Gewerbesteuermessbetrag: Abgrenzung freiberufliche und gewerbliche Tätigkeit, kein Änderungshindernis nach Treu und Glauben bei Mitwirkungspflichtverletzung

Entscheidungsgründe

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Der Senat ist nicht daran gehindert, in der Sache zu entscheiden. Insbesondere war die Verhandlung nicht im Hinblick auf das noch anhängige Verfahren über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO auszusetzen.

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Gemäß § 74 FGO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Eine Aussetzung der Verhandlung ist in aller Regel geboten, wenn in einem Rechtsstreit über einen Folgebescheid Besteuerungsgrundlagen strittig sind, deren abschließende Prüfung dem Verfahren über einen noch ausstehenden oder noch nicht bestandskräftigen Grundlagenbescheid vorbehalten ist (Gräber/Koch FGO, 5. Aufl., § 74 Rz. 12 m.w.N.). Die Entscheidung über die Aussetzung der Verhandlung gemäß § 74 FGO ist eine vom Finanzgericht zu treffende Ermessensentscheidung, im Rahmen derer prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind (Koch in Gräber, FGO, § 74 Rz 7; Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung/ Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rz 16, jeweils m.w.N.). Eine Pflicht zur Aussetzung der Verhandlung besteht nur in Ausnahmefällen (BFH-Urteil vom 08.05.1991 I B 132, 134/90, BStBl II 1991, 641).

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Diesen Grundsätzen folgend war die Verhandlung im Streitfall nicht gemäß § 74 FGO auszusetzen. Die Beteiligten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, dass ihnen an einer zeitnahen Klärung sowohl der Verfahrensrechtlichen Problematik hinsichtlich der Änderungsbefugnis des Beklagten nach § 173 Abs. 1 Satz 1 FGO als auch hinsichtlich der Einordnung der von der Klägerin erzielten Einkünfte unter die zutreffende Einkunftsart gelegen ist. Ein Antrag auf Aussetzung der Verhandlung hat folgerichtig keiner der Beteiligten gestellt. Vor diesem Hintergrund wäre eine Aussetzung der Verhandlung nur dann geboten, wenn mit einer Entscheidung über den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen alsbald zu rechnen wäre. Gerade das ist nach der im Streitfall gegebenen Tatsachenlage nicht der Fall.

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Der Beklagte hat sich für diesen Antrag nicht zuständig gesehen und ihn an das für die Klägerin nunmehr örtlich zuständige Finanzamt D weitergeleitet. Der Senat hat vor dem Hintergrund, dass § 18 Abs. 1 Nr. 3 AO i.V.m. 180 Abs.1 Nr. 2 b) AO hinsichtlich der Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung auf die Verhältnisse am Schluss des Gewinnermittlungszeitraums abstellt, Bedenken, dass sich eine Zuständigkeit des Finanzamtes D herleiten lässt. Je nach Entscheidung dieser Finanzbehörde müsste in dem Billigkeitsverfahren u.U. zunächst ein Verfahren vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg und ggf. ein weiteres Verwaltungsverfahren vor dem Beklagten mit einem sich ggf. anschließendem Klageverfahren vor dem Finanzgericht Köln geführt werden. Es ist nicht ermessensgerecht, den Beteiligten die Klärung der Rechtsfragen des vorliegenden Verfahrens, an der ihnen gelegen ist, über einen unabwägbar langen Zeitraum vorzuenthalten.

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Die Klage ist zulässig.

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Der Klägerin fehlt es insbesondere nicht an der nach § 40 Abs. 2 FGO erforderlichen Klagebefugnis. Soweit sich die Klägerin gegen die Erhöhung des festgestellten Gewinns wendet, liegt das auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung.

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Aber auch soweit sich die Klägerin gegen die Feststellung gewerblicher Einkünfte statt solcher aus selbständiger Arbeit wendet, ist sie klagebefugt. Denn auch die gesonderte Feststellung einer unzutreffenden Einkommensart stellt eine Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs.2 FGO dar (BFH-Urteil vom 24. Januar 1985 IV R 249/82, BFHE 143, 75, BStBl II 1985, 676).

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Die Klage ist unbegründet.

