Warum Fußballschiedsrichter steuerrechtlich als Gewerbetreibende tätig sind

Warum Fußballschiedsrichter steuerrechtlich als Gewerbetreibende tätig sind

 

Wer aus einer Schiedsrichtertätigkeit Gewinne erzielt, muss diese als gewerbliche Einkünfte versteuern.

 

Hintergrund

A war im In- und Ausland als Fußballschiedsrichter tätig. Das Finanzamt wertete die Einkünfte als gewerblich und erließ entsprechende Gewerbesteuer-Messbescheide.

Mit seiner Klage hatte A Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass es an einer Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr fehlt. Ein Markt für Fußballschiedsrichter existiert nicht. Darüber hinaus entsprach die Tätigkeit nicht dem Bild einer unternehmerischen Marktteilnahme.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und wies die Klage ab. Seiner Ansicht nach handelte A nachhaltig und mit Gewinnerzielungsabsicht und war außerdem selbstständig tätig. Dafür sprach, dass er für seine Tätigkeit im Rahmen der vom jeweiligen Verband angesetzten Spiele vergütet wurde und das Vermögensrisiko für Ausfallzeiten trug. Einen Urlaubsanspruch hatte er nicht und musste seine Aufwendungen selbst tragen. A trug also das alleinige Gewinn- und Verlustrisiko aus seiner Schiedsrichtertätigkeit.

Entscheidend war, ob die Tätigkeit ihrer Art und ihrem Umfang nach dem Bild einer unternehmerischen Marktteilnahme entsprach. Für die Beteiligung des A am allgemeinen Leistungsaustausch und das Überschreiten des Rahmens einer nichtunternehmerischen Betätigung sprachen die Anzahl der im Inland geleiteten Spiele und die durch sie erzielten Einnahmen. Gegenüber der Allgemeinheit trat die Tätigkeit als Schiedsrichter dadurch äußerlich in Erscheinung, dass sie für viele Personen (Spieler, Zuschauer) sichtbar wurde.

Ein Unternehmen, das ausschließlich im Inland eine Betriebsstätte unterhält, unterliegt mit seiner gesamten Tätigkeit der Gewerbesteuer, auch wenn diese nicht im Inland ausgeübt oder verwertet wird. Der Ort der Geschäftsleitung und damit die Betriebsstätte ist regelmäßig, wenn keine andere feste Geschäftseinrichtung vorhanden ist, die Wohnung des Geschäftsleiters, wenn dort die geschäftliche Planung vorgenommen wird. Die durch die Auslandsspiele erzielten Gewinne sind deshalb ebenfalls dem inländischen Gewerbebetrieb des A zuzuordnen.

Die DBA-Regelungen, nach denen Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person als Sportler aus ihrer Tätigkeit im anderen Vertragsstaat bezieht, sind nicht anwendbar. Denn ein Fußballschiedsrichter übt keine Tätigkeit “als Sportler” aus, sondern ermöglicht es anderen, einen Wettkampf durchzuführen.

Masseverbindlichkeiten fallen nicht unter die Restschuldbefreiung

Masseverbindlichkeiten fallen nicht unter die Restschuldbefreiung

 

Sind Steuerschulden als Masseverbindlichkeiten entstanden, dürfen diese mit Erstattungsansprüchen des ehemaligen Insolvenzschuldners verrechnet werden, nachdem das Insolvenzverfahren abgeschlossen ist.

 

Hintergrund

Über das Vermögen des S wurde im Jahr 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet. Für das Jahr 2008 entstand Einkommensteuer, die nicht aus der Masse bezahlt wurde. 2013 wurde das Insolvenzverfahren eingestellt und dem S Restschuldbefreiung erteilt.

Für das Jahr 2013 ergab sich nach Festsetzung der Einkommensteuer ein Erstattungsanspruch, den das Finanzamt mit der noch offenen Forderung aus 2008 verrechnete. Gegen den entsprechenden Abrechnungsbescheid klagte S und das mit Erfolg.

Das Finanzgericht gab der Klage gegen den Abrechnungsbescheid statt, da die Steuerforderung gegen S mit der Einrede der beschränkten Haftung des Insolvenzschuldners behaftet und damit eine Aufrechnung ausgeschlossen war.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof sah das anders, hob das Finanzgerichtsurteil auf und wies die Klage des S ab. Insbesondere stellte er klar, dass die Forderung des Finanzamts auf die Einkommensteuer aus dem Jahr 2008 als Masseverbindlichkeit nicht unter die Restschuldbefreiung fällt. Die Restschuldbefreiung wirkt gegen alle Insolvenzgläubiger, das sind alle persönlichen Gläubiger des Schuldners, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Masseverbindlichkeiten werden daher nach dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut nicht von der Restschuldbefreiung erfasst.

Der Bundesgerichtshof geht zwar von einer Haftungsbeschränkung des Insolvenzschuldners für Masseverbindlichkeiten aus, die nach Insolvenzeröffnung durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet wurden, und hält die Beschränkung der Schuldnerhaftung auf die Restmasse für die Massegläubiger für zumutbar. Diese Betrachtung lässt sich jedoch nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht auf Steuerschulden übertragen. Denn die Steuer knüpft nur mittelbar an Handlungen des Insolvenzverwalters an. Für die Frage, mit welchem Vermögen der Schuldner nach Abschluss des Insolvenzverfahrens für noch bestehende Steuerschulden einstehen muss, kann es also nicht auf die Reichweite der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Insolvenzverwalters ankommen.

Importfahrzeuge: Inländischer Listenpreis darf geschätzt werden

Importfahrzeuge: Inländischer Listenpreis darf geschätzt werden

 

Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des privaten Nutzungsanteils bei der 1-%-Methode ist der Listenpreis. Bei Importfahrzeugen darf der Listenpreis nach den typischen Bruttoabgabepreisen inländischer Importeure geschätzt werden.

 

Hintergrund

X betrieb einen Großhandel. In seinem Betriebsvermögen befand sich ein Ford Mustang. Diesen erwarb X zu einem Bruttopreis von 78.900 EUR. Der Autohändler hatte den Mustang zulassungsfertig für brutto 75.999 EUR vom Importeur erworben.

X ermittelte die private Nutzung mittels der 1-%-Regelung. Als Bemessungsgrundlage zog er den amerikanischen Listenpreis von umgerechnet 53.977 EUR heran, da es keinen inländischen Listenpreis gab. Das Finanzamt legte jedoch als Bemessungsgrundlage die tatsächlichen Anschaffungskosten von 78.900 EUR zugrunde.

Das Finanzgericht ging von einem geschätzten inländischen Bruttolistenpreis von 75.999 EUR aus.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof wies die Revision des X zurück. Die gesetzliche Regelung stellt zur Bewertung der privaten Nutzungsentnahme nicht auf die tatsächlichen Anschaffungskosten des Fahrzeugs ab, sondern auf dessen Listenpreis. Der Bruttolistenpreis stellt die generalisierende Bemessungsgrundlage dar, die aus typisierten Neuanschaffungskosten den Nutzungsvorteil insgesamt bestimmt, der mehr umfasst als die Überlassung des genutzten Fahrzeugs selbst. Mit der Anknüpfung an die Preisempfehlung des Herstellers hat der Gesetzgeber eine stark vereinfachende, typisierende und damit für alle gleichen Fahrzeuge einheitliche Grundlage für die Bewertung der Nutzungsvorteile geschaffen.

Deshalb ist nach Ansicht des Bundesfinanzhofs die Schätzung des Bruttolistenpreises durch das Finanzgericht nicht zu hoch. Da es keinen inländischen Bruttolistenpreis gab, konnte das Finanzgericht dazu die inländischen Endverkaufspreise freier Importeure heranziehen. Es musste nicht den Wert ansetzen, den ein deutscher Kunde hätte aufbringen müssen, wenn er ohne Berücksichtigung verschiedener Handelsstufen das Fahrzeug zum amerikanischen Listenpreis importiert. Der generalisierende Bruttolistenpreis schließt die Handelsstufe des Neuwagenhändlers und dessen Verkaufsmarge mit ein.

Rentenversicherung: Hinzuverdienstgrenze wegen Rinderstall überschritten

Erwerbsminderungsrente muss anteilig zurückgezahlt werden

Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung wird abhängig vom erzielten Hinzuverdienst bewilligt. Das anzurechnende Arbeitseinkommen richtet sich dabei grundsätzlich nach dem Einkommensteuerrecht. Wird ein Gebäude aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen des Versicherten überführt, so sind die daraus resultierenden Einkünfte als rentenschädlicher Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Dies entschied der 5. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in einem am 16.05.2018 veröffentlichten Urteil.

Rentner überführt Rinderstall in sein Privatvermögen und überschreitet damit Hinzuverdienstgrenze

Ein 1951 geborener Versicherter aus dem Landkreis Fulda erhielt seit Juni 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Seit dem Jahr 2009 erzielt er ferner Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Seine Pachteinnahmen in Höhe von jährlich rund 3.600 Euro liegen unterhalb der Hinzuverdienstgrenze für die volle Erwerbsminderungsrente. Der Versicherte überführte im Jahr 2012 einen Rinderstall aus seinem Betriebsvermögen in sein Privatvermögen. In der Folge wies sein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft von rund 8.000 Euro aus. Die Deutsche Rentenversicherung stellte daraufhin fest, dass der Versicherte lediglich einen Anspruch auf drei Viertel der Vollrente habe und den überzahlten Rentenbetrag in Höhe von rund 1.000 Euro zurückzahlen müsse. Der Versicherte verwies darauf, dass die aufgrund der Überführung des Rinderstalls erzielten Einkünfte kein Arbeitseinkommen oder eine damit vergleichbare Einnahme seien.

Das anzurechnende Arbeitseinkommen ist nach dem Einkommensteuerrecht zu bestimmen und unabhängig vom Einsatz eigener Arbeitskraft

Die Richter beider Instanzen gaben der Rentenversicherung Recht. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung werde abhängig vom erzielten Hinzuverdienst geleistet. Als Arbeitseinkommen sei grundsätzlich der nach dem Einkommensteuerrecht ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit anzurechnen. Dem entspreche die im Einkommensteuerbescheid festgestellte Summe der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbstständiger Arbeit nach Abzug der Betriebsausgaben.

Ob der Versicherte diese Einkünfte durch eigene Arbeitskraft erzielt habe, sei hingegen nicht relevant.

Aufgrund der über der Hinzuverdienstgrenze liegenden Einkünfte für das Jahr 2012 habe eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vorgelegen. Daher habe die Rentenversicherung den ursprünglichen Rentenbescheid aufheben und die zu viel erbrachten Leistungen von dem Versicherten zurückfordern können.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Hinweise zur Rechtslage

§ 96a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI)

(1) Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird nur in voller Höhe geleistet, wenn die kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze (…) nicht überschritten wird.

(…)

§ 15 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)

(1) Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist.

(…)

§ 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (…) nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, (…).

§ 50 SGB X

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. (…)

Quelle: LSG Hessen, Pressemitteilung vom 16.05.2018 zum Urteil L 5 R 256/16 vom 20.04.2018

Mehraktige Ausbildung im Kindergeldrecht

Niedersächsisches Finanzgericht 13. Senat, Urteil vom 06.02.2018, 13 K 171/17, ECLI:DE:FGNI:2018:0206.13K171.17.00

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG, § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst b EStG, § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG, § 32 Abs 4 S 2 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die berufsbegleitende Teilnahme an einem Bankcolleg einer Genossenschaftsakademie der Volks- und Raiffeisenbanken mit dem Ziel der Erlangung eines Abschlusses zum „Bankfachwirt Bankcolleg“ noch Bestandteil der erstmaligen Berufsausbildung ist, wenn das Kind erst kurz zuvor eine Ausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen hat.
2
Der Kläger ist der Kindergeldberechtigte für das Kind X (geboren am xx. September 1994). Er lebt zusammen mit seiner Ehefrau – der Mutter von X – und dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt in W. Die Ehefrau hat sich damit einverstanden erklärt, dass der Kläger den Kindergeldanspruch geltend macht.
3
Zum Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres ging X auf eine Berufsfachschule für informationstechnische Assistenten.
4
Von August 2013 bis Juli 2014 besuchte X eine einjährige Berufsfachschule für Wirtschaft mit Schwerpunkt Handel.
5
Ab dem 1. August 2014 absolvierte X eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Volksbank Y eG. Die Ausbildung sollte am 31. Januar 2017 enden.
6
Während des gesamten Zeitraums ab der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Kindes erhielt der Kläger das Kindergeld für X (zuletzt festgesetzt mit Bescheid vom 1. Oktober 2014 für die Monate ab August 2014).
7
Mit Bescheid vom 16. Januar 2017 hob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab dem Monat Februar 2017 auf. Zur Begründung gab die Familienkasse an, dass das Kind im Monat Januar 2017 seine Berufsausbildung beenden würde.
8
Der Kläger reichte Bescheinigungen der Volksbank Y eG und der IHK ein, die bestätigten, dass X die Prüfung zum Bankkaufmann bestanden hatte. Der letzte Prüfungstag war der 17. Januar 2017. X wurde von der Volksbank Y eG als Arbeitnehmer übernommen. Beginn des Arbeitsverhältnisses war der 18. Januar 2017.
9
Am 6. April 2017 meldete sich X zum Bankcolleg für ein Bankfachwirt-Studium bei der Genossenschaftsakademie A an. Er erhielt bereits am 7. April 2017 eine Zusage. Die Einführungsveranstaltung fand am 20. Mai 2017 statt. Das erste Semester begann am 3. Juni 2017.
10
Die Teilnahme an dem viersemestrigen Bankfachwirt-Studium diente ausweislich einer vorgelegten Studienbescheinigung der Vorbereitung auf den beruflichen Fortbildungsabschluss zum „Bankfachwirt Bankcolleg“ oder optional zum „Bankfachwirt IHK“.
11
Für das Bankcolleg kann sich jeder Bankmitarbeiter anmelden, der eine Bankausbildung erfolgreich absolviert hat oder eine mindestens dreijährige Berufstätigkeit in der Bank ausgeübt hat.
12
Aus einer vorgelegten Übersicht ergibt sich zum Studienablauf folgendes:
13
1. Semester: 03.06.2017 bis 28.10.2017 Semesterprüfungen: 21.10.2017 bis 28.10.2017
2. Semester: 04.11.2017 bis 24.03.2018 Semesterprüfungen: 17.03.2018 bis 24.03.2018
3. Semester: 07.04.2018 bis 25.08.2018 Semesterprüfungen: 18.08.2018 bis 25.08.2018
4. Semester: 08.09.2018 bis 23.02.2019 Semesterprüfungen: 16.02.2019 bis 23.02.2019
14
Nach einer vorgelegten Informationsbroschüre über die „Personalentwicklung in Genossenschaftsbanken – Bankcolleg, berufsbegleitendes Bankfachwirt-Studium“ der Genossenschaftsakademie A wird das Bankcolleg idealerweise direkt nach der Bankausbildung begonnen. Es dient dazu, berufsbegleitend zu studieren und damit die fachliche Kompetenz auszubauen. Die Teilnehmer erhalten ein übergreifendes bankbetriebliches Basiswissen, das Ihnen in allen Bereichen der Bank nützlich sein wird.
15
Die Präsenzveranstaltungen finden an den Samstagen in der Zeit von 8:30 Uhr bis 14:30 Uhr in Y statt. An den Tagen dazwischen sollen die Teilnehmer neben ihrer Vollzeittätigkeit in der Bank den Stoff im Selbststudium vertiefen. Hierfür dient ein Bankfachwirt-Curriculum aus dem Studienwerk xx-Verlag. Außerdem werden noch sog. Webinare veranstaltet. Am Ende eines jeden Semesters werden Prüfungen geschrieben.
16
Die erfolgreiche Abschlussprüfung zum „Bankfachwirt Bankcolleg“ berechtigt zur Anrechnung auf andere Personalentwicklungsmaßnahmen der Genossenschaftsbanken. Außerdem kann der Absolvent nach einer erfolgreichen Abschlussprüfung zum Bankfachwirt durch den Besuch von zwei weiteren Semestern der Titel „Bank Betriebswirt Bankcolleg“ erwerben.
17
Für diejenigen, die einen akademischen Abschluss mit breiter branchenunabhängiger Akzeptanz anstreben, kann anschließend bei der xxx School ein Abschluss zum Bachelor of Arts in Business Administration erworben werden. Dabei werden sämtliche Leistungen aus der Bankcolleg Bankfachwirt-Ausbildung in vollem Umfang auf das Bachelor-Studium angerechnet. Im Rahmen eines viermonatigen Brückenmoduls werden durch die xxx School die erforderlichen hochschulrechtlichen Voraussetzungen geschaffen. Der akademische Abschluss zum Bachelor of Arts in Business Administration wird dann innerhalb von zwei weiteren Semestern erworben.
18
Die Fächer und Studieninhalte des Bankcollegs gliedern sich wie folgt auf:
19
Bankwirtschaft
Bankbetriebliche Rahmenbedingungen
Jahresabschluss der Kreditinstitute
Bankenaufsicht
Bankenmarketing
Banksteuerung
Bankpolitik
Präsenzstunden: 77
Webinare: 2
Betriebswirtschaft
Allgemeine Betriebswirtschaft: Grundlagen, Unternehmenspolitik, Controlling
Investition und Finanzierungen
Kosten- und Leistungsrechnung
Bilanzlehre
Personalmanagement
Präsenzstunden: 84
Webinare: 5
Volkswirtschaft
Volkswirtschaftliche Rahmendaten
Güter-und Kapitalmärkte
Geld, Kredit, Währung
Wirtschaft- und Sozialpolitik
Wirtschaftsbeziehungen und Wettbewerb
Präsenzstunden: 70
Webinare: 2
Rechtsgrundlagen des Bankgeschäfts
Bürgerliches Recht: Schuldrecht, Sachenrecht, Grundstücksrecht, Familienrecht,
Erbrecht
Handels- und Gesellschaftsrecht
Kreditsicherungsrecht
Verfahrens- und Insolvenzrecht
Arbeitsrecht
Präsenzstunden: 70
Webinare: 3
Privatkundengeschäft
Kontoführung
Zahlungsverkehr
Recht (WpHG)
verzinsliche Kapitalanlagen
Aktien
Investmentfonds
Derivate
Präsenzstunden: 42
Webinare: 2
Firmenkundengeschäft
Finanzierungsformen
Jahresabschlussanalyse
Bonitätsbeurteilung
Auslandsgeschäft
Zahlungsverkehr
Existenzgründung
Krisenmanagement
Präsenzstunden: 42
Webinare: 2
20
Die Studieninhalte verteilen sich wie folgt auf die vier Semester:
21
1. Semester Präsenzstunden Webinare Semesterprüfungen
22
Bankwirtschaft 35      1 1
Betriebswirtschaft
21      2 1
Volkswirtschaft
21      1 1
Rechtsgrundlagen Bankwirtschaft
28      2 1
23
Summe             105      6 4
24
2. Semester Präsenzstunden Webinare Semesterprüfungen
25
Bankwirtschaft 21      1 1
Betriebswirtschaft
35      2 1
Volkswirtschaft
28      – 1
Rechtsgrundlagen Bankwirtschaft
21      – 1
26
Summe             105      3 4
27
3. Semester Präsenzstunden Webinare Semesterprüfungen
28
Bankwirtschaft 21      – 1
Betriebswirtschaft
28      1 1
Volkswirtschaft
21      1 1
Rechtsgrundlagen Bankwirtschaft
21      1 1
29
Summe               91      3 4
30
4. Semester Präsenzstunden Webinare Semesterprüfungen
31
Privatkundengeschäft 42      2 1
Firmenkundengeschäft
42      2 1
32
Summe               84      4 2
33
Gesamt            385   16             14
34
Die Lehrveranstaltungen kosten pro Semester xxx,00 € (insgesamt x.xxx,00 €). Das Studienwerk des xx Verlags kostet pro Semester xxx,00 € (insgesamt xxx,00 €).
35
Die Genossenschaftsakademie bescheinigte dem Sohn, dass er sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt nach dem Abschluss seiner Ausbildung zum Bankkaufmann zu dem Bankcolleg für das Bankfachwirt-Studium angemeldet habe.
36
Die Genossenschaftsakademie bescheinigte dem Sohn außerdem, dass er an dem Studium und an allen bislang durchgeführten Semesterprüfungen teilgenommen habe (Datum der Bescheinigung: 8. Januar 2018).
37
Der Kläger beantragte am 18. Juli 2017 erneut Kindergeld für den Sohn X. Mit Bescheid vom 24. Juli 2017 lehnte die beklagte Familienkasse den Antrag auf Gewährung von Kindergeld ab dem Monat Februar 2017 ab. Zur Begründung führte die beklagte Familienkasse aus, dass das Kind X eine erste Berufsausbildung bereits abgeschlossen habe und sich aktuell in einer weiteren Berufsausbildung befinde. Da das Kind daneben einer Erwerbstätigkeit nachgehe, könne es gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG nicht mehr berücksichtigt werden. Nach dem BFH Urteil vom 4. Februar 2016 (BStBl II 2016, 615) liege keine einheitliche Erstausbildung mehr vor, wenn die weiterführende Ausbildung eine Berufstätigkeit voraussetze oder das Kind vor Beginn der weiterführenden Ausbildung eine Berufstätigkeit aufnehme, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung diene.
38
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 26. Juli 2017 Einspruch ein. Zur Begründung führte der Kläger aus, dass es sich bei der jetzigen Ausbildung um ein Studium handle, welches zur ersten Berufsausbildung gehöre. Dementsprechend würden bereits einige Mitschüler das Kindergeld erhalten.
39
Mit Einspruchsentscheidung vom 8. August 2017 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die beklagte Familienkasse führte aus, dass das Kind eine erstmalige Berufsausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen habe. Im Anschluss daran habe das Kind ab dem 18. Januar 2017 eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen. Diese führe das Kind auch während des Studiums fort. Wegen der anspruchsschädlichen Erwerbstätigkeit entfalle der Kindergeldanspruch.
40
Mit am 28. August 2017 erhobener Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
41
Der Kläger trägt vor, dass das Kind X seine Ausbildung zum Bankkaufmann am 17. Januar 2017 beendet habe. Der Anmeldeschluss für die Bewerbung zum Studiengang „Bankfachwirt“ sei der 15. April 2017 gewesen. X habe sich innerhalb der Anmeldefrist für den Studiengang beworben. Die Bestätigung der Annahme habe er am 7. April 2017 erhalten. Mit Beginn des Studiengangs am 20. Mai 2017 (Einführungsveranstaltung) und der ersten Vorlesung am 3. Juni 2017 habe das Kind in zeitlicher und sachlicher Hinsicht stringent sein ursprüngliches – seit Beginn der Ausbildung zum Bankkaufmann bereits bestehendes – Berufsziel „Bankfachwirt“ verfolgt.
42
Es sei von einer mehrgliedrigen Ausbildung auszugehen. Auf den Umfang der Erwerbstätigkeit des Kindes neben dem Studium komme es deshalb nicht mehr an. Ein zeitlicher und inhaltlicher enger Zusammenhang zwischen der Ausbildung zum Bankkaufmann und dem nachfolgenden Studiengang zum Bankfachwirt sei gegeben.
43
Ergänzend werde auf das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 2017 (5 K 2388/15) verwiesen. Das Kind X habe sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die Weiterbildung zum Bankfachwirt beworben und diese Weiterbildungsmaßnahme zum nächstmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Ausbildung begonnen. Die mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen seien zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt worden, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden sollte, um das – sowohl von den Eltern als auch von dem Kind – bestimmte Berufsziel zu erreichen.
44
Der Kläger beantragt,
45
den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung der Beklagten vom 8. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für seinen am xx. September 1994 geborenen Sohn X ab Februar 2017, hilfsweise ab Juni 2017 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
46
Die Beklagte beantragt,
47
die Klage abzuweisen.
48
Die beklagte Familienkasse ist der Auffassung, dass die weiterführende Ausbildung nur dann Teil der Erstausbildung sein könne, wenn das erklärte Ausbildungsziel mit dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss noch nicht erreicht wurde und ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsmaßnahmen bestehe. Es müsse aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind nach Abschluss der ersten berufsqualifizierenden Maßnahme eine weiterführende Ausbildung als Teil der Erstausbildung anstrebe.
49
Dieser Zusammenhang sei nur gewahrt, wenn das Kind spätestens im Folgemonat nach Abschluss seiner ersten berufsqualifizierenden Ausbildungsmaßnahme eine Bewerbung zum nächstmöglichen Zeitpunkt nachweise.
50
Sei eine Bewerbung zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, habe das Kind eine schriftliche Erklärung abzugeben, dass es sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt auf ein konkretes Berufsziel hin bewerben werde (Absichtserklärung). Diese Erklärung müsse spätestens im Folgemonat nach Abschluss des ersten berufsqualifizierenden Ausbildungsabschnitts bei der Familienkasse eingehen.
51
Bewerbe sich das Kind erst zeitlich verzögert und/oder gebe es seine Absichtserklärung nicht zeitnah ab, sei nicht mehr nachgewiesen, dass die Erstausbildung nicht mit dem ersten Abschluss beendet sei. Die weitere Ausbildung sei dann als eine Zweitausbildung zu qualifizieren.
52
Im vorliegenden Fall habe sich das Kind nicht spätestens im Folgemonat nach dem ersten Abschluss um eine weitere Ausbildung beworben. Die weitere Ausbildung sei daher als Zweitausbildung zu qualifizieren. Die daneben ausgeübte Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Stunden pro Woche, stehe dem Anspruch entgegen.
53
In der mündlichen Verhandlung führte der Vertreter der Familienkasse auf Nachfrage des Gerichtes aus, dass die beklagte Familienkasse das Studium des Sohns zum Bankfachwirt als Bestandteil der Erstausbildung anerkannt hätte, wenn sich der Sohn innerhalb der verwaltungsseitig festgelegten Monatsfrist beworben hätte.

