Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Steuereinnahmen: Deutschland braucht Reformen

DIHK, Mitteilung vom 27.10.2025

Wie eng wirtschaftliches Wachstum und staatliche Einnahmen miteinander verknüpft sind, zeigt erneut die aktuelle Steuerschätzung des Arbeitskreises Steuerschätzungen. Die am 23. Oktober 2025 veröffentlichten Ergebnisse machen deutlich: Zusätzliche finanzielle Spielräume sind nicht in Sicht. Im Gegenteil – bereits für den Bundeshaushalt 2027 wird im Bundesfinanzministerium eine Finanzierungslücke von rund 30 Milliarden Euro erwartet.

Kaum Mehreinnahmen – trotz leichter Erholung

Zwar rechnet der Bund im Vergleich zur Steuerschätzung vom Mai 2025 mit kleinen Plusbeträgen:

  • 2025: knapp +2 Milliarden Euro,
  • 2026: rund +5 Milliarden Euro.

Doch ab 2027 fallen die Einnahmen wieder niedriger aus. In der Summe bedeutet das: Bis 2029 gibt es keine zusätzlichen Steuereinnahmen gegenüber der Frühjahrsprognose. Länder und Kommunen schneiden nur minimal besser ab.

Konjunktur erholt sich nur langsam

Die Prognose basiert auf der Herbstprojektion der Bundesregierung. Für 2026 wird ein Wachstum des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts von 1,3 %, für 2027 von 1,4 % erwartet. Für das laufende Jahr ergibt sich ein Mini-Plus von 0,2 % – ein kleiner Lichtblick im Vergleich zum Frühjahr.

Da die Erholung vor allem von der Binnennachfrage getragen wird, steigen insbesondere:

  • Umsatzsteuer: +3 % gegenüber 2024
  • Lohnsteuer: +5 %

Unternehmensteuern bremsen

Die schwache wirtschaftliche Entwicklung schlägt jedoch bei den Unternehmensteuern deutlich durch:

  • Körperschaftsteuer: –2 % gegenüber 2024
  • Gewerbesteuer: Stagnation

Positiv ist lediglich die veranlagte Einkommensteuer (insbesondere Selbstständige & Personengesellschaften): +6 %.

Investitionen allein bringen keinen Durchbruch

Mit dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaschutz“ plant die Bundesregierung Investitionen von 500 Milliarden Euro. Richtig eingesetzt können diese Mittel Impulse setzen – allerdings nur, wenn sie tatsächlich in Projekte fließen, die private Investitionen stimulieren und Bürokratieabbau unterstützen. Ohne diese Wirkung verpufft der Effekt.

Deutschland braucht mehr Wettbewerbsfähigkeit

Die Wirtschaft macht klar: Wohlstand entsteht in Unternehmen.
Öffentliche Investitionen werden durch Steuern finanziert, die letztlich aus privater Wertschöpfung stammen. Daher braucht es dringend stabile und verlässliche Rahmenbedingungen, damit Unternehmen im internationalen Wettbewerb Schritt halten können.

Damit verbunden sind zentrale Forderungen:
✅ bessere Standortbedingungen
✅ weniger Bürokratie
✅ zielgerichtete öffentliche Ausgaben
✅ Fokus auf Wachstum und Innovation

Ein eindrucksvoller Zahlenbeleg:
1 Prozentpunkt zusätzliches Wirtschaftswachstum bringt rund 10 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen.


Fazit

Die Steuerschätzung zeigt: Ohne umfassende wirtschaftspolitische Reformen wird es eng für die öffentlichen Haushalte. Investitionen sind wichtig – aber sie müssen Wachstum erzeugen. Deshalb benötigen Unternehmen moderne Infrastruktur, Planungssicherheit und wettbewerbsfähige steuerliche Rahmenbedingungen. Nur mit stärkerem Wachstum steigen langfristig auch die Steuereinnahmen.

Quelle: DIHK

Übergangsfrist bis Ende 2027 für Bildungsleistungen: BMF reagiert auf Kritik des DStV

Das Bundesfinanzministerium hat mit Schreiben vom 24. Oktober 2025 (Az. III C 3 – S 7179/00054/001/094) auf die massiven Unsicherheiten rund um die neue Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen reagiert. Nach intensiver Intervention des Deutschen Steuerberaterverbands (DStV) gilt nun eine Übergangsregelung bis zum 31.12.2027.

Hintergrund

Mit dem Jahressteuergesetz 2024 wurde § 4 Nr. 21 UStG neu gefasst, um die Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen an EU-Recht anzupassen. Die kurzfristige Gesetzesänderung führte jedoch zu erheblicher Unsicherheit bei Bildungsträgern, Dozenten und der Steuerpraxis. Auch der erste Entwurf des BMF-Schreibens brachte keine Klarheit – im Gegenteil, er verschärfte die Unsicherheiten.

Übergangsregelung

Laut Randziffer 5 des neuen BMF-Schreibens gilt:

Für Umsätze, die vor dem 01.01.2028 ausgeführt werden, wird es nicht beanstandet, wenn Unternehmer ihre Leistungen weiterhin nach den bisherigen UStAE-Regelungen (Stand 31.12.2024) als steuerfrei oder steuerpflichtig behandeln.

Damit bleibt der Status quo für die Praxis bis Ende 2027 bestehen – ein großer Erfolg für den DStV und eine dringend benötigte Atempause für Bildungseinrichtungen und selbstständige Lehrkräfte.

Weiterhin offene Punkte

Trotzdem bleibt Unsicherheit beim Bescheinigungsverfahren: Liegt keine Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG vor, sollen die Finanzbehörden im Einzelfall selbst prüfen, ob eine begünstigte Bildungsleistung vorliegt. Der DStV will diese Regelung noch eingehend analysieren und sich ggf. für weitere Klarstellungen einsetzen.


