Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Bundestag beschließt das Gesetz zur Tarifeinheit


 

Es war der vorläufige, zumindest parlamentarische Endpunkt unter ein heftig diskutiertes und bis zum Schluss umstrittenes Gesetzesprojekt: Am Freitag, 22.Mai 2015, verabschiedete der Bundestag in namentlicher Abstimmung den Gesetzentwurf zur Tarifeinheit (18/4062), zu dem der Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Beschlussempfehlung vorgelegt hatte (18/4966). Von 586 abgegebenen Stimmen votierten 444 für das Gesetz, 126 dagegen und 16 mit Enthaltung. Ebenfalls abgestimmt wurde in dieser dritten Lesung ein Antrag der Linken zur Verteidigung des Streikrechts (18/4184) und ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (18/2875), in dem sich die Fraktion gegen eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit ausspricht. Beide Anträge wurden mit Koalitionsmehrheit abgelehnt.

Das Gesetz sieht vor, die Tarifeinheit in einem Betrieb im Falle von Konflikten nach dem Mehrheitsprinzip zu ordnen. Können sich Gewerkschaften mit sich überschneidenden Tarifverträgen nicht einigen, soll künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat. Die Belange der Minderheitsgewerkschaften sollen durch „flankierende Verfahrensregeln“ berücksichtigt werden. Außerdem sieht der Entwurf vor, das Arbeitsgerichtsgesetz entsprechend den Regelungen zur Tarifeinheit anzupassen. Die Gerichte sollen über den im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag auf Antrag einer Tarifpartei mit bindender Wirkung für Dritte entscheiden.

Ministerin: Wir müssen Tarifkollisionen vermeiden

„Was wir seit 2010 beobachten, macht vielen Menschen sorgen“, begann Andrea Nahles (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales, ihre Rede. Gemeint waren Tarifkonflikte kleiner Berufsgenossenschaften seit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, in dem die Rechte der kleinen Gewerkschaften gestärkt wurden. Es sei nun Aufgabe der Bundesregierung, Tarifkollisionen in Betrieben zu vermeiden, um die Tarifautonomie zu sichern.

Dafür sei die gesetzlich geregelte Tarifeinheit das richtige Mittel, so Nahles. Diese habe vor 2010 mehr als 60 Jahre lang gegolten und den Gewerkschaften, auch den kleineren, keineswegs geschadet. Nahles warf den Spartengewerkschaften vor, die Einheit der Gewerkschaften zu gefährden, wenn diese nur für ihre eigenen Interessen und nicht für die Belange der ganzen Belegschaft streiken. Sie verwahrte sich klar gegen den Vorwurf, das Streikrecht kleinerer Gewerkschaften einschränken zu wollen.

Linke: Schon der Titel ist purer Etikettenschwindel

Klaus Ernst (Die Linke) warf genau dies aber der Bundesregierung vor. „Schon der Titel des Gesetzes ist purer Etikettenschwindel“, sagte er. Wenn die Regierung wirklich etwas für die Tarifeinheit tun wollte, müsste sie die Regeln zu Leiharbeit und Werkverträgen grundlegend umbauen und den Betriebsräten mehr Rechte geben. Mit diesem Gesetz werde aber nichts daran geändert, dass immer mehr Menschen ihre Tarife verlieren, ergänzte Ernst.

Natürlich sei die Regierung nicht so dumm, das Streikrecht direkt abzuschaffen. Aber wenn der Tarifvertrag einer kleineren Gewerkschaft generell keine Aussicht auf Erfolg habe, werde auch ein Gericht einen Streik für diesen Vertrag als nicht zulässig ablehnen. „Sie schränken einen wesentlichen Grundsatz des Grundgesetzes, nämlich den der Freiheit, ein“, warf Ernst der Regierung vor.

CDU/CSU: Wir spalten nicht, wir schaffen Strategien

Karl Schiewerling betonte für die Unionsfraktion, dass es Ziel des Gesetzes sei, Frieden in die Betriebe hineinzubringen und Stufen zu schaffen, auf denen sich die Gewerkschaften verständigen könnten. „Wir spalten nicht, wir schaffen Strategien, die Gewerkschaften gemeinsam zum Wohle der Beschäftigten gehen können“, sagte er.

Es gehe nicht darum, kleinere Gewerkschaften vor die Tür zu setzen. Vielmehr sollten die Gewerkschaften animiert werden, sich zu einigen, wer für welche Berufsgruppe verhandele. Ob ein Streik zulässig sei, würden auch künftig die Gerichte entscheiden. Mit Blick auf eine drohende Klage vor dem Bundesverfassungsgericht sagte Schiewerling: „Wir schauen mit gespannter Gelassenheit, was nun kommt.“

Grüne: Jeder ist frei darin, Vereine zu bilden

Dr. Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, bemühte, wie fast alle Redner, Artikel 9 des Grundgesetzes: „Da steht ganz klar drin, dass es frei ist, Vereinigungen zu bilden, und zwar für alle Berufsgruppen. Da steht nichts davon, dass es pro Betrieb nur eine Gewerkschaft geben darf.“

Hofreiter warf der Bundesregierung vor, dass es auch deren Sicht sehr wohl um eine Einschränkung des Streikrechts gehe. „Sonst hätte das Gesetz nämlich gar keinen Sinn“, so der Grüne. Bei der bis 2010 geltenden Tarifeinheit habe es sich um eine andere gehandelt als jene, die jetzt etabliert werden solle. Damals habe nämlich das Spezialitätsprinzip gegolten und nicht das Mehrheitsprinzip, kritisierte Hofreiter.

SPD: Wir werden das Streikrecht niemals angreifen

Bernd Rützel (SPD) ließ sich von diesem Argument nicht beirren: „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Das galt 60 Jahre lang und das hat unser Land stark gemacht.“ Wenn jeder sein eigenes Süppchen koche und dies dann auch noch alleine esse, bleiben jene hungrig, die das nicht können oder um die sich niemand kümmere, mahnte Rützel. Auch wenn die Opposition es hundertmal wiederhole, „wir werden das Streikrecht niemals angreifen“, versicherte er.

Die GDL sei eine der ältesten Gewerkschaften Deutschlands und habe auch vor 2010, mit der Tarifeinheit, gut existiert. Das Gesetz trage nun dazu bei, dass sich wieder mehr Tarifgemeinschaften bilden und die Gewerkschaften klären, für welche Berufsgruppen sie jeweils verhandeln, verteidigte Rützel das Vorhaben. (che/22.05.2015)

Quelle: Deutscher Bundestag

Kein weltweiter kostenloser Auslandskrankenversicherungsschutz für gesetzlich Versicherte

Betriebskrankenkassen dürfen keine entsprechenden Verträge mit privaten Versicherungsunternehmen abschließen

Die Begründung und Durchführung einer weltweiten Auslandskrankenversicherung ist keine Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung. Betriebskrankenkassen dürfen daher nicht mit privaten Versicherungsunternehmen den Auslandskrankenversicherungsschutz ihrer Mitglieder vertraglich regeln. Dies entschied in zwei am 19.05.2015 veröffentlichten Urteilen der 1. Senat des Hessischen Landessozialgerichts.

Betriebskrankenkassen schlossen Gruppenversicherungsverträge
Im Jahre 2007 schlossen die R + V Betriebskrankenversicherung und die Betriebskrankenkasse PricewaterhouseCoopers – sowie über 20 weitere Betriebskrankenkassen – jeweils mit privaten Versicherungsunternehmen Gruppenversicherungsverträge über einen Auslandskrankenversicherungsschutz ihrer Mitglieder. Dieser umfasste die bei Urlaubs- oder beruflich bedingten Reisen im Ausland entstandenen Kosten für die medizinische Behandlung sowie – unter anderem – für Arzneimittel, Rettungsdiensttransporte und den Rücktransport.

Bundesversicherungsamt beendet diese Ausweitung des Versicherungsschutzes
Nach umfangreichen Prüfungen der Wirtschaftlichkeit teilte das Bundesversicherungsamt mit, dass es diese Ausweitung des Versicherungsschutzes nicht weiter dulden werde und verpflichtete schließlich im Jahr 2012 bzw. 2013 die beiden Betriebskrankenkassen, die Verträge über den Auslandskrankenversicherungsschutz zu beenden. Für die erfolgte Ausweitung des Versicherungsschutzes im Ausland gebe es keine gesetzliche Grundlage. Deckungslücken bei Auslandsbehandlungen lägen in der Eigenverantwortung der einzelnen Versicherten. Die Krankenkassen hätten kein Leistungserfindungsrecht. Die Betriebskrankenkassen könnten zwar als Vermittler einer privaten Zusatzversicherung tätig werden. Mit der streitigen Vereinbarung seien die Krankenkassen hingegen selbst Vertragspartner geworden. Die aufsichtsrechtliche Tolerierungspraxis habe das Bundesaufsichtsamt zum 1. Januar 2013 insgesamt aufgegeben.

Gegen diese aufsichtsrechtliche Maßnahmen erhoben die R + V Betriebskrankenversicherung und die Betriebskrankenkasse PricewaterhouseCoopers Klage vor dem Hessischen Landessozialgericht. Sie vertreten die Auffassung, dass der Auslandskrankenversicherungsschutz eine zugelassene Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Jedenfalls sei der Gesetzeswortlaut entsprechend auszulegen. Darüber hinaus sei es unverhältnismäßig, die aufsichtsrechtliche Duldungspraxis zu beenden, ohne den Krankenkassen die Möglichkeit zu geben, den Wirtschaftlichkeitsnachweis zu erbringen. Pro versicherter Person falle lediglich eine Jahresbetrag von weniger als 4 Euro an.

Landessozialgericht bestätigt aufsichtsrechtliches Verbot
Das für aufsichtsrechtliche Streitigkeiten erstinstanzlich zuständige Landessozialgericht in Darmstadt gab dem Bundesversicherungsamt Recht. Die gesetzlichen Krankenkassen seien für einen weltweiten kostenlosen Auslandskrankenversicherungsschutz gesetzlich nicht ermächtigt. Die Verträge seien daher eine unzulässige Erweiterung des gesetzlichen Aufgabenbereiches. Die gesetzlichen Krankenkassen dürften die Beiträge ihrer Mitglieder nur für ihre gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben verwenden.

Diese Aufgaben würden die Absicherung der Versicherten gegen Krankheit bei Aufenthalt im Ausland nur in sehr begrenztem Umfang umfassen. So hätten die Versicherten Ansprüche aus dem Sozialkoordinationsrecht der Europäischen Union sowie aus zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen. Insoweit hätten die gesetzlichen Krankenkassen unter anderem die europäische Krankenversicherungskarte sowie die nötigen Informationen für die Versicherten bereitzustellen. Ferner seien bestimmte Kostenerstattungsansprüche für Gesundheitsdienstleistungen im EU-Ausland gesetzlich vorgeschrieben. Ferner könnten die Krankenkassen ihren Mitgliedern private Zusatzversicherungen vermitteln.

Darüber hinaus sei der Auslandskrankenversicherungsschutz hingegen nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

§ 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)
Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt.

§ 87 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)
(1) Die Versicherungsträger unterliegen staatlicher Aufsicht. (…)

§ 89 SGB IV
(1) Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben. (…)

§ 29 SGB IV
(1) Die Träger der Sozialversicherung (Versicherungsträger) sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.

(3) Die Versicherungsträger erfüllen im Rahmen des Gesetzes und des sonstigen für sie maßgebenden Rechts ihre Aufgaben in eigener Verantwortung.

§ 30 SGB IV
(1) Die Versicherungsträger dürfen nur Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben führen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden.

§ 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)
(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. (…)

§ 16 SGB V
(1) Der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte
1. sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist, (…)

§ 18 SGB V
(1) Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. Der Anspruch auf Krankengeld ruht in diesem Fall nicht.

(3) Ist während eines vorübergehenden Aufenthalts außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum eine Behandlung unverzüglich erforderlich, die auch im Inland möglich wäre, hat die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung insoweit zu übernehmen, als Versicherte sich hierfür wegen einer Vorerkrankung oder ihres Lebensalters nachweislich nicht versichern können und die Krankenkasse dies vor Beginn des Aufenthalts außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt hat. (…)

§ 13 SGB V
(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, (…) Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. (…) Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können (…) Krankenhausleistungen (…) nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

§ 60 SGB V
(4) Die Kosten des Rücktransports in das Inland werden nicht übernommen.

§ 194 SGB V
(1a) Die Satzung kann eine Bestimmung enthalten, nach der die Krankenkasse den Abschluss privater Zusatzversicherungsverträge zwischen ihren Versicherten und privaten Krankenversicherungsunternehmen vermitteln kann. Gegenstand dieser Verträge können alle Leistungen sein, die den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz ergänzen, insbesondere (…) eine Auslandskrankenversicherung.

§ 197b SGB V
Krankenkassen können die ihnen obliegenden Aufgaben durch Arbeitsgemeinschaften oder durch Dritte mit deren Zustimmung wahrnehmen lassen, wenn die Aufgabenwahrnehmung durch die Arbeitsgemeinschaften oder den Dritten wirtschaftlicher ist, es im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen liegt und Rechte der Versicherten nicht beeinträchtigt werden. (…)

Quelle: LSG Hessen, Pressemitteilung vom 19.05.2015 zu den Urteilen L 1 KR 337/12 KL und L 1 KR 17/14 KL vom 19.05.2015

 

HGB-Novelle – Anhörung der CDU/CSU-Fraktion zum BilRuG

Am 07.05.2015 lud die CDU-CSU-Fraktion des Deutschen Bundestags Verbände zu einer Anhörung zum Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz. Präsidiumsmitglied StB/WP Marcus Tuschen vertrat die Ansichten des DStV für eine mittelstandsfreundliche Umsetzung der Bilanzrichtlinie.

Der DStV hatte sich, auch in Zusammenarbeit mit der Bundessteuerberaterkammer, zu den einzelnen Stufen des Gesetzesvorhabens geäußert. Für die Aufstellung des Jahresabschlusses und die Bilanzanalyse entscheidende Vorgaben, die vom DStV kritisiert wurden, sind jedoch weiterhin im Gesetzentwurf enthalten.

Schwerpunkte der Sitzung waren vornehmlich die Vorschriften zum Verlustausgleich, zur phasengleichen Aktivierung von Gewinnausschüttungen, zur Definition von Umsatzerlösen sowie zur Inanspruchnahme von Offenlegungsbefreiungen.

Definition der Nettoumsatzerlöse sieht keine Beschränkung auf die gewöhnliche Geschäftstätigkeit mehr vor
Vom DStV besonders kritisch gesehen wird die Erweiterung der Definition der Nettoumsatzerlöse. Nach dem Gesetzentwurf sollen zukünftig alle Erträge aus dem Verkauf von Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens in den Nettoumsatzerlösen erfasst werden. Eine Beschränkung auf solche aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ist nicht vorgesehen. Nach Ansicht des DStV würde dies zu einem Verlust der Aussagekraft der Gewinn- und Verlustrechnung führen. Der Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion, MdB Prof. Dr. Heribert Hirte, maß diesem Punkt besondere Bedeutung bei.

