Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

November- und Dezemberhilfe: Fristverlängerung für Änderungsanträge

Die Frist zur Einreichung von Änderungsanträgen bei der November- und Dezemberhilfe wurde nach aktuellen Informationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) um einen Monat bis zum 31.07.2021 verlängert. Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) begrüßt dies im Interesse der betroffenen Unternehmen und beauftragten prüfenden Dritten.

Änderungsanträge sind möglich, wenn ein zuvor gestellter Erstantrag bereits bewilligt bzw. teilbewilligt wurde und es nunmehr um eine nachträgliche Anpassung des Förderbetrags geht. Ursprünglich endete die Frist für solche Änderungen am 30.06.2021.

Eine entsprechende Anpassung im FAQ-Katalog zur November- und Dezemberhilfe ist bereits erfolgt. Weitere Informationen zur Stellung eines Änderungsantrags sind auf den Webseiten des BMWi abrufbar.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 16.06.2021

Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten

Der Bundesrat hat den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten eingebracht (19/30745). Zur Begründung heißt es darin, die zunehmende Globalisierung, die wachsende Komplexität der Rechtsbeziehungen sowie die veränderten Erwartungen der Rechtssuchenden an die Justiz erforderten Anpassungen des Gerichtsverfassungs- und Prozessrechts, um auch künftig die hohe Qualität und Attraktivität der Ziviljustiz insbesondere in Wirtschaftsstreitverfahren zu sichern.

Mit dem Gesetzentwurf solle die staatliche Ziviljustiz im Bereich des Wirtschaftsrechts – und mittelbar auch allgemein – nachhaltig gestärkt werden.

Den Ländern solle die Möglichkeit eröffnet werden, an einem Oberlandesgericht einen oder mehrere Senate einzurichten, vor denen Handelsverfahren mit internationalem Bezug und einem Streitwert von über zwei Millionen Euro – bei entsprechender ausdrücklicher Gerichtsstandsvereinbarung – auch erstinstanzlich geführt werden können (Commercial Court).

Daneben werde die Möglichkeit eröffnet, an einem Oberlandesgericht einen oder mehrere bestehende Zivilsenate zu bestimmen, vor denen – auch rein nationale – Handelssachen mit einem Streitwert von über zwei Millionen Euro – bei entsprechender ausdrücklicher Gerichtsstandsvereinbarung – erstinstanzlich geführt werden können. Die Länder würden durch die vorgesehenen Regelungen voraussichtlich mit geringfügigen Mehrkosten belastet, sofern sie von ihnen Gebrauch machten.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 17.06.2021

Dienstleistungsrichtlinie gilt für gegen Rechtsanwälte eingeleitete Disziplinarverfahren

Generalanwalt Bobek: Die Dienstleistungsrichtlinie gilt für gegen Rechtsanwälte eingeleitete Disziplinarverfahren, deren Ergebnis die Fähigkeit dieser Rechtsanwälte beeinträchtigen kann, weiterhin Rechtsdienstleistungen zu erbringen.

Ein nationales Gericht muss die nationalen Rechtsvorschriften über die Zuständigkeitsverteilung sowie die Entscheidungen eines höheren Gerichts gegebenenfalls außer Acht lassen, wenn es der Auffassung ist, dass sie mit dem Unionsrecht, insbesondere dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, unvereinbar sind.

Im Juli 2017 beantragte der Prokurator Krajowy – Pierwszy Zastępca Prokuratora Generalnego (Landesstaatsanwalt – Erster Vertreter des Generalstaatsanwalts) (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) beim Rzecznik Dyscyplinarny Izby Adwokackiej w Warszawie (Disziplinarbeauftragter der Bezirksrechtsanwaltskammer Warschau) (im Folgenden: Disziplinarbeauftragter) die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen R. G., den Rechtsanwalt des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft erfüllten die Erklärungen dieses Rechtsanwalts, in denen er sich öffentlich zu der Möglichkeit äußerte, seinem Mandanten könnte die Begehung einer Straftat vorgeworfen werden, den Tatbestand einer rechtswidrigen Drohung und seien als ein Disziplinarvergehen einzustufen. Zweimal lehnte der Disziplinarbeauftragte die Einleitung eines solchen Verfahrens ab bzw. beschloss, es nicht fortzuführen. Zweimal hob der Sąd Dyscyplinarny Izby Adwokackiej w Warszawie (Disziplinargericht der Bezirksrechtsanwaltskammer Warschau) nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft bzw. des Justizministers diese Entscheidungen auf und verwies die Sache an den Disziplinarbeauftragten zurück.

