BdSt-Musterverfahren gegen Doppelbesteuerung bei Renten

Mündliche Verhandlung beim BFH angesetzt

BdSt, Pressemitteilung vom 20.09.213

Ob und wie Kapitalabfindungen aus einem berufsständischen Versorgungswerk der Einkommensteuer unterliegen, wird am 23. Oktober 2013 beim Bundesfinanzhof verhandelt. Der Bund der Steuerzahler unterstützt das mit Spannung erwartete Verfahren als Musterverfahren. Das Verfahren dürfte nicht nur Apotheker, Rechtsanwälte, Steuerberater und andere Berufsgruppen interessieren, die Zahlungen aus einem Versorgungswerk erhalten, sondern auch andere Rentenbezieher.

Im Rahmen des Verfahrens soll auch geklärt werden, ob durch die sog. nachgelagerte Besteuerung eine Doppelbesteuerung vorliegt. Der Kläger hatte die Beiträge zum Versorgungswerk nämlich zum Teil aus bereits versteuerten Einnahmen geleistet. Daher ist das Verfahren für viele Steuerzahler von hoher Wichtigkeit. Auch der Bundesfinanzhof selbst misst dem Verfahren eine besondere Bedeutung zu.

Im Fall hatte der Kläger im Jahr 2009 eine Kapitalabfindung aus dem Versorgungswerk der Apotheker erhalten. Umstritten ist, ob eine solche Zahlung der Besteuerung unterliegt und ob ggf. die sog. Fünftel-Regelung zur Anwendung kommt. Das Finanzgericht Düsseldorf hatte die Klage abgewiesen, jedoch die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Verfahren ist dort unter dem Aktenzeichen X R 3/12 anhängig.
Quelle: BdSt

23.10.2013 11:00 X R 3/12 Im Streitjahr 2009 bezogene einmalige Kapitalabfindung einer berufsständischen Versorgungseinrichtung für Beiträge vor 2005 als nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu versteuernde sonstige Einkünfte; Auslegung des Merkmals „andere Leistungen“; Verfassungsmäßigkeit eines fehlenden Bestandsschutzes zur Steuerfreiheit von Altverträgen; hilfsweise Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung bzw. tarifbegünstigte Besteuerung nach § 34 EStG?

Vorinstanz: FG Düsseldorf – 15 K 1556/11 E – EFG 2012, 1062

 Zahlungen im Rahmen einer Kapitalabfindung aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als steuerbare sonstige Einkünfte i. S von § 22 EStG

 Leitsatz

  1. 1.            Eine im Jahr 2009 ausgezahlte Teilkapitalabfindung eines berufsständischen Versorgungswerks für Beitragsleistungen bis zum 31.12.2004 ist als „andere Leistung” i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG i.d.F. des AlteinkG anzusehen, die mit einem Anteil von 58 v. H. der nachgelagerten Besteuerung zu unterwerfen ist.
  2. 2.            „Andere Leistungen” i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG müssen nicht wiederkehrend sein.
  3. 3.            Die unechte Rückwirkung des AlteinkG auf vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossene Verträge ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
  4. 4.            Eine unzulässige Doppelbesteuerung liegt erst vor, wenn die Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen die steuerfreien Renteneinkünfte übersteigen.
  5. 5.            Eine Tarifbegünstigung der Teilkapitalabfindung nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG kommt nicht in Betracht.

 Gesetze

EStG § 22 Nr. 1 Satz 1
EStG § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa
EStG § 24 Nr. 1
EStG § 34 Abs. 1
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
EStG § 34 Abs. 2 Nr. 4
EStG a.F. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2
AO § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
AO § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
GG Art. 20 Abs. 3

 Instanzenzug

BFH 21.03.2012 – X R 3/12

Verfahrensstand:  Diese Entscheidung ist vorläufig nicht rechtskräftig

 Tatbestand

Streitig ist, ob Zahlungen im Rahmen einer Kapitalabfindung aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung als steuerbare sonstige Einkünfte i. S von § 22 des Einkommensteuergesetzes -EStG- zu erfassen sind.

Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der am ”…” Februar 1949 geborene Kläger ist von Beruf „B-Beruf”. Von dem Versorgungswerk der „B” erhielt er im März 2009 eine einmalige Kapitalleistung in Höhe von 350.642,34 EUR. Außerdem bezog er im Zeitraum März bis Dezember 2009 ein vorgezogenes Altersruhegeld in Höhe von 2.420,10 EUR.

Im Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 4. März 2011 erfasste der Beklagte 58 v. H. der Kapitalabfindung, d.s. 203.372,- EUR, als steuerpflichtige Einkünfte. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung.

Zur Begründung führten sie aus, die Kapitalabfindung sei nicht steuerpflichtig. Es handele sich weder um eine Leibrente i. S von § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG noch um eine andere Leistung i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG , weil die Kapitalabfindung eine Einmalzahlung und keinen wiederkehrenden Bezug darstelle. Ein Jahresbetrag einer Rente i. S. der Vorschriften liege ebenfalls nicht vor. Darüber hinaus stelle die Besteuerung der Kapitalabfindung eine unzulässige echte Rückwirkung dar. Denn vor dem 1. Januar 2005 zugeflossene Kapitalabfindungen aus berufsständischen Versorgungswerken seien unter den Voraussetzungen von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. analog zu Leistungen aus Kapitallebensversicherungen als steuerfrei behandelt worden. Der Grundsatz der Steuergerechtigkeit werde daher verletzt, wenn eine Kapitalzahlung, die im Jahr 2004 vollständig steuerfrei gewesen sei, nach dem Jahr 2004 unter Anwendung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit einem jährlich ansteigenden steuerpflichtigen Anteil erfasst werde. Da vorliegend sämtliche Beiträge zur Finanzierung der Kapitalzahlung aus der Zeit vor dem 1. Januar 2005 stammten, sei die Kapitalzahlung steuerlich genauso zu behandeln wie ein Altvertrag einer Kapitallebensversicherung.

Die Behandlung der Kapitalabfindung als steuerpflichtig verstoße außerdem zum Teil gegen das Verbot der Doppelbesteuerung. Denn der Kläger habe im Zeitraum 1981 bis 2004 Beiträge in Höhe von insgesamt 194.899,64 EUR in das Versorgungswerk entrichtet; durch die Kapitalabfindung ergebe sich ein Ertrag in Höhe von 155.742,70 EUR (= 350.642,34 EUR abzgl. 194.899,64 EUR). Bei Zugrundelegung eines steuerpflichtigen Anteils in Höhe von 203.372 EUR unterliege mithin ein Betrag von 47.629,30 EUR (= 203.372 EUR abzgl. 155.742,70 EUR) einer Doppelbesteuerung. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 6. März 2002, 2 BvL 17/99 sei die Besteuerung insoweit rechtswidrig.

Der Beklagte lehnte die beantragte Aussetzung der Vollziehung ab. Er führte aus, nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG unterlägen auch solche Kapitalabfindungen der nachgelagerten Besteuerung, bei denen die erworbenen Anwartschaften auf Beiträgen beruhten, die vor dem 1. Januar 2005 erbracht worden seien. Anders als bei einer Kapitallebensversicherung liege im Streitfall lediglich eine Teil-Kapitalisierung vor, da nur die bis zum 31. Dezember 2004 aufgelaufenen Versorgungsanwartschaften abgegolten worden seien. Eine Restverrentung (aufgebaut durch die Beiträge nach dem 31. Dezember 2004) erfolge weiterhin und sei jährlich zu versteuern. Die von den Klägern geltend gemachte echte Rückwirkung bestehe nicht; es sei vielmehr der Fall einer unechten Rückwirkung gegeben. Der Gesetzgeber habe im Rahmen der gebotenen Güterabwägung entschieden, dass das allgemeine Interesse an einer gesetzlichen Neuregelung vorrangig gegenüber dem Vertrauensschutz in die Weitergeltung des bisherigen Rechtszustandes sei. Schließlich seien auch die vorgebrachten Erwägungen zur Doppelbesteuerung nicht überzeugend. Nach altem Recht seien Beitragsbestandteile an das Versorgungswerk der „B” durch den „alten” Sonderausgabenabzug über die Höchstbetragsrechnung steuerfrei gestellt worden. Demnach dürften die Beitragsbestandteile nunmehr auch versteuert werden.

Im sodann geführten gerichtlichen Aussetzungsverfahren (Az. 15 V 1557/11 A (E)) haben die Kläger ihr Vorbringen wie folgt ergänzt: Die Kapitalabfindung werde als Einmalzahlung nicht vom Tatbestand des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst a Doppelbuchst. aa EStG erfasst. Aus diesem Grund teile die Kapitalabfindung auch nicht dasselbe steuerliche Schicksal wie eine Leibrente, selbst wenn die Abfindungszahlung aus demselben Versorgungsverhältnis stamme. Darüber hinaus sei es für deren steuerliche Bewertung ohne Bedeutung, dass der Kläger auch nach dem 31. Dezember 2004 Rentenversicherungsbeiträge erbringe, da diese unter die Neuregelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit der Folge der Abziehbarkeit als Altersvorsorgeaufwendungen fielen. Als hiervon unabhängig sei jedoch der Umstand zu sehen, dass die an den Kläger gezahlte Kapitalabfindung ausschließlich aus Beiträgen stamme, die bis einschließlich 31. Dezember 2004 geleistet worden seien. Die Kapitalabfindung sei mithin aus Gründen des Bestandsschutzes in derselben Weise zu behandeln, wie eine vor dem 1. Januar 2005 erbrachte Leistung. Die Regelungen des Alterseinkünftegesetzes -AlteinkG- seien auch nicht auf Kapitalabfindungen ausgerichtet gewesen. Der regelmäßig hohe zusammengeballte Betrag einer Kapitalzahlung führe bei Anwendung dieser Regelungen zu einer unzumutbaren steuerlichen Belastung.

Der Senat hat die beantragte Vollziehungsaussetzung mit Beschluss vom 25. Juli 2011 abgelehnt. Die Teilkapitalleistung stelle eine „andere Leistung” i. S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst a Doppelbuchst. aa EStG dar. Ein Bestandsschutz sei nach der ausdrücklichen Regelung des AlteinKG nicht zu gewähren, zumal eine lediglich unechte Rückwirkung vorliege. Auch ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung liege nicht vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Im Laufe des vorliegenden Klageverfahrens – mit Einspruchsentscheidung vom 4. August 2011 – hat der Beklagte sodann den Einspruch der Kläger als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kläger haben daraufhin ihr Vorbringen im Wesentlichen wie folgt ergänzt: Einmalzahlungen – wie die vorliegend streitige Kapitalabfindung – seien nach dem Gesetzeswortlaut nicht von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst a Doppelbuchst. aa EStG erfasst; der Gesetzgeber habe mit der normierten Regelung nicht etwa sein Rechtsverständnis dahin erweitert, dass (erstmals) auch andere als laufende Bezüge unter den Begriff der „wiederkehrenden” Bezüge zu fassen seien, zumal er auch ansonsten zwischen laufenden Rentenzahlungen und Einmalzahlungen differenziere. Eine über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende Auslegung zu Ungunsten der Kläger sei unzulässig. Dass der Gesetzgeber keinen ausdrücklichen Bestandsschutz für Leistungen aus berufsständischen Versorgungswerken vorgesehen habe, sei verfassungsrechtlich bedenklich. Kapitalabfindung und monatliche Rentenzahlungen beruhten nicht auf einem einheitlichen Rentenstammrecht. Vielmehr sei – entgegen der gesetzlichen Regelung – zu unterscheiden zwischen der Kapitalabfindung (basierend auf vor 2005 entrichteten Beiträgen) und einer neuen Rentenanwartschaft (basierend auf ab 2005 entrichteten Beiträgen). Hilfsweise seien zur Vermeidung einer Zweifachbesteuerung die aus versteuertem Einkommen in das Versorgungswerk eingezahlten Beiträge (durchschnittlich 64 %; 123.664 EUR) von der Kapitalauszahlung (350.642 EUR) in Abzug zu bringen; als Bemessungsgrundlage i. R. § 22 EStG verbleibe ein Betrag von 226.978 EUR. Dieser Betrag sei dann nach der Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG tarifermäßigt zu besteuern. Wenn denn die Leistung als eine Art Basisversorgung betrachtet werde, dann handele es sich um einen Zufluss für mehrere Jahre. Dass eine Rentenzahlung ermäßigt besteuert werden könne, vertrete selbst die Finanzverwaltung, und zwar für den Fall der Direktzusage lt. BMF-Schreiben vom 31. März 2010 ; eine Ungleichbehandlung mit ähnlichen Leistungen aus Renten- oder Pensionsfonds bzw. der vorliegenden Fallgestaltung sei nicht berechtigt.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 4. März 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. August 2011 zu ändern und die Einnahmen i. S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG um die Kapitalauszahlung aus dem Versorgungswerk der „B” von 350.642,34 EUR zu mindern, da der Wortlaut der Vorschrift den Ansatz entsprechender Kapitalauszahlungen nicht zulässt,

hilfsweise die Kapitalauszahlung zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung nur in Höhe von 226.978 EUR x 58 % = 131.647 EUR als sonstige Einkünfte i. S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG anzusetzen und gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt zu besteuern,

die Revision zuzulassen, sofern dem Hauptantrag nicht stattgegeben wird,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren führt der Beklagte ergänzend aus, entsprechend den Vorgaben des BMF-Schreibens vom 13. September 2010 falle die streitige Kapitalzahlung, in der Rentenbezugsmitteilung der „B” als „Rentenleistung” bezeichnet, auch als Einmalbetrag unter die gesetzliche Regelung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ; der Gesetzeswortlaut „andere Leistungen” stehe dem nicht entgegen. Das gelte auch, soweit die hierfür erworbenen Anwartschaften auf Beiträgen vor dem 1. Januar 2005 beruhten. Dem Rechtsschutzbedürfnis der Kläger sei – hierzu wie auch hinsichtlich der geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken – durch den Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 der Abgabenordnung -AO- betr. die Rentenbesteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 EStG hinreichend Rechnung getragen. Der von den Kläger für die Leistungen aus dem Versorgungswerk gezogene Vergleich zu der Umwandlung eines Kapitallebensversicherungsvertrages sei schon deshalb unrichtig, weil die hier streitigen Leistungen denjenigen aus einer gesetzlichen Rentenversicherung ähnlich seien. Eine unzulässige doppelte Besteuerung könne ebenso wenig bejaht werden, zumal die steuerfreien Rentenzahlungen des Streitjahres 2009 (42 % von 350.642 EUR = 147.269,64 EUR) bereits mit dem ausgezahlten Teilkapital die aus versteuertem Einkommen erbrachten Beitragsleistungen (123.664 EUR) überstiegen. Eine Tarifermäßigung nach § 34 EStG komme nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 EStG nicht erfüllt seien.

Die Kläger haben zu der Frage des Rechtsschutzbedürfnisses mit Schriftsatz vom 11. Januar 2012 erwidert, der in den Bescheid aufgenommene Vorläufigkeitsvermerk decke ihr Begehren nicht ab. Der Vermerk betreffe die Besteuerung von „Leibrenten”, nicht aber diejenige „anderer Leistungen” lt. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG , um die es vorliegend gehe. Zudem betreffe ihr Begehren nicht die Verfassungswidrigkeit der Norm, sondern deren Auslegung; hierzu seien indes derzeit keine Verfahren vor dem BVerfG oder BFH anhängig. Soweit ihr Hilfsantrag auf die Vermeidung einer Doppelbesteuerung gerichtet sei, gehe es – anders als in der anhängigen Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1066/10 – nicht nur um den Aspekt der Nominalwertbetrachtung, sondern auch um die Frage, ob eine Zweifachbesteuerung bereits dann vermieden werde, wenn die unbelasteten Rentenzuflüsse mindestens den aus versteuertem Einkommen geleisteten Beiträgen entsprächen, oder ob steuerfreie Rentenzufluss mindestens so hoch wie der aus versteuertem Einkommen geleistete Rentenbeitrag sei. Auch die Frage der Tarifermäßigung nach § 34 EStG sei offen. Beides sei nicht Gegenstand der anhängigen – ohnehin nur Leibrenten i. e. Sinne als laufende Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung betreffenden – höchstrichterlichen Verfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Steuerakten Bezug genommen.

 Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klage ist zulässig; insbesondere fehlt den Klägern nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis – wie auch der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bejaht hat. Der dem angefochtenen Bescheid beigefügte Vorläufigkeitsvermerk betrifft „gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AO die Verfassungsmäßigkeit der Norm hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten i. S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchs. a Doppelbuchst. aa EStG ”. Damit erscheint bereits zweifelhaft, ob der Vermerk auch die Besteuerung der hier streitbefangenen „anderen Leistungen” lt. 2. Alt. der genannten Vorschrift betrifft und nicht etwa allein die steuerliche Behandlung der (dort einzig ausdrücklich genannten) „Leibrenten” lt. 1. Alt. der Norm. Ungeachtet dessen ist das Rechtsschutzinteresse für eine Klage gegen einen nach § 165 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO für vorläufig erklärten Steuerbescheid dann gegeben, wenn zwar ein Verfahren beim BVerfG anhängig ist, sich das Klageverfahren indes durch den Verfassungsstreit nicht sicher erledigen wird (BFH-Beschluss vom 30. November 2007 III B 26/07 , BFH/NV 2008, 731 ; Seer in Tipke/Kruse, AO und FGO , § 165 AO Tz. 18 und VerfRS Tz. 12). Das ist hier der Fall. Die anhängige Verfassungsbeschwerde gegen das o. a. Urteil des BFH vom 4. Februar 2010 wegen „Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Altersrenten” (2 BvR 1066/10) betrifft die Besteuerung von „Leibrenten” bzw. „Altersrenten” – also die 1. Alt. der Vorschrift, während es hier um die 2. Alt. der „anderen Leistungen” geht. Zudem wird sich das Klagebegehren nur bei Bejahung der Verfassungswidrigkeit durch das BVerfG erledigen; bei Verneinung gilt es weitere Fragen zu klären, die nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sind (etwa zur Auslegung des Gesetzeswortlauts oder zu den Fragen der Zweifachbesteuerung und der Tarifermäßigung).

Die Klage ist jedoch unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-; der Beklagte hat die Kapitalabfindung an den Kläger sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach der zutreffenden Besteuerung unterworfen.

Gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG sind „sonstige Einkünfte” „Einkünfte aus wiederkehrenden Leistungen”. Nach § 22 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG gehören zu den in Satz 1 bezeichneten Einkünften auch Leibrenten und „andere Leistungen”, die u.a. aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und den berufsständischen Versorgungseinrichtungen erbracht werden, soweit sie der Besteuerung unterliegen. Bemessungsgrundlage für den der Besteuerung unterliegenden Anteil ist der Jahresbetrag der Rente. Dieser bestimmt sich nach dem Jahr des Rentenbeginns und dem in diesem Jahr maßgebenden Vomhundertsatz (entsprechend der sich aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ergebenden Tabelle). Danach ist bei einem Rentenbeginn ab 2009 wie im Streitfall ein Besteuerungsanteil von 58 v. H. anzusetzen.

Nach diesen Grundsätzen ist die Besteuerung der Teilkapitalleistung in Höhe von 350.642,34 EUR mit einem Anteil von 58 v. H. rechtmäßig.

Die Teilkapitalleistung ist als „andere Leistung” der berufsständischen Versorgungseinrichtungen i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG anzusehen.

Der Begriff der anderen Leistungen ist durch das AlteinkG vom 5. Juli 2004 (BStBl I 2004, 554) in Nr. 1 Satz 3 eingefügt worden. Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers sollten von diesem Tatbestandsmerkmal auch Teilkapitalisierungen erfasst sein, da diese anderenfalls nicht steuerbar wären (vgl. BT-Drucks. 15/3004 vom 29. April 2004, 19: Der Begriff der „Leibrenten” wird um den Begriff „andere Leistungen” erweitert, weil z. B. bei den berufsständischen Versorgungseinrichtungen und Pensionskassen Teilkapitalisierungen zulässig sind, die andernfalls nicht steuerbar wären.). Dieser Wille des Gesetzgebers hat im Wortlaut des Gesetzes seinen Niederschlag gefunden. Das Gesetz „fingiert” die „anderen Leistungen”, wie vom Beklagten dargelegt, als Einkünfte i. S. von Satz der Vorschrift des § 22 EStG , somit als nach § 22 EStG der Steuerpflicht unterliegende Einkünfte. Soweit die Kläger unter Hinweis auf eine in der Literatur vertretene Auffassung (etwa Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, EStG , § 22 Rdn. 284) vortragen, dass vom Gesetzeswortlaut nur wiederkehrende Bezüge umfasst seien, zu denen Einmalzahlungen nicht bzw. jedenfalls nicht durch die hiesige Gesetzesdefinition deklariert werden könnten (wie lt. Risthaus aaO. auch die Beschränkung auf den Begriff eines Jahresbetrages der Rente in Satz 2 der Regelung bestätige), folgt der Senat dem nicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass „andere Leistungen” i. S. der 2. Alt. der Vorschrift im Gegensatz zu Leibrenten lt. der 1. Alt. der Bestimmung nicht wiederkehrend sein müssen, weil es nach der gesetzgeberischen Konzeption auf die äußere Form der Zahlung nicht ankommt (ebenso: Weber-Grellet in Schmidt, EStG , 30. Aufl., § 22 Rdn. 101; Bauschatz in Korn, EStG , § 22 Rdn. 94; Fischer in Kirchhof, EStG , 9. Aufl., § 22 Rdn. 27a). Das gilt auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des BFH mit Urteil vom 28. Juli 2011 VI R 38/10 (Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2011, 1782), nach dem im Zweifel mangels eindeutiger gesetzlicher Regelungen bei der Auslegung der Norm dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenwirken der Vorschriften der Vorzug zu geben ist; derartige „Zweifel” vermag der Senat hier angesichts des seiner Ansicht nach hinreichend eindeutigen Wortlauts der Norm nicht zu bejahen.