Außerordentliche Aufwendungen und Erträge voraussichtlich nicht mehr in der GuV enthalten
Die Vorschriften der Bilanzrichtlinie lassen die GuV-Position des außerordentlichen Ergebnisses, wie es derzeitig in Deutschland unter dem Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit anzugeben ist, nicht mehr zu. Der DStV machte jedoch darauf aufmerksam, dass außerordentliche Aufwendungen und Erträge entscheidende Informationen für die Bilanzanalyse enthalten und befürwortete daher eine zwingende Angabe als Aufgliederung der zugehörigen GuV-Position. Der Gesetzgeber wird sich hier jedoch mit der Angabe außergewöhnlicher Posten im Anhang begnügen. Die freiwillige Aufgliederung bleibt jedoch möglich. Eine Anpassung der Vorjahreszahlen bei erstmaliger Anwendung des neuen Gliederungsschemas soll nicht erfolgen.

Hintergrund
Die europäische Bilanzrichtlinie 2013/34/EU ersetzte die 4. und 7. EG-Richtlinie und macht Vorgaben zu den Bilanzierungsvorschriften für den Einzel- und Konzernabschluss in den Mitgliedstaaten der EU. Sie muss bis zum 16.06.2015 in nationales Recht umgesetzt werden.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 13.05.2015

 

Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung schließt gleichzeitige Versagung von Prozesskostenhilfe i. d. R. aus

Wird die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen und zeitgleich über einen Prozesskostenhilfeantrag entschieden, so ist die Prozesskostenhilfe für die abgeschlossene Instanz in aller Regel zu gewähren. Dies hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit am 22.05.2015 veröffentlichtem Beschluss entschieden. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt eine bedeutsame, bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfrage voraus. Das Fachgericht verhält sich widersprüchlich, wenn es von einem solchen Fall ausgeht, gleichwohl aber Prozesskostenhilfe versagt.

Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin war mit einem ehemaligen Finanzbeamten verheiratet. Der frühere Ehemann fingierte Steuererstattungen sowie Eigenheimzulagen durch Manipulationen im behördlichen EDV-System und bewirkte dadurch Auszahlungen auf das eheliche Gemeinschaftskonto in siebenstelliger Gesamthöhe. Deswegen wurde er im November 2008 u. a. wegen Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Finanzamt forderte die Zahlungen gesamtschuldnerisch von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann durch Rückforderungsbescheide nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück. Die hiergegen erhobene Klage der Beschwerdeführerin wies das Finanzgericht durch Urteil vom 16. April 2013 im Wesentlichen als unbegründet ab und ließ die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu. Durch Beschluss vom gleichen Tage gewährte es Prozesskostenhilfe für die erste Instanz lediglich in Höhe des geringen Teilbetrags, mit dem die Klage Erfolg hatte, und wies den Prozesskostenhilfeantrag im Übrigen zurück.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Der angegriffene Beschluss des Finanzgerichts, mit dem Prozesskostenhilfe für die erste Instanz überwiegend versagt wird, verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

1. Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Personen bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen jedoch nicht überspannt werden.

Die Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den – verfassungsgebotenen – Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit beruhen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Fachgericht eine entscheidungserhebliche, aus seiner Sicht ungeklärte Rechtsfrage bereits im Verfahren der Prozesskostenhilfe zum Nachteil unbemittelter Personen „durchentscheidet“.

2. Soweit das Finanzgericht in dem angegriffenen Beschluss die Prozesskostenhilfe überwiegend versagt hat, hält dies einer Überprüfung am vorstehend beschriebenen Maßstab nicht stand.

Ist das Finanzgericht der Auffassung, dass die Sache eine oder mehrere Fragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufwirft, und lässt es deshalb die Revision zu, sind bei zeitgleicher Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag in aller Regel die Voraussetzungen für eine rückwirkende Gewährung von Prozesskostenhilfe gegeben. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt das Vorliegen einer bedeutsamen, bisher höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage voraus, auf die es für die Entscheidung der Sache ankommt. Derartige Rechtsfragen können im Verfahren der Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht entschieden werden. Das Gericht verhält sich widersprüchlich, wenn es von einem solchen Fall ausgeht, gleichwohl aber Prozesskostenhilfe versagt. Ohne Gewährung von Prozesskostenhilfe könnte der nicht ausreichend bemittelte Kläger das erstinstanzliche Hauptsacheverfahren nicht durchlaufen; ihm bliebe so die Möglichkeit versagt, die Klärung der Grundsatzfrage zu seinen Gunsten in der Revisionsinstanz zu erstreiten. Das widerspricht in aller Regel dem Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit. Überzeugende Gründe dafür, dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, lassen sich den Entscheidungen des Finanzgerichts nicht entnehmen.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung vom 22.05.2015 zum Beschluss 1 BvR 2096/13 vom 04.05.2015

 

Bestätigung von Rechtsansichten betreffend das Reisekostenrecht

Das BMF hat mit BMF-Schreiben vom 24. Oktober 2014 (BStBl I 2014, 1412) umfassend zum neuen steuerlichen Reisekostenrecht Stellung genommen. In der Zwischenzeit sind in der Praxis weitere klärungsbedürftige Fragen aufgetreten. Diese Fragen zur Arbeitnehmersammelbeförderung und zur Verpflegung im Flugzeug, Zug oder Schiff werden in diesem Schreiben an acht Wirtschaftsverbände vom 19. Mai 2015 beantwortet:

„Vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie um Bestätigung verschiedener Aussagen zu dem ab 1. Januar 2014 geltenden Reisekostenrecht bitten. Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder kann ich Ihnen dazu Folgendes mitteilen:

1. Sammelbeförderung von Arbeitnehmern mit ständig wechselnden Tätigkeitsstätten ist weiterhin steuerfrei möglich.
Mit der Lohnsteuerrichtlinie 2015 wurde Nr. 2 der R 3.32 (Sammelbeförderung von Arbeitnehmern) gestrichen, der als notwendige und damit steuerfreie Sammelbeförderung die Fälle nannte, in denen die Arbeitnehmer an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder verschiedenen Stellen eines weiträumigen Arbeitsgebiets eingesetzt werden. Die Streichung ist lediglich eine redaktionelle Folgeänderung, da die Steuerfreiheit der Sammelbeförderung von Arbeitnehmern ohne erste Tätigkeitsstätte (mit ständig wechselnden auswärtigen Tätigkeiten) nun von § 3 Nr. 16 EStG erfasst wird und nicht mehr von § 3 Nr. 32 EStG.

BMF: Die Aussage ist zutreffend.

2. Chipstüte, Salzgebäck, Schokowaffeln, Müsliriegel oder vergleichbare Knabbereien im Flugzeug, Zug oder Schiff erfüllen nicht die Kriterien für eine Mahlzeit und führen nicht zu einer Kürzung der Verpflegungspauschale.
Im Zuge der Reform des steuerlichen Reisekostenrechts wurde u. a. auch die Behandlung der vom Arbeitgeber anlässlich einer Auswärtstätigkeit gestellten üblichen Mahlzeiten neu geregelt und zugleich gesetzlich festgelegt, dass eine Verpflegungspauschale nur noch dann steuerlich beansprucht werden kann, wenn dem Arbeitnehmer tatsächlich Mehraufwand für die jeweilige Mahlzeit entstanden ist. Im Ergebnis bedeutet dies: Wird dem Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber oder auf dessen Veranlassung von einem Dritten bei einer Auswärtstätigkeit unentgeltlich eine oder mehrere übliche Mahlzeiten (dies sind Mahlzeiten mit einem Preis von bis zu 60 Euro inkl. Getränke und Umsatzsteuer) zur Verfügung gestellt, bleiben diese Mahlzeiten unversteuert und die Verpflegungspauschalen sind entsprechend zu kürzen. Die vorzunehmende Kürzung ist dabei im Gesetz typisierend und pauschalierend festgelegt. Sie beträgt 20 % für ein Frühstück und jeweils 40 % für ein Mittag- bzw. Abendessen der Pauschale für einen vollen Kalendertag.

In Rz. 74 des ergänzten BMF-Schreibens zur Reform des steuerlichen Reisekostenrechts vom 24. Oktober 2014 (IV C 5 – S-2353 / 1410002, BStBl I 2014, 1412) wurde anknüpfend an die bisherige Rechtslage klargestellt, dass der Begriff der Mahlzeit durch die Neuregelung nicht geändert wurde. Aus steuerrechtlicher Sicht werden als Mahlzeiten daher alle Speisen und Lebensmittel angesehen, die üblicherweise der Ernährung dienen und die zum Verzehr während der Arbeitszeit oder im unmittelbaren Anschluss daran geeignet sind, somit Vor- und Nachspeisen ebenso wie Imbisse und Snacks. Eine Kürzung der steuerlichen Verpflegungspauschale ist allerdings nur vorzunehmen, wenn es sich bei der vom Arbeitgeber gestellten Mahlzeit tatsächlich um ein Frühstück, Mittag- oder Abendessen handelt.

Es kommt daher für die steuerrechtliche Würdigung nicht allein darauf an, dass dem Arbeitnehmer etwas Essbares vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird, sondern auch, ob es sich dabei um eine der im Gesetz genannten Mahlzeit handelt. So handelt es sich beispielsweise bei Kuchen, der anlässlich eines Nachmittagskaffees gereicht wird, nicht um eine der genannten Mahlzeiten und es ist keine Kürzung der Verpflegungspauschale vorzunehmen. Auch die z. B. auf innerdeutschen Flügen oder Kurzstrecken-Flügen gereichten kleinen Tüten mit Chips, Salzgebäck, Schokowaffeln, Müsliriegel oder vergleichbare andere Knabbereien erfüllen nicht die Kriterien für eine Mahlzeit und führen somit zu keiner Kürzung der Pauschalen. In der Praxis obliegt es vorrangig dem jeweiligen Arbeitgeber, zu beurteilen, inwieweit die von ihm angebotenen Speisen unter Berücksichtigung z. B. ihres jeweiligen Umfangs, des entsprechenden Anlasses oder der Tageszeit tatsächlich an die Stelle einer der genannten Mahlzeiten treten. Im Hinblick darauf, dass die Frage der steuerlichen Behandlung von unentgeltlich angebotenen Mahlzeiten im Flugzeug, Schiff oder Zug nach den neuen gesetzlichen Regelungen bis zur Veröffentlichung des ergänzten BMF-Schreibens am 24. Oktober 2014 nicht abschließend beantwortet worden war, ist dies aus Vertrauensschutzgründen erst ab 1. Januar 2015 zu beachten.

BMF: Die Aussage ist zutreffend.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 5 – S-2353 / 15 / 10002 vom 19.05.2015

 

örtliche Zuständigkeit in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs

Niedersächsisches Finanzgericht 14. Senat, Beschluss vom 23.03.2015, 14 K 93/14

§ 38 Abs 2a FGO, § 17a Abs 2 GVG

Gründe

I.

1
Der Kläger, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in A, begehrt die Auszahlung von Kindergeld für den am 16. April 1977 geborenen X im Wege der Abzweigung.

2
Mit Bescheid vom 4. Juli 2013 lehnte die Beklagte (die Familienkasse) das Kindergeld für X ab, weil weder dessen kindergeldberechtigter Vater, Y, noch der Kläger die zur Feststellung des Kindergeldanspruchs erforderlichen Unterlagen eingereicht hatten. Der Einspruch des Klägers wurde als unbegründet zurückwiesen, da er die Behinderung von X und damit dessen Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht nachgewiesen habe.

3
Hiergegen richtet sich die beim Niedersächsischen Finanzgericht erhobene Klage.

4
Mit Schreiben vom 27. August 2014 äußerte die Familienkasse im Hinblick auf § 38 Abs. 2a Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Der Kläger hat sich zu der Problematik einschließlich der beabsichtigten Verweisung an das Finanzgericht Münster nicht geäußert.

II.

5
Das Niedersächsische Finanzgericht ist örtlich nicht zuständig.

6
1. Nach § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO ist für ab 1. Mai 2013 anhängige Verfahren in Angelegenheiten des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 EStG das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat der Kläger im Inland keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt, ist das Finanzgericht zuständig, in dessen Bezirk die Behörde, gegen welche die Klage gerichtet ist, ihren Sitz hat (§ 38 Abs. 2a Satz 2 FGO).

7
a) Mit dieser zeitlich befristeten Sonderregelung hat der Gesetzgeber auf die Neuorganisation der Familienkassen der Bundesagentur für Arbeit reagiert, bei der die Zahl der örtlichen Familienkassen drastisch reduziert wurde, da es ohne diese Änderung zu Ungleichgewichten in Kindergeldsachen gekommen wäre (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 38 FGO Rz. 4).

8
b) Vor dem Hintergrund, dass die Änderung der örtlichen Zuständigkeit der Bürgerfreundlichkeit dienen sollte (vgl. BT-Drucks 17/12535, S. 4; BT-Drucks 17/13034, S. 7), sieht es der beschließende Senat als sachgerecht an, die örtliche Zuständigkeit in dem vom Gesetzgeber nicht bedachten Fall, dass die Auszahlung des Kindergeldes nicht von dem Kindergeldberechtigten, sondern nach § 67 Satz 2, § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG von der unterhaltsgewährenden Stelle begehrt wird, unter sinngemäßer Anwendung des § 38 Abs. 2a Satz 1 FGO und nicht nach § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO zu bestimmen.

9
Nach Sinn und Zweck der Regelung tritt deshalb für den Fall, dass es sich bei dem Kläger nicht um eine natürliche Person, sondern –wie vorliegend– um eine juristische Person handelt, an Stelle des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts der Sitz i.S. des § 11 der Abgabenordnung. Denn diese Regelung entspricht in ihrer Funktion der Wohnsitzregelung bei natürlichen Personen (Gersch in Klein, AO, 12. Aufl., § 11 Rz. 1).

10
Es ist auch ansonsten kein Grund ersichtlich, warum es in dem Fall, dass eine juristische Person auf Kindergeld klagt, weiter bei dem in § 38 Abs. 1 FGO verankerten Behördenprinzip bleiben sollte. Durch die Sonderregelung in § 38 Abs. 2a FGO sollte auch dem Umstand entgegengewirkt werden, dass sich durch die Neuorganisation der Familienkassen andernfalls für die Kläger in Kindergeldsachen häufig deutlich längere Anfahrtswege ergeben hätten, obwohl gerade bei dem Kindergeld als im Steuerrecht verankerter Sozialleistung ein bürgernaher Rechtsschutz geboten ist (vgl. von Beckerath in Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 38 FGO Rz. 16). Hiervon kann auch eine im berechtigten Interesse auf Auszahlung des Kindergeldes klagende Körperschaft betroffen sein.

11
Bei dem Behördenprinzip sollte es nach der Rückausnahme in § 38 Abs. 2a Satz 2 FGO erkennbar nur in „Auslandsfällen“ verbleiben, da in diesen Fällen ein bürgernaher Rechtsschutz von vornherein nicht möglich ist.

12
2. Der Kläger hat seinen Sitz in A, so dass für das vorliegende Klageverfahren das Finanzgericht Münster zuständig ist. Der Rechtsstreit war deshalb nach Anhörung der Beteiligten an dieses zu verweisen (§ 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes).

