Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Keine verfassungs- oder europarechtlichen Bedenken gegen Luftverkehrsteuergesetz

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hatte sich in zwei Urteilen vom 16. Mai 2013 (Aktenzeichen 1 K 1074/11 und 1 K 1075/11) als – soweit ersichtlich – bundesweit erstes Gericht mit der Frage zu befassen, ob das zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Luftverkehrsteuergesetz mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Die klagenden Fluggesellschaften, die im In- bzw. Ausland ansässig sind, hatten im Wesentlichen geltend gemacht, die Erhebung der neuartigen Luftverkehrsteuer verstoße gegen Verfassungsrecht, denn der Bund verfüge weder über die Gesetzgebungskompetenz für das Luftverkehrsteuergesetz, noch stehe das Gesetz mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz in Einklang (1 K 1075/11). Die Luftverkehrsteuer bewirke eine aus europarechtlichen Gründen unzulässige verdeckte Besteuerung von Flugbenzin und einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten und das Beihilferecht der Gemeinschaft (1 K 1074/11).

Dem vermochten sich die Richterinnen und Richter des 1. Senats des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg nicht anzuschließen, so dass Vorlagen an das Bundesverfassungsgericht bzw. den Europäischen Gerichtshof unterbleiben konnten. Nach ihrer Auffassung handelt es sich bei der Luftverkehrsteuer um eine Rechtsverkehrsteuer, für die der Bund nach Art. 105 Abs. 2 1. Alt., Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 Grundgesetz die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis besitzt. Der Gesetzgeber habe von dieser Befugnis in auch unter grundrechtlichen Aspekten nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. Insbesondere überschreite die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes nicht die durch den allgemeinen Gleichheitssatz gezogenen Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.

In europarechtlicher Perspektive handele es sich weder um eine offene noch um eine verdeckte Verbrauchsteuer, denn die Luftverkehrsteuer knüpfe nicht an ein Verbrauchsgut, sondern an Rechtsvorgänge an, die zum Abflug eines Fluggastes berechtigten. Demzufolge liege auch kein Verstoß gegen die aus der Energiesteuerrichtlinie folgende Steuerbefreiung für Flugbenzin vor. Ebenso wenig vermochten die Richterinnen und Richter einen Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit zu erkennen, denn die gesetzliche Pflicht ausländischer Fluggesellschaften, einen steuerlichen Beauftragten zu bestellen (§§ 7, 8 Luftverkehrsteuergesetz alter Fassung), beeinflusse die Steuerpflicht als solche nicht. Der geltend gemachte Verstoß gegen europäisches Beihilferecht liege weder vor, noch könne er im vorliegenden Klageverfahren mit Erfolg geltend gemacht werden. Dass der Frachtflugverkehr nicht der Luftverkehrsteuer unterliege, führe nicht zu einer Wettbewerbsverfälschung im Verhältnis zu Luftfahrtunternehmen, die Passagiere beförderten. Zudem folge aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass sich die Klägerinnen vor nationalen Gerichten nicht mit Erfolg auf die Rechtswidrigkeit einer solchen Beihilfe berufen könnten, um sich selbst der Entrichtung der Steuer zu entziehen.

In einem Fall ist die vom Finanzgericht jeweils zugelassene Revision zum Bundesfinanzhof in München bereits eingelegt worden (Aktenzeichen VII R 51/13).

Quelle: FG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 24.10.2013 zu den Urteilen 1 K 1074/11 und 1 K 1075/11 vom 16.05.2013

 

Hinweise auf die wesentlichen Rechte und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei der Außenprüfung (§ 5 Abs. 2 Satz 2 BpO)

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder sind der Prüfungsanordnung (§ 196 AO) die anliegenden Hinweise beizufügen.

Dieses Schreiben tritt an die Stelle des BMF-Schreibens vom 20. Juli 2001 – IV D 2 – S-0403 – 3 / 01 – (BStBl I S. 502) und wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

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Ihre wesentlichen Rechte und Mitwirkungspflichten bei der Außenprüfung
Die Außenprüfung soll dazu beitragen, dass die Steuergesetze gerecht und gleichmäßig angewendet werden; deshalb ist auch zu Ihren Gunsten zu prüfen (§ 199 Abs. 1 Abgabenordnung – AO -).

Beginn der Außenprüfung
Wenn Sie wichtige Gründe gegen den vorgesehenen Zeitpunkt der Prüfung haben, können Sie beantragen, dass ihr Beginn hinausgeschoben wird (§ 197 Abs. 2 AO). Wollen Sie wegen der Prüfungsanordnung Rückfragen stellen, wenden Sie sich bitte an die prüfende Stelle und geben Sie hierbei den Namen des Prüfers an. Über den Prüfungsbeginn sollten Sie ggf. Ihren Steuerberater unterrichten.

Der Prüfer wird sich bei Erscheinen unter Vorlage seines Dienstausweises bei Ihnen vorstellen (§ 198 AO).

Die Außenprüfung beginnt grundsätzlich in dem Zeitpunkt, in dem der Prüfer nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung konkrete Ermittlungshandlungen vornimmt. Bei einer Datenträgerüberlassung beginnt die Außenprüfung spätestens mit der Auswertung der Daten (AEAO zu § 198).

Ablauf der Außenprüfung
Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass Sie für einen reibungslosen Ablauf der Prüfung zur Mitwirkung verpflichtet sind. Aus diesem Grunde sollten Sie Ihren nachstehenden Mitwirkungspflichten unverzüglich nachkommen. Sie können darüber hinaus auch sachkundige Auskunftspersonen benennen.

Stellen Sie dem Prüfer zur Durchführung der Außenprüfung bitte einen geeigneten Raum oder Arbeitsplatz sowie die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung (§ 200 Abs. 2AO).

Legen Sie ihm bitte Ihre Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und die sonstigen Unterlagen vor, die er benötigt, erteilen Sie ihm die erbetenen Auskünfte, erläutern Sie ggf. die Aufzeichnungen und unterstützen Sie ihn beim Datenzugriff (§ 200 Abs. 1 AO).

Werden die Unterlagen in Form der Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf anderen Datenträgern aufbewahrt, kann der Prüfer verlangen, dass Sie auf Ihre Kosten diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung stellen, die zur Lesbarmachung erforderlich sind, bzw. dass Sie auf Ihre Kosten die Unterlagen unverzüglich ganz oder teilweise ausdrucken oder ohne Hilfsmittel lesbare Reproduktionen beibringen (§ 147 Abs. 5 AO).

Sind Unterlagen und sonstige Aufzeichnungen mit Hilfe eines DV-Systems erstellt worden, hat der Prüfer das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das DV-System zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen (unmittelbarer Datenzugriff). Dazu kann er verlangen, dass Sie ihm die dafür erforderlichen Geräte und sonstigen Hilfsmittel zur Verfügung stellen. Dies umfasst unter Umständen die Einweisung in das DV-System und die Bereitstellung von fachkundigem Personal zur Auswertung der Daten. Auf Anforderung sind dem Prüfer die Daten auf maschinell auswertbaren Datenträgern zur Verfügung zu stellen (Datenträgerüberlassung) oder nach seinen Vorgaben maschinell auszuwerten (mittelbarer Datenzugriff); § 147 Abs. 6 AO.

Über alle Feststellungen von Bedeutung wird Sie der Prüfer während der Außenprüfung unterrichten, es sei denn, Zweck und Ablauf der Prüfung werden dadurch beeinträchtigt (§ 199 Abs. 2 AO).

Ergebnis der Außenprüfung
Wenn sich die Besteuerungsgrundlagen durch die Prüfung ändern, haben Sie das Recht auf eine Schlussbesprechung. Sie erhalten dabei Gelegenheit, einzelne Prüfungsfeststellungen nochmals zusammenfassend zu erörtern (§ 201 AO).
Über das Ergebnis der Außenprüfung ergeht bei Änderung der Besteuerungsgrundlagen ein schriftlicher Prüfungsbericht, der Ihnen auf Antrag vor seiner Auswertung übersandt wird. Zu diesem Bericht können Sie Stellung nehmen (§ 202 AO).

Rechtsbehelfe können Sie allerdings nicht gegen den Prüfungsbericht, sondern nur gegen die aufgrund der Außenprüfung ergehenden Steuerbescheide einlegen.

Wird bei Ihnen eine abgekürzte Außenprüfung (§ 203 AO) durchgeführt, findet keine Schlussbesprechung statt. Die steuerlich erheblichen Prüfungsfeststellungen werden Ihnen in diesem Fall spätestens mit den Steuer-/Feststellungsbescheiden schriftlich mitgeteilt.

Ablauf der Außenprüfung beim Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit
Ergibt sich während der Außenprüfung der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit gegen Sie, so dürfen hinsichtlich des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht bezieht, die Ermittlungen bei Ihnen erst fortgesetzt werden, wenn Ihnen die Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens mitgeteilt worden ist (vgl. § 397 AO). Soweit die Prüfungsfeststellungen auch für Zwecke eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens verwendet werden können, darf Ihre Mitwirkung bei der Aufklärung der Sachverhalte nicht erzwungen werden (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Wirken Sie bei der Aufklärung der Sachverhalte nicht mit (vgl. §§ 90, 93 Abs. 1, 200 Abs. 1 AO), können daraus allerdings im Besteuerungsverfahren für Sie nachteilige Folgerungen gezogen werden; ggf. sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn eine zutreffende Ermittlung des Sachverhalts deswegen nicht möglich ist (§ 162 AO).

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 4 – S-0403 / 13 / 10001 vom 24.10.2013

Bettensteuersatzung der Stadt Dortmund ist nichtig

Durch vier Urteile vom 23.10.2013 hat der 14. Senat des Oberverwaltungsgerichts entschieden, dass die Beherbergungsabgabesatzung (Bettensteuersatzung) der Stadt Dortmund nichtig ist. Es hat damit Berufungen der Stadt Dortmund gegen Urteile zurückgewiesen, mit denen das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in erster Instanz den Klagen von drei Hoteliers und einer Campingplatzbetreiberin (Unternehmer) stattgegeben hatte. Die Unternehmer hatten gegen Steuerbescheide der Stadt Dortmund geklagt, mit denen für entgeltliche private Übernachtungen eine Beherbergungsabgabe festgesetzt worden war.

Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt: Die Erhebung einer Beherbergungsabgabe für entgeltliche private Übernachtungen sei zwar grundsätzlich möglich, nicht aber als Steuerschuld des Unternehmers, wie es die Dortmunder Satzung regele. Zwar dürfe nach dem einschlägigen nordrhein-westfälischen Landesrecht die Gemeinde durch Satzung bestimmen, wer Steuerschuldner sein solle. Sie müsse sich aber an die Grundentscheidungen des Kommunalabgabengesetzes halten, das nur erlaube, einen Steuerschuldner zu bestimmen, der in einer besonderen rechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehung zum Steuergegenstand stehe oder einen maßgeblichen Beitrag zur Verwirklichung des Steuertatbestandes leiste. Das sei zwar beim Unternehmer für das Merkmal der Beherbergung der Fall, nicht aber für das steuerbegründende Merkmal, dass ein privater Zweck der Übernachtung vorliegen müsse, über den allein der Übernachtungsgast entscheide und von dem nur er Kenntnis habe. Für die so nur beschränkt gegebene Beziehung des Unternehmers zum Steuergegenstand erlaube das Kommunalabgabengesetz alleine, den Unternehmer zu verpflichten, die Steuer – wie dies auch beim Kurbeitrag geschehe – beim Gast als Steuerschuldner einzuziehen und an die Gemeinde abzuführen (Steuerentrichtungspflicht).

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen. Dagegen kann die Stadt Dortmund Beschwerde erheben, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Quelle: OVG Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 23.10.2013 zu den Urteilen 14 A 314/13 bis 14 A 317/13 vom 23.10.2013

Ausübung einer Option bei angenommener Geschäftsveräußerung im Ganzen (§ 9 Abs. 1 UStG)

Nach dem Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird Abschnitt 9.1 Abs. 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 23. Oktober 2013 – IV D 3 – S-7172 / 09 / 10002 (2013/0945285), BStBl I S. xxxx, geändert worden ist, wie folgt geändert:

1. Nach Satz 1 werden folgende neue Sätze 2 und 3 eingefügt:

2Im Rahmen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen kommt eine Option grundsätzlich nicht in Betracht. 3Gehen die Parteien jedoch im Rahmen des notariellen Kaufvertrags übereinstimmend von einer Geschäftsveräußerung im Ganzen aus und beabsichtigen sie lediglich für den Fall, dass sich ihre rechtliche Beurteilung später als unzutreffend herausstellt, eine Option zur Steuerpflicht, gilt diese vorsorglich und im Übrigen unbedingt im notariellen Kaufvertrag erklärte Option als mit Vertragsschluss wirksam.“

2. Die bisherigen Sätze 2 bis 6 werden neue Sätze 4 bis 8.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7198 / 12 / 10002 vom 23.10.2013

Änderung des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. i UStG durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz

Durch Artikel 10 Nr. 3 Buchstabe b Doppelbuchstabe aa Dreifachbuchstabe aaa des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1809) wurde § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe i UStG redaktionell geändert. Die Änderung ist am 30. Juni 2013 in Kraft getreten.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vom 1. Oktober 2010, BStBl I S. 846, der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 24. September 2013 – IV D 2 – S 7100/09/10003 :002 (2013/0840707), BStBl I S. XXXX, geändert worden ist, wie folgt geändert:

  1. Im Abkürzungsverzeichnis wird nach der Angabe „SvEV = Sozialversicherungsentgeltverordnung“ die neue Angabe „SVLFGG = Gesetz zur Errichtung der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau“ eingefügt.
  2. In Abschnitt 4.16.1 Abs. 4 Satz 5 wird die Angabe „§ 16 Satz 2 KVLG 1989“ wie folgt
    gefasst:

    „§ 10 Abs. 1 KVLG 1989″.