Entscheidungsgründe

54
Die Klage ist begründet.
55
I. Der Klageantrag ist dahingehend auszulegen, dass sich die Klage auf den Streitzeitraum Februar 2017 bis August 2017 bezieht. Da eine gegen einen Kindergeldablehnungsbescheid gerichtete Klage unzulässig ist, soweit sie die Zeit nach dem Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung betrifft (Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Dezember 2011 III R 70/09, BFH/NV 2012, 1446; BFH-Urteil vom 24. Juli 2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920; BFH-Urteil vom 25. September 2014 III R 56/13, BFH/NV 2015, 206; vgl. auch BFH-Urteil vom 4. August 2011 III R 71/10, BStBl II 2013, 380), entspricht es dem wohlverstandenen Interesse des Klägers, die offene Formulierung des Klageantrags dahingehend zu verstehen, dass nur die Kindergeldfestsetzung bis einschließlich des  Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung begehrt wird (Einspruchsentscheidung vom 8. August 2017). Dies wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung erläutert. Sie hat keine Einwände erhoben.
56
II. Dem Kläger steht das Kindergeld für die Monate Februar 2017 bis August 2017 für das Kind X (geboren am xx. September 1994) zu.
57
1. Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ist der Kläger grundsätzlich kindergeldberechtigt, weil er im Inland – und zwar in W – einen Wohnsitz hat.
58
2. Zwar ist auch die Kindesmutter kindergeldberechtigt, weil das Kind ausweislich der Angaben in dem Antragsformular vom 22. Juni 2017 in dem gemeinsamen Haushalt der Eltern lebt. Aus der Kindergeldakte ergibt sich aber, dass sich die Berechtigten gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 EStG darauf geeinigt haben, dass dem Kläger der Kindergeldanspruch zusteht.
59
3. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind leibliche Kinder – wie X – dem Grunde nach berücksichtigungsfähig. Dies gilt nach § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 32 Abs. 3 EStG bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres uneingeschränkt. X hatte in dem Streitzeitraum aber bereits das 22. Lebensjahr vollendet. Deshalb erhält der Kläger das Kindergeld nur, wenn X die besonderen Voraussetzungen gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG für Kinder, die bereits das 21. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr, vollendet haben, erfüllt.
60
4. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht die Kindergeldberechtigung insbesondere für Kinder, die für einen Beruf ausgebildet werden. In den Monaten Februar 2017 bis April 2017 wurde X unstreitig nicht in einem Beruf ausgebildet. Die Berufsausbildung zum Bankkaufmann war bereits am 17. Januar 2017 beendet worden. Die Einführungsveranstaltung für die Ausbildung zum Bankfachwirt fand am 20. Mai 2017 statt. Es ist aber zweifelhaft, ob die Einführungsveranstaltung bereits als Beginn der weiterführenden Ausbildung zum Bankfachwirt betrachtet werden kann. Der Beginn der weiterführenden Ausbildung fand aber jedenfalls mit Semesterbeginn am 3. Juni 2017 statt. Somit greift § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG erst für den Zeitraum ab Juni 2017 ein.
61
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist unter Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungsordnung oder Studienordnung vorgeschrieben sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (z.B. BFH-Urteil vom 24. Juni 2004 III R 3/03, BStBl II 2006, 294, zum freiwilligen sozialen Jahr; BFH-Urteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BStBl II 2010, 298, zur Vorbereitung auf eine bestandene Wiederholungsprüfung; BFH-Urteil vom 30. Juli 2009 III R 77/06, BFH/NV 2010, 28, zum freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst; BFH-Urteil vom 10. Mai 2012 VI R 72/11, BStBl II 2012, 895, zur Ausbildung eines Soldaten auf Zeit zum Kraftfahrer der Fahrerlaubnisklasse CE; BFH-Urteil vom 8. September 2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278, zum berufsbegleitenden Studium).
62
b) Der Besuch des Bankcollegs dient dem Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Deshalb stellt die Teilnahme an dem Bankcolleg eine Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG dar.
63
c) Unerheblich ist, dass die Präsenzveranstaltungen nur an Samstagen zwischen 8:30 Uhr und 14:30 Uhr stattfinden. Zum einen betont das Bankcolleg die Notwendigkeit des eigenverantwortlichen Selbststudiums anhand des Studienwerks aus dem xx-Verlag an den anderen Tagen. Zum anderen sieht das Bankcolleg auch sog. Webinare vor. Schließlich ist eine inländische Berufsausbildung nach der Rechtsprechung des BFH nicht vom Umfang der Ausbildungsveranstaltungen abhängig.
64
aa) Zwar hat der BFH für die Anerkennung des Sprachunterrichts im Rahmen eines Au-Pair-Aufenthalts als Berufsausbildung grundsätzlich einen theoretisch-systematischen Sprachunterricht mit grundsätzlich mindestens 10 Wochenstunden verlangt (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BStBl II 1999, 701). Er hat diesen Mindestumfang aber nicht auf Schul-, Universitäts- und sonstige „klassische“ Ausbildungen übertragen (BFH-Urteil vom 2. April 2009 III R 85/08, BStBl II 2010, 298; BFH-Urteil vom 8. September 2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278). Der BFH stellt vielmehr auf den Gesetzeszweck ab, nach dem auch Abendschulen und Fernstudiengänge, die neben einer Vollzeiterwerbstätigkeit durchgeführt werden, grundsätzlich begünstigt sind. Dementsprechend sah es der BFH in seinem Urteil vom 8. September 2016 (III R 27/15, BStBl II 2017, 278) auch als unproblematisch an, dass eine Ausbildung in den ersten sechs Semestern nur aus fünf Semesterwochenstunden – ausschließlich in Wochenendblöcken – bestand.
65
bb) Der BFH prüfte in dem damaligen Fall lediglich das Vorliegen eines Missbrauchs, der durch eine sog. „Pro-forma-Immatrikulation“ verwirklicht sein könnte. Im vorliegenden Fall sind für einen derartigen Missbrauch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Vielmehr hat die Genossenschaftsakademie bescheinigt, dass X die Ausbildungsmaßnahme ernsthaft und nachhaltig betreibt. Etwas Gegenteiliges ist auch von der beklagten Familienkasse nicht vorgetragen worden.
66
5. Für die Monate Februar 2017 bis Mai 2017 sind die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfüllt. Nach dieser Vorschrift bleibt die Kindergeldberechtigung bestehen, wenn sich das Kind in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten liegt. Bei der Ausbildung zum Bankkaufmann und der nachfolgenden Ausbildung zum „Bankfachwirt Bankcolleg“ bzw. „Bankfachwirt IHK“ handelt es sich um eine mehraktige erstmalige Berufsausbildung (siehe unten). Deshalb liegt eine Unterbrechung zwischen zwei Ausbildungsabschnitten vor.
67
6. Für die Monate Februar 2017 bis Mai 2017 sind außerdem die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann ein Kind berücksichtigt werden, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Dieser Berücksichtigungstatbestand ist nicht nur dann gegeben, wenn das Kind trotz ernsthaften Bemühens noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat, sondern auch dann, wenn ihm ein Ausbildungsplatz bereits zugesagt wurde, es diesen aber aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 77/00, BStBl II 2003, 845; BFH-Urteil vom 15. September 2005 III R 67/04, BStBl II 2006, 305; BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BStBl II 2010, 982).
68
X hatte sich am 6. April 2017 für die Ausbildung zum Bankfachwirt beworben. Die Bestätigung der Annahme erhielt er am 7. April 2017. Zwar begann das erste Semester erst am 3. Juni 2017; die Gesamtsituation deutet jedoch darauf hin, dass X den gesamten Zeitraum nach dem Abschluss der Ausbildung zum Bankkaufmann weiterhin ausbildungswillig war. Ansonsten wäre kaum zu erklären, weshalb sich X bereits so kurz nach dem Abschluss der Ausbildung zum Bankkaufmann für eine weiterführende Ausbildung beworben hat. Deshalb war X allein aus schulorganisatorischen Gründen gehindert, seine Ausbildung fortzusetzen (ebenso für einen Fall der mehraktigen Berufsausbildung: BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163).
69
7. Die Berücksichtigungstatbestände in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG sind nicht deshalb ausgeschlossen, weil X in den Monaten Februar 2017 bis Mai 2017 einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachging (BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BStBl II 2010, 982; BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163). Somit sind für die Monate Februar 2017 bis Mai 2017 die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG und für die Monate Juni 2017 bis August 2017 die besonderen Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b oder c EStG erfüllt.
70
8. Der negative Abgrenzungstatbestand gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG in Verbindung mit
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG greift nicht ein.
71
a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn das Kind keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Nach § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG ist eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a SGB IV unschädlich.
72
b) Die Ausbildung zum Bankkaufmann und die sich anschließende Ausbildung zum „Bankfachwirt Bankcolleg“ bzw. „Bankfachwirt IHK“ stellen mehraktige Ausbildungsmaßnahmen einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung dar. Auf den Umfang der Erwerbstätigkeit kommt es deshalb nicht an.
73
c) Das Tatbestandsmerkmal des „Abschlusses einer erstmaligen Berufsausbildung“ im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG liegt dann vor, wenn das Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben (BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163; BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166). Dabei steht den Eltern und dem Kind nach der Rechtsprechung des BFH von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung zu (BFH-Urteil vom 26. August 2010 III R 88/08, BFH/NV 2011, 26; BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13 BStBl II 2015, 152). Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13 BStBl II 2015, 152; BFH-Urteil vom 16. Juni 2015 XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378; BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163; BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166; BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615; BFH-Urteil vom 8. September 2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278; BFH-Beschluss vom 29. August 2017 XI B 57/17, juris).
74
d) Die systematische Stellung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür, dass mehraktige Ausbildungsmaßnahmen dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren sind, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach dem Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Die Ausbildungsabschnitte stellen sich deshalb als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung dar, wenn die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13 BStBl II 2015, 152; BFH-Urteil vom 16. Juni 2015 XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378; BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163; BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166; BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615; BFH-Urteil vom 8. September 2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278; BFH-Beschluss vom 29. August 2017 XI B 57/17, juris).
75
aa) im vorliegenden Fall ist der enge sachliche Zusammenhang zwischen der Ausbildung zum Bankkaufmann und der Ausbildung zum „Bankfachwirt Bankcolleg“ bzw. „Bankfachwirt IHK“ offenkundig. Es handelt sich um dieselbe Berufssparte und um denselben fachlichen Bereich. Dass die beiden Ausbildungsabschnitte im Rahmen von unterschiedlichen Qualifikationsstufen auf das zukünftige Berufsfeld vorbereiten, ist unerheblich (BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163). Die Ausbildung zum Bankfachwirt hat das Ziel, die Lerninhalte des Ausbildungsgangs zum Bankkaufmann zu vertiefen und zu erweitern. Es geht um die Steigerung der Fachkompetenz eines zum Bankkaufmann ausgebildeten Kindes.
76
bb) Der enge zeitliche Zusammenhang ist ebenfalls gegeben. Die Ausbildung zum Bankkaufmann endete am 17. Januar 2017. Bereits im April 2017 bewarb sich X für die Teilnahme an dem Bankcolleg. Die Ausbildung begann lediglich aus schulorganisatorischen Gründen erst im Juni 2017.
77
cc) Die Teilnahme an dem Bankcolleg war ausdrücklich nicht davon abhängig, dass vorher eine gewisse berufspraktische Zeit absolviert werden musste. Zwar wird für die Prüfung zum Bankfachwirt IHK die Ableistung einer berufspraktischen Zeit verlangt (genauer siehe unten). Diese durfte aber während des viersemestrigen Studiums abgeleistet werden. Dementsprechend greifen die Grundsätze, die der BFH in seinem Urteil vom 4. Februar 2016 (III R 14/15, BStBl II 2016, 615) aufgestellt hat, im vorliegenden Fall nicht ein. In der damaligen Entscheidung nahm der BFH an, dass eine Zäsur zwischen zwei Ausbildungen eintritt, wenn sich der zweite Ausbildungsabschnitt erst nach einer vorher zu absolvierenden Berufstätigkeit anschließen kann. Gleiches gilt, wenn das Kind eine weitere Ausbildung erst nach einer zwischenzeitlichen Berufstätigkeit beginnt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung diente, was daran erkannt werden kann, dass mit der weiterführenden Ausbildung früher hätte begonnen werden können (ebenso: BFH-Beschluss vom 29. August 2017 XI B 57/17, juris).
78
Beide negative Abgrenzungsmerkmale sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Weder bedurfte es einer Berufstätigkeit, damit X seine Ausbildung als Bankfachwirt beginnen konnte, noch hatte X zwischenzeitlich eine Berufstätigkeit begonnen, die nicht lediglich der zeitlichen Überbrückung diente. Zwar befand sich X ab dem 18. Januar 2017 in einer Vollerwerbstätigkeit bei der Volksbank Y eG. Er begann seine weiterführende Ausbildung aber dennoch so früh wie möglich. Deshalb kann die Vollerwerbstätigkeit als bloße Überbrückungstätigkeit gewertet werden. Dies gilt unabhängig davon, dass X auch nach dem Beginn der weiterführenden Berufsausbildung zum Bankfachwirt in vollem Umfang erwerbstätig blieb. Dies war lediglich dem Umstand geschuldet, dass die weiterführende Berufsausbildung als berufsbegleitende Ausbildung konzipiert war.
79
dd) Die von der beklagten Familienkasse aufgestellten Voraussetzungen zum engen zeitlichen Zusammenhang (Nachweis einer Bewerbung innerhalb eines Monats nach Abschluss der ersten Ausbildungsmaßnahme oder Anzeige bei der Familienkasse innerhalb eines Monats nach Abschluss der ersten Ausbildungsmaßnahme, dass eine Bewerbung auf ein konkretes Berufsziel erfolgen werde) lassen sich aus dem Gesetz nicht ableiten.
80
Solche Beweiszeichen mögen Indizien für eine fortbestehende Ausbildungswilligkeit sein. Ihr Fehlen kann aber nicht – wie es die beklagte Familienkasse meint – zur automatischen Verneinung des engen zeitlichen Zusammenhangs führen. Vielmehr ist eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. Dementsprechend hat der BFH zur Einhaltung des engen zeitlichen Zusammenhangs lediglich verlangt, dass das Kind den weiteren Ausbildungsabschnitt „mit der gebotenen Zielstrebigkeit“ aufnimmt. Der enge zeitliche Zusammenhang entfällt nach Ansicht des BFH erst, wenn der weitere Ausbildungsabschnitt nicht aufgenommen wird, obwohl das Kind damit hätte beginnen können (BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163, Tz. 26 bei juris; BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166, Tz. 22 bei juris). Ähnlich nimmt das Finanzgericht Saarland an, dass der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang besteht, wenn zwischen dem ersten beruflichen Zwischenschritt und der sachlich darauf abgestimmten „Fortbildung“ im Höchstfall mehrere Monate liegen (Urteil des FG Saarland vom 15. Februar 2017 – 2 K 1290/16, Tz. 27 bei juris, Revision zugelassen, Az. des BFH: V R 13/17).
81
Dies sieht im Übrigen auch das Bundesministerium der Finanzen so, indem es in der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (DA-KG) vom 13. Juli 2017 (BStBl I 2017, 1006) ausführt, dass der enge zeitliche Zusammenhang gewahrt ist, wenn das Kind die weitere Ausbildung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufnimmt oder sich bei mangelndem Ausbildungsplatz zeitnah zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die weiterführende Ausbildung bewirbt. Unschädlich sind Verzögerungen, die z.B. aus einem zunächst fehlenden Ausbildungsplatz oder aus einem aus schul-, studien- oder betriebsorganisatorischen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt verfügbaren Ausbildungsplatz resultieren (A 20.2.4. Abs. 2 Sätze 4 und 5 der DA-KG).
82
Da X die weiterführende Ausbildung zum Bankfachwirt zum nächstmöglichen Zeitpunkt nach Beendigung der Ausbildung als Bankkaufmann begonnen hat, ist der enge zeitliche Zusammenhang zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten gewahrt. Eine willentliche Zäsur zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten liegt nicht vor. Vielmehr sprechen alle objektiven Beweiszeichen dafür, dass X bereits in dem Zeitpunkt des Abschlusses seiner Ausbildung als Bankkaufmann fest dazu entschlossen war, die weiterführende Ausbildung zum Bankfachwirt zu beginnen. Die im engen zeitlichen Zusammenhang nach Abschluss der ersten Ausbildung gefertigte Bewerbung für die weiterführende Ausbildung zum Bankfachwirt lässt erkennen, dass X sein angestrebtes Berufsziel mit dem Abschluss der Ausbildung zum Bankkaufmann noch nicht erreicht hatte. Seine anschließenden Bemühungen dienten dem – objektiv feststellbaren – Ziel der Erlangung des Abschlusses als Bankfachwirt (ebenso für einen vergleichbaren Fall: BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163, Tz. 23 und 26 bei juris; vgl. auch: BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166, Tz. 19 bei juris).
83
9. Gegen diese Würdigung kann nicht eingewandt werden, dass die Weiterbildung zum Bankfachwirt nicht mehr von dem Begriff der Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG umfasst ist.
84
a) Zwar trifft es zu, dass der Begriff der Berufsausbildung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger ist, als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG genannte Tatbestandsmerkmal „Kind, das … für einen Beruf ausgebildet wird.“ (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152; BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163; BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166). Zutreffend ist auch, dass der Beruf im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs erlernt und die Ausbildung durch eine Prüfung abgeschlossen werden muss (BR-Drucks 54/11, S. 55 f.). Allein aus dem Umstand, dass es sich bei dem Abschluss „Bankfachwirt Bankcolleg“ um eine brancheninterne kaufmännische Aufstiegsfortbildung durch die Genossenschaftsakademien der Volks- und Raiffeisenbanken handelt, kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die betroffene Ausbildungsmaßnahme keine Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist. Sie ist nämlich auch Grundlage für den öffentlich-rechtlich anerkannten Abschluss „geprüfter Bankfachwirt/geprüfte Bankfachwirtin“, der von der Industrie- und Handelskammer vergeben wird (vgl. Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Abschluss Geprüfter Bankfachwirt/Geprüfte Bankfachwirtin vom 1. März 2000 (BGBl. I S. 193), geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 26. März 2014 (BGBl. I S. 274).
85
b) Aus § 2 Abs. 2 und 3 der Verordnung ergibt sich, dass die Prüfung die Bereiche Allgemeine Bankbetriebswirtschaft, Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Recht, Privatkundengeschäft, Immobiliengeschäft und Firmenkundengeschäft umfasst. Dies entspricht im Wesentlichen den Fächern und Inhalten des Bankcollegs.
86
aa) Nach § 4 Abs. 1 der Verordnung werden in dem Prüfungsbereich „Allgemeine Bankbetriebswirtschaft“ folgende Bereiche geprüft: Bankbetriebliche Rahmenbedingungen, Jahresabschluss der Kreditinstitute, Bank-Controlling, Bankpolitik und Bankmarketing. Diese Prüfungsbereiche entsprechen im Wesentlichen dem Stoff, der in dem Bankcolleg im Rahmen der „Bankwirtschaft“ vermittelt wird.
87
bb) Nach § 4 Abs. 2 der Verordnung werden in dem Prüfungsbereich „Betriebswirtschaft“ folgende Bereiche geprüft: Allgemeine Betriebswirtschaft (Betriebliches Rechnungswesen, Kosten- und Leistungsrechnung, Bilanzlehre, Investition und Finanzierung der Betriebe), Personal und Kommunikation (Personalwirtschaft, Arbeitsrecht, Kommunikation und Projektarbeit). Auch diese Bereiche werden von dem Lehrstoff des Bankcollegs umfasst, wobei der Senat davon ausgeht, dass unter dem Begriff des Personalmanagements sämtliche Themen erfasst sind, die Personal und Kommunikation berühren.
88
cc) Der Prüfungsbereich „Volkswirtschaft“ umfasst nach § 4 Abs. 3 der Verordnung die Themen: Volkswirtschaftliche Rahmendaten, Güter- und Kapitalmärkte, Geld, Kredit, Währung, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Wirtschaftsbeziehungen und Wettbewerb. Diese Themen finden sich allesamt in dem Lehrplan des Bankcollegs wieder.
89
dd) Auch die im Prüfungsbereich „Recht“ in § 4 Abs. 4 der Verordnung genannten Themen (Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Kreditsicherungsrecht, Grundzüge des Verfahrens- und Insolvenzrechts) werden während des Bankcollegs behandelt.
90
ee) Bei den speziellen Qualifikationen nach § 5 der Verordnung (Privatkundengeschäft, Immobiliengeschäft und Firmenkundengeschäft) fällt zwar auf, dass nach dem Lehrplan des Bankcollegs keine Kenntnisse im Immobiliengeschäft vermittelt werden. Diese geringfügige Abweichung gibt dem Senat aber keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass das Bankcolleg eine zielgerichtete Ausbildung zur Erlangung des Abschlusses „Geprüfter Bankfachwirt/Geprüfte Bankfachwirtin“ ist. Es handelt sich mithin um eine Ausbildung für einen öffentlich-rechtlich anerkannten Abschluss und damit um einen Teil der Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.
91
10. Unerheblich ist auch, dass die Zulassung zur Prüfung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung neben einer mit Erfolg abgelegten Abschlussprüfung zum „Bankkaufmann/Bankkauffrau“ außerdem zur Voraussetzung hat, dass eine mindestens zweijährige Berufspraxis absolviert worden ist. Diese Berufspraxis wird nach der Konzeption des Bankcollegs während der viersemestrigen Ausbildungszeit erbracht. Sie stellt keine Zäsur zwischen dem ersten und dem zweiten Ausbildungsabschnitt dar, sondern ist Bestandteil des zweiten (berufsbegleitenden) Ausbildungsabschnitts.
92
Dementsprechend hat der BFH in seinem Urteil vom 4. Februar 2016 (III R 14/15, BStBl II 2016, 615) für die Bejahung einer Zäsur darauf abgestellt, ob der zweite Ausbildungsabschnitt erst nach einer Berufstätigkeit begonnen werden konnte. Der Senat weicht insoweit allerdings von der Auffassung des FG Münster ab, das in seinen Urteilen vom 23. Mai 2017 (1 K 3050/16 Kg, juris, Revision eingelegt, Az. des BFH: XI R 25/17 und 1 K 2410/16 Kg, juris, Revision eingelegt, Az. des BFH: III R 18/17) davon ausgeht, dass das Erfordernis einer praktischen Berufstätigkeit für den Abschluss auch dann eine Zäsur darstellt, wenn das Kind die praktische Berufstätigkeit parallel zu der theoretischen Ausbildung absolvieren kann (ebenso wie hier dagegen: Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 2017 – 5 K 2388/15, juris, zur Weiterbildung einer „Immobilienkauffrau“ zur „geprüften Immobilienfachwirtin“).
93
Nach Auffassung des Senats ist die Ansicht des FG Münster schon allein deshalb unzutreffend, weil es sich bei der Frage, ob eine Zäsur vorliegt, um die Frage des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem ersten und dem zweiten Ausbildungsabschnitt handelt. Wird der zweite Ausbildungsabschnitt – wie hier – unmittelbar nach dem ersten Ausbildungsabschnitt begonnen, ist die praktische Berufstätigkeit lediglich Bestandteil des zweiten Ausbildungsabschnitts. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der geforderte enge zeitliche Zusammenhang zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten nicht gewahrt sein sollte.
94
Der Auffassung des FG Münster kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil sie nicht berücksichtigt, dass bei einer parallelen Ableistung von theoretischer Ausbildung (hier: an der Genossenschaftsakademie) und praktischer Berufstätigkeit der typische Fall der Berufsausbildung während einer Vollzeiterwerbstätigkeit verwirklicht wird. Der BFH hat bereits entschieden, dass eine Vollzeiterwerbstätigkeit eine parallel betriebene Berufsausbildung nicht ausschließt (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BStBl II 2010, 982). Dieser Grundsatz ist vom BFH auch bereits mehrfach für mehraktige Berufsausbildungen bestätigt worden (BFH-Urteil vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163, Tz. 28 bei juris; BFH-Urteil vom 8. September 2016 III R 27/15, BStBl II 2017, 278; inzident auch in: BFH-Urteil vom 3. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166, Tz. 24 bei juris). Indem das FG Münster die Auffassung vertritt, dass das Sammeln von berufspraktischer Erfahrung weder begrifflich noch teleologisch als „Berufsausbildung“ verstanden werden könne, verkennt es, dass neben der berufspraktischen Tätigkeit auch eine theoretische Ausbildung absolviert wird, die sehr wohl eine Berufsausbildung im Sinne des Kindergeldrechts ist.
95
Außerdem kollidiert die Rechtsansicht des FG Münster mit der Auffassung des BFH in dem Urteil vom 16. Juni 2015 (XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378). In dem damals entschiedenen Fall war Bestandteil des streitbefangenen „ausbildungsintegrierten Studiums“, dass das Kind neben dem Studium zum Bachelor of Science eine Ausbildung absolvieren musste und anschließend neben dem Studium in Vollzeit arbeitete. Die Prüfung zum Bachelor of Science konnte nur bestanden werden, wenn die Praxisnachweise erbracht wurden. Der BFH hat in der geforderten praktischen Berufstätigkeit keinen Grund gesehen, die mehraktige Berufsausbildung zu verneinen.
96
Würde sich die Auffassung des FG Münster durchsetzen, könnten berufsbegleitende Ausbildungsmaßnahmen regelmäßig nicht mehr Bestandteil einer mehraktigen Berufsausbildung sein.  Die erforderliche praktische Berufstätigkeit würde unabhängig von dem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten zu einem eigenständigen Ausschlusskriterium für die mehraktige Berufsausbildung werden.
97
11. Schließlich spricht gegen das gefundene Ergebnis auch nicht der Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG (ebenso: BFH-Urteil vom 16. Juni 2015 XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378, Tz. 29 bei juris). Danach ist eine nach dem Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung ausgeübte Erwerbstätigkeit nur dann nicht anspruchsschädlich, wenn sie im Rahmen einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 20 Stunden, einem Ausbildungsdienstverhältnis oder einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wird. Zwar ist Hintergrund dieser Regelung, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass ein Kind einer Berufsausbildung nicht mehr ernsthaft nachgehen kann, wenn es regelmäßig in Vollzeit arbeitet (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152). Indes wird diese Vermutung nur für den Fall zum gesetzlichen Tatbestand erhoben, dass zwischen dem ersten Teil der Berufsausbildung und dem berufsbegleitenden Teil der Ausbildung keine sachliche und zeitliche Verzahnung vorliegt. Für die Fälle der mehraktigen Berufsausbildungen werden dagegen auch Ausbildungsabschnitte akzeptiert, die berufsbegleitend – neben einer Vollzeiterwerbstätigkeit – stattfinden.
98
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
99
IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Angesichts divergierender finanzgerichtlicher Urteile bedarf es einer höchstrichterlichen Klärung, wann ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten einer mehraktigen Ausbildung vorliegt.

