Nachweis der Grenzgängereigenschaft und Freistellung für einer Betriebsstätte in der Schweiz zuzurechnende freiberufliche Dienstleistungeinkünfte

FG Baden-Württemberg Urteil vom 27.9.2012, 3 K 994/09

Pflicht zur Mitwirkung hinsichtlich des Nachweises der Grenzgängereigenschaft – Beibehaltung der Freistellung für einer Betriebsstätte in der Schweiz zuzurechnende freiberufliche Dienstleistungeinkünfte nach Änderung des § 20 Abs. 2 AStG durch das JStG 2010

Tenor

 

1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheids vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom wird die Einkommensteuer auf EUR festgesetzt.

2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger und die Klägerin sind Eheleute, die für den Veranlagungszeitraum 2005 (Streitjahr) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden. Die Kläger haben zwei leibliche Kinder, die Söhne C (geb. xx.xx.xxxx) und D (geb. xx.xx.xxxx). Die Kläger wohnten im Streitjahr in X / Deutschland/Markgräflerland (… straße). Im Schreiben der Kläger vom 23. Oktober 2006 (Bl. 31/2004 der Einkommensteuerakten Band II -ESt-Akten II-) wird die vorgenannte Anschrift als „Familienwohnsitz“ bezeichnet.
2

Entscheidungsgründe

39
Die Klage ist im Wesentlichen unbegründet (siehe nachfolgend zu I.) und zu einem geringen Teil begründet (siehe nachfolgend zu II.).
40
I. Das FA ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinen Einkünften aus der Tätigkeit als leitender Arzt beim … dienst in Y/CH in vollem Umfang der Besteuerung im Inland unterliegt.
41
1. Der Kläger war im Streitjahr gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der in Streitjahren geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes -EStG 2005- unbeschränkt einkommensteuerpflichtig; er unterlag daher mit allen im Streitjahr erzielten (Welt-)Einkünften der Einkommensteuer (BFH-Urteil vom 5. Juni 2007 I R 22/06, BStBl II 2007, 812). Er hatte -wie für die Annahme der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht erforderlich- im gesamten Streitjahr einen Wohnsitz im Inland.
42
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG 2005 sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
43
a) Nach § 8 AO hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung muss die natürliche Person die Wohnung nicht zwingend selbst innehaben. Sie kann die Wohnung auch durch ihre Familienangehörigen, insbesondere durch den Ehegatten, innehaben (so bereits: Entscheidung des Reichsfinanzhofs -RFH- vom 10. März 1937 VI A 631/36, Reichssteuerblatt -RStBl- 1937, 498; BFH-Urteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351). Daher spricht eine Vermutung dafür, dass Ehegatten ihren Wohnsitz im Regelfall dort haben, wo die Familie ihren Wohnsitz hat (BFH-Entscheidungen vom 6. Februar 1985 I R 23/82, BStBl II 1985, 331; vom 2. November 1994, I B 110/94, BFH/NV 1995, 753; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 24. September 1965 1 BvR 131/65, Der Betrieb -DB- 1965, 1886, juris). Das setzt voraus, dass die Wohnung auch für den nicht dauernd dort lebenden Familienangehörigen bestimmt ist und dieser die Wohnung ebenfalls als sein Heim betrachtet (RFH-Entscheidung in RStBl 1937, 498; BFH-Urteile vom 29. Oktober 1959 IV 129/58 S, BStBl III 1960, 61; vom 3. März 1978 VI R 195/75, BStBl II 1978, 372; vom 30. August 1989 I R 215/85, BStBl II 1989, 956). Es muss alles dafür sprechen, dass die Person bei sich bietender Gelegenheit zu ihrer Familie zurückkehren wird, um dort gemeinsam mit der übrigen Familie zu wohnen (BFH-Urteil in BStBl III 1960, 61). Kehrt sie stets nur zurück, um die Familie zu besuchen, so besteht kein gemeinsamer Familienwohnsitz (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BStBl II 2001, 294). Wie oft und in welchen Zeitabständen die Person zurückkehrt, ist ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die Person anderswo einen (weiteren) Wohnsitz hat oder dass sie nach der Rückkehr stets nur kurzfristig in der Familienwohnung verweilt (Stapperfend in: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 1 Anm. 65 und 69 mit umfangreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).
44
b) Danach kann im Streitfall davon ausgegangen werden (BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 I R 8/94, BStBl II 1996, 2), dass der Kläger im Streitjahr seinen Wohnsitz im Gebäude … straße in X / Deutschland hatte. Dort wohnte seine Familie: Seine (von ihm nicht dauernd getrennt lebende) Ehefrau und die gemeinsamen (im Streitjahr noch minderjährigen) Kinder C und D, mit denen im Streitjahr eine häusliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestand. Das Gebäude hatte der Kläger zusammen mit seiner Ehefrau im Jahr 2001 zu je ½ Miteigentumsanteil als Heimstatt für seine Familie erworben. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger entgegen der Regel, dass ein Ehepartner die Wohnung, in der seine Familie wohnt, auch benutzen wird und daher auch dort seinen Wohnsitz hat, die Wohnung in X / Deutschland nicht benutzt habe, liegen im Streitfall nicht vor. Der Kläger selbst bezeichnet im Schriftsatz vom 23. Oktober 2006 die Wohnung in X / Deutschland als seinen Familienwohnsitz.