  3. Abschnitt 4.16.5 wird wie folgt geändert:
    1. Absatz 3 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

      1Auch die Haushaltshilfeleistungen von Einrichtungen, die hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit § 42 SGB VII (Haushaltshilfe und Kinderbetreuung) bestimmt sind (§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe d UStG) oder mit denen ein Vertrag nach § 8 Abs. 3 Satz 2 SVLFGG (Inanspruchnahme anderer geeigneter Personen, Einrichtungen oder Unternehmen zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege, Betriebs- und Haushaltshilfe) über die Gewährung von Leistungen

      – nach den §§ 10 und 11 KVLG 1989 (Betriebs- und Haushaltshilfe in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung wegen Krankheit, einer medizinischen Vorsorge- oder Rehabilitationsleistung oder Schwangerschaft und Entbindung),

      – nach den §§ 10, 36, 37 und 39 ALG (Betriebs- und Haushaltshilfe in der Alterssicherung der Landwirte bei medizinischer Rehabilitation, bei Arbeitsunfähigkeit, Schwangerschaft und Kuren, bei Tod und in anderen Fällen) oder

      – nach § 54 Abs. 2 SGB VII (Betriebs- oder Haushaltshilfe in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung)

      besteht (§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe i UStG), sind steuerfrei.“

    2. Absatz 5 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

      1Einrichtungen, die Leistungen zur häuslichen Pflege und Betreuung sowie zur hauswirtschaftlichen Versorgung erbringen, sind mit ihren Leistungen steuerfrei, wenn mit ihnen die Krankenkasse einen Vertrag nach § 132a SGB V (Versorgung mit häuslicher Krankenpflege) bzw. die zuständige Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 SGB XI (Häusliche Pflege durch Einzelpersonen) geschlossen hat oder mit ihnen ein Versorgungsvertrag

      – nach § 72 SGB XI (zugelassene Pflegeeinrichtungen – § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe c UStG) bzw.

      – nach § 8 Abs. 3 Satz 2 SVLFGG (Inanspruchnahme anderer geeigneter Personen, Einrichtungen oder Unternehmen zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege, Betriebs- und Haushaltshilfe – § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe i UStG) über die Gewährung von Leistungen nach § 8 KVLG 1989 i. V. m. § 37 SGB V besteht,

      – oder wenn sie hierzu nach § 26 Abs. 5 in Verbindung mit §§ 32 bzw. 44 SGB VII (Leistungen bei Pflegebedürftigkeit durch häusliche Krankenpflege bzw. Pflege) bestimmt sind (§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe c UStG)

      bzw. wenn die Voraussetzungen nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchstabe l UStG erfüllt sind.“

Die Grundsätze dieses Schreibens sind auf Umsätze anzuwenden, die nach dem 29. Juni 2013 aufgrund eines Vertrages nach § 8 Abs. 3 Satz 2 SVLFGG erbracht werden. Es wird jedoch nicht beanstandet, wenn sich ein Unternehmer bereits für Umsätze, die aufgrund eines nach dem 31. Dezember 2012 abgeschlossenen Vertrages nach § 8 Abs. 3 Satz 2 SVLFGG erbracht werden, auf die Grundsätze dieses Schreibens beruft.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 3 – S-7172 / 09 / 10002 vom 23.10.2013

Standard-Mehrwertsteuererklärung: Vereinfachung für Unternehmen und bessere Einhaltung der Vorschriften

Am 23.10.2013 hat die Kommission eine neue Standard-Mehrwertsteuererklärung vorgeschlagen, mit der Unternehmen in der EU jährlich bis zu 15 Mrd. Euro Verwaltungskosten einsparen können. Ziel dieser Initiative ist es, den Verwaltungsaufwand für Unternehmen zu verringern, die Einhaltung der Vorschriften zu verbessern und die Steuerbehörden EU-weit effizienter zu machen. Damit steht sie in vollem Umfang im Einklang mit dem Engagement der Kommission für intelligente Regulierung und ist eine der Initiativen des REFIT-Programms zur Vereinfachung der Vorschriften und Verringerung der Verwaltungslasten für Unternehmen (IP/13/891). Mit dem heutigen Vorschlag sollen für Unternehmen, die ihre Mehrwertsteuererklärungen abgeben, unabhängig vom jeweiligen Mitgliedstaat einheitliche Anforderungen geschaffen werden. Durch die Standard-Mehrwertsteuererklärung, die die nationalen Mehrwertsteuererklärungen ersetzen soll, werden von den Unternehmen EU-weit innerhalb derselben Fristen dieselben grundlegenden Angaben verlangt. Da einfachere Verfahren leichter zu beachten und durchzusetzen sind, dürfte der heutige Vorschlag auch zur besseren Einhaltung der Vorschriften und zur Steigerung der öffentlichen Einnahmen beitragen.

Hierzu erklärte Algirdas Semeta, EU-Kommissar für Steuern: „Die Standard-Mehrwertsteuererklärung bringt allen Beteiligten nur Vorteile. Zum einen profitieren die Unternehmen von vereinfachten Verfahren, niedrigeren Kosten und weniger Bürokratie. Zum anderen erhalten die Regierungen ein neues Instrument, um die Einhaltung der Mehrwertsteuervorschriften zu erleichtern, wodurch sich ihre Einnahmen erhöhen dürften. Mit dem heutigen Vorschlag werden also sowohl unser Engagement für einen unternehmerfreundlichen Binnenmarkt als auch unsere Bemühungen um die bessere Einhaltung der Steuervorschriften in der EU unterstützt.“ Jedes Jahr reichen die Steuerpflichtigen in der EU bei ihren Finanzämtern 150 Mio. Mehrwertsteuererklärungen ein. Derzeit bestehen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten noch große Unterschiede bei den verlangten Angaben, dem Format der nationalen Formulare und den Abgabefristen. Hierdurch wird die Mehrwertsteuererklärung bei grenzübergreifender Wirtschaftstätigkeit zu einem komplexen, teuren und schwerfälligen Unterfangen. Außerdem haben sich Unternehmen, die in mehr als einem Mitgliedstaat tätig sind, darüber beschwert, dass es wegen der Komplexität des Verfahrens schwierig ist, die Mehrwertsteuervorschriften einzuhalten. Durch die heute vorgeschlagene Standard-Mehrwertsteuererklärung werden die Informationen vereinfacht, die die Unternehmen den Steuerbehörden mitteilen müssen. Künftig sollen in der Mehrwertsteuererklärung nur noch fünf Felder obligatorisch sein. Die Mitgliedstaaten erhalten jedoch die Möglichkeit, in bis zu 26 zusätzlichen Feldern weitere Standardangaben zu verlangen. Dies bedeutet eine erhebliche Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation, in der einige Mitgliedstaaten das Ausfüllen von bis zu 100 Feldern vorschreiben.

Die Unternehmen werden die Standard-Mehrwertsteuererklärung monatlich einreichen, für Kleinstunternehmen ist ein vierteljährlicher Abstand vorgesehen. Die Verpflichtung zur Abgabe einer zusammenfassenden jährlichen Erklärung, die in einigen Mitgliedstaaten derzeit noch vorgeschrieben ist, würde künftig wegfallen. Mit dem Vorschlag wird auch der elektronische Datenverkehr unterstützt, da die Standard-Mehrwertsteuererklärung künftig EU-weit elektronisch eingereicht werden kann. Mit dieser großen Vereinfachung des Verfahrens der Mehrwertsteuererklärungen setzt die Kommission einen Teil ihrer umfassenderen Ankündigung zum Abbau von Verwaltungslasten und Handelshemmnissen im Binnenmarkt in die Tat um. Der heutige Vorschlag ist außerdem ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem effizienteren und weniger betrugsanfälligen Mehrwertsteuersystem, wie er in der Strategie der Kommission für die Mehrwertsteuerreform (siehe IP/11/1508) dargelegt wurde. Auf die Mehrwertsteuer entfallen etwa 21 % der Einnahmen der Mitgliedstaaten, davon wurden aber im Jahr 2011 etwa 193 Mrd. EUR nicht eingezogen (siehe IP/13/844). Indem die Standard-Mehrwertsteuererklärung ein System schafft, das sowohl für Steuerpflichtige als auch für Behörden einfacher zu handhaben ist, wird die Einhaltung der Steuervorschriften verbessert und die Mehrwertsteuerlücke verringert. Hierdurch könnte der heutige Vorschlag EU-weit einen entscheidenden Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten, da er die Einnahmen der öffentlichen Hand erhöht.

Hintergrund

Im Dezember 2011 hat die Europäische Kommission eine Mitteilung über die Zukunft der Mehrwertsteuer angenommen (siehe IP/11/1508). Darin sind die wesentlichen Merkmale erläutert, die der neuen Mehrwertsteuerregelung zugrunde liegen müssen – insbesondere größere Einfachheit, mehr Effizienz, geringere Betrugsanfälligkeit und stärkere Ausrichtung am Binnenmarkt.

Für das Konzept einer Standard-Mehrwertsteuererklärung hat sich die Hochrangige Gruppe zum Abbau von Verwaltungslasten eingesetzt. In einer öffentlichen Anhörung wurden das große Interesse und die Unterstützung der Wirtschaft für eine solche Initiative bestätigt.

Zudem wurde die Mehrwertsteuerrichtlinie und insbesondere die Mehrwertsteuererklärung in der Mitteilung über intelligente Regulierung (IP/10/1296) als der Teil des EU-Rechts bezeichnet, der den zweithöchsten Verwaltungsaufwand verursacht. Mit dem heutigen Vorschlag wird versucht, diesem Problem abzuhelfen.

Quelle: EU-Kommission, Pressemitteilung vom 23.10.2013

Verstößt spanische Steuer auf den Einzelhandelsverkauf von Mineralölen gegen Unionsrecht?

Nach Ansicht von Generalanwalt Wahl verstößt eine spanische Steuer auf den Einzelhandelsverkauf von Mineralölen gegen das Unionsrecht.

Der Generalanwalt spricht sich auch gegen eine zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils des Gerichtshofs aus.

In der Verbrauchsteuerrichtlinie werden Regeln für die Erhebung von Verbrauchsteuern in der Europäischen Union festgelegt, um zu verhindern, dass der Handelsverkehr durch zusätzliche indirekte Steuern übermäßig behindert wird. Diese Richtlinie gilt u. a. für Mineralöle wie Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin. Eine ihrer Bestimmungen räumt den Mitgliedstaaten jedoch das Recht ein, indirekte nicht harmonisierte Steuern auf Waren einzuführen oder beizubehalten, die bereits Verbrauchsteuervorschriften unterliegen. Diese Möglichkeit besteht unter zwei Voraussetzungen, nämlich dass die betreffende Steuer i) einer besonderen, nicht haushaltsbezogenen Zielsetzung dient und ii) die Besteuerungsgrundsätze der Verbrauchsteuern oder der Mehrwertsteuer in Bezug auf die Besteuerungsgrundlage sowie die Berechnung, die Steuerentstehung und die steuerliche Überwachung beachtet.

In der vorliegenden Rechtssache geht es darum, ob eine spanische Steuer (im Folgenden: IVMDH) mit dem Unionsrecht vereinbar ist, die auf den Verbrauch bestimmter Mineralöle (Benzin, Diesel, Heizöl und Kerosin) erhoben und damit auf den Endverbraucher abgewälzt wird. Nach den spanischen Rechtsvorschriften über die IVMDH sind die Einnahmen aus dieser Steuer für Ausgaben im Gesundheits- oder Umweltwesen zu verwenden. Insbesondere soll mit ihr sichergestellt werden, dass den Autonomen Gemeinschaften ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um die Gesundheitskosten bestreiten zu können, die sie im Rahmen der Übertragung von Zuständigkeiten im Gesundheitswesen von der nationalen auf die regionale Ebene übernommen haben. Die Einnahmen aus der IVMDH wurden u. a. für den Bau neuer Krankenhäuser verwendet.

Der Rechtssache liegt eine Klage der Transportes Jordi Besora, S.L. (im Folgenden: TJB) zugrunde, einem in der Autonomen Gemeinschaft Katalonien ansässigen Transportunternehmen. TJB erwirbt Treibstoff in großen Mengen für ihre Fahrzeuge. Zwischen 2005 und 2008 wurde IVMDH in Höhe von 45.632,38 Euro auf sie abgewälzt. Da die IVMDH nach Ansicht von TJB gegen die Verbrauchsteuerrichtlinie verstößt, hat das Unternehmen die Erstattung dieses Betrags beantragt. Das Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Spanien), das über die Berufung in dieser Rechtssache entscheidet, möchte wissen, ob die IVMDH mit der Verbrauchsteuerrichtlinie vereinbar ist.

In seinen Schlussanträgen vom 24.10.2013 vertritt Generalanwalt Wahl die Auffassung, dass die IVMDH gegen die Verbrauchsteuerrichtlinie verstößt. Er prüft die IVMDH anhand der oben genannten Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Steuer wie die IVMDH mit der Verbrauchsteuerrichtlinie vereinbar ist.

Erstens erfüllt eine Steuer wie die IVMDH nach Ansicht des Generalanwalts nicht die Voraussetzung einer besonderen Zielsetzung, und zwar insbesondere deshalb nicht, weil mit ihr derselbe Zweck verfolgt wird wie mit der bereits harmonisierten Verbrauchsteuer auf Mineralöle, nämlich die Kosten (für Gesundheits- und Umweltschutz) zu verringern, die der Allgemeinheit durch den Verbrauch von Mineralöl entstehen. Wegen dieser Überschneidung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die IVMDH die Voraussetzung erfüllt, wonach die betreffende Steuer einer besonderen Zielsetzung dienen muss. Andernfalls würden die Bemühungen zur Harmonisierung des Verbrauchsteuerrechts zunichtegemacht und eine zusätzliche Verbrauchsteuer geschaffen, die dem Kernanliegen der Verbrauchsteuerrichtlinie, die verbleibenden Schranken auf dem Binnenmarkt zu beseitigen, zuwiderliefe.