Praxis-Tipp:
Dozenten, Bildungsträger und steuerliche Berater sollten vorerst keine überstürzten Änderungen an der USt-Behandlung von Bildungsleistungen vornehmen. Bis Ende 2027 darf die bisherige Rechtslage weiter angewandt werden – eine wichtige Entlastung für die Umstellungsphase.

Steuern sparen – was der BFH dazu sagt

Warum Steuergestaltungen erlaubt sind – und wann sie zum Risiko werden

Viele Steuerpflichtige fragen sich: Wie weit darf man gehen, wenn man Steuern sparen will?
Die gute Nachricht zuerst: Steuern zu sparen ist erlaubt.
Aber: Nicht jede kreative Gestaltung gefällt auch dem Finanzamt – und spätestens der Bundesfinanzhof (BFH) prüft genau, ob eine Maßnahme wirtschaftlich sinnvoll ist oder nur der Steuervermeidung dient.

In diesem Beitrag fassen wir die wichtigsten BFH-Grundsätze und Urteile zum Thema „Steuern sparen“ zusammen – praxisnah erklärt.


1. Steuern sparen ist erlaubt – innerhalb der gesetzlichen Grenzen

Der BFH hat in mehreren Entscheidungen betont:

„Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen.“
(BFH, Urteil v. 15.11.2022 – VIII R 21/19)

Das bedeutet: Wer zwischen zwei rechtlich zulässigen Wegen wählt – und dabei den steuerlich günstigeren bevorzugt – handelt völlig rechtmäßig.
Das Steuerrecht selbst bietet Gestaltungsspielräume, etwa bei Wahlrechten, Abschreibungen, Vermögensübertragungen oder der Nutzung von Freibeträgen.


2. Wann Steuergestaltungen unzulässig werden

Anders sieht es aus, wenn eine Gestaltung keinen wirtschaftlichen Hintergrund hat, sondern nur darauf angelegt ist, Steuern zu umgehen. Nach § 42 AO („Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten“) liegt ein solcher Missbrauch vor, wenn:

  • die Gestaltung ungewöhnlich oder unökonomisch ist,
  • sie keinen erkennbaren außersteuerlichen Zweck hat, und
  • sie zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht beabsichtigt hat.

Beispiel: Eine aufwendige Kette von Gesellschaftsverträgen, die nur dazu dient, Erbschaft- oder Grunderwerbsteuer zu vermeiden, kann als missbräuchlich eingestuft werden.


3. Aktuelle BFH-Entscheidungen zum Thema „Steuerersparnis“

🏠 BFH, Urteil v. 20.06.2023 – IX R 8/22

Der BFH prüfte, ob eine steuerliche Gestaltung ohne wirtschaftlichen Grund als Missbrauch gilt.
Ergebnis: Nur wenn kein plausibler außersteuerlicher Zweck besteht, darf das Finanzamt die Gestaltung verwerfen.
➡️ Praxis-Tipp: Wer eine Immobilie vermietet oder überträgt, sollte immer die wirtschaftlichen Beweggründe dokumentieren – etwa Altersvorsorge, Erhalt des Familienvermögens oder Liquiditätssicherung.


🧩 BFH, Urteil v. 11.12.2024 – II R 14/22

Bei der Übertragung eines Grundstücks im Umlegungsverfahren ging es um eine mögliche Steuerbefreiung. Der BFH stellte klar: Auch wenn eine Befreiung formal erfüllt scheint, kann sie versagt werden, wenn die Gestaltung nur steuerlich motiviert ist.
➡️ Praxis-Tipp: Steuerbefreiungen (z. B. bei Immobilien oder Erbschaften) wirken nur, wenn die zugrundeliegende Maßnahme substanziell und wirtschaftlich nachvollziehbar ist.


💼 BFH, Urteil v. 16.09.2015 – IX R 12/14

Hier definierte der BFH die allgemeine Grenze: Eine Gestaltung ist unzulässig, wenn sie „unangemessen“ ist und ein vom Gesetz nicht vorgesehenes Ergebnis herbeiführt – ohne wirtschaftlichen Hintergrund.
➡️ Praxis-Tipp: Immer prüfen, ob eine Maßnahme auch ohne Steueraspekt sinnvoll wäre. Wenn nicht, ist Vorsicht geboten.


🏘️ BFH, Urteil v. 20.06.2023 – IX R 17/21

Bei der Vermietung von Luxusimmobilien betonte der BFH: Wer mit einer Vermietung keinen realistischen Überschuss erzielen kann, darf Verluste steuerlich nicht geltend machen.
➡️ Praxis-Tipp: Vermietungen müssen auf Dauer rentabel angelegt sein. Andernfalls erkennt das Finanzamt Werbungskosten und AfA nicht an.


🪙 BFH, Urteil v. 11.12.2014 – II R 24/14

Im Erbschaftsteuerrecht entschied der BFH, dass Steuervergünstigungen für vermietete Immobilien nur gelten, wenn diese tatsächlich vermietet oder zur Vermietung bestimmt waren.
➡️ Praxis-Tipp: Bei ererbten Immobilien sollte frühzeitig entschieden und dokumentiert werden, ob und wann eine Vermietung erfolgt.


4. Fazit: Steuern sparen ja – aber mit Substanz

Der BFH hat klargestellt:

  • Steuern sparen ist legitim.
  • Missbrauch ist verboten.
    Die Grenze verläuft dort, wo Gestaltungen keine wirtschaftliche Realität haben.