Im Rahmen einer dritten „Runde“ dieses Verfahrens, in der das Disziplinargericht der Bezirksrechtsanwaltskammer Warschau (im Folgenden: Disziplinargericht) die Entscheidung des Disziplinarbeauftragten über die abermalige Einstellung der disziplinarischen Ermittlungen gegen diesen Rechtsanwalt zu prüfen hat, nachdem die Staatsanwaltschaft und der Justizminister wiederum Beschwerde eingelegt haben, möchte dieses Gericht wissen, ob die Richtlinie 2006/123/EG (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie)1 und Art. 472 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) auf das bei ihm anhängige Disziplinarverfahren anwendbar sind.

In seinen Schlussanträgen vom 17.06.2021 prüft Generalanwalt Michal Bobek zunächst, ob es sich bei dem Disziplinargericht um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt. Er weist darauf hin, dass der Gerichtshof bei der Beurteilung der Frage, ob es sich bei einer vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handele, die folgenden Faktoren berücksichtige: gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie ihre Unabhängigkeit. Der Generalanwalt führt aus, dass das Disziplinargericht durch das polnische Gesetz über die Rechtsanwaltschaft errichtet worden sei, es eine ständige Einrichtung sei, es die Verfahrensregeln anwende, die im Gesetz über die Rechtsanwaltschaft und in der Strafprozessordnung festgelegt seien, und seine Entscheidungen verbindlich und vollstreckbar seien. Darüber hinaus habe das Disziplinargericht offenbar eine durch nationales Recht begründete obligatorische Zuständigkeit für die ihm übertragenen Disziplinarstreitigkeiten. Zudem bestehe kein Zweifel, dass im Ausgangsverfahren ein kontradiktorischer Streit gegeben sei. Desgleichen sei nicht ersichtlich, dass es dem Disziplinargericht an (äußerer oder innerer) Unabhängigkeit fehle und es aus diesem Grund den Gerichtshof nicht im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens anrufen könne. Daher sei das vorlegende Gericht ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV.

Der Generalanwalt prüft sodann, ob die Dienstleistungsrichtlinie auf Disziplinarverfahren gegen Rechtsanwälte anwendbar sei, und kommt zu dem Ergebnis, dass sie Anwendung finde. Ebenso wie die Eintragung bei der Rechtsanwaltskammer zum Zwecke der Ausübung des Anwaltsberufs eine Zulassungsregelung im Sinne dieser Richtlinie darstelle, seien auch Disziplinarverfahren als Teil einer solchen Regelung anzusehen. Er betont, dass die Erbringung von Rechtsberatungsleistungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle. Zwar sei die anwaltliche Vertretung zweifellos eine besondere Art von Dienstleistung, die aufgrund ihrer Bedeutung für eine ordnungsgemäße Rechtspflege ein streng regulierter Beruf sei, der besonderen berufsethischen Regeln unterliege. Es bleibe aber die Tatsache, dass die Rechtsanwaltstätigkeit eine Dienstleistung im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie sei, auch wenn sie besonderen Regeln unterliege. Daher sei auch ein Disziplinarverfahren gegen einen eingetragenen Rechtsanwalt Teil der Genehmigungsregelung, da Anwälte als Ergebnis eines solchen Verfahrens mit der Aussetzung des Rechts auf berufliche Betätigung oder dem Ausschluss belegt werden könnten und zehn Jahre lang nicht erneut eingetragen werden dürften. Solche Maßnahmen stellten einen Widerruf der Genehmigung im Sinne von Art. 10 Abs. 6 der Dienstleistungsrichtlinie dar. Soweit ferner die Dienstleistungsrichtlinie anwendbar sei, sei die Charta, einschließlich Art. 47, im Grundsatz auch auf die Rechtssache anwendbar. Dies bedeute, dass das vorlegende Gericht in dem bei ihm anhängigen Verfahren Art. 47 der Charta anzuwenden habe.

Des Weiteren prüft Generalanwalt Bobek die Befugnisse der nationalen Gerichte bei der Sicherstellung der Einhaltung des Unionsrechts und stellt fest, dass die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung tatsächlich dem Generalstaatsanwalt/Justizminister das Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln und indirekt sich selbst die Zuständigkeit für die Verhandlung solcher Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Disziplinarbeauftragten über die Einstellung von Disziplinarverfahren zuerkannt habe. Nach Auffassung des Generalanwalts könnten durch systematische oder wiederholte Beschwerden gegen die Entscheidung, kein Disziplinarverfahren einzuleiten, der Justizminister/Generalstaatsanwalt (oder ein auf dessen Anweisung handelnder Staatsanwalt) tatsächlich die Einleitung eines Disziplinarverfahrens oder dessen (möglicherweise endlose) Fortsetzung gegen bestimmte Mitglieder der Rechtsanwaltskammer durchsetzen. Solche Rechtsmittel würden letztlich von einem Spruchkörper verhandelt werden, der zuvor gerade deshalb für nicht unabhängig befunden worden sei, weil die Exekutive und insbesondere der Justizminister einen unzulässigen Einfluss auf seine Zusammensetzung ausgeübt hätten.

