Einkommensteuer | Behinderungsbedingter Mehraufwand durch Grundstückskauf (FG)

Außergewöhnliche Belastung: Behinderungsbedingter Mehraufwand durch Grundstückskauf

 Leitsatz

  1. 1.            Mehraufwendungen für den behindertengerechten Neubau eines Hauses können als agB abziehbar sein.
  2. 2.            Das gilt jedenfalls dann, wenn die Mehraufwendungen unausweislich waren, denn dann erwachsen sie zwangsläufig i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG .
  3. 3.            Zu derartigen zwangsläufigen Mehraufwendungen können im Einzelfall auch die Mehrkosten für die Anschaffung eines größeren Grundstücks gehören.
  4. 4.            Die sog. Gegenwertslehre kommt schon dann nicht zum Tragen, wenn es sich um behinderungsbedingte notwendige Baumaßnahmen handelt, die keinen über den individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert begründen.

 Gesetze

EStG § 33
Verfahrensstand:  Diese Entscheidung ist vorläufig nicht rechtskräftig

 Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Die Klägerin ist schwerbehindert. Sie leidet unter Multipler Sklerose. Mit Bescheid vom 22.12.2006 wurde der Grad der Behinderung auf 80 % festgestellt.

Die Kläger errichteten in den Jahren 2009 und 2010 zu eigenen Wohnzwecken einen Bungalow. Aufgrund der behinderungsbedingten Anforderungen an die Wohnfläche entschieden sie sich u.a. nach fachkundiger Beratung für einen eingeschossigen Bungalow. Die gegenüber einem mehrgeschossigen Bungalow erforderliche Grundfläche des Gebäudes erforderte aufgrund der im Bebauungsplan vorgeschriebenen Grundflächenzahl von 0,3 den Erwerb einer um 151,67 Quadratmeter größeren Grundstücksfläche. Dadurch ergaben sich bei einem Preis von 87 €/qm Mehrkosten für den Baugrund i.H.v. 13.195,29 €. Ferner entstand den Klägern in 2009 durch erforderliche behinderungsgerechte Baumaßnahmen ein behinderungsbedingter Mehraufwand von 205,45 €, den die Kläger nach Abzug von Zuschüssen der Kranken- und Pflegekassen als Eigenanteil selbst zu tragen hatten.

In ihrer Einkommensteuererklärung 2009 machten die Kläger aufgrund des behinderungsbedingten Mehraufwandes für den Hausbau zunächst keine Kosten als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2009 zuletzt mit Einkommensteuerbescheid vom 14.02.2011 fest. Dagegen legten die Kläger Einspruch ein. Diesen begründeten sie damit, dass ihnen durch den Hausbau in 2009 Mehrkosten wegen behinderungsbedingter Baumaßnahmen i.H.v. 13.400,74 € entstanden seien, die als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen seien. Da die Klägerin u. a. an einer schweren Gehbehinderung leide und ihr das Steigen von Treppen nicht möglich sei, seien sie auf eine eingeschossige Bauweise des Bungalows angewiesen gewesen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sanitäre Einrichtungen großzügig ausgelegt sein mussten, um die pflegerische und betreuende Unterstützung durch andere Personen zu ermöglichen, und Wendeflächen für den Rollstuhl, breitere Türen und niedrigere Schwellen, Haltegriffe und eine barrierefreie Duschkabine mit einem Klappsitz erforderlich gewesen seien. Dadurch habe sich eine um 45,5 m² größere Grundfläche des Bungalows gegenüber einem Bungalow ergeben, der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin hätte gebaut werden können. Aufgrund der im Baugebiet vorgegebenen Grundflächenzahl seien sie gezwungen gewesen, ein 151,67 Quadratmeter größeres Grundstück zu kaufen, um das Gebäude entsprechend realisieren zu können. Dadurch hätten sich für das Grundstück Mehrkosten i.H.v. 13.195,29 € ergeben. Weitere Aufwendungen i.H.v. 205,45 € ergäben sich durch den nicht bezuschussten Eigenanteil der erforderlichen Mehraufwendungen.

Der Einspruch der Kläger war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Kläger sind der Auffassung, dass baubedingte Mehrkosten aufgrund der Behinderung der Klägerin i.H.v. 13.400,74 € als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien. Ferner hätten sie einen Anspruch auf die Berücksichtigung weiterer Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 €.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 14.02.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 23.11.2011 dahingehend zu ändern, dass der Teil von 14.300,74 €, der die den Klägern zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen und die Steuer entsprechend herabgesetzt wird.