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Der angefochtene Änderungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

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Der Beklagte war befugt, den bestandskräftigen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung 2005 vom 12. September 2007 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

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Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt; also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen, z.B. Einnahmen, Ausgaben, Forderungen oder Verbindlichkeiten (Tipke/Kruse, AO, § 173 Rz. 2, mit zahlreichen Nachweisen aus der Finanzrechtsprechung). Eine Tatsache wird nachträglich bekannt, wenn sie die zuständige Veranlagungsstelle des Finanzamtes im Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens für den Erlass des ursprünglichen Steuerbescheids noch nicht kannte (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416; vom 18. Mai 2010, X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225). In der heutigen Zeit der elektronischen Veranlagung entspricht dies der Freigabe des Steuerfalles zur Übersendung an das für die elektronische Steuerberechnung zuständige Rechenzentrum. Bekannt ist der zuständigen Dienststelle dabei der Inhalt der bei ihr geführten Akten, ohne dass insoweit auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil vom 18. Mai 2010, X R 49/08, BFH/NV 2010, 2225 m.w.N.).

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Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Neue Tatsache ist im Streitfall nicht die Kenntnis über die Existenz der spanischen Betriebsstätte und auch nicht die Kenntnis, dass die dort erzielten Einkünfte nicht in der Gewinnermittlung erklärt wurden. Insoweit weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass das für den Beklagten keine neuen Tatsachen darstellen. Denn dieser Lebenssachverhalt war dem Beklagten zumindest aus den jährlichen Bescheinigungen der Steuerberaterin in der Gewinn- und Verlustrechnung des Beklagten bekannt, selbst wenn diese nicht zur Kenntnis genommen worden sein sollten.

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Als neue Tatsache ist jedoch die Kenntnis über die konkrete Höhe der in beiden Betriebsstätten erzielten Einnahmen und über das Fehlen von Aufzeichnungen bzw. Unterlagen aus denen sich eine direkte Zuordnung der insgesamt angefallenen Einnahmen und Ausgaben auf die beiden Betriebsstätten ergibt, anzusehen. Sowohl die genaue Höhe der insgesamt erzielten Einnahmen und Ausgaben als auch die Zuordnung auf die einzelnen Betriebsstätten sind für die Ermittlung der in Deutschland steuerpflichtigen Gewinne und die Berechnung des Progressionsvorbehalts von Bedeutung. Diese steuererhöhenden Tatsachen sind dem Beklagten erst im Verlauf der Betriebsprüfung und damit nach der Freigabe des Feststellungsbescheides vom 12. September 2007 bekannt geworden.

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Damit liegen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor.

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Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist es dem Beklagten nicht verwehrt, sich auf das Vorliegen dieser nachträglich bekannt gewordenen Tatsache zu berufen. Insbesondere steht der damit eröffneten Änderungsbefugnis des Beklagten nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.

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§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sieht selbst keinerlei diesbezüglichen Einschränkungen vor. Gleichwohl ist es in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs anerkannt, dass eine Änderung der Steuerfestsetzung bzw. gesonderten Feststellung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Nachteil des Steuerpflichtigen ausscheidet, wenn sie auf Tatsachen beruht, die der Finanzbehörde infolge der Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht (§ 88 AO) trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Steuerpflichtigen zunächst unbekannt geblieben sind (BFH-Urteil vom 8. Dezember 2011 VI R 49/09, BFH/NV 2012, 692 m.w.N.). Trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung bedeutet, dass diese Änderungsschranke nur eingreift, wenn der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt hat (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH- Urteil vom 6. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1200; vom 13.November 1985 II R 208/82, BStBl II 1986, 241). Liegt sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, sind die beiderseitigen Pflichtverstöße grundsätzlich gegeneinander abzuwägen. In einem solchen Fall trifft nach ständiger Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs in der Regel die Verantwortung den Steuerpflichtigen mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BstBl II 1995, 293). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des Finanzamtes gegen dessen Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen dessen Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (vgl. FG des Saarlandes vom 3. Dezember 2008 1 K 2374/04, EFG 2009, 731 m.w.N. auf die Rechtsprechung des BFH).