Aus diesem Grund ist aus Sicht des Senats auch der vom Beklagten zugrundegelegte Besteuerungsanteil in Höhe von 58 v. H. zutreffend. Diesen Wert sieht § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG für einen Rentenbeginn ab dem Jahr 2009 vor. Es mag zwar zutreffen, dass diese Regelung in erster Linie auf wiederkehrende Rentenzahlungen zugeschnitten ist. Vor dem Hintergrund, dass nach dem gesetzgeberischen Willen auch Einmalzahlungen der nachgelagerten Besteuerung unterworfen werden sollten, ist es jedoch zutreffend, dass der Beklagte die Höhe des Besteuerungsanteils in Abhängigkeit vom Veranlagungszeitraum der Abfindungszahlung bestimmt hat.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist die Behandlung der Kapitalabfindung als steuerfrei auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil diese auf bis zum 31. Dezember 2004 erbrachten Rentenversicherungsbeiträgen des Klägers beruht. Denn das AlteinkG sieht ausdrücklich keinen Bestandsschutz für vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossene Verträge vor. Vielmehr sollen alle Auszahlungen, die ab dem 1. Januar 2005 erfolgen, mit dem entsprechend maßgebenden Vomhundertsatz in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden. Hierbei handelt es sich auch nicht, wie die Kläger meinen, um eine echte, sondern lediglich um eine unechte Rückwirkung, da die steuerliche Belastung der Renteneinkünfte erst ab dem 1. Januar 2005, d.h. nach Verkündung der Norm am 9. Juli 2004 eintritt. Nach der Rechtsprechung des BFH hat sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des AlteinkG zudem innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Vertrauensschutzes gehalten. Zwar ergab sich die einkommensteuerliche Belastung der Renteneinkünfte aufgrund des Systemwechsels erst nach Verkündung des AltEinkG am 9. Juli 2004; der Kläger hatte aber bereits in Vorjahren die entsprechenden Altersvorsorgeaufwendungen geleistet. Es liegen damit Dispositionen des Klägers vor, die bereits abschließend vollzogen worden waren und nicht mehr geändert werden konnten. Das Ziel des Gesetzgebers bei der Schaffung des AltEinkG war es jedoch, eine steuerrechtssystematisch schlüssige und folgerichtige Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen zu erreichen. Die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung der Ungleichbehandlung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Finanzierbarkeit der Neuregelung für die öffentlichen Haushalte hat eine so hohe Bedeutung für das Gemeinwohl, dass das Interesse des Klägers am Fortbestand der Ertragsanteilsbesteuerung seiner Renteneinkünfte dahinter zurücktreten muss (vgl. BFH-Urteil vom 4. Februar 2010 X R 52/08 , BFH/NV 2010, 1253 Rdn. 43ff.; dagegen Verfassungsbeschwerde anhängig, BVerfG 2 BvR 1066/10). Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat in vollem Umfang an.

Das Vorbringen der Kläger, die Rechtslage bis zum 31. Dezember 2004, wonach Kapitalauszahlungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung unter analoger Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. als steuerfrei behandelt worden seien, müsse aus Gründen der Steuergerechtigkeit weiter Geltung haben, vermag nicht zu überzeugen. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. in analoger Anwendung überhaupt eine Steuerfreiheit von Einmalleistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu rechtfertigen vermochte (zweifelnd: Risthaus in HHR, EStG , § 22 Rz. 278). Denn während es bis zum 31. Dezember 2004 keine einschlägige gesetzliche Vorschrift für die Besteuerung derartiger Leistungen gab, hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. Januar 2005 in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG eine solche Norm geschaffen, und zwar – wie dargelegt – ohne Bestandsschutz für Altverträge. Im Hinblick darauf verbleibt für eine weitere entsprechende Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. kein Raum (ebenso: Risthaus in HHR, EStG , § 22 Rz. 278).

Entgegen dem Vorbringen der Kläger kann im Streitfall auch nicht festgestellt werden, dass die Besteuerung der Kapitalabfindung mit einem Besteuerungsanteil von 58 v. H. einen (teilweisen) Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung beinhaltet.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis dieser Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine Doppelbesteuerung vermieden wird (BVerfG-Beschluss vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 , Entscheidungen des BVerfG -BVerfGE- 105, 73, BStBl II 2002, 618). Wann eine Doppelbesteuerung eintritt, hat das BVerfG indes weder begrifflich noch rechnerisch konkretisiert (vgl. BFH-Urteil vom 4. Februar 2010 X R 52/08 aaO.).

Eine zweifache Besteuerung liegt aus Sicht des Senates nicht – wie von den Klägern noch vorprozessual geltend gemacht – schon dann vor, wenn und soweit der sich aus § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ergebende Besteuerungsanteil die Differenz zwischen Abfindungszahlung und geleisteten Rentenversicherungsbeiträgen übersteigt. Eine solche Betrachtung ließe nämlich unberücksichtigt, dass die in der Vergangenheit geleisteten Rentenversicherungsbeiträge aufgrund des Sonderausgabenabzugs stets anteilig steuerentlastet gewesen sind.

Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung hält der Senat auch nicht die Bemessungsgrundlagenberechung der Kläger lt. Schriftsatz vom 14. September 2011 für überzeugend. Hierin läge, wie auch vom Beklagten ausgeführt, eine unberechtigte zweifache Begünstigung der Kläger insoweit, als der Besteuerungsanteil von (nur) 58 % gerade eine die Überbesteuerung vermeidende Übergangslösung bis zur 100 %-igen nachgelagerten Besteuerung darstellt. Es verbleibt danach kein Raum, den vermeintlich doppelt besteuerten Anteil zusätzlich von der Bemessungsgrundlage abzuziehen.

Eine unberechtigte Zweifachbesteuerung liegt nach Ansicht des Senates erst vor, wenn die Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen die steuerfreien Renteneinkünfte übersteigen (so auch: Weber-Grellet in Schmidt, EStG , 30. A., § 22 Rdn. 102; Levedag, NWB 2009, 1330 , 1337). Stellt man hier den steuerfreien Teil der Kapitalabfindung (42 % von 350.642 EUR = 147.269,64 EUR) den aus versteuertem Einkommen geleisteten Beitragszahlungen von unstreitig 123.664 EUR gegenüber, dann liegt nach diesem Maßstab keine Doppelbesteuerung vor. Auch der BFH hat mit seinem Urteil vom 26. November 2008 X R 15/07 (BFHE 223, 445 , BStBl II 2009, 710; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen lt. BVerfG-Beschluss vom 9. Juli 2009, 2 BvR 201/09 ; Anm. Levedag NWB 2009, 1330 ) die aus versteuertem Einkommen zum Aufbau der Alterssicherung geleisteten Beiträge den bislang vom Steuerpflichtigen steuerfrei erhaltenen und entsprechend der statistischen Lebenserwartung künftig zu erwartenden, nicht der Besteuerung unterliegenden Rentenzahlungen gegenübergestellt und (ohne dies allerdings abschließend entscheiden zu müssen) für den Zeitpunkt, zu dem der Steuerpflichtige mehr steuerfreie Renteneinkünfte bezogen als er vorher aus versteuertem Einkommen Beiträge gezahlt habe, einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbesteuerung verneint (so auch Beschlüsse des FG Münster vom 28. Dezember 2007 12 V 726/07 E , juris; des FG München vom 23. September 2010 15 K 4529/06, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2011, 145 ; dagegen gerichtete NZB BFH X B 195/10 ruht lt. BFH-Beschluss vom 24.5.2011 X B 195/10 bis zur Entscheidung über die o. a. Verfassungsbeschwerde BVerfG 2 BvR 1066/10; vgl. auch der Gesetzentwurf BT-Drs. 15/2150 Seite 23). Weitere streitig diskutierte Fragen zur Zweifachbesteuerung (vgl. bei Kulosa in HHR, EStG , § 10 Rdn. 339 ff.; Intemann/Cöster DStR 2005, 1921 – etwa Einbeziehung des Grundfreibetrages oder des Sonderausgabenpauschbetrages) sind vorliegend schon zahlenmäßig nicht entscheidungserheblich.

Die hilfsweise von den Klägern geltend gemachte Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1, 2 EStG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die in § 34 Abs. 2 EStG enumerativ aufgeführten Anwendungsfälle sind hier sämtlich nicht erfüllt.

Insbesondere handelt es sich bei der Kapitalauszahlung nicht um eine Entschädigung i. S. von § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG . Die Leistung stellt keinen Ersatz auf einer neuen Rechtsgrundlage dar, sondern die Erfüllung eines unverändert bestehenden Anspruchs mit lediglich modifizierter Zahlungsmodalität. Eine die Anwendung des § 24 Nr. 1 EStG rechtfertigende neue Rechtsgrundlage ist nicht gegeben, wenn unter Fortsetzung des Einkunftserzielungstatbestandes im Rahmen des bisherigen Rechtsverhältnisses ein bestehender Anspruch durch den Vertragspartner abgegolten wird; stattdessen muss das zugrunde liegende Rechtsverhältnis beendet werden (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Mai 2005 XI B 45/04 , BFH/NV 2005, 1821 ; Drenseck in Schmidt, EStG , 30. A., § 24 Rdn. 8).

Ebenso wenig liegt eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i. S. von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG vor. Zwar ist nach Ansicht der Finanzverwaltung die Tarifbegünstigung etwa auf Zahlungen zur Abfindung von Pensionsanwartschaften anzuwenden (EStH 34 .4) und sind in einer Summe gezahlte Versorgungsleistungen des Arbeitgebers aufgrund einer Direktzusage als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten ermäßigt zu besteuern (BMF-Schreiben vom 31. März 2010 , BStBl I 2010, 270). Ob diese steuerliche Behandlung dem Gesetz entspricht und auch auf eine Auszahlung aus einem berufsständischen Versorgungswerk auszudehnen wäre, um eine Ungleichbehandlung wegen verschiedener Einkunftsarten oder in sonstiger Hinsicht zu vermeiden, kann dahinstehen. Denn eine derartige steuerliche Begünstigung kommt hier auch nach dem o. a. BMF-Schreiben (dort: Rdn. 328, 330) schon deshalb nicht in Betracht, weil der Fall einer (bloßen) Teilkapitalauszahlung vorliegt, der den Tatbestand der Zusammenballung i. S. von § 34 EStG nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO .

Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO .

Zwischenbilanz der Finanzverwaltung: ELStAM ist erfolgreich gestartet

Noch nicht eingestiegene Arbeitgeber sollten jetzt in das Verfahren einsteigen

OFD Niedersachsen, Pressemitteilung vom 20.09.2013

Aus Sicht der Finanzverwaltung ist das zum 1. Januar 2013 gestartete ELStAM-Verfahren bislang ein voller Erfolg. So sind im 1. Halbjahr 2013 über 1 Mio. Arbeitgeber in das elektronische Verfahren eingestiegen. Damit wird bereits jetzt der Lohnsteuerabzug für mehr als 20 Mio. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer elektronisch und damit papierlos durchgeführt.

Grundsätzlich besteht für Arbeitgeber die Möglichkeit, den Verfahrenseinstieg bis zum Jahresende zurückzustellen. Das bedeutet aber auch, dass spätestens die Lohnabrechnung für Dezember 2013 mit dem ELStAM-Verfahren durchgeführt werden muss. Die Finanzverwaltung empfiehlt daher allen bislang noch nicht teilnehmenden Arbeitgebern bereits jetzt in das neue Verfahren einzusteigen, um von den Vorteilen des papierlosen Verfahrens zu profitieren. Insbesondere größeren Arbeitgebern bietet der stufenweise Einstieg die Möglichkeit, die neuen Verfahrensschritte sukzessive in die Unternehmensabläufe zu integrieren.

Um den Einstieg in das ELStAM-Verfahren zu unterstützen, hat die Finanzverwaltung unter www.elster.de diverse Informationen, Musteranschreiben, aktuelle Hinweise sowie FAQs für Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingestellt.

Quelle: OFD Niedersachsen

Voraussetzungen, Wirksamkeit und Anfechtbarkeit einer tatsächlichen Verständigung über Besteuerungsgrundlagen

Voraussetzungen, Wirksamkeit und Anfechtbarkeit einer tatsächlichen Verständigung über Besteuerungsgrundlagen

1. Das pauschale Vorbringen des Steuerpflichtigen, unter dem Druck eines anhängigen Steuerstrafverfahrens mit der Finanzbehörde eine tatsächliche Verständigung abgeschlossen zu haben, ist für die Wirksamkeit der Verständigung unbeachtlich.

2. Die Anfechtungsvorschriften der §§ 119, 123 BGB sind auf tatsächliche Verständigungen im Steuerverfahren grundsätzlich anwendbar.

Niedersächsisches Finanzgericht 15. Senat, Urteil vom 20.11.2012, 15 K 268/10

§ 162 AO, § 104 BGB, § 105 Abs 2 BGB, § 119 Abs 1 BGB, § 123 Abs 1 BGB, § 142 Abs 1 BGB, § 96 Abs 1 FGO

Tatbestand

 

1
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darüber, ob der Beklagte (das Finanzamt – FA -) auf der Grundlage einer tatsächlichen Verständigung für die Jahre 2002 bis 2004 (Streitjahre) geänderte Bescheide erteilen durfte.

2
Die Klägerin war in den Streitjahren verheiratet und wird für diese Jahre mit ihrem damaligen Ehemann (im Folgenden: M) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist von Beruf Ärztin und betreibt seit dem Jahre 1998 eine Praxis für Allgemeinmedizin. Hieraus bezog sie auch in den Streitjahren Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Die Klägerin und M hatten vereinbart, dass sich M um die geschäftlichen und steuerlichen Angelegenheiten der Praxis kümmere.

3
Durch den Bescheid für 2002 über Einkommensteuer wich das FA von den Angaben in der Einkommensteuererklärung ab. Im Erläuterungsteil führte das FA hierzu an, einen Teil der geltend gemachten Betriebsausgaben überhaupt nicht oder als Sonderausgaben berücksichtigt zu haben. Da die Klägerin und M für die Jahre 2003 und 2004 keine Einkommensteuererklärung abgegeben hatten, legte das FA der Steuerfestsetzung für diese Streitjahre im Schätzungswege ermittelte Besteuerungsgrundlagen zugrunde. Dabei ging das FA davon aus, dass die Klägerin Einkünfte aus selbständiger Arbeit in gleicher Höhe wie im Jahre 2002 erzielt hatte. Die Bescheide für die drei Streitjahre standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

4
Das FA führte bei der Klägerin in den Jahren 2006 und 2008 mit Unterbrechungen eine steuerliche Außenprüfung durch. Aufgrund der Prüfungsanordnung erstreckte sich der Prüfungszeitraum zunächst nur auf die Streitjahre. Im Laufe der Prüfung wurde der Zeitraum auf die Jahre 1998 bis 2001 sowie 2005 bis 2006 erweitert.

5
Zu Beginn der Außenprüfung übergab M dem Prüfer für die Streitjahre insgesamt drei Ringordner mit Belegen über Einnahmen und Ausgaben. Er teilte dem Prüfer mit, dass keine Gewinnermittlungen vorgenommen worden seien und demnach auch nicht vorgelegt werden könnten. Kontoauszüge seien nicht vorhanden, sie müssten erst über die Bank besorgt werden. Kassenaufzeichnungen seien nicht geführt worden. Lediglich für die Jahre 2001 und 2002 hatte M handschriftliche Aufzeichnungen zur Vorbereitung der Gewinnermittlung angefertigt. Etliche an die Klägerin gerichtete Briefe von geschäftlicher oder steuerlicher Relevanz hatte M weder selbst bearbeitet noch der Klägerin vorgelegt. So hatte M im Mai 2006 auf den Namen der Klägerin ohne deren Wissen bei der Deutsche Post AG ein Postfach angelegt.

6
Im Januar 2007 leitete das örtlich zuständige Finanzamt für Fahndung und Strafsachen gegen die Klägerin wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer 2002 bis 2004 ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren ein. Im Januar 2008 trennten sich die Eheleute. Die Klägerin erteilte am 10. März 2008 dem Steuerberater S eine „Vollmacht eingeschränkt“. In der Vollmachtserteilung heißt es u. a.:

7
„Der Bevollmächtigte ist befugt, für mich/uns verbindliche Erklärungen abzugeben, Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einzulegen und zurückzunehmen und rechtsverbindliche Unterschriften zu leisten. … Diese Vollmacht berechtigt auch zur Bestellung von Unterbevollmächtigten und gilt bis auf Widerruf. Sie gilt nicht für das Erhebungsverfahren.“

8
Im Juli 2008 fand im FA eine Besprechung statt, an der neben der Klägerin der Prozessbevollmächtigte und „Herr T vom Steuerbüro S“ teilnahmen. Herr T ist Inhaber einer Unternehmensberatung und Leiter einer Beratungsstelle eines Lohnsteuerhilfevereins. Darüber hinaus ist er als freier Mitarbeiter für die Steuerberaterkanzlei des S tätig. Ausweislich des im März 2009 gefertigten Fahndungsberichts hatte der Prozessbevollmächtigte die strafrechtliche Verteidigung der Klägerin übernommen.

9
Der Betriebsprüfer ermittelte die Betriebseinnahmen für die Jahre 1998 bis 2004 im Schätzungswege, wobei ihm als Schätzungsgrundlage für die Jahre 2002 bis 2004 Kontoauszüge vorlagen. Die ermittelten Werte erhöhte er durch Unsicherheitszuschläge. Denn aus den Bankunterlagen seien zwar auch die Rechnungsnummern ersichtlich, eine nummerische Lückenanalyse habe jedoch dazu geführt, dass für rd. 500 Rechnungsnummern kein Zufluss feststellbar sei. Aufzeichnungen über Bargeldverkehr gebe es nicht.

10
Darüber hinaus ermittelte der Prüfer für die Streitjahre anhand vorgelegter Belege die Betriebsausgaben. Aus den Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben errechnete er für die Streitjahre folgende Einkünfte aus selbständiger Arbeit: (…) Für die übrigen Jahre des Prüfungszeitraums brachte der Prüfer jeweils 30 v. H. der ermittelten Betriebseinnahmen als Betriebsausgaben in Abzug.

11
Am 3. Februar 2009 fand eine Besprechung über eine „tatsächliche Verständigung anlässlich einer Außenprüfung“ statt. Ausweislich der hierüber gefertigten Niederschrift nahmen an der Besprechung die Klägerin „vertreten durch Herrn T vom Steuerbüro S“, die Sachgebietsleiterin der veranlagenden Amtsbetriebsprüfungsstelle als Vertreterin des FA sowie der Prüfer teil.

12
Als Anlass für die Verständigung wird angegeben, die Klägerin habe bisher zu niedrige Schätzungen über die Höhe ihres Gewinns durch das FA hingenommen und keine Gewinnermittlungen erstellt. Die Schwierigkeiten in der Sachverhaltsermittlung lägen darin, aufgrund der fehlenden Gewinnermittlungen und Belegführung nachträglich die tatsächlichen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben in vollständiger Höhe festzustellen.

13
Unter „2. Tatsächliche Verständigung“ heißt es:

14
„Hiermit wird zum Zweck der Verfahrensbeschleunigung und zur Herstellung des Rechtsfriedens einvernehmlich die folgende, für alle Beteiligten rechtlich bindende, tatsächliche Verständigung über den der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalt getroffen:

15
In den Veranlagungszeiträumen 1998 bis 2007 ist von folgenden Gewinnen auszugehen: (…)“

16
Die Niederschrift wurde von der Klägerin, Herrn T mit dem Zusatz „i. A.“, der Sachgebietsleiterin und dem Prüfer unterzeichnet.

17
Die Berechnung der Gewinne, die Gegenstand der Verständigung sind, wird im Prüfungsbericht näher erläutert. Die Niederschrift über die Verständigung fügte der Prüfer dem Bericht als Anlage 1 bei.

18
Das FA erteilte unter Hinweis auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) für die Jahre 2000 bis 2006 geänderte Einkommensteuerbescheide; für das Jahr 2007 wurde erstmalig ein Einkommensteuerbescheid erteilt. Den Bescheiden legte das FA die in der Niederschrift genannten Gewinne als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zugrunde.

19
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs machte die Klägerin im Wesentlichen geltend:

20
Die Klägerin habe im Beisein ihres Steuerberaters und auf dessen Rat hin unter Tränen lediglich „das letzte Blatt des … Außenprüfungsberichtes“ unterschrieben. Sie sei zu dieser Zeit „psychisch und physisch am Ende“ gewesen. In diesem Zusammenhang legte die Klägerin eine von einem Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie ausgestellte Bescheinigung vor, nach der sie infolge einer familiären Krise unter einer schweren Depression mit verminderter Belastungsfähigkeit litt. Dies habe „insbesondere zum Zeitpunkt ihrer Unterschrift … eine Einschränkung ihrer Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit zur Folge“ gehabt. Den Fahndungsprüfern legte die Klägerin eine Bescheinigung desselben Arztes vor, wonach sie „aufgrund einer behandlungsbedürftigen Depression … nicht verhandlungsfähig und nicht vernehmungsfähig“ gewesen sei. M habe in erheblichem Umfang Postsendungen und Unterlagen unterschlagen, auch habe er die Haustürklingel manipuliert, so dass es dem Brief- oder Paketzusteller nicht möglich gewesen sei, ihr Postsendungen auszuhändigen. Sie habe M bei der Staatsanwaltschaft wegen mehrerer Delikte angezeigt, u. a. wegen versuchten Totschlags, wegen Unterschlagung, Betruges und Urkundenfälschung.

21
Nunmehr habe die Klägerin an verschiedenen Stellen im Haus weitere Unterlagen gefunden, aus denen sich niedrigere Betriebseinnahmen und höhere Betriebsausgaben ergäben, als der tatsächlichen Verständigung zugrunde lägen. Sie habe alle verfügbaren, gefundenen Belege ihrem „Steuerberater, Herrn T, … übergeben.“ Vor allem würden durch die tatsächliche Verständigung die angefallenen Aufwendungen für Praxismiete, Telefon, Heizung und Personal nicht vollständig berücksichtigt.

22
Sie halte die tatsächliche Verständigung für unwirksam. Die rechtlichen Konsequenzen seien ihr bei der Unterzeichnung nicht klar gewesen, insbesondere habe Herr T sie hierüber nicht aufgeklärt. Als Ausländerin kenne sie sich im deutschen Steuerrecht nicht aus. Vorsorglich fechte sie die Verständigung nach §§ 119 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) an. Zum einen sei sie über die Tragweite der Verständigung im Irrtum gewesen (§ 119 Abs. 1 BGB), zum anderen habe Herr T sie durch unzureichende Bearbeitung der eingereichten Belege arglistig getäuscht (§ 123 BGB).

23
Das gegen die Klägerin geführte Ermittlungsverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.

24
Das FA wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Die Klägerin und das FA seien an die getroffene tatsächliche Verständigung gebunden. Die Verständigung sei wirksam. Die im Einspruchsverfahren geltend gemachten Betriebsausgaben würden entweder bereits durch die tatsächliche Verständigung berücksichtigt oder aber nicht nachgewiesen; in diesem Fall sei eine Anerkennung abzulehnen.

25
Die Klägerin hat am 15. Juli 2010 Klage erhoben. Nachdem sie die Klage wegen Einkommensteuer 2000, 2001, 2005 bis 2007 zurückgenommen hat, ist das Verfahren insoweit mit Beschluss vom 17. Juli 2012 abgetrennt und unter dem Geschäftszeichen 15 K 179/12 nach § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt worden. Die Klage betrifft daher nur noch die Jahre 2002 bis 2004.

26
Das FA hat nach Klageerhebung für das Jahr 2002 unter Hinweis auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO einen geänderten Einkommensteuerbescheid erteilt, dem ermäßigte Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit zugrunde liegen. Dieser geänderte Bescheid ist nach § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Änderung beruht darauf, dass der Prüfer für das Jahr 2002 Betriebseinnahmen aus Akkupunkturbehandlungen doppelt erfasst hatte.

27
Die Klägerin hält die tatsächliche Verständigung für unwirksam, weil diese zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führe und mit einem Strafverfahren verknüpft gewesen sei. Ausgehend von dem für das Jahr 2001 geschätzten Gewinn in Höhe von … DM seien die für die Streitjahre angenommenen Gewinnsteigerungen nicht nachvollziehbar. Die Gewinnermittlungen des Prüfers seien nicht plausibel. Es sei zu befürchten, dass einzelne Betriebseinnahmen doppelt erfasst worden seien. Außerdem seien die Betriebsausgaben in Höhe von nur 30 v. H. der Betriebseinnahmen zu niedrig angesetzt worden.