45
Der Annahme eines Familienwohnsitzes im Inland steht auch nicht entgegen, dass der Kläger am 1. August 2004 seine Tätigkeit als leitender Arzt beim … dienst der Universität Y/CH aufgenommen hat, nachdem er zuvor als Oberarzt bei den Krankenhaus G/CH (und damit in unmittelbarer Näher zum Familienwohnsitz in X / Deutschland) tätig war. Denn die Vermutung, dass ein Arbeitnehmer seinen Wohnsitz im Inland am Wohnsitz seiner Familie hat, gilt auch dann (weiter), wenn ein Arbeitnehmer, der im Ausland versetzt wird, seine Wohnung im Inland beibehält, deren Benutzung ihm jederzeit möglich ist und die dergestalt ausgestattet ist, dass sie ihm jederzeit als Bleibe dienen kann (BFH-Urteil in BStBl II 1996, 2). Für eine hiervon abweichende tatsächliche Würdigung wurde vom Kläger nichts vorgetragen. Des Weiteren ergibt auch der sonstige Inhalt der dem erkennenden Senat vorliegenden Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit von seinen Tätigkeitsorten in Y/CH bzw. ab dem 1. Oktober des Streitjahres auch von U/Kanton Z/CH aus nach X / Deutschland zurückkehrte, um dort gemeinsam mit seiner Familie zu wohnen. Seine Aufenthalte in X / Deutschland hatten nach den Gesamtumständen des vorliegenden Einzelfalles nicht lediglich den Charakter von Besuchen, die der Annahme eines Wohnsitzes des Klägers in der Wohnung seiner Familie allerdings entgegenstünden.
46
2. Das FA hat zutreffend angenommen, dass die Einkünfte des Klägers aus der (unselbständigen) Tätigkeit für den FDP gemäß Art. 15a DBA-Schweiz 1992 der deutschen Steuer unterliegen.
47
a) Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1992 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist (siehe nachfolgend zu b). Grenzgänger i.S. des Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz 1992 ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die in dem anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1992). Nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 entfällt bei einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung im anderen Vertragsstaat während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (sog. Nichtrückkehrtage) -siehe nachfolgend zu c-.
48
b) Der Kläger war im Streitjahr schon deshalb im Inland ansässig im Sinne des Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1992, weil er in X / Deutschland im Gebäude … straße über eine ständige Wohnstätte verfügte (Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Schweiz 1971 -s. nachfolgend zu aa) und bb)-) und im Übrigen zur Bundesrepublik Deutschland die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hatte (Mittelpunkt der Lebensinteressen; Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a Satz 2 DBA-Schweiz 1971 -s. nachfolgend zu cc) und dd)-).
49
aa) Eine Wohnstätte ist eine „ständige“ i.S. des Art. 4 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971, wenn sie auf Grund einer langfristigen Rechtsposition ständig genutzt werden kann und tatsächlich regelmäßig genutzt wird. Dabei ist einerseits weder ein ständiges Bewohnen noch ein Mindestmaß an Nutzung Voraussetzung für das Vorliegen einer ständigen Wohnstätte; ebenso muss sich dort nicht der Mittelpunkt der Lebensinteressen des betreffenden Steuerpflichtigen befinden. Andererseits reicht eine nur gelegentliche Nutzung nicht aus (BFH-Urteil vom 16. Dezember 1998 I R 40/97, BStBl II 1999, 207). Erforderlich ist vielmehr eine Art und Intensität der Nutzung, welche die Wohnung als eine nicht nur hin und wieder aufgesuchte, sondern in den allgemeinen Lebensrhythmus einbezogene Anlaufstelle des Steuerpflichtigen erscheinen lässt. Darin liegt die Qualifizierung der „ständigen Wohnstätte“ gegenüber dem „Wohnsitz“ i.S. des § 8 AO, für dessen Begründung es ausreichen kann, dass eine Wohnung ständig zur Nutzung bereitgehalten und tatsächlich nur von Fall zu Fall genutzt wird (BFH-Urteile vom 5. Juni 2007 I R 22/06, BStBl II 2007, 812; vom 24. Januar 2001 I R 100/99, BFH/NV 2001, 1402).
50
bb) Der Kläger hatte im Streitjahr im Inland eine Wohnstätte. Wohnstätte sind alle Räumlichkeiten, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind. Diese Merkmale erfüllt zweifelsohne der Familienwohnsitz des Klägers im Gebäude … straße in X / Deutschland. Der Familienwohnsitz in X / Deutschland diente dem Kläger auch als „ständige“ Wohnstätte, weil der Kläger aufgrund seines (Mit-)Eigentumsrechts ständig über diese verfügen konnte und diese auch zweifelsfrei häufig und regelmäßig im Streitjahr nutzte.