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Der erkennende Senat folgt dieser ganz vorherrschenden Auffassung in der (höchstrichterlichen) Finanzrechtsprechung und kann sich der insbesondere in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsauffassung des Prozessbevollmächtigten, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stelle bei kumulativen Pflichtverstößen nicht auf ein Überwiegen der Ermittlungspflichtverletzung des Finanzamtes ab, nicht anschließen.

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Die vorgenannten Voraussetzungen, unter denen es dem Finanzamt nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die nachträgliche Kenntnis einer steuererhöhenden Tatsache zu berufen, liegen im Streitfall nicht vor.

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Zwar hat der Beklagte seine Ermittlungspflichten dadurch verletzt, dass er nach Einreichung der Feststellungserklärung keine Ermittlungen über etwaige in Spanien bezogene Einnahmen angestellt hat. Ausreichenden Anlass hierzu hätten die der Gewinn- und Verlustrechnung – nicht zum ersten Mal vorgelegten – Bescheinigungen der Steuerberaterin gegeben. Dieser Pflichtverstoß wird vom Beklagten auch nicht in Abrede gestellt.

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Er überwiegt jedoch nicht in deutlichem Maße die der Klägerin anzulastenden Mitwirkungspflichtverletzungen.

90

Die Klägerin war verpflichtet, die in Spanien und in Deutschland erzielten Einkünfte zutreffend auf die jeweiligen Betriebsstätten aufzuteilen. Ferner war sie verpflichtet, die hiernach im Inland steuerpflichtigen Einnahmen und Ausgaben zutreffend in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung zu erklären. Hinsichtlich der in Deutschland nicht steuerpflichtigen Einkünfte aus der spanischen Betriebsstätte war die Klägerin verpflichtet, diese in den Zeilen 38 bis 43 Anlage AUS zu erklären, um ihren Mitwirkungspflichten zu genügen. Hierüber werden die Steuerpflichtigen durch folgenden Hinweis in der Anleitung zur Anlage AUS ausdrücklich belehrt:

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„Wenn Einkünfte auf Grund eines DBA im Inland steuerfrei sind, dürfen diese nicht in den Anlagen zur Einkommensteuererklärung enthalten sein (ausgenommen Anlage N). Die Einkünfte unterliegen jedoch regelmäßig dem Progressionsvorbehalt, d.h. die Einkünfte werden in die Bemessung des Steuersatzes einbezogen, der auf das zu versteuernde Einkommen anzuwenden ist. Geben Sie – getrennt nach Staaten – die Höhe dieser Einkünfte, die Einkommensquelle und die Einkunftsart an. (…)“.

92

Aufgrund ihrer Mitwirkungspflichtverletzungen hat die Klägerin bei der Abgabe der Feststellungserklärung für das Streitjahr 2005 dem Beklagten den steuerlich relevanten Sachverhalt nicht in Übereinstimmung mit den von dem Erklärungsvordruck geforderten Angaben (§ 150 Abs. 1 Satz 1 AO) vollständig und deutlich zur rechtlichen Prüfung unterbreitet. Dieser Erklärungsverstoß wieg insoweit schwer, als die Feststellungserklärung selbst – und nicht die der Gewinn- und Verlustrechnung beigefügte Bescheinigung der Steuerberaterin – die Grundlage für die Veranlagung der Klägerin bildete. Insoweit ist bereits seit langer Zeit in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geklärt, dass die Finanzbehörde einer ihrem Wortlaut nach eindeutigen Steuererklärung nicht mit Misstrauen begegnen muss, sondern regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit einer solchen Erklärung vertrauen darf (BFH-Urteile vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569, 572; vom 5. Dezember 2002 IV R 58/01, BFH/NV 2003, 588; so auch Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rz 65, m.w.N.). Das gilt selbst dann, wenn die Erklärung – anders als im Streitfall – ohne Mitwirkung einer fachkundigen Person erstellt worden ist und wenn sie u.a. die Beurteilung von Rechtsfragen zum Gegenstand hat (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 XI R 10/03, BFHE 206, 303, BStBl II 2004, 911). Auch in einem solchen Fall muss die Behörde deshalb im Allgemeinen nur dann in weitere Ermittlungen eintreten, wenn sich aus der Erklärung Unklarheiten oder Zweifel ergeben (vgl. BFH-Beschluss vom 27. März .2007 I B 16/06, nv. Juris-Dokument).

