Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Volkswagen AG wegen Kfz-Verkäufen in den Jahren 2013 und 2015 zu Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung verurteilt

Dieselskandal

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit drei in dieser Woche verkündeten Urteilen des 10., des 12. und des 14. Zivilsenates die Volkswagen AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Zusammenhang mit dem Erwerb von Fahrzeugen mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 zur Rücknahme der Fahrzeuge und zur Rückzahlung der Kaufpreise abzüglich einer Nutzungsentschädigung verurteilt.

Dem liegt zugrunde, dass die jeweiligen Kläger die Fahrzeuge, einen VW Passat, einen VW Amarok und einen VW EOS, in den Jahren 2013 und 2015 erworben hatten. In allen Fahrzeugen war eine sog. Umschalt-Software verbaut, die erkennen konnte, ob sich das Fahrzeug im Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befand und in diesem Fall die Abgasrückführungsrate mit der Folge geringeren Stickoxidausstoßes erhöhte. Alle Kläger machten wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung ihrer Fahrzeuge Schadensersatzansprüche geltend.

In zwei der genannten Fälle hatten die Landgerichte Ellwangen und Heilbronn den Klagen überwiegend stattgegeben, im dritten Fall hatte das Landgericht Rottweil erstinstanzlich die Klage abgewiesen. Die unterlegenen Parteien haben jeweils die Berufung eingelegt.

In allen drei Fällen gelangten die Zivilsenate zu der Überzeugung, dass die Beklagte den Käufern einen Schaden in Form eines nachteiligen Vertragsschlusses zugefügt hätten, indem sie die Fahrzeuge in Verkehr gebracht hätten, obwohl die Typgenehmigung und Betriebszulassung unter heimlicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung erlangt worden sei und damit die Entziehung der Betriebszulassung gedroht habe. Dies gelte nicht nur beim Neuwagenkauf, sondern auch bei Käufern, die wie im vom 10. Zivilsenat entschiedenen Fall das Fahrzeug gebraucht von einem Dritten erworben haben.

Das Verhalten der Volkswagen AG verstoße gegen die guten Sitten. Maßgebliche Gründe für die Annahme der Sittenwidrigkeit seien, dass die Beklagte in einer außerordentlich großen Zahl von Fällen bewusst die illegale Abschalteinrichtung in ihre Fahrzeuge verbaut habe. Dabei habe sie mit hoher krimineller Energie die staatlichen Behörden systematisch getäuscht und zu Werkzeugen gemacht, indem sie diese zur Ausstellung scheinbar rechtsgültiger Zulassungsbescheinigungen veranlasst habe, um auf diese Weise massenhaft Fahrzeugkäufer täuschen zu können. Dabei habe sich die Volkswagen AG allein aus wirtschaftlichen Erwägungen über die Belange des Umweltschutzes hinweggesetzt.

Die Beklagte müsse sich auch das vorsätzliche Handeln ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter gemäß § 31 BGB zurechnen lassen. Der Vertreterbegriff sei weit auszulegen, um zu verhindern, dass sich insbesondere Großunternehmen allein aufgrund ihrer Größe und durch ihre arbeitsteilige Organisationsstruktur einer Haftung für schuldhaftes Verhalten ihrer Mitarbeiter ohne Weiteres entziehen könnten. Daher spreche eine Vermutung dafür, dass die Entscheidung über den massenhaften Einsatz der Motorsteuerungssoftware nicht ohne Kenntnis und Billigung wenn nicht des Vorstands, so jedenfalls eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters der Beklagten erfolgt sei. Nach der herrschenden Meinung der Obergerichte treffe die Volkswagen AG eine sog. sekundäre Darlegungslast, dass entgegen dieser Vermutung kein Firmenvertreter Kenntnis von der Manipulationssoftware gehabt habe. Einen derartigen Vortrag, insbesondere zum Ablauf der internen Entscheidungsprozesse, habe die Beklagte nicht gehalten.

Daher könnten die jeweiligen Kläger die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung auf Schätzbasis anhand der üblichen Formel für gezogene Nutzungen (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer/Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs) verlangen. Einen weiteren, auf § 849 BGB gestützten Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses haben die OLG- Senate jeweils abgelehnt. Da die Kläger die Fahrzeuge bis zur Rückabwicklung des Kaufvertrags hätten nutzen können, hätten sie den Kaufpreis nicht jeweils ersatzlos (und damit zu verzinsend) weggegeben.

In allen drei Fällen wurde die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Aktenzeichen:

LG Ellwangen – 2 O 525/18 – Urteil vom 11.04.2019 – OLG Stuttgart – 10 U 154/19 – Urteil vom 26.11.2019

LG Heilbronn – 6 O 475/18 – Urteil vom 05.03.2019 – OLG Stuttgart – 12 U 142/19 – Urteil vom 26.11.2019

LG Rottweil – 6 O 94/18 – Urteil vom 08.05.2019 – OLG Stuttgart – 14 U 89/19 – Urteil vom 28.11.2019

Relevante Vorschriften:

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

§ 31 Haftung des Vereins für Organe

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.

§ 849 Verzinsung der Ersatzsumme

Ist wegen der Entziehung einer Sache der Wert oder wegen der Beschädigung einer Sache die Wertminderung zu ersetzen, so kann der Verletzte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt an verlangen, welcher der Bestimmung des Wertes zugrunde gelegt wird.