Praxisempfehlung:

  • Dokumentieren Sie wirtschaftliche und familiäre Beweggründe.
  • Wählen Sie den günstigsten, aber nachvollziehbaren Weg.
  • Lassen Sie Gestaltungen (z. B. bei Erbschaften, Immobilien, Vermögensübertragungen) steuerlich prüfen, bevor Sie handeln.

So nutzen Sie Ihre Spielräume optimal – legal, sicher und transparent.

Einkünftequalifizierung einer britischen General Partnership – kein originär gewerblicher Betrieb

FG Baden-Württemberg, Urteil 3 K 2355/20 vom 14.12.2023
(nicht rechtskräftig – BFH-Az.: I B 11/24)


Das FG Baden-Württemberg hat entschieden, dass eine britische General Partnership nur dann abkommensrechtliche Unternehmensgewinne nach Art. 7 Abs. 1 DBA-UK erzielt, wenn die Gesellschaft originär gewerblich tätig ist. Eine rein innerstaatlich wirkende gewerbliche Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) reicht dafür nicht aus.

Die finanzgerichtliche Folge im Streitfall: Private Veräußerungsgeschäfte statt gewerbliche Einkünfte.


Der Fall in Kürze

  • XY GP = britische General Partnership
    → steuerlich transparent, vergleichbar mit deutscher Personengesellschaft
  • Gesellschafter: in Deutschland ansässig
  • Geschäftstätigkeit: Kauf und Verkauf von Turbinen
  • Nur wenige Einzelgeschäfte, jeweils nach erneuter Investitionsentscheidung
  • Gesellschaft erklärte steuerfreie Unternehmensgewinne nach Art. 7 DBA-UK

❌ Das Finanzamt stufte die Umsätze dagegen als Einkünfte nach § 23 EStG ein.
❌ Klage blieb erfolglos.


Die tragenden Erwägungen des FG

1️⃣ Keine abkommensrechtlich relevante unternehmerische Geschäftstätigkeit

Die Tätigkeiten waren nicht nachhaltig:

  • nur ein Einkaufsvorgang und ein Verkaufsakt je Turbine
  • keine Wiederholungsabsicht erkennbar
  • Ad-hoc-Entscheidungen ohne strategische Geschäftsausrichtung

Damit kein originär gewerbliches Handeln, sondern private Vermögensverwaltung.

2️⃣ Gewerbliche Prägung hilft abkommensrechtlich nicht weiter

§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG → fiktive Umqualifikation nur im innerdeutschen Recht
➡ Für das DBA unbeachtlich

DBA verlangt tatsächliche originär gewerbliche Tätigkeit

3️⃣ Konsequenz: Besteuerung als private Veräußerungsgeschäfte

➡ Einkünfte werden Deutschland als Ansässigkeitsstaat zugewiesen
➡ Besteuerung nach Art. 13 Abs. 5 DBA-UK + § 23 EStG


Praxisrelevanz

Dieses Urteil zeigt deutlich:

PunktBedeutung
Abkommensrecht folgt eigener Qualifikationnationale Fiktionen wirken nicht
Personengesellschaften benötigen echte GewerblichkeitWiederholungsabsicht + Marktteilnahme
Strukturierte Geschäftstätigkeit erforderlichEinzeltransaktionen reichen nicht
Gestaltungsrisiken bei internationalen PE-Strukturenhohe Prüfungsdichte durch Finanzverwaltung

👁 Besonders relevant für:

  • Asset Trading (z. B. Turbinen, Ersatzteile, Leasinggüter)
  • Private-Equity- und Deal-by-Deal-Strukturen
  • Cross-border-Partnerships mit deutschen Gesellschaftern
  • Gruppen mit „DBA-Unternehmensgewinn-Argumentation“

Beratungshinweis

Prüffragen vor Strukturierung internationaler Partnerships:

✅ Gibt es kontinuierliche Geschäftstätigkeit?
✅ Liegt eine unternehmerische Organisation vor?
✅ Erfolgt die Gewinnerzielung berufsmäßig?
✅ Ist die Tätigkeit dem Grunde nach originär gewerblich?

➡ Wenn nicht: hohes Risiko der Einstufung als private Vermögensverwaltung


Nicht rechtskräftig

BFH anhängig: I B 11/24
→ spannende Fortsetzung zu erwarten


Quelle

Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025

✅ 1) Checkliste

DBA-Einkünftequalifikation bei ausländischen Partnerships (z. B. UK GP)

PrüffrageJa → Unternehmensgewinne Art. 7 DBA ✅Nein → Private Veräußerung Art. 13 DBA ❌
Liegt eine originär gewerbliche Tätigkeit vor?
Ist die Tätigkeit nachhaltig (Wiederholungsabsicht, Marktteilnahme)?
Gibt es eine unternehmerische Organisation / Struktur?
Anzahl der Geschäftsvorfälle > zufällige Einzeltransaktionen?
Gewinne beruhen auf betrieblichen Funktionen und Risiken?
Personengesellschaft führt selbst das Unternehmen?
Keine reine Kapitalanlage / Vermögensverwaltung?