Liegt eine solche Überschneidung nicht vor, können nach Auffassung des Generalanwalts die Ausgestaltung oder die Verwendung der Steuer Hinweise darauf liefern, ob eine besondere nicht haushaltsbezogene Zielsetzung besteht. Was die Ausgestaltung betrifft, liegt eine nicht haushaltsbezogene Zielsetzung erkennbar dann vor, wenn eine Steuer in einer Höhe festgesetzt wird, die von einem bestimmten Verhalten abhält oder dieses fördert. Hier liegen jedoch keine Informationen vor, denen sich entnehmen lässt, dass die Ausgestaltung der IVMDH tatsächlich speziell darauf abzielt, vom Mineralölverbrauch abzuhalten oder zur Verwendung anderer, weniger schädlicher Erzeugnisse anzuhalten. Was die Verwendung der Steuer anbelangt, müssen die Einnahmen konkreten Maßnahmen zugewiesen sein. Im vorliegenden Fall genügt die bloße Zuweisung von Einnahmen aus der IVMDH für allgemeine Gesundheits- und Umweltmaßnahmen nicht für den Nachweis, dass die Steuer einer nicht haushaltsbezogenen Zielsetzung dient. Tatsächlich wurde kein unmittelbarer Bezug zwischen den mit den IVMDH-Einnahmen finanzierten Maßnahmen und dem Ziel der Beseitigung bzw. Korrektur der mit dem Mineralölverbrauch verbundenen negativen Auswirkungen dargelegt.

Zweitens entspricht nach Ansicht des Generalanwalts die IVMDH in Bezug auf die Steuerentstehung strukturell nicht der Verbrauchsteuer oder der Mehrwertsteuer. Sie wird nämlich zu einem Zeitpunkt erhoben, der weder mit den Erfordernissen des Unionsrechts in Bezug auf die Entstehung der Verbrauchsteuer noch mit denen in Bezug auf die Entstehung der Mehrwertsteuer im Einklang steht. Anders als die Verbrauchsteuer, die entsteht, wenn die Waren dem letzten Steuerlager entnommen werden, und die Mehrwertsteuer, die auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben wird, fällt die IVMDH an, wenn Mineralöle an den Verbraucher verkauft werden.

In der vorliegenden Rechtssache hat Spanien zudem beantragt, die zeitlichen Wirkungen des Urteils für den Fall zu beschränken, dass der Gerichtshof die IVMDH für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt. In der Praxis würde dies bedeuten, dass das Urteil nur Wirkungen für die Zukunft hervorriefe und in der Vergangenheit erhobene Steuern unberührt ließe. Hierzu weist Generalanwalt Wahl darauf hin, dass der Gerichtshof derartigen Anträgen nur ganz ausnahmsweise stattgibt, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss die Unvereinbarkeitsfeststellung eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen nach sich ziehen. Zum anderen muss eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung und der Tragweite der betreffenden Unionsbestimmungen bestehen.

In diesem Zusammenhang lässt sich nach Auffassung des Generalanwalts angesichts der erheblichen Summen, um die es geht (13 Milliarden Euro nach Schätzung der spanischen Regierung), eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen nicht ausschließen. Dies gilt insbesondere aufgrund der prekären Finanzlage, in der sich Spanien und seine Autonomen Gemeinschaften derzeit befinden. Außerdem könnte eine Unvereinbarkeitsfeststellung schwerwiegende Auswirkungen auf das System haben, das zur Finanzierung der Autonomen Gemeinschaften beiträgt, und zu Fehlleitungen und Engpässen in der regionalen Finanzausstattung der Gesundheitsversorgung führen. Doch besteht nach Ansicht des Generalanwalts keine bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung und der Tragweite der betreffenden Unionsbestimmungen. Insbesondere war zum Zeitpunkt der Einführung der IVMDH bereits eine Entscheidung des Gerichtshofs zur Unvereinbarkeit einer ähnlichen Steuer ergangen.

Schließlich weist der Generalanwalt darauf hin, dass es nicht kategorisch auszuschließen ist, dass der Gerichtshof eine Beschränkung der zeitlichen Wirkungen eines Urteils auch dann in Erwägung ziehen könnte, wenn die Voraussetzung der Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Unionsbestimmungen nicht erfüllt ist. Dies kommt in bestimmten ganz außergewöhnlichen Fällen in Betracht, in denen eine Rückwirkung besonders schwerwiegende finanzielle Konsequenzen hätte. Im vorliegenden Fall hat der Generalanwalt jedoch Bedenken, dieses Kriterium außer Acht zu lassen. Spanien scheint nämlich bewusst das Risiko eingegangen zu sein, die in Rede stehenden Vorschriften zu erlassen, so dass diese viele Jahre lang zum Nachteil der Endverbraucher und des Binnenmarkts angewandt worden sind.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 24.10.2013 zum Schlussantrag C-82/12 vom 24.10.2013

 

Verfassungsmäßigkeit der sog. Zinsschranke

In seinem Urteil vom 26. November 2012 (Az.: 6 K 3390/11) ist der 6. Senat zu dem Ergebnis gelangt, dass die sog. Zinsschranke in § 4h EStG, die über § 8a KStG auch für die Körperschaftsteuer gilt, verfassungsgemäß ist. Nach dieser Vorschrift sind die Zinsaufwendungen eines Unternehmens – im Streitfall einer Holdinggesellschaft mit mehreren Konzerntöchtern – nur in Höhe des sog. „verrechenbaren EBITDA“ – dies ist ein um bestimmte Aufwendungen modifiziertes Betriebsergebnis – als Betriebsausgaben abziehbar. Die Regelung wird als „Zinsschranke“ bezeichnet. Sie soll missbräuchlichen Steuergestaltungen entgegenwirken, mit deren Hilfe international tätige Konzerne ihre Gewinne in das mit niedrigeren Steuersätzen besteuernde Ausland verlagern könnten.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hielt dies für verfassungswidrig, weil die Gesetzesvorschrift zu kompliziert gefasst sei und damit gegen das Gebot der Normenklarheit verstoße. Außerdem beanstandete sie, dass sie infolge des damit verbundenen Betriebsausgabenabzugsverbots übermäßig steuerlich belastet werde.

Der 6. Senat hat diese Auffassung nicht geteilt. Die auch im Schrifttum geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken griffen nicht durch, denn die Norm könne – wie gerade auch der Fall der Klägerin zeige – durchaus zutreffend angewendet werden. Außerdem bestehe die Möglichkeit, den im Streit-jahr nichtabzugsfähigen Teil des Zinsaufwands in die folgenden Wirtschaftsjahre vorzutragen. Die darin liegenden Beschränkungen seien mit Blick auf die Verhinderung von Gestaltungsmissbräuchen und auf die vom Gesetzgeber angestrebte Erhöhung der Eigenkapitalquote der in Deutschland aktiv tätigen Unternehmen sachlich gerechtfertigt.

Die Revision gegen die Entscheidung ist beim Bundesfinanzhof unter dem Az. I R 2/13 anhängig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 21.10.2013 zum Urteil 6 K 3390/11 vom 26.11.2012 (nrkr – BFH-Az. I R 2/13)

Quelle: Newsletter 3/2013

 