Quelle: OLG Stuttgart, Pressemitteilung vom 28.11.2019 zu den Urteilen 10 U 154/19 u. a. vom 26.11.2019

Schadensersatzansprüche gegen die Volkswagen AG wegen sittenwidriger Schädigung für 2016 erworbene Fahrzeuge zurückgewiesen

Dieselskandal

Anders als in den Fällen der vor Ende 2015 erworbenen Dieselfahrzeuge weist der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Hans-Joachim Rast mit zwei am 26.11.2019 verkündeten Urteilen die Schadensersatzansprüche von zwei Dieselfahrzeugkäufern zurück, die ihre jeweiligen Gebrauchtwagen des Typs Golf VI und Touran im Januar bzw. Juli 2016 erworben haben.

Damit bestätigt das Berufungsgericht die erstinstanzlichen Klagabweisungen der Landgerichte Stuttgart und Ravensburg. Danach hätten beide Käufer ihre Fahrzeuge in Kenntnis des „VW-Skandals“ gekauft, sodass die Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht vorlägen.

Die beiden beanstandeten Fahrzeuge waren jeweils mit dem Motor EA 189 und der Software mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet. Mit ihren Berufungen verfolgen die Kläger ihre Schadensersatzansprüche weiter und berufen sich darauf, dass es unerheblich sei, ob sie die Ad-Hoc-Mitteilungen der Beklagten vom September 2015 zur Abgasthematik kannten oder hätten kennen müssen.

Dagegen ist auch das Berufungsgericht der Überzeugung, dass, soweit die Kläger hier überhaupt einen von der Volkswagen AG verursachten Schaden erlitten haben, jedenfalls keine sittenwidrige Veranlassung des jeweiligen Fahrzeugerwerbs durch die Beklagte hier vorliege.

Die maßgebliche Schädigungshandlung der Volkswagen AG sei das Herstellen und Inverkehrbringen der Fahrzeuge mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor dem Bekanntwerden des sog. Dieselskandals im September/Oktober 2015. Dies gelte auch gegenüber Gebrauchtwagenkäufern. Eine Sittenwidrigkeit der Schädigung liege dann vor, wenn der Geschädigte die ihn schädigende Handlung – den Fahrzeugkauf – gerade deswegen vorgenommen hat, weil er dazu sittenwidrig veranlasst worden sei. Fielen dabei – wie hier – der Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit dem Motor EA 189 und der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs auseinander, so müsse auch noch im Erwerbszeitpunkt eine sittenwidrige Veranlassung durch die Beklagte vorliegen.

Daran fehle es in den beiden entschiedenen Fällen. Ab Mitte Oktober 2015 könne wegen des Bekanntwerdens der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung und den von der Volkswagen AG ergriffenen Maßnahmen nicht mehr von einer sittenwidrigen Veranlassung der Schädigung von Käufern gebrauchter Dieselfahrzeuge mit dem Motor EA 189 ausgegangen werden. Die Beklagte habe die breite Öffentlichkeit und damit auch potenzielle Kfz-Käufer u. a. in Form von Pressemitteilungen ab September 2015 über die Thematik informiert. Angesichts der der Volkswagen AG nicht zuzurechnenden Berichterstattung und der Öffentlichkeitsinformation durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) musste die Volkswagen AG in einer Gesamtbetrachtung nicht mehr unternehmen, um ab Mitte Oktober 2015 den Vorwurf einer sittenwidrig veranlassten Schädigung der Käufer zu entkräften.

Nach der Rechtsprechung des Senats sei es daher unerheblich, ob das von der Beklagte entwickelte Software-Update eine geeignete Maßnahme zur Fehlerbeseitigung sei oder ob ein konkreter Gebrauchtwagenkäufer Kenntnis von der Betroffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vom sog. Dieselskandal habe. Maßgeblich sei vielmehr für das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit nur das Verhalten der Volkswagen AG. Die von ihr ab Ende September 2015 ergriffenen Maßnahmen seien nach Inhalt und Umfang ausreichend, um die Öffentlichkeit sowie die Besitzer betroffener Dieselfahrzeuge über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu informieren und damit das Fortwirken des Sittenwidrigkeitsverdikts zu verhindern. Danach steht Eigentümern von betroffenen Fahrzeugen des VW-Konzerns, die ihr Fahrzeug nach Mitte Oktober 2015 erworben haben, kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu.

Da auch weitere Anspruchsgrundlagen für die Schadensersatzansprüche nicht ersichtlich seien, hat das OLG beide Berufungen zurückgewiesen.

Nur im Verfahren 10 U 338/19 wurde die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Das Verfahren 10 U 199/19 ist rechtskräftig, die Revision wurde hier aufgrund der positiven Kenntnis des Käufers von der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Dieselskandal und damit schon fehlender Schadensverursachung durch die Beklagte nicht zugelassen.