51
cc) Bei der Entscheidung der Frage, wo der Kläger den Mittelpunkt der Lebensinteressen i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a Satz 2 DBA-Schweiz 1971 im Streitjahr hatte, geht es darum, zu welchem Staat er die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hatte. Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen hat der BFH mehrfach Entscheidungen getroffen (s. die Entscheidungen vom 28. November 2007 I B 79/07, juris; vom 23. Oktober 1985 I R 274/82, BStBl II 1986, 133; vom 31.Oktober 1990 I R 24/89, BStBl II 1991, 562; vom 17. Juli 2002 I B 119/01, BFH/NV 2002, 1600; vom 27. März 2007 I B 63/06, BFH/NV 2007, 1656). Diese Entscheidungen stehen in Übereinstimmung mit Nr. 15 Satz 2 des Musterkommentars zu Art. 4 des OECD-Musterabkommens aus dem Jahr 1977 (OECD-MA), wonach die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen der Person, ihre berufliche, politische, kulturelle und sonstige Tätigkeit, der Ort ihrer Geschäftstätigkeit, der Ort, von wo aus sie ihr Vermögen verwaltet, und ähnliches zu berücksichtigen ist, wobei die Umstände als Ganzes zu prüfen sind. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist damit auf der Grundlage einer zusammenfassenden Wertung sowohl der persönlichen als auch der wirtschaftlichen Beziehungen im konkreten Fall zu ermitteln (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 MA Rz 70). Einer auf den einzelnen Steuerpflichtigen bezogenen zusammenfassenden Wertung ist eine bestimmende (allgemeine) Rangordnung der Kriterien fremd (BFH-Beschluss I B 79/07, juris).
52
dd) Bei der Abwägung der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen des Klägers zur Bundesrepublik Deutschland einerseits und zur Schweiz andererseits sprechen alle für den Senat -unter Berücksichtigung der Verletzung der Mitwirkungspflichten durch die Kläger (Hinweis auf die richterliche Anordnung vom 17. November 2010 zu I.)- erkennbaren Umstände dafür, dass die ständige Wohnstätte des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland in X / Deutschland der für ihn bedeutungsvollere Ort war. Dort lebte seine Familie und dort verfügte er über eine ständige Wohnstätte, die in der Form eines eigenen Wohnhauses seine besondere Bindung gerade zu dieser Wohngelegenheit zum Ausdruck brachte. Der Kläger hatte zur Bundesrepublik Deutschland auch wirtschaftliche Beziehungen. Diese bestanden einmal in der Form des (Mit-) Eigentums an dem Wohnhaus … straße in X / Deutschland, das der Kläger mit einem erheblichen finanziellen Aufwand erworben hat. Außerdem übte der Kläger im Inland auch noch eine -wenn auch bescheidene- Tätigkeit im Rahmen eines … handels aus. Im Übrigen wurden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger von einem anderen Ort als X / Deutschland sein Vermögen verwaltete, vorgetragen und solche sind auch aus den, dem erkennende Senat vorliegenden, Akten nicht ersichtlich. Demgegenüber besaß der Kläger im Streitjahr zur Schweiz nur wirtschaftliche Beziehungen durch seine nichtselbständige Tätigkeit für das … dienst in Y/CH und ab dem 1. Oktober dazu noch durch seine selbständige Tätigkeit als xxxx in seiner Praxis in U/Kanton Z/CH. Eine (besonders enge) persönliche Bindung an die Schweiz lässt sich auch im Hinblick auf die ihm (angeblich) zur Nutzung zur Verfügung stehenden Wohngelegenheiten an seinen Tätigkeitsorten in U/Kanton Z/CH und in Y/CH, zu denen der Kläger sich jeden substantiierten Vortrags enthalten hat, nicht erkennen. Angesichts dessen stellen sich die geschäftlichen Beziehungen zur Schweiz insoweit lediglich als gegenwartsbezogen dar, weil sie dem auf Dauer angelegten Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Bundesrepublik Deutschland eine ausreichende finanzielle Grundlage verschaffen sollen.
53
c) Der Kläger ist hinsichtlich seiner Tätigkeit für den … dienst Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1992, weil mangels eines Nachweises davon auszugehen ist, dass er im Streitjahr nicht an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992).
54
aa) Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 5 des Gesetzes vom 30. September 1993 zu dem Protokoll vom 21. Dezember 1992 zum DBA-Schweiz 1971 -Zustimmungsgesetz- (BGBl II 1993, 1886, BStBl I 1993, 927) hat der Arbeitgeber nach amtlich vorgeschriebenem Muster (vgl. hierzu: BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683, Rz 18 i.V.m. Anlage Gre-3a [S. 703 ff. a.a.O.]) die Tage der Nichtrückkehr auf Grund der Arbeitsausübung zu bescheinigen, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr Grenzgänger ist (Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1992). Nach Nr. II. 5 Satz 1 des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 -Verhandlungsprotokoll- (BGBl II 1993, 1889, BStBl I 1993, 929) ist die Bescheinigung des Arbeitgebers über die Tage der Nichtrückkehr mit einem Sichtvermerk der für den Arbeitsort zuständigen Finanzbehörde zu versehen.
55
Diese Bescheinigung schließt Ermittlungen der für den Wohnsitz zuständigen Finanzbehörde nicht aus (Nr. II. 5 Satz 2 des Verhandlungsprotokolls). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Bescheinigung im Inland weder für das Finanzamt noch für das Finanzgericht verbindlich (BFH-Urteil vom 3. November 2010 I R 4/10, BFH/NV 2011, 800 zu II. 2.a, m.w.N.). Nach Schweizer Rechtsauffassung wird mit der Bescheinigung des Arbeitgebers auf dem amtlichen Vordruck Gre-3a (BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683, 703) der Nachweis der Nichtrückkehrtage grundsätzlich erbracht, und nur in Ausnahmefällen hat die (Schweizerische) Steuerbehörde das Recht, die bescheinigten Nichtrückkehrtage zu überprüfen (Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland, Band 8 B 15 a.2 Nr. 31 Ziff. 3 Buchstabe c Doppelbuchst. aa).