FG Baden-Württemberg Entscheidung vom 26.11.2012, 6 K 3390/11

Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften der §§ 4h des Einkommensteuergesetzes –EStG– und 8a des Körperschaftsteuergesetzes –KStG– in der Fassung des Unternehmenssteuerreformgesetzes –UStRefG 2008–.
2
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft. Sie betätigt sich auf dem Gebiet des …wesens sowie des ….wesens als Holdinggesellschaft. Zwischen der Klägerin und der Mehrzahl ihrer Tochtergesellschaften besteht ein körperschaftsteuerliches, gewerbesteuerliches und umsatzsteuerliches Organschaftsverhältnis. Gegenüber sämtlichen Tochtergesellschaften erbringt die Klägerin Leistungen gegen Entgelt u. a. auf administrativem, technischem und kaufmännischem Gebiet.
3
Das Wirtschaftsjahr der Klägerin entspricht dem Kalenderjahr.
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Mit Schreiben vom 8. Juni 2009 reichte die Klägerin ihre Körperschaftsteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2008 ein.
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Nach der Steuererklärung belief sich der Gesamtbetrag der Einkünfte auf x.xxx.xxx EUR. Bei der Ermittlung des Einkommens der Klägerin sind von der Klägerin nicht abziehbare Zinsaufwendungen i. H. von xxx.xxx EUR wieder zugerechnet worden, um deren Abziehbarkeit im vorliegenden Klageverfahren gestritten wird.
6
Ausweislich der Erklärungen der Klägerin im Veranlagungs- sowie im Rechtsbehelfsverfahren entstanden im Wirtschaftsjahr 2008 bei der Klägerin sowie ihren Organgesellschaften Zinsaufwendungen, die – bis auf ein Darlehen der A Bank vom 19./25. Januar 2006 – auf nicht zweckgebundenen Darlehen beruhten. Die Klägerin und ihre Organgesellschaften durften die gewährten Mittel für den laufenden Geschäftsverkehr verwenden. Durch das System des sog. Cash-pooling, bei dem täglich ein konzerninterner Liquiditätsausgleich durchgeführt werde, sei eine dauerhafte Zuordnung eines konkreten Finanzbedarfs zu einer bestimmten Konzerngesellschaft nicht durchführbar.
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Die Zinsaufwendungen im Sinne des § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG betrugen nach der KSt-Steuererklärung insgesamt x.xxx.xxx,xx EUR, die Zinserträge i. S. des § 4h Abs. 3 Satz 3 EStG der Klägerin und ihrer Organgesellschaften betrugen x.xxx.xxx,xx EUR; der (negative) Zinssaldo beträgt demnach x.xxx.xxx,xx EUR.
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Die Gesamtsumme der nach §§ 6 Abs. 2 Satz 1, 6 Abs. 2a Satz 2 und § 7 EStG abgesetzten Beträge wurde mit x.xxx.xxx EUR erklärt. Daraus ergab sich ein steuerliches EBITDA der Klägerin i. S. von §§ 8a Abs. 2 KStG, 4h Abs. 3 Satz 1 EStG von 15.925.673 EUR. Hieraus wiederum ergab sich ein verrechenbares EBITDA (englisch: earnings before interest, taxes, depreciation and amortization = Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen [auf Sachanlagen] und Abschreibungen [auf immaterielle Vermögensgegenstände]) i. S. von § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG i. H. von x.xxx.xxx,xx EUR. In Höhe der Differenz dieses Betrages zum (negativen) Zinssaldo von x.xxx.xxx EUR sind die Zinsaufwendungen nach § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG nicht abzugsfähig. Daher wurden von der Klägerin von den Zinsaufwendungen i. H. von insgesamt x.xxx.xxx EUR lediglich Zinsaufwendungen i. H. von x.xxx.xxx EUR als abziehbar und i. H. von xxx.xxx EUR als nicht abziehbar erklärt.
9
Das beklagte Finanzamt –FA– folgte in seinem Körperschaftsteuerbescheid vom 13. Januar 2010 dieser Berechnung und veranlagte die Klägerin entsprechend ihrer Steuererklärung mit Ausnahme eines von der Klägerin geltend gemachten Verlustvortrags, der sich in 2007 bereits verbraucht hatte, der aber im vorliegenden Verfahren nicht streitig ist.
10
Gegen den Bescheid für 2008 über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und über die gesonderten Feststellungen nach § 8a Abs. 1 KStG i. V. m. § 4h EStG auf den 31. Dezember 2008 und § 9 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 und 4 KStG auf den 31. Dezember 2008 legte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Februar 2010 Einspruch ein. Nach Auffassung der Klägerin sind die Regelungen der Zinsschranke gemäß §§ 4h EStG, 8a KStG mit dem Grundgesetz –GG– unvereinbar. Gerügt wurde ein Verstoß gegen das Prinzip der Normenklarheit und das Bestimmtheitsgebot, gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentumsfreiheit.
11
Mit Einspruchsentscheidung vom 26. September 2011, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Im Wesentlichen ist ausgeführt, dass entgegen der Auffassung der Klägerin die streitigen Normen verfassungsgemäß seien.
12
Mit Schriftsatz vom 27. September 2011, der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, wurde Klage erhoben. Im Wesentlichen wird, wie schon im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, ein Verstoß gegen das Prinzip der Normenklarheit und das Bestimmtheitsgebot, gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Eigentumsfreiheit gerügt:
13
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlange das aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG folgende Bestimmtheitsgebot vom Gesetzgeber, Vorschriften so genau zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Der Betroffene müsse die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung so erkennen können, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermöge.
14
Für das Steuerrecht bedeute dies, dass die steuerbegründenden Tatbestände so bestimmt sein müssten, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen könne. Es reiche nicht aus, dass sich die Rechtsfolgen einer Norm allenfalls Experten erschlössen. Daran gemessen entsprächen §§ 4h EStG, 8a KStG nicht mehr dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit.
15
Durch die Bezugnahme im Rahmen des Eigenkapitalvergleichs nach der sog. Escape-Klausel des § 4h Abs. 2 Satz 1 c) EStG auf verschiedene Rechnungslegungsmaßstäbe jenseits des HGB sei die Kennzahl „Eigenkapitalquote” nicht mehr hinreichend bestimmt. Zu berücksichtigen sei dabei auch, dass die Auslegung durch die deutschen Finanzbehörden und Gerichte maßgeblich sei; hierzu existierten aber weder Verwaltungsanweisungen noch Rechtsprechung.
16
Schließlich erreiche die Komplexität der Zinsschranke im Zusammenspiel mit der Hinzurechnung von Zinsen bei der Gewerbesteuer, der verdeckten Gewinnausschüttung, der Abzugsbeschränkung in Zusammenhang mit § 8b KStG, der Mindestgewinnbesteuerung sowie der Abgeltungssteuer ein Ausmaß, welches das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarheit als nicht mehr erfüllt erscheinen lasse.
17
Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG gebiete dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Im Bereich des Ertragsteuerrechts werde die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpfe und die es so als rechtlich gleich qualifiziere, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Beachtung des Prinzips der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach müsse im Rahmen der Gesetzgebung darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit grundsätzlich auch gleich hoch zu besteuern. Ausnahmen bedürften eines besonderen sachlichen Grundes.
18
Die finanzielle Leistungsfähigkeit müsse sich nach dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip bemessen. Danach unterliege der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den Erwerbsaufwendungen andererseits. Daher seien Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 4 Abs. 4 EStG grundsätzlich steuerlich abziehbar.
19
Die Norm des § 4h EStG i. V. m. § 8a KStG verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG; denn die hierdurch getroffene Belastungsentscheidung sei nicht folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt worden. Die Norm weiche von dem nach dem Nettoprinzip maßgeblichen Veranlassungsprinzip ab. Sie werde auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen besonderen sachlichen Grund für eine Ausnahme vom Gebot der folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuerlicher Belastungsentscheidungen nicht gerecht.
20
Die Zinsschranke gemäß § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m § 8a KStG enthalte ein Betriebsausgabenabzugsverbot, wonach sowohl die an Gesellschafter und nahe stehende Personen als auch an Dritte, insbesondere Kreditinstitute, gezahlten Zinsen in einem bestimmten Umfange nicht abzugsfähig seien. Erwerbssichernde Aufwendungen für die Refinanzierung des Betriebs und damit auch Zinsaufwendungen für Fremdkapital seien unstreitig betrieblich veranlasst. Damit stelle die Zinsschranke eine Abweichung vom Prinzip der Abzugsfähigkeit betrieblich veranlasster Erwerbsaufwendungen und damit vom objektiven Nettoprinzip dar.
21
Zwar sehe § 4h Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG die Möglichkeit vor, den nichtabzugsfähigen Zinsaufwand in die folgenden Wirtschaftsjahre vorzutragen und dort unter den Voraussetzungen des § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG abzuziehen. Dieser Zinsvortrag ändere jedoch nichts an der Verletzung des objektiven Nettoprinzips, insbesondere entspreche er in Funktion und Wirkungsweise nicht den Regelungen zu Verlustverrechnung und Verlustvortrag, die von der Rechtsprechung als zulässige Beschränkung des objektiven Nettoprinzips angesehen würden, da sich die Besteuerung auf verschiedene Veranlagungszeiträume verlagere. Die Versagung der innerperiodischen Berücksichtigung erwerbssichernden Aufwands innerhalb einer Einkunftsart sei wesensmäßig etwas Anderes als die einkünfte- und abschnittsübergreifende Beschränkung der Verlustverrechnung. Im Gegensatz zur einkünfte- und veranlagungszeitraum-übergreifenden Beschränkung des Verlustabzugs nach § 10 d EStG und § 2 Abs. 3 EStG a. F. versage die Zinsschranke hinsichtlich tatsächlich getätigten, mit einem echten Mittelabfluss verbundenen Zinsaufwendungen den Betriebsausgabenabzug innerhalb einer Einkunftsart und innerhalb ein und desselben Veranlagungszeitraums. Ein besonderer, die Abweichung vom Gebot der Folgerichtigkeit sachlich rechtfertigender Grund sei nicht erkennbar.
22
Ausweislich der Gesetzesbegründung für das UStRefG 2008 solle die Zinsschranke bei der Körperschaftsteuer einer übermäßigen Fremdfinanzierung der Unternehmen entgegenwirken und verhindern, dass allein aus Gründen der Steueroptimierung eine hohe Fremdkapitalquote angestrebt werde. Sie solle insbesondere verhindern, dass Konzerne mittels grenzüberschreitender konzerninterner Fremdkapitalfinanzierung in Deutschland erwirtschaftete Erträge ins Ausland transferierten und dass Konzerne sich gezielt über ihre deutschen Töchter auf dem Kapitalmarkt verschuldeten und über die gezahlten Zinsen vor allem in Deutschland die Steuerbemessungsgrundlage verringerten.
23
Da das Bundesverfassungsgericht als eine Abweichung vom Gebot der Folgerichtigkeit nicht den rein fiskalischen Zweck staatlicher Einnahmeerhöhung anerkannt habe, komme vorliegend allenfalls eine gesetzliche Typisierung zur Verhinderung von Missbrauch durch steuerwirksame Verlagerung von Zinsaufwand in das Inland bei Versteuerung der Gewinne im Ausland bei deutliche niedrigeren Steuersätzen als rechtfertigender Grund in Betracht.
24
Die durch die Typisierung ausgelöste ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler dürfe allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssten die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Demnach müsste es sich bei den von der Regelung der Zinsschranke in typisierter Form erfassten Sachverhalte regelmäßig um Fälle steuerminimierender Gestaltung durch Verlagerung von Gewinnen aus dem Inland in das steuergünstigere Ausland handeln, die kennzeichnend sei für Sachverhalte mit missbräuchlichem Charakter. Dies sei indes nicht der Fall, wie bereits der Umstand zeige, dass die Vorschrift grundsätzlich jedwede Fremdfinanzierung von Konzerngesellschaften erfasse und damit ignoriere, dass bei reinen Inlandskonzernen ein Missbrauch durch Ausnutzung des internationalen Steuersatzgefälles im Unterschied zu grenzüberschreitenden Konstellationen von vornherein ausgeschlossen sei.
25
§§ 4h EStG, 8a KStG erfassten überdies ohne Unterschied steuerlich motivierte Fremdfinanzierungsgestaltungen ebenso wie mangels vorhandener Alternative zwangsweise in Kauf genommene hohe Fremdkapitalquoten, die vom Gesetzgeber als atypisch angesehen würden. Dagegen dürften letztere bei realistischer Betrachtung weitaus häufiger auftreten als erstere, wovon auch der Gesetzgeber selbst ausgehe angesichts seiner Feststellung in der amtlichen Begründung des UStRefG 2008, deutsche Unternehmen würden im internationalen Vergleich eine hohe Fremdkapitalquote aufweisen. Dies mehrheitlich auf steuerliche Motive zurückzuführen, erscheine nicht realitätsgerecht. Die Fremdkapitalquote sei kein taugliches Typisierungskriterium für Missbrauchsfälle.
26
Die steuerlichen Vorteile der Typisierung durch die Regelungen der Zinsschranke stünden auch nicht im richtigen Verhältnis zu der damit notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung. Die Ungleichbehandlung durch das Zinsabzugsverbot stehe trotz der Möglichkeit des Zinsvortrags sowie der Escape-Klausel des § 4h Abs. 2 Satz 1 c) EStG zu dem durch den Gesetzgeber verfolgten und legitimen Ziel der Missbrauchsbekämpfung nicht in einem angemessenen Verhältnis. Der Zinsvortrag könne nur genutzt werden, wenn sich das Verhältnis zwischen Zinsaufwand und Gewinn verändere. Aufgrund der in § 4h EStG zugrundegelegten hohen Eigenkapitalquote bedürfe es hierzu einer grundlegenden Umgestaltung der Finanzierungsstruktur eines Unternehmens, die in der Mehrheit der Fälle kaum bzw. nur sehr langfristig durchführbar sein dürfte. Des Weiteren stelle sich für eine große Zahl von Unternehmen die Escape-Klausel des § 4h Abs. 2 Satz 1 c) EStG als lediglich in der Theorie existierende Möglichkeit dar, der Zinsschranke zu entgehen. Denn gemäß § 4h Abs. 2 Satz 1 c) Satz 5 EStG sei im Rahmen des Eigenkapitalvergleichs das Eigenkapital um den Buchwert von Beteiligungen zu kürzen. Insbesondere Holdinggesellschaften mit erheblichem Beteiligungsbesitz seien daher grundsätzlich nicht in der Lage, die Escapeklausel zu erfüllen. Die Toleranzschwelle des § 4h Abs. 2 Satz 1 c) Satz 2 EStG von einem Prozentpunkt sei zudem viel zu gering, um die im Rahmen eines größeren Unternehmensverbunds ständig auftretenden Schwankungen der Eigenkapitalquote auszugleichen.
27
Indem durch die dargestellten, im Regelfall nicht zu erfüllenden Voraussetzungen für das Vorliegen eines Verschonungstabestandes der Ausnahmetatbestand – Anwendung des Zinsabzugsverbots nur bei typischerweise missbräuchlichen Konzernfinanzierungsgestaltungen – zum Regelfall werde, komme den Regelungen der Zinsschranke eine überschießende Wirkung zu. Bei einer Gesamtabwägung stehe die Schwere des Eingriffs – endgültige Versagung der steuerlichen Berücksichtigung eines Großteils der Zinsaufwendungen bei einer Vielzahl von Unternehmen ohne Vorliegen eines auf eine missbräuchliche Gestaltung hindeutenden Sachverhalts – außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe in Form der damit bezweckten Missbrauchsverhinderung.
28
Ferner rügt die Klägerin auch eine Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG: Das geschützte Grundrecht dürfe nur so weit beschränkt werden, dass dem Grundrechtsträger ein Kernbestand des Erfolgs eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützlichkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibe. Die Zinsschranke führe zur Annahme von fiktiven Gewinnen. Es könne zur Besteuerung von Gewinnen kommen, die tatsächlich gar nicht entstanden seien. Namentlich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten könne die Zinsschranke folglich Insolvenzgrund werden und somit nicht nur konfiskatorische, sondern sogar erdrosselnde Wirkung entfalten. Eine derartige Konsequenz stehe aber im Widerspruch zu dem verfassungsrechtlich nach Art. 14 GG garantierten Schutz des Eigentums.
29
Die Klägerin beantragt, den Körperschaftsteuerbescheid vom 13. Januar 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26. September 2011 dahingehend abzuändern, dass zusätzlicher Zinsaufwand in Höhe von xxx.xxx ,xx EUR zum Abzug zugelassen wird, hilfsweise Zulassung der Revision.
30
Das FA beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise Zulassung der Revision.
31
Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass die strittigen Normen in einem ordnungsgemäßen Verfahren durch Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden und somit für die Besteuerung bindend seien. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin verstießen §§ 4h EStG, 8a KStG nicht gegen die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie gegen das GG.
32
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, sowie die vom FA vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33
Die Klage ist nicht begründet.
34
Zinsaufwendungen eines Betriebs sind nur in Höhe des verrechenbaren EBITDA, d.h. 30 % des um Zinsaufwendungen und bestimmte Abschreibungen erhöhten Einkommens, abziehbar (vgl. § 8 Abs. 1, § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG i. d. F. des UntStRefG 2008 vom 14. August 2007, Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2007, 1912, Bundessteuerblatt -BStBl- I 2007, 630, i. V. m. § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG i. d. F. des UntStRefG 2008 bzw. § 4h Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums -Wachstumsbeschleunigungsgesetz- vom 22. Dezember 2009, BGBl I 2009, 3950, BStBl I 2010, 2, BStBl I 2010, 2). Danach verbleibende nicht abziehbare Zinsaufwendungen sind in die folgenden Wirtschaftsjahre vorzutragen (§ 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 4h Abs. 1 Satz 2 EStG bzw. § 4h Abs. 1 Satz 5 EStG 2009 n.F.). Dass das FA diese Vorgaben in den Bescheiden zutreffend umgesetzt hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
35
In Literatur und Rechtsprechung – Nachweise in BFH-Beschluss vom 13. März 2012 I B 111/11, BStBl II 2012, 611, Abs. 32 – werden teilweise ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschrankenregelung geäußert. Entscheidungen in einem Hauptsacheverfahren stehen bisher aus. Auch der BFH hat in BStBl II 2012, 611, dahingestellt sein lassen, ob der Regelung bereits grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen (Abs. 32 des Beschlusses).
36
Der Senat ist unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgetragenen Argumente sowie der sonstigen Ausführungen in den verschiedenen Entscheidungen der Finanzgerichte sowie des BFH a.a.O. sowie der Ausführungen in der Literatur der Auffassung, dass zwar verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Zinsschranke in der im Streitjahr gültigen Fassung bestehen, dass aber die Zweifel nicht so weit gehen, dass der Senat von der Verfassungswidrigkeit der Norm ausgeht und deshalb gehalten ist, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
37
Nach Auffassung des Senats liegt kein Verstoß gegen das Prinzip der Normenklarheit und das Bestimmtheitsgebot vor.
38
Unstreitig ist die Regelung komplizierter als die des bis zum Inkrafttreten der UStRefG 2008 gültigen § 8a KStG. Es werden nebeneinander steuerliche Größen (maßgeblicher Gewinn, steuerpflichtiger Gewinn, Einkommen) und handelsrechtliche bzw. gesellschaftsrechtliche Begriffe (Konzern, Eigenkapitalquote, Eigenkapitalvergleich) verwendet. Dass es bei Inkrafttreten einer neuen gesetzlichen Regelung Abgrenzungs- oder Auslegungsprobleme gibt, vermag für sich allein keine Verfassungswidrigkeit zu begründen. Nicht berücksichtigt hat die Klägerin bei ihren Ausführungen, dass zur Auslegung dieser Vorschriften ein Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 4. Juli 2008, BStBl I 2008, 718, existiert, in dem die Auffassung der Finanzverwaltung dargelegt wird.
39
Trotz der von ihr vorgetragenen Bedenken und Darlegungen war die Klägerin in ihrem Steuerfall durchaus in der Lage, die Regelungen zutreffend anzuwenden. Somit war zumindest für die Klägerin die Norm doch nicht so unklar, als dass sie sie nicht hätte anwenden können.
40
Der Senat verkennt nicht, dass die Regelungen in §§ 4h EStG, 8a KStG kompliziert ist; dies macht sie aber nicht verfassungswidrig, da sie letztlich doch hinreichend klar und bestimmt sind.
41
Weiter liegt nach Auffassung des Senats kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
42
Die Zinsschranke führt – wenn sie zum Tragen kommt – unstreitig zu einer Abweichung vom Prinzip der Abzugsfähigkeit betrieblich veranlasster Finanzierungsaufwendungen im jeweiligen Wirtschaftsjahr. Damit ist in diesem Fall zunächst einmal das objektive Nettoprinzip berührt. Aber nicht jede Regelung, die das objektive Nettoprinzip berührt, führt automatisch zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung.
43
Zum einen sehen § 4 h Abs. 1 Satz 2 u. 3 EStG die Möglichkeit vor, den nichtabzugsfähigen Teil des Zinsaufwands in die folgenden Wirtschaftsjahre vorzutragen und dort unter den Voraussetzungen des § 4h Abs. 1 Satz 1 EStG abzuziehen. Damit sind diese Regelungen durchaus vergleichbar mit den Regelungen zu Verlustverrechnung und Verlustvortrag, die die Rechtsprechung als zulässige Beschränkung des Nettoprinzips ansieht. Im Unterschied zu den Regelungen des Verlustabzugs nach § 10d EStG und § 2 Abs. 3 EStG a.F. betrifft die Zinsschranke nur ein Element der Einkünfteermittlung, während die Regelungen bezüglich des Verlustabzugs die Einkünfte selbst betreffen.
44
Soweit die Klägerin beanstandet, dass die Zinsaufwendungen nicht sofort im Jahr des Aufwandes uneingeschränkt zum Abzug zugelassen werden, sondern ggf. nur über den Zinsvortrag in den folgenden Veranlagungszeiträumen, verstößt dies nicht gegen das GG. Wie der BFH in seiner Entscheidung zur Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG entschieden hat (Urteil vom 22. August 2012 I R 9/11, noch nicht veröffentlicht), verstößt eine zeitliche Streckung des Verlustvortrags in ihrer Grundkonzeption nicht gegen Verfassungsrecht. Die in dieser Entscheidung gemachten Ausführungen müssen nach Auffassung des Senats auch für die zeitliche Streckung des Zinsabzuges gelten.
45
Des Weiteren ist nach Auffassung des Senats die Beschränkung des Nettoprinzips auch sachlich gerechtfertigt.
46
Mit der Einführung der Zinsschranke und der Neuregelung des § 8a KStG versucht der Gesetzgeber Gestaltungen entgegen zu wirken, durch die international tätige Konzerne ihre Erträge ins niedriger besteuerte Ausland, Aufwendungen hingegen in die höher besteuerte Bundesrepublik verlagern. Insbesondere mit der in § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. c) EStG enthaltenen sog. Escapeklausel, mit der sich ein konzernzugehöriges Unternehmen mit ausreichender Eigenkapitalausstattung im Inland von der Abzugsbeschränkung für Zinsaufwendungen befreien kann, soll ein steuerlicher Anreiz geschaffen werden, in stärkerem Maße als bisher Eigenkapital in die Bundesrepublik zu binden.
47
Die Neuregelung zielt aus der Sicht des Gesetzgebers auf die Vermeidung als problematisch eingestufter Fallgruppen der Unternehmens- und Konzernfinanzierung:
– die übermäßige sog. Down-stream-Inboundfinanzierung durch Gesellschafter, bei der eine ausländische Mutterkapitalgesellschaft ihre inländische Tochterkapitalgesellschaft mit Fremdkapital finanziert,
– die sog. Up-stream Inboundfinanzierung, bei der eine inländische Mutterkapitalgesellschaft ihre ausländische Tochterkapitalgesellschaft übermäßig mit Eigenkapital ausstattet und die Tochterkapitalgesellschaft der Mutterkapitalgesellschaft ein Darlehen gewährt,
– die sog. Down-stream-Outboundfinanzierung, bei der eine inländische Mutterkapitalgesellschaft ein Eigenkapitalinvestment in eine ausländische Tochterkapitalgesellschaft durch einen Bankkredit refinanziert.
48
Auch nach Auffassung der Klägerin wäre eine gesetzliche Typisierung zur Verhinderung von Missbrauch durch steuerwirksame Verlagerung von Zinsaufwand in das Inland bei gleichzeitiger Versteuerung der Gewinne im tarifgünstigeren Ausland als rechtfertigender Grund für die Beschränkung des Nettoprinzips grundsätzlich denkbar.
49
Nach Auffassung der Klägerin sind die vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen zur Verhinderung dieses Missbrauchs aber nicht sachgerecht. Sie wären nur dann sachgerecht, wenn es sich bei den von den Regelungen der Zinsschranke in typisierter Form erfassten Sachverhalten regelmäßig um Fälle steuerminimierender Gestaltung durch Verlagerung von Gewinnen aus dem Inland in das steuergünstigere Ausland handeln würde. Dies sei aber nicht der Fall, wie bereits der Umstand zeige, dass die Vorschrift grundsätzlich jede Fremdfinanzierung von Konzerngesellschaften erfasse und damit ignoriere, dass bei reinen Inlandskonzernen ein Missbrauch durch die Ausnutzung des internationalen Steuergefälles im Unterschied zu grenzüberschreitenden Konstellationen von vornherein ausgeschlossen sei.
50
Eine Beschränkung der Zinsschranke auf internationale Konzerne ist aber europarechtlich nicht möglich; denn eine derartige Regelung würde sowohl gegen die vorrangige Niederlassungsfreiheit des Art 49 AEUV sowie die nachrangige Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV verstoßen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann daher nur eine Regelung, die gleichermaßen reine Inlandsfälle wie auch grenzüberschreitende Fälle erfasst, den Anforderungen des AEUV genügen. Somit ist die bestehende gesetzliche Regelung, die zwischen Inlands- und Auslandsfällen nicht differenziert, von der Sache her geboten.
51
Der Senat hält die Zinsschranke auch von der Sache her für gerechtfertigt: Unstreitig waren die oben dargestellten Fallgruppen und einige „Schwächen” des § 8a KStG a.F. mit ein Anlass, die gesetzlichen Vorschriften neu zu fassen. Bei der Neufassung hatte der Gesetzgeber aber nicht nur die von ihm als problematisch eingestuften Fallgruppen der Unternehmens- und Konzernfinanzierung im Fokus, sondern auch die geringe Kapitalausstattung deutscher Unternehmen, wie sich der amtlichen Begründung (BT-Drs. 16/4841, 74 ff.; BT-Drs. 16/5491, 22) entnehmen lässt.
52
Somit hat die Zinsschranke zumindest auch nichtsteuerliche Lenkungszwecke. Außerfiskalische Lenkungszwecke stellen aber sachlich rechtfertigende Gründe dar, das objektive Nettoprinzip einzuschränken. Wenn die Konzerne die Eigenkapitalquoten ihrer im Inland aktiven Gesellschaften erhöhen, hat der Gesetzgeber sein mit der Einfügung des § 4h EStG gesetztes Regelungsziel erreicht:
53
Lässt die Klägerin ihre konkrete Finanzierungssituation unverändert, so entsteht ein ständig wachsender Zinsvortrag. Ändert sie hingegen ihr Finanzierungsgebaren, wird der Zinsvortrag abzugsfähig. Das Anwachsen des Zinsvortrags unter gleichzeitiger Drohung des endgültigen Verlustes der Abzugsfähigkeit bei unveränderter Finanzierungssituation stellt damit das Druckmittel zu der vom Gesetzgeber gewollten Änderung der Kapitalausstattung dar. Ziel ist aber nicht die Nichtabzugsfähigkeit der Zinsen, sondern die Verbesserung der Eigenkapitalquote, um so deutsche Unternehmen vor einem – aus der Sicht des Staates unerwünschten – Ausverkauf an nichtdeutsche Investoren einzudämmen, damit die deutsche Wirtschaft, deren Wirken über das Bruttoinlandsprodukt für das Wohl der Bundesrepublik von existenzieller Bedeutung ist, auch in Krisenzeiten ihren Beitrag in Form von Steuern leisten kann. Es geht nicht lediglich um die Wahrung des deutschen Steuersubstrats, sondern um das Funktionieren der deutschen Wirtschaft. Die Zinsschranke stellt im Lichte des Verfassungsrechts eine zulässige Beschränkung des objektiven Nettoprinzips dar, um das vorgenannte, nichtsteuerliche Ziel zu erreichen.
54
Schließlich ist nach Auffassung des Senats Art. 14 Abs. 1 GG bei der Klägerin im Streitjahr durch die Zinsschranke nicht verletzt.
55
In der Literatur werden von verschiedenen Autoren Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke erhoben. Es gibt aber auch maßgebliche Autoren, die wiederum die Verfassungswidrigkeit der Zinsschranke bezweifeln (Dötsch/Pung/Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer, Rz. 22 zu § 8a KStG (URefG 2008); Frotscher / Maas, Kommentar zum Körperschaft-, Gewerbe- und Umwandlungssteuergesetz: KStG, GewStG, UmwStG, Rz. 9 zu § 8a KStG). Der Senat schließt sich unter Berücksichtigung aller Aspekte den Autoren an, die eine Verfassungswidrigkeit verneinen.
56
Die Klage war demnach abzuweisen.
57
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 135 der Finanzgerichtsordnung –FGO–.
58
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge sind bei der Einkünfteberechnung für Unterhaltsaufwendungen nicht abziehbar