Aktenzeichen:

LG Stuttgart – 9 O 439/18 – Urteil vom 17.07.2019 – OLG Stuttgart – 10 U 338/19 – Urteil vom 26.11.2019

LG Ravensburg – 4 O 459/18 – Urteil vom 03.05.2019 – OLG Stuttgart – 10 U 199/19 – Urteil vom 26.11.2019

Relevante Vorschrift:

Bürgerliches Gesetzbuch

§ 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Quelle: OLG Stuttgart, Pressemitteilung vom 28.11.2019 zu den Urteilen 10 U 338/19 (nrkr) und 10 U 199/19 (rkr) vom 26.11.2019

Fristablauf für das Geschäftsjahr 2018 am 31.12.2019 – Ordnungsgelder lassen sich vermeiden

Eine Vielzahl von Unternehmen ist dazu verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2019 ihre Jahresabschlüsse für das Geschäftsjahr 2018 in elektronischer Form beim Betreiber des Bundesanzeigers einzureichen. Wird diese Frist versäumt, hat das Bundesamt für Justiz (BfJ) ein Ordnungsgeldverfahren einzuleiten.
In einer Pressemitteilung des BfJ vom 25. November 2019 gibt BfJ-Präsident Heinz-Josef Friehe Antworten auf die wichtigsten Fragen:

Für welche Unternehmen wir die Frist zur Offenlegung der Rechnungslegungsunterlagen für das Geschäftsjahr 2018 am 31. Dezember 2019 ablaufen?

Friehe: Der Fristablauf am 31. Dezember 2019 betrifft diejenigen offenlegungspflichtigen Unternehmen, deren Geschäftsjahr dem Kalenderjahr entspricht. Denn grundsätzlich sind die Unterlagen spätestens ein Jahr nach dem Abschlussstichtag des Geschäftsjahrs einzureichen, auf das sie sich beziehen.

Offenlegungspflichtig sind vor allem Kapitalgesellschaften wie etwa die GmbH und die Aktiengesellschaft. Hinzu kommen Personenhandelsgesellschaften, für die keine natürliche Person persönlich haftet; das klassische Beispiel hierfür ist die GmbH & Co. KG. Außerdem bestehen Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen von ausländischen Kapitalgesellschaften sowie – nach dem Publizitätsgesetz – für bestimmte besonders große Unternehmen. Unabhängig von der Rechtsform müssen bestimmte Energieversorgungsunternehmen, Banken und Versicherungsunternehmen sowie Emittenten von Vermögensanlagen, Investmentvermögen und Kapitalverwaltungsgesellschaften ihre Rechnungslegungsunterlagen offenlegen.

Für die zuletzt genannten Fallgruppen gelten allerdings kürzere Offenlegungsfristen. Emittenten von Vermögensanlagen im Sinne des Vermögensanlagengesetzes haben beispielsweise für die Offenlegung lediglich sechs Monate Zeit. Und wo wir einmal beim Thema sind: Kapitalmarktorientierte Unternehmen müssen ihre Abschlussunterlagen bereits vier Monate nach dem Abschlussstichtag offenlegen.

Welche Unterlagen sind denn konkret offenzulegen?

Friehe: Das hängt zunächst von der Größe des Unternehmens ab. Die Größe wird durch die Bilanzsumme, die Umsatzerlöse und die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bestimmt. In verschiedenen Fällen sind mehr Unterlagen als nur der Jahresabschluss offenzulegen. Kleine Gesellschaften müssen nur die Bilanz und den Anhang veröffentlichen lassen. Kleinstgesellschaften müssen sogar nur die Bilanz offenlegen und haben die Möglichkeit, sie zu hinterlegen. Wichtig ist, dass der festgestellte beziehungsweise der gebilligte Jahresabschluss eingereicht wird. Andernfalls wird die Offenlegungspflicht nicht erfüllt.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang Hinterlegung?

Friehe: Die Möglichkeit der Hinterlegung stellt eine Erleichterung für die Kleinstgesellschaften dar. Wenn ein Unternehmen seine Unterlagen hinterlegen statt offenlegen möchte, reicht es die Unterlagen – wie sonst auch – beim Betreiber des Bundesanzeigers ein, gibt dabei aber an, dass eine Hinterlegung erfolgen soll. Eine Bilanz, die hinterlegt ist, kann nicht ohne Weiteres im Unternehmensregister oder im Bundesanzeiger eingesehen werden. Stattdessen muss sie nach vorheriger Anmeldung im Unternehmensregister kostenpflichtig abgerufen werden.

Was gilt denn für Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb ruht – Gibt es für diesen Fall Erleichterungen?

Friehe: Was die handelsrechtliche Offenlegungspflicht betrifft, gibt es keine Erleichterungen – auch wenn immer wieder Unternehmen geltend machen, ihre Offenlegungspflicht sei aufgrund einer Vereinbarung mit dem Finanzamt entfallen. Einen Wegfall der handelsrechtlichen Offenlegungspflicht sieht das HGB in derartigen Fällen nicht vor. Auch der durch die Offenlegungspflicht verfolgte gesetzliche Zweck, den Marktteilnehmern einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens zu ermöglichen, ist ja weiterhin gerechtfertigt. Ebenso ist es übrigens bei insolventen Unternehmen und bei Unternehmen, die sich in Liquidation befinden.

Gibt es weitere handelsrechtliche Offenlegungspflichten?