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Im Streitfall ergaben sich aus der Erklärung selbst keine Zweifel hinsichtlich weiterer in Spanien erzielter Einkünfte. Dass sich solche – wie in den Vorjahren – aus dem der Gewinn- und Verlustrechnung beigefügten Hinweis der Steuerberaterin ergeben haben, reicht insoweit nicht aus. Denn ohne die Abgabe einer Anlage AUS kann ein solcher, lediglich der Gewinn- und Verlustrechnung beigefügter Hinweis bei der laufenden Steuerveranlagung schnell übersehen oder aber seinem rechtlichen Gehalt nach falsch gedeutet werden. Die im Steuererklärungsvordruck selbst abgefragten Angaben könnte das Finanzamt demgegenüber nur durch bewusstes Wegschauen übersehen. Insoweit entspricht es gerade dem Zweck der amtlichen Erklärungsvordrucke, die Finanzverwaltung explizit auf die dort anzugebenden Besteuerungsgrundlagen hinzuweisen. Wenn das Finanzamt es unterlässt, den Mangel einer vollständig ausgefüllten Steuererklärung dadurch zu beheben, dass es sich die steuerlich relevanten Tatsachen aus den mit der Steuererklärung eingereichten Anlagen selbst heraussucht, wiegt dieser Ermittlungsfehler jedenfalls nicht schwerer als die unvollständig ausgefüllte Steuererklärung, an sich.

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Der Beklagte hat die der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitigen Einkünfte auch zutreffend als solche aus Gewerbebetrieb qualifiziert.

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Gemäß § 2 Abs. 1 GewStG unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Gewerbebetrieb ist nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG jede selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist; ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Gewerbebetriebs ist nach der Rechtsprechung des BFH ferner, dass die Betätigung den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998 IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465, m.w.N.). Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehört nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe.

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Ergänzend hierzu bestimmt § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, dass die mit Einkünfteerzielungs-absicht unternommene Tätigkeit einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Personengesellschaft in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ausübt oder gewerbliche Einkünfte im Sinne des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bezieht.

97

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat die Klägerin in den Streitjahren einen Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG, § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG unterhalten.

98

Zwar übte die Klägerin vom Grundsatz her die Tätigkeit eines sog. freien Berufes i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus, denn sowohl der Beruf des Dolmetschers als auch der Beruf des Ingenieurs wird ausdrücklich im Katalog dieser Vorschrift erwähnt. Insoweit bedarf es nicht des Rückgriffs auf die Geprägerechtsprechung des Bundesfinanzhofs, auf die sich die Klägerin in Abgrenzung zu der in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG normierten Abfärbewirkung stützt.

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Diese Geprägerechtsprechung besagt, dass die Umqualifizierung freiberuflicher Einkünfte in gewerbliche Gewinne nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG („Abfärbetheorie“) nur dann in Betracht kommt, wenn die Tätigkeit nicht als einheitlich zu betrachtende Gesamtbetätigung anzusehen ist. Übt ein Steuerpflichtiger sowohl eine freiberufliche als auch eine gewerbliche Tätigkeit aus, so sind diese getrennt zu betrachten, sofern dies nach der Verkehrsauffassung möglich ist. Das gilt auch dann, wenn sachliche und wirtschaftliche Bezugspunkte zwischen den verschiedenen Tätigkeiten bestehen (BFH-Urteil vom 11. Juli 1991 IV R 102/90, BStBl II 1992, 413, m.w.N.). Sind allerdings bei einer Tätigkeit beide Tätigkeitsarten derart miteinander verflochten, dass sie sich gegenseitig unlösbar bedingen, so liegt eine einheitliche Tätigkeit vor, die steuerlich danach zu qualifizieren ist, ob das freiberufliche oder das gewerbliche Element vorherrscht (BFH, a.a.O.). Infolge dessen muss eine gemischte Tätigkeit, unabhängig von der „Abfärbetheorie“, danach qualifiziert werden, welche Tätigkeit der Gesamtbetätigung das Gepräge gibt (vgl. BFH-Urteile vom 24. April 1997 IV R 60/95, BStBl II 1997, 567; vom 1. Februar 1979 IV R 113/76, BStBl II 1979, 574).