Zu den Anforderungen an die Bildung gewillkürten Betriebsvermögens bei Geldanlagen von Freiberuflern.

Tatbestand

1
Strittig ist, ob der Erlös aus der Veräußerung von Aktien im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Klägerin zu erfassen ist.

2
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Es handelt sich hierbei um den Zusammenschluss von Ingenieuren, Biologen und Geoökologen mit einem Büro für tech-nische Fachplanung. Die Klägerin erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Ihren Gewinn ermittelt sie durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommen-steuergesetzes (EStG).

3
Der Beklagte veranlagte die Klägerin zunächst mit Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vom 07.02.2008 im Wesentlichen erklärungsgemäß. Dieser Bescheid erging gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

4
Der Beklagte führte bei der Klägerin eine Außenprüfung durch. Der Prüfer stellte fest, dass im Prüfungszeitraum auf den Namen der Klägerin ein Wertpapierdepot bei der Sparkasse C geführt wurde. Das Depot enthielt u.a. Aktien der X-AG und der Y-AG, die in den Jahren 1997/1998 angeschafft und aus Praxiseinnahmen bezahlt worden waren.

5
Die Klägerin buchte die jährlichen Dividenden als betriebliche Erträge und übernahm diese in ihre Einnahme-Überschuss-Rechnung. Die Erträge aus der Veräußerung dieser Wertpapiere im Jahre 2006 sah die Klägerin dagegen nicht als betrieblich an.

6
Dies beanstandete die Außenprüfung. Der Prüfer vertrat die Auffassung, die Veräußerung der Wertpapiere sei ein betrieblicher Vorgang und ermittelte einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 16.526,80 EUR. Die Einkünfte der Klägerin erhöhte er gemäß § 3 Nr. 40 und § 3 c Abs. 2 EStG im sog. Halbeinkünfteverfahren um 8.263,40 EUR.

7
Der Beklagte folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ am 22.04.2009 einen gemäß § 164 Abs. 2 AO entsprechend geänderten Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2006.

8
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein mit der Begründung, der Veräußerungsgewinn sei unberücksichtigt zu lassen, weil dieser nicht steuerpflichtig sei. Die Wertpapiere hätten nicht in das Betriebsvermögen eingelegt werden dürfen. Sie beruft sich hierzu auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 25.09.2008, 15 K 1235/04. Gegen dieses Urteil sei eine Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) unter dem Aktenzeichen VIII R 18/09 anhängig. Der Beklagte stellte das Einspruchsverfahren mit Zustimmung der Klägerin ruhend bis zur Entscheidung des BFH über dieses Verfahren. Dieser entschied in diesem Verfahren durch Urteil vom 08.02.2011. Daraufhin nahm der Beklagte das Verfahren wieder auf.

9
Die Klägerin verwies auf ein weiteres Verfahren beim BFH unter dem Aktenzeichen VIII R 1/08. In seinem Urteil vom 17.05.2011 habe der BFH entschieden, dass Wertpapiere in das Betriebsvermögen eines Arztes eingelegt werden könnten, wenn ihre Anschaffung, das Halten und ihr Verkauf ein Hilfsgeschäft der freiberuflichen Tätigkeit darstellten, zum Beispiel in Form eines verbindlich vereinbarten Finanzierungskonzepts für den ärztlichen Betrieb. Der BFH verwies das Verfahren zurück an das Finanzgericht Baden-Württemberg, um fehlende tatsächliche Feststellungen im konkreten Fall nachzuholen. Die Klägerin beantragte, das Einspruchsverfahren zumindest bis zur Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg weiter ruhen zu lassen. Der Beklagte lehnte diesen Antrag ab.

10
Mit Einspruchsentscheidung vom 23.12.2011 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Erlös aus der Veräußerung der streitbefangenen Wertpapiere sei zu Recht als Betriebseinnahme der Klägerin erfasst worden. Der BFH habe in den beiden oben angeführten Urteilen entschieden, dass Wertpapiere unter bestimmten Voraus-setzungen dem gewillkürten Betriebsvermögen eines Freiberuflers zugeordnet werden könnten. Nach dem BFH-Urteil vom 08.02.2011, VIII R 18/09 müssten die Wertpapiere ihrer Art nach objektiv geeignet sein, dem Betrieb zu dienen, ihn zu fördern und subjektiv von ihrem Eigentümer dazu bestimmt sein. Dies erfordere einen nach außen erkennbaren           -eindeutig nach außen verbindlich manifestierten, d.h. unmissverständlich, zeitnah und unumkehrbar dokumentierten- Widmungsakt des Wirtschaftsguts für den Einsatz zur Erzielung freiberuflicher Einkünfte (BFH vom 23.04.2009, IV R 87/05). Nach dem BFH-Urteil vom 17.05.2011, VIII R 1/08 könnten Wertpapiere in das Betriebsvermögen eines Arztes eingelegt werden, wenn ihre Anschaffung, das Halten und ihr Verkauf ein Hilfsgeschäft der freiberuflichen Tätigkeit darstellen, zum Beispiel in Form eines verbindlich vereinbarten Finanzierungskonzepts für den ärztlichen Betrieb.

11
Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, sei bereits deshalb nicht erforderlich, weil es sich bei der Klägerin um eine Personengesellschaft handele, die nach ständiger Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte kein gewillkürtes Betriebsvermögen haben könne (BFH vom 30.06.1987, VIII R 353/82, 27.04.1990, X B 11/89, 20.05.1994, VIII B 115/93 und vom 09.05.1996, IV R 64/93, und FG Hamburg vom 23.02.2000, VII 197/97). Bei einer GbR werde ein Wirtschaftsgut dadurch Betriebsvermögen, dass ein örtlicher Bezug zum Betrieb hergestellt werde. Sei ein Wirtschaftsgut Betriebs-vermögen geworden, verliere es diese Eigenschaft bis zur Betriebsbeendigung nur durch Lösung des persönlichen oder betrieblichen Zusammenhangs, zum Beispiel durch Veräußerung gegen Entgelt. Das Ausscheiden eines Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen durch Veräußerung führe in der Regel im Wirtschaftsjahr des Ausscheidens zur Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven. Vorliegend habe die Klägerin die Wertpapiere auf den Namen der Gemeinschaft erworben, aus gemeinsamen Mitteln bezahlt und als Gemeinschaft veräußert. Die Wertpapiere seien auch buchmäßig dem Betrieb zugeordnet worden, so dass von Betriebsvermögen und nicht von Privat-vermögen auszugehen sei. Der Veräußerungsgewinn sei als Betriebseinnahme der Klägerin zu erfassen.

12
Hiergegen richtet sich die erhobene Klage.

13
Zur Klagebegründung macht die Klägerin geltend: Die streitbefangenen Wertpapiere gehörten nach Auffassung der aktuellen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 17.05.2011, VIII R 1/08 i.V.m. dem Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 11.10.2007, V K 231/04) nicht zum Betriebsvermögen der Klägerin.

14
Die Klägerin vertritt die Ansicht, der Veräußerungsgewinn sei nicht im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte anzusetzen. Die Tatsache, dass die Erträge aus den streitbefangenen Wertpapieren in der Einnahme-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG der Klägerin enthalten seien, sei nicht entscheidend, da ihre Verbuchung im vorliegenden Fall lediglich aus Vereinfachungsgründen erfolgt sei.

15
In dem Urteil des BFH vom 17.05.2011, VIII R 1/08 sei darauf hingewiesen worden, dass sich Geldgeschäfte von Freiberuflern -zu denen auch die Wertpapiergeschäfte der Klägerin zählten- nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen als betriebliche Vorgänge dar-stellen ließen. Maßgeblich seien ausschließlich betriebliche Gründe, um die Geldgeschäfte als Betriebsvermögen zu qualifizieren. Ein solcher Zusammenhang werde insbesondere nicht gesehen, wenn Wertpapiere aus betrieblichen Mitteln erworben worden seien und diese nicht im Zusammenhang mit der Absicherung von betrieblichen Darlehen verwendet würden, noch dass die Geldgeschäfte in der Gewinnermittlung ausgewiesen worden seien. Unter Beachtung dieses Urteils seien die Geldgeschäfte der Klägerin grundsätzlich getrennt von den sonstigen freiberuflichen Einkünften der Klägerin zu beurteilen.

16
Der Klägerin sei es bei den Geldgeschäften ausschließlich auf den Ertrag aus den Kapitalanlagen angekommen. Nach dem BFH-Urteil vom 17.05.2011, VIII R 1/08  sei auch der Hinweis des Beklagten auf die mögliche Liquiditätsreserve, die die Klägerin gebildet haben solle, da sie ohne konkrete Investitionsplanung vorgetragen worden sei, kein Grund, um Hilfsgeschäfte für die freiberufliche Tätigkeit der Klägerin zu begründen.

17
Die Klägerin beantragt,

18
den Bescheid für 2006 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen in der Fassung des Einspruchsbescheides dahin-gehend zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um insgesamt 8.263,40 EUR niedriger festgesetzt werden.

19
Der Beklagte beantragt,

20
die Klage abzuweisen.

21
Er hält an seiner bereits im Einspruchsverfahren vertretenen Rechtsauffassung fest.

22
Mit der Erfassung der Dividenden in den Einnahme-Überschuss-Rechnungen habe die Klägerin die Zuordnung der Wertpapiere zum Betriebsvermögen nach außen hin getroffen. Die Wertpapiere stellten für die Klägerin eine Kapital-/ Liquiditätsreserve dar. Gleichzeitig dienten die Wertpapiere der Klägerin als Renditeobjekte.

23
Das Gericht hat mit Beschluss vom … die im Streitjahr aus der Klägerin ausgeschiedene Gesellschafterin … gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig zum Klageverfahren beigeladen. Sowohl die Klägerin und der Beklagte als auch die Beigeladene haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

24
Der Senat konnte mit Einverständnis aller Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).

25
I. Die Klage ist begründet.

26
Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für 2006 in Gestalt des Einspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

27
Der Beklagte hat zu Unrecht den Gewinn aus der Veräußerung von Wertpapieren i.H.v. 16.526,80 EUR gemäß § 3 Nr. 40 und § 3 c Abs. 2 EStG nach dem sog. Halbeinkünfte-verfahren i.H.v. 8.263,40 EUR gewinnerhöhend berücksichtigt.

28
1. Die Veräußerung der streitbefangenen Wertpapiere stellt keinen betrieblichen Vorgang dar.

29
Unstreitig ist, dass die Klägerin als Personengesellschaft (anders als eine Kapitalgesell-schaft) auch andere als gewerbliche -wie vorliegend selbständige- Einkünfte erzielen kann. Das zum Betrieb der Klägerin eingesetzte Vermögen zählt daher zum nichtgewerblichen Betriebsvermögen.

30
Gegenstand des Betriebsvermögens, das für die Gewinnermittlung gemäß §§ 4 Abs. 1, 5 EStG zugrunde zu legen ist, können Wirtschaftsgüter aller Art sein. Betriebsvermögen wird herkömmlich in notwendiges und gewillkürtes Betriebsvermögen unterteilt. Wirtschaftsgüter, die nach Art und Einsatz im Betrieb eine besonders enge betriebliche Beziehung aufweisen, sind dem notwendigen Betriebsvermögen zuzuordnen. Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige für Zwecke der privaten Lebensführung verwendet, sind (notwendiges) Privatvermögen. Fehlt eine solche eindeutige Beziehung zum einen oder anderen Bereich, steht es dem Unternehmer weitgehend frei zu bestimmen, ob er das zunächst neutrale Wirtschaftsgut der Förderung betrieblicher Zwecke widmen will oder nicht (Heinicke in Schmidt, EStG, Kommentar, 33. Aufl. 2014, § 4 Rn. 103). Ein Wirtschaftsgut kann zum (gewillkürten) Betriebsvermögen gehören, wenn es objektiv geeignet und vom Betriebsinhaber subjektiv dazu bestimmt ist, den Betrieb zu fördern und ihm zu dienen (BFH-Urteile vom 15.07.1960, VI 10/60 S, BStBl III 1960, 484; vom 15.04.1981, IV R 129/78, BStBl II 1981, 618). Die Steuerpflichtigen haben kein freies Wahlrecht, gewillkürtes Betriebsvermögen oder Privatvermögen zu bilden. Vielmehr muss auch die Bildung gewillkürten Betriebsvermögens betrieblich veranlasst sein; sie muss ihr auslösendes Moment im Betrieb haben. Deshalb muss der Steuerpflichtige darlegen, welche Beziehung das Wirtschaftsgut zum Betrieb hat und welche vernünftigen wirtschaftlichen Überlegungen ihn veranlasst haben, das Wirtschaftsgut als Betriebsvermögen zu behandeln (BFH-Urteil vom 24.02.2000, IV R 6/99, BStBl II 2000, 297).

31
Im Streitfall ist die Behandlung der Wertpapiere als Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin den Gewinn durch Einnahme-Überschuss-Rechnung ermittelt. Nach neuerer Rechtsprechung, der der erkennende Senat folgt, gelten diese Grundsätze auch bei Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG. Eine unterschiedliche Behandlung von notwendigem und gewillkürtem Betriebsvermögen bei den einzelnen Gewinnermittlungsarten ist vom Gesetz nicht gedeckt, das in § 4 Abs. 3 EStG keinen anderen Betriebsvermögensbegriff anordnet als § 4 Abs. 1 EStG. Eine Differenzierung nach der Gewinnermittlungsart führte zu unterschiedlichen Gesamtgewinnen, für die es keine sachliche Rechtfertigung gibt (BFH-Urteil vom 02.10.2003, IV R 13/03, BStBl II 2004, 985).

32
a. Wirtschaftsgüter gehören zum notwendigen Betriebsvermögen, wenn sie dem Betrieb dergestalt unmittelbar dienen, dass sie objektiv erkennbar zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb selbst bestimmt sind; dabei wird nicht vorausgesetzt, dass sie für den Betrieb notwendig im Sinne von „erforderlich“ sind (BFH-Urteile vom 01.10.1981, IV R 147/79, BStBl II 1982, 250; vom 03.10.1989, VIII R 328/84, BFH/NV 1990, 361; Schmidt/Heinicke, EStG, 33. Aufl. 2014, § 4 Rn. 104). Abzustellen ist auf die tatsächliche Zweckbestimmung, also die konkrete Funktion des Wirtschaftsguts im Betrieb (vgl. BFH-Urteil vom 22.01.1981, IV R 107/77, BStBl II 1981, 564, 566).

33
Nach ihrer tatsächlichen Zweckbestimmung sind die streitbefangenen Wertpapiere grundsätzlich nicht zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb der Klägerin (technische Fach-planung) bestimmt, so dass sie nicht als notwendiges Betriebsvermögen einzustufen sind. Die Qualifizierung als notwendiges Betriebsvermögen scheitert daran, dass die streitbefangenen Wertpapiere nicht dem Betrieb der technischen Fachplanung der Klägerin in dem Sinne dienen, dass sie objektiv erkennbar zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb selbst bestimmt sind.