Friehe: In der Tat haben wir über eine Fallgruppe noch gar nicht gesprochen: Unternehmen des Rohstoffsektors im Sinne der §§ 341q ff. HGB. Hierzu zählen Unternehmen, die in der mineralgewinnenden Industrie oder auf dem Gebiet des Holzeinschlags in Primärwäldern tätig sind. Diese Unternehmen haben zusätzlich zu den Rechnungslegungsunterlagen Berichte über Zahlungen an staatliche Stellen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit im Rohstoffsektor offenzulegen, und zwar grundsätzlich ebenfalls innerhalb eines Jahres nach Abschluss des Geschäftsjahrs. Für kapitalmarktorientierte Unternehmen beträgt diese Frist sechs Monate.

Was genau droht einem Unternehmen, das eine Offenlegungspflicht nicht beachtet?

Friehe: Gegen offenlegungssäumige Unternehmen leitet das BfJ ein Ordnungsgeldverfahren ein. Das Unternehmen wird hierbei schriftlich aufgefordert, innerhalb einer sechswöchigen Nachfrist seine offenlegungspflichtigen Unterlagen beim Bundesanzeiger einzureichen oder die Unterlassung mittels Einspruchs zu rechtfertigen. Gleichzeitig wird ein Ordnungsgeld in einer Höhe von regelmäßig 2.500 Euro angedroht. Sofern das Unternehmen den Aufforderungen nicht entspricht, wird das angedrohte Ordnungsgeld festgesetzt. Bei anhaltender Offenlegungssäumigkeit wird zusätzlich mit jeder Festsetzung ein weiteres Ordnungsgeld angedroht. Dabei werden die Ordnungsgelder schrittweise erhöht.

Wie kann die Zahlung eines Ordnungsgelds unter Umständen vermieden oder nachträglich abgewendet werden?

Friehe: Vermieden werden kann ein Ordnungsgeld nur durch Offenlegung spätestens innerhalb der Nachfrist. Eine generelle Befreiung gibt es nicht. Auch eine Fristverlängerung ist nicht möglich. Bei unwesentlichen Überschreitungen der Nachfrist wird das Ordnungsgeld jedoch deutlich geringer festgesetzt. Anders ist es, wenn jemand Fristen unverschuldet versäumt. Liegen besondere Gründe wie zum Beispiel Krankheit vor, die die Offenlegung verhindern, kann dem Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen die sog. „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ gewährt werden. Rechtmäßig festgesetzte Ordnungsgelder können allerdings nicht wieder aufgehoben werden. Ich rate daher dringend den Unternehmen, die eine Androhung von uns erhalten, sich damit möglichst schnell auseinanderzusetzen. Dies kann die finanzielle Belastung häufig jedenfalls vermindern.

Und wenn es doch passiert ist: Was können Unternehmen tun, die sich gegen ein festgesetztes Ordnungsgeld wehren möchten?

Friehe: Gegen das Ordnungsgeld ist die Beschwerde vor dem Landgericht Bonn zulässig. Bevor die Beschwerde an das Landgericht Bonn geht, hat das BfJ noch die Möglichkeit, der Beschwerde abzuhelfen, das Ordnungsgeld also selbst wieder aufzuheben.

Wo kann man sich informieren, wenn man sich nicht sicher ist, ob und wann man zur Offenlegung verpflichtet ist?

Friehe: Unsere Internetseite enthält weitere Informationen zum Ordnungsgeldverfahren. Das BfJ ist allerdings nicht berechtigt, Rechtsberatung zu leisten. Hierfür sind die Angehörigen der rechtsberatenden Berufe zuständig.

Wozu raten Sie abschließend den Vertretungsberechtigen deutscher offenlegungspflichtiger Unternehmen?

Friehe: Wie in den vergangenen Jahren möchte ich auch in diesem Jahr wieder dazu aufrufen, die Offenlegungspflicht einzuhalten. Seit 2007 hat sich die Quote der Offenlegungen zwar von 10 Prozent auf über 90 Prozent erhöht. Aber noch immer legen nicht alle Unternehmen ihre Rechnungslegungsunterlagen offen. Die betroffenen Unternehmen sollten die am Ende des Jahres ablaufende Frist nicht aus dem Blick verlieren. Daher mein dringender Rat an die Unternehmen: Veröffentlichen Sie Ihre Rechnungslegungsunterlagen rechtzeitig!

Quelle: WPK, Mitteilung vom 25.11.2019

Klimaschutzprogramm: Umweltfreundliches Verhalten wird steuerlich gefördert

Die Bundesregierung setzt das Klimaschutzprogramm 2030 auch steuerrechtlich um. Sie stellt so die Weichen für eine schnellere CO2-Reduktion. Das Kabinett hat beschlossen, Bahnfahren günstiger zu machen, Pendler zu entlasten und die energetische Gebäudesanierung zu fördern. Dem hat der Bundestag nun zugestimmt.

Das Gesetz sieht steuerliche Anpassungen vor, um die Herausforderung der CO2-Reduktion bis zum Jahr 2030 entschlossen und sozial ausgewogen anzugehen. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen daran teilhaben können. Vier Maßnahmen aus dem Klimaschutzprogramm 2030 stehen im Fokus. Sie werden nun im Steuerrecht umgesetzt und sollen ein umweltfreundliches Verhalten stärker fördern:

1. Förderung energetischer Gebäudesanierung

Energetische Sanierungsmaßnahmen an selbstgenutztem Wohneigentum sollen für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2029 durch einen Abzug von 20 Prozent der Aufwendungen von der Steuerschuld gefördert werden.