Im Urteil des 8. Senats vom 22. Januar 2013 (Az.: 8 K 1103/12) ging es um Beiträge, die ein vom Steuerpflichtigen unterhaltener Angehöriger für seine eigene Renten- und Arbeitslosenversicherung leisten muss. Der 8. Senat hat entschieden, dass diese Beiträge nicht bei der Berechnung der Einkünfte des Angehörigen abziehbar sind, wenn es darum geht, in welcher Höhe der Steuerpflichtige die Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastungen steuerlich geltend machen kann. Das gleiche gilt nach den Ausführungen des Senats auch für einen Anteil von 4% an den Krankenversicherungsbeiträgen, da sie in diesem Umfang dazu bestimmt sind, einen Anspruch auf das – nicht zur Basisversorgung gehörende – Krankengeld zu begründen.

Hintergrund der Entscheidung ist eine gesetzliche Regelung in § 33a Abs. 1 EStG, wonach sich der Höchstbetrag, bis zu dem der Unterhaltsaufwand an den Angehörigen als sog. Außergewöhnliche Belastung berücksichtigungsfähig ist, um die eigenen Einkünfte und Bezüge der unterhaltsberechtigten Person vermindert. Die Kläger des Verfahrens hatten geltend gemacht, dass bei diesen Einkünften und Bezügen die Pflichtversicherungsbeiträge zur Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung in vollem Umfang in Abzug zu bringen seien, weil sie dem von ihnen unterstützten Angehörigen (nämlich ihrem Sohn) tatsächlich für den Lebensunterhalt nicht zur Verfügung stünden und deshalb gleichfalls durch ihre Unterhaltsaufwendungen abgedeckt werden müssten.

Dieser Sichtweise ist der 8. Senat nicht gefolgt. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut flössen in die Berechnung des zu berücksichtigenden Höchstbetrags zwar die Beiträge des unterhaltenen Angehörigen zur (Basisversorgungs-) Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung ein, nicht aber dessen übrige Sonderausgaben. Deren Berücksichtigung sei auch verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn insoweit wirkten zwei Umstände kompensatorisch – zum einen bleibe bei den Einkünften und Bezügen ohnehin ein Teilbetrag von 624 Euro anrechnungsfrei, und zum anderen liege der abziehbare Höchstbetrag an außergewöhnlichen Belastungen deutlich über dem Existenzminimum.

Gegen die Entscheidung ist beim Bundesfinanzhof ein Revisionsverfahren unter dem Az. VI R 45/13 anhängig.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 21.10.2013 zum Urteil 8 K 1103/12 vom 22.01.2013 (nrkr – BFH-Az.: VI R 45/13)

Quelle: Newsletter 3/2013

 

FG Baden-Württemberg Urteil vom 22.1.2013, 8 K 1103/12

Unterhaltsleistungen § 33a Abs. 1 EStG n.F.: Berechnung der Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person ohne Abzug der Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers

Tenor

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob bei der Berechnung der nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung vom 16. Juli 2009 (BGBl I 2009, 1959) beim Steuerpflichtigen abzugsfähigen Unterhaltsaufwendungen die Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person um die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 % des Beitragssatzes für Leistungen, die über das sozialhilferechtliche Niveau der Krankenversorgung hinausgehen) zu mindern sind.
2
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger ist der Vater des am 28. Oktober 1983 geborenen Kindes X., das im Streitjahr im Haushalt der Kläger wohnte und vom Vater unterhalten wurde.
3
Das Kind befand sich im Streitjahr in Ausbildung und erhielt eine Ausbildungsvergütung von 7.944 EUR brutto. Sein Arbeitgeber zog hiervon die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Krankenversicherung (627,56 EUR), Pflegeversicherung (97,32 EUR), Rentenversicherung (790,48 EUR) und Arbeitslosenversicherung (111,24 EUR) ab.
4
Die Kläger machten in ihrer Einkommensteuererklärung 2010 vom 12. August 2011 Unterhaltsaufwendungen nach § 33a EStG für das Kind geltend. Ihre Gesamtaufwendungen für das Kind gaben sie mit 8.004 EUR an. Die Einkünfte und Bezüge des Kindes in Höhe von 5.397,40 EUR berechneten sie wie folgt:
5
Bruttoarbeitslohn laut Lohnsteuerbescheinigung
7.944,00 EUR
./. Krankenversicherung
./. 627,56 EUR
./. Pflegeversicherung
./. 97,32 EUR
./. Rentenversicherung
./. 790,48 EUR
./. Arbeitslosenversicherung
./. 111,24 EUR
./. Arbeitnehmerpauschbetrag
./. 920,00 EUR
= Einkünfte des Kindes
5.397,40 EUR
6
Der Beklagte gewährte im Einkommensteuerbescheid 2010 vom 7. Oktober 2011 Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 1.604 EUR gemäß folgender Berechnung:
7
Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG)
8.004,00 EUR
Einkünfte des Kindes:
Ausbildungsvergütung
7.944,00 EUR
./. Werbungskostenpauschbetrag
./. 920,00 EUR
./. Freibetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 5 EStG)
./. 624,00 EUR
= schädliche Einkünfte
6.400,00 EUR
./. 6.400,00 EUR
= abziehbare Unterhaltsaufwendungen
1.604,00 EUR
8
Mit dem dagegen am 11. Oktober 2011 erhobenen Einspruch machten die Kläger geltend, ihre Berechnungen hätten einen Abzugsbetrag von 3.231 EUR ergeben.
9
Im Teilabhilfebescheid vom 26. Oktober 2011 gewährte der Beklagte Unterhaltsaufwendungen von 2.329 EUR. Im Unterschied zum ersten Einkommensteuerbescheid berücksichtigte er nunmehr die Erhöhung des Höchstbetrags nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG:
10
Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG)
8.004,00 EUR
+ Krankenversicherung
+ 627,56 EUR
+ Pflegeversicherung
+ 97,32 EUR
= erhöhter Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG)
8.728,88 EUR
Einkünfte des Kindes:
Ausbildungsvergütung
7.944,00 EUR
./. Werbungskostenpauschbetrag
./. 920,00 EUR
./. Freibetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 5 EStG)
./. 624,00 EUR
= schädliche Einkünfte
6.400,00 EUR
./. 6.400,00 EUR
= abziehbare Unterhaltsaufwendungen
2.328,88 EUR
11
Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 als unbegründet zurück. Nach seiner Auffassung könnten die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) nicht von den Einkünften und Bezügen des Kindes abgezogen werden. Der Gesetzgeber lasse keinen Spielraum. Ab dem Veranlagungszeitraum 2010 sei der bislang in § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG (jetzt: Satz 5) enthaltene Verweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entfallen. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seien künftig bereits bei der Bemessung des Höchstbetrags zu berücksichtigen und dürften zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung nicht zusätzlich die Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person mindern (Hinweis auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF-, BStBl I 2010, 582, Tz. 13). Die anderen unvermeidbaren Versicherungsbeiträge wie Renten- und Arbeitslosenversicherung könnten dagegen von den Einkünften und Bezügen des Unterhaltsempfängers nicht abgezogen werden. Die Norm dürfe nicht über ihren Wortlaut hinaus ausgedehnt werden.
12
Mit der dagegen am 27. März 2012 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Ziel weiter. Sie legen erstmals eine auf den Streitfall bezogene Berechnung der nach ihrer Meinung abzugsfähigen Unterhaltsaufwendungen vor:
13
Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG)
8.004,00 EUR
+ Krankenversicherung, 96 % von 627,56 EUR
+ 602,46 EUR
+ Pflegeversicherung
+ 97,32 EUR
= erhöhter Höchstbetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 2 EStG)
8.703,78 EUR
Einkünfte des Kindes:
Ausbildungsvergütung
7.944,00 EUR
./. Werbungskostenpauschbetrag
./. 920,00 EUR
./. Krankenversicherung, 4 % von 627,56 EUR
./. 25,10 EUR
./. Rentenversicherung
./. 790,48 EUR
./. Arbeitslosenversicherung
./. 111,24 EUR
./. Freibetrag (§ 33a Abs. 1 Satz 5 EStG)
./. 624,00 EUR
= schädliche Einkünfte
5.473,18 EUR
./. 5.473,18 EUR
= abziehbare Unterhaltsaufwendungen
3.230,60 EUR
14
Sie meinen, der Gesetzgeber habe mit der Streichung des Verweises auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG lediglich verhindern wollen, dass die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung doppelt (Erhöhung des Höchstbetrags und Minderung der Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person) berücksichtigt werden. Dies gelte jedoch nicht für die Renten- und Arbeitslosenversicherung. Einkünfte und Bezüge könnten nur solche Beträge sein, die der unterstützten Person tatsächlich für den Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Das sei bei den Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung nicht der Fall. Die Leistungsfähigkeit einer unterstützten Person mindere sich um die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung. Daher müssten diese Beträge wie bis zum Jahr 2009 in voller Höhe bei der Berechnung der abzugsfähigen Unterhaltsaufwendungen berücksichtigt werden, wobei im Ergebnis nicht entscheidend sei, ob dies durch eine Erhöhung des Höchstbetrags oder durch eine Minderung der eigenen Einkünfte und Bezüge der unterstützten Person geschehe.
15
Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26. Oktober 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 dahingehend abzuändern, dass Unterhaltsaufwendungen für das Kind X. in Höhe von 3.231 EUR berücksichtigt werden.
16
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
17
Er verweist in seiner Klagebegründung auf die Einspruchsentscheidung.
18
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

19
Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26. Oktober 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Februar 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) erhöhen weder den Höchstbetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG noch sind sie von den Einkünften und Bezügen der unterhaltenen Person abzuziehen.
20
1. Nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass die Aufwendungen bis zu 8.004 EUR im Kalenderjahr vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, wenn einem Steuerpflichtigen Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung einer dem Steuerpflichtigen oder seinem Ehegatten gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Person erwachsen. Der Höchst-betrag erhöht sich gemäß § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG um den Betrag der im jeweiligen Veranlagungszeitraum nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG für die Absicherung der unterhaltsberechtigten Person aufgewandten Beiträge; dies gilt nicht für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die bereits (beim Unterhaltsverpflichteten) nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG anzusetzen sind. Nach § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG vermindert sich die Summe der nach Satz 1 und Satz 2 ermittelten Beträge um Einkünfte oder Bezüge der unterhaltenen Person, soweit diese den Betrag von 624 EUR im Kalenderjahr übersteigen.
21
2. Vorliegend ist der erhöhte Höchstbetrag von 8.728,88 EUR anzusetzen.
22
Nach R 33a Abs. 1 Satz 5 der Einkommensteuerrichtlinien 2008 (EStR) kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass dem Steuerpflichtigen Unterhaltsaufwendungen in Höhe des maßgeblichen Höchstbetrags erwachsen, wenn die unterhaltsberechtigte Person -wie im Streitfall- zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehört.
23
Der Höchstbetrag von 8.004 EUR ist um die Beiträge für die Krankenversicherung in Höhe von 627,56 EUR und die Pflegeversicherung in Höhe von 97,32 EUR auf 8.728,88 EUR zu erhöhen. Der Beklagte hat zwar übersehen, dass sich nach dem ebenfalls in Bezug genommenen § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a Satz 4 EStG der anzusetzende Krankenversicherungsbeitrag um 4 % auf 602,46 EUR zu mindern gewesen wäre, wenn -wovon im Streitfall auszugehen ist- sich aus den Krankenversicherungsbeiträgen ein Anspruch auf (nicht zur Basisversorgung gehörendes) Krankengeld oder eine entsprechende Leistung ergeben kann. Dieser Fehler wirkt sich jedoch zugunsten der Kläger aus.
24
Die Hinzurechnung ist nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG ausgeschlossen. Die Ausnahme gilt nur in dem -hier nicht gegebenen- Fall des Vertrags zugunsten Dritter, d.h. wenn der Unterhaltsverpflichtete selbst vertraglicher Beitragsschuldner ist, der Beiträge für den Versicherungsschutz des Unterhaltsberechtigten entrichtet (Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 69).
25
Die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung erhöhen dagegen den Höchstbetrag nicht, da sie in § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht genannt werden.
26
3. Von dem erhöhten Höchstbetrag hat der Beklagte zu Recht schädliche Einkünfte des Kindes in Höhe von 6.400 EUR abgezogen.
27
Anrechenbare „Einkünfte“ i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG sind die nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 EStG; Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen sind nicht zu berücksichtigen (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 19. Juni 2002 III R 28/99, BFHE 199, 355, BStBl II 2002, 753).
28
a) Im Streitfall erzielte das Kind eine Ausbildungsvergütung von 7.944 EUR brutto. Hiervon ist nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG lediglich der Werbungskostenpauschbetrag von 920 EUR abzuziehen, da das Kind keine höheren Werbungskosten geltend gemacht hat. Außerdem ist nach § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG der Freibetrag von 624 EUR abzuziehen. Bezüge hat das Kind nicht erhalten. Die schädlichen Einkünfte und Bezüge des Kindes betragen daher 6.400 EUR.
29
b) Ein Abzug der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie der nicht im erhöhten Höchstbetrag angesetzten 4 % des Krankenversicherungsbeitrags von den Einkünften und Bezügen der unterhaltenen Person kommt nicht in Betracht (ebenso:  Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 96; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33a Rz. 193; Myßen/Wolter, Neue Wirtschafts-Briefe -NWB- 2009, 3900, 3907; zweifelnd: Schmidt/Loschelder, EStG, 31. Aufl. 2012, § 33a Rz. 26: teleologische Reduktion).
30
Der Gesetzgeber hat mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung den in § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG a.F. (jetzt: Satz 5) enthaltenen Verweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gestrichen. Nach dieser Vorschrift wurde ein Kind nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 8.004 EUR im Kalenderjahr hatte. Der auch für Einkünfte geltende Relativsatz „die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind“ wurde im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164) verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung (einschließlich der Renten- und Arbeitslosenversicherung) bei der Ermittlung der anrechenbaren Einkünfte abzuziehen waren (BFH-Urteil vom 26. März 2009 VI R 60/08, BFH/NV 2009, 1418, unter II.2.a). Die Finanzverwaltung hatte sich dem angeschlossen (R 32.10 Abs. 1 Satz 2 EStR).
31
In der Gesetzesbegründung zum Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung wird zwar darauf verwiesen, dass der Verweis auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bei der Berechnung der eigenen Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsberechtigten künftig entfalle, weil die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bereits nach § 33a Abs. 1 Satz 2 EStG den Höchstbetrag erhöhen und daher zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung nicht zusätzlich die Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsberechtigten mindern dürfen (BT-Drucks. 16/12254, S. 26; vgl. auch BMF-Schreiben vom 7. Juli 2010, BStBl I 2010, 582, Tz. 13). Diese Begründung trägt nicht die Nichtabziehbarkeit der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Nichtabziehbarkeit folgt gleichwohl aus dem Wegfall des Bezuges auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einschließlich des einschränkenden Relativsatzes „die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind“. Es verbleibt dann lediglich der Rückgriff auf den Begriff der „Einkünfte“ i.S. des § 2 Abs. 2 EStG, zu deren Ermittlung Sonderausgaben nicht zu berücksichtigen sind (vgl. § 2 Abs. 4 EStG).
32
c) Die Nichtabziehbarkeit der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung und Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) ist zumindest im Streitfall verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
33
Es besteht ohnehin kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Berücksichtigung der Arbeitslosenversicherung in voller Höhe (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 2011 X R 15/09, BFHE 236, 69, BStBl II 2012, 325, unter II.2.a). Das gleiche gilt für den Teil der Krankenversicherungsbeiträge, mit dem gegen den Sozialversicherungsträger ein Anspruch auf Krankengeld erworben wird (BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008  2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, unter D.IV.1.a.); der Gesetzgeber nimmt diesen Teil mit 4 % an (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a Satz 4 EStG). Auch die Beiträge zur Rentenversicherung sind bis zum Ablauf der Übergangsphase nicht voll abziehbar (vgl. § 10 Abs. 3 Sätze 4 und 5 EStG). Die Entscheidungen betreffen die Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen beim Steuerpflichtigen selbst. Für Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen bei der unterhaltenen Person kann jedoch nichts anderes gelten.
34
Selbst wenn man im Grundsatz unterstellt, dass auch die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung dem Unterhaltsberechtigten nicht zur Verfügung stehen (vgl. Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 96), ist ein Abzug im Streitfall zum Schutz des Existenzminimums verfassungsrechtlich nicht geboten. Denn es wirken zwei Umstände kompensatorisch. Zum einen lässt der Gesetzgeber -verfassungs-rechtlich nicht erforderlich (vgl. Pfirrmann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33a EStG Rz. 99)- weiterhin Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person in Höhe von 624 EUR anrechnungsfrei. Zum anderen erhöhte der Gesetzgeber im Streitjahr den Höchstbetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG auf 8.004 EUR. Er folgte damit der Erhöhung des Grundfreibetrags auf den gleichen Betrag, obwohl das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum im Jahr 2010 lediglich 7.664 EUR betrug (Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2010 -Siebenter Existenzminimumbericht- vom 21. November 2008, BT-Drucks 16/11065).
35
Im Streitfall beläuft sich die Kompensation aus anrechnungsfreiem Betrag und nicht durch das Existenzminimum gefordertem Höchstbetrag auf 964 EUR (624 EUR + 340 EUR). Die von den Klägern geltend gemachten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zur Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) betragen dagegen lediglich 926,82 EUR (790,48 EUR + 111,24 EUR + 25,10 EUR).
36
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da sich die Lösung aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ergibt und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Nichtabziehbarkeit der Beiträge für die gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie die Krankenversicherung (in Höhe von 4 %) zumindest im Streitfall nicht bestehen.
37
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
38
6. Die Entscheidung ergeht gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil.

 

Kosten für Liposuktion (Fettabsaugung) keine außergewöhnliche Belastung

Der 10. Senat hat mit Urteil vom 4. Februar 2013 (Az.: 10 K 542/12) entschieden, dass Aufwendungen für die operative Behandlung einer Liposuktion ohne ein vorheriges amtsärztliches Gutachten nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich absetzbar sind.