Der Generalanwalt weist darauf hin, dass jede nationale Rechtsvorschrift und jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, die die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen könnte, mit diesem unvereinbar sei. Das Disziplinargericht könne entweder die nationalen Vorschriften unionsrechtskonform auslegen oder gegebenenfalls die nationalen Vorschriften, die es daran hinderten, die Einhaltung mit dem Unionsrecht sicherzustellen, unangewendet lassen. Ebenso müsse das nationale Gericht, was Rechtsauffassungen oder Urteile höherer Gerichte betreffe, gegebenenfalls von Entscheidungen eines höheren Gerichts abweichen, wenn es der Ansicht sei, dass diese nicht mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Jedoch könne das Disziplinargericht der Bezirksrechtsanwaltskammer Warschau nicht von sich aus von der Prüfung der derzeit bei ihm anhängigen Rechtssache absehen, um die mögliche spätere Rechtsbeschwerde zur Disziplinarkammer des Obersten Gerichts zu vermeiden. Selbst wenn die „nächste Ebene“ in einer Gerichtshierarchie dem Standard eines wirksamen Rechtsbehelfs nicht mehr gerecht werde, könne Art. 47 der Charta kaum dahin ausgelegt werden, dass er auf die untere Ebene zurückwirke und diese daran hindere, überhaupt eine Entscheidung zu treffen.

Der Generalanwalt räumt schließlich ein, dass Vorabentscheidungsersuchen möglicherweise nicht ideal seien, um mit insgesamt pathologischen Situationen in einem Mitgliedstaat umzugehen, in dem die normalen Regeln des rechtlichen Zusammenwirkens und des ordnungsgemäßen Umgangs miteinander außer Kraft geraten zu sein schienen. Vertragsverletzungsverfahren seien nach wie vor das geeignetere Mittel, um institutionelle Streitigkeiten in einem Kontext beizulegen, in dem ein oder mehrere Akteure sich weigerten, den Urteilen des Gerichtshofs zu folgen.

Fußnoten

1 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).
2 In dem das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht festgelegt werden.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 17.06.2021 zum Schlussantrag C-55/20 vom 17.06.2021

Änderung des Gerichtsvollzieherkostengesetzes

Der Bundesrat hat den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsvollzieherkostengesetzes eingebracht (19/30746). Wie es darin zur Begründung heißt, sind die Gebühren des Gerichtsvollzieherkostengesetzes zuletzt zum 1. August 2013 erhöht worden. Mit Blick auf die erheblich gestiegenen Kosten für den Bürobetrieb und zur Anpassung an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung sei eine erneute Anhebung der Gerichtsvollziehergebühren geboten. (…)

Vorgeschlagen wird eine lineare Erhöhung der Gebühren des Gerichtsvollzieherkostengesetzes um zehn Prozent. Zugleich soll durch die Steigerung der Gerichtsvollziehergebühren der Zuschussbedarf der Länder zurückgeführt werden, der durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 und das Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz gestiegen sei.

Für Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger stiegen die Kosten für die Inanspruchnahme der Gerichtsvollzieher nicht oder nur unerheblich, da überwiegend Kostenfreiheit gegeben sei.

Quelle: Deutscher Bundestag, Mitteilung vom 17.06.2021

EuGH zu Voraussetzungen für systematische Speicherung von IP-Adressen von Nutzern und Übermittlung ihrer Namen und Anschriften

Die systematische Speicherung von IP-Adressen von Nutzern und die Übermittlung ihrer Namen und Anschriften an den Inhaber geistiger Rechte oder an einen Dritten, um die Erhebung einer Schadensersatzklage zu ermöglichen, ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.

Der Auskunftsantrag eines Inhabers von Rechten des geistigen Eigentums darf nicht missbräuchlich sein und er muss gerechtfertigt und verhältnismäßig sein.

Das Unternehmen Mircom International Content Management & Consulting (M.I.C.M.) Limited (im Folgenden: Mircom) stellte bei der Ondernemingsrechtbank Antwerpen (Unternehmensgericht Antwerpen, Belgien) einen Auskunftsantrag gegen die Telenet BVBA, einen Internetzugangsanbieter. Dieser Antrag ist auf eine Entscheidung gerichtet, mit der Telenet verpflichtet wird, die Daten zur Identifizierung ihrer Kunden auf der Grundlage der von einem spezialisierten Unternehmen im Auftrag von Mircom erhobenen IP-Adressen vorzulegen. Die Internetanschlüsse von Kunden von Telenet wurden dazu genutzt, in einem Peer-to-Peer-Netz über das BitTorrent-Protokoll Filme aus dem Repertoire von Mircom zu teilen. Telenet tritt dem Antrag von Mircom entgegen.