Verzögerungsgeld

Niedersächsisches Finanzgericht 13. Senat, Urteil vom 14.03.2018, 13 K 114/17, ECLI:DE:FGNI:2018:0314.13K114.17.00

§ 118 S 1 AO, § 119 Abs 3 S 1 AO, § 127 AO, § 146 Abs 2b AO, § 16 AO, § 195 S 2 AO, § 200 Abs 1 AO, § 17 Abs 2 S 3 Nr 2 FVG, § 17 Abs 2 S 4 FVG

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes.
2
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bestehend aus den Gesellschaftern A und B. Sie betreiben gemeinschaftlich einen landwirtschaftlichen Betrieb (Ackerbau und Milchviehhaltung). Das Wirtschaftsjahr umfasste jeweils den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. Juni. Der Gewinn wurde durch Bestandsvergleich ermittelt.
3
Der Betriebssitz der Klägerin befindet sich im Bezirk des beklagten Finanzamts (E), und zwar in C. Dementsprechend war das beklagte Finanzamt für den Erlass der gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen und der Steuerbescheide zuständig.
4
Am 16. Februar 2016 erließ das Finanzamt D als landwirtschaftliche Bp-Zentralstelle eine Prüfungsanordnung für eine allgemeine Außenprüfung. Geprüft werden sollten die gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2010 bis 2014 (Wirtschaftsjahre 2010/2011 bis 2014/2015) und die Umsatzsteuer 2010 bis 2014. Die Prüfung sollte in dem Zeitraum April 2016 bis Juni 2016 stattfinden. Mit der Durchführung wurde ein Bediensteter des Finanzamts D beauftragt.
5
Die Außenprüfung begann am 21. November 2016. Am 25. November 2016 wandte sich der Außenprüfer per Fax an den steuerlichen Berater der Klägerin und bat um Übersendung folgender Unterlagen bis zum 16. Dezember 2016:
6
· Schlussrechnung, Bauvertrag xxx
7
· Erläuterung BW-Zugang # xxx 14/15
8
· Ergänzungsbilanzen 13/14 und 14/15
9
· Anlagenverzeichnis für Ergänzungsbilanz
10
· Klärung Differenz Grund- und Bodenverzeichnung und Ergänzungsbilanz
11
· Mapping xxx für E-Bilanz 14/15
12
Die Klägerin reagierte nicht.
13
Am 16. Januar 2017 erinnerte der Außenprüfer den steuerlichen Berater der Klägerin an die Erledigung des Faxes vom 25. November 2016 und setzte eine neue Frist bis zum 3. Februar 2017. Der Außenprüfer wies vorsorglich auf die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes hin.
14
Die Klägerin reagierte nicht.
15
Mit Schreiben vom 9. Februar 2017 wies der Außenprüfer den steuerlichen Berater der Klägerin darauf hin, dass die Klägerin der Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen und Erteilung von Auskünften nicht nachgekommen sei. Er konkretisierte die Anforderung wie folgt:
16
Unterlagen
17
· Schlussrechnung und Bauvertrag xxx
18
· Ergänzungsbilanzen 2013/14 und 2014/15 für A
19
· Anlageverzeichnisse für die Ergänzungsbilanzen 2010/11 bis 2014/15
20
· Mapping-Tabellen zur Überführung der Kontendaten aus dem Buchführungssystem xxx in die E-Bilanz 2014/15
21
Auskünfte
22
· Erläuterung BW-Zugang auf dem Sachkonto # xxx für 2014/15
23
· Klärung Differenz zwischen dem Grund- und Bodenverzeichnis und der Ergänzungsbilanz 2010/11
24
Der Außenprüfer wies auf die Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 200 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) hin und setzte eine neue Frist bis zum 3. März 2017. Schließlich drohte der Außenprüfer an, dass gemäß § 146 Abs. 2b AO ein Verzögerungsgeld in Höhe von 2.500 € festgesetzt werden würde, wenn der Aufforderung nicht nachgekommen werde.
25
Die Klägerin reagierte nicht.
26
Am 9. März 2017 übersandte der Außenprüfer dem beklagten Finanzamt einen Textentwurf für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes.
27
Mit Bescheid vom 30. März 2017 setzte das beklagte Finanzamt ein Verzögerungsgeld in Höhe von 2.500 € fest. Zur Begründung führte das beklagte Finanzamt aus, dass die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht gemäß § 200 Abs. 1 AO verletzt habe und dass die Klägerin keine Gründe vorgetragen habe, weshalb sie der Aufforderung nicht nachgekommen sei. Der Text entsprach den Vorgaben des Außenprüfers.
28
Mit am 5. April 2017 eingegangenem Schreiben legte die Klägerin Einspruch ein. Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 nahm die Klägerin erstmals zu den angeforderten Unterlagen und Auskünften Stellung:
29
· Die Rechnung der Firma xxx sei fälschlicherweise als „Abschlagsrechnung“ bezeichnet worden. Eine Schlussrechnung sei nicht erteilt worden. Einen Bauvertrag habe die Klägerin mit der Firma xxx nicht abgeschlossen.
30
· Es würde für die Anforderung von Mapping-Tabellen keine Rechtsgrundlage geben.
31
· Die Nachfrage wegen des Buchwerts auf dem Konto „xxx“ sei unverständlich.
32
· Der Buchwert des aktivierten „Grund und Boden“ sei an das Grund- und Bodenverzeichnis angepasst worden. Die Differenz könne nicht mehr aufgeklärt werden.
33
· Außerdem legte die Klägerin die Ergänzungsbilanzen zum 30. Juni 2010 und 30. Juni 2011 für den Gesellschafter A vor.
34
· Auch die Anlageverzeichnisse der Ergänzungsbilanzen für die Wirtschaftsjahre 2010/11 bis 2014/15 wurden vorgelegt.
35
Der Außenprüfer konkretisierte mit Schreiben vom 23. Mai 2017 seine Fragen zu den Mapping-Tabellen und zum Sachkonto „xxx“ und forderte die noch fehlenden Ergänzungsbilanzen an.
36
Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Juni 2017 mit, dass es nach Auskunft der Firma xxx keine Mapping-Tabellen gebe. Die Buchungen im Zusammenhang mit dem xxx wurden erläutert. Die fehlenden Ergänzungsbilanzen wurden vorgelegt.
37
Im Einspruchsverfahren gegen die Festsetzung des Verzögerungsgeldes trug die Klägerin vor, dass nicht das beklagte Finanzamt, sondern das Finanzamt D für die Festsetzung des Verzögerungsgeldes zuständig gewesen sei. Dies liege daran, dass das Finanzamt D für die Durchführung der Betriebsprüfungen von landwirtschaftlichen Betrieben im Bezirk des beklagten Finanzamts zuständig sei. Das Finanzamt D habe in eigener Zuständigkeit die Außenprüfung angeordnet. Die Außenprüfung sei von einem Bediensteten des Finanzamts D durchgeführt worden. Das Finanzamt D habe auch die Festsetzung des Verzögerungsgeldes angedroht.
38
Unabhängig davon fehle es an einer ausreichenden Begründung der Ermessensentscheidung. Der Außenprüfer hätte die Außenprüfung ohne die angeforderten Unterlagen beenden können. Dies ergebe sich aus Folgendem:
39
· Der Außenprüfer hätte in Bezug auf die fehlende Schlussrechnung Abschreibungen im Wege der Schätzung vermindern können.
40
· Die Ergänzungsbilanzen würden lediglich Grund- und Boden, Wirtschaftsgebäude und das Kapital ausweisen. Der Wert des Wirtschaftsgebäudes würde sich seit Jahren um unveränderte Abschreibungsbeträge vermindern.
41
· Es sei zweifelhaft, dass Mapping-Tabellen, aus denen die Überführung der Kontenarten aus dem Buchführungssystem in die E-Bilanz ersichtlich seien, vorgelegt werden müssten. Die vorgelegten Buchführungsdaten würden keinen Zweifel lassen, dass sie vollständig und sachlich zutreffend in die E-Bilanz übernommen worden seien.
42
· Es erschließe sich nicht, weshalb der Buchwert-Zugang auf dem Konto „xxx“ erläuterungsbedürftig sei.
43
· Der Wert für den Grund und Boden in der Ergänzungsbilanz 2010/11 sei unzutreffend. Er sei in der Folgezeit an das Grund- und Bodenverzeichnis angepasst worden.
44
Mit Einspruchsbescheid vom 11. Mai 2017 (zugestellt am 15. Mai 2017) wies das beklagte Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück. Der Tatbestand des § 146 Absatz 2b AO sei im Streitfall erfüllt. Gegenüber der Klägerin sei eine Außenprüfung angeordnet worden. Deshalb habe das Finanzamt die Klägerin auffordern dürfen, die aufgelisteten Unterlagen vorzulegen und die genannten Auskünfte zu erteilen. Die Frist habe eine angemessene Länge gehabt. Die Klägerin habe letztlich rund vier Monate Zeit gehabt, der Aufforderung des Finanzamts nachzukommen, bevor das Verzögerungsgeld festgesetzt worden sei.
45
Das Finanzamt habe sein Entschließungsermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Nachdem die Klägerin insgesamt vier Mal ergebnislos aufgefordert worden sei, diverse Unterlagen/ Auskünfte einzureichen/ zu erteilen, sei es ermessensgerecht gewesen, das gesetzlich vorgesehene Sanktionsmittel einzusetzen, zumal dieses zuvor angedroht worden sei. Gründe, die ein Verschulden ausschließen würden, seien nicht vorgetragen worden. Die Unterlagen/ Auskünfte seien erforderlich gewesen, um die Außenprüfung ordnungsgemäß fortsetzen zu können. Es liege kein nur geringfügiger Verstoß der Klägerin gegen die Mitwirkungspflichten vor. Da das Finanzamt Art und Umfang der Ermittlungen bestimme, habe die Klägerin diejenigen Aufzeichnungen und Unterlagen vorzulegen, die nach Einschätzung des Finanzamts für eine ordnungsgemäße und effiziente Abwicklung der Außenprüfung erforderlich seien, ohne dass es einer zusätzlichen Begründung hinsichtlich ihrer steuerlichen Bedeutung bedürfe.
46
Beim Auswahlermessen bedürfe es keiner gesonderten Begründung, wenn – wie im Streitfall – lediglich der Mindestbetrag in Höhe von 2.500 € festgesetzt werde. Im Übrigen erscheine der Mindestbetrag in Anbetracht der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin auch ermessensgerecht.
47
Die Festsetzung des Verzögerungsgeldes sei auch durch die zutreffende Behörde erfolgt. Für die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Klägerin sei das Finanzamt E gemäß § 17 AO in Verbindung mit § 18 Abs. 1 Nr. 1 AO zuständig. Das Finanzamt D sei lediglich nach § 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) für die Durchführung der Außenprüfungen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, die in den Bezirken der Finanzämter D, xxx, xxx und E ansässig seien, zuständig. Das Finanzamt D erlasse die Prüfungsanordnung, führe die Betriebsprüfung durch, ermittle die Besteuerungsgrundlagen und übersende die Besteuerungsgrundlagen dem beklagten Finanzamt zur technischen Auswertung bzw. zur Erstellung der Steuerbescheide. Das Finanzamt D habe keinen Zugriff auf die bei dem beklagten Finanzamt geführten Speicherkonten der Klägerin. Zutreffend habe der Außenprüfer des Finanzamts D das Verzögerungsgeld angedroht, die Festsetzung vorbereitet und das beklagte Finanzamt um die technische Umsetzung und Absendung des Bescheides gebeten. Dementsprechend sei in dem Bescheid auch der Außenprüfer des Finanzamts D als Bearbeiter genannt worden.
48
Mit am 12. Juni 2017 eingegangener Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
49
Das beklagte Finanzamt sei für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nicht zuständig gewesen. Nach der Verordnung über Zuständigkeiten der Finanzbehörden vom 1. Dezember 2015 sei das Finanzamt D für die Betriebsprüfung von landwirtschaftlichen Betrieben zuständig, die ihren Sitz im Bezirk des Finanzamts E hätten. Somit sei allein das Finanzamt D für die Auswahl der zu prüfenden landwirtschaftlichen Betriebe und die weitere Organisation und Durchführung der Außenprüfung bei diesen Betrieben zuständig. Die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen im Sinne des § 200 Abs. 1 AO sowie die etwaige Androhung und Festsetzung von Verzögerungsgeldern seien Verfahrenshandlungen im Rahmen der Außenprüfung. Sie würden damit der örtlichen Zuständigkeit für die Außenprüfung selbst folgen. Der Bundesfinanzhof habe in aller Klarheit entschieden, dass für die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes das Finanzamt zuständig sei, dass die Prüfungsanordnung erlassen habe. Deshalb sei das Finanzamt D für die Festsetzung des Verzögerungsgeldes zuständig.
50
Hilfsweise werde vorgetragen, dass die Festsetzung des Verzögerungsgeldes ermessensfehlerhaft gewesen sei. Dies ergebe sich aus Folgendem:
51
· Der Außenprüfer habe allein aufgrund der Tatsache, dass eine Rechnung als „Abschlagsrechnung“ bezeichnet worden sei, eine Endabrechnung angefordert. Anhaltspunkte dafür, dass eine Endabrechnung tatsächlich erstellt worden sei, habe es nicht gegeben. Die Rechnung sei komplett bezahlt worden. Es hätte keinen weiteren Zahlungsvorgang gegeben. Der Außenprüfer hätte direkt auf dem landwirtschaftlichen Betrieb nach der Schlussrechnung fragen können. Es erscheine im Übrigen ausgeschlossen, dass eine Schlussrechnung zu einer Minderung der Anschaffungs- und Herstellungskosten hätte führen können. Sachgerecht wäre es deshalb gewesen, die Anschaffungs- und Herstellungskosten nach der vorliegenden Rechnung zu ermitteln und nicht, ein Verzögerungsgeld festzusetzen.
52
· Die weitere Vermutung des Außenprüfers, dass Baurechnungen in bar oder vom Privatkonto der Gesellschafter durch Verrechnung mit Gegenleistungen erfolgt seien, sei abwegig, weil nicht angenommen werden könne, dass Zahlungen für Bauleistungen, die einen steuerlichen Vorteil erbringen, nicht in der Buchführung ausgewiesen werden würden. Es sei auch unverständlich, weshalb der Außenprüfer diesen Punkt aufrechterhalten habe, obwohl er später durch Kontrollmitteilungen geklärt habe, dass sich seine Vermutungen nicht bewahrheitet hätten.
53
· Bei den Sonderbilanzen würde es sich um reine Formalien handeln. Dort würden die Wirtschaftsgüter ausgewiesen werden, die dem Gesellschafter A persönlich zugerechnet werden würden. Es handele sich um landwirtschaftliche Nutzflächen und um landwirtschaftliche Wirtschaftsgebäude. Die einzige Position mit Gewinnauswirkung sei die Gebäudeabschreibung. Diese werde jeweils in gleicher Höhe angesetzt. Die zuletzt ausgewiesenen Gebäudewerte seien so hoch gewesen, dass eine Vollabschreibung bis zum Ende des Prüfungszeitraums ausgeschlossen gewesen sei. Ermessenskonform sei allenfalls die Nichtanerkennung der geltend gemachten Abschreibung gewesen.
54
· Entsprechendes würde für das Anlageverzeichnis gelten. Die Entwicklung des Gebäudewertes sei auch ohne Vorlage eines Anlagenverzeichnisses nachvollziehbar gewesen.
55
· Auch die Anforderung der sogenannten Mapping-Tabellen zur Überführung der Kontendaten aus dem Buchführungssystem xxx in die E-Bilanz sei sinnlos gewesen. Es erscheine abwegig, dass ein gestandener Betriebsprüfer nicht in der Lage sei, festzustellen, dass sämtliche Konten aus den Buchführungsunterlagen in die E-Bilanz übernommen worden seien. Dem Außenprüfer sei das komplette Buchführungswerk auf einem Datenträger zur Verfügung gestellt worden. Er habe deshalb nachprüfen können, dass die E-Bilanz vollständig gewesen sei. Da aus dem Fehlen der Mapping-Tabellen später keine steuerlichen Folgerungen gezogen worden seien, sei die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes auch in diesem Punkt ermessensfehlerhaft.
56
· Die Aufforderung, den Buchwert-Zugang auf dem Sachkonto # xxx zu erläutern, sei wegen fehlender Klarheit der Fragestellung nicht zu beantworten gewesen. Die vorgenommenen Buchungen auf dem Konto „Anlagen im Bau“ und die anschließende Umbuchung auf das Konto „xxx“ würden den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprechen. Ein langjährig erfahrener Außenprüfer könne an einem solchen Vorgang nicht scheitern. Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes sei auch in diesem Punkt ermessensfehlerhaft.
57
· Die Klärung der Differenz zwischen dem Grund- und Bodenverzeichnis und der Ergänzungsbilanz 2010/11 hätte von selbst beantwortet werden können. Der Buchwert sei an das Grund- und Bodenverzeichnis angepasst worden.
58
Zusammenfassend sei nicht feststellbar, dass das Verhalten der Klägerin den Ablauf der Außenprüfung nennenswert beeinträchtigt habe. Daher sei die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nicht gerechtfertigt. Die Außenprüfung sei mit folgenden Gewinnerhöhungen beendet worden:
59
30.06.2013 3.997 €
30.06.2014        3 €
30.06.2015 4.000 €
60
Die Tatsache, dass die wichtigsten Punkte des Bescheids über das Verzögerungsgeld im Betriebsprüfungsbericht keinen Niederschlag gefunden hätten, zeige den Ermessensfehlgebrauch deutlich auf.
61
Die Klägerin beantragt,
62
den Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes vom 30. März 2017 in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom 11. Mai 2017 aufzuheben.
63
Der Beklagte beantragt,
64
die Klage abzuweisen.
65
Der Beklagte verweist wegen der Zuständigkeit des beklagten Finanzamts auf die Ausführungen in dem Einspruchsbescheid. Das beklagte Finanzamt sei lediglich für die technische Umsetzung zuständig gewesen. Das Entschließungs- und Auswahlermessen sei dagegen in zutreffender Weise durch den Außenprüfer ausgeübt worden. Er habe das beklagte Finanzamt lediglich angewiesen, den von ihm gefassten Entschluss in Form eines Bescheids umzusetzen, weil er keinen Zugriff auf die Speicherkonten gehabt habe.
66
Im Übrigen weist der Beklagte die Rechtfertigungsversuche der Klägerin wie folgt zurück:
67
· Die Schlussrechnung sei angefordert worden, weil die erteilte Rechnung als „Abschlagsrechnung“ bezeichnet worden sei. Der Außenprüfer habe davon ausgehen dürfen, dass noch eine Schlussrechnung erteilt worden sei. Außerdem habe der Außenprüfer davon ausgehen dürfen, dass ein Bauvertrag zwischen der Klägerin und dem Bauunternehmen bestanden habe.
68
· Nach § 60 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) seien die Sonderbilanzen der Steuererklärung beizufügen. Ob es sich um eine reine Formalie handele, sei unerheblich. Ohne Vorlage der Sonderbilanzen könne der Umfang der Veränderungen hinsichtlich des Sonderbetriebsvermögens nicht festgestellt werden.
69
· Die Mapping-Tabellen seien angefordert worden, weil im Rahmen der Prüfung weder mit dem detaillierten Kontenplan noch mit einer Zusammenfassung der einzelnen Konten nach Kontenklassen möglich gewesen sei, verschiedene Positionen in der elektronisch übermittelten G+V-Rechnung nachzuprüfen. Nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO würden die Mapping-Tabellen zu den aufbewahrungspflichtigen Unterlagen gehören. Sie seien zum Verständnis und zur Überprüfung der Aufzeichnungen notwendig. Andernfalls sei eine Überprüfung der Buchführung nicht in angemessener Zeit möglich (§ 145 Abs. 1 AO). Soweit das Buchführungssystem technisch nicht in der Lage sei, die Tabellen elektronisch vorzuhalten, treffe die Klägerin die Verantwortung.
70
· Die Buchungen auf dem Sachkonto # xxx“ seien zunächst nicht nachvollziehbar gewesen. Deshalb sei der Außenprüfer berechtigt gewesen, nachzufragen.
71
· Soweit der Steuerpflichtige die Einzelbewertung des Grund- und Bodens nicht in der Bilanz oder im Anlagenverzeichnis vornehme, sei er aus Gründen der Bilanzklarheit verpflichtet, ein Verzeichnis des Grund- und Bodens zu führen. Im Streitfall hätte erst nach Vorlage dieses Verzeichnisses festgestellt werden können, dass eine forstwirtschaftliche Fläche mit einem Wert von 42.xxx € im Bilanzansatz gefehlt habe.
72
Entgegen der Auffassung der Klägerin sei nicht relevant, ob die von dem Außenprüfer angeforderten Unterlagen und Auskünfte aus Sicht der Klägerin erforderlich gewesen seien. Es komme nur darauf an, dass der Außenprüfer die angeforderten Unterlagen und Auskünfte für erforderlich gehalten habe.
73
Bei einer zeitnahen Vorlage der Unterlagen hätte die Prüfung bereits im Dezember 2016 abgeschlossen werden können. Es sei zu einer Verzögerung von sechs Monaten gekommen, weil die Klägerin erst im Mai 2017 reagiert habe. Der Bp-Bericht hätte erst im Juni 2017 abgefasst werden können.
74
Es sei nur der Mindestbetrag für das Verzögerungsgeld angesetzt worden. Die Klägerin sei wirtschaftlich leistungsfähig.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.
76
I. Das beklagte Finanzamt durfte das Verzögerungsgeld wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit nicht festsetzen.
77
1. Die sachliche Zuständigkeit der Finanzbehörden richtet sich, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG) (vgl. § 16 AO).
78
2. Das FVG unterscheidet zwischen folgenden Landesfinanzbehörden: Die für die Finanzverwaltung zuständige oberste Landesbehörde (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 FVG), Oberbehörden, soweit sie nach dem FVG oder dem Landesrecht eingerichtet worden sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 FVG), Oberfinanzdirektionen als Mittelbehörden, soweit sie als solche eingerichtet worden sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 FVG) und Finanzämter als örtlichen Behörden (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 FVG).
79
3. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 FVG sind für die Verwaltung der Steuern – mit Ausnahme bestimmter, hier nicht einschlägiger Besonderheiten – die Finanzämter als örtliche Landesbehörden zuständig. Grundsätzlich obliegt also allen Finanzämtern eines Landes die Aufgabe der „Verwaltung der Steuern“. Der gesetzliche Begriff „Verwaltung der Steuern“ umfasst dabei grundsätzlich alle im Vierten bis Achten Teil der Abgabenordnung erfassten Arten des Verwaltungshandelns (Durchführung der Besteuerung, Erhebung, Vollstreckung, außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren, Einleitung von Straf- und Bußgeldverfahren; so Krumm in Tipke/ Kruse, AO/ FGO, § 17 FVG Rz. 2). Unter den Begriff der „Verwaltung der Steuern“ fällt aber auch die Durchführung von Außenprüfungen (vgl. BFH-Urteil vom 4. April 1984 I R 269/81, BStBl II 1984, 563; BFH-Beschluss vom 28. Mai 1986 I B 22/86, BStBl II 1986, 656; BFH-Urteil vom 21. April 1993 X R 112/91, BStBl II 1993, 649; Beschluss des FG Düsseldorf vom 24. Juni 2003 – 13 V 6378/02 A (AO), juris). Weil es um die inhaltliche Aufgabenzuweisung geht, stellt § 17 Abs. 2 Satz 1 FVG eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit der Finanzämter im Sinne des § 16 AO dar (Schmieszek in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 17 FVG, Rz. 14, 17 und 20).
80
4. Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 FVG kann die zuständige Landesregierung einem Finanzamt die Zuständigkeit für die Bezirke mehrerer Finanzämter übertragen, soweit es sich um Aufgaben der Finanzverwaltung handelt und hierdurch der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert wird. Eine solche Zuständigkeitskonzentration ändert zugleich die sachliche und örtliche Zuständigkeit für den Aufgabenbereich, der von der landesrechtlichen Regelung erfasst wird. Die Niedersächsische Landesregierung hat die Verordnungsermächtigung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 4 FVG in Verbindung mit § 1 Nr. 2 Subdelegationsverordnung vom 23. Juli 2003 (Nds. GVBl. S. 306) zunächst auf das Niedersächsische Finanzministerium übertragen. Dieses hat in § 2 Abs. 1 der Verordnung über Zuständigkeiten der Finanzbehörden (ZustVO-FinB) vom 14. Dezember 2005 (Nds. GVBl. 2005, 411), zuletzt geändert durch Verordnung vom 15. Dezember 2017 (Nds. GVBl. S. 473) festgelegt, dass bestimmte Finanzämter nach Maßgabe der Anlage 1 für die Bezirke anderer Finanzämter zuständig sind. Unter Textziffer 16 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 ZustVO-FinB (Sachliche und örtliche Zuständigkeiten von Finanzämtern im Besteuerungsverfahren für die Bezirke anderer Finanzämter) ist geregelt worden, dass das Finanzamt D für die Finanzämter E, xxx und xxx die sachliche Zuständigkeit für Außenprüfungen bei Steuerpflichtigen übernimmt, die einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb oder einen gewerblichen Betrieb des Garten- und Landschaftsbaus unterhalten oder eine Jagd, Gärtnerei, Tierhaltung oder Biogasanlage gewerblich betreiben.
81