Bei der Klägerin wurde im Sommer 2006 ein Lipödem an den Beinen diagnostiziert, das mit Kompressionsstrümpfen versorgt werden musste. Eine bei der Krankenkasse beantragte Kostenübernahme für eine stationär vorzunehmende Liposuktion lehnte diese ab, weil aus schulmedizinischer Sicht andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Eine hiergegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos.

Die Klägerin ließ sich im November 2007 und Januar 2008 an den Beinen (außen und innen) mehrfach operieren und wurde hierfür stationär in ein Therapiezentrum aufgenommen. Hierfür entstanden ihr Kosten in Höhe von ca. 12.000 Euro, die sie im Rahmen ihrer Einkommensteuerveranlagung als außergewöhnliche Belastungen geltend machte. Dies lehnte das Finanzamt ab.

Ihre Klage vor dem Finanzgericht begründete die Klägerin damit, dass die Operationen nicht lediglich der optischen Korrektur der betroffenen Körperregionen gedient hätten, sondern auch erforderlich gewesen seien, damit sie in Zukunft schmerz- und beschwerdefrei leben könne und insbesondere weitere Komplikationen des Lymphsystems vermieden werden könnten.

Das Finanzgericht wies die Klage ab, weil die Klägerin vor der Behandlung kein amtsärztliches Gutachten vorgelegt hat, das die medizinische Indikation nachweist. Bei Operationen, die häufig nur aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden, sei dies dem Steuerpflichtigen zuzumuten. Für die Klägerin sei der besondere Charakter der Behandlungen erkennbar gewesen, weil ihre Krankenkasse die Aufwendungen hierfür nicht übernommen hatte. Zudem sei nach Auffassung des zuständigen Gesundheitsamtes die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und daher auch nicht medizinisch notwendig.

Die Revision wird beim Bundesfinanzhof unter dem Az.: VI R 51/13 geführt.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 21.10.2013 zum Urteil 10 K 542/12 vom 04.02.2013 (nrkr – BFH- Az.: VI R 51/13), Newsletter 3/2013

 

FG Baden-Württemberg Urteil vom 4.2.2013, 10 K 542/12

Keine Berücksichtigung der Kosten für Liposuktion als außergewöhnliche Belastung – Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestelltes amtsärztliches Gutachten

Tenor

 

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig ist, ob Aufwendungen für die operative Behandlung einer Liposuktion als außergewöhnliche Belastungen absetzbar sind, ohne dass ein vorheriges amtsärztliches Attest vorlag.
2
Die Klägerin war als … nichtselbständig tätig, ihr Ehemann arbeitete bei einer …. Mit der Einkommensteuererklärung 2007, die am 31. März 2008 beim beklagten Finanzamt einging, machte die Klägerin Aufwendungen in Höhe von insgesamt 12.228 EUR als außergewöhnliche Belastungen geltend (ESt-Akten Bl. 6 und 21), wovon der größte Betrag von 11.520 EUR auf die Vorauszahlung von Operations- und sonstigen Kosten an eine Firma X GmbH im Therapiezentrum A, sowie Arztrechnungen des dort tätigen Dr. Y entfielen. Ausweislich des Kontoauszugs wurde die Zahlung am 16.11.2007 im Voraus geleistet. Auf dessen Inhalt wird Bezug genommen. Daneben waren Beträge von 2 x 30,34 EUR für Rezeptgebühren vom 12.12. und 28.12.2007, Rezeptgebühren Krankengymnastik vom 14.8.2007 von 18,64 EUR, eine Kompressionsstrumpfhose vom 14.12.2007 mit 10 EUR, ein amtsärztliches Zeugnis vom 18.12.2007 mit 71,30 EUR enthalten. Beigefügt war eine nachgereichte Anlage, in der zusätzlich Fahrtkosten zum Therapiezentrum mit 337,20 EUR und ein Schnuppertag medizinische Leistung gemäß Anlage mit 99 EUR ergänzt worden waren, so dass die gesamten außergewöhnlichen Belastungen insgesamt 12.228 EUR betrugen. Die Operation vom 27.11.2007 erfolgte zunächst an den Beinen außen, außerdem waren Aufwendungen für den Aufenthalt im Therapiezentrum vom 26.11.2007 bis 2.12.2007 mit einem Rechnungsbetrag von 1.129,08 EUR enthalten. In der Folgezeit erfolgten weitere Operationen am 15.1.2008, bei denen die Beine innen operiert wurden, hierzu erfolgte ein Aufenthalt vom 14.1.2008 bis 20.1.2008, die Rechnung über die Schnuppertage über 99 EUR datierte vom 13.6.2007 für den Aufenthalt vom 11.6. bis 13.6.2007. Die Operation der Arme erfolgte am 7.4.2008.
3
Beigefügt war ein privatärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis Dr. B, C und D vom 26.7.2007, bei dem dargestellt wurde, dass im Sommer 2006 ein Lipödem diagnostiziert worden war, zwischenzeitlich eine Gewichtsreduktion um 15 Kilo erreicht worden und die Patientin mit flachgestrickten Kompressionsstrümpfen versorgt worden sei, diese betreibe mehrmals in der Woche Aquajogging. Bei der klinischen Untersuchung finde sich das deutliche Lipödem nicht nur an den Beinen, sondern diese begännen nun auch an den Oberarmen. Als Empfehlung wurde eine Fortführung der bisherigen entstauenden Maßnahmen vorgeschlagen, eventuell Liposuktion.
4
Die Klägerin beantragte bei ihrer Krankenkasse, der Z in E, die Kostenübernahme für eine Liposuktion. Durch Bescheid vom 8. November 2007 lehnte die Z dies ab. Zur Begründung führte sie aus, laut Aussage des medizinischen Dienstes der Krankenkasse handele es sich bei der beantragten Liposuktion um eine unkonventionelle Behandlungsmethode. Diese sei so lange von der vertraglichen Kassenleistung ausgeschlossen, bis der gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe. Eine solche Empfehlung liege über diese Methode bisher nicht vor. Es stünden aus schulmedizinischer Sicht Behandlungsmöglichkeiten, nämlich die konservative Behandlung mittels komplexer physikalischer Entstauungstherapie (manuelle Lymphdrainage, Kompression, Krankengymnastik) zur Verfügung. Eine Kostenübernahme könne deshalb nicht erteilt werden. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsentscheidung vom 27.3.2008 zurückgewiesen. Die darauf eingelegte Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos.
5
Die Klägerin legte Atteste des behandelnden Arztes bei der X GmbH vor und zwar von Herrn Dr. Y. Dieser vertrat im Attest vom 24.4.2008 sowie den übermittelten Untersuchungsberichten (Befundberichten) vom 26.1.2008, auf die verwiesen wird, die Auffassung, dass die Operation aus medizinischer Sicht notwendig gewesen sei, da die Patientin sonst eine lebenslange manuelle Lymphdrainage und Kompression gebraucht hätte. Ziel der Operation auf lange Sicht sei, dass die Patientin keine manuellen Lymphdrainagen und Kompression mehr benötige und schmerz- sowie beschwerdefrei sei.
6
Am 1.2.2008 stellte das Gesundheitsamt des F-Kreises folgende Bescheinigung für die Klägerin aus, die diese dem beklagten Finanzamt vorlegte:
7
„Die Liposuktion ist als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und kann aus diesem Grund aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden. Die psychische Beeinträchtigung kann durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden.“
8
Der Gebührenbescheid über ein amtsärztliches Zeugnis/Gutachten datiert vom 18.12.2007 (ESt-Akte Bl. 39). In dem Einkommensteuerbescheid 2007 vom 10.6.2008, auf den verwiesen wird, anerkannte das Finanzamt nur Aufwendungen von 80 EUR des Ehemannes der Klägerin als agB, errechnete eine zumutbare Belastung von 3.887 EUR und setzte die geltend gemachten Aufwendungen für die Liposuktion nicht an. Zur Begründung führte es im Steuerbescheid aus, dass die geltend gemachten agB für die Liposuktion steuerlich nicht anerkannt würden, weil eine medizinische Indikation nicht gegeben sei. Dagegen richtete sich der form- und fristgerecht eingelegte Einspruch, der erfolglos blieb. Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück, da keine vorherige amtsärztliche Begutachtung erfolgt sei, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlungen zweifelsfrei ergebe. Es wies insbesondere auf die Entscheidung des BFH zur Liposuktion vom 29.5.2007 III B 37/06, BFH/NV 2007, 1865 hin.
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Hiergegen erhob die Klägerin form- und fristgerecht Klage, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgte. Sie vertrat die Auffassung, die medizinische Indikation sei zweifelsfrei belegt und die durchgeführten Heilbehandlungsmaßnahmen seien medizinisch notwendig gewesen. Sie hätten nicht lediglich der optischen Korrektur der betroffenen Körperregion gedient, sondern seien erforderlich gewesen, damit die Patientin in Zukunft schmerz- und beschwerdefrei leben könne und insbesondere weitere Komplikationen des Lymphsystems vermieden werden könnten. Es sei zwar richtig, dass im Zeitpunkt des Veranlagungsverfahrens die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen noch nicht in den Behandlungskatalog aufgenommen worden seien, der für die Krankenkassen verbindlich festlege, welche Behandlungsmaßnahmen zu übernehmen sei. Derzeit lägen jedoch mehrere Verfahren bei Sozialgerichten vor, in denen Klagen gegenüber den beteiligten Krankenkassen erhoben worden seien auf Feststellung, dass diese verpflichtet seien, die entsprechenden Heilbehandlungsmaßnahmen, die auch Gegenstand des Verfahrens seien, zu übernehmen.
10
Diese Klagen blieben im Endergebnis erfolglos (Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 B 1 KR 11/08 R, Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 7.7.2011 L 8 KR 101/10, Sozialgericht Mainz, Urteil vom 23.4.2012, S 14 KR 143/11; jeweils Juris Datenbank). Die Urteile stützten sich darauf, dass zum einen die gesetzlichen Krankenkassen nicht verpflichtet seien, die neue Methode der Fettabsaugung zu bezahlen, weil der gemeinsame Bundesausschuss diese Methode nicht positiv empfohlen habe und keine Ausnahme vorliege, in der dies entbehrlich sei. Als nicht vom gemeinsamen Bundesausschuss empfohlene neue Methode sei die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich auch nicht über die Grundsätze des sog. Systemversagens, der vorliege, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode auf einem Mangel des gesetzlichen Leistungssystems beruhe. Diese liege dann vor, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode darauf zurückzuführen sei, dass das Verfahren vor dem gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzung nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt worden sei. Ein sonstiger Ausnahmefall liege nicht vor. Da die Leistung zudem in ambulanter Form in Anspruch genommen werden könne, scheide ein Anspruch auf die Liposuktion in Form einer Krankenhausbehandlung als Naturalleistung von vornherein aus. Versicherte hätten nur dann Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich sei, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden könne. Die Krankenhausbehandlung müsse demnach allein aus medizinischen Gründen erforderlich sein. Daran fehle es.
11
Die Klägerin vertritt hingegen die Auffassung, dass die medizinische Notwendigkeit dieser Heilbehandlungsmethode im Ergebnis nicht mehr bestritten werden könne. Das Problem der Verfahren um die Liposuktion liege im wesentlichen darin, dass dieses von den Beteiligten, zum Teil auch von den beteiligten Ärzten, wie z.B. dem hier beteiligten Gesundheitsamt, oft mit einer rein kosmetischen Operation verwechselt werde. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht der Fall, vielmehr habe diese dazu gedient, die Beweglichkeit und Arbeitsfähigkeit der Patientin wieder herzustellen und ihr insbesondere Spätkomplikationen der Lymphgefäße zu ersparen. Ferner legte die Klägerin Leitlinien einer deutschen Gesellschaft für Phlebologie zugrunde, auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Darin werden zur Lipödemreduktion sowohl physikalische Maßnahmen wie Bewegungstherapie, Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage und intermittierende pneumatische Kompressionen genannt, andererseits auch die operative Therapie mittels Fettabsaugung. Vergleichsstudien zur konservativen und operativen Therapie seien nicht vorhanden. Ferner legte die Klägerin Unterlagen des ….. Landesamtes für Bezüge und Versorgung vor, das die Beihilfefähigkeit der Liposuktion in dem dort genannten Fall bejahte.
12
Im Erörterungstermin vom 16.6.2010, auf den verwiesen wird, schilderte die Klägerin ihre Beschwerden. Als Problem der Lymphdrainagen und Kompressionstherapie schilderte sie, dass man sowohl lebenslang Kompressionsstrümpfe tragen müsse als auch lebenslang Lymphdrainagen erhalten müsse. Die Erkrankung führte bei der Klägerin mit Ausnahme der Zeiten, die für die Operationen erforderlich waren, nicht zur Arbeitsunfähigkeit oder zu Fehlzeiten deshalb. Der Betrag von 11.520 EUR stellte den Betrag für sämtliche Operationen an Armen und Beinen dar und musste im Voraus bezahlt werden.
13
Zum Zeitpunkt des Erörterungstermins war die Klägerin nach ihren Angaben beschwerdefrei, brauchte keine Kompressionsstrümpfe und keine Lymphdrainage mehr. Die Beine und Arme seien auch nicht dicker geworden, sondern so geblieben wie sie nach der Operation gewesen seien. Da beim BFH Revisionsverfahren mit den Az.: VI R 17/09, VI R 18/09 und VI R 11/09 anhängig waren, wurde das Verfahren mit Zustimmung der Beteiligten durch Beschluss vom 23. Juni 2010 zum Ruhen gebracht. Nachdem die Revision VI R 17/09 durch Urteil vom 11.11.2010 zugunsten der dortigen Kläger entschieden worden war und der BFH auf die vorherige Einholung eines amtsärztlichen Attestes verzichtet hatte, wurde das Verfahren wieder aufgerufen. Die Entscheidung der Revision VI R 18/09 vom 11.11.2010 erging dementsprechend. Daraufhin erließ der Gesetzgeber schließlich im Jahressteuergesetz 2012 die neue Fassung der §§ 64, 84 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung -EStDV- mit rückwirkender Geltung für alle noch offenen Verfahren.
14
Daraufhin vertraten die Bevollmächtigten die Auffassung, es liege eine unzulässige echte Rückwirkung vor. In der Folgezeit stritten die Beteiligten über diese Rechtsfrage. Im Hinblick auf diese wurde das zwischenzeitlich wieder neu aufgenommene Verfahren unter dem Az.: 10 K 542/12 durch Beschluss vom 16. Mai 2012 erneut zum Ruhen bis zur Entscheidung des BFH im Revisionsverfahren VI R 13/12 gebracht. Durch Urteil vom 19. April 2012 VI R 74/10 entschied der 6. Senat des BFH, dass die in § 84 Abs. 3 f EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden sei.
15
Nachdem eine weitere Entscheidung ausstand, vertraten die Kläger die Auffassung, es bestünden Zweifel, ob § 64 der EStDV im vorliegenden Fall angewandt werden könne. Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 2f EStDV – eine andere Vorschrift komme ja wohl nicht in Betracht – werde der Nachweis eines amtsärztlichen Gutachtens nur dann verlangt, wenn es sich um wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlung, Sauerstofftherapie und Eigenbluttherapien handele. Im vorliegenden Fall stehe jedoch eine Liposuktion, d.h. ein operativer Eingriff im Streit. Aufgrund der bereits vorgelegten Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Phlebologie ergebe sich, dass es keinen Zweifel geben könne, dass die Behandlung des Lipödems der Beine durch eine Liposuktion eine wissenschaftlich anerkannte Therapie sei. Hierfür werde die Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens beantragt. Die Tatsache, dass die Krankenkassen die Operationen nicht zahlten, stehe in keinem Zusammenhang damit, dass es sich etwa um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, sondern liege schlichtweg darin, dass in diesen Behandlungskatalog nur auf Antrag Behandlungsmethoden aufgenommen worden seien. Die verschärften Nachweiserfordernisse des § 64 Abs. 1 2f EStDV seien im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Das beklagte Finanzamt differenziere nicht zwischen wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden einerseits oder Behandlungsmethoden, die noch nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten seien, andererseits.
16
Die Kläger beantragen,
1. den zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2009 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Anerkennung der Krankheitskosten in Höhe von 12.000 EUR für die durchgeführten Liposuktionen niedriger festgesetzt wird,
2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,
3. für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
17
Das beklagte Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
18
Zur Begründung bezieht es sich zum einen auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung, hält die Neuregelung entsprechend der Rechtsprechung des BFH für verfassungsrechtlich zulässig und ist der Auffassung, dass es sich bei der Liposuktion um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode handele, die nur durch ein vorheriges Attest eines Amtsarztes als medizinisch notwendig und zwangsläufig nachweisbar sei. Für diese Nachweiserfordernisse trage die Klägerin die Feststellungslast.
19
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Einkommensteuererklärungen nebst sämtlichen Anlagen, den ergangenen Einkommensteuerbescheid 2007, die Einspruchsbegründungen nebst sämtlichen Anlagen sowie die im Besteuerungs-, Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst sämtlichen Anlagen Bezug genommen.
20
Die Beteiligten haben nach § 90 Abs. 2 FGO auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.