Vor diesem Hintergrund hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof als Erstes gefragt, ob das Teilen von Segmenten einer Mediendatei, die ein geschütztes Werk enthält, in einem Peer-to-Peer-Netz eine öffentliche Wiedergabe nach dem Unionsrecht darstellt. Als Zweites wollte es wissen, ob einem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums wie Mircom, der sie nicht nutzt, sondern von mutmaßlichen Verletzern Schadensersatz verlangt, die im Unionsrecht vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe offenstehen, um die Durchsetzung dieser Rechte zu gewährleisten, z. B. durch die Einholung von Informationen. Als Drittes hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klärung ersucht, ob die Art und Weise, in der die IP-Adressen der Kunden durch Mircom gesammelt werden, und die Übermittlung der von Mircom bei Telenet angefragten Daten zulässig sind.

In seinem Urteil entscheidet der Gerichtshof erstens, dass ein Hochladen von Segmenten einer Mediendatei in einem Peer-to-Peer-Netz wie das in Rede stehende eine öffentliche Zugänglichmachung im Sinne des Unionsrechts1 darstellt. Zweitens kann ein Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums wie Mircom das System zum Schutz dieser Rechte in Anspruch nehmen, aber sein Auskunftsantrag muss insbesondere nicht missbräuchlich, gerechtfertigt und verhältnismäßig sein2. Drittens sind die systematische Speicherung von IP-Adressen von Nutzern eines Peer-to-peer-Netzes und die Übermittlung ihrer Namen und Anschriften an den Rechtsinhaber oder an einen Dritten, um die Erhebung einer Schadensersatzklage zu ermöglichen, unter bestimmten Voraussetzungen zulässig3.

Würdigung durch den Gerichtshof

Der Gerichtshof, der sich bereits zum Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Kontext des Urheberrechtsschutzes geäußert hat, stellt erstens klar, dass es sich um eine „öffentliche Zugänglichmachung eines Werks“ handelt, wenn die zuvor heruntergeladenen Segmente einer Mediendatei, die ein geschütztes Werk enthält, unter Nutzung eines Peer-to-Peer-to-Peer-Netzes hochgeladen werden, auch wenn diese Segmente als solche nicht nutzbar sind und das Hochladen automatisch erfolgt, sofern der Nutzer sein Einverständnis mit der Filesharing-Software BitTorrent-Client erklärt hat, indem er deren Anwendung zugestimmt hat, nachdem er ordnungsgemäß über ihre Eigenschaften informiert wurde.

Jeder Nutzer des Peer-to-Peer-Netzes kann die Originaldatei aus den auf den Computern der anderen Nutzer verfügbaren Segmenten leicht wieder zusammensetzen. Durch das Herunterladen der Segmente einer Datei macht er sie zugleich für das Hochladen durch andere Nutzer zugänglich. Er muss auch keine Mindestmenge an Segmenten herunterladen. Jede Handlung, mit der er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens Zugang zu geschützten Werken verschafft, kann eine Zugänglichmachung darstellen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine solche Handlung, weil sie auf eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten abzielt, eine recht große Zahl von Personen betrifft und gegenüber einem neuen Publikum erfolgt. Mit dieser Auslegung soll der angemessene Ausgleich zwischen den Interessen und Grundrechten der Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums einerseits und den Interessen und Grundrechten der Nutzer von Schutzgegenständen andererseits gesichert werden.

Der Gerichtshof stellt zweitens fest, dass dem Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums wie Mircom, der diese Rechte im Wege einer Forderungsabtretung erworben hat und sie nicht nutzt, sondern von mutmaßlichen Verletzern Schadensersatz verlangen möchte, grundsätzlich die im Unionsrecht vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zustehen können, es sei denn, sein Antrag ist missbräuchlich. Die etwaige Feststellung eines solchen Missbrauchs unterliegt der Würdigung durch das vorlegende Gericht, das zu diesem Zweck z. B. prüfen könnte, ob tatsächlich Klagen erhoben worden sind, wenn eine gütliche Lösung abgelehnt wurde. Insbesondere kann ein Auskunftsantrag wie der von Mircom nicht deshalb als unzulässig angesehen werden, weil er in einem vorgerichtlichen Verfahren gestellt wurde. Der Antrag ist jedoch abzulehnen, wenn er unbegründet ist oder nicht die Verhältnismäßigkeit wahrt, was das nationale Gericht zu prüfen hat. Mit dieser Auslegung möchte der Gerichtshof ein hohes Schutzniveau für das geistige Eigentum im Binnenmarkt gewährleisten.