5. Nach dieser landesrechtlichen Zuständigkeitskonzentration ist das Finanzamt D für die Außenprüfung bei der Klägerin, die einen landwirtschaftlichen Betrieb innehat, sachlich und örtlich zuständig (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 2012 III R 85/11, BFH/NV 2012, 1411). Hiervon gehen auch die Beteiligten aus. Die Zuweisung einer bestimmten Aufgabe an ein Finanzamt im Wege der Zuständigkeitskonzentration bedeutet zugleich, dass die anderen Finanzämter die sachliche Zuständigkeit für diese Aufgabe verlieren (Schmieszek in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 17 FVG, Rz. 21). Daher ist das beklagte Finanzamt für die Außenprüfung bei der Klägerin nicht mehr sachlich zuständig.
82
6. Die sachliche Aufgabenverlagerung durch landesrechtliche Verordnung ist nicht mit der Auftragsprüfung gemäß § 195 Satz 2 AO vergleichbar. In den Fällen des § 195 Satz 2 AO besteht eine sachliche und örtliche Zuständigkeit des für die Besteuerung zuständigen Finanzamts (vgl. § 195 Satz 1 AO). Durch eine Auftragserteilung im Sinne von § 195 Satz 2 AO wird einer an sich unzuständigen Finanzbehörde lediglich für den konkreten Einzelfall die Befugnis erteilt, für das eigentlich zuständige Finanzamt die Prüfung durchzuführen. Es handelt sich um ein Kooperationsverhältnis, was u.a. dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Prüfungsanordnung sowohl von dem beauftragenden Finanzamt als auch von dem beauftragten Finanzamt erlassen werden kann (vgl. Schallmoser in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 AO, Rz. 34; Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 AO, Rz. 40). Ein derartiges Kooperationsverhältnis besteht bei einer Zuständigkeitskonzentration gemäß § 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 FVG in Verbindung mit Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 ZustVO-FinB nicht. Für die Außenprüfung ist allein das Finanzamt D sachlich zuständig.
83
7. Die landesrechtliche Regelung entspricht den Vorgaben des § 17 Abs. 2 Sätze 3 und 4 FVG und damit auch des Art. 80 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 Grundgesetz (GG). Dies gilt unabhängig davon, dass in der landesrechtlichen Regelung Rechtsbegriffe enthalten sind, die der Auslegung bedürfen (vgl. BFH-Urteil vom 11. September 1991 XI R 16/90, BStBl II 1992, 132 zu einer Verordnung des Finanzministeriums des Landes Baden-Württemberg). Diese Auslegung obliegt dem Niedersächsischen Finanzgericht, weil die ZustVO-FinB als Landesrecht bezüglich Anwendung und Auslegung grundsätzlich nicht revisibel ist (BFH-Beschluss vom 2. März 1982 VII B 148/81, BStBl II 1982, 327; BFH-Urteil vom 26. März 1991 IX R 39/88, BStBl II 1991, 439; BFH-Urteil vom 19. April 2012 III R 85/11, BFH/NV 2012, 1411).
84
8. Der Begriff der „Außenprüfung“ in Textziffer 16 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 ZustVO-FinB ist dahingehend zu verstehen, dass nur der eigentliche Prüfungsdienst beim Finanzamt D konzentriert worden ist. Da § 2 Abs. 1 ZustVO-FinB – anders als in § 195 Sätze 2 und 3 AO – keine Erweiterung der Befugnisse der Außenprüfung auf die anschließende Steuerfestsetzung und verbindliche Zusagen regelt (sog. „veranlagende Außenprüfung“), kann nicht angenommen werden, dass der Begriff „Außenprüfung“ die anschließende Steuerfestsetzung mit umfasst. Es kommt in den Fällen der Zuständigkeitskonzentration nach der ZustVO-FinB zu einer Aufspaltung der Zuständigkeit zwischen Ermittlung und Festsetzung der Steuer. Die Rechtsprechung hat gegen eine solche Aufspaltung keine Bedenken geäußert (BFH-Urteil vom 4. April 1984 I R 269/81, BStBl II 1984, 563; nachfolgend: BVerfG-Beschluss vom 3. September 1984 – 2 BvR 48/84, HFR 1985, 285; Beschluss des FG Düsseldorf vom 24. Juni 2003 – 13 V 6378/02 A (AO), juris; Schmieszek in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 17 FVG, Rz. 27). Daher ist das Prüfungsfinanzamt nur für die Durchführung der Außenprüfung zum Zwecke der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zuständig. Die Sachentscheidungsbefugnis (Festsetzung der Steuer) verbleibt dagegen bei dem örtlich zuständigen Veranlagungsfinanzamt (Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 AO Rz. 16).
85
9. Die Abgrenzung, ob eine Verfahrenshandlung zur Ermittlungsaufgabe des Prüfungsfinanzamts oder zur Besteuerungsaufgabe des im Übrigen zuständigen Veranlagungsfinanzamts gehört, kann im Einzelfall schwierig sein. Einen ersten Anhalt für die Abgrenzung bietet die systematische Anordnung der Vorschriften in der Abgabenordnung. So sind die Vorschriften über die Außenprüfung im Vierten Abschnitt des Vierten Teils der Abgabenordnung geregelt. Eine schematische Zuordnung sämtlicher Verfahrenshandlungen, die ihre Rechtsgrundlage im Vierten Abschnitts des Vierten Teils der Abgabenordnung haben, in den Zuständigkeitsbereich des Prüfungsfinanzamts, verbietet sich jedoch. Vielmehr bedarf es einer funktionalen Betrachtungsweise.
86
10. Die Verfahrenshandlungen, die der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, also der eigentlichen (Außen-)“Prüfung“ dienen, gehören zum sachlichen Aufgabenumfang des Prüfungsfinanzamts. Die Verfahrenshandlungen, die der Festsetzung der Steuer dienen, gehören dagegen zum sachlichen Aufgabenumfang des für die Besteuerung zuständigen Finanzamts, auch wenn sie während einer Außenprüfung erfolgen. Deshalb ist für tatsächliche Verständigungen, verbindliche Auskünfte und Zusagen nicht das Prüfungsfinanzamt, sondern das Veranlagungsfinanzamt zuständig (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1990 III R 19/88, BStBl II 1991, 45; BFH-Urteil vom 28. Juli 1993 XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290; BFH-Urteil vom 26. November 1997 III R 109/93, BFH/NV 1998, 808 jeweils für tatsächliche Verständigung). Das folgt aus dem Grundsatz, dass eine Behörde, die befugt ist, eine hoheitliche Maßnahme zu treffen, auch befugt ist, diesbezügliche Zusagen zu geben (Schmieszek in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 17 FVG, Rz. 20 und 25).
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11. Nach diesen Grundsätzen ist nicht das beklagte Finanzamt, sondern das Finanzamt D für die Festsetzung des Verzögerungsgeldes örtlich und sachlich zuständig.
88
a) Zwar ist das Verzögerungsgeld in § 146 Abs. 2b AO und damit im Zweiten Abschnitt des Vierten Teils der Abgabenordnung geregelt worden. Das Verzögerungsgeld ist von dem Gesetzgeber daher nicht den Vorschriften über die Außenprüfung zugeordnet worden. Diese Einordnung ist aber – jedenfalls für den Fall der Verletzung von Mitwirkungspflichten bei einer Außenprüfung – systematisch missglückt. Insoweit hätte das Verzögerungsgeld besser in einem neuen § 200 Abs. 1a AO verortet werden sollen (so Drüen in Tipke/ Kruse, AO/ FGO, § 146 AO Rz. 51; ebenfalls kritisch: BFH-Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10, BStBl II 2011, 855; BFH-Beschluss vom 28. Juni 2011 X B 37/11, BFH/NV 2011, 1833; Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 3. Februar 2010 – 3 V 243/09, EFG 2010, 686 „systematisch unglücklich angesiedelt“). Deshalb kann nicht allein aus der systematischen Stellung der Vorschrift abgeleitet werden, dass für die Festsetzung des Verzögerungsgeldes das für die Besteuerung zuständigen Veranlagungsfinanzamts sachlich zuständig ist.
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b) Für die Zuordnung der Festsetzungsbefugnis zum Prüfungsfinanzamt spricht dagegen der Zweck des Verzögerungsgeldes. Ausweislich der gesetzgeberischen Intention wird mit dem Verzögerungsgeld ein doppelter Zweck verfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 28. August 2012 I R 10/12, BStBl II 2013, 266; BFH-Urteil vom 26. Juni 2014 IV R 17/14, BFH/NV 2014, 1507). Es dient zum einen dazu, den Steuerpflichtigen zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten nach § 200 AO im Rahmen einer Außenprüfung zeitnah anzuhalten (Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum JStG 2009 vom 2. September 2008, BT-Drucks. 16/10189, S. 81; auch Antwort 1 in „Fragen und Antworten zum Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO“ BMF Referat IV A 4, Stand: 28. September 2011, veröffentlicht auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums). Insoweit hat das Verzögerungsgeld Beugecharakter und ist einem Zwangsgeld ähnlich. Zum anderen soll aber auch die Verletzung der Mitwirkungspflichten sanktioniert werden. Der repressive Charakter liegt hierbei in der Abschöpfung von Vorteilen (Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 11. September 2013 – 3 K 1236/10, EFG 2014, 698; Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12. Juli 2016 – 9 K 512/14, juris). Zusammengefasst handelt es sich um ein Druckmittel eigener Art (so Antwort 2 in „Fragen und Antworten zum Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO“ a.a.O.). Ziel und Zweck ist die Durchsetzung der Mitwirkungspflichten im Rahmen einer Außenprüfung. Das Verzögerungsgeld dient mithin der zeitnahen Durchführung der Außenprüfung. Deshalb ist auch das Finanzamt, das mit der Durchführung der Außenprüfung betraut ist, für die Festsetzung des Verzögerungsgeldes zuständig.
90
c) Hierfür spricht auch die sachliche Reichweite des Verzögerungsgeldes. Nach dem Gesetzeswortlaut in § 146 Abs. 2b AO kann das Verzögerungsgeld nur festgesetzt werden, wenn Auskünfte oder Unterlagen „im Sinne des § 200 Abs. 1“ verweigert bzw. nicht vorgelegt werden. Es geht um Auskünfte und Unterlagen, die „im Rahmen einer Außenprüfung“ angefordert werden. Der Gesetzeswortlaut verkoppelt die Sanktion des Verzögerungsgeldes mit den (nicht erfüllten) Mitwirkungspflichten nach § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung. Es handelt sich um ein Instrument, dass dem prüfenden Finanzamt zur Verfügung gestellt wird, um seine Prüfungsaufgabe zügig erledigen zu können. Ein Zusammenhang mit den Aufgaben des Feststellungs- oder Veranlagungsfinanzamts ist dagegen nicht zu erkennen. Insbesondere steht das Verzögerungsgeld in keinem inneren Zusammenhang mit der Festsetzung der Steuern.
91
d) Schließlich spricht für die Zuständigkeit des Prüfungsfinanzamts, dass nur dasjenige Finanzamt, welches mit der Prüfungsaufgabe betraut ist, das ihm bei der Festsetzung des Verzögerungsgeldes zustehende Ermessen sachgerecht ausüben kann. Das festsetzende Finanzamt hat eine zweifache Ermessensentscheidung zu treffen, nämlich erstens im Hinblick darauf, ob ein Verzögerungsgeld festgesetzt wird (sog. Entschließungsermessen), sowie zweitens – falls das Entschließungsermessen zu Lasten des Steuerpflichtigen ausgeübt worden ist – eine Entscheidung über die Höhe der Sanktion innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens von mindestens 2.500 € bis höchstens 250.000 € (sog. Auswahlermessen) (BFH-Urteil vom 28. August 2012 I R 10/12, BStBl II 2013, 266; BFH-Urteil vom 24. April 2014 IV R 25/11, BStBl II 2014, 819; BFH-Urteil vom 26. Juni 2014 IV R 17/14, BFH/NV 2014, 1507). Nach der Rechtsprechung bedarf es schon bei der Ausübung des Entschließungsermessens einer umfangreichen Abwägung anhand der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen und dem Ausmaß der Pflichtverletzung sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung durch die Pflichtverletzung (BFH-Urteil vom 28. August 2012 I R 10/12, BStBl II 2013, 266; BFH-Urteil vom 26. Juni 2014 IV R 17/14, BFH/NV 2014, 1507; Gerichtsbescheid des Finanzgerichts des Saarlandes vom 28. Januar 2015 – 1 K 1102/13, juris; Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12. Juli 2016 – 9 K 512/14, juris). Angesichts der Höhe des Mindestbetrags von 2.500 €, der nicht als Bagatellbetrag angesehen werden kann, ist eine Vorprägung des Entschließungsermessens, wonach jede Verletzung der Mitwirkungspflichten gemäß § 200 Abs. 1 AO – unabhängig ob dem Steuerpflichten ein Schuldvorwurf trifft – ermessensfehlerhaft (BFH-Urteil vom 28. August 2012 I R 10/12, BStBl II 2013, 266; BFH-Urteil vom 24. April 2014 IV R 25/11, BStBl II 2014, 819; BFH-Urteil vom 26. Juni 2014 IV R 17/14, BFH/NV 2014, 1507). Eine an dem Einzelfall ausgerichtete Würdigung der Gesamtumstände kann aber nicht das Feststellungsfinanzamt oder das für die Besteuerung zuständige Veranlagungsfinanzamt vornehmen. Dies obliegt vielmehr dem Prüfungsfinanzamt, dem die Gesamtumstände des Einzelfalls bekannt sind. Nur so ist gewährleistet, dass die Tatsachengrundlage für eine sachgemäße Ermessensentscheidung vorhanden ist.
92
e) Dementsprechend hat der BFH in seinem Urteil vom 24. April 2014 (IV R 25/11, BStBl II 2014, 819) ausgeführt, dass sowohl die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen gemäß § 200 Abs. 1 AO, als auch die Androhung und Festsetzung eines Verzögerungsgeldes Verfahrenshandlungen im Rahmen der Außenprüfung sind. Die Zuständigkeit für diese Verfahrenshandlungen richtet sich deshalb nach der (örtlichen) Zuständigkeit für die Außenprüfung selbst. Zwar bezogen sich die Ausführungen des BFH in dem damaligen Fall auf die örtliche Zuständigkeit, weil damals fraglich war, ob infolge der Verlagerung der Geschäftsleitung ein Zuständigkeitswechsel bezüglich der örtlichen Zuständigkeit stattgefunden hatte. Die Beurteilung durch den BFH, dass die Festsetzung des Verzögerungsgeldes eine Verfahrenshandlung im Rahmen der Außenprüfung ist, hat aber auch Bedeutung für die Frage, welches Finanzamt für die Festsetzung sachlich zuständig ist. Bei einer Aufspaltung der sachlichen Zuständigkeit zwischen „Außenprüfung“ und „Besteuerung“ ist die Festsetzung des Verzögerungsgeldes dem Außenprüfungsverfahren und damit dem Prüfungsfinanzamt zuzuordnen.
93
12. Soweit das beklagte Finanzamt in der Einspruchsentscheidung und im Klageverfahren die Auffassung vertreten hat, dass „eigentlich“ das Finanzamt D die Entscheidung getroffen habe, kann der Senat nicht folgen.
94
a) Nach § 119 Abs. 3 Satz 1 AO muss ein schriftlich erlassener Verwaltungsakt die erlassende Behörde erkennen lassen. Es gehört zu den essentialia negotii eines Verwaltungsakts, dass der Empfänger erkennen kann, wer der Urheber der ihn belastenden Regelung ist. Fehlt dem Verwaltungsakt die Angabe der erlassenden Behörde, ist er wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig (§ 125 Abs. 2 Nr. 1 AO). Nach der Rechtsprechung des BFH lässt ein Bescheid die erlassende Behörde hinreichend erkennen, wenn sie zumindest aufgrund der begleitenden Umstände ermittelt werden kann (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1985 VII R 185/83, BFH/NV 1986, 720; BFH-Beschluss vom 24. Juli 2003 III B 78/02, BFH/NV 2003, 1610). Ausreichend ist, wenn der Bescheid die Adresse des erlassenden Finanzamtes enthält und die Einspruchsentscheidung einen Aufdruck mit dem Dienstsiegel trägt.
95
b) Im vorliegenden Fall ist das Verzögerungsgeld von dem beklagten Finanzamt festgesetzt worden. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Bescheid vom 30. März 2017. Gemäß § 124 Abs. 1 Satz 2 AO wird ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.  Der Bescheid weist in der Kopfzeile das beklagte Finanzamt als erlassende Behörde aus. Auch die Adresse des beklagten Finanzamts und die sonstigen Kontaktdaten sind angegeben. Als Ort des Ergehens des Verwaltungsakts ist der Sitz des beklagten Finanzamts genannt. Das Finanzamt D wurde lediglich unter der Rubrik „Mein Zeichen (Bei Antwort angeben)“ nach der Angabe der Steuernummer aufgeführt. Gleiches gilt für die ebenfalls unter dieser Rubrik genannten Namen des Außenprüfers. Daraus konnte ein objektiver Dritter nicht schließen, dass das Finanzamt D die erlassende Behörde sein sollte. Nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont in Verbindung mit §§ 133, 157 BGB analog kann kein Zweifel bestehen, dass das beklagte Finanzamt und nicht das Finanzamt D das Verzögerungsgeld festgesetzt hat.
96
c) Zwar kann das für die Besteuerung zuständige Finanzamt den Bescheid des Prüfungsfinanzamts auch als bloßer Bote an den Steuerpflichtigen bekannt geben (vgl. Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 AO, Rz. 40, für den umgekehrten Fall). Dazu ist aber erforderlich, dass aus dem Verwaltungsakt eindeutig hervorgeht, dass die erlassende Behörde das Prüfungsfinanzamt ist, die Regelung im Sinne von § 118 Satz 1 AO mithin durch das Prüfungsfinanzamt und nicht durch das Besteuerungsfinanzamt getroffen wird. Es muss sich aus dem Bescheid ergeben, dass das Besteuerungsfinanzamt nur die durch das Prüfungsfinanzamt getroffene Regelung zum Steuerpflichtigen „transportiert“. Im vorliegenden Fall ist aus dem angefochtenen Bescheid nicht einmal ansatzweise zu erkennen, dass das beklagte Finanzamt nur Bote einer Entscheidung des Prüfungsfinanzamts sein wollte. Im Gegenteil deuten alle Merkmale des Festsetzungsbescheids darauf hin, dass das beklagte Finanzamt selbst die erlassende Behörde war.
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d) Entgegen der Auffassung des beklagten Finanzamts hat dieses inhaltlich eine eigene Regelung im Sinne von § 118 Satz 1 AO getroffen. Zwar hat sich das beklagte Finanzamt beim Erlass des Festsetzungsbescheids an den Textentwurf des Außenprüfers vom Finanzamt D gehalten. Es bestand aber keinerlei erkennbare rechtliche Bindungswirkung an die Textvorgabe. Aus dem Festsetzungsbescheid wird auch nicht deutlich, dass das Entschließungs- und Auswahlermessen durch das Finanzamt D und nicht durch das beklagte Finanzamt ausgeübt worden ist. Vielmehr musste ein objektiver Empfänger des Festsetzungsbescheids annehmen, dass das beklagte Finanzamt selbst das Entschließungs- und Auswahlermessen ausgeübt hat.
98
e) So hat das beklagte Finanzamt auch selbst den Festsetzungsbescheid verstanden. Nachdem die Klägerin Einspruch gegen den Bescheid eingelegt hatte, ging das beklagte Finanzamt davon aus, dass es für die Einspruchsbearbeitung zuständig sei. Nach § 357 Abs. 2 Satz 1 AO ist der Einspruch bei der Behörde anzubringen, deren Verwaltungsakt angefochten wird. Hätte das beklagte Finanzamt nur eine vom Finanzamt D getroffene Regelung an die Klägerin bekannt gegeben, hätte es den Einspruch gar nicht bearbeiten dürfen, sondern hätte diesen an das Finanzamt D weiterleiten müssen. Dies ist nicht geschehen, weil das beklagte Finanzamt – zu Recht – davon ausgegangen ist, dass es selbst das Verzögerungsgeld festgesetzt hatte.
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f) Dementsprechend hat das beklagte Finanzamt die Einspruchsentscheidung selbst gefertigt und diese lediglich anschließend dem Finanzamt D zur Kenntnisnahme gegeben. Im Rahmen der Einspruchsentscheidung hat das beklagte Finanzamt – neben der Prüfung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen – auch das Ermessen noch einmal ausgeübt. Spätestens in diesem Zeitpunkt wird ersichtlich, dass die Festsetzung des Verzögerungsgeldes durch das beklagte Finanzamt nach Vornahme einer eigenen Ermessensentscheidung erfolgte. Das Finanzamt D hat insoweit keine Vorgaben gemacht. Maßgebend für die Frage, welche Behörde die erlassende Behörde ist, ist der Festsetzungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung (vgl. § 44 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO)). Deshalb liegt eine eigenständige Regelung des beklagten Finanzamts und nicht des Finanzamts D vor. Nur deshalb ist im Übrigen der 13. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts und nicht der xx. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts (zuständig für Klagen gegen das Finanzamt D bei Eingängen bis zum 31.12.2017) für die Entscheidung über diese Klage zuständig.
100
g) Somit trifft die Behauptung des beklagten Finanzamts, dass es den Festsetzungsbescheid nur technisch umgesetzt habe, weil dies seitens des Finanzamts D nicht möglich gewesen sei, rechtlich nicht zu. Zwar mag die fehlende Zugriffsmöglichkeit auf das Speicherkonto beim Finanzamt D der Grund für das Tätigwerden des beklagten Finanzamts gewesen sein. Indes rechtfertigen technische Schwierigkeiten nicht, dass von der gesetzlich vorgegebenen Zuständigkeit für den Erlass von Bescheiden abgewichen wird.
101
13. Der von einem sachlich unzuständigen Finanzamt erlassene Bescheid ist zwar nicht nichtig aber rechtswidrig und damit aufzuheben (vgl. Schmieszek in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 17 FVG, Rz. 30; Schallmoser in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 Rz.21). § 127 AO greift bei sachlicher Unzuständigkeit schon nach dem Gesetzeswortlaut von vornherein nicht ein. Außerdem ist § 127 AO bei Ermessensentscheidungen sowieso regelmäßig nicht anwendbar, weil – mit Ausnahme einer Ermessensreduzierung auf Null – in der Sache regelmäßig eine andere Entscheidung getroffen werden könnte (vgl. Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 195 AO, Rz. 67, zur Prüfungsanordnung).
102
II. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Ermessensausübung durch das beklagte Finanzamt den strengen Anforderungen der BFH-Rechtsprechung nicht standgehalten hätte.
103
Wie bereits ausgeführt worden ist, bedarf es sowohl beim Entschließungsermessen, als auch beim Auswahlermessen einer sorgfältigen Abwägung, ob und in welcher Höhe ein Verzögerungsgeld festgesetzt wird. Die Abwägung erfolgt unter Einbezug der Dauer der Fristüberschreitung, der Gründe und dem Ausmaß der Pflichtverletzung sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung durch die Pflichtverletzung (BFH-Urteil vom 28. August 2012 I R 10/12, BStBl II 2013, 266; BFH-Urteil vom 24. April 2014 IV R 25/11, BStBl II 2014, 819; BFH-Urteil vom 26. Juni 2014 IV R 17/14, BFH/NV 2014, 1507).
104
Das beklagte Finanzamt hat beim Entschließungsermessen lediglich festgestellt, dass mehrere Unterlagen/ Auskünfte mehrfach erfolglos angefordert worden seien und dass keine Gründe vorgetragen worden seien, die ein Verschulden ausschließen würden. Deshalb sei es ermessensgerecht, das Verzögerungsgeld nach Androhung festzusetzen.
105
Für eine ermessensfehlerfreie Ausübung des Entschließungsermessen hätte die Dauer der Fristüberschreitung, das Ausmaß der Pflichtverletzung und die Beeinträchtigung der Außenprüfung durch die Pflichtverletzung im Einzelnen bestimmt werden müssen. Anschließend hätte die Pflichtverletzung in Bezug auf die Beeinträchtigung der Außenprüfung gewichtet werden müssen. Schließlich hätte vor dem Hintergrund, dass der Mindestbetrag des Verzögerungsgeldes kein Bagatellbetrag ist, gewürdigt werden müssen, ob die Pflichtverletzung derartig gravierend war, dass sie ein Verzögerungsgeld von mindestens 2.500 € rechtfertigte.
106
Für eine zukünftige Ermessensausübung wird auch darauf hingewiesen, dass einzelfallbezogene Besonderheiten, die zu einer Herabminderung des Schuldvorwurfs führen können, bei der Ermessensausübung einbezogen werden müssen. Im vorliegenden Fall müsste insbesondere berücksichtigt werden, dass die Mapping-Tabellen, die der Außenprüfer angefordert hat, nicht existierten und deshalb auch nicht vorgelegt werden konnten. Die Mitwirkungspflicht war insoweit auf etwas objektiv Unmögliches gerichtet, so dass die Klägerin die ihr auferlegte Pflicht nicht erfüllen konnte.
107
Allerdings konnte das beklagte Finanzamt diesen Umstand im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung am 11. Mai 2017 noch nicht kennen, weil die Klägerin dem Außenprüfer diese Tatsache erst am 7. Juni 2017 mitgeteilt hat.
108
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
109
IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Das Urteil beruht im Wesentlichen auf der Auslegung nicht revisiblen Landesrechts. Die sachliche Zuständigkeit des beklagten Finanzamts ist verneint worden, weil die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes zum Aufgabenbereich der „Außenprüfung“ im Sinne von Textziffer 16 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 1 ZustVO-FinB gehört.