Förderfähig sind Einzelmaßnahmen wie zum Beispiel die Wärmedämmung von Wänden und Dächern, die Erneuerung der Fenster oder Außentüren sowie die Erneuerung beziehungsweise der Einbau einer Lüftungsanlage und die Optimierung bestehender Heizungsanlagen.

2. Anhebung der Pendlerpauschale und Mobilitätsprämie

Zur Entlastung der Pendler soll die Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer um fünf auf 35 Cent angehoben werden. Alternativ dazu sollen geringverdienende Pendler, die innerhalb des Grundfreibetrags liegen, eine Mobilitätsprämie von 14 Prozent dieser erhöhten Pauschale wählen können.

Die Anhebung der steuerlichen Entfernungspauschale und die Gewährung einer Mobilitätsprämie sind befristet für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2026.

3. Absenkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets im Fernverkehr

Um die Attraktivität der Bahn zu verbessern, soll der Umsatzsteuersatz für Fahrkarten im Fernverkehr ab 2020 von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden. Diese Regelung gilt unbefristet.

4. Erhöhter Hebesatz bei der Grundsteuer für Windparks

Gemeinden sollen bei der Grundsteuer einen besonderen Hebesatz auf Sondergebiete für Windenergieanlagen festlegen können. Dadurch werden sie als Ausgleich für damit verbundenen Aufwand an den Erträgen beteiligt. Auch diese Regelung soll dauerhaft wirken, so dass eine Befristung nicht in Betracht kommt.

 

Gesetzentwurf zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms im Steuerrecht

Quelle: Bundesregierung, Pressemitteilung vom 15.11.2019

Einheitliche EU-Standards: Bessere Bekämpfung von Geldwäsche

Die Bundesregierung hat Maßnahmen für eine bessere Verhinderung und Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung auf den Weg gebracht. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem den öffentlichen Zugang zum Transparenzregister und weitere Kompetenzen für die Geldwäschebekämpfungseinheit des Bundes vor.

Die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ist ein zentrales Anliegen der Finanzmarktpolitik der Bundesregierung. Sie ist Teil der staatlichen Aufgabe, Bürger und Wirtschaft vor Verbrechen und Terror zu schützen. Für den Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ist es gut und effizient, dass auf europäischer Ebene einheitliche Standards festgelegt worden sind.

Das Bundeskabinett hat deshalb den Gesetzentwurf zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur 4. EU-Geldwäscherichtlinie beschlossen. Der Bundestag hat dem Gesetzentwurf, der eine Einigung auf EU-Ebene umsetzt, zugestimmt.

Schutz vor Verbrechen und Terror

Die Änderung stärkt die Prävention gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Gleichzeitig werden die Befugnisse der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen erweitert.

Diese Regelungen sind im Wesentlichen vorgesehen:

  • Der Kreis der geldwäscherechtlich Verpflichteten wird um Finanzdienstleistungen mit bestimmten Kryptowerten und das Kryptoverwahrgeschäft als neue erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung erweitert.
  • Im Nicht-Finanzsektor werden als Mietmakler tätige Immobilienmakler, Kunstgalerien und Kunstauktionshäuser sowie Kunstlagerhalter in den Kreis der Verpflichteten einbezogen, die geldwäscherechtliche Verpflichtungen erfüllen müssen.
  • Bei öffentlichen Versteigerungen sind künftig bei Barzahlungen ab 10.000 Euro bestimmte Pflichten des Geldwäschegesetzes einzuhalten, insbesondere bei Zwangsversteigerungen von Immobilien durch Gerichte.
  • Das 2017 geschaffene Transparenzregister wird für die gesamte Öffentlichkeit zugänglich sein. Ein Nachweis eines berechtigten Interesses ist nicht mehr notwendig.
  • Die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen wird beim Abgleich polizeilicher Datenbanken auch über Treffer in geschützten Dateien informiert, und sie erhält Zugang zum Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister.
  • Die Verdachtsmeldepflicht freier Berufe bei Immobilientransaktionen wird angesichts aktueller Geldwäscheverdachtsfälle und erhöhter Geldwäscherisiken in diesem Sektor konkretisiert.

Quelle: Bundesregierung, Pressemitteilung vom 14.11.2019

Zollämter dürfen vorläufig bei im EU-Ausland ansässigen Transportunternehmen Prüfungen nach dem Mindestlohngesetz durchführen

Im Rahmen eines Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung hat der 9. Senat des Finanzgerichts Münster am 26. September 2019 beschlossen (Az. 9 V 1280/19 AO), dass ein Zollamt bei einem im EU-Ausland ansässigen Transportunternehmen eine Prüfung bezüglich der Vorschriften des Mindestlohngesetzes (MiLoG) durchführen darf.

Die Antragstellerin ist eine in Tschechien ansässige Kapitalgesellschaft, die dort ein Speditionsunternehmen betreibt. Im Juli 2018 überprüften Mitarbeiter des Hauptzollamts auf einem Autobahnparkplatz einen Lkw der Antragstellerin. Der Fahrer gab an, dass er 8 bis 10 Stunden pro Tag für einen Monatslohn von 1.500 Euro arbeite. Aus den vom Fahrer übergebenen Unterlagen ergab sich, dass dieser auch Transporte zu Empfängern in Deutschland durchgeführt hatte.