56
bb) Der Steuerpflichtige trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast bzw. Darlegungslast) dafür, dass er -z.B. wegen einer Übernachtung in der Schweiz- an einem Arbeitstag nicht an seinen Wohnsitz im Inland zurückgekehrt ist und im Übrigen auch dafür, dass dies auf Grund der Arbeitsausübung in der Schweiz geschehen ist (BFH-Urteil in BStBl II 2011, 800).
57
cc) Eine Entscheidung nach den zuvor dargelegten Beweislastregeln kommt allerdings nicht in Betracht, wenn die mangelnde Sachaufklärung darauf beruht, dass der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt, die gerade dem Zweck dienen sollen, solche Mängel zu vermeiden. Wirkt der Steuerpflichtige nicht mit (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO), mindert sich die Verpflichtung des Finanzgerichts zur Sachverhaltsaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und das Beweismaß (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 800 zu II. 2.b cc; vom 30. Juli 2003 X R 28/99, BFH/NV 2004, 201). Das Finanzgericht kann sich damit begnügen, zu einem geringeren Grad als nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geboten, davon überzeugt zu sein, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt bzw. nicht vorliegt. Berühren die verletzten Mitwirkungspflichten Tatsachen oder Beweismittel aus dem alleinigen Verantwortungsbereich (der alleinigen Interessenssphäre) des Steuerpflichtigen, kann das Finanzgericht aus diesem Verhalten des Steuerpflichtigen für diesen nachteilige Schlüsse ziehen. Es kann auch einen für den Steuerpflichtigen belastenden Sachverhalt im Rahmen der Beweiswürdigung unterstellen, um zu vermeiden, dass demjenigen, der sich seinen Mitwirkungspflichten entzieht, daraus ein Vorteil entsteht. Als Kriterien für die Minderung der Sachaufklärungspflicht und des Beweismaßes sind die Schwere der Pflichtverletzung, die Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit sowie das vorausgegangene Tun des Steuerpflichtigen und insbesondere die Beweisnähe heranzuziehen. Die Verantwortung des Steuerpflichtigen für die Aufklärung des Sachverhalts ist umso größer und die des Finanzgerichts umgekehrt umso geringer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von Steuerpflichtigen beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören (BFH-Urteile vom 9. Juni 2005 IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765; vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BStBl II 1989, 462).
58
dd) Bei einem Sachverhalt, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, obliegt dem Steuerpflichtigen eine erhöhte Aufklärungs-, Mitwirkungs- und Beweismittelbeschaffungspflicht (§ 90 Abs. 2 AO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO). Der betroffene Steuerpflichtige muss in einem solchen Fall Beweismittel beschaffen (BFH-Beschluss vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297) und ggf. Beweisvorsorge treffen (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007  X B 34/07, BFH/NV 2008, 597) und z.B. einen im Ausland ansässigen Zeugen -ohne Ladung durch das Gericht- zu einer Sitzung des Finanzgerichts stellen (BFH-Beschluss vom 11. November 2005 II B 101/04, BFH/NV 2006, 577).
59
Des Weiteren muss der Steuerpflichtige eine erschöpfende, sowohl im Detail wie im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße, durch das Gericht überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sacherhalts geben (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 90 AO Rz 152 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Ist die Pflicht nach § 90 Abs. 2 AO (i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO) verletzt und lässt sich der Sachverhalt nicht anderweitig aufklären, kann das Gericht zum Nachteil des mitwirkungsverpflichteten Steuerpflichtigen von einem Sachverhalt ausgehen, für den unter Berücksichtigung von dessen Beweisnähe und Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (Thürmer in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 76 FGO Rz 120 mit umfangreichen Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung).Hierfür ist insbesondere die Erwägung maßgebend, dass demjenigen, der seinen ihm obliegenden allgemeinen und besonderen Mitwirkungs-, Informations- und Nachweispflichten nicht nachkommt, aus seinem Verhalten kein Vorteil entstehen darf; zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses sind auch belastende Unterstellungen oder nachteilige Schlüsse im Rahmen der Beweiswürdigung gerechtfertigt (BFH-Urteile vom 13. November 1985 I R 7/85, BFH/NV 1986, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c; in BStBl II 1989, 462; von Groll in: Gräber, FGO, Kommentar, 7. Aufl., § 96 Rz 12; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung)
60
ee) Eine Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 AO (i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) der Anzahl der Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 durch das Finanzgericht ist nach Auffassung des BFH nicht zulässig (BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 800, zu II.2.b cc bbb).
61
ff) Im Streitfall sind die Kläger ihren prozessualen Mitwirkungs- Informations- und Nachweispflichten in einer besonders gravierenden Weise nicht nachgekommen.