Der Beklagte erkennt die von den Klägern als Eigenanteil getragenen behinderungsbedingten Mehraufwendungen i.H.v. 205,45 € und die Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten von pauschal 900 € an und beantragt im Übrigen,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Krankheit der Klägerin sei nicht ursächlich für den Erwerb einer größeren Grundstücksfläche gewesen. Zumindest könnten erhebliche persönliche Motive, die unabhängig von der Krankheit der Klägerin seien, für den Erwerb der größeren Grundstücksfläche nicht ausgeschlossen werden. Unabhängig davon sei bei einer bebauten Fläche von 182,64 m² und einer Grundflächenzahl von 0,3 der Erwerb einer Grundstücksfläche von lediglich 609 m², nicht aber von 693 m² erforderlich gewesen. Ferner sei in dem konkreten Fall der Kläger zu berücksichtigen, dass weiterhin von der Gegenwerttheorie ausgegangen werden müsse. Der BFH habe in seinen Entscheidungen vom 22.10.2009 (VI R 7/09) und vom 24.02.2011 (VI R 16/10) nicht grundsätzlich Abstand von der Gegenwerttheorie genommen. Er habe lediglich klargestellt, dass dann nicht von einem über den Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert auszugehen sei, wenn eine Umbaumaßnahme durch die Behinderung bedingt und notwendig sei. Dies gelte jedoch nicht für die Anschaffung von Wirtschaftsgütern, die keine speziell auf die Behinderung zugeschnittenen Eigenschaften auswiesen. Das Grundstück der Kläger sei unabhängig von der Behinderung der Klägerin von bleibendem und andauerndem Nutzen und besitze einen in seiner Marktfähigkeit zum Ausdruck kommenden Verkehrswert, der unter Berücksichtigung der derzeitigen Wirtschaftslage zukünftig eher noch eine Wertsteigerung erfahren werde.

 Gründe

Die Klage ist begründet.

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG ).

a) Mehraufwendungen für den behindertengerechten Neubau eines Hauses können als außergewöhnliche Belastungen i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG abziehbar sein, da es sich um größere Aufwendungen handelt, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen und die Aufwendungen weder durch den Grund- oder Kinderfreibetrag noch durch den Behinderten- und Pflegepauschbetrag abgegolten sind.

b) Den Klägern sind neben den vom Beklagten anerkannten, von den Klägern als Eigenanteil getragenen behinderungsbedingten baulichen Mehraufwendungen i.H.v. 205,45 € und den vom Beklagten ebenfalls anerkannten Kosten für behinderungsbedingte Fahrtkosten von pauschal 900 € auch die Kosten für das größere Grundstück in Höhe von 13.195,29 € als behinderungsbedingter Mehraufwand zwangsläufig erwachsen. Die mit der schwerwiegenden Behinderung der Klägerin verbundene behindertengerechte Gestaltung des Wohnumfeldes umfasste auch die Anschaffung des größeren Grundstücks. Da diese Mehraufwendungen für die Kläger unausweichlich waren, sind sie ihnen zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen (vgl. BFH, Urteil vom 24.02.2011 VI R 16/10 , BFH/E 232, 518, BFH/NV 2011, 906 ). Den Klägern sind damit Mehraufwendungen für die behindertengerechte Gestaltung ihres neu errichteten Bungalows i.H.v. 14.300,74 € entstanden.

aa. Die Entscheidung der Kläger, einen eingeschossigen Bungalow entsprechend ihren Vorstellungen und den Bedürfnissen der Klägerin zu errichten, steht der Zwangsläufigkeit behinderungsbedingter Mehraufwendungen nicht entgegen, da die Notwendigkeit einer behinderungsgerechten Ausgestaltung ihres Wohnumfeldes und damit die Zwangsläufigkeit der darauf entfallenden Mehrkosten aus tatsächlichen Gründen nicht auf ihrer freigewählten Wohnsituation, sondern auf der Krankheit und Behinderung der Klägerin beruht. Dies wird vom Beklagten auch nicht in Frage gestellt.