Das Hauptzollamt erließ daraufhin gegenüber der Antragstellerin eine Prüfungsverfügung, die das Beschäftigungsverhältnis des angetroffenen Fahrers für den Zeitraum 1. Juni bis 10. Juli 2018 im Hinblick auf die Vorschriften des MiLoG umfassen sollte. Hiergegen wandte die Antragstellerin ein, dass dieses Gesetz auf EU-Ausländer nicht anwendbar sei. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob sie Klage und stellte außerdem einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsverfügung.

Der 9. Senat des Finanzgerichts Münster hat den Aussetzungsantrag abgelehnt. Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Prüfungsverfügung. Das MiLoG gelte auch für ausländische Arbeitgeber, soweit sie Arbeitnehmer im Inland beschäftigten. Es könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin den angetroffenen Fahrer im Inland beschäftigt habe. Im Hinblick auf europarechtliche Vorschriften sei derzeit zwar noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen Transportunternehmen im Inland Arbeitnehmer beschäftigten. Bei reinen Transitfahrten ohne Be- und Entladung im Inland habe das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Prüfungen nach dem MiLoG ausgesetzt, sodass Prüfungsverfügungen ermessenswidrig seien. Demgegenüber bestünden bei Transporten mit Start und Ziel im Inland (sog. Kabotagefahrten) keine Bedenken gegen eine Prüfung. Für grenzüberschreitende Beförderungen, bei denen Start oder Ziel im Inland liegen, sei die Rechtslage umstritten. Vor diesem Hintergrund sei die Prüfungsverfügung im Streitfall nicht willkürlich erfolgt, da sich aus den Unterlagen jedenfalls die Durchführung grenzüberschreitender Beförderungen ergebe. Im Übrigen sei eine abschließende Beurteilung, ob der angetroffene Fahrer auch Kabotagefahrten vorgenommen habe, erst nach Durchführung der Prüfung möglich.

Überdies führte die Aussetzung der Vollziehung zu einer grundsätzlich unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache. In diesem Fall käme eine Prüfung endgültig nicht mehr in Betracht, da die für eine Prüfung vorzulegenden Dokumente nach § 17 Abs. 2 Satz 1 MiLoG nur für zwei Jahre aufbewahrt werden müssten und das Hauptsacheverfahren insbesondere vor dem Hintergrund mehrerer bereits beim Bundesfinanzhof anhängiger Revisionsverfahren nicht innerhalb dieses Zeitraums abgeschlossen werden könne.

Der Senat hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.11.2019 zum Urteil 9 V 1280/19 vom 26.09.2019

Steuerpflichtige Aufwandsentschädigungen eines Präsidiumsmitglieds

Die Aufwandsentschädigungen eines Präsidiumsmitglieds des Städte- und Gemeindebundes NRW sind steuerpflichtig.

Mit Urteil vom 24. September 2019 (Az. 3 K 2458/18 E) hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG für Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder eines Präsidiumsmitglieds eines privatrechtlich organisierten kommunalen Spitzenverbands nicht greift.

Der Kläger ist Bürgermeister einer Gemeinde und Mitglied des Präsidiums des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen. Hierbei handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Kommunen des Landes in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins, wobei die Mitgliedschaft freiwillig ist. Aufgabe und Zweck dieses Vereins ist u. a. der Schutz der gemeindlichen Selbstverwaltung der Mitglieder und die Beratung und Unterstützung dieser bei der Durchführung der gemeindlichen Aufgaben. Eine Körperschaftsteuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit liegt nicht vor.

Die für seine Tätigkeit im Streitjahr 2016 bezogenen Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder in Höhe von insgesamt 5.120 Euro erklärte der Kläger als nach § 3 Nr. 12 EStG steuerfreie Einkünfte. Dem Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen seien als kommunalem Spitzenverband öffentlich-rechtlich Aufgaben zugewiesen und die Zahlungen stammten aus öffentlich-rechtlichen Kassen. Dies sah das Finanzamt anders und unterwarf die Zahlungen der Einkommensteuer.

Die hiergegen erhobene Klage ist erfolglos geblieben. Der 3. Senat des Finanzgerichts Münster hielt keine Befreiungsvorschrift für einschlägig. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG scheitere bereits daran, dass die Zahlungen nicht aus einer öffentlich-rechtlichen Kasse geleistet worden seien, da es aufgrund der privatrechtlichen Organisation des Städte- und Gemeindebundes an einer Dienstaufsicht und an der Prüfung des Finanzgebarens durch die öffentliche Hand fehle. Dabei sei unerheblich, dass das Beitragsaufkommen aus öffentlichen Kassen stamme. Darüber hinaus leiste der Städte- und Gemeindebund keine öffentlichen Dienste, da der Zusammenschluss auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhe und im Wesentlichen eine Interessenvertretung gegenüber Gesetzgebung und Politik zum Ziel habe.

Eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 26a EStG scheide wegen der fehlenden Freistellung des Vereins von der Körperschaftsteuer aus. Daher könne nicht festgestellt werden, ob er tatsächlich gemeinnützige Zwecke verfolge.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.11.2019 zum Urteil 3 K 2458/18 vom 24.09.2019

Mehrwertsteuerflucht: Online-Plattformen müssen Lücken schließen

Online-Plattformen sollen verpflichtet werden, Buch über mehrwertsteuerpflichtige Verkäufe zu führen, um allen EU-Ländern die Eintreibung von Steuerschulden zu erleichtern.

