Entscheidung des OLG Karlsruhe
Das OLG Karlsruhe hatte in seinem Urteil vom 9. Dezember 2024 (Az. 14 W 87/24 [Wx]) zu klären, ob ein gemeinschaftliches Ehegattentestament neben einer Vor- und Nacherbenregelung auch eine bindende Schlusserbeneinsetzung für die Kinder enthält. Die Entscheidung stellt eine bedeutende Weichenstellung für die erbrechtliche Praxis dar.
Sachverhalt
Der Erblasser (E) errichtete im Jahr 1980 mit seiner ersten Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als befreite Vorerben einsetzten und ihre Söhne A und M zu gleichen Teilen als Nacherben bestimmten. In dem Testament hieß es: „Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne A und M zu je 1/2 sein. Die Nacherbfolge soll eintreten beim Tode des Letztversterbenden.“
Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau heiratete E erneut (Ehefrau F) und errichtete mit ihr neue Testamente (2007 und 2019), in denen sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Nach dem Tod des E beantragte F einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Das Nachlassgericht entsprach diesem Antrag und lehnte den Einziehungsantrag des Sohnes A ab, da das Testament von 1980 keine ausdrückliche Regelung über den Nachlass des Letztversterbenden enthalte.
Entscheidungsgründe
Das OLG Karlsruhe kam zu einem gegenteiligen Ergebnis und entschied, dass die Schlusserbeneinsetzung der Kinder bindend sei und die Ehefrau F nicht Alleinerbin wurde. Die Begründung:
- Testamentarische Auslegung: Die Formulierung „Nacherben auf das Erbe des Letztverstorbenen sollen unsere Söhne sein“ lasse den eindeutigen Schluss zu, dass die Kinder als endgültige Erben des gesamten Vermögens der Eltern gewollt waren.
- Juristisch unpräziser Sprachgebrauch: Obwohl der Begriff „Nacherben“ streng genommen nur auf das Vermögen des Erstverstorbenen zutrifft, sei aufgrund der Formulierung und des Gesamtzusammenhangs davon auszugehen, dass die Kinder auch als Schlusserben nach dem Letztversterbenden gemeint waren.
- Wechselbezug der Verfügung: Das Gericht stellte klar, dass sich die Eheleute mit der Regelung von 1980 nicht nur zur gegenseitigen Erbeinsetzung, sondern auch zur Schlusserbeneinsetzung der Kinder wechselbeüglich gebunden hatten. Nach dem Tod der ersten Ehefrau konnte E diese Regelung daher nicht mehr einseitig ändern.
Konsequenzen für die Praxis
Vermeidung von Auslegungsschwierigkeiten
Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung einer klaren Testamentsgestaltung.
- Unklare Begrifflichkeiten in Testamenten können zu jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen führen.
- Die Einsetzung von Schlusserben sollte explizit geregelt werden, um Missverständnisse und unerwünschte Interpretationen zu vermeiden.
Vermögensaufteilung bei Vor- und Nacherbschaft
Laien bedenken oft nicht, dass die Trennungslösung einer Vor- und Nacherbschaft dazu führt, dass beim Tod des Erstversterbenden zwei separate Vermögensmassen entstehen:
- Vorerbenvermögen: Dieses geht beim Tod des Vorerben (hier E) direkt auf die Nacherben (hier die Söhne) über.
- Eigenvermögen des Vorerben: Hierüber kann der Vorerbe grundsätzlich frei verfügen, sofern keine ausdrückliche Regelung zur Schlusserbfolge existiert.
Praktische Empfehlung
Da das OLG Karlsruhe eine Schlusserbeneinsetzung aus dem Testament von 1980 herausgelesen hat, obwohl dies nicht ausdrücklich formuliert war, sollten Erblasser künftig eindeutig regeln, wer nach dem Letztversterbenden Erbe werden soll.
Empfohlene Formulierung: „Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben ein. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollen unsere gemeinsamen Kinder A und M zu gleichen Teilen als Schlusserben eingesetzt sein.“
Diese explizite Festlegung vermeidet Streitigkeiten und stellt sicher, dass der Nachlass im Sinne der Erblasser verteilt wird.
Fazit
Das OLG Karlsruhe entschied, dass die Kinder des Erblassers durch das Testament von 1980 bindend als Schlusserben eingesetzt wurden. Die späteren Testamente von 2007 und 2019 konnten die zuvor getroffene wechselbeügliche Verfügung nicht wirksam aufheben. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung einer präzisen Testamentsgestaltung, insbesondere im Hinblick auf die Regelungen zur Vor-, Nach- und Schlusserbfolge.