Der Gerichtshof entscheidet drittens, dass das Unionsrecht grundsätzlich weder den Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums oder einen in dessen Auftrag handelnden Dritten daran hindert, IP-Adressen von Nutzern von Peer-to-Peer-Netzen, deren Internetanschlüsse für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt worden sein sollen, systematisch zu speichern (vorgelagerte Datenverarbeitung), noch dem entgegensteht, dass die Namen und Anschriften der Nutzer an den Rechtsinhaber oder an einen Dritten im Hinblick auf eine Schadensersatzklage übermittelt werden (nachgelagerte Datenverarbeitung). Die dahin gehenden Maßnahmen und Anträge müssen jedoch gerechtfertigt, verhältnismäßig, nicht missbräuchlich und in einer nationalen Rechtsvorschrift vorgesehen sein, die die Rechte und Pflichten aus dem Unionsrecht beschränkt. Der Gerichtshof stellt klar, dass das Unionsrecht keine Verpflichtung für eine Gesellschaft wie Telenet begründet, personenbezogene Daten an Privatpersonen zu übermitteln, damit diese vor den Zivilgerichten Urheberrechtsverstöße verfolgen können. Das Unionsrecht erlaubt es den Mitgliedstaaten jedoch, eine solche Verpflichtung vorzusehen.

Fußnoten

1 Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).
2 Art. 3 Abs. 2 und Art. 8 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, Berichtigung ABl. 2004, L 195, S. 16).
3 Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, Berichtigungen ABl. 2016, L 314, S. 72, ABl. 2018, L 127, S. 2 und ABl. 2021, L 74, S. 35) in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 11) geänderten Fassung.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 17.06.2021 zum Urteil C-597/19 vom 17.06.2021

Entwurf eines BMF-Schreibens: Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von Token

Das Bundesministerium der Finanzen hat mit den obersten Finanzbehörden der Länder den Entwurf eines BMF-Schreibens zur ertragsteuerlichen Behandlung von Token im Allgemeinen und virtuellen Währungen wie z. B. Bitcoin im Speziellen erarbeitet, zu dem derzeit die betroffenen Verbände angehört werden.

Nach Prüfung der Stellungnahmen der Verbände und erneuter Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird das Bundesministerium der Finanzen die finale Fassung des BMF-Schreibens amtlich veröffentlichen. Damit soll den Praktikern in Verwaltung und Wirtschaft und dem einzelnen Steuerpflichtigen ein Leitfaden zur ertragsteuerlichen Behandlung von Token und virtuellen Währungen an die Hand gegeben werden. Die Veröffentlichung der vorliegenden Entwurfsfassung erfolgt demgegenüber lediglich zu Informationszwecken.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass – Entwurf) vom 17.06.2021

Entwurf eines BMF-Schreibens: Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs für private Fahrten, Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte/erster Tätigkeitsstätte und Familienheimfahrten – Nutzung von Elektro- und Hybridelektrofahrzeugen

Das Bundesministerium der Finanzen hat den Entwurf eines BMF-Schreibens zur Änderung der BMF-Schreiben vom 5. Juni 2014 (BStBl I S. 835) und vom 24. Januar 2018 (BStBl I S. 272) an die gesetzlichen Neuregelungen an bestimmte Verbände versandt. Ihnen wurde damit Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Entwurf gegeben.

Durch das Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 11. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2338), das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2451) und das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29. Juni 2020 (BGBl. I S. 1512) wurden die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 und 3 EStG enthaltenen Sonderregelungen für Elektrofahrzeuge und extern aufladbare Hybridelektrofahrzeuge fortentwickelt und der Anwendungszeitraum der Regelungen verlängert.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gelten für die ertragsteuerliche Beurteilung der Nutzung von betrieblichen Elektro- und extern aufladbaren Hybridelektrofahrzeugen für private Fahrten, Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte/erster Tätigkeitsstätte oder Fahrten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG und Familienheimfahrten neue Regelungen.

(…)

Das Schreiben ersetzt die BMF-Schreiben vom 5. Juni 2014 (BStBl I S. 835) und vom 24. Januar 2018 (BStBl I S. 272).

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass – Entwurf) vom 17.06.2021

Keine entsprechende Anwendung des § 656 Abs. 1 BGB auf einen Online-Partnervermittlungsvertrag

Der u. a. für das Dienstvertragsrecht zuständige III. Zivilsenat hat am 17.06.2021 entschieden, dass § 656 Abs. 1 BGB, nach dem durch einen Heiratsvermittlungsvertrag ein Vergütungsanspruch des Vermittlers nicht begründet wird, auf einen Online-Partnervermittlungsvertrag nicht entsprechend anwendbar ist.