34
Wirtschaftsgüter, die dem Betrieb wesensfremd sind und bei denen eine eindeutige sachliche Beziehung zum Betrieb fehlt, können kein Betriebsvermögen sein (Urteile des BFH vom 23.09.2009, IV R 5/07, BFH/NV 2010, 612 m.w.N.; vom 28.07.1994, IV R 80/92, BFH/NV 1995, 288 m.w.N.).

35
Auch wenn die streitbefangenen Wertpapiere vorliegend Gesamthandsvermögen darstellen, sind sie dadurch nicht zwingend notwendiges Betriebsvermögen.

36
b. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können auch Freiberufler grundsätzlich gewillkürtes Betriebsvermögen bilden (BFH-Urteil vom 02.10.2003, IV R 13/03, BStBl II 2004, 985 m.w.N. zur früheren abweichenden Rechtsprechung). Dies gilt für Geldgeschäfte  -wie vorliegend der Erwerb von Wertpapieren- aber nur, wenn dafür ausschließlich betriebliche Gründe maßgeblich sind (BFH-Beschluss vom 10.06.1998, IV B 54/97, BFH/NV 1998, 1477 unter Bezugnahme auf BFH-Urteil vom 24.08.1989, IV R 80/88, BStBl II 1990, 17, und unter Aufgabe der früheren Auffassung in den Urteilen vom 22.01.1981, IV R 107/77, BStBl II 1981, 564; vom 15.12.1999, XI R 11/99, BFH/NV 2000, 708; vom 23.09.2009, IV R 14/07, BStBl II 2010, 227; BFH-Beschlüsse vom 26.09.2007, VIII B 216/06, BFH/NV 2008, 42; vom 29.01.2009, III B 123/07, BFH/NV 2009, 916).

37
Da eine selbständige Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG dadurch charakterisiert ist, dass die eigene Arbeitskraft sowie das geistige Vermögen eingesetzt und in der Regel durch eine besonders qualifizierte Ausbildung erworbene Kenntnisse verwertet werden, nicht dagegen durch einen erheblichen Kapitaleinsatz, sind an den Nachweis der Betriebsbezogenheit bei der Bildung gewillkürten Betriebsvermögens strenge Anforderungen zu stellen, wenn Geldanlagen als gewillkürtes Betriebsvermögen eines Freiberuflers behandelt werden sollen (BFH-Urteil vom 24.02.2000, IV R 6/99, BStBl II 2000, 297; BFH-Urteil vom 31.05.2001, IV R 49/00, BStBl II 2001, 828). Denn Geldgeschäfte, die ihrer Art nach zu Einkünften i.S.d. § 20 EStG führen, können zwar gewerbliche Einkünfte sein, erfüllen aber regelmäßig nicht die Anforderungen an eine selbständige Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG.

38
Für einen derartigen unmittelbaren Zusammenhang der Wertpapiere mit dem freiberuflichen Betrieb reicht es weder aus, dass die Wertpapiere aus betrieblichen Mitteln erworben worden sind (BFH-Urteil vom 17.05.2011, VIII R 1/08, BStBl II 2011, 862 unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 06.03.1991, X R 57/88, BStBl II 1991, 829), noch dass sie in der Gewinnermittlung ausgewiesen sind (BFH-Urteil vom 17.05.2011, VIII R 1/08, BStBl II 2011, 862 unter Hinweis auf den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 04.07.1990, GrS 2-3/88, BStBl II 1990, 817), noch dass sie als Sicherheit für betriebliche Schulden dienen (BFH-Urteil vom 17.05.2011, VIII R 1/08, BStBl II 2011, 862 unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 04.04.1973, I R 159/71, BStBl II 1973, 628; vom 10.11.2004, XI R 32/01, BStBl II 2005, 431; vom 17.01.2006, VIII R 60/02, BStBl 2006, 434).

39
Daher sind Geldgeschäfte, die ihrer Art nach zu Einkünften i.S. des § 20 EStG führen, der persönlichkeitsbezogenen freiberuflichen Tätigkeit grundsätzlich wesensfremd und daher grundsätzlich getrennt von der freiberuflichen Tätigkeit zu beurteilen (BFH-Urteil vom 17.05.2011, VIII R 1/08, BStBl II 2011, 862 unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 23.05.1985, IV R 198/83, BStBl II 1985, 517; vom 31.05.2001, IV R 49/00, BStBl II 2001, 828; vom 12.01.2010, VIII R 34/07, BStBl II 2010, 612), insbesondere wenn es dem Steuerpflichtigen im Wesentlichen auf den Ertrag aus der Kapitalanlage ankommt (BFH-Urteil vom 12.01.2010, VIII R 34/07, BStBl II 2010, 612 m.w.N.). Den Einkünften aus selbständiger Arbeit sind sie nur zuzurechnen, wenn sie als Hilfsgeschäft zur freiberuflichen Tätigkeit angesehen werden können.

40
Ein solches Hilfsgeschäft kann z.B. vorliegen, wenn ein als Sicherheit für betriebliche Schulden verpfändetes Wertpapierdepot in seiner Verwendung so festgelegt ist, dass es aus der Sicht der kreditgebenden Bank untrennbarer Bestandteil eines Finanzierungskonzepts für den freiberuflichen Betrieb ist, das über die Verwendung des Depots als Kreditsicherheit hinausgeht (BFH-Urteil vom 03.03.2011, IV R 45/08, BStBl II 2011, 552 zum Abschluss einer Lebensversicherung durch eine Personengesellschaft, um Mittel für die Tilgung betrieblicher Kredite anzusparen).

41
Der Charakter als Hilfsgeschäft der freiberuflichen Tätigkeit kann nicht allein aus dem Einsatz des Wertpapiergeschäftes als beabsichtigte Liquiditätsreserve -ohne konkrete Investitionsplanung- gefolgert werden (Urteil des BFH vom 17.05.2011, VIII R 1/08, BStBl II 2011, 862). Allein die Absicht des Innehabens einer Liquiditätsreserve genügt insoweit nicht.

42
Diesen Grundsätzen folgend sind nach Ansicht des erkennenden Senates die streitbe-fangenen Wertpapiere nicht als gewillkürtes Betriebsvermögen der freiberuflich tätigen Klägerin zu qualifizieren.

43
Die Klägerin trägt selbst vor, dass es ihr bei den Geldgeschäften ausschließlich auf den Ertrag aus den Kapitalanlagen angekommen ist. Indizien, die gegen diese Absicht sprechen, hat der Beklagte im Rahmen der Außenprüfung nicht festgestellt.

44
Die Tatsache, dass die streitbefangenen Wertpapiere aus Praxiseinnahmen angeschafft und die Dividenden in der Einnahme-Überschuss-Rechnung der Klägerin erfasst worden sind, genügt nach der oben zitierten Rechtsprechung nicht, um einen unmittelbaren Zusammenhang mit der freiberuflichen Tätigkeit anzunehmen.

45
Auch kann der Charakter als Hilfsgeschäft der freiberuflichen Tätigkeit nicht allein aus dem Einsatz des Wertpapiergeschäftes als beabsichtigte Liquiditätsreserve -ohne konkrete Investitionsplanung- gefolgert werden (Urteil des BFH vom 17.05.2011, VIII R 1/08, BStBl II 2011, 862). Die Einbeziehung der Wertpapiere in eine konkrete Investitionsplanung (z.B. Anschaffung von Büromöbeln o.ä.) ist weder vorgetragen noch lässt sich eine solche nach Aktenlage erkennen. Wofür der Gewinn aus der Veräußerung der Wertpapiere verwendet worden ist, lässt sich gerade nicht erkennen. Die Absicht des Innehabens einer Liquiditätsreserve bzw. die bloße Verstärkung des Betriebskapitals genügt insoweit vorliegend jedenfalls nicht.

46
2. Die dargestellten Rechtsgrundsätze gelten nach Ansicht des erkennenden Senates auch für Personengesellschaften.

47
Der Beklagte weist zutreffend daraufhin, dass der BFH in der Vergangenheit entschieden hat, dass Personengesellschaften kein gewillkürtes Betriebsvermögen haben können (so: BFH-Beschlüsse vom 27.4.1990, X B 11/89, BFH/NV 1990; vom 20.5.1994 VIII B 115/93, BFH/NV 1995, 101), wohl aber in Ausnahmefällen notwendiges Privatvermögen (Urteil des BFH vom 13.10.1998, VIII R 61/96, BFH/NV 1999, 463). Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein Wirtschaftsgut einer Personengesellschaft erkennbar keinen Nutzen, sondern nur Nachteile bringen kann (BFH-Urteil vom 9.5.1996, IV R 64/93, BStBl II 1996, 642).

48
Eine Qualifizierung als notwendiges Privatvermögen scheidet hier vor dem Hintergrund aus, dass nicht von vornherein erkennbar gewesen ist, dass die streitbefangenen Wertpapiere der Klägerin erkennbar keinen Nutzen, sondern nur Nachteile gebracht hätten. Es ist gerade nicht von vornherein erkennbar gewesen, dass der Klägerin eine Betriebsschädlichkeit drohte, die eine Qualifizierung als notwendiges Privatvermögen gerechtfertigt hätte, da die Klägerin keine außergewöhnlich riskanten oder spekulativen Wertpapieranlagen gewählt hat, sondern Aktien der X-AG und der Y-AG als große renommierte Firmen mit stabilen Wertentwicklungen (vgl. zu Options- und Devisengeschäften: BFH-Urteil vom 19.02.1997, XI R 1/96, BStBl II 1997, 399).

49
An der Aussage, dass Personengesellschaften kein gewillkürtes Betriebsvermögen haben können, hält der BFH nach Ansicht des erkennenden Senates nicht uneingeschränkt fest.

50
In seinem Urteil vom 20.04.1999, VIII R 63/96, BStBl II 1999, 466 entschied der BFH im Falle einer gewerblich tätigen Kommanditgesellschaft (KG), dass die Zuordnung branchenuntypischer Geschäfte (im entschiedenen Fall: risikobehaftete (Devisen-) Termingeschäfte) zum gewillkürten Betriebsvermögen nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint; insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich Verluste nicht bereits bei Abschluss der betreffenden Terminkontrakte abgezeichnet hätten.

51
Da -wie bereits ausgeführt- nicht von vornherein erkennbar gewesen ist, dass die streitbe-fangenen Wertpapiere der Klägerin keinen Nutzen bringen würden, was sie letztendlich auch nicht taten, da aus deren Veräußerung im Jahre 2006 ein Gewinn i.H.v. 16.528,80 EUR erzielt worden ist, steht dies der grundsätzlichen Annahme des Senates, dass gewillkürtes Betriebsvermögen auch bei der Klägerin angenommen werden kann, nicht entgegen.

52
Da die Zuordnung der streitbefangenen Wertpapiere vorliegend jedoch an den von der Rechtsprechung des BFH aufgestellten strengen Anforderungen, die an die Bildung gewillkürten Betriebsvermögens von Geldanlagen bei Freiberuflern zu stellen sind, scheitert, ist der Klage stattzugeben.

53
II. Die Kostenentscheidung ergeht nach § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gemäß §§ 151 Abs. 3, 155 Satz 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

54
III. Eine Kostenerstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen (vgl. § 139 Abs. 4 FGO) kommt nicht in Betracht, da die Beigeladene keinen eigenen Sachantrag gestellt und das Verfahren nicht wesentlich gefördert hat.

55
IV. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Polizeibeamter kann nach Dienstreisegrundsätzen Kosten geltend machen.

Niedersächsisches Finanzgericht 11. Senat, Urteil vom 11.12.2014, 11 K 70/14

§ 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist der Werbungskostenabzug von Fahrtkosten und von Verpflegungsmehraufwendungen.

2
Der Kläger ist Polizeibeamter. Er erzielte aus dieser Tätigkeit in den Streitjahren 2011 und 2012 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mit seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre beantragte er, die Kosten für die Fahrten zum Polizeikommissariat X nicht mit der sog. Pendlerpauschale, sondern nach Dienstreisegrundsätzen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit anzusetzen. Er machte insoweit Fahrtkosten in Höhe von 1.928 EUR (2011) und 1.816 EUR (2012) geltend. Darüber hinaus erklärte er damit im Zusammenhang stehende Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.344 EUR (2011) und 1.338 EUR (2012) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit. Im Einzelnen setzen sich diese Aufwendungen wie folgt zusammen:

3
Fahrtkosten 2011
149 Tage x 12 km x 0,60 EUR/km = 1.072,60 EUR
75 Tage x 19 km x 0,60 EUR/km= 855,00 EUR
Summe 1.927,60 EUR
Fahrtkosten 2012
173 Tage x 12 km x 0,60 EUR/km = 1.245,60 EUR
50 Tage x 19 km x 0,60 EUR/km= 570,00 EUR
Summe 1.815,60 EUR
Verpflegungsmehraufwendungen 2011
224 Tage x 6 EUR/Tag= 1.344 EUR
Verpflegungsmehraufwendungen 2012
223 Tage x 6 EUR/Tag= 1.338 EUR
4
Der Beklagte lehnte dies mit den Einkommensteuerbescheiden 2011 und 2012 vom 11. Dezember 2013 ab. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein, der mit Einspruchsbescheid vom 25. Juli 2014 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dagegen erhob er Klage.

5
Der Kläger trägt vor, dass seine Polizeidiensttätigkeit sehr überwiegend eine Außendiensttätigkeit sei. Der BFH habe seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung der Begriffe der regelmäßigen Arbeitsstätte und Auswärtstätigkeit grundlegend geändert. Da es sich bei der Tätigkeit des Klägers im Außendienst um eine Tätigkeit handelt, die in keiner ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers stattfinde, fehle es an einer regelmäßigen Arbeitsstätte. Die Folge sei daher, dass in diesen Fällen die Tätigkeiten als Auswärtstätigkeiten zu beurteilen seien. Die Tätigkeit an der Dienststelle X beschränke sich im Wesentlichen auf Vor- und Nacharbeitung des Außeneinsatzes. Im Außendienst befinde sich daher der qualitative Schwerpunkt, so dass die Dienststelle in X von vornherein als regelmäßige Arbeitsstätte ausscheide. Auf die Zuordnung zur Dienststelle X komme es nicht an.

6
Der Kläger beantragt,

7
die Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 vom 11. Dezember 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 2014 der Gestalt zu ändern, dass Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Rahmen einer Auswärtstätigkeit in Höhe von 1.928 EUR für 2011 und 1.816 EUR für 2012 und damit im Zusammenhang stehende Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.344 EUR für 2011 und 1.338 EUR für 2012 als Werbungskosten berücksichtigt werden und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.

8
Der Beklagte beantragt,

9
die Klage abzuweisen.

10
Der Beklagte trägt vor, dass sich zwar der zeitliche Tätigkeitsschwerpunkt außerhalb der Dienststelle befinde; jedoch sei dies nicht entscheidend. Dies ergebe sich auch aus einer Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts zu einem vergleichbaren Fall (s. Urt. v. 22. Mai 2014 – 10 K 109/13). Dienstbeginn und Dienstende seien immer im Polizeikommissariat Georgsmarienhütte.

Entscheidungsgründe

11
I. Die Klage ist begründet. Die Einkommensteuerbescheide 2011 und 2012 vom 11. Dezember 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 2014 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).