28
Im Übrigen sei die tatsächliche Verständigung unter dem Druck eines anhängigen Steuerstrafverfahrens zustande gekommen. Vor Abschluss der Verständigung hätte das Ermittlungsverfahren abgeschlossen werden müssen.

29
Das FA sei daher gezwungen, die Besteuerungsgrundlagen (neu) zu ermitteln. Für die Jahre 2003 und 2004 hat die Klägerin nach wie vor keine Einkommensteuererklärung abgegeben.

30
Das FA ist der Auffassung, die vom Prüfer im Schätzungswege ermittelten Besteuerungsgrundlagen seien nicht zu beanstanden. Die gegen die Wirksamkeit der tatsächlichen Verständigung erhobenen Einwände teilt das FA nicht.

31
Auf ein Auskunftsersuchen des Berichterstatters nach § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 FGO hat der Steuerberater S mitgeteilt, Herr T habe als mit dem Fall vertrauter zuständiger freier Mitarbeiter der Steuerberaterkanzlei nach vorheriger Abstimmung im Auftrag von Steuerberater S an der Schlussbesprechung teilgenommen. Zu diesem Zweck habe er Herrn T mündlich Untervollmacht erteilt. Mangels hinreichender Unterlagen zur Ermittlung der korrekten Besteuerungsgrundlagen sei eine tatsächliche Verständigung mit dem FA getroffen worden. Eine hiermit übereinstimmende Auskunft hat Herr T dem Berichterstatter auf fernmündliche Anfrage erteilt.

32
Der Berichterstatter hat dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, aufgrund der eingeholten Einkünfte davon auszugehen, dass die Klägerin (auch) bei der Schlussbesprechung – bei der die tatsächliche Verständigung getroffen worden sei – wirksam von Herrn Steuerberater S, dieser untervertreten durch Herrn T, vertreten worden sei. Dem Prozessbevollmächtigten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Für den Fall, dass die Klägerin nicht von einer wirksamen Vertretung ausgehe, ist dem Prozessbevollmächtigten aufgegeben worden, diese Ansicht substantiiert zu begründen und hierfür ggf. Beweis anzutreten. Der Prozessbevollmächtigte hat hierzu nicht Stellung genommen.

Entscheidungsgründe

 

33
Die Klage ist unbegründet.

34
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in deren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA durfte aufgrund der getroffenen tatsächlichen Verständigung über die von der Klägerin in den Streitjahren erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide erteilen. Die Verständigung ist wirksam, und auch die Klägerin ist hieran nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gebunden.

35
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) folgt aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, dass sich die Beteiligten an einer zulässigen und wirksamen tatsächlichen Verständigung festhalten lassen müssen (BFH-Urteile vom 6. Februar 1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673, unter II. 2. d; vom 12. August 1999 XI R 27/98, BFH/NV 2000, 537, unter II. 3., und vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975). Die Bindungswirkung einer derartigen Vereinbarung setzt voraus, dass sie sich auf Sachverhaltsfragen – nicht aber auf Rechtsfragen – bezieht, der Sachverhalt die Vergangenheit betrifft, die Sachverhaltsermittlung erschwert ist, auf Seiten der Finanzbehörde ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt ist und die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt (BFH-Urteile vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354, unter 3. c, d; in BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673, unter II. 2. c; vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625, unter II. 2. a, und in BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975).

36
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben, und die von der Klägerin gegen die Wirksamkeit der Verständigung vorgebrachten Einwände greifen nicht Platz.

37
a) Die am 3. Februar 2009 zwischen der Klägerin und dem FA getroffene tatsächliche Verständigung betrifft allein die Höhe der von der Klägerin in den Streitjahren erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Hierbei handelt es sich um Besteuerungsgrundlagen und damit um Sachverhaltsfragen. Es geht in der Verständigung dagegen nicht um die Klärung von Rechtsfragen, wie es etwa der Fall wäre bei Klärung der Frage, ob bestimmte Aufwendungen als Betriebsausgaben oder Sonderausgaben zu berücksichtigen wären.

38
Dadurch, dass die vereinbarten Gewinne abgeschlossene Veranlagungszeiträume betreffen, liegt der durch die Verständigung geklärte Sachverhalt in der Vergangenheit.

39
Dem Prüfer war die Sachverhaltsermittlung, nämlich die Ermittlung der tatsächlichen Gewinne der Klägerin deshalb erschwert, weil die Klägerin und M ihren steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen waren. Für die Jahre 2003 und 2004 haben sie bis heute weder eine Einkommensteuererklärung noch ordnungsgemäße Einnahmen-Überschuss-Rechnungen beim FA abgegeben. Darüber hinaus konnten sie die Betriebseinnahmen der Klägerin ebenso wenig vollständig darlegen wie die Betriebsausgaben. Die Klägerin selbst räumt im Einspruchsverfahren ein, etliche Belege über Betriebsausgaben erst nach der Trennung und nach dem Auszug von M aus dem ehemaligen Familienheim gefunden zu haben. Das bedeutet, dass während des sich auf mehr als zwei Jahre erstreckenden Betriebsprüfungsverfahrens bei weitem nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt werden konnten und der Prüfer dadurch bei der Überprüfung bzw. Ermittlung der zutreffenden Besteuerungsgrundlagen erheblich behindert worden ist.

40
b) Die Klägerin und das FA sind bei Abschluss der Verständigung wirksam vertreten worden, so dass sich beide Beteiligte den Inhalt von Ziffer 2. der Niederschrift zurechnen lassen müssen. Hierin haben beide Beteiligte ausdrücklich erklärt, dass sie die Verständigung für sich als bindend ansehen.

41
Entgegen der von ihr im außergerichtlichen Vorverfahren geltend gemachten Ansicht war die Klägerin am 3. Februar 2009 in der Schlussbesprechung und bei Abschluss der tatsächlichen Verständigung wirksam durch Herrn T als Unterbevollmächtigten vertreten (§ 80 AO); die Vollmachtserteilung war nicht widerrufen worden. Die von Herrn T abgegebene und im Auftrag des Hauptbevollmächtigten unterzeichnete Erklärung wirkt für und gegen die Klägerin. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Haupt- oder Unterbevollmächtigte den Inhalt und die Folgen der Verständigung mit der Klägerin erörtert oder ob die Klägerin dem Abschluss der Verständigung gegenüber dem Bevollmächtigten ausdrücklich zugestimmt hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673, unter II. 3. a).

42
Im Übrigen hat die Klägerin als Steuerpflichtige ausweislich der Niederschrift selbst an der Schlussbesprechung teilgenommen und der Verständigung über die in den Streitjahren erzielten Gewinne durch ihre Unterschrift zugestimmt. Die von der Klägerin abgegebene Erklärung ist nur dann unwirksam, wenn die Klägerin nach § 104 BGB geschäftsunfähig ist oder sich am 3. Februar 2009 im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand (§ 105 Abs. 2 BGB). Eine dauernde Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) liegt im Streitfall ebenso offensichtlich nicht vor wie eine Bewusstlosigkeit (§ 105 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Allerdings sind auch unter Berücksichtigung der ärztlichen Atteste keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin die Unterschrift bei vorübergehender Störung der Geistestätigkeit (§ 105 Abs. 2 Alt. 2 BGB) abgegeben hat. Denn dazu müsste ein Ausschluss der freien Willensbestimmung vorgelegen haben. Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidung von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen. Für einen Ausschluss der freien Willensbestimmung besteht auch dann keine Vermutung, wenn der Betroffene seit längerem an geistigen Störungen leidet. Bloße Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit genügen nicht, auch reicht das Unvermögen, die Tragweite der abgegebenen Willenserklärung zu erfassen, nicht aus (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 19. Oktober 1960 V ZR 103/59, NJW 1961, 261; Ellenberger in Palandt, BGB, 71. Aufl., § 105 Rz 3, § 104 Rz 4, m. w. N.). Aus dem Vorbringen der Klägerin gehen ebenso wie aus den ärztlichen Bescheinigungen lediglich eine verminderte Belastungsfähigkeit sowie eine Einschränkung der Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit hervor, nicht aber ein Ausschluss der freien Willensbestimmung.

43
Eine tatsächliche Verständigung kann nach Treu und Glauben nur dann angenommen werden, wenn das FA durch einen für die Entscheidung zuständigen Amtsträger (Vorsteher oder Sachgebietsleiter) vertreten worden ist (BFH-Beschluss vom 16. Oktober 2006 I B 228/04, juris Rz 9; BFH-Urteil in BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975; Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 162 Rz 32). Nach diesen Maßstäben war das FA im Streitfall wirksam durch die Sachgebietsleiterin der veranlagenden Amtsbetriebsprüfungsstelle vertreten. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass tatsächliche Verständigungen auch im Rahmen einer Schlussbesprechung nach einer Außenprüfung getroffen werden können (BFH-Urteil in BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673, unter II. 2. b; siehe auch Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts – FG – vom 19. September 2007 12 K 334/05, EFG 2008, 180).

44
c) Die tatsächliche Verständigung führt im Streitfall nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die getroffene Verständigung gegen die Regelungen des Grundgesetzes (GG) über die Finanzverfassung oder systemprägende Grundsätze des materiellen Steuerrechts verstieße (BFH-Urteil in BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975, unter II. B. 2.).

45
Nach diesen Maßstäben führen die Gewinne, auf die sich die Beteiligten im Rahmen der Schlussbesprechung am 3. Februar 2009 verständigt haben, nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis. Anhaltspunkte für einen Verfassungsverstoß liegen ebenso wenig vor wie eine gravierende Verletzung des materiellen Steuerrechts. Es liegt in der Natur einer tatsächlichen Verständigung, dass Gegenstand nicht bis ins Einzelne als richtig bestätigte Besteuerungsgrundlagen sind. Denn Voraussetzung für eine tatsächliche Verständigung ist gerade, dass eine Ermittlung des genauen Sachverhalts erschwert und damit kaum möglich ist. Damit dient die tatsächliche Verständigung der Behebung eines Beweisnotstandes des Steuerpflichtigen anstelle einer andernfalls nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO regelmäßig gebotenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (BFH-Urteil vom 1. September 2009 VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593). Im Übrigen begründet auch ein Vergleich zwischen den Gewinnen, die Gegenstand der Verständigung sind, mit den durchschnittlichen Einkünften, die ein freiberuflich tätiger Arzt in den Streitjahren erzielt hat, zulasten der Klägerin kein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis. Denn nach dem vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Statistischen Jahrbuch 2011 (Seite 604) betrugen die Einkünfte von freiberuflich tätigen Allgemeinmedizinern, praktischen Ärzten und Fachärzten im Jahre 2004 im Durchschnitt 117.770,00 € und lagen demnach deutlich über den hier in Rede stehenden Gewinnen.

46
Ferner spricht der Umstand, dass auch Herr T als steuerlich ausgebildeter Unterbevollmächtigter an der Schlussbesprechung teilgenommen und die tatsächliche Verständigung unterzeichnet hat, gegen die Vereinbarung offensichtlich unzutreffender Einkünfte (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 593; FG Münster, Urteil vom 30. Mai 2006 11 K 2674/03 E, EFG 2006, 1306). Es bestehen keine Zweifel daran, dass Herr T mit dem Steuerfall der Klägerin detailliert vertraut war und das Vorgehen bei der Schlussbesprechung mit dem Hauptbevollmächtigten, mit Steuerberater S, abgesprochen hatte. Denn die Klägerin selbst bezeichnete noch im Einspruchsverfahren Herrn T als ihren „Steuerberater“. Dies beruht offensichtlich darauf, dass der Steuerberater S Herrn T mit der Bearbeitung des Steuerfalls der Klägerin beauftragt hatte.

47
d) Schließlich verfangen auch die weiteren von der Klägerin gegen die Wirksamkeit der Verständigung vorgebrachten Argumente nicht.

48
aa) Die Ansicht der Klägerin, sie sei an die Verständigung nicht gebunden, weil diese unter dem Druck eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zustande gekommen sei, teilt der erkennende Senat nicht. Da die Klägerin nicht konkret dargelegt, inwiefern das FA oder das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ihre Entschließungsfreiheit rechtswidrig beeinflusst hat, und sie auch nicht nachvollziehbar schildert, inwiefern sie zum Abschluss der tatsächlichen Verständigung gezwungen worden ist, ist das pauschale Vorbringen für die Wirksamkeit der Verständigung unbeachtlich (BFH-Beschluss vom 8. April 2010 V B 20/08, BFH/NV 2010, 1616). Im Übrigen wird das Vorbringen der Klägerin auch nicht durch den Inhalt der beigezogenen Betriebsprüfungs- und Ermittlungsakten gestützt.

49
bb) Die tatsächliche Verständigung ist nicht durch eine wirksame Anfechtung der Klägerin aufgehoben worden (vgl. § 142 Abs. 1 BGB). Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des BFH an, wonach die Anfechtungsvorschriften der §§ 119, 123 BGB auf tatsächliche Verständigungen im Steuerverfahren grundsätzlich anwendbar sind (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 593, m. w. N.). Es ist im Streitfall jedoch kein Anfechtungsgrund gegeben.

50
Zum einen hat Herr T als Bevollmächtigter die tatsächliche Verständigung mit Wirkung für und gegen die Klägerin unterzeichnet und abgeschlossen, und in der Person des Bevollmächtigten liegt kein Anfechtungsgrund (auch kein Irrtum nach § 119 Abs. 1 BGB) vor.

51
Zum anderen wäre die Klägerin auch dann nicht zur Anfechtung berechtigt, wenn sie bei Abschluss der tatsächlichen Verständigung nicht wirksam vertreten gewesen wäre. Ein Irrtum über die Rechtsfolgen der Erklärung ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten und nach Aktenlage nicht feststellbar. Ein solcher Fall des Inhaltsirrtums (§ 119 Abs. 1 1. Fall BGB) ist dann zu bejahen, wenn das Rechtsgeschäft nicht die erstrebten, sondern davon wesentlich verschiedene Rechtsfolgen erzeugt (Ellenberger in Palandt, BGB, 71. Aufl., § 119 Rz 15). Die Formulierung unter Ziffer 2. der auch von der Klägerin unterzeichneten Verständigung kann nur so verstanden werden, dass die Gewinne, die hier genannt werden, „der Besteuerung zugrunde zu“ legen und sowohl für die Klägerin als auch für das FA „rechtlich bindend“ sind. „Bindung“ kann in diesem Zusammenhang nur bedeuten, dass nachträglich die Klägerin keine steuermindernden und das FA keine steuererhöhenden Tatsachen geltend machen darf. Auch daraus, dass die Klägerin nicht vorträgt, welche andere Rechtsfolge sie mit Abschluss der tatsächlichen Verständigung angestrebt hat, ist zu folgern, dass die Klägerin nicht in einem Irrtum über die Rechtsfolgen ihrer Erklärung war.

52
Im Übrigen weist das FA in der Einspruchsentscheidung zutreffend darauf hin, dass eine Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) durch den steuerlichen Berater allein deshalb nicht gegeben ist, weil die Klägerin die zum Abschluss der tatsächlichen führende Erklärung nicht gegenüber dem Steuerberater S oder Herrn T, sondern gegenüber dem FA abgegeben hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Verständigung wegen Täuschung durch einen Dritten anfechtbar ist (§ 123 Abs. 2 BGB), sind nicht gegeben.

53
2. Selbst wenn die tatsächliche Verständigung – entgegen der vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung – unwirksam wäre, hätte die Klage in der Sache keinen Erfolg. Denn die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit, die das FA der Einkommensteuerfestsetzung für die Streitjahre zugrunde gelegt hat, wären auch dann nicht zu beanstanden, wenn sie nicht Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung wären.

54
Die Klägerin ist in den Streitjahren ihren steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Für das Jahr 2002 hat sie jedenfalls die Aufbewahrungs- und Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt, für die Jahre 2003 und 2004 haben die damaligen Eheleute bis heute keine Steuererklärungen abgegeben. Ihre persönlichen Mitwirkungspflichten konnte die Klägerin durch die mit M getroffene Absprache, dieser kümmere sich um die geschäftlichen und steuerlichen Angelegenheiten, weder erfüllen noch abwälzen. Da die Mitwirkungspflichten nicht erfüllt worden sind, hätten die Besteuerungsgrundlagen – sofern hierüber keine Verständigung erfolgt wäre – nach § 162 AO im Schätzungswege ermittelt werden müssen. Wäre die Verständigung unwirksam, müsste das FG nach § 96 Abs. 1 FGO eine eigene Schätzung vornehmen (vgl. Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 162 Rz 58b, m. w. N.). Diese hätte zu keinen anderen Ergebnissen als den vom Prüfer für die Streitjahre ermittelten Einkünften geführt. Denn die Ermittlungen des Prüfers sind methodisch nicht zu beanstanden, auch hat er mit dem zumutbaren Ermittlungsaufwand versucht, die tatsächlichen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben möglichst vollständig aufzuklären. Soweit die Klägerin nach dem 3. Februar 2009 weitere Betriebsausgaben geltend macht, schließt sich der Senat der Ansicht des FA an, dass die betroffenen Aufwendungen bereits berücksichtigt worden sind oder nicht glaubhaft gemacht werden.

55
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO als unbegründet abzuweisen. Bei der Kostenentscheidung hat das Gericht berücksichtigt, dass die Klägerin aufgrund des am 16. August 2012 erteilten Bescheides für das Jahr 2002 teilweise obsiegt hat und dass der Streitwert dadurch ermäßigt worden ist.

56
Anlass, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), bestand nicht.

Kindergeld: Ein Pflegekindschaftsverhältnis zwischen Pflegeeltern und einem Kind kann auch dann bestehen, wenn das Kind im Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme fast volljährig ist

Kindergeld
Ein Pflegekindschaftsverhältnis zwischen Pflegeeltern und einem Kind kann auch dann bestehen, wenn das Kind im Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme fast volljährig ist und es weiterhin telefonischen und sporadischen Besuchskontakt zu einem leiblichen Elternteil hat.