📌 Ergebnis:
▶ Mehrere „Ja“ → Art. 7 DBA (Unternehmensgewinne)
▶ Überwiegend „Nein“ → Art. 13 DBA (private Veräußerung) + volle deutsche Besteuerung


✅ 2) Abgrenzungs-Grafik (Textvisualisierung)

                EINKÜNFTE AUS PERSONENGESELLSCHAFT
                                |
                  ORIGINÄR GEWERBLICH?
                                |
                ┌──────────────┴──────────────┐
                |                             |
               Ja                            Nein
                |                             |
        Art. 7 DBA UK                  Art. 13 Abs. 5 DBA UK
        Unternehmensgewinne            Private Vermögensverwaltung
        |                              |
Progressionsvorbehalt möglich     Volles deutsches Besteuerungsrecht
(Betriebsstätte prüfen!)          (§ 23 EStG)

👉 Gewerbliche Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) ist abkommensrechtlich irrelevant

Beschränkte Steuerpflicht von Versorgungsbezügen aus einer früheren inländischen Betriebsstätte

FG Baden-Württemberg, Urteil 12 K 549/23 vom 28.11.2024
(nicht rechtskräftig – BFH-Az.: V R 2/25)


Versorgungsbezüge aus einer früheren gewerblichen Tätigkeit unterliegen auch nach einem Wegzug ins Ausland weiterhin der beschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland. Das entschied das FG Baden-Württemberg und stellte dabei klar: Der Besteuerungsanspruch knüpft an die ursprüngliche inländische Betriebsstätte an – selbst wenn diese längst aufgegeben wurde.


Sachverhalt

  • Kläger war bis 2014 Versicherungsvertreter (Einkünfte aus Gewerbebetrieb)
  • Aufgabe des Betriebs und Wegzug in die Slowakei
  • Ab 2015: Versorgungsleistungen aus Versorgungswerk der Versicherung XY
    (neben gesetzlicher Rentenversicherung)
  • Kläger erklärte die Leistungen nur in der Slowakei
  • Finanzamt unterwarf die Bezüge in Deutschland der Steuer → Klage erfolglos

Die Kernargumente des FG

✅ Nationale Rechtslage

Die Versorgungsleistungen sind:

nachträgliche gewerbliche Einkünfte (§ 15 i. V. m. § 24 Nr. 2 EStG)
inländische Einkünfte gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
➡ daher beschränkt steuerpflichtig nach § 1 Abs. 4 EStG

Der Inlandsbezug bleibt erhalten, weil die Leistungen während der aktiven Tätigkeit „erdient“ wurden.

Auch eine nicht mehr existierende Betriebsstätte bleibt steuerlich relevant, solange der wirtschaftliche Ursprung dort liegt.


✅ Abkommensrechtliche Zuordnung (DBA-Slowakei)

Die Versorgungsleistungen gelten nicht als Pensionen aus unselbstständiger Arbeit (Art. 19 DBA),
sondern als Unternehmensgewinne (Art. 7 DBA):

➡ Besteuerungsrecht bleibt Deutschland
➡ Slowakei muss nach Art. 23 DBA die Freistellung gewähren
(ggf. mit Progressionsvorbehalt)

Damit wird eine Doppelbesteuerung vermieden.


Bedeutung für die Praxis

Diese Entscheidung ist steuerpolitisch brisant, denn:

Auch nach der Betriebsaufgabe kann Deutschland
→ weiterhin Steuerzugriff auf Versorgungsbezüge haben!

Besonders relevant für:

✔ Handels- und Versicherungsvertreter
✔ Berater, Agenturen und andere gewerbliche Einzelunternehmer
✔ Personen mit Versorgungswerken außerhalb der klassischen Betrieblichen AV
✔ Wegzugsfälle (Exit Tax Planning)


Praxishinweise zur Beratung

PrüfpunktBedeutung
Herkunft der Versorgungsbezügeentscheidend für die Steuerzuordnung
Art der Tätigkeit (selbstständig vs. nichtselbstständig)abkommensrechtlich relevant
Zeitpunkt des Wegzugssteuerplanerisch gestaltbar
DBA-AuslegungProgressionsvorbehalt beachten
Möglichkeit eines Verständigungsverfahrensbei bereits erfolgter Doppelbesteuerung

Fazit

📌 Versorgungsleistungen bleiben steuerlich am Ort der Ursprungstätigkeit verankert
📌 Wohnsitzverlagerung ins Ausland entzieht diese nicht der deutschen Besteuerung
📌 Steuerliche Auswirkungen frühzeitig in der Nachfolge- und Exitplanung berücksichtigen


Nicht rechtskräftig

Revision beim BFH anhängig: V R 2/25


Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025

✅ 1) Checkliste

Versorgungsbezüge im Wegzugsfall – Wo sind sie steuerpflichtig?

PrüffrageJa ✅Nein ❌Bedeutung
Beruhen die Versorgungsbezüge auf früherer selbstständiger Tätigkeit?Dann Unternehmensgewinne nach DBA Art. 7
Wurden die Ansprüche im Inland erdient?Inländische Betriebsstättenzuordnung (§ 49 EStG)
Wohnsitz/gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland?beschränkte Steuerpflicht in DE prüfen
Wurden die Bezüge bereits im Ausland versteuert?DBA-Entlastung / Progressionsvorbehalt
Liegt eine Versorgung aus unselbstständiger Tätigkeit vor?→ evtl. Art. 18/19 DBA statt Art. 7

Ergebnis:
➡ In der Regel weiterhin deutsche Steuerpflicht, wenn die Leistungen aus deutscher Tätigkeit stammen


✅ 2) Übersichtsgrafik zur abkommensrechtlichen Zuordnung

(auch für Präsentationen geeignet)

VERSORGUNGSBEZUG – AUSLÖSENDES MOMENT?

