Einkommensteuer: Auf den Antrag eines Ehegatten auf Zusammenveranlagung hat der 2. Senat entschieden, dass das Veranlagungswahlrecht von Ehegatten nicht mehr abweichend ausgeübt werden kann, wenn für einen Ehegatten die Steuer bereits bestandskräftig im Wege der Einzelveranlagung festgesetzt worden ist, Gerichtsbescheid des 2. Senats vom 1.8.2013, 2 K 279/12, rechtskräftig.

FINANZGERICHT HAMBURG
Az.: 2 K 279/12
Gerichtsbescheid des Einzelrichters vom 01.08.2013
Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: EStG i. d. F. vom 08.10.2009 § 26, EStG i. d. F. vom 08.10.2009 § 26a, AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Leitsatz: Das Veranlagungswahlrecht von Ehegatten kann nicht abweichend ausgeübt werden (hier Antrag auf Zusammenveranlagung nach getrennter Veranlagung eines Ehegatten), wenn für einen Ehegatten die Steuer bereits bestandskräftig im Wege der Einzelveranlagung festgesetzt worden ist.
Überschrift: Einkommensteuergesetz, Veranlagung: Kein Wechsel der Veranlagungsart bei bestandskräftiger Einzelveranlagung eines Ehegatten
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin im Streitjahr 2010 mit ihrem Ehemann zusammen zu veranlagen ist.
Die Klägerin ist seit 2009 verheiratet. Am 21. Mai 2012 reichte sie ihre Einkommensteuererklärung für 2010 ein und beantragte die getrennte Veranlagung. Mit Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 4. Juni 2012 setzte der Beklagte die Einkommensteuer mit 0 Euro fest. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 6. Juni 2012, mit dem die Klägerin zugleich die Zusammenveranlagung beantragte. Mit Entscheidung vom 21. Juni 2012 verwarf der Beklagte den Einspruch mangels Beschwer als unzulässig, weil die Steuer mit 0 Euro festgesetzt worden sei. Den Antrag auf Zusammenveranlagung lehnte er ebenfalls am 21. Juni 2012 ab, weil die Einzelveranlagung des Ehemannes bereits bestandskräftig geworden sei.
Mit dem Einspruch vom 2. Juli 2012 machte die Klägerin geltend, dass der Beklagten aufgrund der Eintragung in der Lohnsteuerkarte des Ehemannes Kenntnis davon hätte erlangen können, dass eine Ehe bestanden habe und deshalb eine Einzelveranlagung nicht in Betracht gekommen sei. Den Einspruch wies der Beklagte am 12. September 2012 zurück. Der Ehemann habe in seiner am 10. Juni 2011 eingereichten Einkommensteuererklärung keinerlei Angaben zu seiner 2009 geschlossenen Ehe gemacht und sei folglich erklärungsgemäß einzelveranlagt worden. Der hiergegen erst am 5. Januar 2012 eingelegte Einspruch sei als unzulässig verworfen worden. Angesichts der bestandskräftigen Einzelveranlagung des Ehemannes sei nunmehr eine Zusammenveranlagung ausgeschlossen.
Am 15. Oktober 2012 hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Ziel der Zusammenveranlagung. Die Voraussetzungen des § 26 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG a. F.) seien erfüllt. Eine Einzelveranlagung für Ehegatten sei nicht vorgesehen gewesen. Das Bestehen der Ehe habe sich aus der in der Lohnsteuerkarte des Ehemannes eingetragenen Lohnsteuerklasse III ergeben. Wegen der fehlerhaften Einzelveranlagung des Ehemannes müsse der Bescheid in einen solchen mit getrennter Veranlagung umgedeutet werden. Weil die Einkommensteuererklärung des Ehemannes nicht unterschrieben gewesen sei, habe der Beklagte nachgefragt
und hierbei auch nach der Unterschrift der Ehefrau gefragt; auch deswegen habe eine Zusammenveranlagung erfolgen müssen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 21. Juni 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 12. September 2012 den Beklagten zu verpflichten, die Zusammenveranlagung der Klägerin mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer 2010 durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bezieht sich zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung.