Niedersächsisches Finanzgericht 13. Senat, Urteil vom 11.06.2013, 13 K 30/13

§ 32 Abs 1 Nr 2 EStG, § 63 Abs 1 S 1 EStG, § 33 SGB 8, § 39 SGB 8

Tatbestand

 
1
Streitig ist, ob der Kläger aufgrund eines Pflegekindschaftsverhältnisses für das Kind D (geb. am … Februar 1995) kindergeldberechtigt ist.
2
D ist in R in Nordrhein-Westfalen geboren worden. Die Kindsmutter, Frau C, hat sich später von dem Kindsvater, Herrn G (zukünftig: Beigeladener), getrennt und ist zusammen mit D nach K verzogen. Die Eltern von D sind inzwischen geschieden.
3
Die Kindesmutter hatte erhebliche Schwierigkeiten mit der Erziehung von D. Deshalb kam D mit ungefähr neun Jahren in eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung in H („Haus T“). Dort wurde sie ungefähr fünf Jahre lang betreut.
4
Im Juni 2009 zog D zum Beigeladenen nach R. Der Beigeladene beantragte und erhielt das Kindergeld. In dem Haushalt des Beigeladenen gab es aber sofort wieder erhebliche Schwierigkeiten. Ausweislich eines Schreibens der Stadt R gewährte die Stadt bereits ab dem 27. September 2009 wieder Erziehungshilfe gemäß § 34 SGB VIII. D kehrte in das Haus T zurück. Das Kindergeld wurde ab November 2009 zugunsten der Stadt R abgezweigt.
5
D blieb jedoch nicht in der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung sondern war abgängig. Sie übernachtete bei Freunden, ging aber nach wie vor zur Schule. Eine Lehrerin vermittelte D daraufhin einen Platz in einer Pflegefamilie. D wurde am 29. September 2011 als Pflegekind in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau in H aufgenommen.
6
Der Kläger und seine Ehefrau übernehmen regelmäßig Bereitschaftspflegedienste. Sie haben auch schon längerfristig Pflegekinder bei sich aufgenommen. Im Fall von D ist ein längerfristiger Aufenthalt bei dem Kläger und seiner Ehefrau geplant. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2013 lebte D noch im Haushalt des Klägers. Nach den Planungen soll sie noch ca. 3 ½ bis 4 Jahre (also bis ca. Anfang 2017 bis Mitte 2017) in dem Haushalt des Klägers bleiben.
7
Der Kläger erhält von der Stadt R Pflegegeld zu den üblichen Pflegesätzen.
8
D ging nach der Haushaltsaufnahme zunächst weiter zur Sonderschule. Die Pflegeeltern und D entwickelten einen Plan, wie es mit D weitergehen sollte. Momentan absolviert D eine Berufsschule. Ihr Ziel ist es, Erzieherin zu werden. D macht nach den Angaben des Klägers große Fortschritte. Ihre Zeugnisse sind gut. Geplant ist, dass D noch 1 ½ Jahre die Berufsschule absolviert, die mittlere Reife nachholt und dann eine Ausbildung als Erzieherin macht. So lange soll D im Haushalt der Pflegeeltern verbleiben.
9
Zu dem Beigeladenen hat D zumindest seit der Haushaltsaufnahme bei den Pflegeeltern keinen Kontakt mehr.
10
Mit ihrer Mutter telefoniert D jeden Mittwoch und Sonntag. Außerdem hält D über Facebook Kontakt zu ihrer Mutter. Einmal im Monat darf D ihre Mutter in K besuchen. Diese Möglichkeit wird von ihr aber nur unregelmäßig wahrgenommen. Finanzielle Unterstützung erhält D von ihrer Mutter nur in der Form, dass diese sie gelegentlich zu einem Eis einlädt oder ihr gelegentlich auf entsprechende Nachfrage ein Kleidungsstück kauft.
11
Nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat D ihre Mutter im Jahr 2012 viermal besucht und im Jahr 2013 bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einmal. Die vier Besuche in 2012 hätten dreimal über das Wochenende stattgefunden. Das vierte Mal habe es sich nur um ein kurzes Kaffeetrinken gehandelt. Der Besuch in 2013 sei nur ein kurzer Besuch am Nachmittag gewesen. Zweimal habe die Kindsmutter D in H besucht.
12
Der Kläger berichtete in der mündlichen Verhandlung von Gesprächen mit D, aus denen sich ergeben habe, dass sie zwar gut mit ihrer Mutter reden könne, dass sie aber nicht dauerhaft dort wohnen wolle. Sie wolle im Haushalt des Klägers bleiben. Sie komme mit dem Lebensgefährten der Mutter nicht klar.
13
D gab in der mündlichen Verhandlung an, dass sie sich bei ihren Pflegeeltern wohl fühle. Die Pflegeeltern würden sich um sie kümmern. Ihr Zuhause sei bei ihrer Pflegefamilie. Sie habe dort alles, was sie brauche. Sie habe Taschengeld, ein eigenes Zimmer und ihre Freiheiten. Ihre Mutter sei aber noch immer ein wesentlicher Bestandteil in ihrem Leben. Wenn es bei ihrer Mutter nicht dauernd „Stress“ gäbe, würde sie sich auch dort wohl fühlen. Es sei aber so, dass es bereits „Stress“ gebe, wenn sie zwei oder drei Tage bei ihrer Mutter sei. Sie habe dies schon des Öfteren ausprobiert. Sie werde auf keinen Fall zu ihrer Mutter zurückkehren. Zum Geburtstag ihrer Mutter habe sie ihre Mutter besucht. Auch Weihnachten habe sie dort übernachtet. Zu Ostern habe sie kurz Kontakt zu ihrer Mutter gehabt.
14
Die Mutter von D hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass D nach dem „Rauswurf“ aus dem Haushalt des Beigeladenen im Jahr 2009 zunächst ohne feste Bleibe gewesen sei und wohl bei irgendeiner Bekannten gelebt habe. Daraufhin habe die Mutter sich darum gekümmert, dass D wieder in das Haus T gekommen sei, damit sie eine Vollzeitbetreuung erhalte und kontrolliert erzogen werde. Zu ihr habe D nicht ziehen können. D habe nie ihre Erziehungsversuche akzeptiert. Es sei nie ein Thema gewesen, dass D wieder bei ihr einziehen könne.
15
Die Mutter führte weiter aus, dass sie regelmäßigen Kontakt zu D habe. Die Erziehung von D hätten aber der Kläger und seine Ehefrau übernommen. Sie habe sich insoweit nicht eingemischt. Die Besuche von D seien teilweise recht kurz gewesen, teilweise sei sie auch über Nacht geblieben. Wenn D bei ihr gewesen sei, habe sie auch Freunde in K besucht.
16
Die Stadt R bescheinigte dem Kläger und seiner Ehefrau, dass sie D im Wege der Vollzeitpflege nach § 33 und § 44 KJHG in Verbindung mit § 1688 BGB aufgenommen haben.
17
Nachdem die Familienkasse B die Kindergeldzahlungen zunächst ab Oktober 2011 eingestellt hatte, setzte sie das Kindergeld auf Antrag der Stadt R mit Bescheiden vom 18. Juli 2012 (Kindergeld für die Monate ab April 2012) und 19. Juli 2012 (Kindergeld für die Monate Oktober 2011 bis März 2012) erneut zugunsten des Beigeladenen fest. Gleichzeitig wurde das Kindergeld zugunsten der Stadt R abgezweigt.
18
Am 18. September 2012 stellte der Kläger einen Kindergeldantrag für D. Hierzu erklärte er in der mündlichen Verhandlung, dass das Jugendamt bei seinen anderen Pflegekindern den Antrag auf Kindergeld für ihn gestellt hätte und dass das Kindergeld dann auch festgesetzt worden sei. Die Stadt R habe sich anders verhalten.
19
Nachdem der Kläger den Kindergeldantrag gestellt hatte, hob die Familienkasse B mit Bescheid vom 8. November 2012 die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Beigeladenen ab November 2012 auf. Begründet wurde die Aufhebung mit einem vorrangigen Anspruch des Klägers, der als Pflegevater das Kind in seinem Haushalt aufgenommen habe.
20
Auf Nachfrage der Familienkasse G erläuterte der Kläger am 13. November 2012, dass das Kind auf unbestimmte Zeit in seiner Obhut verbleiben solle. Er versorge das Kind ganztägig und durchgehend an allen Wochentagen. Eine Pflegeerlaubnis habe das Jugendamt der Stadt R am 26. April 2012 erteilt. Die Mutter und der Vater würden das Kind nicht besuchen. D würde aber einmal monatlich mit dem Zug zur Mutter nach K fahren. Dies würde von Samstagvormittag bis Sonntagabend dauern.
21
Mit Bescheid vom 29. November 2012 lehnte die Familienkasse G den Kindergeldantrag des Klägers ab. Es bestehe weiterhin ein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu einem leiblichen Elternteil. Das Pflegekind besuche einmal im Monat ihre Mutter.
22
Am 28. Dezember 2013 legte der Kläger Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Es bestehe kein Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern. Die Besuche von D bei der leiblichen Mutter würden nicht regelmäßig und auch nur in größeren Abständen als monatlich stattfinden.
23
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2013 wurde der Einspruch zurückgewiesen. Das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern würde nicht mehr bestehen, wenn der Kontakt zu den Eltern soweit reduziert sei, dass deren erzieherische und betreuende Einflussnahme auf das Kind nicht mehr gegeben sei. Dies sei unter Berücksichtigung des Alters des Kindes sowie der Anzahl und der Dauer der Besuche bei den leiblichen Eltern zu beurteilen. Der monatliche Besuch bei der Mutter zeige, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis weiter bestehe.
24
Als die Familienkasse B von dem ablehnenden Einspruchsbescheid erfuhr, setzte sie mit Bescheid vom 10. Januar 2013 zugunsten des Beigeladenen das Kindergeld ab November 2012 fest. Zeitgleich wurde der Kindergeldanspruch zugunsten der Stadt R abgezweigt.
25
Mit am 7. Februar 2013 eingegangener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Es entspreche nicht den Tatsachen, dass D regelmäßig monatlichen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter gehabt habe. D habe nur sporadischen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter. Die Mutter lebe inzwischen mit einem neuen Lebensgefährten in K zusammen. Übernachtungen würden bei der Mutter nicht stattfinden.
26
Der Kläger beantragt sinngemäß,
27
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 29. November 2012 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 4. Januar 2013 die Beklagte zu verpflichten, das Kindergeld für das Pflegekind D, geb. am 13. Februar 1995, ab September 2012 zugunsten des Klägers festzusetzen.
28
Die Beklagte beantragt,
29
die Klage abzuweisen,
30
hilfsweise für den Fall des Unterliegens die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
31
Die Beklagte führt aus, dass es für die Anerkennung eines Pflegekindverhältnisses erforderlich sei, dass das Kind im Wesentlichen nur noch von den Pflegeeltern betreut werden würde. Wann dieser Zustand erreicht sei, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Hinzukommen müsse, dass zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern über einen längeren Zeitraum kein für die Wahrung eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses ausreichender Kontakt mehr bestehe. Bei noch nicht schulpflichtigen Kindern habe der BFH einen Zeitraum von einem Jahr, bei schulpflichtigen Kindern einen Zeitraum von zwei Jahren als maßgeblich angesehen.
32
Welche Kontakte das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern zu wahren geeignet seien, würde sich ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls bestimmen. Je jünger das Kind sei, desto wichtiger sei die persönliche Anwesenheit der leiblichen Eltern. Bei fast volljährigen Kindern reiche es dagegen aus, dass sie noch in Verbindung mit den leiblichen Eltern stehen würden. Die räumliche Trennung allein genüge nicht. Vielmehr müsse das Band zwischen dem Kind und seinen leiblichen Eltern auf längere Dauer (in der Regel zwei Jahre) zerrissen sein.
33
Im vorliegenden Fall sei das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu der Mutter noch gegeben. D sei mittlerweile volljährig und besuche ihre Mutter nach dem Vortrag im Verwaltungsverfahren einem im Monat.
34
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2013 den Kläger eingehend befragt und das Kind D sowie die Mutter C als Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Beweisthemas und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
35
Die Klage ist begründet.
I.
36
Der Kläger kann auf Grund eines Pflegekindschaftsverhältnisses zu D das Kindergeld beanspruchen.
37
1. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG werden im Kindergeldrecht nur Kinder berücksichtigt, die die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 EStG erfüllen. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG gehören dazu auch Pflegekinder. Dabei handelt es sich nach dem Klammerzusatz in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG um Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Der Klammerzusatz stellt eine Legaldefinition dar. Die genannten Umstände sind Tatbestandsvoraussetzungen und keine erläuternden Ausführungen (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
38
2. Da der Kläger unstreitig nicht mit D im ersten Grad verwandt ist (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und auch die Erweiterungen in § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (Kind des Ehegatten) bzw. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG (Enkelkind) unstreitig nicht vorliegen, ist der geltend gemachte Kindergeldanspruch nur gegeben, wenn die in dem Klammerzusatz niedergelegten Voraussetzungen für ein Pflegekindschaftsverhältnis gegeben sind. Das ist zu bejahen.
39
a) D ist seit dem 29. September 2011 in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau in H aufgenommen worden. Ab diesem Zeitpunkt ist D von dem Kläger und seiner Ehefrau versorgt und erzogen worden (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 1984 IV R 49/83, BStBl II 1984, 571). Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
40
b) Die Haushaltsaufnahme ist auch nicht zu Erwerbszwecken erfolgt. Insbesondere steht das Pflegegeld, welches der Kläger und seine Ehefrau als Pflegeeltern gemäß § 39 SGB VIII erhalten, der Anerkennung des Pflegekindschaftsverhältnisses nicht entgegen.
41
aa) Pflegegelder, die bei Aufnahme eines Kindes in eine Familie zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII geleistet werden, sollen den Unterhalt für das Kind einschließlich der Kosten für die Erziehung sicherstellen (§ 39 Abs. 1 SGB VIII). Die monatlichen Pauschalbeträge bemessen sich nach den tatsächlichen Kosten, soweit diese einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 39 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII). Im Pflegesatz ist kein pauschalierter Ersatz für Personal- und Sachkosten der Pflegefamilie enthalten (BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448). Unbeschadet dessen, dass Pflegegelder nach § 33 SGB VIII auch einen Anreiz zur Aufnahme fremder Kinder schaffen sollen, sind sie nach ihrem Zweck und ihrer Bemessungsgrundlage kein nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechnetes Entgelt für Unterbringung und Betreuung, sondern lediglich Kostenersatz (BFH-Urteil vom 2. April 2009 III R 92/06, BStBl II 2010, 345). Nur wenn den Pflegeeltern ein erheblich über den Pflegesätzen des zuständigen Jugendamts liegendes Pflegegeld gezahlt wird, kann davon ausgegangen werden, dass sie durch das Pflegegeld nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen für die Unterbringung und Betreuung entlohnt werden (BFH-Urteil vom 30. Juni 2005 III R 80/03, BFH/NV 2006, 262).
42
bb) Der Kläger erhielt nach seiner Auskunft in der mündlichen Verhandlung das Pflegegeld von der Stadt R nach den üblichen Pflegesätzen. Diese Angabe ist glaubhaft, weil sie sich mit den Ausführungen der Stadt R in einem in der Akte befindlichen Schreiben vom 18. Dezember 2012 deckt (Blatt 16 Beiakte). Dort führte die Sachbearbeiterin aus, dass sie für D Jugendhilfe in Form der Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIIII gewähre und dass sie das Pflegegeld ggf. unter teilweiser Anrechnung des Kindergeldes auszahlen müsse. Danach erhielt der Kläger lediglich Kostenersatz im Sinne des § 39 SGB VIII in Verbindung mit § 33 SGB VIII. Mangels eines nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen berechneten Entgelts für Unterbringung und Betreuung liegt keine Haushaltsaufnahme zu Erwerbszwecken vor.
43
c) D ist mit dem Kläger auch „durch ein familienähnliches Band verbunden“.
44
aa) Es muss eine familienähnliche Beziehung wie zu einem eigenen Kind (Eltern-Kind-Beziehung) vorliegen. Das Kind muss wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt werden (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739). Die Pflegeeltern müssen sämtliche wesentlichen Entscheidungen für das Kind treffen und für das Kind zu dem maßgeblichen Ansprechpartner und damit zu Ersatzeltern geworden sein (BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). Es muss mit anderen Worten ein Aufsichts- Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern bestehen (BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524; BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547; BFH-Urteil vom 9. Dezember 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739). Die Absicht einer Adoption ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). In seinem Urteil vom 9. Februar 2012 (III R 15/09, BStBl II 2012, 739) hat der BFH ein „besonders enges Band“ gefordert, weil Pflegekinder durch das Gesetz mit leiblichen Kindern, Adoptivkindern, Stief- und Enkelkindern in eine Reihe gestellt werden würden und das Pflegekindschaftsverhältnis bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs – bzw. ggf. sogar noch darüber hinaus – steuerrechtliche Folgen habe. Das Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsverhältnis habe seine Grundlage in einer ideelen Dauerbindung. Dabei sei nicht allein auf die äußeren Lebensumstände sondern darauf abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie „eine natürliche Einheit von Versorgung, Erziehung und Heimat“ finde, also nicht nur Kostgänger sei. Zwischen den Pflegeeltern und dem Pflegekind müsse ein Autoritätsverhältnis bestehen, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht der Pflegeeltern unterwerfe (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
45
bb) Nach dem Ergebnis der Anhörung des Klägers und der Beweisaufnahme besteht zwischen dem Kläger und D eine familienähnliche Beziehung wie zwischen leiblichen Eltern und einem eigenen Kind (Eltern-Kind-Beziehung).
46
D wird von den Pflegeeltern wie zur Familie gehörig behandelt. Der Kläger und seine Ehefrau treffen die wesentlichen Entscheidungen für das Kind und sind für das Kind zu den maßgeblichen Ansprechpartnern und damit zu Ersatzeltern geworden. Die Pflegeeltern haben zusammen mit D einen Plan für D Zukunft entwickelt, haben sie auf die Berufsschule geschickt und D nach Kräften unterstützt, damit sie ihr Ziel verwirklichen kann, Erzieherin zu werden. Dank der Unterstützung der Pflegeeltern hat D große Fortschritte gemacht. Sie hat gute Noten in der Schule und beabsichtigt, mit der Unterstützung der Pflegeeltern die mittlere Reife nachzuholen und anschließend eine Ausbildung als Erzieherin zu absolvieren. Für den gesamten Zeitraum der Entwicklung Ds zu einem selbständigen jungen Menschen wollen die Pflegeeltern D beistehen und sie in ihrem Haushalt belassen.
47
Neben der Unterstützung, die D von dem Kläger und seine Ehefrau erhält, hat D dennoch den Freiraum, den ein junger Mensch braucht, um seinen eigenen Lebensweg zu finden. D hat ein eigenes Zimmer, Taschengeld, ein eigenes Handy und unterliegt zumindest hinsichtlich der Kontakte zu ihrer Mutter keiner übermäßigen Kontrolle durch den Kläger und seiner Ehefrau. Durch diese Balance zwischen Unterstützung, Erziehung und Freiraum hat sich nach dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung eine Art natürliches Autoritätsverhältnis zwischen den Pflegeeltern und D entwickelt, dass sich als Aufsichts- Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und Kindern charakterisieren lässt.
48
Die vom BFH geforderte ideele Dauerbindung im Sinne einer „natürlichen Einheit von Versorgung, Erziehung und Heimat“ ist feststellbar. Für D ist der Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau das „Zuhause“. Dies hat D in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt. Sie ist nicht nur Kostgänger im Haushalt des Klägers sondern gehört zur Familie, was von ihr auch so empfunden wird. Dies gilt jedenfalls für den Zeitraum, für den der Kläger vorliegend das Kindergeld begehrt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sein Kindergeldantrag erst für den Zeitraum ab Antragstellung gelten soll. Diese Beschränkung auf einen Zeitraum, der erst ungefähr ein Jahr nach der Haushaltsaufnahme von D beginnt, beruht auf der nachvollziehbaren Erwägung, dass ein familienähnliches Band erst wachsen muss und nicht vom ersten Tag der Haushaltsaufnahme vorhanden sein kann.
49
Angesichts dieser Würdigung ist es auch unerheblich, dass D in ihrer Vernehmung einen Unterschied zwischen den Pflegeeltern und ihren leiblichen Eltern gemacht hat. Das Gesetz fordert nur ein familien„ähnliches“ Band zwischen den Pflegeeltern und dem Kind. Von dem Gesetz wird nicht verlangt, dass sich das Pflegekind von seinen leiblichen Eltern distanziert und keine emotionale Bindung mehr zu seinen leiblichen Eltern hat. Entscheidend ist vielmehr, in welcher familiären Gemeinschaft das Kind während des streitigen Zeitraums gelebt hat. Dieses familienähnliche Band bestand zur Überzeugung des Senats während des Streitzeitraums ausschließlich zu dem Kläger und seiner Ehefrau.
50
cc) Allerdings hat der BFH die Annahme eines „familienähnlichen Bands“ bei einem bereits volljährigen Kind nur bei Hilflosigkeit oder Behinderung oder bei Vorliegen sonstiger besonderer Umstände für möglich gehalten. Bei einem gesunden Volljährigen spiele die körperliche Versorgung und Erziehung, die für die Annahme eines familienähnlichen Bandes Voraussetzung sei, in der Regel keine Rolle mehr (BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524; BFH-Urteil vom 21. April 2005 III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25; BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
51
Diese Rechtsprechung ist nach Ansicht des Senats auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Zum einen war D noch nicht volljährig, als sie in den Haushalt des Klägers kam. Sie war im Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme erst 16 ½ Jahre alt. Allerdings kann aus der zitierten BFH-Rechtsprechung der Schluss gezogen werden, dass bei fast volljährigen Kindern die Annahme eines „familienähnlichen Bands“ von ähnlich hohen Anforderungen abhängig zu machen ist, wie bei bereits volljährigen Kindern. Indes ist der Senat der Ansicht, dass hier unter Würdigung der Gesamtsituation besondere Umstände gegeben sind, die es rechtfertigen, trotz des fortgeschrittenen Alters des Kindes von einem familienähnlichen Band zu dem Kläger und seiner Ehefrau auszugehen.
52
Dabei muss berücksichtigt werden, dass D aus keiner intakten Familie kam, sondern sich ungefähr seit ihrem neunten Lebensjahr ganz überwiegend in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung aufgehalten hatte. Sie war im Jahr 2009 – zumindest nach dem Worten der Kindsmutter in der mündlichen Verhandlung – aus dem Haushalt des Beigeladenen „rausgeworfen“ worden, konnte aber auch nicht in den Haushalt der Kindsmutter aufgenommen werden und war schließlich „abgängig“, d.h. sie hielt sich auch nicht mehr in der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung auf, sondern war „ausgerissen“.
53
Werden diese Lebensumstände des Kindes bewertet, war D ein entwurzeltes und alleingelassenes junges Mädchen, als sie im September 2011 in den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau kam. Sie hatte nicht die Möglichkeit gehabt, sich in einer funktionierenden Familiengemeinschaft auf ein selbstbestimmtes Leben nach dem Eintritt der Volljährigkeit vorzubereiten. Sie war in einem ganz anderen Maße davon abhängig, dass sich jemand um sie kümmerte, als ein Kind, das unter behüteten Verhältnissen zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit aufwachsen konnte. Zu einem selbstbestimmten Leben ab Volljährigkeit gehört eine emotionale und soziale Stabilität, die D erst ab dem Zeitpunkt der Haushaltsaufnahme bei dem Kläger und seiner Ehefrau erlernen musste. Die Aufnahme in der Pflegefamilie gewährleistete außerdem eine gesicherte materielle Versorgung des Kindes. D ging damals noch zur Schule. Sie ist bis heute noch nicht finanziell selbständig. Außerdem bedurfte D besonderer Unterstützung bei der Absolvierung der Schule, die über die elterliche Unterstützung eines Kindes, welches in behüteten Verhältnissen groß geworden ist, weit hinausging. Auch gegenwärtig müssen die Pflegeeltern D noch überobligatorisch unterstützen, damit sie die Ausbildung absolviert und ihr Berufsziel Erzieherin erreicht. Deshalb ist der Senat der Auffassung, dass die für den Regelfall geltende Annahme des Gesetzes, dass ab dem Zeitpunkt der Volljährigkeit für Versorgung und Erziehung kein Bedarf mehr besteht, auf die Lebenssituation von D keine Anwendung finden kann. Insoweit berücksichtigt der Senat die besonderen Umstände des Einzelfalls, die den BFH bereits veranlasst haben, in seiner Rechtsprechung Ausnahmen für hilflose und behinderte Kinder zuzulassen.
54
d) Das familienähnliche Band war auch „auf längere Dauer berechnet“.
55
aa) Das familienähnliche Band ist „auf längere Dauer berechnet“, wenn es aus Sicht des Steuerpflichtigen für einen längeren Zeitraum bestehen bleiben soll. Erforderlich ist eine zukunftsgerichtete Absicht, das Kind auf längere Dauer wie ein eigenes zu versorgen und zu erziehen (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739). Der Zeitraum muss für die Begründung eines Eltern-Kind-Verhältnisses ausreichen. Es ist aber nicht erforderlich, das Verhältnis zeitlich unbegrenzt oder etwa bis zur Volljährigkeit des Kindes andauern lassen zu wollen (BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). Im Regelfall ist eine beabsichtigte Dauer von zwei Jahren als ausreichend anzusehen (BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 III R 15/09, BStBl II 2012, 739).
56
bb) Aus der Anhörung des Klägers und dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich ergeben, dass D zumindest bis zum Abschluss ihrer Ausbildung in dem Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau bleiben soll. Die geplante Zeitdauer überschreitet demnach die von dem BFH als ausreichend angesehene Zeitdauer von zwei Jahren erheblich. Voraussichtlich wird sich D insgesamt 5 1/2 bis 6 Jahre in dem Haushalt des Klägers aufhalten.
57
e) Der Senat ist auch davon überzeugt, dass zu den leiblichen Eltern kein Obhuts- und Pflegeverhältnis mehr bestand.
58
aa) Hierfür reicht eine bloße räumliche Trennung des Kindes von den leiblichen Eltern nicht aus. Die Obhut und Pflege seitens der leiblichen Eltern muss soweit zurücktreten, dass die Obhut und Pflege im Wesentlichen nur noch durch die Pflegeltern ausgeübt werden (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63; BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 III R 44/05, BFH/NV 2007, 17). Die Pflegeeltern müssen für das Kind an die Stelle der leiblichen Eltern treten. Die leiblichen Eltern dürfen sich nicht mehr um das Kind kümmern (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582).
59
bb) Wann die Pflegeeltern gegenüber dem Kind gleichsam an die Stelle der leiblichen Eltern treten, weil das Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu den leiblichen Eltern abgerissen ist, lässt sich nicht einheitlich für alle Fälle sondern nur für jeden Einzelfall beurteilen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63). Entscheidende Kriterien sind das Alter des Kindes, die Anzahl und Dauer der Besuche der leiblichen Eltern bei dem Kind und ob und inwieweit vor der Trennung bereits ein Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu den leiblichen Eltern bestanden hat. Die Gewichtung der Kriterien kann je nach Lage des Falls unterschiedlich sein. Es können auch andere Umstände eine Rolle spielen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63).
60
cc) Das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern wird nicht schon durch die vorübergehende Abwesenheit der Eltern unterbrochen. Wenn sich die Eltern z.B. wegen einer schweren Erkrankung oder wegen beruflicher Abwesenheit vorübergehend nicht um das Kind kümmern können, kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis nicht mehr besteht. Deshalb wohnt dem Tatbestandsmerkmal des „Nichtbestehens eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind“ ein Zeitmoment inne (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25).
61
Bei einem jüngeren Kind ist der Bedarf an Fürsorge und Zuwendung noch größer, so dass davon ausgegangen werden kann, dass bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit ein im wesentlichen ausschließliches Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Pflegeeltern aufgebaut wird, wenn diese das Kind wie ein eigenes Kind bei sich aufnehmen. Gelegentliche Besuche durch die leiblichen Eltern reichen dann nicht aus, um noch ein fortbestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis annehmen zu können. Jüngere Kinder können nur begrenzt anderweitig (z.B. durch Brief, E-Mail, SMS, Telefonate) Kontakt zu den Eltern aufrechterhalten. Bei nicht schulpflichtigen Kindern geht der BFH deshalb davon aus, dass kein bestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis des Kindes zu den leiblichen Eltern mehr anzunehmen ist, wenn zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind mindestens ein Jahr lang keine für die Wahrung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses ausreichenden Kontakte bestehen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25; BFH-Beschluss vom 25. April 2012 III B 176/11, BFH/NV 2012, 1304). Bei schulpflichtigen Kindern geht der BFH davon aus, dass ein größerer Zeitraum von etwa zwei Jahren erforderlich ist, um einen Abbruch des Obhuts- und Pflegeverhältnisses anzunehmen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582; BFH-Urteil vom 7. September 1995 III R 95/93, BStBl II 1996, 63; BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25; BFH-Beschluss vom 25. April 2012 III B 176/11, BFH/NV 2012, 1304). Bei noch älteren Kindern hat der BFH keinen festen Zeitraum genannt (BFH-Urteil vom 20. Januar 1995 III R 14/94, BStBl II 1995, 582).
62
dd) Nach Würdigung der Gesamtumstände ist der Senat der Auffassung, dass D zu ihren leiblichen Eltern keinen derartigen Kontakt mehr hatte, der es rechtfertigen könnte, von einem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern auszugehen.
63
aaa) Nach den übereinstimmenden Angaben des Klägers und des Kindes in der mündlichen Verhandlung ist der Kontakt zu dem Beigeladenen seit längerem abgebrochen. Es ist nicht ersichtlich, dass D seit ihrem „Rauswurf“ aus dem Haushalt des Beigeladenen im Jahr 2009 überhaupt noch Kontakt zu ihm gehabt hat.
64
bbb) Zu der Kindsmutter besteht zwar noch Kontakt in Form von zwei Telefonaten in der Woche, gelegentlichen Facebook-Kontakten und unregelmäßigen Besuchen Ds bei ihrer Mutter in K. Diese Kontakte lassen sich aber als lockere Kontakte wie zwischen guten Freunden oder nahen Angehörigen charakterisieren, der mit einem Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen der leiblichen Mutter und D nichts zu tun hat.
65
Die Aufsicht, Betreuung und Erziehung von D erfolgte nach dem Gesamtbild aller Umstände nur durch die Pflegeltern. Ds Mutter hat in der Zeugenvernehmung selbst eingeräumt, dass sie sich um die Erziehung von D nicht mehr gekümmert habe. Dies sei Sache des Klägers und seiner Ehefrau gewesen. Sie habe sich in die Erziehung von D nicht einmischen wollen. Eine irgendwie geartete Obhut oder Pflege der Mutter ist daher nicht ersichtlich.
66
Hierfür spricht auch, dass die Mutter der Auffassung war und ist, dass D nicht mehr in ihren Haushalt aufgenommen werden könne. Die Mutter lehnt damit die elterliche Verantwortung für ihre Tochter ab, ohne die ein Obhuts- und Pflegeverhältnis nicht vorstellbar ist.
67
Weiter muss berücksichtigt werden, dass zwischen der Mutter und D sowieso nur ein allenfalls geringfügig ausgeprägtes Obhuts- und Pflegeverhältnis bestanden haben kann, weil D ungefähr seit ihrem neunten Lebensjahr in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung lebte.
68
Dass die Inobhutnahme und Pflege des Kindes ausschließlich oder zumindest fast ausschließlich in Händen des Klägers und seiner Ehefrau lag, zeigt sich auch darin, dass die leibliche Mutter im Vergleich zu den Pflegeeltern keine wesentlichen fürsorgenden Aktivitäten entwickelte, um auf eine positive Entwicklung von D in der Zukunft hinzuwirken. Der Kläger und seine Ehefrau machten mit D Pläne über deren Zukunft, kümmerten sich um die schulische Ausbildung und unterstützten D in ihrem Ziel, Erzieherin zu werden. Sie trafen die wesentlichen Entscheidungen für D und standen D im Alltag zur Verfügung. Kurz: Sie nahmen die Rolle der Eltern ein. Die Mutter hielt lediglich Kontakt zu ihrer Tochter, ohne ihr die Geborgenheit eines Zuhauses zu gewähren (keine Obhut) und ohne sich in irgendeiner Form um die Entwicklung ihrer Tochter aktiv zu kümmern (keine Pflege). Für einen „ausreichenden Kontakt“ im Sinne der BFH-Rechtsprechung kann es nicht maßgeblich sein, dass ein Elternteil überhaupt noch in irgendeinem Kontakt zu dem Kind steht. Vielmehr muss dieser Kontakt Elemente der Obhut und Pflege umfassen, damit man von einem fortbestehenden Obhuts- und Pflegeverhältnis sprechen kann.
69
Deshalb reichen die Telefonate zweimal in der Woche und der Facebook-Kontakt mit der Mutter nicht aus, um von einem Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen der Mutter und D ausgehen zu können. Sowohl D als auch die Mutter haben in ihrer Vernehmung deutlich gemacht, dass sie zwar eine emotionale Bindung zueinander haben, dass aber die Mutter bewusst keinerlei Einfluss auf die Erziehung von D genommen hat. Dies zeigt sich auch an der Aussage von D, dass es sofort „Stress“ gegeben habe, wenn sie zwei bis drei Tage bei der Mutter gelebt habe und dass sie deshalb auf gar keinen Fall zu ihrer Mutter zurückkehren werde. Der Senat hatte zudem den Eindruck, dass die Aufrechterhaltung des Kontakts eher auf die Initiative von D zurückging und nicht von der Mutter gefördert wurde. So hat D ausgeführt, dass sie regelmäßig bei der Mutter angerufen und ihr über Facebook geschrieben habe. Die Mutter habe ihr – allerdings teilweise zeitverzögert – geantwortet. Dass umgekehrt ihre Mutter über Telefonate und Facebook auch Kontakt zu ihr suchte, hat sich aus der Aussage von D nicht ergeben.
70
Auch die Besuche von D bei der Mutter lassen nicht auf ein noch bestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis schließen. Auch hier ist zunächst auffällig, dass D die Mutter in K viel häufiger besucht hat, als umgekehrt die Mutter D in H besucht hat. Zum zweiten hat sich die Behauptung des Klägers bewahrheitet, dass die Besuche seltener als einmal im Monat waren, wie es der Kläger noch im Verwaltungsverfahren angegeben hatte. Die Angaben waren insoweit etwas missverständlich, weil der Kläger nur die geplante Besuchsfrequenz vorgetragen hatte. Tatsächlich waren die Besuche erheblich seltener. Der Kläger sprach von vier Besuchen im Jahr 2012 und von nur einem Besuch im Jahr 2013. Hinzu kamen noch zwei Besuche der Mutter in H. Auch D sprach nur von unregelmäßigen Besuchen, die deutlich seltener als einmal im Monat stattgefunden hätten. Ähnlich hat sich auch die Kindsmutter eingelassen.
71
Diese Kontakte können – wie es auch der Lebensgefährte der Kindsmutter in einem Zwischenruf in der mündlichen Verhandlung formulierte – nur als bloße Besuchsfahrten charakterisiert werden. Die Besuche hatten lediglich den Zweck, den Kontakt zwischen Mutter und Tochter nicht abreißen zu lassen. Ausfluss von Obhut und Pflege der Mutter waren diese Kontakte nicht. Dies zeigt sich auch daran, dass die Besuchsfahrten teilweise nur als Kaffeetrinken am Nachmittag ausgestaltet waren und dass D während dieser Aufenthalte auch noch andere Bekannte in K besuchte. Auch die gelegentliche Einladung zu einem Eis oder der Kauf eines Kleidungsstücks kann nicht dahingehend gewertet werden, dass zwischen der Mutter und D ein noch hinreichendes Obhuts- und Pflegeverhältnis bestand. Auch im Verhältnis zu einem guten Bekannten oder einem Verwandten ist eine Einladung zu einem Eis nicht unüblich. Allein der gelegentliche Kauf von einzelnen Kleidungsstücken auf Nachfrage des Kindes hat nicht ein derartiges Gewicht, das allein hieraus auf ein bestehendes Obhuts- und Pflegeverhältnis geschlossen werden könnte.
72
Das vom BFH angesprochene Zeitmoment ist im vorliegenden Fall ebenfalls erfüllt. Dabei geht der Senat nach den Gesamtumständen des Falls davon aus, dass der Kontakt zwischen der Mutter und D in dem Zeitraum vor der Aufnahme bei den Pflegeeltern nicht intensiver gewesen ist, als nach der Aufnahme im Haushalt des Klägers. Der Umzug von D zum Beigeladenen im Jahr 2009, die Rückkehr in das Haus T und das Ausreißen aus der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung deuten eher darauf hin, dass der Kontakt zwischen Mutter und Tochter in früheren Zeiträumen schlechter war, als in dem hier streitigen Zeitraum. Hierfür spricht auch, dass die Mutter eine Aufnahme von D im eigenen Haushalt kategorisch ausgeschlossen hat. Selbst nach dem „Rauswurf“ aus dem Haushalt des Beigeladenen zog die Kindsmutter keine Haushaltsaufnahme bei sich in Erwägung, sondern kümmerte sich nur um eine Rückkehr in das Haus T.
73
ee) Sollte das BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 (III R 44/05, BFH/NV 2007, 17) so zu verstehen sein, dass es bei fast volljährigen Kindern für das Fortbestehen des Obhuts- und Pflegeverhältnisses ausreichend ist, dass das Kind noch in irgendeiner Verbindung mit den leiblichen Eltern steht, könnte sich der Senat dieser Rechtsauffassung nicht anschließen.
74
Der BFH nahm in dem genannten Urteil bei einem im Juni 1980 geborenen Kind, dass in der Zeit von August bis Dezember 1997 „praktisch keinen Kontakt“ mehr zu seinen leiblichen Eltern hatte und bei dem im Laufe des Jahres 1998 ein Elternteil das Kind ca. alle zwei Monate auf dessen Ausbildungsstelle getroffen und ihm bei dieser Gelegenheit kleinere Geldbeträge (20 bis 30 DM) zugesteckt hatte, das Fortbestehen des Obhuts- und Pflegeverhältnisses an. Dabei stellte der BFH darauf ab, dass die Zuwendung von Geldbeträgen Ausdruck einer typischen Eltern-Kind-Beziehung sei. Unerheblich sei, dass das Kind gegen den Willen der Eltern bei einer Pflegemutter gelebt habe. Bei einem finanziell unabhängigen, fast volljährigen Kind führe die räumliche Trennung nicht zu einer Auflösung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses. Es handele sich nach der Lebenserfahrung um einen vorübergehenden Generationskonflikt zwischen dem Heranwachsenden und seinen Eltern. Dabei berücksichtigte der BFH auch, dass das Kind im Juli 2000 wieder zu seinen leiblichen Eltern gezogen war.
75
Es mag sein, dass der damals von dem BFH entschiedene Fall mit dem hiesigen Fall nur eingeschränkt vergleichbar ist. So ist D im Gegensatz zu dem Kind in dem damaligen Fall während der Zeit in der Pflegefamilie nicht finanziell unabhängig gewesen. Es handelt sich im Fall von D auch ersichtlich nicht um einen vorübergehenden Generationskonflikt sondern um eine tiefgreifende Entfremdung zwischen den Eltern und Kind. Dennoch war der Kontakt zwischen D und ihrer Mutter nach den hiesigen tatsächlichen Feststellungen intensiver, als der Kontakt zwischen dem Kind und seinen Eltern in dem Urteilsfall vom 20. Juli 2006. Es könnte daher sei, dass der BFH der Auffassung ist, dass allein schon ein irgendwie gearteter Kontakt zwischen dem Kind und einem Elternteil bei fast volljährigen Kindern zu dem Fortbestehen eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses führt.
76
Einer solchen Rechtsauffassung könnte der Senat nicht folgen. Das Gesetz spricht in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG von dem Fehlen eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses und nicht vom Fehlen jeglichen Kontakts. Für den Senat ist ein Obhuts- und Pflegeverhältnis ein „Mehr“ gegenüber bloßen Besuchskontakten. Schon die Begriffe „Pflege“ und „Obhut“ verlangen von dem Elternteil ein aktives Tun zugunsten des Kindes, welches über das bloße Kontakthalten zum Kind hinausgeht. Dies gilt auch für ältere Kinder. Auch im Verhältnis zu älteren Kindern darf nach dem Gesetzeswortlaut kein „Obhuts- und Pflegeverhältnis“ mehr bestehen. Das ist nicht erst dann gegeben, wenn keinerlei Kontakt mehr zu den leiblichen Eltern vorhanden ist, sondern schon dann, wenn die Obhut und Pflege seitens der leiblichen Eltern soweit zurückgetreten ist, dass die Obhut und Pflege im Wesentlichen nur noch durch die Pflegeltern ausgeübt wird, die Pflegeeltern für das Kind an die Stelle der leiblichen Eltern getreten sind und sich die leiblichen Eltern nicht mehr um das Kind kümmern.
77
Die Abgrenzung hat – wie oben geschehen – danach zu erfolgen, ob nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zwischen den Eltern und dem Kind noch ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis besteht oder ob zwischen den Eltern und dem Kind nur noch Besuchskontakte feststellbar sind. Deshalb lässt sich allein daraus, dass noch Kontakt zwischen den leiblichen Eltern und dem Kind besteht, nicht automatisch schließen, dass die Eltern dem Kind „Obhut gewähren“ und das Kind „pflegen“. Ein solcher Schluss mag möglich sein, wenn der Kontakt hinreichend intensiv ist, weil dann aus dem Umstand des ausreichend häufigen persönlichen Kontakts eine gewisse „Obhut“ und „Pflege“ der leiblichen Eltern hergeleitet werden kann. Auch insoweit kommt es aber auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an. Die Kontakte müssen – wie in der älteren Rechtsprechung betont – „ausreichend“ sein, um das Obhuts- und Pflegeverhältnis fortbestehen zu lassen. Deshalb ist es nach Auffassung des Senats für die Bejahung eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den Eltern nicht allein entscheidend, dass „der Kontakt zu dem leiblichen Elternteil fortbesteht“ (BFH-Urteil vom 31. August 2006 III B 46/06, BFH/NV 2007, 25) bzw. dass „der Kontakt des Kindes zu den leiblichen Eltern nur vorübergehend unterbrochen ist“ (BFH-Beschluss vom 25. April 2012 III B 176/11, BFH/NV 2012, 1304).
II.
78
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung bezüglich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht auf § 139 Abs. 4 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
III.
79
Die Revision wird zugelassen, damit höchstrichterlich geklärt werden kann, ob bei fast volljährigen Kindern bereits jeder Kontakt zu den leiblichen Eltern dazu führt, dass ein „Obhuts- und Pflegeverhältnis“ gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu bejahen ist, mit der Folge, dass kein Pflegekindschaftsverhältnis angenommen werden kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Steuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 35 EStG