        Selbstständige Tätigkeit?
                 |
         ┌───────┴────────┐
        Ja                Nein
        |                  |
   Art. 7 DBA        Art. 18/19 DBA
Gewinne aus Unternehmen   Ruhegehälter
        |                  |
   Betriebsstättenzuordnung    Ansässigkeitsstaat
        |                  |
   Deutschland besteuert        Ausland besteuert
        |
Freistellung im Ausland
Progressionsvorbehalt möglich

👉 Steuerfolgen richten sich nach der wirtschaftlichen Veranlassung – nicht nach dem Ort der Auszahlung

Reemtsma-Direktanspruch: Vorsteuererstattung bei Insolvenz des Leistenden sofort möglich

FG Baden-Württemberg, Urteil 14 K 1423/21 vom 06.12.2023
(nicht rechtskräftig – BFH-Az.: V R 31/24)


Das FG Baden-Württemberg stärkt den sog. Reemtsma-Direktanspruch:
Ist der leistende Unternehmer insolvent, kann der Leistungsempfänger die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer direkt vom Finanzamt erstattet bekommensofort und in voller Höhe, ohne zuvor den langwierigen Insolvenzweg abwarten zu müssen.


Worum ging es?

Eine Schweizer Kapitalgesellschaft:

  • erhielt Dienstleistungen eines deutschen Unternehmens
  • erteilte Gutschriften mit deutschem USt-Ausweis, obwohl der Leistungsort Schweiz war
  • zahlte die Rechnungen inkl. USt → Leistungsempfängerin machte Vorsteuer geltend
  • der Leistungserbringer führte diese USt ans Finanzamt ab

Problem:
Der USt-Ausweis war unrichtig, daher kein Vorsteuerabzug (§ 15 UStG).

Später Insolvenz des Leistenden → Rückforderung über Insolvenz aussichtslos.

Die Klägerin beantragte Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO – mit Erfolg!


Kernaussagen des Gerichts

Neutralität der Mehrwertsteuer muss gewahrt bleiben
Unternehmer dürfen nicht endgültig mit nicht geschuldeter Umsatzsteuer belastet sein.

Direktanspruch gegen das Finanzamt bei Insolvenz
→ ohne vorherige Anmeldung zur Insolvenztabelle
→ ohne langwieriges Zuwarten auf eine mögliche Massequote

Effektivitätsgebot des EU-Rechts (EuGH „Reemtsma“, C-35/05) wird gewahrt
→ Staat darf keinen Liquiditätsvorteil aus Insolvenzen ziehen

Keine Doppelerstattung
→ Anspruch des Leistenden gegen Finanzamt entsteht nur, wenn er zuvor an den Leistungsempfänger zurückzahlen kann – was in der Insolvenz gerade nicht möglich ist


Praxisrelevanz: Wann greift der Reemtsma-Direktanspruch?

VoraussetzungErläuterung
Zu Unrecht ausgewiesene USt§ 14c UStG / falscher Leistungsort
Leistungsempfänger hat USt bezahltwirtschaftliche Belastung
Leistungserbringer insolvent oder zahlungsunfähigErstattung über Insolvenz unmöglich oder übermäßig erschwert
Finanzamt hat USt bereits vereinnahmtNeutralitätsprinzip verletzt

Anspruch über Billigkeit (§ 163 AO) – Ermessensreduktion auf Null


Beispiele aus der Praxis

FallErgebnis
Reverse-Charge-Fall falsch abgerechnet → USt ausgewiesen → Leistender insolventDirektanspruch denkbar ✅
Bauleistung im Inland falsch qualifiziertje nach Belastungslage ✅
Rechnung bereits berichtigungsfähig und Leistender noch zahlungsfähigkein Direktanspruch ❌

Fazit

📌 Vorsteuer bleibt vorsteuerneutral – auch bei Fehlern
📌 Insolvenz des Leistenden darf nicht zu endgültiger Steuerbelastung führen
📌 Direktanspruch ist oft schneller und wirtschaftlich sinnvoller als der Insolvenzweg

Prüfempfehlung für Berater:
Bei jeder Rechnungsberichtigung in Insolvenzfällen → Sofort Reemtsma-Check!


Nicht rechtskräftig

Revision beim BFH anhängig: V R 31/24


Quelle

Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025

Lieferung von alkoholischen Flüssigkeiten durch Landwirte unterliegt der Regelbesteuerung

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 23.10.2025 zum Urteil 14 K 2016/21 vom 24.04.2024
(nicht rechtskräftig – Revision beim BFH: V R 37/24)


Das FG Baden-Württemberg hat entschieden, dass die Herstellung und Lieferung alkoholischer Flüssigkeiten – selbst wenn das Obst aus dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb stammt – nicht nach § 24 UStG pauschalbesteuert werden darf.

Grund: Alkohol ist kein landwirtschaftliches Erzeugnis, und die Destillation stellt keine landwirtschaftliche Nebenleistung dar.


Der Fall in Kürze

Ein Landwirt mit Obstbau betrieb eine angeschlossene Brennerei:

  • Teil des Obstes wurde direkt verkauft ✅
  • Teil wurde selbst gebrannt → Verkauf als Schnaps an Verbraucher und Hofläden
  • Rohalkohol wurde an Großhändler geliefert

Umsatzsteuerliche Behandlung durch den Landwirt:

ProduktBislang angewendetSteuersatz
Selbst abgefüllter SchnapsPauschalbesteuerungeffektiv 8,3 %
Rohalkohol an GroßhändlerRegelbesteuerung19 %

Später beantragte er, alle alkoholischen Umsätze pauschal zu behandeln.
→ Das Finanzamt lehnte ab.
→ Die Klage vor dem FG wurde abgewiesen.


Die wesentliche Begründung des FG

❌ Alkohol ≠ landwirtschaftliches Erzeugnis

  • nicht in der MwStSystRL (Anhang VII) aufgeführt
  • Destillation ist kein Obstbau und geht über einfache Verarbeitung hinaus

❌ Destillation ist kein landwirtschaftlicher Nebenbetrieb

  • Brennerei ist keine typische Ausstattung eines landwirtschaftlichen Betriebs
  • nur ca. 11 % der Betriebe besitzen eine Brennerei → nicht „normal“

❌ Kein Fall einer landwirtschaftlichen Dienstleistung

  • Ergebnis ist ein eigenständiges, hochverarbeitetes Produkt
  • nicht vergleichbar mit z. B. Trocknung, Reinigung, Einsilierung

Ergebnis:
Sämtliche Umsätze aus der Brennerei unterliegen der Regelbesteuerung (19 %)


Praxisrelevanz für landwirtschaftliche Betriebe

Risikofelder:

BereichSteuerliche Folge
Hofbrennerei (eigene Destillation)Regelbesteuerung 19 %
Verkauf abgefüllter BrändeRegelbesteuerung
Lieferung von RohalkoholRegelbesteuerung
Nebentätigkeiten „nicht typisch landwirtschaftlich“regelmäßig keine Pauschalierung

Achtung:
Auch wenn Tradition und regionale Verbreitung bestehen – umsatzsteuerrechtlich entscheidend ist EU-konforme Auslegung.


Praxistipp

Landwirte mit Brennerei sollten:

✅ Umsatzsteuerstatus überprüfen
✅ getrennte Buchführung für Obstbau / Destillation führen
✅ Kleinbrennerei-Konstellationen steuerlich neu beurteilen lassen
✅ ggf. Option zur Regelbesteuerung prüfen, um vollen Vorsteuerabzug zu erhalten


Nicht rechtskräftig

Gegen das Urteil ist Revision beim BFH anhängig
Az. V R 37/24


Quelle

Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2025

✅ 1) Checkliste: Was gilt als Landwirtschaft – was nicht? (USt § 24)

TätigkeitUSt-EinordnungSteuerfolgen
Obstbau, Weinbau, GemüsebauLandwirtschaftlicher BetriebPauschalierung möglich
Ernte, Sortierung, Lagerung (typische Erzeugertätigkeiten)Landwirtschaftliche VerarbeitungPauschalierung möglich
Keltern von Trauben zu WeinLandwirtschaftliche VerarbeitungPauschalierung möglich
Brennen von Obst zu Schnaps/BranntweinKeine LandwirtschaftRegelbesteuerung (19 %)
Verkauf selbst gebrannter SpirituosenKeine LandwirtschaftRegelbesteuerung (19 %)
Verkauf von RohalkoholKeine LandwirtschaftRegelbesteuerung (19 %)

🧩 Merksatz:
Sobald eine Verarbeitung besondere Technik benötigt, die nicht typisch für einen Hof ist → Regelbesteuerung


✅ 2) Abgrenzungsgrafik (logisch)

      STAMMT DAS PRODUKT AUS
   LANDWIRTSCHAFTLICHER ERZEUGUNG?
                |
           Ja ───┴─── Nein
                |          |
     Wird mit typischen     Regelbesteuerung
     Hofmitteln verarbeitet? 19 %
           | 
     Ja ───┴─── Nein
           |          |
    Pauschalierung     Regelbesteuerung
     möglich           19 %

🔎 Ein Schnapsbrennkessel ist kein „typisches Hofmittel“
➡ deshalb Regelbesteuerung für alle alkoholischen Flüssigkeiten

BFH: Keine Sonderabschreibung bei Abriss und Ersatzneubau eines Einfamilienhauses

BFH, Pressemitteilung Nr. 68/25 vom 23.10.2025 zum Urteil IX R 24/24 vom 12.08.2025


Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass die Sonderabschreibung für Mietwohnungsneubau nach § 7b EStG nicht gewährt wird, wenn ein bestehendes Einfamilienhaus abgerissen und durch ein neues Einfamilienhaus ersetzt wird. Entscheidend ist, dass kein zusätzlicher Wohnraum geschaffen wird.


Sachverhalt

  • Klägerin war Eigentümerin eines vermieteten Einfamilienhauses
  • Abriss des noch funktionsfähigen, aber sanierungsbedürftigen Altbaus im Juni 2020
  • Ersatzneubau eines ebenfalls single-house Mietobjekts ab Juli 2020
  • Antrag auf Sonderabschreibung nach § 7b EStG
    → vom Finanzamt abgelehnt
    → Klage erfolglos → Revision ebenfalls ohne Erfolg

Die Entscheidung des BFH

Der BFH bestätigte die Auffassung der Finanzverwaltung:

§ 7b EStG verlangt eine Vermehrung des Wohnungsbestands
➡ Bei Ersatz-Neubau bleibt die Anzahl der Wohnungen unverändert
➡ Ziel der Norm: Schaffung neuen Wohnraums im Rahmen der Wohnraumoffensive

Ein Abriss-Neubau erfüllt dieses Ziel nicht, wenn:

  • von Beginn an ein 1:1-Ersatz geplant war
  • Abriss und Neubau ohne zeitlichen Abstand zusammenhängen
  • die Wohnungsanzahl identisch bleibt

Nur wenn Abriss und Neubau keinen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen, kann eine Förderung denkbar sein.


Praxisrelevanz

Für Investoren und Vermieter:

🔸 Förderung nach § 7b EStG ausschließlich für echten Wohnraumzuwachs
🔸 Ersatzinvestitionen bleiben regelmäßig unbegünstigt
🔸 Projektplanung sollte frühzeitig steuerlich geprüft werden

Planungsbeispiele, die begünstigt sein können:

✔ Einfamilienhaus → Mehrfamilienhaus (zusätzliche Wohnungen)
✔ Brachfläche → Neubauprojekt
✔ Bestandsgebäude → Aufstockung / Anbau mit Mehr-Wohneinheiten

💡 Praxis-Tipp
Förderung sichern, indem Abriss und Neubau getrennt geplant und wirtschaftlich unabhängig voneinander gestaltet werden — nur in echten Ausnahmefällen relevant, aber möglich.