Die die Klägerin betreffende Einkommensteuerakte nebst Rechtsbehelfsakte zur Steuernummer …/…/… hat vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht entscheidet gem. §§ 90a Abs. 1, 79a Abs. 3 und 4 FGO durch die Berichterstatterin ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.
1.) Der zulässigen Klage bleibt der Erfolg versagt. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, im Streitjahr eine Zusammenveranlagung durchzuführen.
a) Gem. § 26 Abs. 1 EStG a. F. können Ehegatten, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und bei denen diese Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraumes vorgelegen haben, zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung wählen. Ehegatten werden getrennt veranlagt, wenn einer der Ehegatten die getrennte Veranlagung wählt (Absatz 2). Werden die nach Absatz 2 erforderlichen Erklärungen nicht abgegeben, wird unterstellt, dass die Ehegatten die Zusammenveranlagung wählen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) können sie dieses Wahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit eines Berichtigungs- oder Änderungsbescheids ausüben und die einmal getroffene Wahl innerhalb dieser Frist frei widerrufen (BFH vom 24. Januar 2002 III R 49/00, BStBl II 2002, 408; vom 3. März 2005 III R 22/02, BStBl II 2005, 690; jetzt § 26a Abs. 2 Nr. 2 EStG in der an Veranlagungszeitraum 2013 geltenden Fassung). Dies gilt grds. unabhängig davon, inwieweit die Bestandskraft durchbrochen wird (vgl. BFH vom 19.05.1999 XI R 97/94, BStBl II 1999, 762 zur Änderung eines bestandskräftigen Bescheids nach § 10d Abs. 1 EStG).
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die getrennte Veranlagung auch dann noch beantragt werden kann, wenn ein gegenüber dem einen Ehegatten ergangener Zusammenveranlagungsbescheid bereits bestandskräftig geworden ist. § 26 Abs. 1 EStG a. F. kann bei der Besteuerung der Ehegatten nur einheitlich angewendet werden. Die Änderung der Veranlagungsart bei einem Ehegatten hat daher eine Änderung der Steuerfestsetzung gegenüber dem anderen Ehegatten selbst dann zur Folge, wenn dessen Einkommensteuerfestsetzung bereits bestandskräftig ist (BFH vom 20. Mai 1992 III B 110/91, BStBl II 1992, 916; vom 3. März 2005 III R 22/02,
BStBl II 2005, 690). Verfahrensrechtliche Grundlage für die Änderung der Veranlagung des anderen Ehegatten ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO). Ein rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegt vor, wenn sich nach Ergehen eines Steuerbescheids der rechtserhebliche Sachverhalt in der Weise ändert, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BStBl II 1993, 897). Der zulässige Antrag eines Ehegatten, statt der bisherigen Zusammenveranlagung eine getrennte Veranlagung durchzuführen, wird als rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beurteilt (vgl. z. B. BFH vom 3. März 2005 III R 22/02, BStBl II 2005, 690). Die Ausübung des Veranlagungswahlrechts hängt nicht von einer Frist ab. Jeder Ehegatte kann selbst über die Veranlagungsart bestimmen (so u. a. BFH vom 6. Februar 1998 III ER -S- 4/97, BFH/NV 1999, 160), aber die Veranlagungsart kann für beide nur einheitlich angewendet werden. Wegen des Erfordernisses einer einheitlichen Veranlagung wirkt sich die Wahl einer bestimmten Veranlagungsart oder deren Änderung durch einen Ehegatten materiell-rechtlich auch auf die Einkommensteuerschuld des anderen Ehegatten aus, und zwar rückwirkend auf die Entstehung der Steuer nach § 36 Abs. 1 EStG. Bei der Wahl der Veranlagungsart handelt es sich nicht nur um einen aus verfahrensrechtlichen Gründen erforderlichen Antrag mit Wirkung für die Zukunft, sondern um ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands, das auf den Veranlagungszeitraum zurückwirkt. Wird die Wahl der Veranlagungsart nachträglich abweichend ausgeübt, wirkt sie rechtsgestaltend auf die Steuerschuld ein, da die Veranlagungsart unmittelbar die Höhe der Steuer beeinflusst (vgl. dazu z. B. BFH vom 12. Juli 1989 X R 8/84, BStBl II 1989, 957; vom 3. März 2005 III R 22/02, BStBl II 2005, 690).