Einkommensteuer 2009

Steuerermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb gemäß § 35 EStG

Niedersächsisches Finanzgericht 10. Senat, Urteil vom 15.08.2013, 10 K 241/12

§ 35 Abs 1 S 2 EStG

Tatbestand

 

1
Zwischen den Beteiligten ist die Ermittlung des Ermäßigungshöchstbetrages nach § 35 Abs. 1 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) streitig.

2
Der Kläger erzielte im Streitjahr unter anderem gewerbliche Einkünfte aus verschiedenen Beteiligungen sowie Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit als Hausverwalter. Ferner erwirtschaftete er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus insgesamt 4 Objekten sowie aus 2 weiteren Beteiligungen und erzielte daneben Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie sonstige Einkünfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Beklagte (das Finanzamt – FA -) veranlagte den Kläger erklärungsgemäß und setzte zunächst eine Einkommensteuer von 0 € fest. Aufgrund verschiedener Mitteilungen über geänderte Beteiligungseinkünfte änderte das FA den Einkommensteuerbescheid gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) und setzte die Einkommensteuer in Höhe 4.646 € fest. Es berücksichtigte gewerbliche Einkünfte aus Beteiligungen in Höhe von 31.622 €. Auf der Grundlage der anteiligen Gewerbesteuermessbeträge aus Beteiligungen von insgesamt 2.597 € berücksichtigte das FA eine Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte nach § 35 EStG in Höhe von 1.661 €.

3
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Einspruch. Er war u. a. der Auffassung, die Ermittlung der Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte sei vom FA fehlerhaft vorgenommen worden. Im Laufe des Einspruchsverfahrens änderte das FA den Bescheid gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO und half dem Einspruch des Klägers in weiteren Streitpunkten ab. Die Einkommensteuer in dem geänderten Bescheid setzte das FA in Höhe von 976 € fest und berücksichtigte dabei eine Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte nach § 35 EStG in Höhe von 3.738 €. Es ermittelte die Einkommensteuer wie folgt:

 

4
Vorspalte Betrag Pos. Eink.
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
aus Beteiligungen
mit positiven Ergebnis  95.078 €  95.078
mit negativen Ergebnis -63.456 €  31.622 €
Einkünfte aus selbständiger Arbeit  9.189 €  9.189
Einkünfte aus Kapitalvermögen  1.989 €  1.989
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
aus bebauten Grundstücken
Objekt 1 Ferienwohnung  4.537 €  4.537
Objekt 2 Ferienwohnung  2.585 €  2.585
Objekt 3 ETW  2.688 €  2.688
Objekt 4 Bürogebäude  -2.457 €
aus Beteiligungen
Nr. 1 A-GbR -23.667 €
Nr. 2 B.-GbR)  3.255 €  -13.059 €
Sonstige Einkünfte  4.656 €  4.656
Summe der Einkünfte  34.397 € 120.722
Ab Altersentlastungsbetrag  – 1.900 €
Gesamtbetrag der Einkünfte  32.497 €
gezahlte Kirchensteuer  -29 €
Geleistete Zuwendungen § 10b EStG  -477 €
Vorsorgeaufwendungen  -5.069 €
Einkommen / zu versteuernden Einkommen  26.922 €
Einkommensteuer nach Grundtarif  4.745 €
Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte  -3.738 €
Steuerermäßigung nach § 34g Nr. 1 EStG  -31 €
festzusetzende Einkommensteuer 2009  976 €
Nachrichtlich
Summe der positiven gewerblichen Einkünfte  95.078 €
Summe aller positiven Einkünfte  120.722 €
Quotient i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 EStG  0,78758
Tarifliche Einkommensteuer  4.745
Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte  3.738
 

5
Der Kläger war der Auffassung, der Ermäßigungshöchstbetrag sei in Höhe von 4.362 € zu berücksichtigen. Der Quotient zur Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages sei zu bilden aus der Summe der Einkünfte aus Gewerbebetrieb – hier 31.622 € – und der Summe aller Einkünfte – hier: 34.397 € -. Das FA gehe zu Unrecht in seiner Berechnung davon aus, dass der Quotient zu bilden sei aus der Summe ausschließlich positiver gewerblicher Einkünfte und der Summe aller ausschließlich positiven Einkünfte, dass also weder ein horizontaler Verlustausgleich, im Rahmen einer Einkunftsart, noch ein vertikaler Verlustausgleich, zwischen den einzelnen Einkunftsarten, vorzunehmen sei.

6
Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens teilte das FA dem Kläger mit, dass es die Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages entsprechend der Tz. 16 des BMF-Schreibens vom 24. Februar 2009 – IV C 6 – F 2296 – a/08/10002-2007/0220243 vorgenommen habe. Als positive Einkünfte seien daher nur die positiven Einkünfte aus der jeweiligen Einkunftsquelle anzusehen (so genannte quellenbezogene Berechnung). Eine Saldierung der positiven mit den negativen Einkunftsquellen innerhalb der gleichen Einkunftsarten und auch zwischen den verschiedenen Einkunftsarten fände nicht statt. Ergänzend wies es daraufhin, dass ihm jedoch bei der Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages ein Fehler unterlaufen sei. Es habe zu Unrecht bei den Vermietungseinkünften die beiden Beteiligungsergebnisse saldiert und in einer Summe erfasst. Dadurch sei die maßgebliche Summe aller positiven Einkünfte i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 EStG um 3.255 € zu niedrig angesetzt worden. Es teilte dem Kläger mit, dass es über den Einspruch des Klägers entscheiden werde und gem. § 367 Abs. 2 Satz 2 AO die Einkommensteuer auch zu seinem Nachteil ändern werde. Nachdem der Kläger dem FA mitgeteilt hatte, dass er auch weiterhin an seinem Einspruchsbegehren festhalte, wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück und erhöhte gleichzeitig die Einkommensteuer auf 1.075 €. Zur Begründung führte es erneut aus, dass eine Saldierung der positiven und negativen Einkünfte zur Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages gemäß § 35 EStG nicht in Betracht käme, es sei weder ein horizontaler noch ein vertikaler Verlustausgleich durchzuführen. Entsprechend sei die Einkommensteuer, wie bereits im Einspruchsverfahren angekündigt noch einmal zu Ungunsten des Klägers korrigiert worden:

7
Die Beteiligungseinkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien zu Unrecht saldiert worden, es seien weitere 3.255 € aus der Beteiligung B.-GbR zu berücksichtigen. Dies führe zu positiven Einkünften von 123.977 €. Der Quotient zur Berechnung der Steuerermäßigung betrage 95.078 €/123.977 €, also 0,76690 und führe zu einer Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte in Höhe von 3.639 €.

8
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er ist der Auffassung, zur Ermittlung des Ermäßigungshöchstbetrages sei jeweils der positive Saldo der gewerblichen Einkünfte wie auch der Summe aller Einkünfte zu verstehen.

9
Der Gesetzeswortlaut sei nicht eindeutig, wenn der Gesetzgeber von „positiven gewerblichen Einkünften“ bzw. „Summe aller positiven Einkünfte“ spreche.

10
Der Gesetzesbegründung, Bundestags-Drucksache BT 16/7036 zu Nr. 14a – neue – (§ 35 EStG), folgend, habe der Gesetzgeber einen horizontalen wie auch vertikalen Verlustausgleich der Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages zu Grunde legen wollen. Entsprechend ermittle sich der Ermäßigungshöchstbetrag wie folgt:

 

11
Einkünfte aus Gewerbebetrieb 31.622
Einkünfte aus selbständiger Arbeit 9.189
Einkünfte aus Kapitalvermögen 1.989
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung  – 13.059
Sonstige Einkünfte  4.656
Summe aller positiven Einkünfte 34.397
 

12
Der Quotient im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 2 EStG betrage daher 31.622 / 34.397, dies entspräche 0,91932 und einem Ermäßigungshöchstbetrag von 4.362 €.

13
Der Kläger beantragt sinngemäß,

14
den Einkommensteuerbescheid 2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2012 dahingehend zu ändern, dass eine Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte in Höhe von 4.362 € berücksichtigt wird und die Einkommensteuer entsprechend in Höhe von 352 € festgesetzt wird.

15
Der Beklagte beantragt,

16
die Klage abzuweisen.

17
Er bleibt bei seiner bereits im Einspruchsverfahren vertretenen Auffassung, dass zur Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages weder ein horizontaler noch ein vertikaler Verlustausgleich vorzunehmen sei. Die Berechnung des Quotienten im Sinne des § 35 Abs. 1 S. 2 EStG entspräche den Vorgaben des BMF.

Entscheidungsgründe

 

18
Die Klage ist unbegründet.

19
Der Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig, der Kläger in seinen Rechten nicht verletzt (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).

20
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung einer höheren Steuerermäßigung gemäß § 35 EStG.