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt eine Online-Partnervermittlung. Die Klägerin erwarb eine sogenannte Premium-Mitgliedschaft mit einer Laufzeit von 12 Monaten zum Preis von 265,68 Euro und wurde ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt. Sie forderte die Beklagte auf, sofort mit der Ausführung der Leistungen zu beginnen. Daraufhin erhielt die Klägerin ein zum Leistungsumfang gehörendes, automatisiert auf der Basis von Logarithmen erstelltes „Persönlichkeitsgutachten“ sowie Partnervorschläge und konnte die Plattform vollumfänglich nutzen. Einen Tag später erklärte die Klägerin den Widerruf. Die Beklagte bestätigte diesen und machte zugleich einen Anspruch auf Wertersatz für bis zur Erklärung des Widerrufs erbrachte Leistungen in Höhe von 199,26 Euro geltend.

Die Klägerin begehrt u.a. die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sei, an die Beklagte Wertersatz zu zahlen. Sie macht insbesondere geltend, dass in entsprechender Anwendung des § 656 Abs. 1 Satz 1 BGB durch den Vertrag ein Vergütungsanspruch der Beklagten nicht habe begründet werden können.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, an die Beklagte 197,80 Euro zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht diesen Feststellungsausspruch auf 49,62 Euro reduziert. Im Übrigen sind die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin ohne Erfolg geblieben.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Amtsgerichts wiederhergestellt.

Allerdings steht der Beklagten dem Grunde nach ein Anspruch auf Wertersatz zu. Durch den Abschluss des Vertrages mit der Klägerin hat die Beklagte einen Vergütungsanspruch erlangt, so dass auch ein Anspruch auf Ersatz des Wertes ihrer Leistungen gemäß § 351 Abs. 8 Satz 1 BGB begründet werden konnte, ohne dass es darauf ankommt, dass die Klägerin die Vergütung noch nicht gezahlt hatte. § 656 Abs. 1 BGB steht dem nicht entgegen, denn die Norm ist auf diesen Vertrag nicht anwendbar.

§ 656 Abs. 1 BGB bestimmt, dass durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe eine Verbindlichkeit nicht begründet wird, das auf Grund des Versprechens Geleistete jedoch nicht deshalb zurückgefordert werden kann, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat. Der Bundesgerichtshof hat eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zunächst auf den Eheanbahnungs- und schließlich auf den Partnerschaftsanbahnungsvertrag angenommen. Dies hat er damit begründet, dass nach dem Zustandekommen der Ehe oder Partnerschaft die Honorarklage aus solchen Verträgen die Intimsphäre der Kunden ebenso beeinträchtigen würde wie bei einer Klage auf den sogenannten Ehemäklerlohn. Gerichtliche Auseinandersetzungen seien vor allem dann zu erwarten, wenn die Bemühungen des Vermittlers erfolglos geblieben seien, so dass häufig mit dem Einwand zu rechnen sei, der Vermittler habe seine vertraglichen Pflichten nicht gehörig erfüllt, indem er auf die in Frage kommenden Partner nicht intensiv genug eingewirkt oder Personen benannt habe, die überhaupt nicht an einer Partnerschaft interessiert oder als Partner nicht geeignet seien.

Diese Gründe gelten für den verfahrensgegenständlichen Vertrag über eine „Online-Partnervermittlung“ jedoch nicht. Dort besteht die Leistungspflicht der Beklagten vor allem darin, ihren Kunden einen unbeschränkten Zugang zu der von ihr betriebenen Plattform zu gewähren, auf der diese aus eigener Initiative einen Kontakt zu möglichen Partnern herstellen können. Zwar stellt auch die Beklagte ihren Kunden Partnervorschläge zur Verfügung. Diese beruhen aber allein auf einem elektronischen Abgleich der nicht näher überprüften eigenen Angaben der Kunden. Eine individuelle, persönliche Auswertung findet nicht statt. Auch eine Gewähr für die Richtigkeit dieser Angaben und damit für die Qualität der Vorschläge übernimmt die Beklagte nicht. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass durch einen Rechtsstreit über den Vergütungsanspruch der Beklagten in die Intimsphäre ihrer Kunden in einer Weise eingegriffen würde, die vergleichbar mit der Situation bei einem herkömmlichen Partnerschaftsvermittlungsvertrag wäre. Gleiches gilt für das sog. Persönlichkeitsgutachten, das ebenfalls automatisiert erstellt wird.

Der Anspruch der Beklagten auf Wertersatz für die von ihr erbrachten Leistungen aus § 357 Abs. 8 Satz 1 BGB beträgt jedoch lediglich 1,46 Euro. Der Wertansatz ist aus den bereits im Urteil des Senats vom 6. Mai 2021 – III ZR 169/20 – (vgl. Pressemitteilung 92/2021) dargelegten Gründen zeitanteilig zu berechnen. Nach diesen Vorgaben beläuft sich der Anspruch der Beklagten auf Wertersatz auf den genannten Betrag (265,68 Euro: 365 x 2 = 1,46 Euro).

Die maßgeblichen Vorschriften lauten

§ 656 BGB Heiratsvermittlung

(1) Durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. Das auf Grund des Versprechens Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat.