Einkommensteuer: Aufwendungen für Unterbringung in Seniorenheim als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG

Niedersächsisches Finanzgericht 11. Senat, Urteil vom 19.04.2018, 11 K 212/17, ECLI:DE:FGNI:2018:0419.11K212.17.00

§ 33 Abs 2 EStG, § 33 Abs 1 EStG, § 35a Abs 3 EStG, § 35a Abs 2 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Unterbringung der Klägerin in einer Seniorenresidenz als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG.
2
Die am 5. Oktober 1929 geborene Klägerin bewohnt seit dem 15. November 2014 ein Apartment in einer Seniorenresidenz. Aus dem Wohnvertrag entstanden der Klägerin im Streitjahr für die ca. 63,70 qm große mit einer Küchenzeile, 2 Balkonen, 2 Bädern und einem Kellerraum ausgestattete 2-Zimmer-Wohnung Aufwendungen in Höhe von 33.883,50 € für Miete mit Nebenkosten. Die Klägerin war nicht im Pflegebereich des Altersheims untergebracht, auch bezog sie keine Pflegeleistungen.
3
Mit Bescheid des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie vom 26. Januar 2017 wurde für die Klägerin rückwirkend ein Grad der Behinderung von 50 ohne zusätzliche Merkzeichen festgestellt. In der Begründung zur Entscheidung werden als Funktionsbeeinträchtigung eine Osteoporose-Kalksalzminderung des Knochens mit Wirbelkörperbruch, chronischer Schmerz sowie eine chronische Bronchitis genannt.
4
Nach einem Attest ihres Hausarztes vom 15. Juni 2017 ist die Klägerin aufgrund ihrer diversen Krankheiten seit dem 1. Oktober 2014 derart in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt, dass sie sich nicht mehr im eigenen Haushalt selbst versorgen kann. Eine Unterbringung in einem Senioren- und Pflegeheim sei daher aus ärztlicher Sicht ab diesem Zeitpunkt dauerhaft unumgänglich, da es sich um chronische Krankheitsbilder handele und eine Verbesserung sich nicht mehr einstellen werde. Nach einem vom Gericht im Klageverfahren eingeholten weiteren Attest desselben Arztes vom 9. April 2018 litt die Klägerin an einer schweren Osteoporose, einer fortgeschrittenen verschleißbedingten Veränderung der gesamten Wirbelsäule sowie der Knie- und Hüftgelenke und daraus resultierend schwersten Schmerzen im Bereich des Rückens und der Beine. Die Schmerzen seien teilweise so ausgeprägt gewesen, dass die Klägerin gelähmt gewesen sei. Zudem habe eine mittelgradige Depression bestanden. Die Klägerin habe bereits, als sie noch in ihrer Wohnung gelebt habe, eine private Hilfe zur Pflege und Haushaltsführung engagiert, trotzdem seien ihre gesundheitlichen Probleme so stark geworden, dass ein Verbleib in der Wohnung nicht mehr möglich gewesen sei. Der Umzug in das Pflegeheim habe letztlich zu einer erheblichen Erleichterung der Situation der Klägerin geführt.
5
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Stellungnahmen des behandelnden Arztes Dr. med. S vom 15. Juni 2017 und vom 9. April 2018 Bezug genommen.
6
Mit Bescheid vom 5. Oktober 2016 wurde die Klägerin zur Einkommensteuer für 2015 veranlagt, wobei die Beklagte, das Finanzamt (FA), die als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 EStG geltend gemachten Aufwendungen für die Seniorenresidenz nicht berücksichtigte, weil sie nicht außergewöhnlich im Sinne des § 33 EStG seien. Den Einspruch hiergegen wies das FA mit Bescheid vom 4. September 2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, Aufwendungen eines nicht pflegebedürftigen Steuerpflichtigen für seine altersbedingte Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim seien als typische Kosten der Lebensführung nicht zwangsläufig und keine außergewöhnliche Belastung. Der fehlende Ausweis des Merkmals H für Hilfslosigkeit in der Feststellung der Schwerbehinderung lasse darauf schließen, dass für die Klägerin keine Notwendigkeit für eine fremde Hilfe für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens bestanden habe. Die in der Begründung des Landesamtes genannten drei Funktionsbeeinträchtigungen reichten für die Beurteilung des Vorliegens eines krankheitsbedingten Aufenthaltes in einem Seniorenheim nicht aus. Aus der Pauschalangabe „diverser Krankheiten“ in dem ärztlichen Attest, lasse sich keine Notwendigkeit einer krankheitsbedingten Unterbringung in der Seniorenresidenz herleiten. Auch die weitere allgemeine Aussage einer eingeschränkten Alltagskompetenz sei ohne sachliche Konkretisierungen erfolgt. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit diese Einschränkungen tatsächlich durch Erkrankungen verursacht seien oder nur die für eine 86-jährige Dame im Normallfall notwendige fremde Hilfe umfasse.
7
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin geltend, aufgrund der Entscheidung des Landesamts und des ärztlichen Attests vom 15. Juni 2017 stehe fest, dass die dort genannten Krankheiten Ursache für sie gewesen seien, in ein Heim zu ziehen. Die weitergehenden Anforderungen des FA an ein ärztliches Attest seien abzulehnen. Dieses maße sich zu Unrecht an, die ärztlichen Feststellungen ohne medizinische Kompetenz abweichend zu beurteilen. Es sei im Übrigen befremdlich, dass das FA offenbar von einem Gefälligkeitsattest ausgehe. Die Klägerin habe darauf verzichtet, für sich eine Pflegestufe feststellen zu lassen, da die Mehrkosten für die Heimunterbringung dann höher gewesen wären, als der Betrag, den die Pflegekasse zusteuere. Ein Heimaufenthalt könne auch dann krankheitsbedingt sein, wenn keine zusätzlichen Pflegekosten entstanden seien. Auch der BFH gehe in seiner neueren Rechtsprechung vom Vorliegen außergewöhnlicher Belastungen bei der krankheitsbedingten Unterbringung in einem Altenheim aus und habe geurteilt, dass die Einholung eines amtsärztlichen Attests hierfür nicht zwingend erforderlich sei. Ein Zwei-Zimmer-Apartment mit einer Größe von ca. 63 qm sei auch nicht unangemessen groß. So würden für den doppelten Haushalt eines Arbeitnehmers 60 qm für angemessen angesehen. Es sei nicht einzusehen, weshalb einer Seniorin hierzu im Vergleich nur eine kleinere Wohnung zustehen solle. Die Klägerin hat im Übrigen jedoch ein alternatives Preisangebot der Residenz für ein 1-Zimmer-Apartment mit einer Größe von 38 qm zu einem Monatspreis von 1.738 € zu den Akten gereicht.
8
Die Klägerin beantragt,
9
den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 5. Oktober 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. September 2017 dahingehend zu ändern, dass 25.412 € (Gesamtaufwendungen 33.883 € abzgl. Haushaltsersparnis von 8.472 €) als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG anerkannt werden.
10
Das FA beantragt,
11
die Klage abzuweisen.
12
Es ist der Ansicht, es fehle auch nach dem Attest vom 9. April 2018 weiterhin der Nachweis, dass der Aufenthalt im Altersheim konkret zur Linderung einer Krankheit erforderlich gewesen sei. Dass der Umzug letztlich zu einer erheblichen Erleichterung der Situation der Klägerin geführt habe, sei gerade nicht ausreichend. Letztendlich resultiere der Umzug in das Seniorenheim vorliegend weder aus einer Krankheit der Klägerin noch aus ihrer Pflegebedürftigkeit, sondern sei vielmehr der Unbill des Alters geschuldet. Die Klägerin sei nicht einmal im Bereich des betreuten Wohnens untergebracht, sondern wohne eigenständig in einer 2-Zimmer-Wohnung.

Entscheidungsgründe

13
1. Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das FA hat zu Unrecht die Aufwendungen der Klägerin für ein Apartment in einer angemessenen Größe von 30 qm nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
14
a) Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen, § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456).
15
aa) In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Dies gilt auch für Aufwendungen für die Pflege eines Steuerpflichtigen infolge einer Krankheit. Entsprechend sind auch krankheitsbedingte Unterbringungskosten in einer dafür vorgesehenen Einrichtung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und daher dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456), und zwar unabhängig davon, ob neben dem Pauschalentgelt gesondert Pflegekosten in Rechnung gestellt werden (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456; BFH-Urteil vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, BStBl II 2011, 1010). Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456; BFH-Urteil vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, BStBl II 2011, 1010).
16
Zu den Krankheitskosten gehören die Aufwendungen, die unmittelbar zum Zwecke der Heilung der Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, wie insbesondere Kosten für die eigentliche Heilbehandlung und eine krankheitsbedingte Unterbringung (z.B. BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456; BFH-Urteil vom 26. Juni 1992 III R 83/91, BStBl II 1993, 212). Solche Aufwendungen werden von der Rechtsprechung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Erforderlich ist lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen (z.B. BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456; BFH-Urteil vom 22. Oktober 1996 III R 240/94, BStBl II 1997, 346). Erfasst wird nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung. Dem Grunde und der Höhe nach zwangsläufig sind vielmehr die medizinisch indizierten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen, die in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt sind, es sei denn, der erforderliche Aufwand steht zum tatsächlichen in einem offensichtlichen Missverhältnis (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456). In einem solchen Fall fehlt es an der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erforderlichen Angemessenheit (BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456).
17
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rechnen jedoch zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung regelmäßig auch die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem Altersheim (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456; BFH-Urteil vom 18. April 2002 III R 15/00, BStBl II 2003, 70). Allerdings kann auch im Falle der Heimunterbringung der Tatbestand des § 33 EStG ausnahmsweise erfüllt sein, wenn der dortige Aufenthalt ausschließlich durch eine Krankheit veranlasst ist. Denn zu den Krankheitskosten gehören, wie oben dargelegt, nicht nur die Aufwendungen für medizinische Leistungen im engeren Sinn, sondern auch solche für eine krankheitsbedingte Unterbringung (BFH-Urteile vom 14. November 2013 VI R 20/12, BStBl II 2014, 456; vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, BStBl II 2011, 1010; vom 18. April 2002 III R 15/00, BStBl II 2003, 70).
18
bb) Nach diesen Grundsätzen stellen die Aufwendungen der Klägerin Krankheitskosten dar, die dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind.
19
(1) Nach der Überzeugung des Senats ergibt sich aus den beiden Attesten des behandelnden Hausarztes vom 15. Juni 2017 bzw. vom 9. April 2018, dass die Unterbringung der Klägerin in der Seniorenresidenz im Streitjahr krankheitsbedingt und erforderlich war.
20
Grund für den Umzug der Klägerin waren danach eine schwere Osteoporose, fortgeschrittene verschleißbedingte Veränderungen der gesamten Wirbelsäule sowie der Knie- und Hüftgelenke, schwere bis schwerste Schmerzen im Bereich des Rückens und der Beine, welche die Klägerin zeitweise immobilisiert hätten, und eine mittelgradige Depression. Die gesundheitlichen Probleme waren danach so stark, dass ein Verblieb in der eigenen Wohnung für die Klägerin mehr nicht möglich war. Der Umzug in das Heim habe letztlich zu einer erheblichen Erleichterung der Situation der Klägerin geführt.
21
Der Senat hat keine Anhaltspunkte, an der Objektivität des Arztes und der inhaltlichen Richtigkeit seiner ärztlichen Stellungnahme zu zweifeln. Die Einholung eines amtsärztlichen Attests ist darüber hinaus nicht erforderlich (BFH-Urteile vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, BStBl II 2011, 1010; vom 23. Mai 2002 III R 24/01, BStBl II 2002, 567).
22
Der Auffassung des FA, das eine Unterscheidung zwischen „normalen“ und altersbedingten Erkrankungen vorzunehmen scheint, vermag der Senat nicht zu folgen. Auch häufig im Alter auftretende Krankheiten können eine krankheitsbedingte Unterbringung rechtfertigen. Der Passus im Attest vom 9. April 2018, wonach der Umzug in das Heim zu einer erheblichen Erleichterung der Situation der Klägerin geführt hat, kann ferner im Kontext mit den zuvor aufgelisteten Krankheiten gerade nicht dahingehend verstanden werden, dass die Unterbringung lediglich der üblichen Unbill des Alters geschuldet war. Für das Gericht ergibt sich aus den vorliegenden Attesten vielmehr eindeutig, dass der Umzug der Klägerin dadurch veranlasst wurde, dass dieser ein selbstbestimmtes Wohnen und Leben in einer eigenen Wohnung aufgrund ihrer medizinischen Situation nicht mehr möglich war.
23
(2) Die Aufwendungen der Unterbringung in einer Wohnanlage für betreutes Wohnen stehen auch mit den diagnostizierten Krankheiten und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang.
24
Nach den vorliegenden Attesten war der Klägerin aufgrund ihres Krankheitsbilds ein selbstbestimmtes Wohnen in einer eigenen Wohnung nicht mehr möglich. Die Unterbringung in einer Wohnanlage für betreutes Wohnung ermöglicht dagegen die Sicherstellung eines gewissen Maßes an Überwachung hinsichtlich Anwesenheit, Nahrungs- und Medikamenteneinnahme sowie Körperpflege. Nach § 1 2.3 des von der Klägerin mit der Seniorenresidenz abgeschlossenen Vertrages umfasste dieser auch die pflegerische Betreuung in der Wohnung durch den hauseigenen ambulanten Pflegedienst. Der Umzug in die Residenz lindert damit die krankheitsbedingt auftretenden Symptome der Klägerin, insbesondere im Hinblick auf die attestierte zeitweise Lähmung. In vergleichbarer Weise hat der BFH den erforderlichen adäquaten Zusammenhang zwischen der Unterbringung in einem Seniorenheim im Bereich des Betreuten Wohnens und einer psychischen Erkrankung bejaht (BFH-Urteil vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, BStBl II 2011, 1010).
25
(3) Der Beurteilung als krankheitsbedingter Unterbringung steht im Übrigen nicht entgegen, dass die Klägerin keine Pflegekosten in Rechnung gestellt worden sind. Zwar ist der Abzug von Unterbringungskosten als außergewöhnliche Belastung vornehmlich bei krankheitsbedingter Pflegebedürftigkeit von Bedeutung (BFH-Urteile vom 18. Dezember 2008 III R 12/07, BFH/NV 2009, 1102). Das bedeutet jedoch nicht, wie das FA offensichtlich meint, dass die Pflegebedürftigkeit notwendige Voraussetzung für den Abzug ist. Vielmehr kann, wie der Streitfall zeigt, der Aufenthalt in einem Seniorenheim auch dann krankheitsbedingt sein, wenn eine ständige Pflegebedürftigkeit (noch) nicht gegeben ist (so auch BFH-Urteil vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, BStBl II 2011, 1010).
26
Damit stellen die geltend gemachten Miet- und Servicekosten dem Grunde nach außergewöhnliche Belastungen dar.
27
cc) Der Höhe nach sind die Aufwendungen jedoch nicht über den Betrag berücksichtigungsfähig, der rechnerisch auf eine übliche Wohnfläche von 30 qm hinaus entfällt.
28
Für den Abzug von Aufwendungen für die Heimunterbringung als Krankheitskosten gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten (so zuletzt BFH-Urteile vom 14. November 2013 VI R 20/12 und VI R 21/12, a. a. O.). Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig aus tatsächlichen Gründen. Solche Aufwendungen werden als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Erforderlich ist lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen. Steht der tatsächliche Aufwand dagegen zum erforderlichen Aufwand in einem offensichtlichen Missverhältnis, fehlt es an der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erforderlichen Angemessenheit. Ob die Aufwendungen diesen Rahmen überschreiten, hat der erkennende Senat anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BFH-Urteile vom 14. November 2013, a. a O.). Mit diesen Grundsätzen soll vermieden werden, dass sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit dem Bezug einer Senioreneinrichtung anfallen, stets als außergewöhnliche Belastung ohne Rücksicht auf ihre Höhe berücksichtigungsfähig sind. Diese, allein auf die subjektiven Bedürfnisse des Steuerpflichtigen abstellende Betrachtungsweise würde gegen den auch im Steuerrecht zu beachtenden Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen.
29
Im Streitfall stehen die von der Klägerin krankheitshalber getragenen Unterbringungskosten aufgrund der Größe des Appartements von 63 qm mit 2 Balkonen und 2 Bädern in einem offensichtlichen Missverhältnis zu dem medizinisch indizierten Aufwand. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Angemessenheit nach objektiven Merkmalen zu bestimmen ist, und zwar für
besser verdienende Steuerpflichtige in gleicher Weise wie für Normalverdiener (FG Nürnberg-Urteil vom 26. Juli 1983 VI 83/81, EFG 1984, 178). Ferner ist nicht nach der üblichen Größe einer Wohnung für eine Person im Allgemeinen, einschließlich Arbeitnehmer und Hartz4-Empfängern, zu fragen, sondern allein nach der Üblichkeit der Größe einer Seniorenwohnung in einem Pflegeheim. Hierbei ist zu beachten, dass nach der Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimmindestbauverordnung – HeimMindBauV -; BGBl. I 1983, 551) in den §§ 14 Abs. 1, 19 Abs. 1 und 23 Abs. 1 nur eine Wohnfläche von 12 qm für eine Person und von 18 qm für zwei Personen für Wohn- und Pflegeplätze vorgesehen ist. Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine Mindestgröße, welche noch nicht die Grenze des Üblichen bezeichnet. Diese sieht der Senat vorliegend bei 30 qm als gegeben an (vgl. hierzu auch FG Düsseldorf-Urteil vom 5. April 2016 10 K 1080/14 E, EFG 2016, 911 ff.).
30
Hieraus ergibt sich folgende Alternativberechnung für den Monatspreis, welcher die Beteiligten im Termin zur mündlichen Verhandlung für den Fall, dass das Gericht den Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung dem Grunde nach für gegeben ansehen sollte, im Übrigen zugestimmt haben:
31
Miete und Nebenkosten für 38 qm
abzüglich Wasser /Abwasser bei 36 cbm/a
Kabelgebühr/TV mtl.
abzüglich Strom (40 € mtl.)
abzüglich Abfall/Müll mtl.
Gesamtkosten 38 qm
Umrechnung auf 30 qm (30/38tel)
zzgl. Nebenkosten
Dienstleistungspauschale
Monatspreis
1.738,00 €
-9,72 €
-20,00 €
-40,00 €
-15,00 €
1.653,28 €
1.305,22 €
84,72 €
495,00 €
1.884,94 €
32
dd) Werden Kosten einer Heimunterbringung dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung (Krankheitskosten) berücksichtigt, sind sie nur insoweit gemäß § 33 Abs. 1 EStG abziehbar, als sie die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) sowie die so genannte Haushaltsersparnis übersteigen. Nur in dieser Höhe entstehen dem Steuerpflichtigen hierdurch gegenüber seiner bisherigen Lebensführung zusätzliche Kosten. Entsprechend sind Unterbringungskosten um eine Haushaltsersparnis, die der Höhe nach den ersparten Verpflegungs- und Unterbringungskosten entspricht, zu kürzen (BFH-Urteil vom 18. April 2002, a. a. O.). Die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG beträgt vorliegend 2039 €. Die Haushaltsersparnis schätzt der erkennende Senat entsprechend dem in § 33a Abs. 1 EStG vorgesehenen Höchstbetrag für den Unterhalt unterhaltsbedürftiger Personen auf 8.472 € (BFH-Urteile vom 10. Mai 2007 III R 39/05, BStBl II 2007, 764; vom 15. April 2010, a. a. O.; vom 13. Oktober 2010 VI R 38/09, BStBl II 2011, 1010).
33
Die anzuerkennenden außergewöhnlichen Belastungen berechnen sich daher wie folgt:
34
Jahrespreis Wohnung (12 x 1.884,94 €) 22.619,28 €
zumutbare Eigenbelastung – 2.039,00 €
Haushaltsersparnis – 8.472,00 €
Summe 12.108,28 €
35
b) In dem angegriffenen Steuerbescheid vom 5. Oktober 2016 war vom FA eine Ermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen und für Handwerkerleistungen i.H.v. 1.376 € nach § 35a Abs. 2, 3 EStG anerkannt worden. Soweit Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, ist die Steuerermäßigung jedoch nach § 35a Abs. 5 EStG ausgeschlossen. Für den Teil der Aufwendungen, der im Rahmen der zumutbaren Belastung gem. § 33 Abs. 3 nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt wird, kann der Steuerpflichtige § 35a EStG wiederum in Anspruch nehmen (vgl. Krüger in Schmidt, EStG, § 35a Rz 25). Gleiches muss für den Teil der Aufwendungen gelten, der aufgrund der Haushaltsersparnis nach § 33 EStG nicht zum Abzug zugelassen wird. Danach sind hier 58 % des vom FA bereits berücksichtigten Betrags nach § 35a Abs. 2 EStG abzugsfähig, also 798 €.
36
2. Die Neuberechnung bzw. Neufestsetzung der Einkommensteuer 2015 wird dem beklagten Finanzamt gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO übertragen.
37
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
38
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
39
5. Der Senat hatte keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 115 Abs. 2 FGO) nicht vorliegen. Der Senat hat sich mit seiner Entscheidung insbesondere an den Vorgaben der bisher zu der Problematik ergangenen BFH-Rechtsprechung ausgerichtet und ist von diesen Rechtsprechungsgrundsätzen nicht abgewichen.

Zurückweisung als Bevollmächtigte (Consultingwerk Ltd.) – (zweiter Rechtsgang)

Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 14.09.2017, 6 K 438/16, ECLI:DE:FGNI:2017:0914.6K438.16.00