62
aaa) Mit ihrer Klage begehren die Kläger, dass der Kläger mit seinen vom … dienst bezogenen Einkünften aus unselbständiger Arbeit im Inland von der Einkommensteuer freigestellt werde, weil er an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt sei (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Der Kläger hat trotz mehrfacher Aufforderungen durch das FG (Hinweis auf die richterliche Anordnung in Zusammenhang mit der Ladung zum Erörterungstermin) und das FA (s. u.a. dessen Schreiben vom 8. Dezember 2008) nicht die gesetzlich vorgeschriebene Bescheinigung seines Arbeitgebers (des … dienst der Universität Y/CH) i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Satz 5 des Zustimmungsgesetzes vorgelegt, in der für das Streitjahr die Tage der Nichtrückkehr an seinen Wohnsitz in X / Deutschland aufgrund seiner Arbeitsausübung für den … dienst dargelegt werden. Hierzu wäre es notwendig gewesen, dass der Kläger -wie im amtlichen Vordruck zur Arbeitgeberbescheinigung ausdrücklich verlangt (s. BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683 [705 und 706])- auf einem gesonderten Blatt eine Einzelaufstellung der Nichtrückkehrtage unter Angabe des jeweiligen Datums eingereicht hätte. Warum diese Einzelaufstellung der Nichtrückkehrtage und die vom Arbeitgeber des Klägers unterschriebene Bescheinigung nicht vorgelegt wurden, wurde vom Kläger nicht dargelegt.
63
bbb) Des Weiteren hätte in der zuvor erwähnten -auf einem gesonderten Blatt zu erstellenden- Einzelaufstellung (s. BMF-Schreiben in BStBl I 1994, 683 [706]) der Ort angegeben werden müssen, an dem sich der Kläger an den einzelnen Tagen der Nichtrückkehr jeweils aufgehalten hat und schließlich auch der Anlass der Nichtrückkehr. Hierzu hätten insbesondere deshalb Angaben gemacht werden müssen, weil der Kläger im Streitjahr eine selbständige freiberufliche Tätigkeit im Sinne von Art. 14 DBA-Schweiz 1971 als xxx xxxx in U/Kanton Z/CH (Entfernung Y-U: ca. 92 km; U-X / Deutschland: ca. 66 km, s. die Routenplaner lt. Bl. 5 und 6 der Rb-Akten) aufgenommen hat (s. Erhard in: Kempermann in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Kommentar, Art. 14 ABC der Freiberufler Rz 126 [S. 43]) und Tage, an denen er auf Grund dieser Tätigkeit nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland zurückgekehrt ist, bei der Berechnung der Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 nicht zu berücksichtigen sind (BFH-Urteil vom 11. November 1009 I R 15/09, BStBl II 2010, 602). Insoweit fehlt es an einer vollständigen und wahrheitsgemäßen durch das Gericht überprüfbaren Darlegung eines für die Annahme von Nichtrückkehrtagen i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 sprechenden Sacherhalts (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § xx AO Rz 152).
64
ccc) Im Übrigen hat der Kläger auch im Gegensatz zu seinen prozessualen Mitwirkungspflichten keine Angaben zu den Ausführungen der Chefärztin im Schreiben im Schreiben vom 25. April 2005 gemacht, nach denen seine Anwesenheit unter der Woche in Y aus dienstlichen Gründen „wegen der kurzfristigen Erreichbarkeit und Einsatzbereitschaft obligat“ gewesen sei.
65
Nach der Rechtsprechung des BFH (s. die Urteile vom 27. August 2008 I R 10/07 BStBl II 2009, 94; I R 64/07, BStBl II 2009, 97) ist es -auf der Basis der jeweils getroffenen Abmachungen und deren tatsächlicher Durchführung- gerade bei Ärzten möglich, dass bei einer mehrtägigen, ohne Unterbrechung ausgeübten Tätigkeit eines Arbeitnehmers (i.S. einer „Einsatzbereitschaft“) nicht jeder Tag, an dem der Arbeitnehmer an seinen Wohnsitz im Inland nicht zurückgekehrt ist, als Nichtrückkehrtag i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 zählt, weil ein mehrtägiger Einsatz vielmehr als eine „Arbeitseinheit“ zu behandeln ist (Hinweis auf Pikettdienste, Rufbereitschaften und Bereitschaftsdienste; vgl. hierzu: Kempermann in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., a.a.O., Art. 15a Rz 38-41 mit umfangreichen Nachweisen). Der Kläger wurde deshalb zusammen mit der Ladung zum Erörterungstermin und unter Hinweis auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vom 17. Juli 2009 S 130.1/670 – St 217 (Internationales Steuerrecht -IStR- 2010, 662), mit denen die in den BFH-Urteilen in BStBl II 2010, 94 und 97 dargelegten Rechtsgrundsätze umgesetzt werden sollten, aufgefordert, zu der „Einsatzbereitschaft“ Unterlagen vorzulegen (Arbeitszeitlisten und Dienstpläne zu Pikettdiensten und Rufbereitschaften usw.; s. Art. 115 ff. der Personalverordnung vom 18. Mai 2005 -PV- des Regierungsrats des Kantons Y, Bl. 64 ff. der FG-Akten) und darüber hinaus weitere Angaben zur tatsächlichen Gestaltung der im Schreiben der Chefärztin vom 25. April 2005 erwähnten Einsatzbereitschaft zu machen (insbesondere auch zur sog. Interventionszeit). Auch diese Aufforderung blieb ergebnislos. Warum diese Aufforderung nicht befolgt wurde, wurde nicht dargelegt.