12
Die Dienststelle in X stellt für den Kläger keine regelmäßige Arbeitsstätte dar. Der Kläger kann deshalb seine Fahrtkosten nach Dienstreisegrundsätzen geltend machen und Verpflegungsmehraufwendungen für die Zeit der Abwesenheit von seiner Wohnung abziehen. Er kann daher bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit  statt der Fahrtkosten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) Fahrtkosten in Höhe von 1.928 EUR für 2011 und 1.816 EUR für 2012 geltend machen. Darüber hinaus kann er Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.344 EUR für 2011 und 1.338 EUR für 2012 als Werbungskosten bei dieser Einkunftsquelle ansetzen.

13
1. Werbungskosten sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der für die Streitjahre 2011 und 2012 geltenden Gesetzesfassung (s. Änderung ab Veranlagungszeitraum 2014 durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts v. 20. Februar 2013 – BGBl. I 2013, 285 -) auch die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG a.F.). Nach früherem Gesetzeswortlaut bezog sich die Abzugsbeschränkung auf „Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte“. Mit Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I 2006, 1652) ist der Gesetzeswortlaut um das Adjektiv „regelmäßig“ ergänzt worden.

14
Demgegenüber kann der Steuerpflichtige die Aufwendungen für beruflich veranlasste Fahrten zu auswärtigen Tätigkeitsstätten, die keine regelmäßigen Arbeitsstätten darstellen, nach dem allgemeinen Werbungskostenbegriff des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich der Höhe nach unbeschränkt abziehen. Der Steuerpflichtige kann hierbei auch – wie im Streitfall der Kläger – die Fahrtkostenpauschale nach H 9.5 Stichwort „Pauschale Kilometersätze“ Lohnsteuerrichtlinien von 0,30 EUR je Streckenkilometer in Ansatz bringen, sofern der Ansatz dieses Pauschalsatzes nicht – wovon im Streitfall angesichts einer Gesamtfahrstrecke, die der Kläger geltend macht, nicht auszugehen ist – zu einer offen-sichtlich unzutreffenden Besteuerung führt.

15
2. Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG kann der Steuerpflichtige Pauschbe-träge für Mehraufwendungen für die Verpflegung abziehen, wenn er wegen einer vo-rübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt entfernt tätig wird. Der Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG) entspricht dem Begriff der (regelmäßigen) Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (BFH-Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Aus dem Erfordernis, dass der Steuerpflichtige beruflich veranlasst außerhalb seines Tätigkeitsmittelpunkts tätig sein muss, folgt somit, dass bei Einsatz des Arbeitnehmers an der regelmäßigen Arbeitsstätte ein Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen ausscheidet (Niedersächsisches FG Urt. v. 15. April 2011 3 K 169/10, EFG 2011, 1774).

16
3.  Regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a. F. ist (nur) der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers und damit der Ort, an dem der Arbeitnehmer seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, also fortdauernd und immer wieder aufsucht (BFH-Urt. v. 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl II 2011, 354, m.w.N.; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Allerdings ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachgeht. Der Betriebssitz des Arbeitgebers, den der Arbeitnehmer lediglich regelmäßig nur zu Kontrollzwecken aufsucht, ist nicht die regelmäßige Arbeitsstätte (BFH-Urt. v. 9. Juni 2011 VI R 58/09, BStBl II 2012, 34; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503).

17
4. Liegen diese Voraussetzungen vor, so konnte ein Arbeitnehmer nach früherer Recht-sprechung des BFH auch mehrere regelmäßige Arbeitsstätten nebeneinander innehaben. Diese Rechtsprechung hat der BFH jedoch zwischenzeitlich aufgegeben (Urteile vom 9. Juni 2011 VI R 36/10, BStBl II 2012, 36; VI R 55/10, BStBl II 2012, 38; s. dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. Dezember 2011 IV C 5 – S 2353/11/10010). Denn der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers kann nur an einem Ort liegen. Nur insoweit kann sich der Arbeitnehmer auf die immer gleichen Wege einstellen und so (etwa durch Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel oder eine zielgerichtete Wohnsitznahme in der Nähe der regelmäßigen Arbeitsstätte) auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken. Damit stellt sich § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a. F. auch nur insoweit als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip dar. Übt der Arbeitnehmer hingegen an mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers seinen Beruf aus, ist es ihm regelmäßig nicht möglich, die anfallenden Wegekosten durch derartige Maßnahmen gering zu halten, denn die unter Umständen nicht verlässlich vorhersehbare Notwendigkeit, verschiedene Tätigkeitsstätten aufsuchen zu müssen, erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, sich immer auf die gleichen Wege und eine kostengünstige Verpflegungssituation einzustellen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 61/06, BStBl II 2010, 564; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). In einem solchen Fall lässt sich die Einschränkung der Steuererheb-lichkeit von Wegekosten durch die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) nicht rechtfertigen.

18
Ist der Arbeitnehmer in mehreren betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers tätig, sind deshalb die Umstände des Einzelfalles zu würdigen und der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit zu bestimmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, welcher Tätigkeitsstätte der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugeordnet worden ist, welche Tätigkeit er an den verschiedenen Arbeitsstätten im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat und welches konkrete Gewicht dieser Tätigkeit zukommt (BFH-Urt. v. 9. Juni 2011 VI R 55/10, BStBl II 2012, 38; 38; Urt. v. 19. Januar 2012 VI R 36/11, BStBl II 2012, 503). Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten seines Arbeitgebers aufsucht. Der regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen.

19
5. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist im Hinblick auf die Dienststelle X nicht von einer regelmäßigen Arbeitsstätte in den Streitjahren 2011 und 2012 auszugehen. Der Kläger war schwerpunktmäßig nicht an der Dienststelle X, sondern auf dem Einsatzwagen bzw. im Revier tätig, so dass er keinen ortsgebundenen Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit hat. Dies ergibt sich aus der Gewichtung der einzelnen Umstände. Der Arbeitgeber des Klägers hat zwar eine konkrete Zuordnung der Arbeitsstätte vorgenommen. Der Kläger war der Dienststelle in X zugeordnet. Doch war er schwerpunktmäßig im Außendienst tätig. Hierfür sprechen nicht nur der zeitliche Umfang der Außendiensttätigkeit, sondern insbesondere die im Außendienst geleisteten wesentlichen Tätigkeiten seiner Anstellung als Polizeibeamter. Der Kläger war als Sachbearbeiter Einsatz- und Streifendienst eingestellt worden. Zu diesem Aufgabengebiet gehörten vor allem die Verkehrsüberwachung, Überwachung von Rotlichteinheiten, Überprüfung von Gefahrenstellen auf der Straße, das Kontrollieren der Autofahrer (z. B. wegen Telefonierens während der Fahrt), Unfallaufnahmen, Verfolgung von Straftaten vor Ort und Schlichtung von Ehestreitigkeiten. Auch der Zuständigkeitsbereich (zuständig für ca. 110.000 Einwohner) deutet auf eine im Wesentlichen im Außendienst zu absolvierende Tätigkeit hin. Im Gegensatz dazu hielt sich der Kläger nur ca. eine Stunde pro Schicht an der Dienststelle auf, wobei ein Großteil dieser Zeit als Pause verbracht wurde. Hierzu war ein Sozialraum vorhanden, in dem er auch seine Mahlzeiten einnahm. Darüber hinaus wurde in der Dienststelle die Schicht begonnen und beendet. Zu den Tätigkeiten dort gehörten dass An- und Ausziehen der Dienstkleidung, die kurze Überprüfung des Einsatzwagens zu Beginn der Schicht, die Überprüfung der Lage im Revier an Hand eines Protokolls vom Vortag bzw. der vorhergehenden Arbeitsschicht im Dienst-PC und evtl. einzelne Recherchen mittels des Dienst-PC (z. B. Wohnortermittlung eines Täters). Der Kläger hatte auch keinen eigenen Arbeitsplatz in der Dienststelle. Der Dienst-PC stand allen Kollegen zur Verfügung. Nur im Ausnahmefall nahm er den Innendienst wahr. Diese Tätigkeit und weitere Ermittlungsarbeiten wurden insbesondere von älteren Kollegen im Innendienst und vom Kriminalermittlungsdienst durchgeführt. So gehörte die nach der Erfassung von Straftaten und Bußgelddelikten im Außendienst erforderliche weitere innendienstliche Verwaltungsarbeit in diesen Verfahren nicht zu seinem Aufgabenbereich. Es fehlt daher an einer hinreichenden zentralen Bedeutung der Dienststelle gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten. Nach Ansicht des Senats lässt sich daher kein Schwerpunkt an der Dienststelle feststellen. Damit kommt wegen fehlender Ortsgebundenheit der Außendiensttätigkeit auch keine andere regelmäßige Arbeitsstätte in Betracht.

20
II. Die Entscheidung über die Übertragung der Ausrechnung der festzusetzenden Steuer auf den Beklagten folgt aus § 100 Abs. 2 Satz 2 und 3 FGO. Die Kostenentscheidung be-ruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

21
III. Die Revision wird zugelassen. Im Hinblick auf die Kritik des Niedersächsisches FG Urt. v. 22. Mai 2014 10 K 109/13, nv, wonach die aktuelle Rechtsprechung des BFH zur regelmäßigen Arbeitsstätte nicht mit dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung vereinbar sei und diese Beurteilung auch auf den Streitfall zutreffen würde, wird die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

Versteuerung von in geänderten Arbeitsverträgen vereinbarten Zusatzleistungen (Kindergartenzuschuss, Tankkarte, Erholungsbeihilfe, Internetpauschale)

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 18.02.2015, 9 K 64/13

§ 3 Nr 33 EStG, § 40 Abs 2 S 1 Nr 3 EStG, § 40 Abs 2 S 1 Nr 5 EStG, § 42d EStG, § 8 Abs 2 S 9 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist die Versteuerung von in geänderten Arbeitsverträgen aufgeführten Zusatzleistungen (Kindergartenzuschuss, Tankkarte, Erholungsbeihilfe, Internetpauschale).

2
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger war im Streitjahr bei der Firma X-GmbH in G. als Arbeitnehmer beschäftigt. Aus dieser Tätigkeit erklärte er einen Bruttoarbeitslohn von 40.743 €. Das beklagte Finanzamt veranlagte zunächst erklärungsgemäß.

3
Aufgrund  einer  bei  der  X-GmbH  in  der  Zeit  vom   21. Dezember 2006  bis    22. März 2007 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung wurde folgender Sachverhalt festgestellt:

4
Die X-GmbH bot den Arbeitnehmern im Jahr 2006 an, den bestehenden Arbeitsvertrag hinsichtlich der zu zahlenden Vergütungen zu ändern. Dieses Angebot nahm der Kläger an. In der schriftlichen Änderung des Arbeitsvertrages, die auch mit „Änderung des Arbeitsvertrages“ überschrieben ist, wurden lediglich die §§ 3, 4 und 5 (Vergütung, Weihnachtsgeld, Urlaub) geändert. Andere Änderungen erfolgten nicht. § 3 der Änderung des Arbeitsvertrages legte dabei eine neue monatliche Vergütung fest, die unter der bisherigen monatlichen Vergütung lag. Außerdem wurde der § 3 der Änderung um zwei weitere Untergliederungen ergänzt. Danach erhielt der Kläger gemäß § 3a monatliche Zusatzleistungen, die er sich aus einer dem Vertrag beigefügten Anlage entsprechend seinen Verhältnissen frei zusammenstellen konnte, bis die Höhe des vorherigen Grundlohnes wieder erreicht war. Bei „Wegfall der persönlichen und/oder gesetzlichen Voraussetzungen“ der gewährten Zusatzleistungen, verpflichtete sich der Arbeitgeber eine entsprechende Zusatzleistung zu zahlen. Die Erweiterung des § 3b betraf monatliche Zahlungen für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung. Die Mehrarbeitsvergütung blieb identisch bestehen und das Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld, das bereits im ursprünglichen Arbeitsvertrag mit ½ des Monatsgehalts gewährt wurde, wurde betragsmäßig festgelegt. Für Arbeitnehmer, die das Angebot der X-GmbH nicht annahmen, blieb der bisherige Arbeitsvertrag bestehen.

5
Von den wählbaren Zusatzleistungen laut Anlage erhielt der Kläger im Streitjahr folgende Leistungen:

6
Kindergartenzuschuss    840 €
Erholungsbeihilfe    210 €
Internet-Pauschale    350 €
Tankkarte    308 €
Summe 1.708 €
7
Der Kindergartenzuschuss und die Leistungen für die Tankkarte wurden seitens der Arbeitgeberin nicht der Lohnsteuer unterworfen. Die Erholungsbeihilfe und die Internet-Pauschale versteuerte die Arbeitgeberin pauschal mit 25 %.

8
Die Lohnsteueraußenprüfung sah in den Zahlungen eines Kindergartenzuschusses, in den Leistungen für die Tankkarte, in der Erholungsbeihilfe und in der Zahlung einer Internet-Pauschale keinen Fall der Pauschalierung der Lohnsteuer bzw. der Lohnsteuerbefreiung, da das Erfordernis der „Zusätzlichkeit“ fehlte und übersandte entsprechendes Kontrollmaterial für eine volle Besteuerung der Zahlungen an den Beklagten als Veranlagungsfinanzamt des Klägers.

9
Aufgrund des Kontrollmaterials änderte das beklagte Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2006 und erhöhte dabei den Arbeitslohn um die gewährten Zusatzleistungen von 1.708 €. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.

10
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen Folgendes vor: Das beklagte Finanzamt habe sich ermessensfehlerhaft bezüglich der streitbefangenen Lohnsteuernachforderungen an die Kläger anstatt an die Arbeitgeberin gewandt. Die Kläger sind der Auffassung, dass die Zusatzleistungen nicht zu versteuern seien. Sie seien zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt worden. Es habe sich nicht um eine Umwandlung des bisher vereinbarten Arbeitslohnes gehandelt. Die Erholungsbeihilfe erfordere im Übrigen keine „Zusätzlichkeit“. Die gesamte Vereinbarung verlasse den Bereich der zum Grundlohn zu leistenden Zusatzleistungen nicht. Die Tankkarte falle unter die Sachbezugsfreigrenze. Die Arbeitgeberin habe im Streitfall auch sichergestellt, dass die Erholungsbeihilfen von Arbeitnehmern zu Erholungszwecken verwendet werden. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger der Arbeitgeberin gegenüber ausgestellte Bestätigungen aus dem Jahr 2013 mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2013 vorgelegt. Hierin bestätigt der Kläger, dass er die erhaltenen Mittel unter der Bezeichnung Erholungsbeihilfe für Erholungszwecke (Jahresurlaub) verwendet habe.

11
Die Kläger beantragen (sinngemäß),

12
den Kindergartenzuschuss (840 €), die Erholungsbeihilfe (182 €), die Internetpauschale (350 €) und den Sachbezug „Tankkarte“ (308 €) nicht als Arbeitslohn bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers zu erfassen und die Einkommensteuer 2006 entsprechend herabzusetzen.

13
Der Beklagte beantragt,

14
die Klage abzuweisen.