21
Ziel des § 35 EStG ist es, die gewerbesteuerliche Belastung gewerblicher Einkünfte dadurch zu kompensieren, dass die tarifliche Einkommensteuer um das 3,8-fache des jeweils für den dem Veranlagungszeitraum entsprechenden Erhebungszeitraum nach § 14 Gewerbesteuergesetz (GewStG) für das Unternehmen festgesetzten Steuermessbetrages bzw. für den Mitunternehmer festgesetzten anteiligen Steuermessbetrages gemindert wird. Der Abzug ist auf den Ermäßigungshöchstbetrag begrenzt.

22
Erst ab dem Veranlagungszeitraum 2008 enthält das EStG eine Regelung zur Berechnung dieses Ermäßigungshöchstbetrages.

23
Zuvor gab es lediglich Verwaltungsanweisungen, die die Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages regelten. Danach war der Abzug nach § 35 EStG begrenzt auf die tarifliche Einkommensteuer, die auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltenen gewerblichen Einkünfte entfiel. Verluste anderer Einkunftsarten führten danach zu einer anteiligen Kürzung der begünstigten gewerblichen Einkünfte. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die entsprechenden Verwaltungsanweisungen verwiesen, BMF-Schreiben vom 15. Mai 2002 IV A 5 – S 2296 a – 16/02, BStBl I 02, 533; BMF-Schreiben vom 12. Januar 2007 IV B 2 – S 2296 a – 2/07, BStBl I 07, 108.

24
Der Bundesfinanzhof (BFH) teilte die Auffassung der Finanzverwaltung zur Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages nicht. Er ging in seinem Urteil vom 27. September 2006 X R 25/04, BStBl II 2007, 694 von dem Meistbegünstigungsprinzip aus. Zur Ermittlung der gewerblichen Einkünfte sei der so genannte horizontale Verlustausgleich durchzuführen, positive und negative gewerbliche Einkünfte seien zu verrechnen. Weitere negative Einkünfte anderer Einkunftsarten seien im so genannten vertikalen Verlustausgleich zu berücksichtigen. Dabei seien aber nach dem Meistbegünstigungsprinzip – entgegen der Verwaltungsanweisung – diese Verluste vorrangig mit nicht gemäß § 35 EStG tarifbegünstigten Einkünften zu verrechnen.

25
In der Folgezeit ist die Finanzverwaltung der Auffassung des BFH gefolgt und hat die alten Anwendungsschreiben aufgehoben, BMF-Schreiben vom 19. September 2007, IV B 2 – S 2296 – 9/07, DStR 2007, 1769.

26
Doch mit dem Jahressteuergesetz 2008 ist § 35 EStG geändert worden, Gesetz vom 20. Dezember 2007 BGBl I 2007, 3150. Seit dem enthält § 35 Abs. 1 S. 2 EStG unter anderem eine Formel zur Ermittlung des Ermäßigungshöchstbetrages:

27
Summe der positiven gewerblichen Einkünfte   x   geminderte tarifliche Steuer
Summe aller positiven Einkünfte

 

28
Dem Wortlaut dieser Neuregelung lässt sich nicht mit Sicherheit entnehmen, ob bei der Ermittlung der Einkünfte ein horizontaler bzw. vertikaler Verlustausgleich vorzunehmen ist.

29
1) In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass weder der horizontale noch der vertikale Verlustausgleich bei den Einkünften vorzunehmen ist, so Derlien in Littmann/Pust EStG § 35 Rz. 103, Korezkij in Der neue § 35 Abs. 1 S. 2 EStG, DStR 2008, 491. Der Gesetzgeber habe ausschließlich von positiven Einkünften gesprochen, Verluste seien nicht angesprochen. Andernfalls hätte er von der positiven Summe aller (gewerblichen) Einkünfte sprechen müssen.

30
Auch die Finanzverwaltung geht in ihren Verwaltungsanweisungen davon aus, dass ein Verlustausgleich nicht durchzuführen ist – weder horizontal noch vertikal. Dies würde zu dem Ergebnis führen, dass ausschließlich die positiven Einkünfte aus jeder einzelnen Einkunftsquelle zu berücksichtigen wären (vgl. BMF–Schreiben vom 24. Februar 2009 IV C 6 – S 2296 – a/08/10002, BStBl. I S. 440).

31
Im Streitfall würde dies den in der Einspruchsentscheidung ermittelten Quotienten von 95.078/123.977 = 0,76690 ergeben.

32
2) Betrachtet man jedoch den Willen des Gesetzgebers, so ist die Verwaltungsauffassung noch einmal zu überdenken.

33
Dem Bericht des Finanzausschusses vom 8. November 2007, BT-DS 16/7036 zu Nr. 14a – neu – (§ 35 Abs. 1) ist zu entnehmen, dass zunächst der horizontale Verlustausgleich bei den gewerblichen Einkünften gewollt war. Denn der Finanzausschuss führt aus, dass unter der Summe der positiven gewerblichen Einkünfte der Betrag zu verstehen sei, der sich aus der Saldierung der Gewinne und Verluste nach § 15 EStG aus allen Gewerbebetrieben des Steuerpflichtigen sowie aus seinen Beteiligungen an Mitunternehmerschaften oder als persönlich haftender Gesellschafter aus Kommanditgesellschaften auf Aktien ergebe. Bei zusammenveranlagten Ehegatten, die beide gewerbliche Einkünfte erzielten, seien die Einkünfte ebf. zu einem Betrag zusammenzufassen.

34
Darüber hinaus sollten alle Verluste grundsätzlich das Volumen des Ermäßigungshöchstbetrages mindern. Eine Überkompensation, wie sie nach der Rechtsprechung des BFH in seinem Urteil vom 27. September 2006 X R 25/04 (im Rahmen der Meistbegünstigung) möglich gewesen wäre, sollte vermieden werden. So sei gesetzlich geregelt worden, dass Verluste aus den jeweiligen Einkunftsarten bei der Ermittlung des Höchstbetrages im Rahmen der hierfür maßgebenden Verhältnisrechnung zu einer anteiligen Kürzung der nach § 35 EStG tarifbegünstigten gewerblichen Einkünfte führe.

35
In diesem zweiten Absatz der Gesetzesbegründung bleibt unklar, welche Verhältnisrechnung der Gesetzgeber im Rahmen des vertikalen Verlustausgleichs gemeint hat. Möglicherweise hatte er beabsichtigt, die ursprüngliche Verwaltungsregelung aus den beiden aufgehobenen BMF-Schreiben aus 2002 und 2007 wieder aufleben zu lassen (so z.B. Dr. Korezkij, Der neue § 35 Abs. 1 S. 2 EStG in DStR 2008, 491 m.w.N).

36
Der mutmaßliche gesetzgeberische Wille beinhaltet demnach sowohl einen horizontalen als auch einen vertikalen Verlustausgleich, der sich jedoch mit dem Wortlaut des Gesetzes zumindest nicht in vollem Umfang vereinbaren lässt.

37
a) Anders als das Gewerbesteuerrecht kennt das Einkommensteuerrecht nur in Ausnahmefällen eine quellen- bzw. betriebsorientierte Sichtweise. Denn das Einkommensteuergesetz unterscheidet in § 2 Abs. 1 EStG lediglich die verschiedenen Einkunftsarten, nicht jedoch die Einkunftsquellen. Eine quellenbezogene Betrachtungsweise kennt das Einkommensteuerrecht nur in Ausnahmefällen, wie z.B. bei der Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht oder quellenbezogener Verlustverrechnungsverbote. In diesen Einzelfällen kann die quellenbezogene Sichtweise auch sachgerecht sein. Demgegenüber erscheint die quellenbezogene Sichtweise im Rahmen von § 35 EStG keineswegs zwingend, sondern stellt einen Verstoß gegen das einkommensteuerrechtliche Grundprinzip der einkunftsorientierten Betrachtungsweise dar. Hechtner geht in seinem Beitrag sogar soweit, dass er eine solche quellenorientierte Betrachtungsweise als willkürlich und von fiskalpolitischen Zielen geleitet bewertet (vgl. Hechtner in Kritische Anmerkungen zum BMF-Schreiben (…), BB 2009, 1556).

38
b) Der Begriff der „Summe aller positiven Einkünfte“ ist im Einkommensteuerrecht kein Neuer. Bereits in § 2 Abs. 3 S. 2 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 verwendete der Gesetzgeber diesen Begriff. Auch dort wurde dies dahingehend verstanden, dass die Summe aller Einkünfte mit positivem Gesamtergebnis gemeint war (vgl. Seeger in Schmidt EStG § 2 Rz. 62). Alleine durch die Ergänzung in § 35 EStG des Begriffs „aller“ kommt es zu keiner anderen Begrifflichkeit (so auch Hechtner in Kritische Anmerkungen zum BMF-Schreiben (…) BB 2009, 1556), gemeint ist die positive Summe aller gewerblichen Einkünfte.

39
3) Aus den genannten Gründen ist, entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, die in dem aktuellen BMF-Schreiben vom 24. Februar 2009 IV C 6 – S 2296 – a/08/10002, BStBl. I S. 44 dargestellt ist, dem gesetzgeberischen Willen folgend, bei der Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrages ein horizontaler Verlustausgleich sowohl bei der Ermittlung der „Summe aller positiven Einkünfte“ als auch bei der „Summe der positiven gewerblichen Einkünfte“ vorzunehmen.

40
Der Auffassung von Hechtner in Kritische Anmerkungen zum BMF-Schreiben BB 2009, 1556, nach der ein horizontaler Verlustausgleich für die Ermittlung der „Summe aller positiven gewerblichen Einkünfte“ nicht in Betracht kommt, ist nicht nachvollziehbar. Obwohl er zuvor, wie bereits dargestellt eine quellenbezogene Betrachtungsweise abgelehnt hat, wendet er sie nun doch wieder an. Hier ist jedoch einheitlich zu verfahren. Bei der Bildung eines Quotienten kann die Ermittlung des Zählers nicht anderen Grundsätzen folgen, als der des Nenners. Wird die einkunftsorientierte Betrachtungsweise, der das Gericht folgt, gewählt, ist diese insgesamt anzuwenden (vgl. Blaufuß/Hechtner in Die Gewerbesteuerkompensation BB 2008,80).

41
4) Ein vertikaler Verlustausgleich zwischen den verschiedenen Einkunftsarten zur Ermittlung „der Summe aller positiven Einkünfte“, wie ihn der Kläger fordert, kommt aufgrund des entgegenstehenden Wortlauts der Vorschrift nicht in Betracht (im Ergebnis so auch Wacker in Schmidt EStG § 35 Rz. 12).

 

42
Der Ermäßigungshöchstbetrag errechnet sich daher wie folgt:

 

43
Vorspalte Betrag Pos. Eink.
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
aus Beteiligungen
mit positiven Ergebnis  95.078 €
mit negativen Ergebnis -63.456 €  31.622 € 31.622
Einkünfte aus selbständiger Arbeit  9.189 €  9.189
Einkünfte aus Kapitalvermögen  1.989 €  1.989
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
aus bebauten Grundstücken
Objekt 1 Ferienwohnung  4.537 €
Objekt 2 Ferienwohnung  2.585 €
Objekt 3 ETW  2.688 €
Objekt 4 Bürogebäude  -2.457 €
aus Beteiligungen
Nr. 1 A-GbR) -23.667 €
Nr. 2 B-GbR)  3.255 €  -13.059 €
Sonstige Einkünfte  4.656 €  4.656
Summe der Einkünfte  34.397 €  47.456
Ab Altersentlastungsbetrag  – 1.900 €
Gesamtbetrag der Einkünfte  32.497 €
gezahlte Kirchensteuer  -29 €
Geleistete Zuwendungen § 10b EStG  -477 €
Vorsorgeaufwendungen  -5.069 €
Einkommen / zu versteuernden Einkommen  26.922 €
Einkommensteuer nach Grundtarif  4.745 €
Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte  -3.161 €
Steuerermäßigung nach § 34g Nr. 1 EStG  -31 €
festzusetzende Einkommensteuer 2009  1.553 €
Nachrichtlich
Summe der positiven gewerblichen Einkünfte  31.622 €
Summe aller positiven Einkünfte  47.456 €
Quotient i. S. d. § 35 Abs. 1 Satz 2 EStG  0,66634
Tarifliche Einkommensteuer  4.745
Steuerermäßigung für gewerbliche Einkünfte  3.161
 

44
Da die bisher berücksichtigte Steuermäßigung gemäß § 35 EStG in Höhe von 3.639 € höher ist als der vom Gericht ermittelte Betrag von 3.161 €, bleibt es bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung; eine verbösernde Entscheidung ist ausgeschlossen.

45
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

46
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Zahlungen von Pflichtbeiträgen einer Selbstständigen zur gesetzlichen Rentenversicherung

Grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Zahlungen von Pflichtbeiträgen einer Selbstständigen zur gesetzlichen Rentenversicherung im Streitjahr 2005 (zweiter Rechtsgang)

Die fehlende Kenntnis von der Versicherungspflicht der vom Steuerpflichtigen ausgeübten Tätigkeit und den entsprechenden Zahlungen der Pflichtbeiträge sowie fehlende Angaben hierzu im Erklärungsvordruck schließen ein grobes Verschulden des steuerlichen Beraters aus.

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 24.07.2013, 9 K 29/12

§ 173 Abs 1 Nr 2 AO

Tatbestand

 

1
Streitig ist die Änderung eines Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO).

2
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2005 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In diesem Jahr war der Kläger als Diplom-Kaufmann im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nichtselbständig tätig. Die Klägerin ist Diplom-Ingenieurin und erzielte 2005 mit dem Handel von Kinderutensilien und als Reitlehrerin gewerbliche Einkünfte.

3
In ihrer Einkommensteuer-Erklärung 2005, bei deren Anfertigung ein Steuerberater mitgewirkt hatte, machten die Kläger Angaben zu den Altersvorsorgeaufwendungen. In dem amtlichen Formular wurde nach Beiträgen zu den gesetzlichen Rentenversicherungen (Arbeitnehmeranteil) gefragt. Ferner waren Beiträge zu freiwilligen Versicherungen oder Höherversicherungen in den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie der Arbeitgeberanteil zu gesetzlichen Rentenversicherungen einzutragen.

4
Die Kläger gaben den vom Kläger geleisteten Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Rentenversicherung mit 6.085 € und den hierzu geleisteten Arbeitgeberanteil mit 6.084 € an. Für die Klägerin wurden keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erklärt.

5
Der Einkommensteuer-Bescheid für 2005 vom 4. Dezember 2006 erging erklärungsgemäß. In dem Bescheid wurden Altersvorsorgeaufwendungen in Höhe von 1.218 € berücksichtigt. Der Bescheid wurde von den Klägern nicht angefochten.

6
Mit Schreiben vom 10. September 2008 beantragten die durch ihren Steuerberater vertretenen Kläger u.a., den Einkommensteuer-Bescheid 2005 nach § 173 AO zu ändern und die von der Klägerin als Selbständige geleisteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen. Erst im Rahmen des Einspruchsverfahrens betreffend den Einkommensteuer-Bescheid 2007 sei festgestellt worden, dass die Klägerin in 2005 solche Beiträge entrichtet habe. Die Kläger treffe kein grobes Verschulden, da ihnen nicht bekannt gewesen sei, dass infolge der Neuregelung der steuerlichen Berücksichtigung der Vorsorgeaufwendungen durch das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) im Streitjahr Altersvorsorgeaufwendungen im größeren Umfang abziehbar seien als im Vorjahr. Dem Antrag beigefügt war eine Bescheinigung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 3. Februar 2006. Danach hatte die Klägerin im Jahr 2005 als selbständig Tätige Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung von insgesamt 759,20 € geleistet. Die Bescheinigung enthält keine Ausführungen zur steuerlichen Abziehbarkeit der Zahlungen als Altersvorsorgeaufwendungen.

7
Diesen Änderungsantrag lehnte der Beklagte ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies er mit der Begründung zurück, die Kläger träfe an dem nachträglichen Bekanntwerden der von der Klägerin geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen ein grobes Verschulden. Sie müssten sich das Verschulden ihres Beraters zurechnen lassen. Dieser sei gehalten gewesen, seine Mandanten auf die gesetzlichen Neuregelungen im AltEinkG hinzuweisen. Auch hätten die Kläger ggf. ihren Steuerberater nach den Auswirkungen der gesetzlichen Neuregelung in ihrem speziellen Fall befragen können.

8
Der 12. Senat des Niedersächsischen FG wies die u.a. für das Streitjahr 2005 erhobene Klage mit Urteil vom 26. August 2009 (12 K 460/08) ab. Den Klägern hätte sich aufdrängen müssen, dass auch Pflichtbeiträge der Selbständigen zur gesetzlichen Rentenversicherung als Vorsorgeaufwendungen steuerlich relevant seien. Zwar könne infolge der Fassung des Erklärungsformulars, das im Einzelnen Altersvorsorgebeiträge, nicht aber Pflichtbeiträge Selbständiger zur gesetzlichen Rentenversicherung abfrage, der Eindruck entstehen, solche Beiträge seien steuerlich nicht relevant und daher nicht anzugeben. Aufgrund der insgesamt in der Steuererklärung geforderten Daten sei aber ohne Weiteres zu schließen, dass solche Pflichtbeiträge steuerbegünstigt seien oder zumindest sein könnten. Den Klägern sei die steuerliche Bedeutung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und allgemein zur Altersvorsorge bekannt gewesen.

9
Mit ihrer Revision machten die Kläger weiterhin geltend, der Einkommensteuer-Bescheid 2005 sei nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Die gegenteilige Auffassung des FG stehe im Widerspruch zu den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. Juni 1984 VI R 181/80 (BFHE 141, 232, BStBl II 1984, 693) und vom 22. Mai 1992 VI R 17/91 (BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80). Den Klägern könne nicht vorgeworfen werden, eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nicht beantwortet zu haben. Da nach den Pflichtbeiträgen selbständiger Personen zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht gefragt worden sei, sei für die Kläger nicht erkennbar gewesen, dass solche hätten angegeben werden können. Nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seien solche Pflichtbeiträge nur in Ausnahmefällen zu leisten.

10
Der BFH folgte im Urteil vom 9. November 2011 (X R 53/09, BFH/NV 2012, 545) im Grundsatz der Argumentation der Kläger und hob das angefochtene FG-Urteil auf. Das Unterlassen von Angaben zu einem im Erklärungsvordruck nicht vorgesehenen Punkt spreche dem ersten Eindruck nach gegen das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit. Dies gelte erst recht, wenn der Erklärungsvordruck den Eindruck erwecke, diese Angaben seien steuerlich nicht relevant. Grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei dann nicht gegeben, wenn die Abgabe einer unvollständigen Steuererklärung allein auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum beruhe. Allerdings müsse auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlten, im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gelte jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig seien. Auch müsse der Steuerpflichtige sich ihm aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen. Beauftrage ein Steuerpflichtiger zur Erstellung einer Steuererklärung einen Steuerberater, dann handele er regelmäßig grob fahrlässig, wenn er diesem Unterlagen vorenthalte, die steuerlich relevant sein könnten.

11
Klarstellend wies der BFH darauf hin, dass es nicht von entscheidender Bedeutung sei, dass die Klägerin ihren Ehemann nicht über die geleisteten Zahlungen informiert habe. Sofern sich für sie aufgedrängt haben sollte, dass die in Frage stehenden Beiträge abziehbar sein könnten, wäre das bei ihr vorliegende grobe Verschulden im Rahmen der Zusammenveranlagung auch ihrem Ehemann zuzurechnen.

12
Der BFH verwies die Sache im vorgenannten Urteil an das Niedersächsische FG zurück.

13
Sofern das FG im 2. Rechtsgang Tatsachen feststellen sollte, aus denen zu schließen sei, dass für die Kläger die steuerliche Relevanz der zu beurteilenden Beiträge erkennbar war, wäre ein etwaiger Irrtum, diese Beiträge seien im konkreten Fall steuerlich ohne Auswirkung, unbeachtlich.

14
Für den 2. Rechtsgang gab der BFH dem Niedersächsischen FG auf zu prüfen, ob den steuerlichen Berater der Kläger ein grobes Verschulden trifft. Der vom Steuerpflichtigen beauftragte steuerliche Berater müsse sich ebenso wie der Steuerpflichtige um eine sachgerechte und gewissenhafte Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflicht bemühen. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht sei den Klägern wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Zudem sei zu prüfen, ob das nachträgliche Bekanntwerden der von der Klägerin geleisteten Rentenversicherungsbeiträge auf einer Verletzung der Pflicht des Steuerberaters beruhe, die Kläger über die gesetzlichen Neuregelungen des AltEinkG zu informieren. Auch werde das FG untersuchen müssen, ob sich aufgrund der konkreten Einzelfallumstände dem steuerlichen Berater habe aufdrängen müssen, die Klägerin könnte als Selbstständige gesetzlich rentenversicherungspflichtig gewesen sein und im Jahr 2005 entsprechende Aufwendungen getragen haben.

15
Im 2. Rechtsgang ist nach dem gültigen Geschäftsverteilungsplan der 9. Senat des Niedersächsischen FG für das Verfahren zuständig geworden.

16
Auf Anfrage des Berichterstatters hat der Prozessvertreter der Kläger mitgeteilt, dass bei der Übergabe der Steuerunterlagen durch den Kläger die Verbesserung der Abzugsfähigkeit von Beiträgen zu gesetzlichen Rentenversicherungen erörtert worden sei. Aus Unwissenheit habe der Kläger die Frage nach der Entrichtung weitere Rentenversicherungsbeiträge verneint. Die Vorsorgeaufwendungen seien anhand des Erklärungsvordrucks abgearbeitet worden. Dort seien die streitbefangenen Beiträge aber nicht genannt worden, sodass dem steuerlichen Berater kein grobes Verschulden an der Nichtberücksichtigung angelastet werden könne. Dies gelte auch für die Kläger selbst. Der Klägerin habe sich auch nicht aufdrängen müssen, dass ihre Beiträge als Vorsorgeaufwendungen absetzbar seien. Ein Verschulden könne sich auch nicht aus dem Umstand ergeben, dass die Klägerin dem Kläger nicht alle Kontoauszüge zu den Steuerunterlagen übergeben habe. Dies sei unüblich, da der Steuerberater im Rahmen der Erstellung der Steuererklärung nicht jede einzelne Buchung auf dem Girokonto im Hinblick auf die steuerliche Relevanz überprüfen müsse. Mangels Vorlage der Kontoauszüge habe der steuerliche Berater den Umstand der Zahlungen der Beiträge nicht erkennen können. Da die im Streitjahr begonnene Tätigkeit nicht zu den durch Gesetz als rentenversicherungspflichtig eingestuften Tätigkeiten gehöre, habe sich für den steuerlichen Berater auch nicht aufdrängen müssen, dass die Kläger Beiträge entrichtet habe. In das Verfahren über den Existenzgründerzuschuss für die neuaufgenommene Tätigkeit der Klägerin im Rahmen einer Ich-AG sei der Steuerberater nicht eingebunden gewesen.

17
Die Kläger beantragen,

18
unter Aufhebung des Bescheids vom 19. September 2008 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 3. November 2008 den Bescheid über Einkommensteuer für 2005 vom 4. Dezember 2006 zu ändern und die Steuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn weitere Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 760 € für 2005 berücksichtigt werden.

19
Der Beklagte beantragt,

20
die Klage abzuweisen.