66
ddd) In der „Bestätigung“ der Chefärztin vom 25. April 2005 wird wohl im Hinblick auf die angeblichen Nichtrückkehren des Klägers auf mindestens zwei dienstliche Pflichtveranstaltungen in der Woche mit einer Dauer bis 22.00 Uhr und länger verwiesen und im Übrigen darauf, dass der Dienstbeginn des Klägers um 8.00 Uhr sei (vgl. hierzu Art. 125 PV).
67
Nach Art. 124 PV beträgt die Arbeitszeit (für das gesamte Kantonspersonal -zu dem auch der Kläger als Angestellter der Universität Y/CH gehört-) bei einem Beschäftigungsgrad von 100 % (wie im Falle des Klägers: s. den Anstellungsvertrag vom 28. April 2004) 42 Stunden pro Woche. Im Übrigen beträgt die Entfernung zwischen dem Arbeitsort des Klägers in Y und seinem Wohnsitz in X / Deutschland nach den zutreffenden Ermittlungen des FA ca. 100 km und die Fahrtdauer ca. 1 Stunde (s. die Angaben im Routenplaner, Bl. 9 der ESt-Akten S). Um hieran anschließend den Umfang der tatsächlichen Arbeitszeit (unter Berücksichtigung eines evtl. Freizeitausgleichs) feststellen zu können, die je nach Gestaltung ein Indiz für eine Nichtrückkehr auf Grund der Arbeitsausübung an einem Arbeitstag hätte sein können im Rahmen der Entscheidung des Senats nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), wurde der Kläger durch den Berichterstatter u.a. darum gebeten, einen Bediensteten der Universität Y/CH, der zu den vereinbarten und durchgeführten Diensten Angaben machen kann, in den Gerichtstermin zu stellen. Diese Aufforderung blieb ergebnislos. Gründe hierfür wurden vom Kläger nicht dargelegt.
68
eee) Der Kläger ist im Übrigen insoweit seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, als er, wie sich schon aus den zuvor dargelegten Erwägungen ergibt, keine -in Nr. II.5. Satz 1 des Verhandlungsprotokolls erwähnte- Arbeitgeberbescheinigung über die Nichtrückkehr an mehr als 60 Arbeitstagen versehen mit einem Sichtvermerk derkantonalen Steuerverwaltung des Kantons Y (der für den Arbeitsort des Klägers in Y/CH zuständigen Finanzbehörde) vorgelegt hat.
69
fff) Schließlich haben die Kläger ihre prozessualen Mitwirkungspflichten dadurch verletzt, dass sie, obwohl ihr persönliches Erscheinen zum Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des erkennenden Senats zur Klärung der sich im vorliegenden Streitfall stellenden Tat- und Rechtsfragen (Hinweis auf die zusammen mit der Ladung verfügten richterlichen Anordnungen) bestimmt worden war, ohne Angabe von (irgendwelchen) Gründen nicht erschienen sind und darüber hinaus durch ihren Prozessbevollmächtigten erklären ließen, dass sie auch an evtl. weiteren Gerichtsterminen nicht teilnehmen werden. Insoweit hat der Kläger seine (Informations-)Pflichten unterlaufen, ggf. im Anschluss an entsprechende Fragen des Gerichts, eine erschöpfende, sowohl im Detail wie im Zusammenhang vollständige und wahrheitsgemäße durch das Gericht überprüfbare und für eine richtige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ausreichende Gesamtdarstellung des konkreten steuerrelevanten Sacherhalts zu geben (Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 90 AO Rz 152).
70
ee) Im Anschluss an die zuvor dargelegten Verletzung der prozessualen Mitwirkungs-, Informations- und Nachweispflichten durch den (bzw. die) Kläger ist der erkennende Senat mit einem geringeren Maß als nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO geboten, davon überzeugt (Heuermann, Die Steuerliche Betriebsprüfung 2005, 371), dass der Kläger nicht an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung für den … dienst nicht an seinen Wohnsitz in X / Deutschland nicht zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992). Eine hiervon abweichende Entscheidung zugunsten des Klägers mit der Annahme von mehr als 60 Nichtrückkehrtagen i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 wäre im Übrigen wegen der durch die Kläger verursachten Unaufgeklärtheit des entscheidungserheblichen Sachverhalts nur auf der Grundlage einer Schätzung i.S.v. § 162 Abs. 1 AO möglich. Eine solche Schätzung (von Nichtrückkehren an den Wohnsitz des Klägers im Inland) ist jedoch, wie der BFH im Urteil in BFH/NV 2011, 800 ausgeführt hat, rechtlich nicht zulässig. Im Übrigen entspricht die Annahme des erkennenden Senats nach einer freien Überzeugungsbildung, der Kläger habe nicht mehr als 60 Nichtrückkehrtage i.S.v. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 verwirklicht, dem allgemeinen Prozessgrundsatz, dass die Beteiligten an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirken müssen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) und die Aufklärung eines unklaren Sachverhalts vor allem Sache desjenigen ist, der dem Sachverhalt -wie im Streitfall der Kläger- am nächsten steht, weshalb ihn der Nachteil treffen soll und muss, wenn ein solcher Sachverhalt nicht restlos aufgeklärt werden kann (BFH-Urteil in BFH/NV 1986, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c).
