BFH bestätigt: Geschlechtsspezifische Sterbetafeln bei der Schenkungsteuer verfassungsgemäß

Mit drei Urteilen vom 20.11.2024 (Az. II R 38/22, II R 41/22 und II R 42/22) hat der Bundesfinanzhof (BFH) klargestellt, dass die Verwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln bei der Bewertung lebenslanger Nutzungen und Leistungen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer verfassungsgemäß ist. Die Entscheidung betrifft insbesondere die Wertermittlung von Nießbrauchsrechten bei unentgeltlichen Übertragungen – etwa im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge.


Der Hintergrund der Entscheidung

In den entschiedenen Fällen hatten die Kläger im Jahr 2014 von ihrem Vater GmbH-Anteile im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erhalten. Der Vater behielt sich jedoch einen lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauch an den Anteilen vor. Dieser Nießbrauch vermindert die steuerliche Bereicherung der Erwerber und wird dementsprechend bei der Festsetzung der Schenkungsteuer als Abzugsposition berücksichtigt.

Die Finanzverwaltung berechnete den Kapitalwert des Nießbrauchs unter Anwendung der gesetzlich vorgeschriebenen Vervielfältiger gemäß § 14 Bewertungsgesetz (BewG). Diese basieren auf Sterbetafeln des Statistischen Bundesamts, die nach Geschlecht und Alter des Berechtigten differenzieren.

Die Kläger rügten, die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Bewertung verstoße gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG). Ihre Klage blieb jedoch ohne Erfolg.


Kernaussagen des BFH

Der BFH wies die Revisionen zurück und bestätigte die Praxis der Finanzverwaltung. Die wichtigsten Aussagen des Gerichts:

  • Keine Diskriminierung: Die Verwendung geschlechtsspezifischer Vervielfältiger ist verfassungsrechtlich zulässig. Sie dient dem legitimen Ziel, realitätsnahe und leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerungen zu ermöglichen.
  • Statistische Grundlage: Die Lebenserwartung von Männern und Frauen unterscheidet sich nach wie vor statistisch signifikant. Daraus ergeben sich unterschiedliche Vervielfältiger, die zu realistischeren Kapitalwerten führen.
  • Keine pauschale Benachteiligung: Die geschlechtsbezogenen Vervielfältiger können sich je nach Einzelfall sowohl steuermindernd als auch steuererhöhend auswirken. Es erfolgt keine generelle Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.
  • Maßgeblich ist der Nießbrauchsberechtigte: Für die Berechnung des Kapitalwerts ist nicht das Geschlecht der Erwerber entscheidend, sondern das Geschlecht und Alter desjenigen, der das Nutzungsrecht innehat (hier: der Vater).

Was bedeutet das für die Praxis?

Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit bei der Bewertung von lebenslangen Nutzungen und Leistungen im Rahmen der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Solange die Lebenserwartung weiterhin statistisch geschlechtsabhängig ermittelt wird, bleibt die Anwendung geschlechtsspezifischer Sterbetafeln zulässig.


Hinweis zum Selbstbestimmungsgesetz

Der BFH hat ausdrücklich offen gelassen, welche Auswirkungen sich aus dem am 1. November 2024 in Kraft getretenen Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag ergeben könnten. Die Frage, wie sich eine Änderung des Geschlechtseintrags auf die steuerliche Bewertung auswirkt, war nicht Gegenstand der Urteile und bleibt künftiger rechtlicher Klärung vorbehalten.


Fazit

Die Urteile des BFH bestätigen die bisherige Verwaltungspraxis und stärken die Rechtssicherheit bei Übertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt. In der steuerlichen Beratung ist die korrekte Anwendung der Vervielfältiger nach § 14 BewG weiterhin essenziell – und nun auch verfassungsrechtlich abgesichert.


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