§ 80 AO, § 3a StBerG

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Frage der Rechtmäßigkeit eines Zurückweisungsbescheids, durch den der Beklagte die Klägerin gemäß § 80 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) als Bevollmächtigte der C Limited zurückgewiesen hat.
2
Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang.
3
Die Klägerin wurde am xx.xx.xx als Kapitalgesellschaft britischen Rechts (Private Limited Company -Limited-) mit Sitz in Großbritannien gegründet. Sie unterhält Niederlassungen in A/Niederlande sowie in B/Belgien. Gesellschafter und Geschäftsführer („director“) sind mit Anteilen von jeweils 100 GBP die in C/Bundesrepublik Deutschland ansässige X und der in B/Belgien ansässige Y. X gehörte und gehört nicht zu dem Personenkreis des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes. Sie war seit 19xx Mitarbeiterin bei Y und ist inzwischen Mitgesellschafterin und Direktorin der Klägerin. Y wurde bis zum xx.xx.xx im Berufsregister der Steuerberaterkammer Z als Steuerberater geführt. Seine Bestellung wurde im Jahr 20xx wegen Vermögensverfalls widerrufen; die dagegen eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Gegenstand des Unternehmens der Klägerin ist die Wirtschaftsberatung, Steuerberatung und das Rechnungswesen.
4
In Deutschland ist die Klägerin nicht als Steuerberatungsgesellschaft nach § 32 Abs. 3, §§ 49 ff. des Steuerberatungsgesetzes in der für 2012 geltenden Fassung (StBerG) anerkannt. Sie berät mehrere in Deutschland ansässige Mandanten in steuerlichen Angelegenheiten und tritt für diese in steuerlichen Verfahren auf.
5
Die Klägerin benannte für Postsendungen in Deutschland die O Ltd. mit Sitz in C als Zustellungsbeauftragte. Y war seit dem xx.xx.xx director der O Ltd., die seit dem xx.xx.xx aufgelöst ist. Die Klägerin benannte später für Postsendungen in Deutschland die I Ltd. mit Sitz in C als Zustellungsbeauftragte. Directors sind seit dem xx.xx.xx X und V.
6
Ausweislich mehrerer dem Gericht vorliegender Postzustellungsurkunden ist Y unter der Adresse dieser Ltd. in C geschäftlich tätig.
7
Am xx.xx.xx schloss die Klägerin mit Rückwirkung ab xx.xx.xx eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für die gesetzliche Haftpflicht aus der Hilfeleistung in Steuersachen gem. § 3a StBerG (vom Ausland aus) ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Gerichtsakten der Verfahren 6 K 287/10 (Bl. 35 f. dieser Gerichtsakte) und 6 K 289/11 (Bl. 65 f. dieser Gerichtsakte) gereichten Kopien der Versicherungspolice verwiesen.
8
Am xx.xx.xx gab die „C Limited – NL Z“ (folgend: C) beim Finanzamt Z eine Umsatzsteuererklärung 2010 ab und erklärte dabei, die Klägerin habe bei der Anfertigung der Steuererklärung mitgewirkt. Das Finanzamt Z leitete diese Erklärung an den Beklagten weiter.
9
Mit Schreiben vom xx.xx.xx wies der Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf § 80 Abs. 5 AO für das Umsatzsteuer-Festsetzungsverfahren des Kalenderjahres 2010 als Bevollmächtigte der C zurück, da sie nicht befugt sei, geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen zu leisten.
10
Mit der am xx.xx.xx erhobenen Klage wandte sich die Klägerin u.a. gegen ihre Zurückweisung als Bevollmächtigte. Mit einem am xx.xx.xx bei Gericht eingegangenen Schriftsatz stimmte der Beklagte der Klage zu, soweit es sich dabei um eine Sprungklage handelte.
11
Zur Begründung ihrer Klage machte die Klägerin geltend, § 80 Abs. 5 AO regele das Handeln von Bevollmächtigten und Beiständen. Sie, die Klägerin, sei jedoch nicht als Vertreterin der C aufgetreten. Der Steuerpflichtige habe die Steuererklärung selbst unterschrieben. Die auftragsgemäße Erstellung der Umsatzsteuererklärung sei keine Vertretungshandlung, sondern eine Dienstleistung im Verhältnis zu C, nämlich eine Hilfeleistung in Steuersachen. Das Übersenden der Steuererklärung sei eine Postdienstleistung, die ebenfalls nicht unter § 80 Abs. 5 AO falle. Die Klägerin habe bei Erstellung der streitbefangenen Steuererklärung nicht als Bevollmächtigte, sondern als Erfüllungsgehilfin der C gehandelt. Weil keine Vertretung vorliege, sei die Zurückweisung nichtig. Da die Zurückweisung – insbesondere im Verhältnis zur Mandantin – einen Rechtsschein erzeuge, habe die Klägerin habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit dieses Verwaltungsakts.
12
Der Beklagte habe nicht das Recht, gegen die Klägerin vorzugehen. Dieses Recht stehe nur der Steuerberaterkammer zu, die jedoch gegenüber der Klägerin nichts unternehme. Der Sachbearbeiter des Beklagten, der die Klägerin in den letzten Jahren immer wieder zurückgewiesen habe, müsse aufgrund seines immer gleichen fehlerhaften Handelns als geisteskrank angesehen werden.
13
Das Niedersächsische Finanzgericht habe mit Urteil vom xx.xx.xx (Az. 6 K 287/10) eine Zurückweisung der Klägerin bestätigt, aber zur Begründung darauf hingewiesen, dass diese erst ab dem xx.xx.xx über eine Berufshaftpflichtversicherung verfüge. Der hier angefochtene Verwaltungsakt liege lange nach dem xx.xx.xx.
14
Die Klägerin machte außerdem geltend, sie habe zuletzt im Oktober 20xx eine Meldung an die Steuerberaterkammer W unter Hinweis auf die o.g. Versicherung abgegeben und verwies auf die entsprechende Kopie, die sie in einem früheren Klageverfahren (Gerichtsakte 6 K 289/11, dort Bl. 86 ff.) vorgelegt hatte.
15
Die Klage hatte keinen Erfolg; das Niedersächsische Finanzgericht wies die Klage mit Urteil vom xx.xx.xx zu Az. 6 K 152/12 u.a. mit der Begründung ab, dass die Klägerin nicht befugt sei, der C geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen zu leisten.
16
Auf die Revision der Klägerin hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts im Verfahren 6 K 152/12 mit Urteil vom 19. Oktober 2016 (II R 44/12, BFHE 255, 367, BFH/NV 2017, 170) aufgehoben, soweit sie den Bescheid vom xx.xx.xx über die Zurückweisung der Klägerin als Bevollmächtigte betrifft, und die Sache an das Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen. Das Finanzgericht sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Zurückweisung nach nationalem Recht nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt war. Allerdings habe das Finanzgericht Unionsrecht nicht richtig angewendet. Die Feststellungen des Finanzgerichts trügen nicht die Entscheidung, dass die Klägerin beim Erlass des Bescheids vom xx.xx.xx unter die Vorschriften des Niederlassungsrechts (Art. 49 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV – i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABlEU 2008, Nr. C-115, 47) fiel. Die nationalen Vorschriften (§§ 2, 3 Nr. 3, 32 Abs. 3 StBerG) seien für eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerberatungsgesellschaft auch maßgebend, wenn sie in Deutschland niedergelassen ist und damit in den Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV fällt; im ersten Rechtsgang seien aber ausreichende Feststellungen dazu, ob die Klägerin zum Zeitpunkt des Ergehens des Zurückweisungsbescheids vom xx.xx.xx über eine Niederlassung in Deutschland verfügte, nicht getroffen worden. Wenn die Klägerin zum Zeitpunkt der Zurückweisung keine Niederlassung in Deutschland gehabt haben sollte, sei sie möglicherweise aufgrund der unionsrechtlich gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen für inländische Steuerpflichtige befugt gewesen. Das Niedersächsische Finanzgericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin zum Zeitpunkt des Ergehens des Zurückweisungsbescheids vom xx.xx.xx in ihrer niederländischen Niederlassung geschäftlich tätig war, die konkrete Dienstleistung an die C von dieser Niederlassung aus erbracht hat und welche in den Niederlanden erworbenen beruflichen Qualifikationen die Klägerin bzw. der die konkrete Dienstleistung erbringende Geschäftsführer zur Ausübung einer steuerberatenden Tätigkeit im Jahr 20xx aufweisen konnte.
17
Das Gericht hat die Beteiligten unter Hinweise auf die Revisionsentscheidung des BFH aufgefordert, zur Frage einer ständigen Präsenz der Klägerin in Deutschland im März 20xx, zur Frage der geschäftlichen Tätigkeit der Klägerin in der niederländischen Niederlassung, der Erbringung der konkreten Dienstleistung an die C Ltd. von dieser Niederlassung aus und der erworbenen Qualifikation der Klägerin zum Stichtag xx.xx.xx und zur Frage des Versicherungsschutzes für die von den Niederlanden aus erbrachten Dienstleistungen Stellung zu nehmen und Nachweise vorzulegen.
18
Die Klägerin trägt vor, die erbrachte Leistung sei aktenkundig. Ergänzend hat die Klägerin einen Auszug aus dem niederländischen Handelsregister (Kamer van Koophandel) und eine Ausfertigung eines berichtigten Versicherungsscheins vom xx.xx.xx vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gelangten Unterlagen Bezug genommen (Bl. 120 bis 122 der Gerichtsakte).
19
Des Weiteren hat das Gericht aufgrund § 79 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bei der Versicherungs-Aktiengesellschaft Auskünfte eingeholt hinsichtlich des Umfangs des Versicherungsschutzes der Klägerin. Die Versicherungs-Aktiengesellschaft hat u.a. mitgeteilt, „wir versichern die erlaubte Tätigkeit nach § 3a StbG“. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom xx.xx.xx Bezug genommen (Bl. 164 der Gerichtsakte).
20
Mit Schreiben vom xx.xx.xx wiederholt die Klägerin ihren Vortrag, sie werde von den Niederlanden aus tätig. Das Recht der Niederlande verlange keine Berufsqualifikation und keine Berufshaftpflichtversicherung für die Betreuung deutscher Mandanten.
21
Die Klägerin beantragt
22
den Bescheid des Beklagten vom xx.xx.xx über ihre Zurückweisung als Bevollmächtigte der C Limited aufzuheben.
23
Der Beklagte beantragt,
24
die Klage abzuweisen.
25
Er ist der Ansicht, die Klage sei unbegründet. Die Klägerin sei nicht befugt, vorübergehend und gelegentlich geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen zu leisten. Es könne davon ausgegangen werden, dass Y in den Räumlichkeiten in C tätig geworden sei. Überdies weist der Beklagte darauf hin, die bloße Eintragung in das niederländische Handelsregister sei nicht ausreichend, um eine entsprechende Berufsqualifikation – eine längere steuerberatende Tätigkeit für niederländische Auftraggeber – zu belegen. Auch sei die vorgelegte Ausfertigung des Versicherungsscheins unzureichend.

Entscheidungsgründe

26
Die Klage hat keinen Erfolg.
27
I. Die Klage ist zulässig.
28
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheids vom xx.xx.xx über ihre Zurückweisung als Bevollmächtigte der C Limited. Dieses Klagebegehren ist im Wege der Anfechtungsklage i. S. des § 40 Abs. 1 FGO zu verfolgen. Da der Beklagte der Klage ohne Vorverfahren zugestimmt hat, ist sie als Sprungklage nach § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO zulässig.
29
II. Die Klage ist unbegründet.
30
Der Bescheid des Beklagten vom xx.xx.xx über ihre Zurückweisung als Bevollmächtigte der C Limited ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht gemäß § 80 Abs. 5 AO als Bevollmächtigte der C zurückgewiesen. Die Klägerin war weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht zur vorübergehenden und gelegentlichen Hilfeleistung befugt.
31
1. Die Klägerin war bei Ergehen des Bescheids vom xx.xx.xx nach nationalem Recht nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Insoweit ist der erkennende Senat an die rechtliche Beurteilung des BFH in dessen Entscheidung vom 19. Oktober 2016 (II R 44/16) gebunden.
32
a) Die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen darf nach § 2 Satz 1 StBerG nur von Personen und Vereinigungen ausgeübt werden, die hierzu befugt sind. § 2 Satz 1 StBerG gilt auch für Steuerberatungsgesellschaften, die – wie die Klägerin – ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) haben und von einer Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat (Niederlande) aus Hilfe in Steuersachen für inländische Steuerpflichtige leisten.
33
b) Zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen sind nach § 3 Nr. 3 StBerG Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften befugt. Steuerberatungsgesellschaften bedürfen der Anerkennung (§ 32 Abs. 3 Satz 1 StBerG). Die Anerkennung setzt den Nachweis voraus, dass die Gesellschaft von Steuerberatern, die bestellt sein müssen, verantwortlich geführt wird (§ 32 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StBerG). Die Klägerin ist keine solche Gesellschaft.
34
c) Nach § 3a Abs. 1 Satz 1 StBerG sind Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU beruflich niedergelassen sind und dort befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaates leisten, zur vorübergehenden und gelegentlichen geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen auf deutschem Gebiet befugt. Der Umfang der Befugnis zur Hilfeleistung in Steuersachen im Inland richtet sich nach dem Umfang dieser Befugnis im Niederlassungsstaat (§ 3a Abs. 1 Satz 2 StBerG). Bei ihrer Tätigkeit im Inland unterliegen sie denselben Berufsregeln wie die in § 3 StBerG genannten Personen (§ 3a Abs. 1 Satz 3 StBerG). Wenn weder der Beruf noch die Ausbildung zu diesem Beruf im Staat der Niederlassung reglementiert ist, gilt die Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen im Inland nur, wenn die Person den Beruf dort während der vorhergehenden zehn Jahre mindestens zwei Jahre ausgeübt hat (§ 3a Abs. 1 Satz 4 StBerG). Die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen nach § 3a Abs. 1 StBerG ist nur zulässig, wenn die Person vor der ersten Erbringung im Inland der zuständigen Stelle schriftlich Meldung erstattet (§ 3a Abs. 2 Satz 1 StBerG).
35
aa) § 3a StBerG erlaubt unter den im Einzelnen festgelegten Voraussetzungen eine vorübergehende und gelegentliche Hilfeleistung in Steuersachen „auf“ deutschem Gebiet. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG in Bezug auf die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen in Deutschland durch Personen und Vereinigungen aus einem anderen Mitgliedstaat der EU. Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/36/EG gelten die Bestimmungen zur Dienstleistungsfreiheit (Titel II) nur für den Fall, dass sich der Dienstleister zur vorübergehenden und gelegentlichen Ausübung des Berufs nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG in den Aufnahmemitgliedstaat begibt. Der zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG eingefügte § 3a StBerG ist deshalb nur anwendbar, wenn die Hilfeleistung in Steuersachen auf deutschem Hoheitsgebiet erbracht wird. Eine Anwendung des § 3a StBerG scheidet dagegen aus, wenn die Hilfe in Steuersachen ohne physischen Grenzübertritt des Dienstleisters oder der für ihn handelnden Personen in einem anderen Mitgliedstaat der EU erbracht wird.
36
bb) Die Voraussetzungen des § 3a StBerG für eine vorübergehende und gelegentliche Hilfeleistung in Steuersachen „auf“ deutschem Hoheitsgebiet liegen nicht vor.
37
Die Klägerin hat weder eine Bescheinigung über eine rechtmäßige Niederlassung zur Ausübung der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen in den Niederlanden (§ 3a Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 StBerG) noch einen Nachweis über ihre Berufsqualifikation (§ 3a Abs. 2 Satz 3 Nr. 6 StBerG) noch einen Nachweis darüber vorgelegt, dass sie ihren Beruf im Staat ihrer Niederlassung mindestens zwei Jahre ausgeübt hat (§ 3a Abs. 2 Satz 3 Nr. 7 StBerG).
38
2. Die Klägerin war bei Ergehen des Bescheids vom xx.xx.xx auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin in Deutschland über eine ständige Präsenz (Geschäftsräume) verfügte. Denn die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV berufen.
39
a) Ist eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerberatungsgesellschaft auch in Deutschland niedergelassen, kann sie sich auf die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) berufen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Bestimmungen über das Niederlassungsrecht ist jedoch, dass eine dauernde Präsenz im Aufnahmemitgliedstaat sichergestellt ist (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2016 II R 44/12, BFHE 255, 367, BFH/NV 2017, 170). Die Anwendung der Vorschriften über das Niederlassungsrecht hat nach Art. 49 Abs., 2 AEUV zur Folge, dass die Steuerberatungsgesellschaft mit der Niederlassung den nationalen Vorschriften (§§ 2, 3 Nr. 3, 32 Abs. 3 StBerG) unterliegt (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2016 II R 44/12, BFHE 255, 367, BFH/NV 2017, 170). Die Voraussetzungen der §§ 2, 3 Nr. 3 und 32 Abs. 3 StBerG sind jedoch wie oben dargestellt nicht erfüllt.