(2) …

§ 357 BGB Rechtsfolgen des Widerrufs von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen mit Ausnahme von Verträgen über Finanzdienstleistungen

– (7) …

(8) 1Widerruft der Verbraucher einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen oder über die Lieferung von Wasser, Gas oder Strom in nicht bestimmten Mengen oder nicht begrenztem Volumen oder über die Lieferung von Fernwärme, so schuldet der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz für die bis zum Widerruf erbrachte Leistung, wenn der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, dass dieser mit der Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. 2

(9) …

Quelle: BGH, Pressemitteilung vom 17.06.2021 zum Urteil III ZR 125/19 vom 17.06.2021

Zur Übertragung des elterlichen Sorgerechts

Die elterliche Sorge kann gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines 13-jährigen Kindes aufrecht zu erhalten sein, wenn eine ausreichende Kommunikationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern im Übrigen gegeben ist.

Sachverhalt

Die Beteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines 13jährigen Kindes. Die Mutter begehrt die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge. Zwischen dem Kind und dem Antragsgegner bestand seit geraumer Zeit kein Kontakt mehr; jedenfalls seit ungefähr zwei Jahren ist der Kontakt gänzlich abgebrochen. Die Eltern kommunizieren ebenfalls kaum miteinander, die Mutter hat die wesentlichen Entscheidungen für das bei ihr wohnende Kind in der Vergangenheit alleine getroffen. Die Kommunikation beschränkte sich im genannten Zeitraum auf Whatsapp-Chats. Der Vater zahlt für das Kind Kindesunterhalt. Die Mutter beantragte die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich. Zum einen entspreche dies dem Wunsch des Kindes, zum anderen sei der Antragsgegner an dem Kind nicht interessiert und übe daher die elterliche Sorge faktisch nicht aus. Der Antragsgegner hat sich dem Antrag widersetzt. Er hat anerkannt, dass er sich zuletzt wenig um das Kind gekümmert hat, möchte aber an der elterlichen Sorge festhalten.

Entscheidung

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge zurückgewiesen.

Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 BGB kann jeder Elternteil, wenn Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben und ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge alleine überträgt. Dem Antrag ist stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Gleichgültigkeit eines Elternteils kann nur dann Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung der elterlichen Sorge werden, wenn der betreffende Elternteil sich überhaupt nicht um das Kind kümmert. Mangelndes Engagement muss aber nicht zur alleinigen Sorge führen, wenn die Eltern sonst zusammenarbeiten können und das gebotene Maß an Gemeinsamkeiten und wenigstens ein gewisses Interesse für das Kind vorhanden ist. Ein Elternteil kann für die Entwicklung des Kindes zurücktreten und damit weniger wichtig bleiben, während der Andere für die tägliche Erziehungsarbeit zuständig war und ist, ohne dass sich weitere Auswirkungen für die Entwicklung des Kindes ergeben. Oft haben sich die Eltern für dieses Modell auch schon vor der Trennung entschieden – dann treten ohnehin keine Änderungen ein. Motivlage und tatsächliche Hintergründe entziehen sich einer Bewertung von außen fast zwingend. Erkennbare Zurückhaltung ist kein Zeichen von Verantwortungslosigkeit. Verzicht für sich kann wohlbedacht sein, auch um gerade das Kind belastenden Streit zu vermeiden. Maßstab ist wie immer das Wohl des Kindes. Zeigt ein Elternteil aber nachhaltig kein Interesse an der Entwicklung des Kindes und pflegt keinerlei Kontakt zum Kind, sondern überlässt dem anderen Elternteil die Sorge mit allen Entscheidungen alleine, dann stellt sich berechtigt die Frage, welche gemeinsame Sorge hier noch ausgeübt wird, sodass auf Antrag die Sorge auf den diese tatsächlich ausübenden Elternteil ggf. zu übertragen ist.