71
3. Das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der hier in Rede stehenden Einkünfte des Klägers aus unselbständiger Arbeit auf Grund der Grenzgängerregelung in Art. 15a DBA-Schweiz 1992 ist damit nicht wegen der 60-Tage-Regelung in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1992 entfallen. Der Kläger unterliegt als Grenzgänger mit seinen Einkünften aus unselbständiger Arbeit gemäß Art. 15a Abs. 1 DBA-Schweiz 1992 der Einkommensteuer. Die vom Arbeitgeber des Klägers nicht auf der Grundlage der für den Einbehalt von Quellensteuer vom Arbeitslohn für Grenzgänger geltenden Vorschrift von Art. 15a Abs. 3 Buchstabe b DBA-Schweiz 1992 und sonach abkommenswidrig vom Arbeitslohn des Klägers einbehaltene und an die ESTV abgeführte Quellensteuer ist -entgegen der Auffassung des Klägers (s. dessen Schriftsatz vom 14. Januar 2011, Bl. 135 der FG-Akten)- nicht gemäß § 34c EStG 2005 auf die Einkommensteuer anzurechnen (Art. 15a Abs. 3 Buchstabe a DBA-Schweiz 1992; inzwischen ständige Rechtsprechung des BFH: vgl. Entscheidungen vom 2. März 2010 I R 75/08, BFH/NV 2010, 1820; vom 8. Dezember 2010 I R 92/09, BStBl II 2011, 488; vom 1. Juli 2009 I R 113/08, BFH/NV 2009, 1992).
72
II. 1.a) Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit sind in Übereinstimmung mit den Darlegungen des Klägers im Schriftsatz vom 14. März 2011 gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG 2005 dessen Aufwendungen für die Wege zwischen seiner Wohnung in X / Deutschland und seiner Arbeitsstätte in Y/CH noch zu berücksichtigen. Die Entfernungspauschale von 0,30 EUR ist allerdings nicht auf die Grundlage von 220 Arbeitstagen und einer Entfernung von xx Kilometer zwischen Wohnung des Klägers in X / Deutschland und dessen Arbeitsort in Y/CH anzuwenden (insgesamt: x.xxx EUR). Der erkennende Senat geht nach seiner aus dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens gewonnenen Überzeugung davon aus (s. die Erwägungen zu 2.c), dass dem Kläger insoweit Aufwendungen entstanden sind, die in Höhe der Jahresgrenze von 4.500 EUR (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 EStG 2005) als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu behandeln sind. Nachweise dafür, dass über die Jahresgrenze hinaus Aufwendungen anzusetzen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 2 EStG 2005 -bei Benutzung eines eigenen oder dem Kläger zur Nutzung überlassen Kraftwagen- bzw. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG 2005 -bei Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln-), hat der Kläger nicht vorgelegt, so dass es beim Ansatz von Werbungskosten in Höhe der Jahresgrenze verbleibt, zumal der Prozessbevollmächtigte im Erörterungstermin vom 17. Januar 2011 angegeben hat, der Kläger sei mit der Eisenbahn gefahren.
73
b) Die vom Kläger noch geltend gemachten Aufwendungen für die Miete von Wohnräumen in U/Kanton Z/CH bzw. in Y/CH können schon deshalb nicht einkommensteuermindernd berücksichtigt werden, weil der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten (Hinweis auf die verschiedenen Aufklärungsanordnungen des FA und auf die richterliche Anordnung in Zusammenhang mit der Ladung zum Erörterungstermin mit Aufforderung, Angaben zur Nutzung, Einrichtung und Ausstattung der behaupteten Räumlichkeiten, die anderen Vertragsparteien als Zeugen zu stellen usw.) in gravierender Weise verletzt hat. Der erkennende Senat geht insoweit nach seiner freien Überzeugungsbildung davon aus (BFH-Urteil in BFH/NV 1985, 638, Entscheidungsgründe zu 3.c), dass die Vereinbarung eines auch tatsächlich durchgeführten Mietverhältnisses nicht angenommen werden kann. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der erkennende Senat, dass der Kläger dem FG für die Anmietung einer Wohnung in U/Kanton Z/CH kein Mietvertrag, keine Angaben zur Lage und der (inneren) Gestaltung der Wohnung und keine Darlegungen und Nachweise zur Mietzahlung vorgelegt wurden.
74
2. Zu Unrecht hat das FA die Einkünfte des Klägers aus seiner ab dem 1. Oktober des Streitjahres in U/Kanton Z/CH ausgeübten freiberuflichen Praxis als xxx xxxx der Besteuerung im Inland unterworfen.
75
a)Der Kläger, der in X / Deutschland und damit im Inland ansässig ist und deswegen hier mit seinen (gesamten) Einkünften (sog. Welteinkommensprinzip) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG), erzielt mit seinem Gewinn aus der in U/Kanton Z/CH ausgeübten Tätigkeit als xxx xxxx infolgedessen Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG (vgl. Erhard in: Flick/Wassermeyer/Kempermann, a.a.O., Art. 14 Rz 126 ABC der Freiberufler Stichworte: Psychologe, Psychotherapeut/Psychoanalytiker; Schmidt/Wacker, EStG, Kommentar, 32,. Aufl., § 18 Anm. 155 Stichworte: Psychotherapeut/Psychologe; jeweils mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung). Um eine doppelte Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland als Wohnsitzstaat und in der Schweiz als dem Staat, in dem die feste Einrichtung liegt, zu vermeiden, haben sich beide Staaten jedoch abkommensrechtlich und völkerrechtlich verbindlich im DBA-Schweiz 1971 darauf verständigt, das Besteuerungsrecht für die der festen Einrichtung in der Schweiz zuzurechnenden Einkünfte gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971 der Schweizerischen Eidgenossenschaft zuzuweisen. In der Bundesrepublik Deutschland sind diese Einkünfte nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 von der Steuer befreit (unter Progressionsvorbehalt i.S.v. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2005).