Rund 5 Milliarden Euro an Mehrwertsteuer entgehen jährlich den Staatskassen der EU-Ländern im Online-Handel. Im nächsten Jahr erwartet die Kommission einen Anstieg der Verluste auf 7 Milliarden Euro.

Die am 13.11.2019 von den Abgeordneten verabschiedete Richtlinie ergänzt die allgemeinen Bestimmungen über Online-Handel (e-commerce Richtlinie 2017), um Steuerflucht zu vereiteln. Plattformen wie Amazon, eBay oder Alibaba müssen ab 2021 sicherstellen, dass Mehrwertsteuerschulden bei Verkäufen in der EU den jeweiligen Steuerbehörden gemeldet werden.

Der Gesetzestext legt fest, welche Daten Online-Plattformen in Zukunft aufzeichnen und den jeweiligen Behörden zur Berechnung der Mehrwertsteuerschuld unabhängiger Verkäufer übermitteln müssen, auch und vor allem für Verkäufe aus Drittländern. Bislang haben EU-Mitgliedstaaten kaum Möglichkeiten, Mehrwertsteuer-Schulden von Verkäufern außerhalb der EU einzutreiben, es sei denn die Verkäufer deklarieren sie selbst ordnungsgemäß.

Die Abgeordneten stimmten Abänderungen des Kommissionsvorschlags zu, die festlegen, welches Mitgliedsland jeweils für die Einholung der Mehrwertsteuer verantwortlich ist und welche digitalen Plattformen als Verkaufsvermittler die neuen Verpflichtungen zu erfüllen haben. Plattformen sollen überdies detaillierte Angaben machen, welche Steuerschuld pro EU-Land anfällt.

Der Berichterstatter des Parlaments, Ondřej Kovařík (Renew, CZ), erklärte: „Wir brauchen ein Mehrwertsteuer-System, das den Anforderungen des digitalen Handels gewachsen ist. Diese Modernisierung wird die Berechnung und Abwicklung der Mehrwertsteuer im Binnenmarkt vereinfachen und vorhandene Steuerlücken schließen.“

Nächste Schritte

Dank der Zustimmung des Parlaments kann der Rat nun seine endgültige Position verabschieden.

Quelle: EU-Parlament, Pressemitteilung vom 14.11.2019

Solidaritätszuschlag entfällt schrittweise – Milliardenschwere Entlastung ab 2021

Künftig entfällt der Solidaritätszuschlag für die große Mehrheit derer, die ihn heute zahlen. Die Bundesregierung hatte eine Regelung auf den Weg gebracht, die 35,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger um fast elf Milliarden Euro im Jahr entlastet. Auch der Bundestag hat dafür nun grünes Licht gegeben.

Der Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent wird als Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben. Er ist nur zu zahlen, wenn eine Steuerlast entsteht, die bei der Einkommensteuer über einer Freigrenze liegt.

Was ist neu?

Für 90 Prozent der heutigen Zahler wird der Soli ab 2021 vollständig entfallen – so wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Die Freigrenze, bis zu der kein Solidaritätszuschlag anfällt, wird von heute 972 Euro auf 16.956 Euro der Steuerzahlung angehoben, sodass bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 61.717 Euro zukünftig kein Soli mehr fällig wird.

An die neue deutlich ausgedehnte Freigrenze schließt sich eine sog. Milderungszone an. Wie bereits heute verhindert sie, dass sofort auf den vollen Steuerbetrag Soli erhoben wird. Davon profitieren weitere 6,5 Prozent der Soli-Zahler. Die Milderungszone gilt für zu versteuernde Einkommen bis 96.409 Euro. Für Verheiratete verdoppeln sich diese Beträge.

Zwei Beispiele:

Ein verheiratetes Paar mit zwei Kindern und zwei Einkommen (Jahresbrutto: 66.000 Euro und 54.800 Euro) spart ab 2021 durch den kompletten Wegfall des Soli fast 1.000 Euro im Jahr. Für einen Single ohne Kinder mit einem Bruttolohn von 31.200 Euro im Jahr beträgt die Ersparnis gut 200 Euro jährlich.

Quelle: Bundesregierung, Pressemitteilung vom 14.11.2019

Beteiligung ausscheidender Versicherungsnehmer an Bewertungsreserven nach Inkrafttreten des Lebensversicherungsreformgesetzes vom 01.08.2014

Der für das private Versicherungsrecht zuständige 7. Zivilsenat unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Norbert Taxis hat am 14.11.2019 entschieden, dass ein Lebensversicherer nach Inkrafttreten des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) im Jahr 2014 gegenüber einem danach wegen Vertragsbeendigung ausscheidenden Versicherungsnehmer bei der Ermittlung von Bewertungsreserven berücksichtigen darf, dass er seiner Konzernmutter zur Gewinnabführung verpflichtet ist.

In dem zu entscheidenden Rechtsstreit hatte der klagende Versicherungsnehmer die Berechnung von Bewertungsreserven für den von ihm beendeten Lebensversicherungsvertrag angezweifelt und geltend gemacht, ihm stehe ein höherer als der ausbezahlte Betrag zu.