b) Diese Erwägungen lassen sich nicht auf den Streitfall übertragen. Es liegt kein Fall des Wechsels von der getrennten Veranlagung zur Zusammenveranlagung vor. Im Streitfall hatte die Klägerin zwar mit ihrer im Mai 2012 eingereichten Einkommensteuererklärung für das Streitjahr die getrennte Veranlagung gewählt, die erklärungsgemäß erfolgt ist. Zusammen mit der Einspruchseinlegung hat sie am 4. Juni 2012 in verfahrensrechtlich zulässiger Weise sodann die Zusammenveranlagung beantragt. Die Veranlagung des Ehemannes war aber bereits als Einzelveranlagung durchgeführt und bestandskräftig geworden. Durch den Antrag auf Zusammenveranlagung konnte damit nicht mehr ein Wechsel der Veranlagungsart im Rahmen einer Zusammenveranlagung von Ehegatten nach Maßgabe der §§ 26 EStG a. F. ff. erfolgen, weil nicht beide Ehegatten zuvor getrennt i. S. von § 26a EStG a. F. veranlagt worden waren. Nur in diesem Rahmen kann die Änderung der Wahlrechtsausübung als rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO angesehen werden. Für die bestandskräftige Einzelveranlagung ist die geänderte Ausübung des Veranlagungswahlrechts kein Ereignis, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Die Wahl der Veranlagungsart ist ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands bei der Ehegattenveranlagung, sie ist aber kein Merkmal der Einzelveranlagung (so auch Hessisches Finanzgericht vom 24. März 1981 I 153/75, EFG 1982, 33).
Zutreffend weist die Klägerin zwar darauf hin, dass bei bestehender Ehe keine Einzelveranlagung, sondern nach der im Streitjahr geltenden Regelungslage bei bestehender Ehe nur eine getrennte Veranlagung oder Zusammenveranlagung in Betracht kam. Der Einzelveranlagungsbescheid des Ehemannes ist danach rechtswidrig, er ist aber formell bestandskräftig und entfaltet insoweit Bindungswirkung. Anders verhielte es sich nur, wenn er nichtig i. S. von § 125 Abs.1
AO wäre. Dass der Bescheid an einem besonders schwerwiegenden und zudem offenkundigen Fehler leidet, kann indes nicht festgestellt werden. Der Beklagte hat zwar die Angaben in der Lohnsteuerkarte nicht zutreffend gewürdigt, dies macht den Bescheid aber nicht offensichtlich fehlerhaft, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ehemann der Klägerin ersichtlich die erforderlichen Angaben zu seinem Familienstand in der Einkommensteuererklärung unterlassen hatte.
Entgegen der Annahme der Klägerin kann die Einzelveranlagung des Ehemannes auch nicht wie eine getrennte Veranlagung gem. § 26a EStG a. F. behandelt werden oder in eine solche umgedeutet werden. Die Einzelveranlagung und die getrennte Veranlagung im Rahmen der Ehegattenveranlagung sind einander zwar angenähert, gleichwohl handelt es sich um unterschiedliche Veranlagungsformen, die, wie sich etwa aus § 26a Abs. 2 und Abs. 3 EStG a. F. ergibt, rechtliche Unterschiede aufweisen.
2.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.