40
b) Der erkennende Senat kann zugunsten der Klägerin unterstellen, diese unterhalte keine ständige Präsenz in Deutschland. Denn auch dann kann sich die Klägerin nicht auf (die für den Fall der fehlenden Niederlassung geltenden) Grundsätze der Dienstleistungsfreiheit stützen.
41
aa) Nach Art. 56 Abs. 1 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, zu dem auch die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen gehört, innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten, die der BFH in seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 (II R 44/12, BFHE 255, 367, BFH/NV 2017, 170) wie folgt benennt:
42
Unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Mitgliedstaat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Mitgliedstaat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt (Art. 57 Abs. 3 AEUV). Nach Art. 62 AEUV finden die Bestimmungen der Art. 51 bis 54 AEUV auf das in Kapitel 3 geregelte Sachgebiet „Dienstleistungen“ Anwendung. Gemäß Art. 54 Abs. 1 AEUV stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind. Als Gesellschaften gelten gemäß Art. 54 Abs. 2 AEUV die Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.
43
Der EuGH hat mit Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft vom 17. Dezember 2015 C-342/14 (EU:C: 2015:827) entschieden, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er es nicht zulässt, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats, in der die Voraussetzungen für den Zugang zur Tätigkeit der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen festgelegt sind, die Dienstleistungsfreiheit einer Steuerberatungsgesellschaft beschränkt, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen ist, gegründet wurde und in diesem Mitgliedstaat, in dem die steuerberatende Tätigkeit nicht reglementiert ist, eine Steuererklärung für einen Leistungsempfänger im erstgenannten Mitgliedstaat erstellt und an die Finanzverwaltung dieses Mitgliedstaats übermittelt, ohne dass die Qualifikation, die diese Gesellschaft oder die natürlichen Personen, die für sie die Dienstleistung der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen erbringen, in anderen Mitgliedstaaten erworben haben, ihrem Wert entsprechend anerkannt und angemessen berücksichtigt wird.
44
Die EuGH-Entscheidung betrifft eine Dienstleistung mit grenzüberschreitendem Charakter, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU für einen inländischen Steuerpflichtigen erbracht wird, ohne dass sich der Dienstleister oder die für ihn handelnden Personen auf deutsches Hoheitsgebiet begeben (EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827, Rz 34).
45
Der EuGH hat darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten, solange es an einer Harmonisierung der Voraussetzungen für den Zugang zu einem Beruf fehlt, festlegen dürfen, welche Kenntnisse und Fähigkeiten zu dessen Ausübung notwendig sind (EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827, Rz 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Da die Bedingungen für den Zugang zur Tätigkeit der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen bisher nicht auf Unionsebene harmonisiert worden sind, bleiben die Mitgliedstaaten befugt, diese Voraussetzungen festzulegen (EuGH-Urteil X-Steuerberatungs-gesellschaft, EU:C:2015:827, Rz 45). Die Mitgliedstaaten müssen ihre Befugnisse in diesem Bereich jedoch unter Beachtung der vertraglich garantierten Grundfreiheiten ausüben (EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827, Rz 47).
46
Der freie Dienstleistungsverkehr (Art. 56 AEUV) verlangt die Aufhebung aller Beschränkungen, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist und dort rechtmäßig vergleichbare Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Deshalb obliegt es den nationalen Behörden, insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die in anderen Mitgliedstaaten erworbene Qualifikation des Dienstleistenden ihrem Wert entsprechend anerkannt und angemessen berücksichtigt wird (vgl. EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827, Rz 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine Verpflichtung des Erbringers einer Dienstleistung der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen, den Behörden des Mitgliedstaats, in dem der Zugang zur Tätigkeit der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen reglementiert ist und in dem der Dienstleister solche Leistungen zu erbringen beabsichtigt, über diese Absicht eine einfache vorherige Meldung zu erstatten, würde es den Behörden ermöglichen, die Qualifikation zu überprüfen, die der Dienstleistende oder die natürlichen Personen, die für ihn die betreffende Dienstleistung erbringen, in anderen Mitgliedstaaten –gegebenenfalls durch Berufserfahrung– auf dem speziellen Gebiet des Steuerwesens erworben haben, in dem der Dienstleistende seine Tätigkeit auszuüben beabsichtigt (EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827, Rz 56).
47
Fehlen – wie im Streitfall – nationale Regelungen, die eine Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Qualifikation einer Gesellschaft oder der für sie handelnden Personen zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen erlauben, gebietet es nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827) die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV, eine solche Qualifikation ihrem Wert entsprechend anzuerkennen und angemessen zu berücksichtigen. Da der EuGH hierzu keine Rechtsgrundsätze aufgestellt hat, obliegt es den nationalen Behörden und Gerichten festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine in anderen Mitgliedstaaten erworbene Qualifikation eine Befugnis des Dienstleisters zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen durch grenzüberschreitende Dienstleistungen für inländische Steuerpflichtige begründet.
48
Für die Festlegung, welche in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Qualifikationen für eine Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen maßgeblich sind, geben die nationalen Regelungen in § 3a Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nrn. 6 und 7 StBerG einen Anhaltspunkt. Die dort für die vorübergehende und gelegentliche Hilfeleistung auf deutschem Hoheitsgebiet genannten Voraussetzungen stellen auf die berufliche Qualifikation eines Dienstleisters ab und sind deshalb auch als sachgerechte Anforderungen für den Fall geeignet, dass ein Dienstleister von einem anderen Mitgliedstaat aus ohne Grenzübertritt eine dauerhafte geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen für inländische Steuerpflichtige ausüben will. Die berufliche Qualifikation kann sich aufgrund einer abgeschlossenen Berufsausbildung, die Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung einer steuerberatenden Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat vermittelt, oder – falls eine solche in dem anderen Mitgliedstaat nicht erforderlich ist – aufgrund der dort im Zusammenhang mit der Steuerberatung gewonnenen Berufserfahrung ergeben.
49
Ist weder der Beruf noch die Ausbildung zu diesem Beruf in dem anderen Mitgliedstaat reglementiert, genügt in Anlehnung an § 3a Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Nr. 7 StBerG, dass die Person den Beruf im Staat der Niederlassung während der vorhergehenden zehn Jahre mindestens zwei Jahre ausgeübt hat. Die Berufsausübung in dem anderen Mitgliedstaat darf sich in diesem Fall aber nicht von vornherein darauf beschränken, ausschließlich grenzüberschreitende Beratungsleistungen für inländische Steuerpflichtige zu erbringen. Die aufgrund der Berufserfahrung erworbene Qualifikation eines in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleisters ist nur anzuerkennen, wenn sie auf einer Beratungstätigkeit beruht, die ihn unionsrechtlich dazu befugt, für inländische Steuerpflichtige tätig zu werden. Da in Deutschland die steuerberatende Tätigkeit reglementiert ist, liegt eine unionsrechtlich zulässige Beratungstätigkeit nicht vor, wenn der Dienstleister ausschließlich grenzüberschreitende Beratungsleistungen für inländische Steuerpflichtige erbringt, ohne vorher eine berufliche Qualifikation in dem anderen Mitgliedstaat erworben zu haben. Denn erst die in dem anderen Mitgliedstaat erworbene berufliche Qualifikation berechtigt den Dienstleister –aus unionsrechtlicher Sicht– zu den grenzüberschreitenden Dienstleistungen für inländische Steuerpflichtige (vgl. EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827, Rz 54). Insoweit reicht es nicht aus, dass der Dienstleister über Berufserfahrung aus einer in Deutschland ausgeübten steuerberatenden Tätigkeit verfügt.
50
Ist der Dienstleister eine in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft, ist sie zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen in Form grenzüberschreitender Dienstleistungen befugt, wenn der verantwortliche Geschäftsführer über die erforderliche Qualifikation verfügt und ihm die steuerberatende Tätigkeit obliegt. Sind bei einer Steuerberatungsgesellschaft mehrere Geschäftsführer bestellt, ist die Gesellschaft nur zu grenzüberschreitenden Dienstleistungen in Steuersachen für inländische Steuerpflichtige befugt, wenn der die Dienstleistung erbringende Geschäftsführer die in dem anderen Mitgliedstaat erworbene Qualifikation besitzt. Insoweit kann bei einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft nicht auf die formellen Voraussetzungen von § 32 Abs. 3 und § 50 StBerG abgestellt werden. Die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) erfordert vielmehr nur die Berücksichtigung der Qualifikation der Gesellschaft oder der natürlichen Personen, die für sie die Dienstleistung der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen erbringen (vgl. EuGH-Urteil X-Steuerberatungsgesellschaft, EU:C:2015:827). Entscheidend ist danach die Qualifikation der jeweils für die Steuerberatungsgesellschaft verantwortlich handelnden Person, die die konkrete Steuerberatungsleistung erbringt.
51
Eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige, nicht in Deutschland niedergelassene Steuerberatungsgesellschaft kann unter Berufung auf die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) grenzüberschreitende Beratungsleistungen für inländische Steuerpflichtige nur erbringen, wenn sie über eine Berufshaftpflichtversicherung oder einen anderen individuellen oder kollektiven Schutz in Bezug auf die Berufshaftpflicht verfügt (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 2011 II R 6/10, BFHE 234, 474, BStBl II 2011, 906). Hat die Gesellschaft eine nach deutschem Recht erforderliche Berufshaftpflichtversicherung für die steuerberatende Tätigkeit abgeschlossen, muss der Versicherungsschutz Beratungsleistungen umfassen, die die Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat aus für inländische Steuerpflichtige erbringt, ohne dass die handelnden Personen physisch die Grenze zu Deutschland überschreiten. Ein Versicherungsschutz für Beratungsleistungen i.S. des § 3a StBerG reicht nicht aus. Denn diese Beratungsleistungen werden auf deutschem Hoheitsgebiet erbracht.
52
Die für die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit notwendigen Voraussetzungen (Niederlassung und geschäftliche Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, Erbringung der Dienstleistung von der ausländischen Niederlassung aus, im anderen Mitgliedstaat erworbene berufliche Qualifikation, Versicherungsschutz) sind von dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleister in geeigneter Weise darzulegen und nachzuweisen.
53
bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze kann sich die Klägerin nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen.
54
(1) Der erkennende Senat kann nicht feststellen, dass die erforderliche Qualifikation für eine Befugnis zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen gegeben war.
55
Die Klägerin hat weder dargelegt, nach welchen Grundsätzen die Ausbildung oder der Beruf für eine steuerberatende Tätigkeit in den Niederlanden reglementiert wäre, noch hat sie dargelegt, dass sie während der letzten zehn Jahren den steuerberatenden Beruf in den Niederlanden für mindestens zwei Jahre ausgeübt hätte. Der Auszug aus dem niederländischen Handelsregister ist insoweit unzureichend. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich eine Reglementierung des Berufes nicht allein aus der Tatsache einer Eintragung in ein Register. Die Klägerin hat auf Aufforderung des Gerichts lediglich unzureichend vorgetragen, dass sie ihre Tätigkeit seit 20xx in den Niederlanden ausübe. Sie hat nicht vorgetragen, welche steuerberatende Tätigkeit sie für niederländische Mandanten erbracht hat. Außerdem hat die Klägerin nicht Stellung genommen, über welche Qualifikationen ihre Geschäftsführer verfügen und welche Person die konkrete Dienstleistung erbracht hat.
56
Das Gericht erforscht zwar den Sachverhalt von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Da aber ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen ist, der sich auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes bezieht, bestehen erhöhte Mitwirkungspflichten der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO). Der Dienstleister, der sich auf die Dienstleistungsfreiheit beruft, trägt insoweit die Feststellungslast für alle Tatsachen, die für eine Anwendung der Dienstleistungsfreiheit erforderlich sind.
57
(2) Schließlich fehlt es im Streitfall auch am erforderlichen Versicherungsschutz der Klägerin.
58
Die von der Klägerin abgeschlossene Berufshaftpflichtversicherung bietet keinen Versicherungsschutz für Beratungsleistungen, die die Klägerin von einem anderen Mitgliedstaat aus für inländische Steuerpflichtige erbringt, ohne dass die handelnden Personen physisch die Grenze zu Deutschland überschreiten. Wie der BFH in seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 (II R 44/12, BFHE 255, 367, BFH/NV 2017, 170) ausführt, kann dem Versicherungsschein vom 6. Oktober 2011 nicht eindeutig entnommen werden, ob Versicherungsschutz für die von den Niederlanden aus erbrachten Dienstleistungen bestand. Denn der Versicherungsschein enthält zwar die besondere Vereinbarung, dass die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers für Vermögensschäden aus der Hilfeleistung in Steuersachen gemäß § 3a StBerG versichert ist. Allerdings ist als versichertes Risiko die „Hilfeleistung in Steuersachen gem. § 3a StBerG (vom Ausland aus)“ bezeichnet. Da § 3a StBerG die Erbringung von Dienstleistungen auf dem Hoheitsgebiet von Deutschland betrifft, sind zwar die Dienstleistungen abgesichert, die in Deutschland erbracht werden. Dienstleistungen, die für inländische Steuerpflichtige in den Niederlanden erbracht werden, könnten aber ebenso versichert sein. Darauf deutet die Bezeichnung des versicherten Risikos „Hilfeleistung in Steuersachen vom Ausland aus“ hin. Dies gilt ebenso für den nun vorgelegten berichtigten Versicherungsschein vom xx.xx.xx. Der Umfang des Versicherungsschutzes ist durch die Angaben der Versicherungs-Aktiengesellschaft vom xx.xx.xx auf „die erlaubte Tätigkeit nach § 3a StbG“ beschränkt. Damit ist nach Überzeugung des Gerichts hinreichend geklärt, dass die Klägerin bei der Erbringung von Dienstleistungen i.S. des § 3a StBerG auf dem Hoheitsgebiet von Deutschland versichert ist, somit die Dienstleistungen abgesichert sind, die in Deutschland erbracht werden. Für Dienstleistungen, die für inländische Steuerpflichtige in den Niederlanden erbracht werden, bietet die abgeschlossene Versicherung allerdings keinen Versicherungsschutz.
59
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Diese Entscheidung betrifft nach teilweiser Zurückverweisung der Sache gem. § 143 Abs. 2 FGO auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Studium am Bankkolleg nach abgeschlossener Banklehre als Teil der Erstausbildung