Bei der Beurteilung des Sachverhalts ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, dass Versicherungsnehmer bei Beendigung des Lebensversicherungsvertrags gemäß § 153 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) grundsätzlich zur Hälfte an den Bewertungsreserven zu beteiligen sind. Dieser Anspruch des Versicherungsnehmers sollte durch das LVRG gesichert werden. Der Gesetzgeber wollte der durch die anhaltende Niedrigzinsphase geschürten Befürchtung entgegenwirken, dass es durch Ausschüttungen an Aktionäre oder infolge von Überschussbeteiligungen ausscheidender Versicherungsnehmer dazukommen könne, dass die Lebensversicherer langfristig die von ihnen garantierten Leistungen nicht mehr gewährleisten können. Dazu sah § 56a Abs. 2-4 Versicherungsaufsichtsgesetz a. F. (jetzt § 139 Abs. 2 – 4 VAG) – auch für bestehende Verträge – einerseits vor, dass die Beteiligung ausscheidender Versicherungsnehmer nur insoweit zulässig ist, als die Bewertungsreserven einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie übersteigen. Andererseits darf auch ein Bilanzgewinn an Aktionäre nur ausgeschüttet werden, soweit er diesen Sicherungsbedarf überschreitet.

Diese für die Ausschüttung an Aktionäre geltende Begrenzung ist nach der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht auf den Fall eines Gewinnabführungsvertrags zwischen einer Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft und ihrer Muttergesellschaft (ein solcher lag auch im vom 7. Zivilsenat zu entscheidenden Fall vor) zu übertragen. Eine Gewinnabführung unterscheide sich nicht nur im Wortlaut, sondern auch strukturell von einer Ausschüttung an Aktionäre. Während bei Letzterer das ausgeschüttete Kapital der Lebensversicherungs-Aktiengesellschaft endgültig entzogen sei, treffe im Rahmen eines Gewinnabführungsvertrages den Mutterkonzern nach § 302 Aktiengesetz eine Verlustausgleichspflicht. Dies rechtfertige eine unterschiedliche Behandlung, sodass die Berücksichtigung einer Verpflichtung zur Gewinnabführung den Zielen des LVRG, u. a. der Vermeidung ungerechtfertigter Mittelabflüsse, nicht zuwiderlaufe. Das sieht der Senat auch dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang der Evaluierung des LVRG im Jahr 2018 keine Veranlassung zu einer Änderung oder Klarstellung der gesetzlichen Bestimmungen gesehen habe.

Ungeachtet dieser Rechtsfrage, steht es dem Versicherungsnehmer im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens jedoch offen, den in die Berechnung der Überschussbeteiligung einbezogenen Sicherungsbedarf überprüfen lassen. Hierzu hat der Senat ein versicherungsmathematisches Sachverständigengutachten eingeholt, aufgrund dessen er zu dem Schluss gelangt ist, dass Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermittlung des Sicherungsbedarfs nicht vorliegen. Daher hat die Klage keinen Erfolg gehabt.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob eine Gewinnabführung aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages unter die Ausschüttungssperre des § 56a Abs. 2 Satz 3 VAG a. F. fallen kann und welche Auswirkung eine Gewinnabführung gegebenenfalls für die Annahme eines Sicherungsbedarfs gegenüber dem Versicherungsnehmer hat, hat der Senat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Relevante Normen (Auszug):

Versicherungsvertragsgesetz (VVG)

§ 153 Überschussbeteiligung in der Fassung vom 01.08.2014:

Der Versicherer hat die Bewertungsreserven jährlich neu zu ermitteln und nach einem verursachungsorientierten Verfahren rechnerisch zu ermitteln. Bei der Beendigung des Vertrags wird der für diesen Zeitpunkt zu ermittelnde Betrag zur Hälfte zugeteilt und an den Versicherungsnehmer ausbezahlt; eine frühere Zuteilung kann vereinbart werden. Aufsichtsrechtliche Regelungen zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen, insbesondere § 53c, § 56a Absatz 3 und 4 sowie § 81 c Absatz 1 und 3 des Versicherungsaufsichtsgesetzes bleiben unberührt.

Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)

§ 56a Absatz 2 Satz 3 in der Fassung vom 01.08.2014:

Ein Bilanzgewinn darf nur ausgeschüttet werden, soweit er einen etwaigen Sicherungsbedarf nach Absatz 4 überschreitet.

§ 56a Abs. 3 in der Fassung vom 01.08.2014:

Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherungsunternehmen gehaltenen festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften sind bei der Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven nach § 153 des Versicherungsvertragsgesetzes nur insoweit zu berücksichtigen, als sie einen Sicherungsbedarf aus den Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie gemäß Absatz 4 überschreiten.

§ 56a Abs. 4 Satz 1 in der Fassung vom 01.08.2014:

Der Sicherungsbedarf aus Versicherungsverträgen mit Zinsgarantie ist die Summe der Sicherungsbedarfe der Versicherungsverträge, deren maßgeblicher Rechnungszins über dem maßgeblichen Euro-Zinsswapsatz zum Zeitpunkt der Ermittlung der Bewertungsreserven (Bezugszins) liegt.

Quelle: OLG Stuttgart, Pressemitteilung vom 14.11.2019 zum Urteil 7 U 12/18 vom 14.11.2019