Vor diesem Maßstab sei die gemeinsame elterliche Sorge im vorliegenden Fall nicht aufzuheben. Zwar sei der Antragstellerin zuzugestehen, dass sich die Kommunikation auf ein Mindestmaß beschränke. Allerdings hätten sich auch keine Umstände ergeben, zu denen etwa der Antragsgegner für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht zur Verfügung gestanden hätte. Eine gewisse aktive Grundverantwortung übe der Antragsgegner zudem dadurch aus, dass er den Kindesunterhalt regelmäßig bezahle. Schließlich ergebe sich aus den vorgelegten Chatverlaufsprotokollen, dass der Antragsgegner grundsätzlich an dem Kind Interesse gezeigt habe. Vor diesem Hintergrund könne von einer gänzlichen Gleichgültigkeit nicht ausgegangen werden, wenngleich auf die Tatsache, dass sich der Antragsgegner etwa zu den letzten Geburtstagen des Kindes nicht gemeldet habe, nachvollziehbar den Anschein einer Interessenlosigkeit gesetzt wurde. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich keine zu entscheidenden Konflikte der Eltern in wesentlichen Belangen abzeichneten, der Vater sich in jeder Hinsicht kooperationsbereit erklärt habe und Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung, die das Einvernehmen beider Eltern voraussetzen würden, nicht bevorstünden. In der Vergangenheit hätten die Eltern eine Kindeswohl dienliche Entscheidung praktizieren können. Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei auch vor dem Hintergrund, dass sich das Kind in der persönlichen Anhörung ausdrücklich für die Alleinsorge der Mutter ausgesprochen habe, geboten. Zwar sei der Wunsch des nunmehr 13jährigen Kindes grundsätzlich anzuerkennen. Indes komme ihm nicht die alleinige oder entscheidende Bedeutung zu. Denn es sei im Rahmen der persönlichen Anhörung offenbar geworden, dass das Kind aufgrund der Erfahrungen der letzten beiden Jahre von dem Antragsgegner enttäuscht sei, diesen indes jedoch nicht gänzlich und dauerhaft ausschließen möchte. Eine Auseinandersetzung mit dem Vater und der Vater-Sohn-Beziehung entspreche auch entwicklungspsychologisch der weiteren persönlichen Entwicklung des Kindes am besten, sodass das Gericht insgesamt die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch vor diesem Hintergrund als kindeswohldienlicher ansehe.

Quelle: AG Frankenthal, Pressemitteilung vom 17.06.2021 zum Urteil 71 F 108/21 vom 01.06.2021

Erbrecht des Staates darf erst nach ausreichenden Nachforschungen zu anderen Erben festgestellt werden

Oberlandesgericht Celle konkretisiert Verpflichtung der Nachlassgerichte zur Erbenermittlung

Hat ein Verstorbener keinen Ehe- oder Lebenspartner und keine Verwandten und hat er auch nicht durch ein Testament oder eine andere letztwillige Verfügung einen Erben eingesetzt, so erbt der Staat nach § 1936 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sein Vermögen. Dieses sog. Erbrecht des Fiskus stellt das Nachlassgericht nach § 1964 BGB fest, wenn ein Erbe nicht innerhalb einer den Umständen entsprechenden Frist zu ermitteln ist. Der insbesondere für Rechtsstreitigkeiten aus dem Erbrecht sowie für Nachlasssachen zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle hat mit Beschluss vom 20. April 2021 (Az. 6 W 60/21) hervorgehoben, dass die Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts dabei nicht zu niedrig angesetzt werden dürfen.

In dem zu entscheidenden Fall war die Erblasserin am 24. Februar 2021 in der von ihr gemieteten Wohnung in Bremervörde tot aufgefunden worden. Das für die Bestattung zuständige Ordnungsamt hatte keine Informationen zu Angehörigen. Das Zentrale Testamentsregister wies zwar auf eine namentlich benannte Tochter der Erblasserin hin. Das Standes- und Einwohnermeldeamt an dem angegebenen Geburtsort dieser Tochter teilte aber mit, dass diese dort nicht gemeldet sei.

Auf dieser Grundlage konnte das Erbrecht des Fiskus nach dem Beschluss des 6. Zivilsenats noch nicht festgestellt werden. Zwar stehen Reichweite und Umfang der Erbenermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Nachlassgerichts. Auch darf das Nachlassgericht beispielweise nach § 1965 BGB von einer öffentlichen Aufforderung zur Anmeldung von Erbrechten absehen, wenn die dafür erforderlichen Kosten im Hinblick auf das Vermögen des Erblassers unverhältnismäßig hoch wären. Der Wert des Nachlasses war hier aber noch nicht ausreichend ermittelt. Zudem könne selbst bei einer Überschuldung nicht ohne weiteres angenommen werden, dass ein Erbe die Erbschaft ausschlagen werde. Als Faustformel betonte der Senat, dass regelmäßig mindestens Anfragen an Sterbe-, Ehe- und Geburtenregister der feststellbaren Lebensmittelpunkte eines Erblassers gerichtet werden müssen. Da im vorliegenden Fall zudem der Name, das Geburtsdatum und der Geburtsort einer möglichen Tochter bekannt waren, mussten auch ausgehend von diesen Informationen weitere Ermittlungen erfolgen.

Diese nach dem Beschluss des Senats durchgeführten weiteren Ermittlungen waren letztlich auch erfolgreich. In der (vermüllten) Wohnung der Erblasserin wurden neben der Anschrift der Tochter Nachweise über zwei Konten sowie rund 1.000 Euro Bargeld gefunden.

Quelle: OLG Celle, Pressemitteilung vom 17.06.2021 zum Beschluss 6 W 60/21 vom 20.04.2021