15
Der Beklagte verweist zunächst auf seinen Einspruchsbescheid vom 21. Mai 2010.

16
Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, dass es sich bei den gewährten Zusatzleistungen nicht um Leistungen handelt, die zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber an den Kläger gezahlt werden. Zusatzleistungen hätten den bis dahin gezahlten und somit geschuldeten Arbeitslohn lediglich ersetzt. Der Kläger habe im Streitfall frei entscheiden können, ob er eine Tankkarte oder den Barlohn in Anspruch nehme. Daher liege kein Sachbezug im Sinne des § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 9 EStG vor. Der Kindergartenzuschuss, die Erholungsbeihilfe und die Internet-Pauschale seien daher nicht der Pauschalbesteuerung zu unterwerfen bzw. seien steuerfrei, sondern unterlägen dem Regelsteuersatz. Bei den Erholungsbeihilfen sei grundsätzlich eine Pauschbesteuerung möglich. Dies setze aber voraus, dass der Arbeitgeber sicherstelle, dass die Erholungsbeihilfe zu Erholungszwecken verwendet würde. Vermutungen über die Mittelverwendung genügten nicht. Am Jahresende von Arbeitnehmern vordruckmäßig abgegebene Erklärungen, die erhaltenen Beihilfen für Erholungszwecke verwendet zu haben, reichten insoweit nicht aus. Der Kläger habe lediglich von ihm unterschriebene, auf den 4. Februar 2013 datierte Vordrucke vorgelegt, dass er die Erholungsbeihilfe für Jahresurlaube verwendet habe. Nach der Erklärung habe der Kläger jedoch die Verwendung der Erholungsbeihilfe nicht belegt. Außerdem liege überhaupt keine Bestätigung für das Streitjahr vor.

Entscheidungsgründe

17
1. Die Klage ist teilweise begründet.

18
Zu Unrecht ist das beklagte Finanzamt davon ausgegangen, dass in der Überlassung der Tankkarte kein steuerfreier Sachbezug i.S.v. § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG liegt. Im Übrigen ist die Klage unbegründet, weil der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2006 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 21. Mai 2010 ansonsten rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).

19
a. Sachbezüge sind alle nicht in Geld bestehenden Einnahmen. Ob Barlöhne oder Sach-bezüge vorliegen, entscheidet sich nach dem Rechtsgrund des Zuflusses, also danach, was der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber beanspruchen kann. Es kommt nicht darauf an, auf welche Art und Weise der Arbeitgeber den Anspruch erfüllt und seinem Arbeitnehmer den zugesagten Vorteil verschafft. Überlässt der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine Tankkarte, mit der die Arbeitnehmer monatlich nach ihrer Wahl Güter aus allen Waren-gruppen im Wert von bis zu 44 € auf Rechnung des Arbeitgebers beziehen dürfen, wendet er seinen Arbeitnehmern eine Sache i.S. des § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 9 EStG zu (BFH-Urteil vom 11. November 2010 VI R 26/08, BFH/NV 2011, 589).

20
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist vorliegend auch eine grundsätzlich zulässige Umwandlung von Bar- zu Sachlohn zur Inanspruchnahme der Vorteile aus § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG erfolgt. Nach der Rechtsprechung des BFH ist hierfür erforderlich, dass vor Entstehen des Barlohnanspruchs im Wege der Vertragsänderung der neue Sachlohnanspruch an die Stelle des Barlohnanspruchs getreten ist. Ein Wahlrecht, anstelle des Barlohns den Sachlohn wählen zu können, soll jedoch nicht ausreichen (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2008 VI R 6/05, BStBl. II 2008, 530; BFH-Beschluss vom 10. Juni 2008 VI B 113/07, BFH/NV 2008, 1482; anderer Absicht: Krüger in Schmidt, EStG, § 33. Aufl. 2014, § 8 Rz. 30 unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 11. November 2009 IX R 1/09, BStBl. II 2010, 746).

21
Diese Anforderungen der Rechtsprechung an eine zulässige Barlohnumwandlung sind vorliegend erfüllt. Der Kläger hat sich im Rahmen der Änderung seines Arbeitsvertrags am 24. Mai 2006 mit seiner Arbeitsgeberin darauf verständigt, auf zukünftig entstehende Barlohnbestandteile zugunsten des Sachbezugs „Tankkarte“ zu verzichten. Ab diesem Zeitpunkt besteht nach dem geänderten Vertrag auch keine Wahlmöglichkeit zwischen Bar- und Sachlohn.

22
Damit liegen die Voraussetzungen für die Behandlung als steuerfreier Sachbezug i.S.v. § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG vor.

23
b. Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Rüge eines Ermessensfehlgebrauchs hinsichtlich der Auswahl des für die Lohnsteuer Haftenden (Arbeitgeber oder Arbeitnehmer) im Rahmen des § 42d EStG im vorliegenden Steuerfestsetzungsverfahren der Kläger nicht angebracht werden. Die in § 42d EStG geforderte Ausübung des Auswahlermessens ist ausschließlich im Lohnsteuerabzugsverfahren zu beachten. Die Steuerfestsetzung steht dagegen nicht im Ermessen des Finanzamts (vgl. BFH, Urteil vom 13. Januar 2011 VI R 62/09, BFH/NV 2011, 751; Gersch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 42d EStG Anm. 83).

24
c. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 % erheben, soweit er Erholungsbeihilfen gewährt, wenn diese bestimmte Jahresbeträge nicht übersteigen und der Arbeitgeber sicherstellt, dass die Bei-hilfen zu Erholungszwecken verwendet werden. § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG fordert damit nicht nur einen ganz bestimmten Verwendungszweck der insoweit gewährten Leistungen, nämlich die Mittelverwendung für Zwecke der Erholung, sondern auch eine Überprüfung durch den Arbeitgeber, dass seine Arbeitnehmer diese als Erholungsbeihilfen gewährten Leistungen tatsächlich zu diesem Zweck verwenden (BFH-Urteil vom 19. September 2012 VI R 55/11, BStBl. II 2013, 398).

25
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Zudem fehlen jegliche Angaben zur Sicherstellung das Streitjahr 2006 betreffend. Darüber hinaus geht der Beklagte zu Recht in diesem Zusammenhang davon aus, dass allein die „Bestätigung“ des Klägers auf einem am 4. Februar 2013 datierten Vordruck, er habe die Erholungsbeihilfe für einen Jahresurlaub verwendet, nicht ausreicht, um der Arbeitgeberin die Möglichkeit der erforderlichen Überprüfung der zweckentsprechenden Mittelverwendung zu geben. Mindestens wären in diese Zusammenhang zeitnahe Angaben des Klägers gegenüber der Arbeitgeberin zu der durchgeführten Reise und der Verausgabung der Reisekosten (etwa Hotelbeleg; Bestätigung eines Reiseveranstalters) erforderlich.

26
Die erhaltenen Erholungsbeihilfen unterliegen daher nicht der Pauschalbesteuerung, son-dern vielmehr der Individualversteuerung beim Kläger.

27
d. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 EStG kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 % u.a. für „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ unentgeltlich oder verbilligt übereignete Personalcomputer sowie Zubehör und Internetzu-gang erheben. Entsprechendes gilt für Zuschüsse des Arbeitgebers, die zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für die In-ternetnutzung gezahlt werden.

28
„Zusätzlich“ zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn i.S. des 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 EStG werden nach der BFH-Rechtsprechung nur freiwillige Arbeitgeberleistungen erbracht. Nur solche schuldet der Arbeitgeber nicht ohnehin (BFH-Urteil vom 19. September 2012 VI R 54/11, BStBl. II 2013, 395; anderer Ansicht wohl aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Kontinuität der Rechtsanwendung: BMF-Schreiben vom 22. Mai 2013 IV C 5-S 2388/11/10001-02, BStBl. I 2013, 728).

29
Bei Anwendung dieser Grundsätze des BFH, denen der Senat folgt, fehlt es im Streitfall an dem Merkmal der „Zusätzlichkeit“. Aus der Tatsache, dass ein Anspruch auf Zahlung einer entsprechenden Zusatzleistung auch dann besteht, wenn die gesetzlichen oder persönlichen Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 3a des geänderten Arbeitsvertrages), ist zu entnehmen, dass der Kläger auch einen Rechtsanspruch auf ein Gehalt in Höhe der Zusatzleistungen hat, wenn die Voraussetzungen für die Zusatzleistungen nicht vorliegen. Sie sind somit Gehaltsbestandteile, auf die der Kläger ohnehin einen Anspruch hat (so ausdrücklich für eine insoweit identische Sachverhaltsgestaltung: BFH-Urteil vom 19. September 2012 VI R 55/11, BStBl. II 2013, 398). Mit dem Beklagten geht auch der Senat davon aus, dass der Kläger mit der Vertragsänderung im Streitjahr auf einen Teil des mit der Arbeitgeberin bis dahin vereinbarten und von dieser somit aufgrund des bisherigen Arbeitsvertrags geschuldeten Arbeitslohn verzichtet und durch Barlohnumwandlung eine andere zweckgebundene Leistung erhalten hat. Der Vergleich der Gehaltsabrechnungen vor und nach der Vertragsänderung bestätigen, dass der vereinbarte Arbeitslohn nahezu unverändert geblieben ist und der zuvor geschuldete Arbeitslohn nur um die Zusatzleistungen zur Ausnutzung einer vorteilhafteren Lohnversteuerung gekürzt wurde. Eine vom BFH geforderte „Freiwilligkeit“ konnte der Senat jedenfalls nicht feststellen.

30
Im Ergebnis wurde die Zusatzleistung damit nicht zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gezahlt.

31
e. Die nach § 3 Nr. 33 EStG „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erbrachten Leistungen des Arbeitgebers zur Unterbringung und Betreuung von nicht schulpflichtigen Kindern der Arbeitnehmer in Kindergärten oder vergleichbaren Einrichtungen sind ebenfalls nur steuerfrei, wenn der Arbeitgeber sie erbringt, ohne dass die Arbeitnehmer darauf einen Anspruch haben. Nach der Rechtsprechung des BFH kommen für die Steuerfreistellungen ebenso nur freiwillige Arbeitgeberleistungen in Betracht (BFH-Urteil vom 19. September 2012 VI R 54/11, BStBl. II 2013, 395).

32
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zur weiteren Begründung wird auf die unter d. gemachten Ausführungen, die entsprechend gelten, Bezug genommen.

33
Nach alledem hat die Klage teilweise Erfolg.

34
Die Neuberechnung bzw. Neufestsetzung der Einkommensteuer 2006 wird dem beklagten Finanzamt gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO übertragen.

35
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

36
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordung.

Abgrenzung betriebliche/gesellschaftsrechtliche Veranlassung

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 18.02.2015, 9 K 260/12

§ 4 Abs 1 S 2 EStG, § 4 Abs 4 EStG

Tatbestand

1
Streitig sind die Vornahme einer Teilwertabschreibung auf ein Betriebsgrundstück, die Bildung einer Rückstellung wegen drohender Inanspruchnahme aus einer zugunsten eines Konzernunternehmens gestellten Sicherheit (Grundschuld) und die steuerliche Behandlung von durch einen Zwangsverwalter dieser Immobilie vereinnahmten und an den Grundschuldgläubiger weitergeleiteten Mieten und Zinsen.

2
Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, betreibt ein Unternehmen, das die Vermietung von eigenen und geleasten Grundtücken, Gebäuden und Wohnungen zum Gegenstand hat. Persönlich haftende Gesellschafterin der Klägerin ist die C Beteiligungsmanagement GmbH ohne Vermögensbeteiligung. Kommanditisten sind A. M., mit einer Kommanditeinlage von 32.500 € und J. M., mit einer Kommanditeinlage von 17.500 €. Die alleinige Geschäftsführung obliegt B. M. als Geschäftsführer der C Beteiligungsmanagement GmbH.

3
An den Kommanditbeteiligungen über je 17.500 € der beiden Kommanditistinnen besteht zu Gunsten des B. M. ein Nießbrauchvorbehalt. Hintergrund ist eine Schenkung unter Nießbrauchvorbehalt des Kommanditanteils des ehemaligen Kommanditisten der Klägerin B. M. an seiner Ehefrau A. M. und seine Tochter J. M. am 24. November 2000 (UR-Nr.: 66/2000 des Notars …). Aufgrund des Nießbrauchvorbehalts hat B. M. auch nach der Übertragung rechtlich und tatsächlich die Stellung eines Gesellschafters: Ihm stehen uneingeschränkt das Gewinnbezugsrecht und das Stimmrecht zu den übertragenden Kommanditanteilen zu. Nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten ist B. M. aus diesem Grund steuerrechtlicher Mitunternehmer der Klägerin (im Ergebnis: B. M.: 70%; A. M.: 30%).

4
Die Klägerin ist ein Unternehmen, das zur X – Unternehmensgruppe gerechnet wurde. Diese Unternehmensgruppe war Zulieferer der Automobilindustrie und fertigte im In- und Ausland. Inländische Fertigungsstandorte für Kfz – Spiegel und Steuerungssysteme waren in W., W. und N.. Die Klägerin hatte ihre Fertigungsstätte im Rahmen einer steuerrechtlichen Betriebsaufspaltung an die unmittelbar zur X – Unternehmensgruppe gehörende Y GmbH, N., vermietet. Diese GmbH war eine 100%ige Tochtergesellschaft der A. E. GmbH, W.. Die A. E. GmbH war wiederum 100%iges Tochterunternehmen der A. E. Holding GmbH, an der B. M. zu 60% beteiligt war. Aufgrund dieser gesellschaftsrechtlichen Konstellation konnte B. M. sowohl in der Klägerin (über das Nießbrauchvorbehaltsrecht) als auch in den Gesellschaften der X – Gruppe beherrschenden Einfluss geltend machen. Aus diesem Grund wurde die Klägerin als Konzerngesellschaft der X – Gruppe behandelt.

5
Diese Unternehmensgruppe geriet in 2001 in finanzielle Schwierigkeiten und wurde schließlich 2006 im Rahmen einer Insolvenz abgewickelt. Im Zuge dieser Insolvenzabwicklung hatte die Sparkasse H. ihr verhaftetes Vermögen der Klägerin verwertet. Streitig sind zwischen den Beteiligten die steuerlichen Rechtsfolgen dieser Vermögensverwertung. Dem vorgenannten Verwertungsvorgang lag folgender Sachverhalt zugrunde:

6
Ende 1999/Anfang 2000 errichtete die X – Unternehmensgruppe zur Intensivierung der Wertschöpfungskette in W. mit der A. E. Lackierwerk GmbH einen weiteren Standort für die Fertigung von Fahrzeugteilen. Die A. E. Lackierwerk GmbH war wie die oben genannte Y GmbH eine 100%ige Tochtergesellschaft der A. E. GmbH, W.. Die A. E. Lackierwerk GmbH unterhielt seit ihrer Gründung keinerlei wirtschaftliche Beziehungen zu der Klägerin. Die Finanzierung dieser Investition in der Größenordnung von 16 Millionen DM hatte die Sparkasse H. übernommen. Die Sparkasse H. hatte ihre Finanzierungszusage allerdings nicht nur von der Übernahme der gesamtschuldnerischen Haftung der unmittelbar zur X- Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften, also aller Konzerngesellschaften abhängig gemacht, sondern auch von der Verhaftung des Grundvermögens der Klägerin für die eingeräumten Kredite in Form von Grundschulden über 1,4 Millionen DM. Bezüglich der Einzelheiten wird auf den Darlehensvertrag der Sparkasse Hannover vom 5. Januar 2001 Bezug genommen.