Fazit

📌 Sonderabschreibung nur bei Wohnungsmehrung
📌 Ersatzneubauten ohne Bestandszuwachs bleiben unbegünstigt
📌 Frühzeitig steuerliche Beratung einbinden


Quelle: Bundesfinanzhof

✅ Übersichtsgrafik: Wann ist die Sonderabschreibung nach § 7b EStG möglich?

         SCHAFFUNG ZUSÄTZLICHEN WOHNRAUMS?
                     |
           ┌─────────┴─────────┐
           |                   |
         Nein                 Ja
  Ersatzneubau ohne      Neubau schafft
  Wohnungsmehrung        weitere Wohnungen
           |                   |
     ❌ Keine § 7b           ✅ § 7b möglich
     Sonderabschreibung     (sofern weitere
                             Voraussetzungen
                             erfüllt sind)

✅ Praxis-Checkliste für Immobilieninvestoren

KriteriumJa = Begünstigt ✅Nein = Nicht begünstigt ❌
Entsteht zusätzliche Wohnfläche (Anzahl Wohnungen)?
Baumaßnahmen sind Teil eines Neubauvorhabens?
Keine unmittelbare Verbindung zu Abriss eines einzelnen Wohnobjekts?
Bauantrag nach gesetzlichen Fristen für § 7b gestellt?
Neubau wird entgeltlich zu Wohnzwecken vermietet?

💡 Ergebnis: Nur wenn die ersten beiden Kriterien erfüllt sind, lohnt sich eine tiefergehende Prüfung von § 7b EStG.

BFH: Kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Sonderausgabenabzug für Pflegezusatzversicherung

BFH, Pressemitteilung Nr. 69/25 vom 23.10.2025 zum Urteil X R 10/20 vom 24.07.2025


Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass Beiträge zu freiwilligen privaten Pflegezusatzversicherungen nicht zwingend als Sonderausgaben abzugsfähig sein müssen. Die gesetzliche Beschränkung des Sonderausgabenabzugs hält der X. Senat für verfassungsgemäß – eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht erfolgt.


Ausgangslage: Basisabsicherung vollständig abziehbar – Zusatzschutz nur begrenzt

Seit 2010 gilt:

✅ Beiträge zur Basis-Krankenversicherung
✅ und gesetzlichen Pflegeversicherung

voll als Sonderausgaben abzugsfähig

Dagegen:

⚠️ Beiträge zu darüberhinausgehenden Kranken- und Pflegezusatzversicherungen
⚠️ sowie sonstigen Vorsorgeaufwendungen (z. B. Haftpflicht, Berufsunfähigkeit, Unfallversicherung)

nur im Rahmen des Höchstbetrags nach § 10 Abs. 4 EStG berücksichtigungsfähig
→ dieser ist in der Praxis meist bereits durch die Basisabsicherung ausgeschöpft


Der Streitfall

Die Kläger hatten eine private Pflegezusatzversicherung abgeschlossen, um Versorgungslücken bei hoher Pflegebedürftigkeit zu schließen.
Ihre Beiträge wirkten sich steuerlich jedoch nicht aus – der Höchstbetrag war durch die Basisbeiträge bereits erreicht.

Argument der Kläger:

Zusatzversicherung sichere lediglich ein sozialhilfegleiches Niveau ab → daher aus Gründen des Existenzminimums steuerlich zu berücksichtigen.


BFH: Gesetzgeber darf Pflege nur als Teilabsicherung ausstatten

Der BFH hält die aktuell geltende Rechtslage für verfassungskonform:

  • Gesetzliche Pflegeversicherung deckt bewusst nur einen Teil der Kosten ab
  • Eigenanteile sind vom Gesetzgeber gewollt und zumutbar
  • Eine steuerliche Förderung der darüber hinausgehenden privaten Vorsorge ist nicht verfassungsrechtlich geboten

Kernbotschaft des Gerichts:

➡ Das Steuerrecht muss nur die Beiträge freistellen,
➡ die der Gesetzgeber als verpflichtend und existenzsichernd definiert hat.

Pflegezusatzversicherungen gehören nicht dazu.


Bedeutung für die Praxis

Für Steuerpflichtige:

🔹 Pflegezusatzschutz bleibt privates Risiko, steuerlich kaum gefördert
🔹 Höchstbetragsgrenzen behalten ihre volle Relevanz
🔹 Anreiz für zusätzliche private Vorsorge wird nicht steuerlich flankiert

Für die Beratung:

✅ Klarstellung bei Mandantenkommunikation
✅ Kein Raum für verfassungsrechtliche Argumentation
✅ Fokus auf Optimierung anderer abzugsfähiger Vorsorgeaufwendungen


Fazit

📌 Existenzminimum steuerlich geschützt – aber nur im Rahmen der gesetzlichen Grundversorgung
📌 Pflegezusatz bleibt freiwillige Zusatzvorsorge – ohne Sonderstatus im Steuerrecht


Quelle: Bundesfinanzhof

✅ 1) Übersicht – Priorisierung der Vorsorgeaufwendungen

Welche Beiträge wirken sich steuerlich aus?
(vereinfachte Darstellung)

1️⃣ Basisabsicherung → immer voll abziehbar ✅
   - Gesetzliche Pflegeversicherung
   - Basis-Krankenversicherung (Existenzminimum)

2️⃣ Weitere Vorsorgeaufwendungen → nur im Rahmen des Höchstbetrags ⚠️
   - Haftpflichtversicherung
   - Berufsunfähigkeitsversicherung (reiner Risikoanteil)
   - Unfallversicherung
   - Arbeitslosenversicherung

3️⃣ Freiwillige Pflegezusatzversicherung → steuerlich meist ohne Wirkung ❌
   (Höchstbetrag regelmäßig ausgeschöpft)

➡ Steuerliche Wirkung zuerst dort prüfen, wo es verpflichtend & existenzsichernd ist.


✅ 2) FAQ

Macht eine Pflegezusatzversicherung steuerlich Sinn?
➡ Steuerlich meist nein – aber finanziell durchaus, weil gesetzliche Pflegeversicherung nur Teilleistungen bietet.

Warum kann ich die Zusatzbeiträge nicht absetzen?
➡ Der Gesetzgeber betrachtet diese Leistung als freiwilligen Zusatzschutz, keinen Teil des Existenzminimums.

Muss der Staat nicht mein Existenzminimum schützen?
➡ Ja – und das tut er durch die vollständige steuerliche Freistellung der gesetzlichen Grundpflege.

Ändert sich das irgendwann?
➡ Nach BFH-Rechtsprechung derzeit keine Veranlassung für gesetzliche Anpassungen.

BFH zur steuerfreien Tarifoptimierung von Versicherungsverträgen

BFH, Urteil XI R 7/23 vom 08.07.2025


Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass auch die Tarifoptimierung bestehender Versicherungsverträge durch Versicherungsvertreter oder -makler als steuerfreier Umsatz gemäß § 4 Nr. 11 UStG zu qualifizieren sein kann. Damit wird die Umsatzsteuerfreiheit auf Tätigkeiten erweitert, die nicht in der Vermittlung eines neuen Vertrags bestehen, sondern in der Änderung oder Anpassung eines bestehenden Versicherungsverhältnisses.


Leitsätze des BFH

1️⃣ Optimierung eines bestehenden Versicherungsvertrags (z. B. durch Tarifwechsel oder Leistungsanpassungen) kann umsatzsteuerfrei sein.

2️⃣ Die Steuerbefreiung greift auch dann, wenn das Entgelt für die Tätigkeit vom Versicherungsnehmer gezahlt wird.


Hintergrund und Bedeutung

Versicherungsvertreter und -makler übernehmen immer häufiger Tarifwechsel-Beratung oder Bestandsoptimierungen, etwa wenn:

  • Policen veraltet sind,
  • Prämien verringert werden können oder
  • Leistungen verbessert werden.

Bisher war in der Praxis umstritten, ob solche Tätigkeiten als bloße Versicherungsberatung einzustufen sind – und damit umsatzsteuerpflichtig.

Der BFH stellt nun klar:

➡ Entscheidend ist nicht der Neuabschluss einer Versicherung,
➡ sondern ob die Leistung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Versicherungsvermittlung steht und den Versicherungsschutz beeinflusst.

Dies ist bei Änderungsvereinbarungen regelmäßig der Fall.


Was bedeutet das für die Praxis?

Für Versicherungsvermittler und Makler:

Mehr Leistungen steuerfrei abrechenbar
Planungssicherheit bei Geschäftsmodellen zur Tarifoptimierung
✅ Möglichkeit zur attraktiveren Preisgestaltung gegenüber Endkunden

Für Berater in Bausparkassenstrukturen gleichermaßen relevant, da § 4 Nr. 11 UStG auch diese Tätigkeit umfasst.


Einordnung des BFH

Der BFH hebt hervor:

  • Der Versicherungsvermittler gestaltet den Versicherungsvertrag aktiv neu
  • Es besteht Versicherungsvermittlungsnähe, da Risiken und Prämien neu gestaltet werden
  • Damit gleiche Behandlung wie bei Neuverträgen

Dass der Versicherungsnehmer das Entgelt zahlt, ist umsatzsteuerlich unschädlich.


Fazit

➡ Tarifoptimierung kann steuerfrei sein – auch ohne Neuvertrag
➡ Wichtig bleibt: klarer Leistungsbezug zur Änderung des Versicherungsschutzes


Quelle: Bundesfinanzhof

✅ Kurz-Checkliste: Wann ist die Tarifoptimierung steuerfrei?

PrüffrageJa → Steuerfrei ✅Nein → Regelbesteuert ⚠️
Wird der Versicherungsschutz angepasst (Beitrag, Leistung, Risiko)?
Führt die Tätigkeit zu einer Änderungsvereinbarung mit dem Versicherer?
Besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zur Vermittlungstätigkeit?
Werden die Interessen des Versicherungsnehmers wahrgenommen?
Ist die Tätigkeit mehr als reine Beratung (z. B. Vertragsanalyse ohne Änderung)?

📌 Ergebnis: Wenn mindestens die ersten drei Kriterien erfüllt sind → § 4 Nr. 11 UStG greift


🔍 Visuelle Abgrenzung: Vermittlungsnähe oder Beratung?

     ÄNDERT DER VERTRAG SICH?
               |
        ┌──────┴──────┐
       Nein           Ja
       Beratung      Vermittlungsnahe Tätigkeit
       |                 |
   Umsatzsteuer      → Umsatzsteuerfrei
   19 %              nach § 4 Nr. 11 UStG

👉 Reine Beratung (z. B. Analyse der Versicherungsunterlagen ohne Änderung) bleibt umsatzsteuerpflichtig.

👉 Aktive Vertragsoptimierung mit Änderungsvereinbarung = steuerfrei.


🎯 Praxis-Tipp

Leistungsbeschreibung im Angebot und auf Rechnung klar formulieren:
„Optimierung eines bestehenden Versicherungsvertrags durch Änderung des Versicherungsschutzes (Tarifwechsel) gemäß § 4 Nr. 11 UStG – Vermittlungsnahe Tätigkeit.“

Damit reduzierst du das Risiko einer späteren USt-Nachforderung erheblich.