100

Diese Rechtsprechung ist von Bedeutung, wenn ein Steuerpflichtiger sowohl eine – originär – freiberufliche als auch eine – originär – gewerbliche Tätigkeit ausübt (im BFH-Verfahren IV R 60/95 war dies die Tätigkeit als beratender Ingenieur (freiberuflich) unter gleichzeitigem Verkauf von Computerhardware (gewerblich)). In einem solchen Fall ist (zunächst) zu ermitteln, ob und ggf. welche der ausgeübten Tätigkeiten dem Betrieb das Gepräge gibt.

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Ein solcher Sachverhalt ist im Streitfall nicht verwirklicht. Die Klägerin hat keine gemischten Tätigkeiten im Sinne der Geprägerechtsprechung ausgeübt. Denn die von ihr gefertigten Übersetzungen unterfallen allesamt dem Katalogberuf des Dolmetschers. Das wird auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt.

102

Gleichwohl liegen im Streitfall Einkünfte aus Gewerbebetrieb vor. Denn allein die Ausübung eines Katalogberufes reicht zur Bejahung freiberuflicher Einkünfte nicht aus. Auch bei der Ausübung eines Katalogberufs erfordert der Charakter der selbständigen Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG, dass die Tätigkeit durch die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung des Steuerpflichtigen geprägt ist (ständige Rechtsprechung des BFH: vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. März 1995 XI R 85/93, BStBl. II 1995, 732, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Fehlt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen der „Stempel seiner Persönlichkeit“, so ist sie – auch im Bereich der Katalogberufe – keine freiberufliche (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 XI R 8/00, DStRE 2001, 577, 578). Eine aufgrund eigener Fachkenntnisse eigenverantwortlich ausgeübte Tätigkeit liegt nur vor, wenn die persönliche Teilnahme des Berufsträgers an der praktischen Arbeit in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Die Eigenverantwortlichkeit erschöpft sich nicht darin, nach außen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des einzelnen Auftrags zu tragen. Die Ausführung jedes einzelnen Auftrags muss vielmehr dem Steuerpflichtigen selbst und nicht dem qualifizierten Mitarbeiter zuzurechnen sein. Es genügt daher nicht eine gelegentliche fachliche Überprüfung der Mitarbeiter (vgl. z.B.: BFH-Urteil vom 1. Februar 1990 IV R 140/88, BStBl. II 1990, 507 ff., 508, 509 m.w.N.).

103

Bei dieser Prüfung stehen die Tatbestandsmerkmale „leitend“ und „eigenverantwortlich“ selbständig nebeneinander. Auch eine besonders intensive leitende Tätigkeit, zu der u.a. die Organisation des Sach- und Personalbereichs, Arbeitsplanung, Arbeitsverteilung, Aufsicht über Mitarbeiter und deren Anleitung und die stichprobenweise Überprüfung der Ergebnisse gehören, vermag daher die eigenverantwortliche Tätigkeit nicht zu ersetzen (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 XI R 8/00 a.a.O. m.w.N.). Das ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG. Danach ist ein Angehöriger eines freien Berufs auch dann noch freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient: Voraussetzung ist jedoch, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig ist.

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Im Bezug auf Übersetzungsbüros hat der Bundesfinanzhof die vorstehenden Grundsätze dahingehend konkretisiert, dass der individuelle, über die Leitungsfunktion hinausgehende Einsatz eines Steuerpflichtigen, der die wichtigste Sprache seines Übersetzungsbüros beherrscht, den gesamten Bereich der betrieblichen Tätigkeit umfassen muss, wenn die Voraussetzungen für ein freiberufliches Unternehmen gegeben sein sollen (BFH-Beschluss vom 10. August 1993 IV B 1/92, BFH/NV 1994, 168; Urteil vom 5. Dezember 1968 IV R 125/66, BStBl. II 1969, 165; Urteil vom 2. Dezember 1980 VIII R 32/75, BStBl. II 1981, 170 ff.; Urteil vom 11. September 1968 I R 173/66, BStBl. II 1968, 820 ff.; ebenso: BFH-Beschluss vom 12.6.1996 IV B 121/95, BFH/NV 1997, 25).

105

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Es ist der Klägerin nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Ausführung jedes einzelnen Übersetzungsauftrags durch die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung ihrer Gesellschafter und deren Fachkenntnissen geprägt war. Die Klägerin hat in nicht unerheblichen Umfang in den Streitjahren Übersetzungen in Türkisch, Arabisch, Schwedisch, Slowenisch, Polnisch, Italienisch, Dänisch, Niederländisch, Russisch, Portugiesisch, Bulgarisch und etliche weitere Sprachen gefertigt. Dies konnte sie nur unter Zuhilfenahme von Fremdübersetzern, wobei ihr eine inhaltliche Kontrolle der übersetzten Texte wegen der insoweit fehlenden Sprachkenntnisse nicht möglich war. In Bezug auf diese Fremdübersetzungen konnten die Gesellschafter der Klägerin nicht – wie es das Gesetz fordert – auf Grund eigener Fachkenntnisse, sondern nur im Vertrauen auf die Richtigkeit der von den Übersetzern geleisteten Vorarbeiten leitend und eigenverantwortlich tätig werden. Hierin unterscheidet sich der Sachverhalt von dem Beispielsfall des Zahnarztes, auf den sich die Klägerin beruft. Anders als der Zahnarzt, der einen einzusetzenden Zahnersatz zwar nicht selbst herstellt, wohl aber auf dessen Verwendungsfähigkeit hin prüfen kann, mussten die Gesellschafter der Klägerin auf die Fehlerfreiheit der Übersetzungsleistungen vertrauen.

106

Daran ändert auch der Umstand, dass die Klägerin für die Erstellung der Handbücher, etc., ein Translation-Memory-System einsetzte, nichts. Denn mit Hilfe dieses TMS hätte ein neuer Übersetzungsauftrag in einer nicht beherrschten Sprach allenfalls dann ohne Beauftragung eines weiteren Fremdübersetzers ausgeführt werden können, wenn eine hundertprozentige Übereinstimmung zwischen dem Ausgangstext und den im TMS gespeicherten Segmenten bestanden hätte. Ausweislich der Ausgangsrechnungen der Klägerin war das nur äußerst selten der Fall. In den Ausgangsrechnungen lassen sich nur sehr vereinzelt sog. 100%-Matches finden. Der weit überwiegende Teil besteht aus Matches unter 75%, die nach den Angaben der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung von Fremdübersetzern bearbeitet werden mussten. Aber selbst wenn ein komplettes Handbuch in einer nicht von den Gesellschaftern der Klägerin beherrschten Sprache aus dem TMS heraus hätte erstellt werden können, wäre ein solches nicht durch die unmittelbare, persönliche und individuelle Arbeitsleistung der Klägerin geprägt gewesen, weil es bereits den im TMS gespeicherten Texten an dieser Eigenschaft mangelte.

107

Damit waren die Übersetzungsleistungen in Sprachen, die die Gesellschafter der Klägerin nicht beherrschten, nicht durch die persönliche, auf eigener Fachkenntnis beruhende individuelle Arbeitsleistung der Gesellschafter der Klägerin geprägt, auch wenn das für den Rest der Arbeiten, die erst zu dem fertigen Übersetzungsprodukt (Handbuch) führten, zu bejahen ist.

108

Auch der Umstand, dass die Klägerin die Texte ihrer Kunden nicht lediglich in ihrer Urform übersetzte, sondern auf Verständlichkeit und technische Richtigkeit hin überprüfte und ordnete, ggf. die Übersetzungsreife erst herstellte und das in Auftrag gegebene Handbuch layoutete und so ein Gesamtprodukt herstellte, das über eine reine Übersetzung hinausging, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts.

109

Denn auch wenn diese Leistungen für die Kunden der Klägerin von großer Bedeutung waren, bestand ein ganz wesentlicher Teil ihrer Aufgaben in der Übersetzung der von den Kunden gelieferten Texte. Insofern konnte die Klägerin den Senat nicht davon überzeugen, dass ihre Tätigkeit eigentlich der eines technischen Redakteurs entsprach. Sicherlich spielten die technisch redaktionellen Leistungen der Klägerin für den Kunden eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der Senat ist aber nicht davon überzeugt, dass dieser Teil den Schwerpunkt der Tätigkeit der Klägerin ausmachte, gegenüber dem die Übersetzungsarbeiten in den Hintergrund getreten wären. Dagegen sprechen insbesondere Abrechnungen mit den Kunden, in denen die Klägerin nur die Übersetzungsleistungen als solche fakturiert hat. Die technisch redaktionellen Tätigkeiten werden in den Rechnungen lediglich als Serviceleistungen aufgeführt, für die ein gesondertes Entgelt nicht in Rechnung gestellt wird.

110

Da die Klägerin in Bezug auf die Übersetzungsleistungen in nicht von ihren Gesellschaftern beherrschten Sprachen teilweise gewerblich tätig war, gilt ihre gesamte Betätigung nach der Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als Gewerbebetrieb.

111

Wie der Bundesfinanzhof bereits mehrfach entschieden hat, führt diese Abfärbung nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung der Personengesellschaften gegenüber Einzelunternehmen, denn der Eintritt der Abfärbewirkung kann durch Ausgliederung der gewerblichen Tätigkeit auf eine personenidentische zweite Gesellschaft vermieden werden. Die unterschiedliche Behandlung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist zudem sachlich gerechtfertigt. Das Steuerrecht folgt insoweit den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben, die auf der Vorstellung beruhen, dass Personengesellschaften nur eine einheitliche Tätigkeit ausüben können und dass diese insgesamt als kaufmännisch anzusehen ist, wenn diese Voraussetzungen auch nur partiell erfüllt sind. Nur bei einem sehr geringen Anteil der gewerblichen Tätigkeit greift die umqualifizierende Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht ein (BFH, Urteil vom 29. November 2001 IV R 91/99, BStBl II 2002, 221 ff., 224, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit im Beschluss vom 15. Januar 2008 1 BvL 2/04 festgestellt (BVerfGE 120, 1 ff.).

112

In der oben genannten Entscheidung hat der Bundesfinanzhof eine gewerbliche Teilbetätigung, die lediglich 1,25 v.H. der Gesamtumsätze betrug und deren Einnahmen deutlich unter der Gewerbesteuerfreibetragsgrenze des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG lag, als unerheblich angesehen. Ein gewerblicher Anteil von mehr als 6% wurde vom Bundesfinanzhof schon als schädlich eingestuft (BFH-Urteil vom 29. November 2001 IV R 91/99, a.a.O.; vom 10: August 1994 I R 133/93; BStBl II 1995, 171). Im Streitfall ist diese „Bagatellgrenze“ angesichts der umfangreichen Fremdübersetzungen in nicht von den Gesellschaftern der Klägerin beherrschten Sprachen überschritten. Denn auch nach den Berechnungen der Klägerin machten diese 15 bis 26% des Gesamtumsatzes aus und lagen damit deutlich über der Gewerbesteuerfreibetragsgrenze von 24.500 € in den Streitjahren.

113

Die Heranziehung der Klägerin zur Gewerbesteuer verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass zu dieser Steuer nur Gewerbetreibende herangezogen werden und nicht auch Freiberufler und sonstige selbstständige, die die Infrastruktur der Kommune in gleicher Weise oder sogar mehr beanspruchen wie beispielsweise die Klägerin.

114

Auch insoweit hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 15. Januar 2008 1 BvL 2/04 (a.a.O.) die Verfassungsmäßigkeit bejaht.

115

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin war das Recht (und die Verpflichtung) des Beklagten, Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen im Streitfall auch nicht verwirkt.

116

Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist Ausfluss des auch im Steuerschuldrechtsverhältnis geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben.

117

Dieser Grundsatz gebietet u.a. für Steuergläubiger und Steuerpflichtigen gleichermaßen, auf die Belange des anderen Teils Rücksicht zu nehmen und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in rechtsmissbräuchlicher Weise in Widerspruch zu setzen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BStBl II 1993, 174 m.w.N.). Dabei ist es anerkanntes Recht, dass das Finanzamt auch außerhalb einer verbindlichen Zusage (§§ 204 ff. AO) oder einer verbindlichen Auskunft nach Treu und Glauben an eine Zusicherung, eine zweifelhafte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne zu beurteilen, gebunden sein kann und hieraus verpflichtet ist, bei einer späteren Veranlagung der Zusicherung gemäß zu handeln (vgl. BFH-Urteile vom 18. November 1958 I 176/57 U, BStBl III 1959, 52; vom 15.12.1966 V 181/63, BStBl III 1967, 212; vom 13.01.1970 I R 122/67, BStBl II 1970 352).

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Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin reicht hierzu jedoch eine fehlerhafte Einkünftequalifizierung – auch über mehrere Jahre hinweg – nicht aus. Denn aus einer fortgesetzten fehlerhaften Rechtsanwendung lässt sich aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht schließen, dass die Finanzbehörde das Recht auch dann noch zu Gunsten des Steuerpflichtigen fehlerhaft anwenden und von einer möglichen Korrektur der Bescheide absehen will, wenn es die Fehlerhaftigkeit erkannt hat. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu einer ausdrücklichen oder konkludenten Zusicherung, der ein solcher Bindungswille immanent ist.

119

Auch der Umstand, dass die Klägerin im Vertrauen auf die bisherige Rechtsanwendung insoweit Dispositionen getroffen hat, als sie den „gewerbesteuerschädlichen“ Teil ihrer Betätigung nicht auslagerte, führt nicht dazu, dass sich die Korrektur der Bescheide als treuwidrig erweist. Denn die Disposition des Steuerpflichtigen ist kein rechtfertigendes Kriterium, das Verhalten der Finanzbehörde wie eine Zusicherung zu behandeln. Die Disposition des Steuerpflichtigen stellt, wenn die übrigen Voraussetzungen für eine Verwirkung vorliegen, eine eigenständige Voraussetzung dar, ohne die sich der Steuerpflichtige auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht berufen kann (vgl. zur Disposition des Steuerpflichtigen auch BFH-Urteil vom 23.05.1989 X R 17/85, BStBl II 1989, 879 m.w.N.).

120

Ein in diesem Sinne rechtsmissbräuchliches Verhalten ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen. Denn der Beklagte hat keinen über die fehlerhafte Einkünftequalifizierung hinausgehenden Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den die Klägerin ein Vertrauen in das Fortbestehen der fehlerhaften Besteuerung stützen könnte.

121

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine im Widerspruch zum geltenden Recht stehende Bindung gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung verstößt, weil die Bevorzugung eines Steuerpflichtigen für alle anderen Personen, die dem Gesetz entsprechend behandelt werden, eine Benachteiligung bedeutet (vgl. BFH-Urteil vom 26.10.1962 VI 215/61 U, BStBl 1963 III S. 86), und der Steuerpflichtige bei einer fehlerhaft zu niedrigen Besteuerung oft jahrelang wettbewerbsmäßig gegenüber anderen Unternehmern, die bei gleichen Verhältnissen dem Gesetz entsprechend zur Steuer herangezogen worden sind, im Vorteil war (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 16.07.1964 V 92/61 S, BStBl III 1964, 634).

122

Ob die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wenn im Streitfall der Veranlagungsbezirk und die Betriebsprüfungsstelle des Beklagten, wie die Klägerin dies vermutet, tatsächlich eine Außenprüfung mit dem Ziel „verschleppt“ hätte, die Klägerin von einer Umstrukturierung ihres Betriebes abzuhalten, um auf diese Weise im Nachhinein Steuern festzusetzen, die die Klägerin bei einer Umstrukturierung zumindest teilweise hätte vermeiden können, kann dahinstehen. Denn dieser von der Klägerin vermutete Sachverhalt lässt sich nicht anhand ausreichender objektivierter Kriterien verifizieren und damit vom Gericht nicht feststellen.

123

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

124

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Kriterien, unter denen der Änderung eines Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht und die Kriterien, unter denen die Ausübung eines Katalogberufs i.S.d. § 18 EStG ausnahmsweise als Gewerbebetrieb anzusehen ist, in der Rechtsprechung geklärt sind, so dass im Streitfall ein Sachverhalt unter feststehende Rechtsätze zu subsumieren war.