Niedersächsisches Finanzgericht 1. Senat, Urteil vom 13.11.2017, 1 K 115/17, ECLI:DE:FGNI:2017:1113.1K115.17.00

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 EStG, § 32 Abs 4 S 2 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist, ob die Tochter T der Klägerin, geb. … 1993, ihre erstmalige Berufsausbildung mit der Ausbildung zur Bankkauffrau abgeschlossen hatte oder ein Bankfachwirt-Studium am Bankkolleg der Genossenschaftsakademie … noch Teil der Erstausbildung war.
2
Die Klägerin bezog für T von Geburt an Kindergeld. T begann im Anschluss an das Abitur am 1. August 2012 eine Ausbildung zur Bankkauffrau bei der Volksbank X. Die Ausbildung endete am 25. Juni 2015. Die Beklagte (die Familienkasse) hob die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2015 auf.
3
Unter dem 16. September 2015 meldete sich T für ein berufsbegleitendes Studium zum Bankfachwirt bei der Akademie an. Die Akademie bot hierfür 2015 Studiengänge in Y – Beginn 1. Juni 2015 – und in Z – Beginn 1. November 2015 – an. T nahm ihr Studium am 1. November 2015 in Z auf. Es ist in vier Semester aufgeteilt und vermittelt – so die Akademie – ein breites übergreifendes Wissen in den Bereichen Bankwirtschaft, Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Rechtsgrundlagen des Bankgeschäfts, Privatkundengeschäft und Firmenkundengeschäft. Es beinhaltete pro Semester 84 bis 105 Präsenzstunden an Samstagen, mehrere Webinare sowie 2 bis 4 Semesterprüfungen, während des ganzen Studiums insgesamt 385 Präsenzstunden, 16 Webinare und 14 Semesterprüfungen. Es dient zur Vorbereitung auf den beruflichen Fortbildungsabschluss „Bankfachwirt BankColleg“ sowie zum „Bankfachwirt IHK“. Voraussetzung für die Anmeldung zum Studium ist eine abgeschlossene Bankausbildung oder eine dreijährige Berufstätigkeit in der Bank. Das Studium ist kostenpflichtig. Neben dem Studium arbeitete T in Vollzeit als Bankkauffrau bei der Volksbank. Die Akademie bescheinigte mit Schreiben vom 3. April 2017, T habe an allen bis dahin angefallenen Semesterprüfungen teilgenommen.
4
Die Klägerin beantragte im August 2016, Kindergeld für T ab Juli 2015 festzusetzen. Die Familienkasse lehnte dies mit Bescheid vom 26. Januar 2017 mit der Begründung ab, eine Schulausbildung könne regelmäßig erst ab 10 Unterrichtsstunden pro Woche als ausreichende Ausbildung anerkannt werden. Diese Stundenzahl erreiche T nicht.
5
Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos (Einspruchsbescheid vom 13. April 2017). Die Familienkasse vertrat nunmehr die Auffassung, die Ausbildung zur Bankkauffrau stelle eine abgeschlossene Erstausbildung dar. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht, dass das angestrebte Berufsziel mit dem Abschluss Bankkauffrau noch nicht erreicht gewesen sei und es sich im Fall der T um eine mehraktige Berufsausbildung handele. Es fehle an einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den beiden Ausbildungen. T habe sich nicht innerhalb eines Monats nach Abschluss des vorausgegangenen Ausbildungsabschnitts für das BankColleg beworben oder der Familienkasse eine diesbezügliche Absicht mitgeteilt. Sie habe sich auch während ihrer Berufstätigkeit um das Studium beworben. Es fehle an objektiven Beweisanzeichen, dass T vor Abschluss ihrer Ausbildung im Juni 2015 noch eine weiterführende Ausbildung als Teil einer Erstausbildung angestrebt habe (BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15, BFHE 253, 145, BStBl II 2016 II, 615). Wegen ihrer Erwerbstätigkeit könne T nach der abgeschlossenen Erstausbildung zur Bankkauffrau nicht mehr als Kind in Berufsausbildung berücksichtigt werden (§ 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz – EStG).
6
Hiergegen richtet sich die Klage. Für T sei bereits bei Beginn der Ausbildung zur Bankkauffrau klar gewesen, die Ausbildung mit dem akademischen Abschluss Bankfachwirtin abzuschließen. Dazu habe sie den nächstmöglichen Studienbeginn im Anschluss an ihren Abschluss Bankkauffrau wahrgenommen. Das Studium könne nur im Halbjahrestakt begonnen werden. Das Vorgehen sei mit der Ausbildungsgeberin der T grundsätzlich abgesprochen gewesen. Das Studium stehe in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Ausbildung zur Bankkauffrau. Zwischen dem Abschluss „Bankkauffrau“ und der Aufnahme des Studiums hätten deutlich weniger als vier Monate gelegen. Entgegen der im Einspruchsverfahren von der Familienkasse vertretenen Auffassung enthalte das Tatbestandsmerkmal der Berufsausbildung kein einschränkendes Erfordernis eines zeitlichen Mindestumfangs von Ausbildungsmaßnahmen.
7
Die Klägerin beantragt,
8
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 26. Januar 2017 und des Einspruchsbescheids vom 13. April 2017 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für T ab Juli 2015 festzusetzen.
9
Die Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest und beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 9. Juni und 6. Juli 2017 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

12
Die Klage ist begründet.
13
I. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter (§ 79a Abs. 3 und 4 Finanzgerichtsordnung – FGO).
14
II. Die Klägerin hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ab Juli 2015 einen Anspruch auf Kindergeld für ihre Tochter T. Das berufsbegleitende Studium der Tochter ist noch Teil ihrer Erstausbildung, die Berufstätigkeit daher nicht anspruchsschädlich.
15
1. Die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG liegen im Streitfall vor. Danach ist ein über 18 Jahre altes Kind, das – wie T – das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, u.a. dann zu berücksichtigen, wenn es sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten liegt.
16
T hatte ihre Erstausbildung mit Abschluss der Banklehre noch nicht beendet. T befand sich vom 25. Juni 2015 bis zum 1. November 2015 in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von nicht mehr als vier Monaten. Sie war somit gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG für das Kindergeld zu berücksichtigen. Denn eine solche Übergangszeit ist nach vollen Kalendermonaten zu bemessen (BFH-Urteil vom 15. Juli 2003 VIII R 105/01, BFHE 203, 102, BStBl II 2003, 847).
17
Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG allerdings nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
18
a) Der „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG liegt dann vor, wenn das Kind befähigt ist, einen von ihm angestrebten Beruf auszuüben.
19
aa) Dies hat zur Folge, dass erst dann der Verbrauch der Erstausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG eintreten kann. Da es im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auf das angestrebte Berufsziel des Kindes ankommt, muss der Tatbestand „Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung“ nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss (z.B. in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang) erfüllt sein (BFH-Urteil vom 3. Juli 2014 III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152). Dies folgt u.a. aus einer gegenüber § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Kind, das „für einen Beruf ausgebildet wird“) engeren Auslegung des Berufsausbildungsbegriffs (BFH-Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152; vom 15. April 2015 V R 27/14, BFHE 249, 500, BStBl II 2016, 163).
20
bb) Ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss Teil der Erstausbildung sein kann, richtet sich danach, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152). Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das – von den Eltern und dem Kind – bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152).
21
cc) Ist aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein (BFH-Urteil in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152). Abzustellen ist dabei darauf, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und im engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden (BFH-Urteile in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152; vom 15. April 2015 V R 27/14, BFHE 249, 500, BStBl II 2016, 163; vom 16. Juni 2015 XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378; vgl. zum Ganzen BFH-Urteil vom 22. Juni 2016 V R 32/15, BFH/NV 2016, 1554; ebenso Abschn. A 20.2.4 Abs. 2 DA-KG 2017, BStBl I 2017, 1005).
22
2. Danach ist Ts Besuch des Bankkollegs noch als Teil einer (mehraktigen) Erstausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu werten.
23
a. Die Klägerin gibt an, T habe schon zu Beginn der Banklehre als Berufsziel den Abschluss Bankfachwirtin angestrebt. Die hierfür geforderten objektiven Beweisanzeichen – der enge sachliche und zeitliche Zusammenhang der Ausbildungsabschnitte – sind gegeben.
24
Dies ist für den sachlichen Zusammenhang zu Recht unstreitig. Die praktische Ausbildung zur Bankkauffrau und das nachfolgende Studium am Bankkolleg gehören derselben Berufssparte an. Die Lehrinhalte des Studiums – Bankwirtschaft, Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft, Rechtsgrundlagen des Bankgeschäfts, Privatkundengeschäft und Firmenkundengeschäft – stellen eine fachliche Ergänzung, Weiterführung und Vertiefung der Ausbildung zur Bankkauffrau dar. Die Ausbildungsabschnitte bauen aufeinander auf. Die Zulassungsvoraussetzung zum Studium kann durch eine erfolgreich absolvierte Banklehre erfüllt werden.
25
Aber auch der enge zeitliche Zusammenhang ist gewahrt. T hat das Studium zum nächstmöglichen Termin nach Abschluss der Banklehre aufgenommen. Ein früherer Beginn war aus studienorganisatorischen Gründen nicht möglich. Zum Zeitpunkt des vorangegangenen Studienbeginns in Lingen am 1. Juni 2015 erfüllte T die Zulassungsvoraussetzungen noch nicht. Ihre Banklehre war noch nicht abgeschlossen.
26
Dem steht nicht entgegen, dass T sich erst mit Datum 16. September 2015 – knapp drei Monate nach dem Lehrabschluss am 25. Juni 2015 – angemeldet hat. Der enge zeitliche Zusammenhang ist zu bejahen, wenn das Kind die weitere Berufsausbildung zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufnimmt (BMF-Schreiben vom 8. Februar 2016 IV C 4-S 2282/07/0001-01, BStBl I 2016, 226, Tz. 12b). Dies hat T getan. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der das Gericht folgt, kommt es darauf an, dass die Ausbildungsabschnitte in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Unerheblich ist hingegen, wie groß der zeitliche Abstand zwischen dem Abschluss des ersten Ausbildungsabschnitts und der Bewerbung für den weiteren Ausbildungsabschnitt ist. Die insoweit von der Familienkasse als maßgeblich erachtete Frist von einem Monat lässt sich weder aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch den zitierten Verwaltungsanweisungen ableiten.
27
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Familienkasse herangezogenen BFH-Urteil (in BFHE 253, 145, BStBl II 2016, 615). Auch danach kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.
28
Allerdings fehlt es nach dieser Entscheidung an dem notwendigen engen Zusammenhang, wenn der zweite Ausbildungsabschnitt eine Berufstätigkeit voraussetzt oder das Kind vor Beginn der zweiten Ausbildung eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum Beginn der nächsten Ausbildung dient. Derartige Umstände sind im Streitfall aber nicht gegeben. Das Studium der T setzt keine Berufstätigkeit voraus. Zwar genügt auch eine dreijährige Berufstätigkeit in einer Bank für die Zulassung. Die Berufstätigkeit ist aber keine notwendige Bedingung. T ist allein wegen ihrer abgeschlossenen Banklehre zugelassen worden. Ihre Erwerbstätigkeit diente bis zum Studienbeginn nur der zeitlichen Überbrückung. Das Studium an der Akademie konnte nicht vor dem 1. November 2015 aufgenommen werden.
29
b. Der wöchentliche Zeitaufwand der T für das Studium ist nicht entscheidungserheblich.
30
Ein Kind wird auch dann für einen Beruf ausgebildet, wenn es neben seiner Erwerbstätigkeit ein Studium ernsthaft und nachhaltig betreibt. Das Tatbestandsmerkmal einer Berufsausbildung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG enthält kein einschränkendes Erfordernis eines zeitlichen Mindestumfangs von Ausbildungsmaßnahmen. Die Grundsätze, die der Bundesfinanzhof für die Anerkennung eines Sprachschulunterrichts im Rahmen eines Au-Pair-Aufenthalts als Berufsausbildung aufgestellt hat, finden im Hinblick auf eine im Inland absolvierte Schul- oder Universitätsausbildung keine Anwendung (BFH-Urteil vom 8. September 2016 III R 27/15, BFHE 255, 202, BStBl II 2017, 278).
31
An der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit des Studiums der T bestehen keine Zweifel. Sie hat an allen bisherigen Semesterprüfungen teilgenommen.
32
c. Die Berufstätigkeit der T ist für den Kindergeldanspruch nach alledem ohne Bedeutung.
33
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Gründerzuschüsse des EXIST-Programms führen nicht zu Sonderbetriebseinnahmen

Der 14. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Urteil vom 13. April 2018 (Az. 14 K 3906/14 F) entschieden, dass an Gesellschafter einer GbR gezahlte Existenzgründerzuschüsse des EXIST-Programms keine Sonderbetriebseinnahmen darstellen.

Die Klägerin ist eine GbR, deren ebenfalls klagende zwei Gesellschafter Stipendiatenverträge mit einer Universität abschlossen. Danach erhielten die Gesellschafter Mittel aus dem Programm „Existenzgründungen aus der Wissenschaft (EXIST)“ zur Realisierung eines Gründungsvorhabens im Bereich der Softwareentwicklung. Nach dem jeweiligen Stipendiatenvertrag sollte das Stipendium den Gesellschaftern ermöglichen, sich ganz der Verfolgung und Realisierung ihrer Gründungsidee zu widmen. Es war weder als Vergütung noch als Arbeitsentgelt ausgestaltet, sondern diente vielmehr allein der Sicherung des Lebensunterhalts und einer angemessenen Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit des Existenzgründers während der Phase der Weiterverfolgung und Realisierung der Gründungsidee.

Die nach diesen Vereinbarungen an die beiden Gesellschafter gezahlten Stipendien in Höhe von 18.000 Euro bzw. 16.800 Euro behandelte das Finanzamt als Sonderbetriebseinnahmen aus ihrer Mitunternehmerschaft bei der GbR.

Der hiergegen erhobenen Klage gab der Senat in vollem Umfang statt. Die Stipendien seien nicht als Sonderbetriebseinnahmen der Gesellschafter anzusehen. Dies folge bereits daraus, dass die Beträge bei der GbR nicht zu einer Gewinnminderung geführt hätten. Darüber hinaus stellten die Stipendien auch keine Vergütungen von der Gesellschaft dar, da sie von der Universität gewährt worden seien. Sie seien auch nicht als Zahlungen von dritter Seite anzusehen, da keine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis gegeben sei. Die Stipendiatenverträge hätten die Kläger vielmehr unabhängig von ihrer Eigenschaft als Gesellschafter der GbR mit der Universität abgeschlossen. Da die Stipendien der Sicherung des Lebensunterhalts und einer angemessenen Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit der Gesellschafter gedient hätten, sei nicht davon auszugehen, dass die Zahlungen der GbR zugutekommen sollten. Der Senat hat zur Fortbildung des Rechts die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster, Mitteilung vom 15.05.2018 zum Urteil 14 K 3906/14 F vom 13.04.2018

 

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