Keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel an § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG

Entscheidung des Finanzgerichts Münster

Das Finanzgericht Münster hat mit Urteil vom 13. Dezember 2024 (Az. 12 K 2819/22 Kg) entschieden, dass an der Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b Einkommensteuergesetz (EStG) keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Zweifel bestehen. Diese Regelung betrifft den Anspruch auf Kindergeld für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer und steht im Zusammenhang mit befristeten Aufenthaltserlaubnissen.

Hintergrund des Falls

Die Klägerin, eine tunesische Staatsangehörige mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG 2020, beantragte Kindergeld für den Zeitraum von November 2021 bis Juni 2022.

  • Die Familienkasse lehnte den Antrag ab, da die Klägerin während des Streitzeitraums weder erwerbstätig war, noch Elternzeit nach § 15 BEEG in Anspruch nahm, noch laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezog.
  • Gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht für Personen mit dieser Aufenthaltserlaubnis nur dann ein Anspruch auf Kindergeld, wenn sie eine der genannten Voraussetzungen erfüllen.

Die Klägerin machte geltend, die Regelung sei verfassungswidrig.

Entscheidung des Finanzgerichts

Das Finanzgericht Münster wies die Klage ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Regelung.

Begründung des Gerichts

  1. Keine verfassungsrechtlichen Zweifel:
    • Die Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG steht im Einklang mit dem Grundgesetz.
    • Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.
  2. Typisierung durch den Gesetzgeber:
    • Die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin war von vornherein auf einen begrenzten Zeitraum angelegt.
    • Der Gesetzgeber durfte annehmen, dass Personen mit einer solchen Aufenthaltserlaubnis keine dauerhafte Bleibeperspektive haben und deshalb grundsätzlich keinen Anspruch auf Kindergeld haben sollten.
  3. Arbeitsmarktintegration als Differenzierungskriterium:
    • Die Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG sieht einen Anspruch auf Kindergeld nur vor, wenn die betroffene Person bereits in den Arbeitsmarkt integriert ist oder vergleichbare Voraussetzungen erfüllt.
    • Diese Differenzierung dient der Erleichterung der Fachkräftegewinnung und der Schaffung von Anreizen zur Arbeitsaufnahme.
  4. Kein Rückgriff auf frühere Regelungen:
    • Die Klägerin verwies auf frühere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 62 EStG in der Fassung von 2006. Diese seien jedoch auf die aktuelle Regelung nicht übertragbar, da der Gesetzgeber diese gezielt geändert hat.
  5. Keine unzulässige Einschränkung:
    • Die Erlaubnis zur Arbeitsplatzsuche (§ 20 Abs. 3 AufenthG) zielt darauf ab, qualifizierten Personen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.
    • Die fehlende Kindergeldberechtigung in dieser Phase ist verfassungsgemäß, da der Gesetzgeber eine mögliche Integration in den Arbeitsmarkt abwarten darf, bevor weitere Ansprüche entstehen.

Ausblick

Das Finanzgericht Münster hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Diese könnte in Zukunft weitere Klarheit über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelung schaffen.

Bedeutung für die Praxis

  • Klarstellung für Kindergeldanträge: Nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer mit befristeter Aufenthaltserlaubnis können nur dann Kindergeld erhalten, wenn sie die in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG genannten Voraussetzungen erfüllen.
  • Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers: Die Entscheidung verdeutlicht, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Typisierung weitgehende Befugnisse hat, solange diese verfassungsgemäß sind.
  • Zukunftsperspektiven: Betroffene sollten die Entscheidung des Bundesfinanzhofs abwarten, da sie potenziell zu weiteren Anpassungen führen könnte.

Quelle: Finanzgericht Münster, Mitteilung vom 16.01.2025