(1) Abzugsfähig sind zwar nur Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst und zur behindertengerechten Gestaltung seines individuellen Wohnumfeldes erforderlich sind. Hierunter fallen entgegen der Auffassung des Beklagten jedoch auch die von den Klägern geltend gemachten Mehrkosten für die Anschaffung eines gegenüber einem zweigeschossigen Bungalow um 151,67 qm größeren Grundstücks. Die Kläger konnten sich der Anschaffung des entsprechend größeren Grundstücks nicht entziehen. Die Klägerin war krankheitsbedingt auf pflegerische und betreuende Unterstützung durch andere Personen angewiesen. Dadurch war eine flächenmäßig entsprechende Gestaltung der Sanitärbereiche erforderlich. Ferner waren Wendeflächen für den Rollstuhl und breitere Türen mit einer entsprechend größeren Wohnfläche zu berücksichtigen. Damit ergab sich für die Kläger eine um 45,5 m² größere Grundfläche gegenüber einem Bungalow, der ohne Berücksichtigung der Behinderung der Klägerin hätte gebaut werden können. Das um 151,67 qm größere Grundstück ist von den Klägern nur deshalb angeschafft worden, weil die den krankheitsbedingten Anforderungen der Klägerin entgegenkommende eingeschossige Bauweise mit der entsprechend größeren Grundfläche des Bungalows die Anschaffung des größeren Grundstücks aufgrund der nach den Bauvorschriften vorgegebenen Grundflächenzahl zwingend erforderlich machte. Darüber hinausgehende weitere Grundstückkosten haben die Kläger nicht als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht. Die Grundflächenzahl von 0,3 hätte zwar im Verhältnis zur Grundfläche des Bungalows nur die Anschaffung eines Grundstücks von 609 qm statt der tatsächlich angeschafften 693 qm erfordert. Die Kläger haben jedoch in hinreichender Weise nachgewiesen, dass ein entsprechend kleineres Grundstück nicht zur Verfügung stand und an dem einmal erfolgten Zuschnitt der zum Verkauf anstehenden Grundstücke keine Änderung mehr möglich war. Auf die Erstellung eines Bungalows in einem anderen Baugebiet mit einer entsprechend kleineren Grundstücksfläche brauchen sich die Kläger im Rahmen der steuerrechtlichen Abzugsmöglichkeit nach § 33 EStG nicht verweisen zu lassen. Zudem machen die Kläger auch nur die Anschaffungskosten für die Grundstücksfläche geltend, die sie aufgrund der eingeschossigen Bauweise zusätzlich anschaffen mussten.

(2) Entgegen den Angaben der Klägerin war die Erstellung eines eingeschossigen Bungalows zwar nicht aufgrund ihrer Behinderung zwingend erforderlich. Denn nach dem Schreiben der Firma Westermann Massivhaus vom 22. Juli 2011 sind Alternativen, wie etwa ein Treppenlift oder ein Fahrstuhl u. a. lediglich auch aus Kostengründen verworfen worden. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die eingeschossige Bungalowbauweise alternativlos war, da es bei Mehraufwendungen, die durch die Behinderung des Steuerpflichtigen veranlasst und zur behindertengerechten Umgestaltung seines individuellen Wohnfeldes erforderlich sind, auf die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen nicht ankommt (vgl. BFH, Urteil vom 24.02.2011 , a.a.O., Rdz. 13). Es bestehen für das Gericht auch keine Zweifel, dass die Gestaltung des individuellen Wohnfeldes der Kläger behindertenbedingt und erforderlich war. Aus den in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten vorgelegten Grundrissen des Bungalows ergab sich, dass die Kläger nur in minimalem Umfang Wohnflächen vergrößernde Baumaßnahmen umgesetzt haben, die behinderungsbedingt erforderlich waren. Diese Maßnahmen beschränkten sich darüber hinaus auf das Bad und die Flure. Außerdem hielten sich diese notwendigen Wohnflächenvergrößerungen immer noch im Rahmen allgemein üblicher Wohnflächen. Damit sind den Klägern die Mehrkosten für die Anschaffung des größeren Grundstücks zwangsläufig entstandenen.

(3) Der Abzug dieser zwangsläufigen Aufwendungen ist nicht durch einen Gegenwert gehindert, da es sich um behinderungsbedingte notwendige Baumaßnahmen handelt, die keinen über den individuellen Nutzungsvorteil hinausgehenden Gegenwert begründen. Behinderungsbedingter Mehraufwand steht stets so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund tritt. Es handelt sich um eine aus tatsächlichen Gründen bestehende zwangsläufige Mehrbelastung des Steuerpflichtigen. Der Senat schließt sich insofern den Gründen der Entscheidung des BFH vom 24.02.2011 (a.a.O.) an.

bb. Hinsichtlich der weiteren Mehrkosten i.H.v. 205,45 € ist unstreitig, dass es sich um Kosten aufgrund des behinderungsbedingten Mehrbedarfs der Klägerin handelt, die auch vom Beklagten entsprechend anerkannt sind. Gleiches gilt für die behinderungsbedingten Fahrtkosten in Höhe von pauschal 900 €. Diese werden von der Finanzverwaltung nach den Einkommensteuerrichtlinien H 33b „Fahrtkosten” i.V.m. H 33.1 bei geh- und stehbehinderten Menschen mit einem Aufwand für Fahrten bis zu 3.000 km im Jahr und einem Km-Satz von 0,30 €/km pauschal als angemessen anerkannt.

b) Damit sind im Rahmen des § 33 EStG insgesamt 14.300,74 € als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Die Einkommensteuer ist unter Berücksichtigung der zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG ) entsprechend herabzusetzen.

2. Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem FA gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – FGO übertragen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO . Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3, Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung .