Kindergeld – zum Koordinierungsverfahren bei möglichem Bezug von Familienleistungen im Vereinigten Königreich vor dem Brexit – BFH-Urteil vom 30. November 2023, III R 40/22

Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. November 2023 (III R 40/22) befasst sich mit der Frage des Anspruchs auf Kindergeld in Deutschland unter Berücksichtigung möglicher Ansprüche auf Familienleistungen im Vereinigten Königreich vor dem Brexit. Der Fall betrifft eine Familie, bei der der Vater im Vereinigten Königreich erwerbstätig war und ein hohes Einkommen erzielte, während die Mutter und die Kinder in Deutschland lebten.

Wesentliche Entscheidungspunkte:

  1. Koordinierungsverfahren: Der BFH bestätigt, dass zur Feststellung, ob und in welchem Umfang Ansprüche auf Familienleistungen in einem anderen EU-Mitgliedstaat bestehen, grundsätzlich das Koordinierungsverfahren durchgeführt werden muss. Dieses Verfahren basiert auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und dient der Klärung, ob solche Ansprüche einen Kindergeldanspruch nach deutschem Recht ganz oder teilweise ausschließen können.
  2. Bindung an Entscheidungen ausländischer Stellen: Der Entscheidung der zuständigen ausländischen Stelle über das Bestehen eines Anspruchs auf Familienleistungen ist zu folgen. Dies gilt auch für die Bewertung des Verhältnisses zwischen dem Anspruch auf Familienleistungen und möglichen gegenläufigen steuerlichen Regelungen im anderen Mitgliedstaat.
  3. Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU: Der Brexit schließt Auskunftsersuchen an die zuständigen Träger im Vereinigten Königreich nicht aus. Auch nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ist ein Datenaustausch zur Koordinierung von Sozialleistungen vorgesehen.
  4. Zurückverweisung an das Finanzgericht: Der BFH hat den Fall an das Finanzgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen, um im Rahmen des Koordinierungsverfahrens zu klären, ob und in welchem Umfang Ansprüche auf britische Familienleistungen bestanden, die den Kindergeldanspruch in Deutschland beeinflussen könnten.

Bedeutung für die Praxis:

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung des Koordinierungsverfahrens bei der Prüfung von Kindergeldansprüchen in Fällen, in denen möglicherweise auch Ansprüche auf Familienleistungen in einem anderen EU-Mitgliedstaat bestehen. Es zeigt auf, dass die Entscheidungen und Bewertungen der zuständigen ausländischen Stellen maßgeblich sind und im Rahmen der Kindergeldfestsetzung in Deutschland berücksichtigt werden müssen. Zudem macht das Urteil deutlich, dass der Brexit die grundsätzlichen Mechanismen der Koordinierung von Sozialleistungen innerhalb der EU nicht außer Kraft setzt und dass weiterhin ein Datenaustausch zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich möglich und erforderlich ist.