werden kann. Abgesehen von dem insoweit zutreffenden Hinweis der Klägerin, dass ihr die Wortwahl für diesen Text durch die nationale Vorschrift in § 21 Abs. 2 Ziffer 1 DiätVO vorgegeben ist, ergibt sich hieraus keine genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaft. Auch die europarechtlich geforderte konzentrierte Wirkung auf ganz bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus lässt sich aus der Umschreibung auf dem Verpackungsinhalt nicht erkennen.
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Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass nach den Erläuterungen zu Kapitel 30 der KN, speziell dort unter 06.1 und 07.2 das streitige Produkt als pharmazeutisches Erzeugnis einzustufen sei, weil es die vier Voraussetzungen, nämlich die Verwendung bei spezifischen Krankheiten, Leiden oder deren Symptomen, die Konzentration der enthaltenen Wirkstoffe, die zu verabreichende Menge und die Art der Anwendung umschreibe, ist dem entgegenzuhalten, dass in den Erläuterungen zu Kapitel 30 unter 08.0 ausdrücklich ausgeführt ist, dass zu Position 3004 u. a. nicht Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Zubereitungen gehören.
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Das Gericht musste den vom Beklagten gestellten Beweisantrag nicht folgen. Denn es ist letztlich nicht entscheidungserheblich, ob durch Sachverständigengutachten bewiesen werden könnte, ob das in Rede stehende Produkt ein Mittel ist, welches geeignet wäre, Gefäßerkrankungen vorzubeugen oder/und zu behandeln. Entscheidend für die Einreihung in die KN ist nicht eine möglicherweise objektive Eigenschaft des Produkts. Vielmehr ist entscheidend, ob in einer Aufmachung des Erzeugnisses für den Einzelverkauf verdeutlicht wird, dass dieses zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken dient. Hierfür sind allein die Angaben auf der inneren oder äußeren Umschließung der Ware entscheidend (vgl. Erläuterungen 04.0 und 05.0 zu Position 3004 der KN).
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Im Ergebnis war die Umsatzsteuer antragsgemäß zu vermindern. Wegen der Berechnung verweist das Gericht auf die Anlage 4 des Außenprüfungsberichts vom 21. Januar 2010.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung – ZPO -.