Entscheidungsgründe

21
Die zulässige Klage ist unbegründet.
22
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. BFH-Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418).
23
a) In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten -ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl (BFH-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, und vom 20. März 1987 III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596).
24
Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, und vom 3. Dezember 1998 III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227, m.w.N.). Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten (BFH-Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543). Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juni 1997 III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805), also medizinisch indiziert sind.
25
Allerdings hat der Steuerpflichtige die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch -SGB V-) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen; bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V). Ein solcher qualifizierter Nachweis ist beispielsweise bei Bade- und Heilkuren (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011) sowie bei medizinischen Hilfsmitteln, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens i.S. von § 33 Abs. 1 SGB V anzusehen sind (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. e EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011), erforderlich, außerdem nach § 64 Abs. 1 Nr. 2 f) EStDV für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden.
26
2. Diesem formalisierten Nachweisverlangen ist auch im Streitjahr Rechnung zu tragen. Denn nach § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 in allen Fällen, in denen -wie vorliegend- die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, anzuwenden.
27
a) Weder die in § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 normierte Verordnungsermächtigung noch der auf ihrer Grundlage ergangene § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 ist hinreichend bestimmt und mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vereinbar; auch hat sich der Verordnungsgeber bei der Ausgestaltung von § 64 Abs. 1 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 im Rahmen seiner Befugnisse gehalten. Die strenge Formalisierung des Nachweises der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall erscheint -jedenfalls im Grundsatz- nicht unverhältnismäßig. Aufgrund der Neutralität und Unabhängigkeit des Amts- und Vertrauensarztes ist dieses Nachweisverlangen im steuerlichen Massenverfahren geeignet, erforderlich und verhältnismäßig, um die nach Art. 3 Abs. 1 GG gebotene Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Dem steht nicht entgegen, dass der Verordnungsgeber beim Nachweis von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln (im engeren Sinne) auf ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten verzichtet und eine vorherige Verordnung durch den behandelnden Arzt oder Heilpraktiker genügen lässt. Denn insoweit wird verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten Rechnung getragen (Geserich, Finanz-Rundschau 2011, 1067).
28
Auch die in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordnete rückwirkende Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Sie ist von der Ermächtigung des § 33 Abs. 4 EStG i.d.F. des StVereinfG 2011 gedeckt und deshalb im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich unbedenklich. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) ist hierbei nicht zu beklagen. Denn dem Gesetzgeber ist es unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (Anschluss an BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvL 11/06 u.a., BVerfGE 126, 369;BFH-Urteil vom 19.04.2012 VI R 74/10 BStBl II 2012, 577).
29
Da die medizinische Erforderlichkeit von Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können, schwer zu beurteilen ist, verlangt der BFH seit der Entscheidung vom 14. Februar 1980 VI R 218/77 (BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295) grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der den Aufwendungen zugrunde liegenden Behandlung zweifelsfrei ergibt (- BFH-Urteil vom 1. Februar 2001 III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543).
30
Hinsichtlich des Erfordernisses einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung ist dem Steuerpflichtigen die Inanspruchnahme fachlicher Beratung grundsätzlich zuzumuten (BFH-Urteile in BFHE 183, 561, BStBl II 1997, 732, und vom 10. Oktober 1996 III R 118/95, BFH/NV 1997, 337). Dass die Anleitung der Finanzverwaltung zur Einkommensteuererklärung keinen Hinweis auf die Notwendigkeit einer vorherigen amtsärztlichen Begutachtung enthält, rechtfertigt es nicht, von diesem Erfordernis abzusehen. Ein nachträglich erstelltes amtsärztliches Gutachten hat der BFH nur ausnahmsweise dann als Nachweis ausreichen lassen, wenn das Erfordernis einer vorherigen amtlichen Begutachtung für bestimmte Aufwendungen erstmals höchstrichterlich aufgestellt worden war und vom Steuerpflichtigen deshalb nicht erwartet werden konnte, dass er dieses Erfordernis kennt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602, und BFH-Beschluss vom 20. November 2003 III B 44/03, BFH/NV 2004, 335).
31
Aufwendungen für ärztliche Maßnahmen, bei denen nicht eindeutig feststeht, ob sie zur Heilung oder Linderung einer Krankheit erforderlich sind, hat der BFH seit jeher nur als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, wenn durch ein amtsärztliches Gutachten vor der Behandlung die medizinische Indikation nachgewiesen war. Bei Operationen, die häufig nur aus kosmetischen Gründen durchgeführt werden, ist es daher dem Steuerpflichtigen zuzumuten, fachlichen Rat einzuholen, unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen für derartige Operationen steuerlich berücksichtigt werden. Im Streitfall war der besondere Charakter der Behandlungen für die Kläger auch erkennbar, weil ihre Krankenkasse die Aufwendungen hierfür nicht übernommen hatte (zum Vorstehenden für eine Liposuktion: BFH-Beschluss vom 24.11.2006 III B 57/06 BFH/NV 2007, 438).
32
Die zuvor bestehende Rechtslage wurde durch die neu eingeführten Regelungen des § 64, 84 EStDV mit rückwirkender Geltung bestätigt. Der BFH hat die Rückwirkung dieser Regelung auch für das Streitjahr 2007 in dem o.a. Urteil ausdrücklich bestätigt. Bei der Liposuktion handelt es sich ausweislich der vorliegenden Unterlagen und der von der Klägerin selbst vorgelegten Atteste um eine Behandlungsmethode, die nach § 64 Nr. 2f EStDV eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode darstellt und deren Anwendung und Ergebnisse umstritten sind. Nach den Leitlinien wurden keine vergleichenden Untersuchungen über die Wirkungen der konservativen und operativen Methode angestellt. Die gesetzliche Krankenkasse und deren Medizinischer Dienst haben diese Methode vor der Behandlung als unkonventionelle Behandlungsmethode bezeichnet.
33
Nach § 64 Abs. 2 EStDV haben die zuständigen Gesundheitsbehörden auf Verlangen des Steuerpflichtigen die für steuerliche Zwecke erforderlichen Gesundheitszeugnisse, Gutachten oder Bescheinigungen auszustellen. Nach der ausdrücklichen Gesetzesfassung der EStDV muss nach § 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV der nach Satz 1 zu erbringende Nachweis vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestellt worden sein. Nach Abs. 2 der Vorschrift haben die zuständigen Gesundheitsbehörden auf Verlangen des Steuerpflichtigen die für steuerliche Zwecke erforderlichen Gesundheitszeugnisse, Gutachten oder Bescheinigungen auszustellen. Das Landratsamt als zuständige Gesundheitsbehörde hat jedoch mit der Bescheinigung vom 1.2.2008 durch die zuständige Amtsärztin festgestellt, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt ist und aus diesem Grunde aus medizinischer Sicht nicht als notwendig angesehen werden kann. Die psychische Beeinträchtigung kann durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden. Nach den Daten der Aufstellung für die außergewöhnlichen Belastungen des Streitjahres wurden die Kosten eines ärztlichen Zeugnisses mit Datum 18.12.2007 in Höhe von 71,30 EUR geltend gemacht, der Gebührenbescheid ist unter diesem Datum ergangen und von der Klägerin bezahlt worden. Damit muss die Klägerin bereits frühzeitig gewusst haben, dass das Gesundheitsamt diese Methode nicht anerkannt hat. Wenn sie die daraufhin folgenden Operationen dennoch durchführt, war ihr bewusst, dass sie diese auf eigenes Risiko durchführen ließ.
34
Damit steht für den Streitfall fest, dass jedenfalls der Nachweis durch ein vorher ausgestelltes Attest nicht erbracht werden kann, zumal diese Bescheinigung ausgestellt wurde, bevor im April 2008 die Arme operiert wurden. Die Klägerin hat daher den Nachweis, dass es sich um anerkannte wissenschaftliche Methode zur Behandlung dieses Falles handelt, vor der Operation gerade nicht erbracht. Das nach § 64 Abs. 2 EStDV zuständige Gesundheitsamt war vielmehr der Auffassung, dass die Liposuktion als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und aus diesem Grund nicht als medizinisch notwendig angesehen werden kann. Vielmehr könne die psychische Beeinträchtigung durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden.
35
Die zuständige Gesundheitsbehörde hat daher die Notwendigkeit dieser Behandlungsmethode gerade verneint und sie mit einem kosmetischen Eingriff in Zusammenhang gebracht. Die nach dem 18.12.2007 und nach der Bescheinigung vom 1.2.2008 an den Beinen und den Armen vorgenommenen Operationen können nicht durch ein nachträgliches Sachverständigengutachten als notwendig anerkannt werden, da es insoweit an den formalisierten Nachweiserfordernissen fehlt. Das gleiche gilt für die vor dem 18.12.2007 durchgeführte Operation der Beine.
36
Der Senat ist auch der Auffassung, dass es sich insoweit um eine der in der Verordnung genannten Methoden ähnliche Methode handelt, wie sich sowohl aus der Rechtsprechung des BFH in den zitierten Beschlüssen und der zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergibt. Auch die vorgelegten Leitlinien der Gesellschaft für Phlebologie ersetzen nicht den Nachweis durch ein vor der Maßnahme ausgestelltes amtsärztliches Attest.
37
Der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens im Finanzgerichtsverfahren bedurfte es angesichts der vorliegenden Rechtsprechung nicht. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass die Auffassungen darüber, ob die Liposuktion als Heilmethode anzuerkennen ist oder nicht, in der Fachliteratur ersichtlich unterschiedlich sind. Während diejenigen, die Operationen vornehmen, diese Methode als Heilmethode anerkennen, setzen andere Ärzte aus schuldmedizinischer Sicht auf physikalische Therapien. In jedem Fall kann ein Sachverständigen-Gutachten, das nur im Nachhinein anhand von Fotos und Unterlagen erstellt werden könnte, nicht die vorherige Untersuchung der Patientin und die vorherige Einholung eines amtsärztlichen Gutachtens ersetzen. Vielmehr ist das zuständige Gesundheitsamt für die Klägerin im konkreten Fall nach § 64 Abs. 2 EStDV 2011 gerade zum gegenteiligen Ergebnis gekommen. Durch ein nachträglich erstelltes Sachverständigen-Gutachten können demzufolge die Nachweiserfordernisse der §§ 64 Abs. 1 und 2, 84 EStDV 2011 nicht mehr erreicht werden. Das Sachverständigengutachten ist insofern ein untaugliches Beweismittel, so dass der Beweisantrag daher abzulehnen ist.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 FGO.
39
Die Revision war nicht zuzulassen, da die streitigen Rechtsfragen durch die zwischenzeitlich ergangene und oben zitierte Rechtsprechung des BFH geklärt sind.