7
Technisch vollzogen wurde die Verhaftung des Grundvermögens der Klägerin für die Bankkredite der A. E. Lackierwerk GmbH in der Weise, dass die Klägerin die für die IKB im Grundbuch eingetragenen, aber nicht mehr valutierten Grundschulden über 750.000 DM und 650.000 DM an die Sparkasse H. abtrat, was am 29. März 2001 im Grundbuch vermerkt wurde.

8
Anfang 2006, nachdem die X – Unternehmensgruppe vollends in finanzielle Schieflage geraten war, beantragte die Sparkasse H. aus den vorgenannten Grundschulden die Anordnung der Zwangsverwaltung der verhafteten Liegenschaft N., …, mit der Folge, dass ab 1. März 2006 die monatlichen Mieten in Höhe von 7.546 € nicht mehr an die Klägerin, sondern an den Zwangsverwalter zur Verfügung der Sparkasse H. gezahlt wurden. Auch die in 2006 beim Zwangsverwalter angefallenen Zinsen in Höhe von 5.058,34 € wurden daraufhin nicht an die Klägerin, sondern an die Sparkasse H. ausgekehrt.

9
Die Anordnung der Zwangsvollstreckung in das Betriebsgrundstück der Klägerin durch das Amtsgericht P. und das Ausbleiben der Mieten bei der Klägerin seit März 2006 nahm die Klägerin zum Anlass, zum 31.12.2006 neben der ergebniswirksamen Auflösung der zugehörigen Sonderposten mit Rücklageanteil (§ 4 FöGbG) und für Investitionszuschüsse über insgesamt 91.891,99 € auf den Bilanzwert des Betriebsgrundstücks eine außerplanmäßige Abschreibung in Höhe von 97.377,05 € (Buchwert Grund und Boden: 19.445,34 € zzgl. Buchwert Gebäude: 97.929,21 € abzüglich Restbuchwert: 20.002,00 €) vorzunehmen, per Saldo also das Jahresergebnis mit 5.485,06 € zu belasten und die in 2006 vom Zwangsverwalter vereinnahmten Mieten sowie die Miet- und Habenzinsen in Höhe von insgesamt 80.518,34 € in ihrer Ergebnisrechnung außer Ansatz zu lassen.

10
Im Jahr 2008 wurde das streitbefangene Betriebsgrundstück der Klägerin verwertet; vom Verkaufserlös i.H.v. 399.110,50 € erhielt die Klägerin 5% (=19.955,50 €).

11
Im Rahmen einer Außenprüfung, die mit Unterbrechungen in der Zeit vom 15. Dezember 2008 bis 21. Oktober 2010 stattfand, wurde die außerplanmäßige Abschreibung/Teilwertabschreibung in Höhe von 97.377,05 € außerbilanziell dem Gewinn 2006 hinzugerechnet, wobei die Auflösung des Sonderpostens für Zuschüsse und des Sonderpostens mit Rücklagenanteil als Korrekturposten gegengerechnet wurden. Die Außenprüfung vertrat die Auffassung, dass die Abtretung der Grundschulden nicht betrieblich, sondern gesellschaftsrechtlich veranlasst war. Ferner rechnete die Außenprüfung die vom Zwangsverwalter vereinnahmten Mieterträge sowie die Miet- und Habenzinsen in Höhe von 80.518,34 € der Klägerin als eigene Einnahmen zu und berücksichtigte diese Beträge sodann als Entnahmen.

12
Das beklagte Finanzamt folgte diesen Feststellungen und setzte durch Bescheid vom 5. Mai 2010 den Gewinn für 2006 auf 81.356,24 € fest.

13
Im Einspruchsverfahren wendete sich die Klägerin zunächst gegen die Hinzurechnung der von der Außenprüfung als Entnahme behandelten fiktiven Miet- und Zinseinnahmen in Höhe von insgesamt 80.518,34 €. Sie trug vor, es handele sich um einen rein betrieblichen Vorgang. Die Mieten der Y GmbH dienten der Abdeckung der betrieblichen Schulden, für die die Unternehmensgruppe als Gesamtschuldner gehaftet habe.

14
Zudem begehrte die Klägerin weiterhin die außerplanmäßige Abschreibung/Teilwertabschreibung. Ein Erwerber würde für das Grundstück nichts ansetzen, weil er bei Fortführung des Unternehmens hierüber nicht verfügen könne. Im Übrigen ergebe sich die betriebliche Veranlassung für die Zwangsverwaltung gerade aus der engen wirtschaftlichen Verbindung zwischen den Unternehmen der X-Gruppe. Der Haftungsverbund sei eine betriebliche Maßnahme, da die Pacht der Y GmbH eine wesentliche Einnahmequelle der Klägerin sei. Die Stärkung des gesamten Unternehmensverbundes diene der Stärkung des Betriebs der Klägerin. Der Einspruch hatte jedoch keinen Erfolg.

15
Mit der vorliegenden Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Versagung der Teilwertabschreibung auf die Immobilie in N., … unter gleichzeitiger gewinnerhöhender Auflösung der Sonderposten mit Rücklagenanteil und für Zuschüsse sowie gegen die Erfassung der vom Zwangsverwalter vereinnahmten Mieten und Zinsen. Alternativ zur Teilwertabschreibung begehrt die Klägerin die Bildung einer Rückstellung wegen drohender Inanspruchnahme aus einer Sicherheit.

16
Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor: Die haftungsrechtliche Verpflichtung der Klägerin für Verbindlichkeiten der A. E. Lackierwerk GmbH sei betrieblich veranlasst. Die A. E. Lackierwerk GmbH habe zum Zeitpunkt der Übernahme der Haftungsverbindlichkeit genau wie die Klägerin zum steuerlichen Konzernverbund der A. E. Holding GmbH, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls als Organträgerin der Y GmbH fungiert habe, gehört. Die Y GmbH als zum Konzern der E. Holding GmbH gehörendes Unternehmen habe steuerrechtlich die Konzernverbundenheit der Klägerin zur E. Holding GmbH über die betriebsaufspalterische Verpflichtung vermittelt. Der Beklagte habe im Rahmen der Betriebsaufspaltung aufgrund der personellen und sachlichen Verflechtung steuerrechtlich stets die Klägerin als Besitz- und die Y GmbH als Betriebsunternehmen behandelt. Der personelle Verbund habe allein über die Person des Mitunternehmers B. M. bestanden, der im Zeitpunkt der Haftungsübernahme beherrschender Mitunternehmer der Klägerin und beherrschender Gesellschafter der Y GmbH gewesen sei. Diese handels- und steuerrechtliche Verstrickung der Klägerin zur X – Unternehmensgruppe sei der Grund für die Übernahme der Vermögenshaftung der Klägerin gewesen. Außersteuerliche, private Vermögensinteressen des Mitunternehmers B. M. hätten dafür keine Veranlassung gegeben. Die Vermögenshaftung sei Ausfluss der mitunternehmerischen Tätigkeit im Rahmen des Unternehmensverbundes der X – Gruppe gewesen. Entscheidend für die steuerrechtliche Einordnung sei die gemeinsame Unternehmensstrategie unter einheitlicher Oberleitung, die für die Beurteilung eines Firmenverbundes als Konzern und den sich daraus ergebenen zivilrechtlichen Haftungsfolgen maßgeblich sei. Bei dieser Sachlage, das heißt, bei einem Konzernverbund, seien Haftungslagen der Konzernunternehmen keine Privatangelegenheiten der Gesellschafter, sondern zivilrechtliche Folgeerscheinungen. Die Konzernmuttergesellschaft hafte für und mit ihrer Konzerntochtergesellschaft mit der Rechtsfolge, dass auch die Konzerntochtergesellschaften zumindest mittelbar zivilrechtlich untereinander und gegenseitig für die Schulden im Konzern einzustehen hätten. Damit sei die betriebliche Veranlassung der Haftungsübernahme durch die Klägerin gegeben.

17
Durch die Verhaftung des Grundstücks sei die Verwertbarkeit geschmälert, was entweder über eine Teilwertabschreibung oder bilanzrechtlich über eine Rückstellung abzubilden sei. Für die steuerrechtliche Bewertung der bilanziellen Darstellung der Vermögensminderung in 2006 sei es unerheblich, ob diese als Teilwertabschreibung oder eigene Verbindlichkeit in Form der Rückstellung im Jahresabschluss gezeigt werde. Entscheidend sei, dass die diesbezügliche Vermögensminderung von der Klägerin im Rahmen der Steuerveranlagung für 2006 geltend gemacht worden sei. Die Voraussetzungen der in 2006 eingetretenen Vermögensminderung und die betriebliche Veranlassung seien entsprechend gegeben. Die Höhe der geltend gemachten Vermögensminderung ergebe sich ebenfalls unverändert aus der Tatsache, dass die Klägerin in 2006 aufgrund der von der Sparkasse H. eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen habe ernsthaft damit rechnen müssen, dass das Betriebsgrundstück vollständig für die eigene Nutzung verloren sei bzw. verloren gehen werde. Das Betriebsgrundstück N. sei spätestens seit 2006 vollständig wertlos geworden.

18
Die Klägerin beantragt,

19
unter Aufhebung des Feststellungsbescheides vom 5. August 2010 und des Einspruchsbescheides vom 23. August 2012 die Einkünfte aus Gewerbebetrieb 2006 mit ./. 4.647,16 € festzustellen.

20
Der Beklagte beantragt,

21
die Klage abzuweisen.

22
Zur Begründung verweist der Beklagte zunächst auf seinen Einspruchsbescheid. Darüber hinaus wird der Klageabweisungsantrag wie folgt begründet:

23
Eine Teilwertabschreibung des Grundstücks N. sei bereits dem Grunde nach nicht möglich. Die Hingabe des Grundstücks an die Sparkasse H. als Sicherheit für das Darlehen der A. E. Lackierwerk GmbH und die von der Sparkasse H. angeordnete Zwangsverwaltung hätten keinen Einfluss auf den Wert des Grundstücks. Es lägen keine dauernden wertmindernden Umstände vor, die eine Teilwertabschreibung rechtfertigen könnten. Im Übrigen sei die Abtretung und Pfändung der Grundschuld des Grundstücks N. durch die Klägerin nicht zum Zwecke der Sicherung von Verbindlichkeiten der Klägerin erfolgt. Vielmehr habe sie diese Sicherheiten für die Darlehensforderung eines Dritten, der A. E. Lackierwerk GmbH, bereitgestellt. Die Sicherheit habe somit ausschließlich dem Zweck der Errichtung bzw. dem Erhalt der A. E. Lackierwerk GmbH gedient. Es fehle insoweit der erforderliche unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens I und II oder mit Verbindlichkeiten der Klägerin. Vorliegend sei die Gewährung der Sicherheit zugunsten der A. E. Lackierwerk GmbH nicht durch den Betrieb der Klägerin veranlasst, sondern durch die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen des Mitunternehmers zur A. E.  Lackierwerk GmbH. Die A. E. Lackierwerk GmbH unterhalte unstreitig einen eigenen Geschäftsbetrieb. Direkte Lieferbeziehungen zwischen der Klägerin und der A. E. Lackierwerk GmbH bestünden nicht. Die der Klägerin gehörende Fertigungsstätte in N. sei weder an die A. E. Lackierwerk GmbH verpachtet worden noch habe sie anderweitig der Produktion oder dem Vertrieb dieser GmbH gedient. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Hingabe der Sicherheit im überwiegenden Interesse der Klägerin erfolgt sei. Die Klägerin und die A. E. Lackierwerk GmbH stünden vielmehr selbständig nebeneinander und nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis. Damit stünden auch die verschiedenen Interessensbereiche des Mitunternehmers der Klägerin gleichrangig nebeneinander.

24
Auch eine Bildung einer Rückstellung wegen drohender Inanspruchnahme aus der Sicherheit sei nicht zulässig. Auch eine Rückstellungsbildung setze voraus, dass zuvor die Gewährung der Sicherheit betrieblich veranlasst gewesen sei. Vorliegend sei die Gewährung der Sicherheit jedoch durch die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen des Mitunternehmers zur A. E. Lackierwerk GmbH veranlasst.

25
Die Erträge aus der Zwangsverwaltungstätigkeit des Grundstücks N. (Mieteinnahmen, Miet- und Habenzinsen) seien der Klägerin als eigene Einnahmen zuzurechnen, auch wenn sie dem Zwangsverwalter zugeflossen und an die Sparkasse H. als Vollstreckungsgläubigerin abgeführt worden seien. Die der Klägerin durch die Anordnung der Zwangsverwaltung untersagte tatsächliche und rechtliche Verfügung über das Betriebsgrundstück werde durch den Zwangsverwalter als Vermögensverwalter mit Wirkung für und gegen die Klägerin ausgeübt. Entgegen der Auffassung der Klägerin könnten die nach Abzug der Grundstückskosten an die Sparkasse H. abgeführten Erträge aus dem Grundstück N. im Gegenzug nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden.

Entscheidungsgründe

26
1. Die Klage ist unbegründet.

27
Der angefochtene Feststellungsbescheid 2006 vom 5. August 2010 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 23. August 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).

28
a. Zu Recht hat der Beklagte die vom Zwangsverwalter vereinnahmten Mieten und Zinsen in Höhe von 80.518,34 € als Betriebseinnahmen der Klägerin (und nicht dem Zwangsverwalter) zugerechnet und die Berücksichtigung der insoweit an die Grundpfandgläubigerin ausgekehrten Beträge als Betriebsausgaben abgelehnt.

29
aa. Die Anordnung einer Zwangsverwaltung führt nach gefestigter Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, und nach herrschender Meinung in der steuerrechtlichen Literatur nicht dazu, dass die danach erzielten Mieterträge vom Zwangsverwalter zu versteuern sind, auch wenn sie diesem oder einem Vollstreckungsgläubiger zufließen. Die Einkünfte erzielt vielmehr weiterhin derjenige, der Träger der Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag oder dem Pachtvertrag ist (BFH-Urteile vom  16. September 2014 VIII R 1/12, n.v.; vom 11. März 2003 IX R 65-67/01, BFH/NV 2003, 778 und vom  16. April 2002 IX R 53/98, BFH/NV 2002, 1152; Kulosa in Schmidt, EStG, 33. Auflage 2014, § 21 EStG Rz. 31; Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG/KStG, § 21 EStG, Anm. 28). An dieser Zuordnung ändert auch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nichts.

30
Träger der Rechte und Pflichten aus dem Pachtvertrag mit der EM Kunststofftechnik GmbH ist vorliegend allein die Klägerin. Ihr sind daher auch die streitbefangenen Mieten und Guthabenzinsen zuzurechnen.