21
Der Beklagte hält weiterhin daran fest, dass die begehrte Änderung des Einkommensbescheides 2005 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen groben Verschuldens am nachträglichen Bekanntenwerden der neuen Tatsache – Zahlungen der Beiträge an die Deutsche Rentenversicherung durch die Klägerin – nicht in Betracht komme.

22
Für die Klägerin habe sich im Hinblick auf den Zusammenhang mit ihrem Betrieb und der Höhe der Aufwendungen aufdrängen müssen, dass ihre gezahlten Beiträge steuerlich absetzbar sein könnten. Die fehlende Übergabe entsprechender Kontoauszüge zu den Zahlungen sei ihr daher vorzuwerfen. Dieses grob fahrlässige Verhalten sei auch dem Kläger als Ehemann zuzurechnen. Soweit der Steuerberater die Kläger über die Abzugsfähigkeit solcher Beiträge informiert habe, hätten die Kläger grob fahrlässig gehandelt, wenn sie ihm entsprechende Unterlagen darüber vorenthalten hätten. Im Falle des Unterlassens eines solches Hinweises hätte der steuerliche Berater grob fahrlässig gehandelt, weil dieser verpflichtet gewesen sei, seine Mandanten auf die steuerlichen Behandlung von Zuschüssen der Bundesagentur zur Ich-AG hinzuweisen.

Entscheidungsgründe

 

23
1. Die Klage ist begründet.

24
Zu Unrecht hat der Beklagte die steuerliche Berücksichtigung der nachträglich bekanntgewordenen Rentenversicherungsbeiträge der Klägerin in Höhe von 760 € im Rahmen einer Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO abgelehnt.

25
Da die Tatbestandsvoraussetzungen der Änderungsvorschrift vorliegend erfüllt sind, war der Beklagte verpflichtet, die begehrte Änderung des Einkommensteuerbescheides 2005 vorzunehmen.

26
a. Unstreitig ist, dass die von der Klägerin im Streitjahr getragenen Aufwendungen für ihre Pflichtbeiträge als Selbstständige zur gesetzlichen Rentenversicherung (§ 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) dem Beklagten bei Durchführung der ursprünglichen Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr nicht bekannt waren und daher Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben sind. Unstreitig ist auch, dass die Berücksichtigung dieser Aufwendungen eine Verminderung der Einkommensteuer-Schuld zur Folge hätte.

27
b. Entgegen der Auffassung des Beklagten treffen weder die Kläger noch den steuerlichen Vertreter ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Zahlungen der Rentenversicherungsbeiträge im Streitjahr 2005.

28
aa. Ein grobes Verschulden setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus. Letztere ist dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264; vom 23. Januar 2001 XI R 42/00, BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379, und vom 16. September 2004 IV R 62/02, BFHE 207, 369, BStBl II 2005, 75, jeweils m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung).

29
Ob ein Beteiligter in dem genannten Sinn grob fahrlässig gehandelt hat, ist im wesentlichen Tatfrage.

30
Wie der BFH im ersten Rechtsgang bereits festgestellt hat, reicht zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus, dass sich den Klägern in der Gesamtschau der anzugebenden Daten trotz fehlendem Hinweis auf dem Steuererklärungsvordruck die steuerliche Relevanz der von der Klägerin geleisteten Pflichtbeiträge habe aufdrängen müssen.

31
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass grobes Verschulden i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dann nicht gegeben ist, wenn die Abgabe einer unvollständigen Steuererklärung allein auf einem subjektiv entschuldbaren Rechtsirrtum beruht (Urteile vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BFHE 157, 488, BStBl II 1989, 960; vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65; in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80; in BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264, und in BFHE 194, 9, BStBl II 2001, 379). Allerdings muss auch ein Steuerpflichtiger, dem einschlägige steuerrechtliche Kenntnisse fehlen, im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen beantworten und dem Steuererklärungsformular beigefügte Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen und beachten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn solche Fragen und Hinweise ausreichend verständlich sowie klar und eindeutig sind (BFH-Urteil vom 20 März 2013, VI R 9/12, juris). Auch muss der Steuerpflichtige sich ihm aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen (BFH-Urteil in BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80).

32
bb. Im Streitfall wurde im Steuererklärungsformular 2005 getrennt für einzelne Fallgruppen nach den im Jahr 2005 geleisteten Altersvorsorgebeiträgen gefragt. Nicht gefragt wurde jedoch nach von Selbstständigen geleisteten Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Demgemäß blieb im Streitfall nicht eine ausdrücklich gestellte Frage unbeantwortet. Das Unterlassen von Angaben zu einem im Erklärungsvordruck nicht vorgesehenen Punkt spricht jedenfalls im Ausgangspunkt nach Auffassung des BFH gegen das Vorliegen von grobem Verschulden (BFH-Urteil in BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264 und Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 173 Rz 116). Erst recht gilt dies, wenn wie im Streitfall alle anderen Arten von Altersvorsorgebeiträgen im Einzelnen abgefragt werden, da hierdurch der Eindruck erweckt werden könnte, die im Formular nicht erwähnten anderen Altersvorsorgebeiträge seien steuerlich irrelevant. Es wurde zudem weder im ersten Rechtsgang vom FG festgestellt noch vom beklagten Finanzamt behauptet, dass das Merkblatt zur Steuererklärung 2005 Hinweise auf die hier in Frage stehenden Pflichtbeiträge Selbständiger enthalten habe, die die Kläger nicht berücksichtigt hätten.

33
Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, anzunehmen, die Kläger seien aufgrund ihrer individuellen beruflichen oder sonstigen Kenntnisse oder Erfahrungen ohne Weiteres in der Lage gewesen, die steuerliche Relevanz der in Frage stehenden Pflichtbeiträge zu erkennen. Allein die Kenntnis der Klägerin von der Beitragszahlung ist insoweit nicht ausreichend (BFH-Urteil vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545).

34
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ferner, dass die Klägerin nach der Schilderung in der mündlichen Verhandlung insoweit in einem Beratungsgespräch bei der Agentur für Arbeit die Information erhalten hat, der Existenzgründerzuschuss sei steuerfrei. Auch der Bescheid über die entrichteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung enthielt keinen Hinweis auf eine steuerliche Abzugsfähigkeit. Nach ihren individuellen Fähigkeiten und Steuerrechtskenntnissen konnte die Klägerin entgegen der Auffassung des Beklagten daher davon ausgehen, dass eine Unterrichtung des Steuerberaters über die Gründung einer Ich-AG, den Erhalt eines Existenzgründerzuschusses und die Entrichtung der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht erforderlich sei. Etwas anderes musste sich nach diesen Gesamtumständen für die Klägerin nicht aufdrängen.

35
Insoweit ist auch nicht entscheidend, dass die Klägerin ihren Ehemann nicht über die geleisteten Zahlungen informiert hat.

36
Entsprechende Belehrungen des Steuerberaters, z.B. in einem Mandantenrundschreiben oder im Rahmen einer persönlichen Beratung, konnte der Senat nicht feststellen. Hinweise über verbesserte Abzugsmöglichkeiten durch das AltEinkG beschränkten sich nach der glaubhaften Darstellung des Steuerberaters auf die im Steuererklärungsvordruck erwähnten Vorsorgeaufwendungen.

37
Mangels tatsächlicher Kenntnis bzw. Kennenmüssens von der Absetzbarkeit der streitbefangenen Rentenversicherungsbeiträge kann im Ergebnis den Klägern ein grobes Verschulden nicht angelastet werden. Das FG konnte zu Lasten der Kläger keine Umstände ermitteln, aus denen sich die Relevanz der Begleitumstände der gewerblichen Tätigkeit der Klägerin (Gründung einer Ich-AG, Erhalt eines Existenzgründerzuschusses und Entrichtung der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung) herleiten ließe mit der Folge, dass insoweit die Unterrichtung des steuerlichen Beraters ohne Verschulden unterblieb.

38
cc. Auch der steuerliche Berater hat vorliegend nicht grob fahrlässig gehandelt.

39
Der vom Steuerpflichtigen beauftragte steuerliche Berater muss sich ebenso wie der Steuerpflichtige um eine sachgerechte und gewissenhafte Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflicht bemühen. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht wäre den Klägern wie eigenes Verschulden zuzurechnen (BFH-Urteil in BFHE 151, 299, BStBl II 1988, 109).

40
Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass das nachträgliche Bekanntwerden der von der Klägerin geleisteten Rentenversicherungsbeiträge auf einer Verletzung der Pflicht des Steuerberaters beruht, die Kläger über die gesetzlichen Neuregelungen des AltEinkG zu informieren.

41
Nach der glaubhaften Schilderung des Steuerberaters hat er auf Grundlage des Erklärungsvordrucks und den übergebenen Unterlagen die Kläger über die verbesserte Absetzbarkeit der Rentenversicherungsbeiträge ab 2005 hingewiesen. Mangels Kenntnis von der Versicherungspflicht der Tätigkeit der Klägerin (i.d.R keine Versicherungspflicht bei Gewerbetreibenden), mangels Kenntnis von den Zahlungen der Beiträge und mangels Angaben hierzu im Erklärungsvordruck konnte der steuerliche Berater auch nicht erkennen, dass insoweit eine steuerliche Relevanz bei den Klägern besteht. Es bestand daher aus Sicht des Senats auch keine Verpflichtung, die Kläger über die theoretische Möglichkeit des Abzugs auch der streitbefangenen Rentenversicherungsbeiträge aufzuklären. Da nach den glaubhaften Angaben den Steuerberater keine Kenntnis von dem Erhalt eines Existenzgründerzuschusses von der Bundesagentur für Arbeit bestand und dieser im Übrigen steuerfrei ist, vermag der Senat auch hieraus keine Pflichtverletzung in Bezug auf eine unterlassene weitere Prüfung der steuerlichen Folgewirkungen im Hinblick auf eine Pflichtversicherung herzuleiten.

42
In der Gewinnermittlung der Klägerin für das Streitjahr fehlt nach den Feststellungen des Senats im Übrigen jeglicher Hinweis auf den erhaltenen Existenzgründerzuschuss bzw. die Gründung einer Ich-AG, sodass sich insoweit ein weitergehender Ermittlungsbedarf im Hinblick auf eine Versicherungspflicht und einer etwaigen Entrichtung von Pflichtbeiträgen zur Rentenversicherung für den Steuerberater auch nicht aufdrängen musste. Weitere konkrete Einzelfallumstände, aus denen sich für den Steuerberater eine Versicherungspflicht und eine Beitragsentrichtung der Klägerin hätten ergeben können, hat der Senat nicht feststellen können.

43
Insgesamt trifft damit auch den Steuerberater kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Zahlungen der Beiträge zu gesetzlichen Rentenversicherung.

44
Da nach alledem die Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 2005 vorliegen, war der Klage stattzugeben.

45
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Kosten des Revisionsverfahrens waren in die Kostengrundentscheidung aufzunehmen (vgl. Tenor des Urteils des BFH vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545). Die Kostentragung diesbezüglicher Kosten richtet sich dabei ebenfalls nach dem endgültigen Maß des Obsiegens und Unterliegens.

46
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

Aufteilung des Spekulationsgewinns

Aufteilung des Spekulationsgewinns gem. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs.1 Nr. 1 EStG aus der Veräußerung eines bebauten Grundstücks unter Berücksichtigung des BVerfG-Beschlusses vom 07.07.2010 (2 BvL 14/02 ,2 BvL 2/02 ,2 BvL 13/05)

1. Bei der Ermittlung des steuerbaren Anteils des Veräußerungsgewinns sind die Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen den Zeiträumen zuzurechnen, in denen sie tatsächlich in Anspruch genommen worden sind.

2. Die Werbungskosten sind in Anlehnung an das § 3 c Abs. 1 EStG zugrunde liegende Korrespondenzprinzip im Verhältnis des steuerpflichtigen Anteils des Veräußerungsgewinns zum Gesamtveräußerungsgewinn aufzuteilen.

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 21.08.2013, 9 K 252/11

§ 22 Nr 2 EStG, § 23 Abs 1 Nr 1 EStG, § 3c Abs 1 EStG

Tatbestand

 

1
Streitig ist die Höhe der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.

2
Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in S.. Er hatte dieses Grundstück mit Vertrag vom 20. Dezember 1996 erworben und mit Vertrag vom 05. April 2004 wieder veräußert. Die Anschaffungskosten betrugen 150.401,22 Euro. Der Veräußerungspreis betrug 150.000,00 Euro. Der Kläger erzielte seit Erwerb des Grundstückes hieraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Für das Objekt sind Sonderabschreibungen/Absetzungen für Abnutzungen (AfA) in Form der Höhe steuerlich berücksichtigt worden:

 

3
1996: 34.862,95 Euro
1997: 19.835,26 Euro
1998: 21.617,42 Euro
1999:  3.051,39 Euro
2000:  3.051,00 Euro
2001:  3.051,00 Euro
2002:  3.052,22 Euro
2003:  3.052,00 Euro
2004:  762,00 Euro
Summe Abschreibungen: 92.335,24 Euro
 

4
In der Anlage zur Einkommensteuererklärung 2004 ermittelten die Kläger zunächst einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 91.596,80 Euro, den sie wie folgt ermittelten:

 

5
Verkaufserlös/Kaufpreis 150.000,00 Euro
Anschaffungs-/(nachträgliche)Herstellungskosten 150.401,22 Euro
 -401,22 Euro
Sonderabschreibungen § 4 Fördergebietsgesetz  71.995,01 Euro
Lineare Abschreibung § 7 EStG 1997-2001  13.474,19 Euro
Lineare Abschreibung § 7 EStG 2001-2003  6104,00 Euro
Lineare Abschreibung § 7 EStG 2004  762,00 Euro
 91.934,58 Euro
Veräußerungskosten  -337,78 Euro
 91.596,80 Euro
 

6
Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf die Anlage zur Anlage SO Zeilen 30 – 40 der Einkommensteuererklärung 2004 Bezug genommen.

7
Die Kläger waren der Auffassung, dass der Gewinn aus der Veräußerung des Grundstückes in S. nicht unter die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in Verbindung mit § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG falle, weil zum Zeitpunkt der Veräußerung die vor 1999 geltende Spekulationsfrist von 2 Jahren bereits abgelaufen gewesen sei.

8
Das Finanzamt (FA) legte gleichwohl den Veräußerungsgewinn in Höhe von 91.596,00 Euro der Besteuerung zugrunde. Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 22. Mai 2006 legten die Kläger Einspruch ein, zu deren Begründung sie sich auf den Ablauf der – nach altem Recht geltenden – zweijährigen Spekulationsfrist zum Zeitpunkt der Veräußerung des Grundstücks beriefen. Aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 07. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (BStBl. II 2011, 76) beantragten die Kläger nunmehr die Aufteilung des Gewinns aus dem privaten Veräußerungsgeschäft nach den tatsächlichen Wertverhältnissen gemäß BMF-Erlass vom 20. Dezember 2010 IV C 1-S 2256/07/10001:006 (BStBl. I 2001,14). Der fiktive Wertansatz in Gestalt der gesamten Abschreibungen sei entsprechend der Vornahme dieser Abschreibungen zu verteilen. Ein tatsächlicher Wertzuwachs habe sich nicht ergeben, ohne Berücksichtigung der Abschreibungen sei ein Verlust von 739,00 Euro entstanden. Der fiktive Wertzuwachs in Gestalt der vorgenommenen Abschreibungen sei zeitlich den Zeiträumen zuzuordnen, in denen sie tatsächlich bei der Ermittlung der Einkünfte abgezogen worden seien. Sie ermittelten einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn in Höhe von 14.753,55 Euro. Wegen der Berechnungen im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 14. März 2011 Bezug genommen.

9
Das FA forderte die Kläger daraufhin auf, den tatsächlichen höheren Wertzuwachs für den Zeitraum zwischen Anschaffung des Grundstückes und dem Zeitpunkt der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002 nachzuweisen. Die Kläger führten hierzu aus, durch die Veräußerung des Grundstückes habe sich tatsächlich ein Verlust in Höhe von 739,00 Euro (ohne Berücksichtigung der Abschreibungen) ergeben. Steuerpflichtig sei ein fiktiver Wertzuwachs, der darauf zurückzuführen sei, dass der Gesetzgeber vorgenommene Sonderabschreibungen und Normal-Abschreibungen über die spezielle Definition des Begriffes der Anschaffungskosten rückgängig mache. Die zu dem Veräußerungsgewinn führenden Abschreibungen seien zeitlich genau zuzuordnen, sodass bestimmt werden könne, in welchen Zeiträumen die fiktive Werterhöhung entstanden sei.

10
Mit Einspruchsbescheid vom … 2011 setzte das FA die Einkommensteuer 2004 von 56.354,00 Euro auf 43.238,00 Euro herab. Das FA ermittelte die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach der Vereinfachungsregelung des BMF-Schreibens vom 20. Dezember 2010 (a.a.O.) Ziffer II 1 in Höhe von 62.451,00 Euro.

11
Es teilte den Veräußerungsgewinn von 91.596,00 Euro zeitanteilig den Besitzzeiten 20. Dezember 1996 bis 30. März 1999 und 31. März 1999 (Zeitpunkt der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002) bis 05. April 2004 auf. Die Gesamtbesitzzeit betrage aufgerundet 88 Monate. Auf den Zeitraum 31. März 1999 bis 05. April 2004 entfielen 60 Monate (abgerundet). Es ergebe sich daher aus den gesamten Wertzuwachs von 91.596,00 Euro ein zu berücksichtigender steuerpflichtiger Anteil von 66/88 = 62.451,00 Euro. Eine Zuordnung der tatsächlichen in Anspruch genommenen AfA zu den jeweiligen Besitzzeiträumen sei nicht vorzunehmen.

12
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung verweisen die Kläger auf ihr bisheriges Vorbringen und tragen ergänzend vor: Der aus dem Veräußerungsgeschäft vom 05. April 2004 entstandene Verlust in Höhe von 739,00 Euro errechne sich wie folgt:

 

13
Veräußerungspreis 150.000,00 Euro
./. Anschaffungskosten 150.401,22 Euro
./.  401,22 Euro
./. Veräußerungskosten  337,78 Euro
Veräußerungsverlust  739,00 Euro
 

14
Da bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns oder Verlustes aus Veräußerungsgeschäften sich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gemäß § 23 Abs. 3, 4 EStG um Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Abschreibungen und Sonderabschreibungen mindern, seien die Abschreibungen bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns wie Wertzuwächse zu berücksichtigen. Diese aufgrund der vorgenommenen Abschreibungen fiktiven Wertzuwächse ließen sich zeitlich zuordnen. Er ergebe sich ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn in Höhe von 14.753,55 Euro. Wegen der Berechnung wird auf die Aufteilung im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 26. September 2011 Bezug genommen. Die vom FA aufgrund des Verwaltungserlasses angewandte sog. Vereinfachungsregelung führe zu einem mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht zu vereinbarenden Ergebnis.

15
Die Kläger haben im Verlauf des Klageverfahrens Grundstücksmarktberichte für den Bereich des Katasteramts S. bzw. für den Regionalbereich X von 1999 und 2005 (betreffend die Werte 2004) vorgelegt. Danach habe sich der durchschnittliche Kaufpreis für freistehende Ein- und Zweifamilienhäuser zwischen 1999 und 2004 kaum verändert. In dem steuerlich relevanten Zeitraum vom 01. April 1999 bis 05. April 2004 hätten sich demnach in dem Bereich freistehender Einfamilienhäuser keine Wertschwankungen ergeben. Es könne davon ausgegangen werden, dass ein Gewinn aufgrund von Preisänderungen nicht entstanden sei.

16
Zum 31. März 1999 könne daher von einem Wert des veräußerten Einfamilienhauses in Höhe von 150.000,00 Euro ausgegangen werden.

17
Die Kläger beantragen,

18
den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 22. Mai 2006 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 25. August 2011 dahin zu ändern, dass bei den sonstigen Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften des Klägers ein steuerpflichtiger Gewinn in Höhe von 14.753,55 Euro berücksichtigt wird und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.

19
Der Beklagte beantragt,

20
die Klage abzuweisen.

21
Er verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid und trägt ergänzend vor: Aus dem Gesetzeswortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG ergebe sich kein Hinweis auf eine Zuordnung der in Anspruch genommenen Absetzungen und Sonderabschreibungen zu den Zeiträumen, in denen sie tatsächlich gewährt wurden und sich steuerlich ausgewirkt haben. Die Berücksichtigung der fraglichen AfA im Wege „pro rata temporis“ stelle sich somit als eine zulässige Gesetzesinterpretation dar.

22
Der nach dem Beschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010 gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG steuerbare Wertzuwachs werde von der Finanzverwaltung in typisierender Weise linear (monatsweise) ermittelt. Die Aufteilung nach dem Verhältnis der Besitzzeiten mit der Möglichkeit eine andere Aufteilung des Wertzuwachses nachzuweisen, stelle eine praxistaugliche Möglichkeit dar, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Die Berücksichtigung der AfA „pro rata temporis“ sei als Bestandteil der Vereinfachungsregelung zu sehen. Bei der Aufteilung sei auch Sinn und Zweck der Regelung zu beleuchten: Die Norm bezwecke einer Analogie zum „Restbuchwert“ wie er bei den Gewinneinkünften beim Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu Rate gezogen werde. Da Gebäude regelmäßig einem gleichmäßigen Wertverzehr unterlägen, sei es konsequent, die Aufteilung der in Anspruch genommenen AfA-Beträge auch gleichmäßig, also linear, auf die Besitzzeit zu verteilen. Dies verdeutliche folgende Überlegung: Wenn keine Aufteilung der Besitzzeit erforderlich gewesen wäre, dann würden die vom Steuerpflichtigen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung vorgenommenen erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen über § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG bei der Gewinnermittlung berücksichtigt. Blieben jedoch im Rahmen der Aufteilung gerade die an sich schon nicht dem realen Werteverzehr entsprechenden erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen außen vor, liefe dies auf eine so nicht vom Gesetzgeber intendierte Doppelbegünstigung hinaus. Im Übrigen habe der BFH insoweit stets betont, dass die Sonderabschreibungen nur die steuerrechtlichen Wirkungen der AfA nach vorn mit dem Charakter einer Steuerstundung zögen, um dem Steuerpflichtigen einen Anreiz zu Investitionen im Sinne des § 3 Fördergebietsgesetz zu geben. Dieser Vorteil werde in späteren Zeiträumen dadurch ausgeglichen, dass der Steuerpflichtige in der sich an den Begünstigungszeitraum anschließenden Ausgleichsphase nach § 7 a Abs. 9 EStG oder der Sonderregelung des § 4 Abs. 3 Fördergebietsgesetz nur noch geminderte AfA geltend machen könne. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei es sachgerecht, bei der Berechnungsmethode die AfA „pro rata temporis“ anzusetzen.

23
Das FA erklärt sich, ebenso wie die Kläger, mit einem anzusetzenden Wert des veräußerten Einfamilienhauses zum 31. März 1999 in Höhe von 150.000,00 Euro einverstanden. Der steuerliche Wertzuwachs ergebe sich danach ausschließlich aus der Korrektur der AfA. Die Inanspruchnahme der Absetzungen für Abnutzungen, erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen habe keinen Einfluss auf den tatsächlichen Wert sowie die Wertentwicklung des Grundstücks. Die Absetzungen für Abnutzungen, erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen seien bei der Ermittlung des steuerbaren Anteils des Veräußerungsgewinns in allen Fällen stets zeitanteilig anzusetzen.