76
b) Dieser Steuerbefreiung steht nicht die Vorschrift des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 des Außensteuergesetzes (AStG) entgegen.
77
Allerdings bestimmt § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AStG a.F. (in der ursprünglich im Streitjahr geltenden Fassung -vgl. hierzu eine selbständige Arbeit in der Schweiz betreffend: Günther/Simader/Tüchler, IStR 2009, 490, zu 3.-), dass abweichend von der zuvor dargelegten Abkommenslage die Doppelbesteuerung von hier in Rede stehenden (freiberuflichen) Einkünften für die Erbringung von Dienstleistungen i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (i.V.m. § 20 Abs. 2 AStG a.F.; Reiche in: Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl., 2012, I AStG § 8 Rz 47-53), die in der ausländischen Betriebsstätte (festen Einrichtung) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen anfallen, nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der auf diese Einkünfte erhobenen ausländischen (Quellen-)Steuern zu vermeiden ist (Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21. Juni 2010, Bundestags-Drucksache -BT-Drs- 17/2249, Begründung zu Artikel 7 [AStG] zu Nummer 2 [§ 20 Absatz 2 Satz 2 – neu] S. 85).
78
Diese Rechtslage hat inzwischen durch den Gesetzgeber eine Änderung erfahren. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG in der Fassung von Art. 7 Nr. 3 des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 1768, BStBl I 2010, 1394) -JStG 2010- gilt das zuvor Dargelegte nicht, soweit in der ausländischen Betriebsstätte (festen Einrichtung) Einkünfte anfallen, die nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG als Zwischeneinkünfte steuerpflichtig wären. Die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG n.F. ist dabei in allen Fällen anzuwenden, in denen die Einkommensteuer -wie z.B. im  Streitfall- noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 21 Abs. 19 Satz 2 AStG n.F. (in der Fassung von Art. 7 Nr. 4 Satz 2 JStG 2010; vgl. hierzu: Wassermeyer/Schönfeld in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Kommentar, § 20 AStG Rz 165; Hahn in: Lademann, Außensteuergesetz, Handkommentar, § 20 Rz 235).
79
c) Im Streitfall erfüllt der Kläger mit seiner Tätigkeit in U/Kanton Z/CH den Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG n.F.), sodass es entgegen den Vorschriften des § 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AStG bei der Freistellung der vom Kläger erzielten Einkünfte gemäß Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 verbleibt und diese Einkünfte bei der Besteuerung im Inland lediglich dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG 2005 unterliegen.
80
Nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (sog. Bedienenstatbestand) ist Zwischengesellschaft eine ausländische Gesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus Dienstleistungen stammen, soweit sich die ausländische Gesellschaft für die Dienstleistung nicht eines unbeschränkt Steuerpflichtigen, der gemäß § 7 an ihr beteiligt ist, oder einer einem solchen Steuerpflichtigen im Sinne von § 1 Abs. 2 nahestehenden Person bedient, die mit ihren Einkünften aus von ihr beigetragenen Leistung im Geltungsbereich dieses Gesetzes steuerpflichtig ist.
81
Hieraus ergibt sich, dass es im Streitfall bei der Freistellung der freiberuflichen Einkünfte des Klägers nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe c Halbsatz 1 DBA-Schweiz 1971 verbleibt (und nicht von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 AStG übergegangen werden darf), weil der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland mit seinen Einkünften aus der Erbringung von Dienstleistungen i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a AStG (hier: Leistungen als xxx xxxx), die einer festen Einrichtung in der Schweiz (hier: in U/Kanton Z/CH) zuzurechnen sind, unbeschränkt steuerpflichtig ist (s. zuvor zu I.1.; Wassermeyer/Schönfeld in: Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, a.a.O., § 20 AStG Rz 142 und 166; BT-Drs 17/2249 S. 85 zu Artikel 7 zu Nummer 2; Benecke/Schnitger, IStR 2010, 432 zu 3.2; Haase, IStR 2011, 338; Kaminski, IStR 2011, 137, zu 3).
82
III. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger -soweit ihre Klage keinen Erfolg hatte – gemäß § 135 Abs. 1 FGO zu tragen. Soweit sie mit ihrer Klage Erfolg hatten (s. zuvor zu II.), haben sie gleichwohl die Kosten zu tragen, weil insoweit das FA nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Soweit die Klage hinsichtlich der Aufwendungen des Klägers für die Wege zwischen seinem Wohnort in X / Deutschland und seiner Arbeitsstätte in Y/CH Erfolg hatte, beruht die Kostentragungspflicht der Kläger im Übrigen auch auf § 137 Satz 1 FGO. Denn die Entscheidung beruht insoweit auf Tatsachen, die der Kläger früher hätte geltend machen und beweisen können und sollen und nicht erst im Klageverfahren (Hinweis auf den Schriftsatz vom 14. Januar 2011).
83
IV. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die für eine Zulassung erforderlichen Voraussetzungen (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.