31
bb. Ein Abzug der an die Grundpfandgläubigerin ausgekehrten Beträge als Betriebsausgaben in gleicher Höhe kommt mangels betrieblicher Veranlassung nicht in Betracht (§ 4 Abs. 4 EStG).

32
Betrieblich veranlasst sind alle Aufwendungen, die in einem tatsächlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem Betrieb stehen. Grundsätzlich soll auch ein mittelbarer betrieblicher Zusammenhang ausreichen. Dies bedeutet aber nicht, dass jeder mittelbare betriebliche Zusammenhang den Abzug von Betriebsausgaben rechtfertigt. Es ist daher in jedem Einzelfall zu prüfen, welches das auslösende Moment für die Aufwendung war und ob es dem betrieblichen oder dem außerbetrieblichen Bereich zuzuordnen ist (vgl. zu diesen Grundsätzen: Heinicke in Schmidt, EStG, 33. Auflage 2014, § 4 Rz. 481, 488).

33
Der für den Betriebsausgabenabzug erforderliche wirtschaftliche Zusammenhang mit den Einkünften aus Gewerbebetrieb ist im Streitfall nicht gegeben.

34
Die Frage, ob vorliegend die Weiterleitung der an die Grundpfandgläubigerin ausgekehrten Beträge betrieblich veranlasst war, ist danach zu beurteilen, ob die Abtretung der Grundschulden aus betrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen erfolgt ist (so zu Recht FG Düsseldorf, Urteil vom 30. November 2004 3 K 1060/02 F, EFG 2005, 344 betr. Entnahme eines verpfändeten Wirtschaftsgutes aus dem Betriebsvermögen durch Verpfändung des Pfandgläubigers).

35
(1) Zu Recht geht der Beklagte in diesem Zusammenhang davon aus, dass die abgetretenen Grundschulden und damit die erwirtschafteten Miet- und Zinserträge im Ausgangspunkt nicht der Absicherung eigener betrieblicher Verbindlichkeiten dienten, sondern vielmehr der Absicherung von Darlehensschulden einer Gesellschaft, mit der die Klägerin keine eigenen wirtschaftlichen Beziehungen hatte. Ein eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an der Gestellung von Sicherheiten in Form der Grundschulden (vgl. Anlage zum Darlehensvertrag vom 2. Januar 2001 der Fa. A. E. Lackierwerk GmbH mit der Sparkasse H.) ist für den Senat nicht zu erkennen. Die Fa. A. E. Lackierwerk GmbH ist kein Mieter oder Pächter einer von der Klägerin vermieteten oder verpachteten Immobilie; sie gehört schlicht zur gleichen Unternehmensgruppe wie die Vertragspartnerin der Klägerin, die Y GmbH. Inwieweit die Klägerin unmittelbar von einer „Intensivierung der Wertschöpfungskette“ der X – Unternehmensgruppe und der Errichtung eines weiteren Standortes für die Fertigung von Fahrzeugteilen profitieren soll, erschließt sich dem Senat nicht. Insoweit fehlt jedenfalls eine klare und eindeutige, für den Senat nachvollziehbare und überzeugende Darlegung. Ob sich die Klägerin bei der Haftungsbeteiligung einen mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil versprochen haben mag, bleibt vage. Allein die ggf. mittelbare Stärkung des unmittelbaren Vertragspartners (über eine Stärkung der gesamten Unternehmensgruppe) reicht für eine betriebliche Veranlassung nach Überzeugung des Senats nicht aus.

36
(2) Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die Klägerin konzernrechtlich aufgrund faktischer Beherrschung über den Hauptgesellschafter B. M. als beherrschtes Konzernunternehmen der X – Gruppe oder aufgrund der Betriebsaufspaltung mit einer Konzerntochtergesellschaft dieser Unternehmensgruppe in einem Haftungsverbund stand und gesellschaftsrechtlich verpflichtet war, einer Konzerngesellschaft wie der Fa. A. E. Lackierwerk GmbH bei der Finanzierung einer Investition durch Gestellung eigener Sicherheiten zur Seite zu stehen (vgl. zu den konzernrechtlichen Anforderungen: Bürgers/Körber, Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2014, § 17 Rz. 3 ff.).

37
Eine solche Verpflichtung wäre allein gesellschaftsrechtlicher und nicht betrieblicher Natur mit der Folge, dass eine betriebliche Veranlassung der Grundschuldabtretung zugunsten einer Konzerngesellschaft hierdurch nicht begründet werden kann. Ein fremder Dritte anstelle der Klägerin hätte nicht für eine Gesellschaft, mit der keinerlei Geschäftsbeziehungen bestehen, ohne Absicherung etwaiger Rückgriffsansprüche Sicherheiten gestellt und sein einziges werthaltiges Betriebsgrundstück mit Grundschulden belastet. Dies erfolgte einzig im Hinblick auf die gesellschaftsrechtliche Verflechtung über den Hauptgesellschafter B. M.. Damit ist das auslösende Moment dem außerbetrieblichen Bereich zuzuordnen mit der weiteren Folge, dass der Betriebsausgabenabzug für die an den Grundpfandgläubiger ausgekehrten Beträge ausscheidet (ähnlich BFH-Urteil vom 5. Februar 2014 X R 5/11, BFH/NV 2014, 1018 für der Fall der freiwilligen Übernahme von Verbindlichkeiten im Rahmen der Auflösung einer GmbH durch den den Betrieb in einem Einzelunternehmen fortführenden Gesellschafter; siehe auch Hessisches FG, Urteil vom 11. April 2012 12 K 1189/09, Rev. eingelegt, Az. des BFH: X R 48/13 betr. Grundschuldgestellung einer Besitzgesellschaft für Darlehen der Betriebsgesellschaft).

38
(a) Diese Sichtweise des Senats wird gestützt durch die Rechtsprechung des BFH zur betrieblichen Veranlassung von Darlehen einer Personengesellschaft gegenüber einem Kommanditisten oder einer anderen Personengesellschaft, an der ihr Hauptgesellschafter beherrschend beteiligt ist. Wird das Darlehen in solchen Fällen nicht aus eigenbetrieblichen Interessen der Personengesellschaft gegeben und hätte ein fremder Dritter Geld unter den Bedingungen nicht zur Verfügung gestellt, gehört das Darlehen nicht zum Betriebsvermögen der Personengesellschaft und ist steuerlich wegen der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung als Entnahme zu behandeln (BFH-Urteile vom 16. Oktober 2014 IV R 15/11, DB 2015, 220 betr. Darlehen einer KG an ihre Kommanditisten; vom 6. März 2003 IV R 21/01, BFH/NV 2003, 1542 betr. Darlehen einer KG an eine teilweise beteiligungsidentische GmbH; vom 19. Juli 1984 IV R 207/83, BStBl. II 1985, 6 betr. Darlehensgewährung an andere Personengesellschaft; FG München, Urteil vom 17. Juni 2013 5 K 2877/10, juris betr. Darlehen zwischen Schwesterpersonengesellschaften). Ein im Interesse eines an beiden Gesellschaften beteiligten Gesellschafters gewährtes Darlehen kann außerbetrieblich veranlasst sein. Außerbetrieblich veranlasst ist eine Darlehensforderung dann, wenn bereits bei ihrer Begründung feststeht, dass sie der Gesellschaft keinen Nutzen bringen kann (so FG München, Urteil vom 17. Juni 2013 5 K 2877/10, juris). Wird die Darlehensforderung uneinbringlich, entfällt mithin nicht nur die steuerliche Berechtigung einer Teilwertabschreibung, sondern auch die Möglichkeit, dass beim Ausscheiden des Schuldners aus der Gesellschaft die verbleibenden Gesellschafter einen steuerlichen Verlust geltend machen können (BFH-Urteil vom 9. Mai 1996 IV R 64/93, BStBl. II 1996, 642). Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Beurteilung der Veranlassungszusammenhänge bei der Gestellung von Sicherheiten einer Personengesellschaft gegenüber einer GmbH, an der der Hauptgesellschafter wesentlich bzw. beherrschend beteiligt ist.

39
(b) Diese steuerrechtliche Bewertung der Veranlassungszusammenhänge des Senats im Streitfall – vorrangige gesellschaftsrechtliche anstatt betriebliche Veranlassung der Grundschuldabtretung – deckt sich im Übrigen auch mit den Erwägungen der Rechtsprechung des BFH zur Bürgschaftsübernahme durch einen wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Ist ein Arbeitnehmer wesentlich beteiligter Gesellschafter i.S.v. § 17 Abs. 1 EStG, geht die Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass die Bürgschaftsübernahme durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist und nicht durch die Stellung als Arbeitnehmer. Denn ein Arbeitnehmer, der nicht Gesellschafter ist, wird nur in Ausnahmefällen bereit sein, zu Gunsten seines offenbar gefährdeten Arbeitgebers das Risiko einer Bürgschaft zu übernehmen (etwa BFH-Urteile vom 5. Oktober 2004 VIII R 64/02, BFH/NV 2005, 54, vom 2. März 2005 VI R 36/01, BFH/NV 2006, 33 und vom 16. November 2011 VI R 97/10, BStBl. II 2012, 343; siehe auch Krüger in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 19 Rz 110 Stichwort Bürgschaft). Auch im vorliegenden Streitfall ist maßgebender Grund für die Bereitschaft, ein werthaltiges Grundstück als Sicherheit für eine fremde Gesellschaft der X – Gruppe zur Verfügung zu stellen, allein die beherrschende Stellung des Mitunternehmers der Klägerin, B. M., in der X – Unternehmensgruppe und damit auch in der A. E. Lackierwerk GmbH.

40
(3) Nicht zu beanstanden ist aus den vorgenannten Gründen die steuerliche Behandlung der ausgekehrten Beträge als Entnahme (so auch für den Fall eines außerbetrieblich veranlassten Darlehens: BFH-Urteil vom 16. Oktober 2014 IV R 15/11, DB 2015, 220). Die Klägerin übersieht in diesem Zusammenhang, dass eine Entnahme im steuerlichen Sinne begrifflich bereits bei allen Wertabgaben (Wirtschaftsgüter, Nutzungen, Leistungen) für betriebsfremde, nicht notwendig private Zwecke, gegeben ist (Kulosa in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 6 Rz. 501). Dabei ist nach dem engen Betriebsbegriff auf den konkreten Betrieb abzustellen mit der Folge, dass z.B. selbst bei Überführung eines Wirtschaftsgutes in einen anderen Betrieb desselben Steuerpflichtigen eine Entnahme vorliegt („andere betriebsfremde Zwecke“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2, 3 EStG; vgl. Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 Anm. 167). Vorliegend handelt es sich im Ergebnis um einen Fall der außerbetrieblichen Einkommensverwendung.

41
(4) Der Umstand, dass die streitbefangenen Aufwendungen möglicherweise im Übrigen nicht steuermindernd berücksichtigt werden können, führt zu keiner anderen Beurteilung. Entscheidend für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Gestellung von Sicherheiten ist der Veranlassungszusammenhang mit einem Betrieb bzw. einer Einkunftsart. Kann – wie im Streitfall – nicht festgestellt werden, dass die Gestellung von Sicherheiten überwiegend durch den Betrieb der Klägerin veranlasst war, kommt ein steuermindernder Ansatz der Aufwendungen bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb nicht in Betracht. Der Umstand, dass die Aufwendungen bei einer Einkunftsart, mit der sie in einem engeren Zusammenhang stehen, ggf. aus rechtlichen Gründen nicht abgezogen werden können, kann zu keinem anderen Ergebnis führen (FG Düsseldorf, Urteil vom 12. November 2014 15 K 3006/13, juris, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VI R 77/14; entgegen BFH-Urteil vom 16. November 2011 VI R 97/10, BStBl. II 2012, 343 betr. Ausgaben zur Tilgung einer Bürgschaftsverpflichtung als Werbungskosten)

42
b. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin begehrte außerplanmäßige Abschreibung/Teilwertabschreibung auf die Immobilie in N., …, unter gleichzeitiger gewinnerhöhender Auflösung der Sonderposten mit Rücklagenanteil und für Zuschüsse, oder ersatzweise für eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten liegen bereits dem Grunde nach nicht vor.

43
Soweit ersichtlich ist die Frage, ob die Bestellung eines Grundpfandrechtes für fremde Schulden bzw. die tatsächliche Haftungsinanspruchnahme hieraus durch eine Teilwertabschreibung oder eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bilanziell abzubilden ist, umstritten (Für Teilwertabschreibung: Hessisches FG, Urteil vom 11. April 2012 12 K 1189/09, Rev. eingelegt, Az. des BFH: X R 48/13, für den Fall des Drohens der Inanspruchnahme; für Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten: Kulosa in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 6 Rz. 330, Stichwort „Dingliche Lasten“ unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 22. April 1998 IV B 107/97, BFH/NV 1999, 162 bzw. BFH-Urteil vom 20. Mai 2010 IV R 442/08, BStBl. II 2010, 820; so wohl auch BFH-Urteil vom 24. Juli 1990 VIII R 226/84, BFH/NV 1991, 588).

44
Der Senat kann diese Rechtsfrage jedoch dahinstehen lassen, da eine steuermindernde Berücksichtigung sowohl einer Teilwertabschreibung des Grundstücks als auch einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bei fehlender betrieblicher Veranlassung der Abtretung der Grundschulden nicht in Betracht kommt (vgl. Kulosa in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 6 Rz. 330, Stichwort „Dingliche Lasten“: Entnahme bei privater Veranlassung). So liegt der Fall hier. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen unter 1. a. bb. Bezug genommen werden.

45
c. Abschreibungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) scheiden im Übrigen ebenfalls aus (vgl. zur Abgrenzung zur Teilwert-AfA: Kulosa in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 7 Rz. 120). Sie setzen entweder eine Substanzeinbuße eines bestehenden Wirtschaftsgutes (technische Abnutzung) oder eine Einschränkung seiner Nutzungsmöglichkeit (wirtschaftliche Abnutzung) voraus (vgl. ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. Urteile vom 8. April 2014 IX R 7/13, BFH/NV 2014, 1202 vom 9. Juli 2002 IX R 29/98, BFH/NV 2003, 21). Die außergewöhnliche „Abnutzung“ geschieht durch Einwirken auf das Wirtschaftsgut im Zusammenhang mit seiner steuerbaren Nutzung.

46
Davon kann bei einer Belastung durch Grundschuldabtretung, auch bei (drohender) Haftungsinanspruchnahme, nicht ausgegangen werden. Im Übrigen mangelt es auch insoweit an der betrieblichen Veranlassung.

47
d. Eine von der Klägerin begehrte nachträgliche „Einbuchung“ einer Verbindlichkeit als gewillkürtes negatives Betriebsvermögen oder Sonderbetriebsvermögen II scheidet im Übrigen ebenfalls von vorn herein aus. Verbindlichkeiten, die nicht als notwendiges Betriebsvermögen anzusehen sind, können dem Betriebsvermögen nicht durch einen Akt der Willkürung zugeordnet werden, da die Passivseite kein gewillkürtes Betriebsvermögen kennt (vgl. BFH-Urteil vom 5. Februar 2014 X R 5/11, BFH/NV 2014, 1018).

48
Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

49
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

50
3. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).