24
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten eine tatsächliche Verständigung über den Wert des streitigen Grundstücks in S. zum 31.März 1999 in Höhe von 150.000 Euro getroffen.

Entscheidungsgründe

 

25
Die Klage ist zum überwiegenden Teil begründet.

26
Der Einkommensteuerbescheid 2004 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO-).Der steuerpflichtige Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften ist vom Finanzamt fehlerhaft ermittelt worden.

27
1. Unstreitig liegt im Streitfalle ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft im Sinne der i.F.d. §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor.

28
Der Kläger hat das mit dem Einfamilienhaus bebaute Grundstück in S. im Dezember 1996 erworben und mit Vertrag vom 05. April 2004 innerhalb der 10-jährigen Spekulationsfrist wieder veräußert.

29
a) Nach der Entscheidung des BVerfG vom 07. Juli 2010 2 BvL14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 (a.a.O.) ist die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist von 2 auf 10 Jahre wegen des Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes insoweit verfassungswidrig und daher nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können, weil die alte Spekulationsfrist bereits abgelaufen war. Insoweit war bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist nachträglich entwertet wird.

30
Aufgrund dieser Rechtsprechung gehen daher die Beteiligten zutreffend davon aus, dass eine Aufteilung des Veräußerungsgewinns aus der Veräußerung des Einfamilienhauses in S. in einen Anteil für den bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (31.März 1999) entstandenen nicht steuerbaren Wertzuwachs und in einem Anteil für den nach Verkündung dieses Gesetzes entstandenen steuerbaren Wertzuwachs vorzunehmen ist.

31
b) Nach § 23 Abs. 3 EStG ist Gewinn oder Verlust aus Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 EStG der Unterschied zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits. Nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG mindern sich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten um Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen, soweit sie bei der Ermittlung der Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr.4 – 7 EStG abgezogen worden sind.

32
aa) Das Finanzamt hat seiner Berechnung des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns das BMF-Schreiben vom 20.12.2010 (Tz.II.1) zugrunde gelegt. Dieses sieht vor, dass der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 im Vergleich zur Gesamtbesitzzeit linear (monatsweise) zu ermitteln ist. Die Finanzverwaltung räumt dem Steuerpflichtigen aber im Rahmen einer Escape-Klausel die Möglichkeit ein, eine günstigere Aufteilung anhand der tatsächlichen Wertverhältnisse nachzuweisen (Tz.II.2). Danach könne ein höherer Wertzuwachs für den Zeitraum zwischen Anschaffung und dem 31. März 1999 berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige ihn nachweise.

33
Bei bebauten Grundstücken sollen nach Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Bayrisches Landesamt für Steuern vom 20. April 2011 S 2256.1.1-4/8 St32, juris; Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 7. April 2011 S 2256-61-St 222, juris) die Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen sowie Sonderabschreibungen bei der Ermittlung des steuerbaren Anteils des Veräußerungsgewinns in allen Fällen, d.h. sowohl bei Anwendung der Vereinfachungsregelung (BMF-Schreiben vom 20.Dezember 2010 Tz.II.1.) als auch bei Anwendung der Escape-Klausel (Tz.II.2.) stets zeitanteilig anzusetzen sein.

34
bb) Der erkennende Senat vermag der Auffassung der Finanzverwaltung in den o.g. Erlassen nicht zu folgen.

35
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2010 hat nach Auffassung des Senats zur Folge, dass für die Ermittlung des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns nicht auf die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten abgestellt werden kann, sondern auf die Wertverhältnisse im Zeitpunkt der Verkündung des STEntlG 1999/2000/2002 am 31. März 1999 (vgl. Beschluss des Hessischen Finanzgerichts vo, 17. Februar 2012 1 V 2821/11, EFG 2012,1148).

36
(1) Im Streitfall haben die Beteiligten hinsichtlich des Wertes des streitigen Grundstücks zum 31. März 1999 eine tatsächliche Verständigung dahingehend getroffen, dass der Wert des Grundstücks mit 150.000 Euro anzusetzen ist. Der Senat hält diesen Wert für realistisch und angemessen, da anhand der von den Klägern vorgelegten Grundstücksmarktberichte für 1999 und 2004 im Zeitraum 1999 bis 2004 bei den durchschnittlichen Verkaufspreisen für freistehende Ein-/Zweifamilienhäuser keine Wertschwankungen zu verzeichnen waren. Aus diesem Grunde ist es vertretbar, davon auszugehen, dass keine Wertsteigerung in diesem Zeitraum stattgefunden hat, so dass das der Verkaufspreis, den die Kläger im Jahr 2004 erzielt haben, dem Wert des Grundstückes am 31. März 1999 entsprach.

37
(2) Der zeitanteiligen Zuordnung der Absetzungen für Abnutzung, erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen vermag der Senat nicht zu folgen. Sie widerspricht nach Auffassung des Senats der o.g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich nicht zu erfassen sind, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind oder nach der zuvor geltenden Rechtslage bis zur Verkündung des Gesetzes steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können. Zwar ist dem Finanzamt zuzugeben, dass die Inanspruchnahme der Absetzungen für Abnutzung, erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen keinen Einfluss auf den Wert eines Grundstücks hat. Nach Ansicht des Senats kann es aber nicht darauf ankommen, ob es sich um tatsächliche Steigerungen des Grundstückswerts handelt oder der Veräußerungsgewinn überwiegend dadurch entsteht, dass in der Vergangenheit Sonderabschreibungen in Anspruch genommen worden sind. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Steuerfreiheit der mit Ablauf der (alten) zweijährigen Spekulationsfrist geschützten Vermögensposition ist in diesem Fall ebenso schützenswert wie bei tatsächlichen Wertsteigerungen des Grundstücks (vgl. Urteil des FG Münster vom 21.Juni 2013 4 K 1918/11 E; juris). Die zeitanteilige Zuordnung der Abschreibungen wie sie vom Beklagten entsprechend der Regelung in Tz.II.1. des BMF-Schreibens vom 20.12.2010 (a.a.O.) vorgenommen wurde, hat aber zur Folge, dass in die Ermittlung des Veräußerungsgewinns etwas einbezogen wird, das bis zum 31. März 1999 nicht steuerbar hätte realisiert werden können. Bei einer Veräußerung des Grundstücks vor dem 31. März 1999 – nach Ablauf der alten zweijährigen Spekulationsfrist – hätte sich eine Minderung der Anschaffungskosten durch die bis dahin in Anspruch genommenen Abschreibungen für Abnutzung und Sonderabschreibungen steuerlich nicht ausgewirkt.

38
Die Absetzungen für Abnutzung, erhöhten Absetzungen und Sonderabschreibungen sind daher den Zeiträumen konkret zuzuordnen, in denen sie steuerlich berücksichtigt worden sind. Bei der Ermittlung des steuerbaren Veräußerungsgewinns im Streitfall, d.h. des Gewinns, der im Zeitraum 01. April 1999 bis 05. April 2004 entstanden ist, sind daher nur die in diesem Zeitraum steuerlich berücksichtigten Beträge für Absetzungen und Sonderabschreibungen von den Anschaffungskosten abzuziehen.

39
Als Kontrollüberlegung, dass diese Berechnungsmethode zutreffend sein muss, gilt Folgendes: Hätte der Kläger nach Ablauf der alten Spekulationsfrist von 2 Jahren das Grundstück am 30. März 1999 veräußert, so hätten die bis dahin gewährten Sonderabschreibungen und Absetzungen für Abnutzungen in Höhe von insgesamt 77.078,47 Euro gemäß § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG die Anschaffungskosten/Herstellungskosten gemindert, d.h. der entsprechende Veräußerungsgewinn wäre im Streitfall entsprechend erhöht – aber nicht steuerbar – gewesen. Da ab 31. März 1999 bis zum Verkauf des Grundstückes nur noch Absetzungen für Abnutzung in Höhe von insgesamt 15.256,77 Euro gewährt wurden und sich steuerlich im Rahmen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung ausgewirkt haben, wird deutlich, dass der weitaus höhere Anteil des nach der Vorschrift des § 23 Abs. 3 EStG ermittelten Veräußerungsgewinns für den Zeitraum 20. Dezember 1996 bis 30. März 1999 und damit in den nicht steuerbaren Bereich fällt.

40
(3) Die im Zusammenhang mit der Veräußerung des Grundstücks entstandenen Werbungskosten in Höhe von 337,78 Euro sind nach Auffassung des Senats ebenfalls nur anteilig zu berücksichtigen.

41
Die Finanzverwaltung vertritt in diesem Zusammenhang unterschiedliche Auffassungen. Nach dem BMF-Schrieben vom 20. Dezember 2010 (Tz.II.1.) bedarf es einer anteiligen Zuordnung der nach § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften abziehbaren Werbungskosten nicht. Das Bayerische Landesamt für Steuern hingegen sieht eine Zuordnung zeitanteilig der steuerbaren und der nicht steuerbaren Besitzzeit vor (Bayerisches Landesamt für Steuern S 2256.1.1-4/8 St32 vom 20.April 2011, juris).

42
Der erkennende Senat vermag beiden Auffassungen nicht zu folgen und hält eine Aufteilung der Werbungskosten im Verhältnis des steuerpflichtigen Anteil des Veräußerungsgewinns zum Gesamtveräußerungsgewinn (jeweils ohne Berücksichtigung der Werbungskosten) in Anlehnung an das § 3c Abs. 1 EStG zugrundeliegende Korrespondenzprinzip für zutreffend. Der Gesamtveräußerungsgewinn beträgt – wie die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung zutreffend ermittelt haben – ohne Werbungskosten 91.934,58 Euro, der anteilig auf den Zeitraum 31. März 1999 bis 5. April 2004 entfallende Veräußerungsgewinn beträgt 15.256,77 Euro (=16,6 % von 91.934,58 Euro). Danach ergeben sich abzugsfähige Werbungskosten in Höhe von 56,07 Euro (16,6 % von 337,78 Euro).

43
Der zu versteuernde Veräußerungsgewinn ist danach wie folgt zu ermitteln:

 

44
Veräußerungspreis 150.000,00 Euro
abzgl. Wert zum 31. März 1999 150.000,00 Euro
 0,00 Euro
abzgl. Veräußerungskosten  56,07 Euro
zzgl. AfA  15.256,77 Euro
Veräußerungsgewinn:  15.200,70 Euro
 

45
Der vom Beklagten angesetzte Veräußerungsgewinn ist somit um 47.250,30 Euro zu vermindern.

46
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs.1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO).

47
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs.3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 Zivilprozessordnung.

48
4. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen.

Voraussichtliche Sachbezugswerte im Jahr 2014 (Bundesrat)

Aufgrund der Anpassung an die Entwicklung der Verbraucherpreise werden die Sachbezugswerte für das Jahr 2014 voraussichtlich steigen. Der Bundesrat muss der aktuell als Entwurf vorliegenden Sechsten Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) noch zustimmen (BR-Drucks. 659/13). Die Werte des Entwurfs werden i.d.R. nicht mehr geändert.


Der Verbraucherpreisindex für Verpflegung ist im maßgeblichen Zeitraum von Juni 2012 bis Juni 2013 um 2,3%, derjenige für Unterkunft oder Mieten um 2,2% gestiegen. Auf dieser Grundlage wird in 2014

  • der Monatswert für die Verpflegung von 224 auf 229 €,
  • der Wert für verbilligte oder unentgeltliche Mahlzeiten für ein Mittag- oder Abendessen von 2,93 € auf 3 € und
  • der Wert für ein Frühstück von bisher 1,60 € auf 1,63 €

angehoben.

Der Wert für Unterkunft oder Mieten steigt 2014 von 216 auf 221 € monatlich, was bezogen auf den Quadratmeter 3,88 € monatlich (bisher 3,80 €) bzw. bei einfacher Ausstattung (ohne Sammelheizung oder ohne Bad oder Dusche) 3,17€ monatlich (bisher 3,10 €) ausmacht. Wenn der Tabellenwert nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre, kann der Wert der Unterkunft mit dem ortsüblichen Mietpreis bewertet werden (§ 2 Abs. 3 SvEV).

Quelle: Bundesrat online

Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln
Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0720-2946
Bundesrat Drucksache 659/13
27.08.13
AS – Fz
Verordnung
des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales
Sechste Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung
A. Problem und Ziel
Die Anpassung der Sachbezugswerte erfolgt jährlich durch eine Änderungsverordnung,
die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4
des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – mit Zustimmung des Bundesrates erlässt.
B. Lösung
Die Werte für die Sachbezüge werden für das Jahr 2014 auf Grundlage der
maßgebenden Verbraucherpreisentwicklung bis zum 30. Juni 2013 angepasst.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Es entstehen keine zusätzlichen Kosten.
2. Vollzugsaufwand
Es entsteht kein zusätzlicher Vollzugsaufwand.
E. Erfüllungsaufwand
Die Sachbezugswerte werden im Rahmen der jährlichen Anpassung der Werte in den
Abrechnungsprogrammen mit angepasst. Ein eigenständiger Aufwand ist daher nicht zu
berechnen.

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Es werden keine neuen Erfüllungsaufwände für Bürgerinnen und Bürger eingeführt,
vereinfacht oder abgeschafft.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Es werden keine neuen Erfüllungsaufwände für Unternehmen, eingeführt, vereinfacht
oder abgeschafft.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Es werden keine neuen Erfüllungsaufwände für die Verwaltung eingeführt, vereinfacht
oder abgeschafft.
F. Weitere Kosten
Die Wirtschaft, insbesondere mittelständische Unternehmen, wird nicht zusätzlich
belastet. Auswirkungen auf Einzelpreise, auf das Preisniveau, insbesondere auf das
Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

Bundesrat Drucksache 659/13
27.08.13
AS – Fz
Verordnung
des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales
Sechste Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung
Der Chef des Bundeskanzleramtes Berlin, den 26. August 2013
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Winfried Kretschmann
Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu
erlassende
Sechste Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung
mit Begründung und Vorblatt.
Ich bitte, die Zustimmung des Bundesrates aufgrund des Artikels 80 Absatz 2 des
Grundgesetzes herbeizuführen.
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1
NKRG ist als Anlage beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen
Ronald Pofalla

Sechste Verordnung zur Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung
Vom …
Auf Grund des § 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 in Verbindung mit Satz 2 des Vierten
Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -, dessen Satz 1 durch Artikel 1 Nummer 5 des Gesetzes vom 5. August 2010 (BGBl. S. 1127 )
geändert worden ist, verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales:
Artikel 1
Änderung der Sozialversicherungsentgeltverordnung
Die Sozialversicherungsentgeltverordnung vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I S.
3385), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 19. Dezember 2012 (BGBl. I S.
2714) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 2 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:
aa) In Satz 1 wird die Angabe „224“ durch die Angabe „229“ ersetzt.
bb) Satz 2 wird wie folgt geändert:
aaa) In Nummer 1 wird die Angabe „48“ durch die Angabe „49“ ersetzt.
bbb) In Nummer 2 und Nummer 3 wird jeweils die Angabe „88“ durch die
Angabe „90“ ersetzt.
b) In Absatz 3 Satz 1 wird die Angabe „216“ durch die Angabe „221“ ersetzt.
c) In Absatz 4 Satz 2 wird die Angabe „3,80“ durch die Angabe „3,88“ und die Angabe „3,10“ durch die Angabe „3,17“ ersetzt.
2. § 3 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 2 wird die Angabe „§ 8 Absatz 2 Satz 8“ durch die Angabe „§ 8 Absatz 2
Satz 10“ ersetzt.
b) In Satz 4 wird die Angabe „§ 8 Absatz 2 Satz 9“ durch die Angabe „§ 8 Absatz 2
Satz 11“ ersetzt.
Artikel 2
Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2014 in Kraft.
Der Bundesrat hat zugestimmt.

Begründung
A. Allgemeiner Teil
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat jährlich den Wert der Sachbezüge
nach dem tatsächlichen Verkehrswert im Voraus anzupassen und dabei eine möglichst
weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Es
ist daher für das kommende Jahr sachgerecht, die Anpassung der Sachbezugswerte auch
weiterhin an der Entwicklung der Verbraucherpreise für diese Leistungen zu orientieren.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1
Die Werte für Verpflegung und Unterkunft sind jährlich an die Entwicklung der Verbraucherpreise anzupassen. Der Verbraucherpreisindex für Verpflegung ist im maßgeblichen
Zeitraum von Juni 2012 bis Juni 2013 um 2,3 Prozent und für Unterkunft oder Mieten um
2,2 Prozent gestiegen.
Auf dieser Grundlage werden der Monatswert für die Verpflegung für 2014 im Rahmen
der jährlichen Anpassung von 224 auf 229 Euro und der Wert für Unterkunft oder Mieten
von 216 auf 221 Euro bzw. von 3,80 Euro je Quadratmeter auf 3,88 Euro je Quadratmeter
und bei einfacher Ausstattung von 3,10 Euro je Quadratmeter auf 3,17 Euro je Quadratmeter angehoben.
Zu Artikel 2
Die Verordnung tritt am 1. Januar 2014 in Kraft, damit die Neuregelungen ab dem ersten
Abrechnungsmonat des neuen Jahres Anwendung finden können.
C. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Es entstehen keine zusätzlichen Kosten oder Vollzugsaufwand.
D. Kosten für die Wirtschaft
Die Wirtschaft, insbesondere mittelständische Unternehmen, wird nicht zusätzlich belastet. Auswirkungen auf Einzelpreise, auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
E. Bürokratiekosten
Die Änderungen der Sozialversicherungsentgeltverordnung führen zu keinen Veränderungen der Bürokratiekosten für die Wirtschaft.
F. Gleichstellungspolitische Aspekte
Gleichstellungspolitische Aspekte sind nicht berührt.
G. Nachhaltigkeit
Die Anpassung der Verordnung steht im Einklang mit der Nachhaltigkeitsstrategie der
Bundesregierung. Die Anpassung an die Entwicklung der Verbraucherpreise fördert die
Zielsetzung finanzieller Nachhaltigkeit.

Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKRG
Entwurf einer sechsten Verordnung zur Änderung der
Sozialversicherungsentgeltverordnung (NKR-Nr. 2680)
Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des oben genannten
Regelungsvorhabens geprüft.
I. Zusammenfassung
Bürgerinnen und Bürger
Erfüllungsaufwand: Keine Änderung
Wirtschaft
Erfüllungsaufwand: Keine Änderung
Verwaltung
Erfüllungsaufwand: Keine Änderung
Der Nationale Normenkontrollrat hat im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags keine
Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.
II. Im Einzelnen
Aus dem Regelungsvorhaben wird sich für die Wirtschaft Umstellungsaufwand wegen der
erforderlichen Aktualisierung der Datenverarbeitungssoftware ergeben, die für die
Entgeltabrechnung genutzt wird. Die erforderlichen Umstellungen können im Rahmen der
zum Jahreswechsel routinemäßig vorzunehmenden Updates erfolgen, so dass von keinen
gesonderten Kosten auf Grund der Verordnung auszugehen ist.
Der Nationale Normenkontrollrat hat keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.
Dr. Ludewig Dr. Dückert
Vorsitzender Berichterstatterin

Umsatzsteuer bei Dienstwagen – Steuerfalle bei im Ausland wohnenden Mitarbeitern

Überlässt der Chef einem Mitarbeiter einen Dienstwagen zur privaten Nutzung, z. B. für Privatfahrten oder für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb, so gelten die umsatzsteuerlichen Regelungen zur Vermietung eines Beförderungsmittels. Dies hat zur Folge, dass die Überlassung des Dienstwagens umsatzsteuerlich dort erfasst wird, wo der Mitarbeiter wohnt. Das ist vor allem dann wichtig, wenn der Mitarbeiter im Ausland lebt. Denn damit muss sich der Unternehmer auch im Ausland registrieren lassen und dort die entsprechenden steuerlichen Pflichten erfüllen. Darauf weist der Bund der Steuerzahler hin.

Ein aktuelles Verwaltungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 12. September 2013 zeigt diese neue Umsatzsteuerfalle bei Dienstwagen auf. Betroffen sind Unternehmen, die im Ausland wohnende Mitarbeiter beschäftigen und diesen Mitarbeitern einen Dienstwagen zur Verfügung stellen. Unternehmer mit Mitarbeitern in Frankreich, Österreich und Co. sollten sich um das Thema kümmern, empfiehlt der Bund der Steuerzahler. Denn die neue Regelung gilt schon seit dem 30. Juni 2013.

Hintergrund ist eine Änderung im Umsatzsteuerrecht. Mit dem Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz wurde § 3a UStG an europäisches Recht angepasst. Damit wird die Vermietung von Beförderungsmitteln dort besteuert, wo der Nutzer wohnt. In einem Verwaltungsschreiben vom 12. September 2013 stellt das Bundesministerium der Finanzen klar, dass die neuen Regeln nicht nur für die Vermietung von Leihwagen oder Sportbooten gelten, sondern auch für den Dienstwagen eines Arbeitnehmers.

Quelle: BdSt, Pressemitteilung vom 13.09.2013

siehe auch Firmenwagen Rechner

EU-Kommission verlangt Steuersenkungen von Deutschland

Berlin: (hib/HLE) Die EU-Kommission hat die Bundesrepublik Deutschland wegen zu hoher Kosten für die Energiewende kritisiert. In dem von der Bundesregierung als Unterrichtung (17/14622) vorgelegten Bericht zur Umsetzung des Europäischen Semesters 2013 und der Europa 2020-Strategie unter besonderer Berücksichtigung länderspezifischer Empfehlungen heißt es in dem der Bundesrepublik gewidmeten Kapitel zur Umsetzung der Empfehlungen für 2012: „Greifbare Ergebnisse, die Kosten der Energiewende auf ein Minimum zu beschränken, stehen nach Auffassung der EU-Kommission noch aus.“

 

In den länderspezifischen Empfehlungen verlangt die Kommission auch für 2013 und 2014, dass Deutschland „die Koordinierung seiner Energiepolitik mit den Nachbarländern verbessert und die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Umbaus des Energiesystems so gering wie möglich hält, insbesondere durch weitere Überprüfung der Kosteneffizienz der energiepolitischen Instrumente zur Erreichung der Ziele bei den erneuerbaren Energien und durch Fortsetzung der Anstrengungen, den Ausbau der nationalen und grenzüberschreitenden Strom- und Gasnetze zu beschleunigen.“

Außerdem verlangt die Kommission wie schon für 2012 auch in den neuen Empfehlungen eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast. Empfohlen wird, dass Deutschland „Bedingungen für ein die Binnennachfrage stützendes Lohnwachstum aufrechterhält; zu diesem Zweck die hohe Steuer- und Abgabenbelastung, insbesondere für Geringverdiener, senkt und das Bildungsniveau benachteiligter Menschen anhebt“. Durch Steuer- und Abgabensenkungen könnten die Arbeitsanreize für Gering- und Zweitverdiener verbessert werden.

Insgesamt sieht die Kommission Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen durch Deutschland. Signifikante Fortschritte seien besonders bei der weiteren Verbesserung der Lage der öffentlichen Finanzen, bei der Regulierung des Finanzsektors sowie der Umsetzung der nationalen Ziele für Bildungs- und Forschungsausgaben gemacht worden.

Finanzen/Unterrichtung – 19.09.2013

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin