Das Finanzamt kann Steuerzahler, die ihre Steuern unbedingt bar zahlen möchten, an ein von ihm ermächtigtes Kreditinstitut verweisen, bei dem das Amt auch ein Bankkonto unterhält. Eine solche Einzahlung kann zudem an weitere Voraussetzungen geknüpft werden. Das hat das Hessische Finanzgericht entschieden (Az.11 K 1497/16).
Geklagt hatte ein Steuerzahler, der meinte, fällige Steuerschulden einschränkungslos mittels Bargeld (Euro) bei dem vom Finanzamt ermächtigten Kreditinstitut begleichen zu können. Seine Barzahlung mittels gesetzlichem Zahlungsmittel dürfe weder unter dem Vorbehalt einer Bareinzahlungsgebühr stehen noch nach Geldwäschegesichtspunkten eingeschränkt sein oder daran scheitern, dass er selbst bei der vom Finanzamt benannten Bank ein eigenes Konto unterhalte. Das Finanzamt müsse dafür sorgen, dass das Kreditinstitut sein Bargeld ohne weitere Hindernisse zur Steuerschuldentilgung entgegennehme und ihm – dem Kläger – die Ermächtigung des Kreditinstitutes auch bekannt machen, was unterblieben sei.
Das Hessische Finanzgericht entschied hingegen, dass sich das Finanzamt hinsichtlich der streitigen Art und Weise der Steuertilgung auf § 224 Abgabenordnung (AO) stützen könne. Sei – wie vorliegend – die Kasse des Finanzamtes nach der speziellen bundesgesetzlichen Regelung des § 224 Abs. 4 Satz 1 AO für die Übergabe von Zahlungsmitteln gegen Quittung geschlossen, sei dies nach Verfassungsrecht und europäischem Recht unbedenklich. Das Finanzamt könne insofern – wie im Streitfall – durch ein konkretes Schreiben ein oder mehrere Kreditinstitute ermächtigen, für seine (geschlossene) Kasse Zahlungsmittel gegen Quittung anzunehmen. Dass diese Ermächtigung vorliegend den Begriff „Zahlscheine“ statt „Zahlungsmittel“ enthalte, sei unerheblich, da der bankübliche Begriff des Zahlscheins stets die Dokumentation eines Barzahlungsvorgangs einschließe. Eine Verpflichtung zur Bekanntgabe der erfolgten Ermächtigung gegenüber einem Steuerpflichtigen bestehe entgegen der Auffassung des Klägers nicht.
Auch im Übrigen sei im Streitfall alles ordnungsgemäß verlaufen. Dass Finanzamt müsse dem Kläger insbesondere auch nicht die 6 Euro Bankgebühren ersetzen, die diesem anlässlich seiner Steuerzahlung über die Bank berechnet worden seien. Denn nach § 270 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der mangels anderweitiger Vorschriften der AO hier als allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Tragen komme, habe der Schuldner dem Gläubiger Geld im Zweifel auf seine Kosten zu übermitteln. Die auf gesetzlicher Grundlage erfolgte Schließung der Finanzkasse für Barzahlungen begründe insofern auch keinen Ausnahmefall. Aus § 224 Abs. 4 Satz 2 AO ergebe sich, dass die Einzahlung von Bargeld bei der ermächtigten Bank gerade keine Übergabe von Bargeld an die Finanzkasse darstelle. Die Bankgebühren für die Bareinzahlung stellten daher keine Kosten des Steuergläubigers bei der Entgegennahme von Bargeld dar. Schließlich könne der Kläger mit der Klage auch nicht die Feststellung begehren, nicht in Verzug geraten zu sein, weil er sich damit im Kern gegen die Entstehung von Säumniszuschlägen wende; dies sei aber zunächst außergerichtlich durch einen sog. Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 Satz 1 AO zu klären.
Gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12.12.2017 wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Nun hat der Bundesfinanzhof (BFH) das letzte Wort (Az. VIII B 19/18).
Quelle: FG Hessen, Pressemitteilung vom 17.04.2018 zum Urteil 11 K 1497/16 vom 12.12.2017 (nrkr – BFH-Az.: VIII B 19/18)
Mit Urteil vom 14. Februar 2018 (Az. 3 K 565/17 Erb) hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass ein Vorläufigkeitsvermerk im Hinblick auf die nach einem BVerfG-Urteil zu erwartende Neuregelung des ErbStG nicht die Möglichkeit einer nachträglichen Wahlrechtsausübung auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG umfasst.
Der Kläger erbte vom im Jahr 2012 verstorbenen Erblasser unter anderem Kommanditbeteiligungen an verschiedenen Gesellschaften. Im Rahmen seiner Erbschaftsteuererklärung stellte er zunächst keinen Antrag auf Vollverschonung des Betriebsvermögens. Im daraufhin ergangenen Erbschaftsteuerbescheid gewährte das Finanzamt auf die Beteiligungen einen Verschonungsabschlag in Höhe von 85%. Die Festsetzung erging „in vollem Umfang vorläufig“ im Hinblick auf die durch das BVerfG-Urteil vom 17. Dezember 2014 (1 BvL 21/12) angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung. Nach Ablauf der Einspruchsfrist beantragte der Kläger die vollständige Steuerbefreiung für Betriebsvermögen gemäß § 13a Abs. 8 ErbStG. Dies lehnte das Finanzamt unter Hinweis auf den Eintritt der Bestandskraft ab. Demgegenüber berief sich der Kläger auf den Vorläufigkeitsvermerk, der die gesamte Erbschaftsteuerfestsetzung betreffe.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Da der Erbschaftsteuerbescheid bestandskräftig geworden sei, habe der Kläger sein Wahlrecht nicht wirksam ausüben können. Der Vorläufigkeitsvermerk durchbreche die Bestandskraft insoweit nicht. Die Reichweite eines solchen Vermerks sei durch Auslegung zu ermitteln. Im Streitfall ergebe diese, dass das Finanzamt die Bestandskraft nur für den Fall habe offenhalten wollen, dass der Bescheid aufgrund einer gesetzlichen Neuregelung aufgehoben werden müsse. Der Antrag auf Vollverschonung sei hiervon nicht umfasst, da dieser gerade nicht auf einer Neuregelung, sondern auf geltendem Recht beruhe. Gegen diese Auslegung spreche auch nicht die „in vollem Umfang“ erklärte Vorläufigkeit. Diese Formulierung trage lediglich dem Umstand Rechnung, dass noch nicht klar gewesen sei, in welchem Umfang der Gesetzgeber eine neue Regelung schaffen würde.
Quelle: FG Münster Newsletter 4/2018
Finanzgericht Münster, 3 K 565/17 Erb
Datum:
14.02.2018
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
3. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 K 565/17 Erb
ECLI:
ECLI:DE:FGMS:2018:0214.3K565.17ERB.00
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
T a t b e s t a n d
2
Streitig ist, bis wann der Antrag auf Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 des Erbschaft-steuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) in der für den Streitfall geltenden Fassung gestellt werden kann.
3
Der am 00.00.2012 verstorbene Herr E 2 wurde von dem Kläger als Alleinerbe beerbt. Zum Nachlass gehörten unter anderem Kommanditbeteiligungen an der E 3 GmbH & Co. KG, der E 4 GmbH & Co. KG und der E 5 GmbH & Co. KG.
4
Der Kläger reichte im Mai 2014 eine Erbschaftsteuererklärung bei dem Beklagten ein. In der „Anlage Steuerentlastung für Unternehmensvermögen (§§ 13a, 13b ErbStG)“ gab er den Wert der vorgenannten Beteiligungen mit insgesamt X EUR an. Einen Antrag auf vollständige Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 8 ErbStG stellte er zunächst nicht.
5
Dementsprechend gewährte der Beklagte im Erbschaftsteuerbescheid vom 29.07.2015 einen Verschonungsabschlag in Höhe von 85 Prozent für die vorgenannten Beteiligungen. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und enthielt einen Vorläufigkeitsvermerk mit folgendem Wortlaut: „Die Festsetzung der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) ist gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nummer 2 AO im Hinblick auf die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 – (BStBl 2015 II S. 50) angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung in vollem Umfang vorläufig. Sollte aufgrund der gesetzlichen Neuregelung dieser Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen“.
6
Das Finanzamt stellte die Bedarfswerte der Beteiligungen mit Bescheiden vom 24.11.2015 gesondert fest und folgte dabei den in der Steuererklärung angegebenen Werten (E 5 GmbH & Co. KG: X EUR; E 4 GmbH & Co. KG: X EUR; E 3 GmbH & Co. KG: X EUR). Ebenfalls gesondert festgestellt wurden die Summen der gemeinen Werte des Verwaltungsvermögens sowie des jungen Verwaltungsvermögens:
7
Verwaltungsvermögen
Junges Verwaltungsvermögen
E 5 GmbH & Co. KG
X EUR
X EUR
E 4 GmbH & Co. KG
X EUR
X EUR
E 3 GmbH & Co. KG
X EUR
X EUR
8
Demnach ergaben sich Verwaltungsvermögensquoten von 0,0100 % (E 5 GmbH & Co. KG), 0 % (E 4 GmbH & Co. KG) und 0,9600% (E 3 GmbH & Co. KG).
9
Der Beklagte änderte die Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) aus hier nicht streitbefangenen Gründen und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf (Erbschaftsteuerbescheid vom 02.02.2016). Der Vorläufigkeitsvermerk blieb bestehen.
10
Mit Schreiben vom 09.11.2016 beantragte der Kläger die vollständige Steuerbefreiung für Betriebsvermögen gemäß § 13a Abs. 8 ErbStG.
11
Nach vorheriger Anhörung des Klägers lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 13.12.2016 ab. Zur Begründung führte er an, der Antrag auf Vollverschonung könne nur bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft gestellt werden. Der Vorbehalt der Nachprüfung sei bereits mit Bescheid vom 02.02.2016 aufgehoben worden. Auf der Grundlage des Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO könne die Vollverschonung nicht nachträglich gewährt werden. Denn nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO könne eine Steuerfestsetzung nur aufgehoben oder geändert werden, soweit der Vorläufigkeitsvermerk reiche. Hier ergebe sich aus dem Vermerk, dass eine Änderung nur möglich sein solle, soweit es aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17.12.2014 zu einer gesetzlichen Neuregelung komme. Demnach erlaube es der Vorläufigkeitsvermerk nicht, jederzeit bis zum Wegfall der Vorläufigkeit bzw. bis zur Endgültigkeitserklärung ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen Anträge nachzuholen. Die Vollverschonung sei nur zu gewähren, wenn eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO erfolge oder der Bescheid aus anderen Gründen nach §§ 164, 172 ff. AO geändert werde.
12
Mit dem dagegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, der Antrag auf Vollverschonung könne unstreitig bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft gestellt werden. Soweit die Steuer nach § 165 AO vorläufig festgesetzt sei, trete nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine materielle Bestandskraft ein. Da die Steuer hier in vollem Umfang vorläufig festgesetzt worden sei, sei seinem Antrag auf Vollverschonung zu entsprechen. Seine Rechtsauffassung werde durch die Verfügung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vom 07.08.2014 bestätigt.
13
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 30.01.2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führt er ergänzend an, der Vorläufigkeitsvermerk solle allein eine Anpassung der Steuerfestsetzung an die zukünftige Rechtslage ermöglichen. Nicht bezweckt sei eine Änderung aufgrund eines Antrags, welcher sich auf das gegenwärtige Recht beziehe. Diese Rechtsauffassung sei – anders als die Verfügung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe – mit dem Bundesministerium der Finanzen und den obersten Finanzbehörden der Länder abgestimmt.
14
Mit der dagegen gerichteten Klage vertieft der Kläger sein Vorbringen. Er hebt hervor, dass der Vorläufigkeitsvermerk nicht nur einen Teilbereich der Steuerfestsetzung, sondern die Steuerfestsetzung in vollem Umfang betreffe. Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe habe dementsprechend klargestellt, dass der Vorläufigkeitsvermerk die Option zur Vollverschonung „offen halte“ und dass es insoweit keines Einspruchs gegen die Steuerfestsetzung bedürfe. Die Vorläufigkeit ende erst mit Eintritt der Festsetzungsverjährung, wobei hier die Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 8 Satz 2 AO nicht vor Ablauf von zwei Jahren ende, nachdem die Ungewissheit beseitigt sei und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erlangt habe.
15
Der Kläger beantragt,
16
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 13.12.2016 und der Einspruchsentscheidung vom 30.01.2017 zu verpflichten, den Erbschaftsteuerbescheid vom 02.02.2016 dahingehend zu ändern, dass für die Beteiligungen an der E 3 GmbH & Co. KG, der E 4 GmbH & Co. KG und der E 5 GmbH & Co. KG die Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG in der für den Streitfall geltenden Fassung gewährt wird.
17
Der Beklagte beantragt,
18
die Klage abzuweisen.
19
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
20
Der Senat hat die Sache am 14.02.2018 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
21
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22
Die Klage ist unbegründet. Der Ablehnungsbescheid vom 13.12.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung). Die Erbschaftsteuerfestsetzung war nicht aufgrund des Antrags auf Vollverschonung zu ändern.
23
I. Gemäß § 13a Abs. 1 in Verbindung mit § 13b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 ErbStG in der für den Streitfall geltenden Fassung wird für Mitunternehmeranteile ein Verschonungsabschlag in Höhe von 85 Prozent gewährt. Nach § 13a Abs. 8 ErbStG kann der Erwerber durch unwiderrufliche Erklärung eine Vollverschonung – d. h. die 100 prozentige Freistellung des erworbenen Mitunternehmeranteils – wählen. Die Vollverschonung wird nach § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG nur gewährt, wenn das erworbene Betriebsvermögen höchstens zu 10 Prozent aus Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG besteht. Zudem darf die Summe der jährlichen Lohnsummen über einen Zeitraum von sieben Jahren nach dem Erwerb 700 Prozent der Ausgangslohnsumme nicht unterschreiten (§ 13a Abs. 8 Nr. 1 ErbStG). Die Behaltensfrist für das begünstigt erworbene Vermögen beträgt sieben Jahre (§ 13a Abs. 8 Nr. 2 ErbStG).
24
Das Gesetz regelt nicht, bis wann der Erwerber den Antrag auf Vollverschonung stellen kann. Insbesondere ergibt sich aus dem Gesetz nicht, ob die Steuerfestsetzung im Falle eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. 3 AO geändert werden kann. Auch die Gesetzesbegründung verhält sich zu dieser Frage nicht. Dort heißt es lediglich, dass der Erwerber die Erklärung bis zur (formellen) Bestandskraft der Steuerfestsetzung abgeben kann (BT-Drs. 16/11107, Seite 10).
25
Dementsprechend werden zu dieser Frage unterschiedliche Auffassungen vertreten:
26
1. Nachdem die Finanzverwaltung zunächst einen Antrag bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der Festsetzung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer für erforderlich hielt (vgl. Abschnitt 17 Abs. 2 Satz 2 der gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer-
27
und Bewertungsrechts vom 25.06.2009), vertritt sie in den Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 die Auffassung, dass der Erwerber den Antrag grundsätzlich bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft der Festsetzung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer stellen kann (vgl. R E 13a.13 Abs. 2 Satz 2). Dabei bleibt offen, wann ein Bescheid materiell bestandskräftig wird.
28
Nach Auffassung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe eröffnet ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, auch noch nach Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung einen Antrag auf Vollverschonung zu stellen (Verfügung vom 07.08.2014, S381.2a/50 – St 341 und S033.8/48 – St 311). Dagegen ergibt sich nach Auffassung des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen aus einem solchen Vorläufigkeitsvermerk keine Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO (Verfügungen vom 24.07. und 25.08.2015, S 3812a – 105 – V A 6).
29
2. Auch in der Literatur wird teilweise angenommen, dass ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AO dem Steuerpflichtigen ermögliche, nachträglich einen Antrag auf Optionsverschonung zu stellen (Stalleiken in: von Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 13a Rn. 252; Weinmann in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 13a Rn. 242). Andere Literaturstimmen äußern sich zu dieser Lösung eher zurückhaltend (Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, November 2016 EL 51, § 13a Rn. 518 „Hilfsbrücke“).
30
3. Nach Auffassung des Senats liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung im vorliegenden Fall nicht vor. Da das Gesetz nicht regelt, bis wann ein Antrag auf Vollverschonung zu stellen ist, richtet sich diese Frage nach den allgemeinen Grundsätzen.
31
Die Voraussetzungen für eine Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO liegen nicht vor. Gemäß § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde die Festsetzung aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat. Nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären, wenn die Ungewissheit beseitigt ist.
32
Änderungen nach § 165 Abs. 2 AO sind nach Art und Umfang nur in dem durch die Vorläufigkeit wirksam gesteckten Rahmen zulässig (BFH, Urteil vom 20.11.2012 IX R 7/11, BFHE 239, 302, BStB. II 2013, 359, Rn. 25). Im Zweifelsfall ist der Umfang der Vorläufigkeit durch Auslegung zu ermitteln (BFH, Urteil vom 06.03.1992 III R 47/91, BFHE 167, 290, BStBl II 1992, 588, Rn. 24). Entscheidend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen – seinem „objektiven Verständnishorizont“ – den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf (BFH, Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791, Rn. 14).
33
Ist ungewiss, ob eine Norm verfassungsgemäß ist, hat der hierauf abhebende Vorläufigkeitsvermerk im Zweifel zur Folge, dass alle sachlich zusammenhängenden („kohärenten“), d. h. zu einem bestimmten Regelungskomplex gehörenden Rechtsfolgen offengehalten werden sollen (BFH, Urteil vom 27.11.1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl. II 1997, 791, Rn. 17). Nach dem Urteil des BFH vom 12.07.1991 (III R 23/88, BFH/NV 1992, 172, Rn. 28 ff.) ist ein Vorläufigkeitsvermerk in einem Einkommensteuerbescheid eines Alleinerziehenden, welcher mit Blick auf eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Alleinstehenden mit Kindern (Urteil vom 03.11.1982 1 BvR 620/78 u.a., BVerfGE 61, 319, BStBl. II 1982, 717) aufgenommen wurde (Wortlaut des Vermerks: „Der Bescheid ist aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. November 1982 vorläufig, soweit es sich um die Berücksichtigung von Kindern unter 18 […] Jahren handelt“) nicht auf Tatsachen betreffend einen bestimmten Rechtsgrund, wie z.B. den Grundfreibetrag oder Kinderfreibeträge, beschränkt, sondern so weit gefasst, dass die Bestandskraft hinsichtlich aller Minderungen der steuerlichen Leistungsfähigkeit durchbrochen ist, die im weitesten Sinne mit dem Kind des Steuerpflichtigen zusammenhängen.
34
Im Streitfall ergibt sich aus dem gewählten Vorläufigkeitsvermerk hinreichend klar, dass der Beklagte die Bestandskraft nur für den Fall offen halten wollte, dass sich die für den Streitfall geltende Rechtslage durch die gesetzliche Neuregelung, welche aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 17.12.2014 erforderlich geworden war, ändert. Die Durchbrechung der Bestandskraft galt demnach nur für eine etwaige gesetzliche Neureglung. Denn der Vermerk nimmt ausdrücklich auf „die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts […] angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung“ Bezug und führt ergänzend aus: „Sollte aufgrund der gesetzlichen Neuregelung dieser Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen“. Demnach war die Bestandskraft nicht auch für einen Antrag auf Vollverschonung durchbrochen, da dieser Antrag gerade nicht auf der gesetzlichen Neuregelung, sondern auf dem geltenden Recht basierte.
35
Auch aus dem Zusatz, dass die Festsetzung „in vollem Umfang“ vorläufig sei, kann nach dem „objektiven Empfängerhorizont“ nicht geschlossen werden, dass die Festsetzung unabhängig von einer gesetzlichen Neuregelung offen gehalten werden sollte. Der
36
Zusatz „in vollem Umfang“ ergibt sich vielmehr daraus, dass zum damaligen Zeitpunkt nicht klar war, in welchem Umfang der Gesetzgeber eine Neuregelung schaffen würde.
37
Würde die Auffassung der Oberfinanzdirektion Karlsruhe zutreffen und der Vorläufigkeitsvermerk auch einen Antrag auf Vollverschonung erfassen, so hätte dies konsequenterweise zur Folge, dass sämtliche Steuerfestsetzungen mit diesem Vorläufigkeitsvermerk insgesamt – also auch hinsichtlich etwaiger Rechtsfehler in anderen Bereichen des Erbschaftsteuerrechts – offen gehalten würden. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum die Durchbrechung der Bestandskraft nur für den Antrag auf Vollverschonung und nicht auch für andere Besteuerungsmerkmale gelten sollte. Ein solches Verständnis des Vorläufigkeitsvermerks war – auch nach dem „objektiven Empfängerhorizont“ – ersichtlich nicht gewollt.
38
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Übernimmt die Arbeitgeberin für eine angestellte Rechtsanwältin Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, zur Rechtsanwaltskammer und zum Deutschen Anwaltsverein sowie die Umlage für das besondere elektronische Anwaltspostfach, fällt hierfür Lohnsteuer an. Dies hat der 1. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 1. Februar 2018 (Az. 1 K 2943/16 L) entschieden.
Die Klägerin ist eine Rechtsanwaltssozietät. Sie übernahm für eine angestellte Rechtsanwältin Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, zur Rechtsanwaltskammer und zum Deutschen Anwaltsverein sowie die Umlage für das besondere elektronische Anwaltspostfach, ohne diese dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfen. Aufgrund einer Lohnsteueraußenprüfung erließ das Finanzamt diesbezüglich einen Lohnsteuerhaftungs- und -nachforderungsbescheid, weil es sich nach seiner Auffassung um Arbeitslohn handele. Dem trat die Klägerin entgegen, weil die Kostenübernahme nicht im privaten, sondern im beruflichen Interesse der Arbeitnehmerin begründet gewesen sei.
Der Senat wies die Klage ab, weil die übernommenen Aufwendungen Arbeitslohn darstellten. Die Übernahme habe nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse der Klägerin als Arbeitgeberin gelegen.
Eine Berufshaftpflichtversicherung sei unabdingbar für die Ausübung des Anwaltsberufs und decke das persönliche Haftungsrisiko der Anwältin ab. Die Pflicht zum Abschluss einer solchen Versicherung diene neben dem Schutz der Mandanten auch der unabhängigen und eigenverantwortlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege. Nur durch diesen Versicherungsschutz sei eine interessengerechte Mandantenvertretung möglich.
Auch die Übernahme der Beiträge zur Rechtsanwaltskammer führe zu Arbeitslohn. Die Anwaltszulassung der Arbeitnehmerin habe zwar auch im betrieblichen Interesse der Klägerin gelegen. Sie sei jedoch auch zwingende Voraussetzung für die selbstständige Ausübung einer Anwaltstätigkeit und könne daher auch im Fall einer beruflichen Veränderung der Anwältin von Vorteil sein.
Da die Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs nicht für die Sozietät der Klägerin, sondern für jeden Rechtsanwalt einzeln erfolge, stünden die Kosten für das für die angestellte Rechtsanwältin eingerichtete Postfach in ihrem eigenen beruflichen Interesse.
Schließlich stelle auch die Übernahme der Beiträge zum Deutschen Anwaltsverein Arbeitslohn dar. Die Vorteile der Mitgliedschaft, insbesondere die berufliche Vernetzung sowie der vergünstigte Zugang zu Fortbildungsangeboten und zu Rabattaktionen wirkten sich für die Rechtsanwältin unabhängig von ihrem Anstellungsverhältnis aus.
Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.
Quelle: FG Münster Newsletter 4/2018
Finanzgericht Münster, 1 K 2943/16 L
Datum:
01.02.2018
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2943/16 L
ECLI:
ECLI:DE:FGMS:2018:0201.1K2943.16L.00
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2
Die Klägerin, eine Rechtsanwaltssozietät in der Rechtsform einer GbR, wendet sich gegen eine Haftungsinanspruchnahme für Lohnsteuer.
3
Bei der Klägerin fand am 13.04.2016 eine Lohnsteueraußenprüfung für den Zeitraum 01.01.2013 bis 29.02.2016 statt. Der Prüfer stellte im Bericht über die Lohnsteueraußenprüfung vom 22.04.2016 fest, dass die Klägerin für die angestellte Rechtsanwältin Frau A die Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, zur Rechtsanwaltskammer, zum Deutschen Anwaltsverein und die Umlage der Rechtsanwaltskammer für das besondere elektronische Anwaltspostfach übernommen hatte. Nach Auffassung des Prüfers stellte die Übernahme der genannten Beiträge durch die Klägerin steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
4
Im Einzelnen handelte es sich dabei ausweislich des Prüfungsberichts um folgende Beträge:
5
6
Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung:
7
2013 – 2016 jeweils 2.115,23 EUR jährlich (Fälligkeit Januar)
8
9
Rechtsanwaltskammer:
10
2013 160 EUR (halbjährlich 80 EUR)
11
2014 190 EUR
12
2015 190 EUR
13
2016 95 EUR (1. Rate)
14
15
Umlage Anwaltspostfach:
16
2015 63 EUR
17
2016 67 EUR
18
19
Deutscher Anwaltsverein:
20
2013 200 EUR (1/4-jährlich 50 EUR)
21
2014 200 EUR
22
2015 200 EUR
23
2016 50 EUR (1. Rate)
24
Im Lohnsteueraußenprüfungsbericht wurde weiter festgehalten, dass die Nachversteuerung der o.g. Beträge im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung erfolge. Für die Jahre 2013 und 2014 ergehe eine Mitteilung an den zuständigen Veranlagungsbezirk zur weiteren Veranlassung. Für die Jahre 2015 und 2016 erfolge die Nachversteuerung durch Bruttoeinzelberechnung. Hierzu ermittelte der Prüfer ausweislich des Berichts folgende Beträge:
25
Name
Jahr
Konf.
Brutto
LSt
SolZ
Ev. KSt
A
2015
Ev
2.568,23
1.018,00
55,99
91,61
A
01-02/2016
Ev
2.327,23
806,17
44,34
72,55
Summe
1.824,17
100,33
164,16
26
Weiter heißt es im Prüfungsbericht, dass die Mehrsteuern der Arbeitnehmerin vom nächsten Nettolohn einzubehalten seien.
27
Wegen weiterer, im Klageverfahren nicht streitiger Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung wird auf den Prüfungsbericht vom 22.04.2016 Bezug genommen.
28
Der Beklagte schloss sich der Auffassung der Lohnsteueraußenprüfung an und erließ unter dem 25.04.2016 einen Haftungs- und Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Bergmannsprämie, durch den die Klägerin als Arbeitgeberin gemäß § 42d Einkommensteuergesetz (EStG) für den Zeitraum 01.01.2013 bis 29.02.2016 für Lohnsteuer i.H. von 1.824,17 EUR, Solidaritätszuschlag i.H. von 100.33 EUR und evangelische Kirchensteuer i.H. von 164,16 EUR in Anspruch genommen wurde. In der Begründung des Bescheids führte der Beklagte u.a. aus, dass die Klägerin als Haftende an Stelle des Arbeitnehmers in Anspruch genommen werde, weil ein Haftungsausschluss nicht vorliege, sie sich hiermit einverstanden erklärt habe und eine Haftung nicht unbillig erscheine, insbesondere ein entschuldbarer Rechtsirrtum nicht vorliege.
29
Gegen den Haftungs- und Nachforderungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 27.05.2016 Einspruch ein und bat vor der weiteren Begründung des Einspruchs um Akteneinsicht.
30
Mit Einspruchsentscheidung vom 17.08.2016 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Der Beklagte führte aus, dass die Klägerin ihren Einspruch nicht begründet habe und eine erneute Prüfung des Haftungsbescheids keine Gründe ergeben habe, die zu einer Änderung hätten führen können. Der Arbeitgeber hafte gemäß § 42d EStG für die Lohnsteuer, die er bei der Auszahlung des Arbeitslohnes für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und abzuführen habe. Führe eine Lohnsteueraußenprüfung zu einem Mehrergebnis, seien die entsprechenden Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber mit Haftungsbescheid geltend zu machen. Die Klägerin hafte deshalb für die in unzutreffender Höhe einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer.
31
Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch unter Ermessensgesichtspunkten nicht zu beanstanden. Das Entschließungsermessen sei zutreffend ausgeübt worden, da die Klägerin als Arbeitgeberin habe wissen müssen, dass es sich bei den von ihr übernommenen Beiträgen zur Berufshaftpflichtversicherung, Rechtsanwaltskammer und zum Deutschen Anwaltsverein ihrer angestellten Rechtsanwältin um Arbeitslohn handele und die Lohnsteuer entsprechend anzumelden und abzuführen war. Die Auswahl des Arbeitgebers als Haftungsschuldner sei daher auch ermessensgerecht. Der Haftungsbescheid sei auch seiner Höhe nach nicht zu beanstanden, da Einwendungen gegen die Prüfungsfeststellungen nicht erhoben worden seien und die Zahlung der Haftungsschulden durch Lastschrifteinzug zum Fälligkeitstermin erfolgt sei.
32
Mit ihrer am 19.09.2016 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Haftungsinanspruchnahme für die auf die für ihre angestellte Rechtsanwältin übernommen Beitrags- und Umlagezahlungen entfallende Lohnsteuer und macht geltend, dass es sich dabei nicht um Arbeitslohn handele. Zur Begründung trägt die Klägerin vor, dass das Berufshaftpflichtrisiko der in der Kanzlei tätigen Rechtsanwälte seit jeher über Versicherungsverträge zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung mit der A Versicherungs-AG versichert sei. Versicherungsnehmer sei der jeweilige Rechtsanwalt. Der Grund dafür, jeden Rechtswalt einzeln zu versichern, habe ursprünglich darin gelegen, dass eine GbR bis zur Entscheidung des BGH v. 29.01.2001, II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 als nicht rechtsfähig angesehen worden sei und deshalb im Zweifel jeder einzelne Partner einer Rechtsanwaltssozietät unmittelbar persönlich haftete. Da nach der Rechtsprechung alle Rechtsanwälte, die unter gemeinsamem Briefbogen auftraten, im Außenverhältnis haftende Außensozien waren, benötigten auch angestellte Rechtsanwälte Versicherungsschutz. Auch nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR habe die A Versicherungs-AG keine „Sozietätspolicen“ für Sozietäten in der Rechtsform der GbR angeboten. Jeder Rechtsanwalt in der Sozietät der Klägerin sei deshalb über einen eigenen Versicherungsvertrag versichert und zwar auch angestellte Rechtsanwälte selbst dann, wenn sie nicht nach außen als Außen- bzw. Scheinsozius auftreten würden.
33
Die angestellte Rechtsanwältin Frau A sei weder Sozius noch Außensozius. Für Fehler der Sozien müsse sie deshalb nicht einstehen. Frau A bearbeite fast ausschließlich Fälle aus dem Familien- und Sozialrecht. Die von ihr bearbeiteten Fälle hätten Streitwerte und damit ein Haftungsrisiko, das mit der Mindestversicherungssumme nach § 51 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) von 250.000 EUR mehr als abgedeckt sei. Dies sei bei der Tätigkeit der Sozien anders, die auch Fälle mit deutlich höherem Haftungsrisiko bearbeiteten, weshalb seit Jahren mit der A Versicherungs-AG eine Versicherungssumme von 1,5 Mio. EUR vereinbart sei. Für Fälle, die ein noch höheres Haftungsrisiko beinhalteten, werde im Einzelfall eine sog. Exedentenversicherung abgeschlossen.
34
Die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung und zur Rechtswaltskammer erfolge nicht im privaten, sondern im beruflichen Interesse der angestellten Rechtsanwältin. Dies ergebe sich zunächst aus der Entstehungsgeschichte des § 51 BRAO. Die Vorschrift existiere seit 1994 und sei eingeführt worden, um dem Schutz des Mandantenvermögens Rechnung zu tragen. Sie sei also nicht in erster Linie vom Gesetzgeber zum Schutz der beratenden Rechtsanwälte selbst eingeführt worden. Außerdem sei für Frau A, trotz des sich aus den von ihr bearbeiteten Mandaten ergebenden geringeren Haftungsrisikos, ebenfalls eine Versicherungssumme von 1,5 Mio. EUR vereinbart worden. Der Grund dafür liege in den Besonderheiten der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung. Nach § 12 Abs. 2 der Versicherungsbedingungen spiele es bei gleichem Deckungsumfang der Versicherung für alle Sozien keine Rolle, wem der Fehler unterlaufen sei. Sei aber ein Sozius niedriger als die anderen versichert, würden zwangsläufig bei den anderen Sozien Deckungsbeschränkungen eintreten, da die Eintrittspflicht des Versicherers für alle Sozien nur in Höhe der Durchschnittsleistung bestehe. Es bestehe deshalb ein ganz überwiegendes eigenes betriebliches Interesse der Klägerin als Arbeitgeberin daran, dass die Sozien nicht mit ihrem Privatvermögen für eine Deckungslücke einstehen müssten, die sich daraus ergebe oder ergeben könnte, dass die Versicherungssumme für Frau A nur 250.000 EUR betrage.
35
Hinsichtlich der Umlage der Rechtsanwaltskammer für das besondere elektronische Anwaltspostfach gelte, dass die BRAK die Umlage so beschlossen habe, um die Entwicklungskosten für die Software des Postfachs abzudecken. Das Postfach werde für jeden Rechtsanwalt einzeln eingerichtet.
36
Bezüglich der Beiträge zum Anwaltsverein sei zu berücksichtigen, dass alle Rechtsanwälte der Sozietät der Klägerin seit jeher Mitglied im Anwaltsverein und damit im Deutschen Anwaltsverein seien. Der Grund hierfür sei u.a., dass Mitglieder des Deutschen Anwaltsvereins vergünstigt Seminare bei der Deutschen Anwalts Akademie buchen könnten und man außerdem durch die Teilnahme an den örtlichen Veranstaltung des Anwaltsvereins die Kollegen besser kennen lerne. Wenn die Kanzlei es wolle, dass ihre Rechtsanwälte Mitglied des Anwaltsvereins seien, unterliege Frau A insoweit der Weisung des Arbeitgebers. Dann sei es aber nur „recht und billig“, wenn dieser dafür die Kosten trage.
37
Die Klägerin beantragt,
38
den Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 25.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.08.2016 aufzuheben,
39
hilfsweise,
40
die Revision zuzulassen.
41
Der Beklagte beantragt,
42
die Klage abzuweisen.
43
Der Beklagte trägt vor, dass gemäß § 51 Abs. 1 BRAO jeder Rechtsanwalt zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet sei. Der Umstand, dass die Klägerin eine höhere als die erforderliche Versicherungssumme für ihre angestellte Rechtsanwältin vereinbart habe, bedeute nicht, dass das Interesse der Arbeitnehmerin am Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung unerheblich sei. Die Übernahme der Beiträge zur Rechtsanwaltskammer sei ein anderer „Vorteil“ für deren Tätigkeit und stelle deshalb ebenso wie die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung Arbeitslohn dar. Auch die Übernahme der Beiträge für die Mitgliedschaft im örtlichen Anwaltsverein stelle Arbeitslohn dar, da auch der angestellten Rechtsanwältin an dem Aufbau von beruflichen Kontakten gelegen sein dürfte. Außerdem biete der Deutsche Anwaltsverein neben Fortbildungsveranstaltungen und Kontakten seinen Mitgliedern auch Vergünstigungen bei zahlreichen Kooperationspartnern wie Autoherstellern und Hotelketten, weshalb von einem nicht unerheblichen eigenen Interesse der angestellten Rechtsanwältin an der Mitgliedschaft auszugehen sei.
44
Am 22.11.2016 hat ein Erörterungstermin vor dem vormaligen Berichterstatter stattgefunden, auf dessen Protokoll wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
45
Der Senat hat am 01.02.2018 mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
46
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
47
Entscheidungsgründe
48
1. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
49
Der Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Bergmannsprämie vom 25.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.08.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Beklagte hat die Klägerin zutreffend gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) i.V. mit § 42d Einkommensteuergesetz (EStG) für die auf die von ihr für die angestellte Rechtsanwältin Frau A gezahlten Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, zur Rechtsanwaltskammer und zum Deutschen Anwaltsverein sowie auf die gezahlte Umlage zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach entfallende Lohnsteuer als Haftende in Anspruch genommen.
50
a) Gemäß § 191 Abs. 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Klägerin haftet gemäß § 42d EStG für die auf die von ihr für die angestellte Rechtsanwältin Frau A gezahlten Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, zur Rechtsanwaltskammer und zum Deutschen Anwaltsverein sowie auf die gezahlte Umlage zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach entfallende Lohnsteuer.
51
aa) Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO abzuführen hat. Die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, zur Rechtsanwaltskammer und zum Deutschen Anwaltsverein sowie die Übernahme der Umlage zum elektronischen Anwaltspostfach für die angestellte Rechtsanwältin Frau A stellen steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
52
bb) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal „für“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich der erkennende Senat anschließt, zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden.
53
Dagegen sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen (vgl. BFH, Urteil vom 12.02. 2009, VI R 32/08, BStBl II 2009, 462). Vorteile besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden (BFH, Urteil vom 10.03. 2016, VI R 58/14, BStBl II 2016, 621).
54
Ein Vorteil wird dann aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse gewährt, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus den Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall des „ganz überwiegend“ eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber – neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers – ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. etwa Urteile vom 11.04. 2006, VI R 60/02, BFHE 212, 574, BStBl II 2006, 691, m.w.N.; vom 26.07. 2007, VI R 64/06, BFHE 218, 370, BStBl II 2007, 892; vom 17.01. 2008, VI R 26/06, BFHE 220, 266, BStBl II 2008, 378; vom 12.02. 2009, VI R 32/08, BStBl II 2009, 462; BFH, Urteil vom 10.03. 2016, VI R 58/14, BStBl II 2016, 621).
55
(1) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze führt die Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung für die angestellte Rechtsanwältin Frau A zu steuerpflichtigem Arbeitslohn. Ein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an der Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung liegt nicht vor.
56
(a) Gemäß § 51 BRAO besteht eine Verpflichtung jedes Rechtsanwalts, eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden abzuschließen und die Versicherung während der Dauer seiner Zulassung aufrechtzuerhalten (so auch BFH, Urteile vom 26.07. 2007, VI R 64/06, BStBl II 2007, 892; v. 10.03.2016, VI R 58/14, BStBl. II 2016, 621). Kommt ein angestellter Rechtsanwalt/eine angestellte Rechtsanwältin dieser gesetzlichen Verpflichtung nach, handelt er/sie in typischer Weise im eigenen Interesse. Der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung ist unabdingbar für die Ausübung des Berufs eines (angestellten) Rechtsanwalts, da ein Verstoß gegen diese Pflicht mit der Nichtzulassung zum Beruf (§ 12 Abs. 2 BRAO) oder der Entfernung aus diesem sanktioniert wird (§ 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO).
57
In der Erfüllung der in der eigenen Person begründeten gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung durch den angestellten Rechtsanwalt/die angestellte Rechtsanwältin liegt der entscheidende Grund für die Annahme, dass die Übernahme der Versicherungsbeiträge durch den Arbeitgeber nicht in dessen ganz überwiegendem eigenbetrieblichen Interesse steht. Anders sind Fallgestaltungen zu beurteilen, in denen eine Rechtsanwaltsgesellschaft als Arbeitgeberin zusätzlich zur Berufshaftpflichtversicherung ihrer Anwälte auch eigenen Haftpflichtversicherungsschutz erwirbt und auf eigenen Namen sowie auf eigene Rechnung eine entsprechende Versicherung abschließt (vgl. BFH-Urteile v. 10.03.2016, VI R 58/14, BStBl. II 2016, 621; v. 19.11. 2015, VI R 74/14, BStBl II 2016, 303). Die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung dient in diesem Fall der Deckung des mit dem Betrieb der Gesellschaft verbundenen Haftungsrisikos, also deren eigenem Versicherungsschutz. Daraus für die Arbeitnehmer folgende etwaige Annehmlichkeiten sind bloße Reflexwirkungen einer ausschließlich eigenbetrieblichen Betätigung des Arbeitgebers, mit der er andere betriebsfunktionale Zielsetzungen als die Entlohnung seiner Arbeitnehmer verfolgt (BFH, Urteil v. 10.03. 2016, VI R 58/14, BStBl II 2016, 621). Geht der Arbeitgeber ausschließlich gegenüber Dritten eigene Verpflichtungen ein und erwirbt er eigene Ansprüche, die keinen unmittelbaren Zusammenhang zu seinen Arbeitnehmern und den mit ihnen begründeten Dienstverhältnissen aufweisen, erbringt er keine durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasste, zu Lohn führende Zuwendungen gegenüber seinen Arbeitnehmern (BFH, Urteil v. 10.03. 2016, VI R 58/14, BStBl II 2016, 621). Im Streitfall ist die angestellte Rechtsanwältin Frau A aber gerade eine eigene vertragliche Verpflichtig gegenüber der Haftpflichtversicherung eingegangen und hat dadurch eine persönliche gesetzliche Verpflichtung erfüllt.
58
(b) Auch der Sinn und Zweck des § 51 BRAO führt – entgegen dem Vortrag der Klägerin – nicht zu einem anderen Ergebnis. Zweck der Vorschrift ist es, den Mandanten, aber auch den Rechtsanwalt vor den Risiken anwaltlicher Tätigkeit zu schützen (Tauchert/Dahns in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 51 BRAO, Rn. 4). Die Norm dient deshalb dem Verbraucherschutz ebenso wie der Gewährleistung der unabhängigen, eigenverantwortlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege. Damit unterstreicht der Zweck der Vorschrift gerade das eigene Interesse des versicherten Anwalts an der Versicherung. Nur durch den Schutz der Berufshaftpflichtversicherung ist es dem Rechtsanwalt möglich, den Mandanten uneigennützig und ohne Sorge um die eigene Existenz und Zukunft interessengerecht gegenüber Dritten und vor Gericht zu vertreten. Ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Klägerin an dem Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung ihrer angestellten Rechtsanwältin kann deshalb aus dem Zweck des § 51 BRAO nicht abgeleitet werden.
59
(c) Soweit der Arbeitgeber eines angestellten Rechtsanwalts – wie im Streitfall – im Hinblick auf die Haftungsrisiken aller weiteren Sozien ein Interesse an einer die Mindestsumme von 250.000 EUR (vgl. § 51 Abs. 4 BRAO) übersteigenden Versicherungssumme hat, wie die Klägerin geltend macht, bedeutet dies nicht, dass das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers am Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung als unerheblich zu qualifizieren wäre (so auch BFH, Urteil v. 26.07. 2007, VI R 64/06, BStBl II 2007, 892). Bei einer aus mehreren Rechtsanwälten bestehenden Sozietät liegt aufgrund des erweiteren Haftungsrisikos eine ausreichende Versicherung im Interesse jedes einzelnen Rechtsanwalts, da für jeden einzelnen, unabhängig davon, ob er als Sozius oder als angestellter Rechtsanwalt tätig ist, der Fortbestand der Sozietät im Haftungsfall von einer ausreichenden Versicherung abhängig sein kann.
60
(2) Auch die Übernahme der Beiträge zur Rechtsanwaltskammer für die angestellte Rechtsanwältin Frau A führt zu steuerpflichtigem Arbeitslohn (so auch Sächsisches Finanzgericht, Urteil v. 21.02.2008 – 1 K 1262/07, EFG 2008, 1551 und für die Übernahme der Beiträge zu den Berufskammern der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer durch den Arbeitgeber auch BFH, Urteil v. 17.01. 2008, VI R 26/06, BStBl II 2008, 378).
61
Dem steht nicht entgegen, dass die Zulassung von Frau A zur Rechtsanwaltschaft auch im betrieblichen Interesse der Klägerin gelegen haben dürfte, da nur eine zugelassene Rechtsanwältin vor Gericht auftreten kann und der von Frau A betreute Bereich des Familien- und Sozialrechts sich nicht auf bloße Büroarbeit beschränkt, sondern vielmehr die regelmäßige Wahrnehmung von Gerichtsterminen umfasst haben dürfte. Dieses Interesse der Klägerin hat das Eigeninteresse von Frau A an einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht überwogen oder in den Hintergrund gedrängt. Die Zulassung als Rechtsanwalt/Rechtsanwältin führt zu einer Zwangsmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer. Die Zulassung zur Anwaltschaft ist wiederum sowohl für eine angestellte als auch für eine selbständig tätige Rechtsanwältin zwingende Voraussetzung der Berufsausübung. Zudem hat Frau A nur bei entsprechender Anwaltszulassung die Möglichkeit, die von ihr geführten Titel einer Fachanwältin für Familienrecht und für Sozialrecht zu erwerben und zu erhalten. Diese Qualifikationen wiederum wirken sich im Wettbewerb um entsprechende Mandate im Bereich des Familien- und Sozialrechts positiv aus und können auch im Fall einer beruflichen Veränderung von Vorteil sein.
62
(3) Auch die Übernahme der Umlage zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach durch die Klägerin führt zu steuerpflichtigem Arbeitslohn.
63
Das betriebliche Interesse der Klägerin, dass ihre Sozien und angestellten Rechtsanwälte ein solches Postfach unterhalten, überwiegt nicht das eigene Interesse von Frau A an einem solchen Postfach. Wie die Klägerin selbst vorträgt, wird das besondere elektronische Anwaltspostfach für jeden Rechtsanwalt einzeln eingerichtet, eine „Sozietätslösung“ gebe es nicht. Die Einrichtung des Postfachs erfolgt damit für Frau A unabhängig von ihrem Anstellungsverhältnis zur Klägerin und in ihrem eigenen beruflichen Interesse.
64
(4) Schließlich stellt auch die Übernahme der Beiträge zum Deutschen Anwaltverein durch die Klägerin steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
65
Die Übernahme der Beiträge für die Mitgliedschaft einer angestellten Rechtsanwältin im Deutschen Anwaltverein führt zu Arbeitslohn, wenn der Arbeitgeber nicht im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse handelt (BFH, Urteil v. 12.02. 2009, VI R 32/08, BStBl II 2009, 462).
66
Ein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse der Klägerin ist im Streitfall nicht ersichtlich. Es ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass seit jeher alle Sozien und angestellten Anwälte der Klägerin Mitglied im Anwaltsverein – und damit im Wege einer sog. gestuften Mitgliedschaft auch im Deutschen Anwaltverein – waren und sind und die Klägerin von ihren Anwälten den Eintritt verlangt. Dieses Interesse der Klägerin hat das Eigeninteresse von Frau A an einer Mitgliedschaft nicht überwogen oder in den Hintergrund gedrängt. Die Vorteile der Mitgliedschaft, die insbesondere in der beruflichen Vernetzung, dem vergünstigten Zugang zu Fortbildungsangeboten sowie Rabatten und Sonderkonditionen bei zahlreichen Kooperationspartnern des Deutschen Anwaltverein wie Autoherstellern oder Hotelketten bestehen, wirken für Frau A unabhängig von ihrem Anstellungsverhältnis zur Klägerin. Im Fall einer beruflichen Veränderung könnte sie die geknüpften beruflichen Kontakte weiter pflegen und nutzen. Der Erwerb entsprechenden Fachwissens durch Fortbildung ist gerade für den Erwerb und Erhalt von Fachanwaltstiteln, wie Frau A sie führt, unerlässlich. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass regelmäßige Fortbildungen ihrer Rechtsanwälte auch im Interesse der Klägerin liegen. Dieses Interesse drängt aber das eigene Interesse der angestellten Rechtsanwältin Frau A nicht in den Hintergrund.
67
b) Einwendungen gegen die Richtigkeit der Ermittlung der Haftungssumme hat die Klägerin nicht erhoben. Solche sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.
68
c) Ermessensfehler des Beklagten liegen nicht vor (§ 102 FGO). Die Inanspruchnahme des Haftenden durch Haftungsbescheid steht gemäß § 191 Abs. 1 AO im Ermessen des Finanzamts. Der Beklagte hat sowohl sein Entschließungs-, als auch sein Auswahlermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Die Klägerin hat sich ausweislich der Begründung des Haftungsbescheides mit der Übernahme der Lohnsteuer einverstanden erklärt (vgl. auch BFH-Urteil v. 12.02.2009, VI R 32/08, BStBl. II 2009, 462).
69
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
70
3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, um dem BFH die Gelegenheit zu geben, sich mit den im hiesigen Verfahren vorgebrachten Argumenten gegen eine Lohnsteuerpflicht der Übernahme der Beiträge zur Berufshaftpflichtversicherung, insbesondere dem Sinn und Zweck des § 51 BRAO, nochmals auseinanderzusetzen.
Erschütterung des Anscheinsbeweises bei einer Personengesellschaft
Der 7. Senat des Finanzgerichts Münster hat mit Urteil vom 21. März 2018 (Az. 7 K 388/17 G,U,F) entschieden, dass der für die Privatnutzung eines im Betriebsvermögen einer Personengesellschaft gehaltenen PKW bestehende Anscheinsbeweis durch weitere Fahrzeuge im Privatvermögen der Gesellschafter erschüttert werden kann.
Die Klägerin – eine GmbH & Co. KG – hielt im Betriebsvermögen einen BMW X3, den unstreitig verschiedene Arbeitnehmer für Technikereinsätze, Botengänge, Auslieferungen und als Ersatzfahrzeug nutzten. Ein Fahrtenbuch wurde für das Fahrzeug nicht geführt. An der Klägerin waren drei Kommanditisten (ein Vater und zwei Söhne) beteiligt. Dem Vater, der mit seiner Ehefrau in unmittelbarer Nähe zum Betriebsgelände lebt, standen im Streitzeitraum zunächst ein Mercedes S 420 und danach ein BMW 750 Ld zur Verfügung. Seine Ehefrau fuhr – bis sie gesundheitsbedingt nicht mehr in der Lage war, ein Fahrzeug zu führen – einen BMW Z4. Einer der beiden Söhne wohnt unter derselben Adresse wie seine Eltern und ist ledig. Ihm stand während des gesamten Streitzeitraums ein BMW 320d Touring zur Verfügung, den er zunächst alleine nutzte und später mit den anderen Familienmitgliedern teilte. Ab diesem Zeitpunkt nutzte er zusätzlich einen BMW Z4. Der andere Sohn lebt mit sei ner Familie ca. 7 km vom Betriebsgelände der Klägerin entfernt. Er nutzte einen BMW 530d Touring und seine Ehefrau zunächst einen Opel Corsa und später einen Citroën C3.
Das Finanzamt setzte für den BMW X3 einen Privatnutzungsanteil an, den es sowohl für Zwecke der Ertragsteuern als auch für die Umsatzsteuer nach der sog. 1%-Regelung berechnete. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Begründung, dass allen Gesellschaftern ausreichend Fahrzeuge zur Verfügung gestanden hätten, die dem Betriebsfahrzeug in Status und Gebrauchswert zumindest vergleichbar seien. Die Ehefrauen hätten die den Gesellschaftern für private Fahrten zur Verfügung stehenden Fahrzeuge nicht genutzt.
Der Senat gab der Klage vollumfänglich statt. Zwar entspreche es grundsätzlich der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein betriebliches Kraftfahrzeug, das zum privaten Gebrauch geeignet ist und zur Verfügung steht, auch privat genutzt werde. Dies gelte auch für ein Fahrzeug des Typs BMW X3, bei dem es sich um ein kompaktes Sport- und Nutzfahrzeug mit einem einer Limousine ähnlichen Fahrkomfort handele und das an das Erscheinungsbild eines Geländewagens angelehnt sei. Im Streitfall war der Senat jedoch davon überzeugt, dass der BMW X3 tatsächlich nicht privat genutzt worden sei, denn den Kommanditisten hätten im Streitzeitraum in Status und Gebrauchswert zumindest vergleichbare Fahrzeuge zur Verfügung gestanden. Bei den Fahrzeugen Mercedes S 420, BMW 750 Ld und BMW 530d Touring handele es sich um geräumige Modelle der Mittel- und Oberklasse. Auch der BMW 320d Touring – ein Modell der Mittelklasse – biete aufgrund seines Ladevolumens als Kombilimousine eine hohe Funktionalität. Soweit dem ledigen Sohn dieses Fahrzeug nicht während des gesamten Streitzeitraums uneingeschränkt zur Verfügung gestanden habe, sei zu berücksichtigen, dass er zusätzlich einen BMW Z4 nutzen konnte. Dieses Fahrzeug weise als Roadster zwar einen eingeschränkten Gebrauchswert auf. Da der Sohn aber unter derselben Adresse wie seine Eltern wohnte, sei anzunehmen, dass er im Bedarfsfall auf ein geräumiges Fahrzeug seines Vaters habe zugreifen können. Gleiches gelte für die Mutter für die Zeiträume, in denen sie noch ein Fahrzeug führen konnte. Dass die 7 km vom Betriebsgelände entfernt lebende Ehefrau des verheirateten Kommanditisten auf den betrieblichen X3 zugegriffen hat, entspreche nicht der allgemeinen Lebenserfahrung.
Quelle: FG Münster Newsletter April 2018
Finanzgericht Münster, 7 K 388/17 G,U,F
Datum:
21.03.2018
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 388/17 G,U,F
ECLI:
ECLI:DE:FGMS:2018:0321.7K388.17G.U.F.00
Sachgebiet:
Finanz- und Abgaberecht
Tenor:
Die Bescheide für 2012 bis 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 29.06.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.01.2017, und die Bescheide für 2012 bis 2014 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 07.07.2016 und über Umsatzsteuer vom 08.07.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.01.2017, werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
1
Tatbestand
2
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das dem Betriebs- und Unternehmensvermögen der Klägerin zugeordnete Fahrzeug BMW X3 in den Veranlagungszeiträumen 2012 bis 2014 ausschließlich betrieblich oder auch privat genutzt wurde.
3
Am Vermögen der Klägerin sind als Kommanditisten Herr JJ sowie seine Söhne Herr EJ und Herr GJ beteiligt. Komplementärin ohne Vermögensbeteiligung ist die M Beteiligungs GmbH (AG Q, HRB 0000). Darüber hinaus sind JJ, EJ und GJ als Kommanditisten am Vermögen der Y GmbH & Co. KG (Y KG) beteiligt. Komplementärin ohne Vermögensbeteiligung ist die Y GmbH (AG Q, HRA 0000). Geschäftsführer der jeweiligen Komplementärin sind JJ, EJ und GJ.
4
JJ ist mit der Lehrerin SJ verheiratet und wohnt in unmittelbarer Nähe des Betriebsgeländes der Klägerin. Im Zeitraum Januar 2012 bis Juli 2013 stand ihm für private Fahrten ein Mercedes Benz S 420 und im Zeitraum August 2013 bis Dezember 2014 ein BMW 750 Ld zur Verfügung. SJ fuhr im Zeitraum Januar 2012 bis August 2013 einen BMW Z4. Seit September 2013 führte SJ gesundheitsbedingt keine Fahrzeuge mehr.
5
EJ ist mit der Hausfrau TJ verheiratet. Sie haben zwei – im Streitzeitraum – minderjährige Kinder (geb. 2010 und 2012). Die Familie wohnt in einer Entfernung von 7 km zum Betriebsgelände der Klägerin. EJ stand im gesamten Streitzeitraum ein BMW 530d Touring für Privatfahrten zur Verfügung. Für seine Ehefrau war im Zeitraum Januar 2012 bis Juni 2014 ein Opel Corsa und im Zeitraum Juli 2014 bis Dezember 2014 ein Citroen C3 verfügbar.
6
GJ ist ledig und wohnt in unmittelbarer Nähe des Betriebsgeländes der Klägerin unter derselben Adresse wie seine Eltern JJ und SJ. Im Zeitraum Januar 2012 bis August 2013 stand ihm zur Privatnutzung ein BMW 320d Touring zur Verfügung. Im Zeitraum September 2013 bis Dezember 2014 konnte GJ für private Fahrten auf einen BMW Z4 zurückgreifen. Der bis zu diesem Zeitpunkt von GJ genutzte BMW 320d Touring stand ab September 2013 sämtlichen Familienmitgliedern zur privaten Nutzung zur Verfügung.
7
In den Streitjahren wurde für den BMW X3 kein Fahrtenbuch geführt und kein privater Nutzungsanteil erklärt. Der Pkw wurde für die Betriebe der Klägerin und der Y KG von verschiedenen Arbeitnehmern genutzt (Technikereinsätze, Ersatzfahrzeug für Außendienstler, Botengänge). Für den Betrieb der Klägerin wurde er mittels Anhänger auch zur Auslieferung kleinerer Bauteile verwendet.
8
Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung E stellte im Rahmen einer Prüfung fest, dass für den BMW X3 ein privater Nutzungsanteil nach der 1 %-Regelung anzusetzen sei. Für eine private Nutzung des Pkw spreche der Beweis des ersten Anscheins. Bei der Ermittlung des für die private Nutzung anzusetzenden Betrags ging die Prüferin von einem abgerundeten Bruttolistenpreis i. H. v. 46.500 € aus. Für ertragsteuerliche Zwecke sei daher eine jährliche Gewinnerhöhung i. H. v. 5.580 € (46.500 * 1 % * 12 Monate) zu berücksichtigen. Für umsatzsteuerliche Zwecke setzte die Prüferin für eine unentgeltliche Wertabgabe eine Bemessungsgrundlage i. H. v. 80 % der ertragsteuerlichen Gewinnerhöhung (4.464 € = 5.580 € * 80 %) an. Dies erhöhe die jährlich zu zahlende Umsatzsteuer um 848,16 € (4.464 € * 19 %).
9
Mit Erlass der streitgegenständlichen Bescheide setzte der Beklagte die Feststellungen der Betriebsprüfung um. Zur Erläuterung verwies er auf den Betriebsprüfungsbericht.
10
Hiergegen hat die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie unter anderem vor, dass den Gesellschaftern und deren erwachsenen Angehörigen für private Fahrten ausreichend Fahrzeuge zur Verfügung gestanden hätten, die dem betrieblichen BMW X3 in Status und Gebrauchswert zumindest vergleichbar seien. Im Übrigen hätten die jeweiligen Ehefrauen die den Gesellschaftern für private Fahrten zur Verfügung stehenden Fahrzeuge nicht genutzt.
11
Die Klägerin beantragt,
12
die Bescheide für 2012 bis 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 29.06.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.01.2017, und die Bescheide für 2012 bis 2014 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 07.07.2016 und über Umsatzsteuer vom 08.07.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.01.2017, aufzuheben.
13
Der Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass es der Klägerin nicht gelungen sei, den Anscheinsbeweis für eine zumindest zeitweilige private Nutzung des BMW X3 zu erschüttern.
16
In der Sache hat am 21.03.2018 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
17
Entscheidungsgründe
18
Die zulässige Klage ist begründet.
19
Die Bescheide für 2012 bis 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 29.06.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.01.2017, und die Bescheide für 2012 bis 2014 über den Gewerbesteuermessbetrag vom 07.07.2016 und über Umsatzsteuer vom 08.07.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10.01.2017, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
20
Die Klägerin hat zu Recht keinen privaten Nutzungsanteil für den BMW X3 erklärt. Für die von dem Beklagten in den streitgegenständlichen Steuerbescheiden berücksichtigte private Nutzung des betrieblichen BMW X3 ist der Anscheinsbeweis erschüttert worden. Eine private Nutzung des Fahrzeugs wurde nicht nachgewiesen.
21
Für ertragsteuerliche Zwecke ist die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer als Entnahme anzusetzen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 1. Halbs. des Einkommensteuergesetzes, EStG).
22
Diese durch das Jahressteuergesetz 1996 eingeführte Regelung soll nach den Gesetzesmaterialien die Bewertung der privaten Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs vereinfachen (BT-Drucks. 13/1686, S. 8). Eine Vereinfachung wird dadurch erreicht, dass aufgrund der pauschalen Bewertung individuelle Gegebenheiten weitestgehend außer Betracht bleiben (Schober, in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Anm. 795).
23
Da es sich bei der privaten Nutzung des Fahrzeugs um ein Tatbestandsmerkmal dieser Vorschrift handelt, kommt die 1 %-Regelung nur zur Anwendung, wenn eine private Nutzung auch tatsächlich stattgefunden hat. Die private Nutzung eines Fahrzeugs liegt vor, wenn es für Zwecke eingesetzt wird, die dem nach § 12 Nr. 1 EStG steuerlich unbeachtlichen Bereich privater Lebensführung zuzurechnen sind (Schober in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Anm. 796).
24
Grundsätzlich entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein betriebliches Kraftfahrzeug, das zum privaten Gebrauch geeignet und zur Verfügung steht, auch privat genutzt wird. Insoweit besteht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ein Anscheinsbeweis (a. A. Schmidt/Kulosa, EStG, 37. Aufl. 2018, § 6 Rz. 515, der von einem Erfahrungssatz ausgeht). Ausnahmsweise kann dieser Anscheinsbeweis erschüttert werden. Hierzu ist zwar nicht der Vollbeweis des Gegenteils erforderlich. Der Steuerpflichtige muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung nicht stattgefunden hat. Allerdings ist für eine Erschütterung erforderlich, aber auch ausreichend, dass von dem Steuerpflichtigen ein Sachverhalt dargelegt – und im Zweifelsfall nachgewiesen – wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (BFH-Beschluss vom 13.12.2011, VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573; BFH-Urteil vom 04.12.2012 VIII R 42/09, BFHE 239, 443).
25
Durch die finanzgerichtliche Rechtsprechung sind der Anscheinsbeweis, der für eine private Nutzung spricht, und die Umstände, die zu einer Erschütterung dieses Anscheinsbeweises führen können, präzisiert worden. Hiernach spricht die allgemeine Lebenserfahrung auch dann für eine private Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs, wenn dem Steuerpflichtigen zwar für private Fahrten ein Fahrzeug zur Verfügung steht, aber dieses Fahrzeug dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert nicht vergleichbar ist. Allerdings ist unter diesen Umständen der für eine private Nutzung sprechende Anscheinsbeweis umso leichter zu erschüttern, je geringer die Unterschiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen. Denn bei einer Vergleichbarkeit der Fahrzeuge ist keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für private Fahrten das betriebliche Fahrzeug zu nutzen (BFH-Urteile vom 19.05.2009 VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974; vom 04.12.2012 VIII R 42/09, BFHE 239, 443). Außerdem kann der Steuerpflichtige sich zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht auf ein für private Fahrten zur Verfügung stehendes Fahrzeug berufen, wenn ihm dieses Fahrzeug beispielsweise aufgrund seiner Familienverhältnisse nicht ständig und uneingeschränkt zur Verfügung steht. Demzufolge kann der Anscheinsbeweis für die private Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs nicht unter Verweis auf ein in Status und Gebrauchswert vergleichbares Fahrzeug entkräftet werden, wenn auch der Ehegatte des Steuerpflichtigen das vergleichbare und für private Fahrten verfügbare Fahrzeug regelmäßig nutzt. Durch die regelmäßige Nutzung durch den Ehegatten wird der Steuerpflichtige von der Nutzung ausgeschlossen, ihm steht das für private Fahrten gedachte Fahrzeug nicht uneingeschränkt zur Verfügung (FG Münster, Urteile vom 11.05.2017, 13 K 1940/15, EFG 2017, 1083 und 21.06.2017, 7 K 3919/14, juris, beide rechtskräftig).
26
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens und unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und insbesondere des überzeugenden und glaubhaften Vortrags des Gesellschafters JJ in der mündlichen Verhandlung ist der erkennende Senat überzeugt, dass eine private Nutzung des BMW X3 in der Tat nicht stattgefunden hat. Die Klägerin hat den für eine Privatnutzung sprechenden Anscheinsbeweis erschüttert. Eine private Nutzung des betrieblichen BMW X3 wurde nicht nachgewiesen.
27
Zwar spricht auf den ersten Blick die allgemeine Lebenserfahrung für eine private Nutzung des BMW X3. Es handelt sich hierbei um ein Fahrzeug, das typischerweise für den privaten Gebrauch geeignet ist. Dieses Fahrzeug ist ein kompaktes Sport- und Nutzfahrzeug mit einem einer Limousine ähnlichen Fahrtkomfort, das an das Erscheinungsbild eines Geländewagens angelehnt ist. Darüber hinaus ist weder dem Akteninhalt noch dem Vortrag der Klägerin zu entnehmen, dass es sich um ein Werkstattfahrzeug handelt, das typischerweise nicht zum privaten Gebrauch geeignet ist, weil es beispielsweise nach seiner äußeren Erscheinung typischerweise nicht privat genutzt wird. Allein aufgrund einer Anhängerkupplung ist nicht von einem typischerweise nicht für den privaten Gebrauch geeigneten Fahrzeug auszugehen.
28
Allerdings ist dieser für eine private Nutzung sprechende Anscheinsbeweis zur Überzeugung des erkennenden Senats erschüttert worden. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens, insbesondere des Vortrags der Klägerin und der glaubhaften und überzeugenden persönlichen Einlassung von JJ in der mündlichen Verhandlung.
29
Den Kommanditisten standen während des gesamten Streitzeitraums Fahrzeuge zur Verfügung, die dem betrieblichen Fahrzeug (BMW X3) in Status und Gebrauchswert zumindest vergleichbar sind. JJ und EJ standen mit dem Mercedes Benz S 420, dem BMW 750 Ld und dem BMW 530d Touring geräumige Modelle der Mittel- und Oberklasse zur Verfügung. Diese Fahrzeuge stammen zum Teil von demselben Hersteller und sind daher auch unter Prestigegesichtspunkten mit dem betrieblichen Fahrzeug zumindest vergleichbar. Auch GJ standen während des gesamten Streitzeitraums Fahrzeuge zur Verfügung, die dem BMW X3 in Status und Gebrauchswert vergleichbar sind. Der ausschließlich ihm bis September 2013 zur Verfügung stehende BMW 320d Touring ist ein Modell der Mittelklasse, das aufgrund seines erhöhten Ladevolumens (Kombilimousine) eine hohe Funktionalität bietet. Auch für den Zeitraum ab September 2013 konnte GJ auf in Status und Gebrauchswert vergleichbare Fahrzeuge zurückgreifen. Zunächst stand ihm ein BMW Z4 zur Verfügung, der zumindest hinsichtlich des Status und unter Prestigegesichtspunkten mit dem betrieblichen Fahrzeug vergleichbar ist. Bei dem BMW Z4 handelt es sich um einen sog. Roadster, der von dem demselben Hersteller wie das betriebliche Fahrzeug stammt. Hinsichtlich eines möglicherweise eingeschränkten Gebrauchswertes des BMW Z4 gegenüber dem BMW X3 ist zur Überzeugung des Senats zu beachten, dass GJ zusätzlich zu dem BMW Z4 weiterhin ein BMW 320d Touring sowie das Fahrzeug von JJ zur Verfügung standen. Der BMW 320d Touring stand bis September 2013 allein GJ zur Verfügung, ab September 2013 konnte er von sämtlichen Familienmitgliedern – und somit auch weiterhin von GJ – genutzt werden. Außerdem wohnte GJ unter derselben Adresse wie JJ, der im gesamten Streitzeitraum über ein geräumiges Fahrzeug der Oberklasse verfügte. Es erscheint daher naheliegend, dass GJ im Bedarfsfall auch auf das Fahrzeug seines Vaters (JJ) zurückgreifen konnte. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des Einzelfalls und zur Überzeugung des Senats besteht nach der allgemeinen Lebenserfahrung keine Vermutung hinsichtlich einer privaten Nutzung des betrieblichen Fahrzeugs durch GJ. Die ihm ohne weiteres für private Fahrten zur Verfügung stehenden Fahrzeuge sind in ihrer Gesamtheit mit dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchswert vergleichbar. Der Senat sieht keine Anzeichen für die Vermutung, dass GJ auf das betriebliche Fahrzeug zurückgegriffen hat.
30
Auch eine Betrachtung der Familienverhältnisse der Kommanditisten führt zur Überzeugung des Senats dazu, dass ihnen die in Status und Gebrauchswert vergleichbaren Fahrzeuge für private Fahrten tatsächlich zur Verfügung standen. Der erkennende Senat gelangt auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu der Überzeugung, dass die Ehegatten der Kommanditisten die diesen zur Verfügung stehenden Fahrzeuge nicht (regelmäßig) nutzten und somit von der Nutzung dieser Fahrzeuge ausschlossen. Nach der glaubhaften und überzeugenden Einlassung von JJ in der mündlichen Verhandlung haben die jeweiligen Ehefrauen die den Kommanditisten zur Verfügung stehenden Fahrzeuge nicht genutzt. Den Kommanditisten standen somit die ihnen für private Fahrten zugewiesenen Fahrzeuge ständig und uneingeschränkt zur Verfügung. Im Übrigen sind für den Senat keine objektiven Beweisanzeichen ersichtlich, die – abweichend von der Einlassung von JJ – eine Nutzung durch die Ehefrauen nahelegen. Hinsichtlich der Ehefrau von JJ ist zu beachten, dass ihr bis zum September 2013 ein eigenes Fahrzeug zur Verfügung stand. Ab September 2013 führte SJ gesundheitsbedingt keine Fahrzeuge mehr. Hinsichtlich der Ehefrau von EJ ist ebenfalls nachgewiesen worden, dass sie im gesamten Streitzeitraum über ein eigenes Fahrzeug verfügte. Zusätzlich ist zu beachten, dass sie ab September 2013 zusätzlich auf den sämtlichen Familienmitgliedern zur Verfügung stehenden BMW 320d Touring zurückgreifen konnte. Schließlich ist zu beachten, dass die Familie von EJ – und somit auch TJ – rund 7 km entfernt von dem Betriebsgelände der Klägerin, auf dem sich der BMW X3 regelmäßig befindet, wohnen. Eine private Nutzung des BMW X3 durch EJ oder TJ dürfte daher allein aufgrund der nicht unerheblichen Entfernung zum Betriebsgelände nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechen.
31
Schließlich hat der Beklagte keine Umstände vorgetragen, die eine tatsächliche private Nutzung des BMW X3 durch die Gesellschafter der Klägerin oder deren erwachsene Angehörige belegen. Der Vortrag des Beklagten erschöpft sich im Wesentlichen in der Feststellung, dass der Anscheinsbeweis nicht erschüttert sei.
32
Für umsatzsteuerliche Zwecke stellt eine private Nutzung eines unternehmenseigenen Fahrzeugs durch den Gesellschafter eine unentgeltliche Wertabgabe i. S. d. § 3 Abs. 9a Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) dar (BFH-Urteil vom 05.06.2014 XI R 2/12, BFHE 246, 244). Da aber nach den obigen Ausführungen eine private Nutzung des unternehmenseigenen BMW X3 durch die Gesellschafter der Klägerin nicht vorliegt, ist diesbezüglich auch keine unentgeltliche Wertabgabe gegeben.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO sind nicht ersichtlich.
Anforderungen an die Nachkalkulation der Umsätze einer Cocktailbar als Voraussetzung für die Verwerfung einer formell ordnungsgemäßen Kassenbuchführung und die Begründung einer Schätzungsbefugnis
SächsischesFG v. – 6 K 841/15
Leitsatz
Die formelle ordnungsgemäße Kassenbuchführung einer Cocktailbar ist schon wegen kleinerer Mängel als insgesamt nicht mehr ordnungsgemäß zu verwerfen, z. B. weil an zwei aufeinander folgenden Tagen für die Endsummenbons dieselbe Nummer vergeben worden ist, die mutmaßliche Fehlfunktion des Kassengeräts auch durch eine Anfrage beim Hersteller nicht aufgeklärt werden kann, und wenn zudem wegen Ausfalls der Registrierkasse Endsummenbons für zwei Wochen nicht vorliegen.
Die Richtigkeitsvermutung einer formell ordnungsmäßigen Buchführung ist nur entkräftet, wenn das Finanzamt nachweist, dass das Buchführungsergebnis sachlich schlechterdings nicht zutreffen kann; an die Methodik einer solchen Schätzung sind wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als in Fällen, in denen wegen festgestellter Buchführungsmängel ohnehin eine Schätzung der Einnahmen durchgeführt werden muss.
Eine Nachkalkulation kann nur dann eine Schätzungsbefugnis begründen, wenn sie in ihren Einzelheiten nachvollziehbar ist, wozu u. a. eine weitgehende Aufgliederung des Wareneinsatzes und ein genauer Überblick über das Preisgefüge erforderlich sind.
Grundsätzlich muss der Wareneinsatz bei der Nachkalkulation in so viele Warengruppen aufgeteilt werden, wie unterschiedliche Aufschlagsätze im Betrieb vorkommen. Eine Zusammenfassung zu Gruppen mit gleichartigen Waren ist jedoch zulässig, wenn in etwa gleichhohe Aufschlagsätze angewandt werden. Ist der Wareneinsatz nicht bereits im Wareneingangsbuch (Warenkonto) aufgegliedert, muss sich der Betriebsprüfer dieser Arbeit selbst unterziehen. Er hat die Aufgliederung in seinen Arbeitsunterlagen betragsmäßig festzuhalten und auf Verlangen offenzulegen.
Besonders sorgfältig sind die Aufschlagsätze für die einzelnen Warengruppen zu ermitteln. Besteht die Gruppe aus mehreren Artikeln mit unterschiedlichen, aber beieinander liegenden Aufschlagsätzen, ist anhand des Mengenumsatzes und der einzelnen Aufschlagsätze ein gewogener mittlerer Aufschlagsatz zu bilden. Auch Preisänderungen innerhalb eines Jahres sind bei der Bildung des mittleren Aufschlagsatzes zu berücksichtigen. Sind solche Preisänderungen erheblich, kann Anlass bestehen, einzelne oder sogar alle Warengruppen zeitlich aufzuteilen und für die einzelnen Zeitabschnitte unterschiedliche Aufschlagsätze zu bilden. Sofern der Betriebsprüfer nicht auf Angaben des Steuerpflichtigen zurückgreifen kann, muss er die Ermittlung der Aufschlagsätze belegbar festhalten und ggf. offenlegen.
Diese Voraussetzungen (siehe 4. und 5.) sind nicht erfüllt, wenn der Prüfer bei der Nachkalkulation einer Cocktailbar u. a. nicht die Getränke nicht als solche kalkuliert, sondern statt dessen deren Einzelbestandteile als verkaufte Getränke behandelt, und damit die Kalkulation nicht auf die tatsächlichen Geschäftsabläufe in der Bar, sondern auf von ihm erdachte Verkaufsvorgänge mit zum Teil auch erdachten Verkaufspreisen bezieht.
Gesetze
AO § 34 Abs. 1
AO § 69
AO § 191 Abs. 1
AO § 162 Abs. 1 S. 1
AO § 162 Abs. 2 S. 2
AO § 158
EStG § 4 Abs. 1
EStG § 5 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Haftung für Steuern aus geschätzten Betriebseinnahmen.
Der Kläger war vom 18. November 2007 bis zum 18. April 2011 Geschäftsführer der X Bar GmbH (nachfolgend: GmbH), die eine Cocktailbar betrieb. Ihre Steuererklärungen ließ sie durch einen Steuerberater anfertigen. Die Verbuchung der Geschäftsvorfälle erfolgte in einem Buchführungsbüro. Der Beklagte ließ bei der GmbH für die Jahre 2006 bis 2008 eine Betriebsprüfung durchführen, die auf der Grundlage einer Nachkalkulation zu Hinzuschätzungen von Erträgen führte. Diese versteuerte der Beklagte als verdeckte Gewinnausschüttungen im September 2011 bei der insolventen GmbH sowie im November 2011 beim Kläger und erließ später gegenüber dem Kläger auch den streitgegenständlichen Haftungsbescheid.
Zur Kassenführung hatte die Betriebsprüfung in ihrem Bericht ausgeführt, im Prüfungszeitraum hätten „nicht für jeden Tag (2006/2007) Ausdrucke eines Z-Bons” vorgelegen. Die Handakten zur Prüfung weisen hierzu keine Vermerke oder sonstige Informationen auf. Dort ist statt dessen für den Zeitraum vom 4. bis zum 17. Mai 2008 das Fehlen von Endsummenbons vermerkt. Dessen Ursache war nach späterer Stellungnahme der Prüferin ein zweiwöchiger Ausfall der elektronischen Kasse. In der Handakte sind ferner Endsummenbons des 8. und 9. Juli 2008 abgelichtet, die sich inhaltlich unterscheiden, jedoch beide die Nr. 684 tragen. Der Prüfungsbericht enthält den weiteren Hinweis, Belege für Auslagen aus der Kasse seien nicht vorhanden gewesen. Diese bezogen sich auf Lieferungen eines Pizzadienstes, die die Bar für ihre Kunden auf deren Wunsch geordert und sodann mit eigenen Tellern und Besteck an die Tische serviert hatte. Sie hatte die Entgelte für die Lieferungen an den Pizzadienst bezahlt und den Kunden später zusammen mit den Entgelten für die Leistungen der Bar in Rechnung gestellt. Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass die Versteuerung der weitergelieferten Waren des Pizzadienstes versehentlich unterblieben ist. Sie war in der Betriebsprüfung unter einem gesonderten Prüfungspunkt nachgeholt und zunächst der Haftung zu Grunde gelegt worden. Der Beklagte hat zugesichert, die Haftungssumme entsprechend zu reduzieren.
Zur Kassenführung der GmbH nahm die Prüferin im Einspruchsverfahren zur Einkommensteuer des Klägers nochmals Stellung. Sie führte eine Umsatzsteuersonderprüfung (USoP) für Zeiträume des Jahres 2006 an, in der wesentliche Mängel festgestellt worden seien. Für die Betriebsprüfung sei sodann ein Jahr gewählt worden, für das die Verantwortlichen die zuvor festgestellten Mängel hätten beseitigen können. Dies sei hinsichtlich der Aufbewahrungspflichten der Kassengrundaufzeichnungen auch geschehen. Jedoch habe die Ermittlung der Rohgewinnaufschlagsätze gravierende Abweichungen ergeben. Daher sei eine Nachkalkulation angezeigt gewesen, da „weiter Unregelmäßigkeiten in der Aufzeichnung der Einnahmen offensichtlich vorhanden” gewesen seien. Die Beweiskraft einer formell ordnungsgemäßen Buchführung könne durch eine Nachkalkulation widerlegt werden.
Die Nachkalkulation führte ein anderer Prüfer unter Anwendung eines hierfür entwickelten Computerprogramms für das Jahr 2008 durch. Auf der Grundlage der Wareneinkäufe kalkulierte er für die einzelnen Getränkebestandteile der in der Bar verkauften Cocktails und weiteren Mixgetränke sowie für die sonst verkauften Einzelgetränke jeweils Verkaufserlöse. Soweit die Getränkebestandteile auch als Einzelgetränk in der Bar verkauft wurden, setzte er Preise aus der Getränkekarte an. Im Übrigen legte er geschätzte Preise zu Grunde. Die weiteren Bestandteile der Mixgetränke wie etwa Sirupe, Obst, Zucker und Trinkhalme ließ der Prüfer außer Betracht. Auf diese Weise ermittelte er für die Getränkegruppen „Fassbier”, „Flaschenbier”, „alkoholfreie Getränke – Gläser”, „alkoholfreie Getränke – Flaschen”, „Spirituosen”, „Wein”, „Sekt” und „Kaffee/Kakao/Milch” aus den Einzelerträgen jeweils einen Gesamterlös. Diese listete er untereinander auf. Sodann bildete er diverse pauschale Korrekturposten. Zunächst war dies ein Abzugsbetrag „Erlösänderung aus Cocktails/Mixgetränken” in Höhe von 14.621,– EUR netto (17.399,– EUR brutto). Die Bar führte in ihrer Getränkekarte 191 Mixgetränke, von denen sie im Jahr 2008 laut ihrer Artikelstatistik (Bl. 412 ff. der Prüferhandakte) 122 verkauft hatte. Von diesen wählte der Prüfer zwölf umsatzstärkere Mixgetränke aus, für die er aus den in der Kalkulation verwendeten Preisen und den in den Mixgetränken verwendeten Mengenanteilen jeweils Verkaufspreise berechnete. Diese verglich er mit den für das Mixgetränk im Verkauf tatsächlich angesetzten Preisen und ermittelte negative bzw. positive Differenzbeträge. Diese multiplizierte er mit einer Anzahl verkaufter Mixgetränke, die er – so seine Darstellung in der mündlichen Verhandlung – durch Bildung eines Abschlags von den maximal verkaufbaren Getränkemengen geschätzt hatte. Es ergab sich insgesamt der genannte Minderungsbetrag von brutto 17.399,– EUR (vgl. hinsichtlich der Einzelheiten der Korrekturberechnung Bl. 404 der Prüferhandakte). Die Gesamtkalkulation für das Jahr 2008 enthält sodann in ihrer letzten Fassung aus dem Einspruchsverfahren zur Einkommensteuer des Klägers (Bl. 57 ff. der Rechtsbehelfsakte „ESt 2006, 2007, 2008, Ablehnung der AdV”) einen Erhöhungsbetrag von brutto 27.524,– EUR (netto 23.129,– EUR), der die Bezeichnung „noch Erlöse Spirituosen mit durchschn. Aufschlag” hat, sowie einen weiteren Erhöhungsposten „Abstimmungsdifferenz mit Aufschlag” über brutto 1.376,– EUR. Nähere Erläuterungen zur Bildung dieser beiden Korrekturposten sind nicht vorhanden. Aus allen Kalkulationspositionen errechnete der Prüfer einen Gesamtumsatz von netto 176.561,– EUR. Die Gesamtkalkulation enthält sodann einen Minderungsposten „Erlösänderung Küchenwaren” von netto 8.566,– EUR, in dem der Prüfer eigenen Angaben zufolge auch einen vom Kläger mitgeteilten Personalverbrauch sowie Schulungsverbrauch berücksichtigte. In der Gesamtkalkulation folgt sodann die Angabe des Gesamtbetrages aller bisher angeführten Umsatzposten von netto 167.995,– EUR. Die Gesamtsumme der in den Gruppenkalkulationen berücksichtigten Wareneinkaufssummen zuzüglich eines nicht näher erläuterten Ansatzes für Küchenwaren von 7.561,– EUR betrug 46.020,– EUR. Nach Abzug dieses Betrages vom errechneten Nettoumsatz von 167.995,– EUR ergab sich ein Rohgewinn von 121.975,– EUR. Aus dessen Verhältnis zum Wareneinkauf errechnete der Prüfer einen Rohgewinnaufschlagsatz von 265,04 %. Außerhalb der Aufschlagsatzberechnung bildete der Prüfer sodann einen zusammengefassten Korrekturposten „Bestandsveränderung”, indem er die festgestellte Warenbestandsminderung des Jahres 2008 von 4.207,– EUR mit dem Aufschlagsatz von 265,04 % multiplizierte. Die sich aus der Addition mit den zuvor ermittelten 167.995,– EUR ergebende Gesamtsumme von 183.352,– EUR verglich der Prüfer mit den erklärten Umsätzen und errechnete für das Jahr 2008 eine Kalkulationsdifferenz in Höhe von 42.377,– EUR bzw. 30,06 %.
Für das Jahr 2007 führte die Betriebsprüfung keine Kalkulation durch, sondern ermittelte die dortige Hinzuschätzung durch Anwendung des für 2008 ermittelten Durchschnittsaufschlagsatzes. Die Berechnung aufgrund des zuletzt ermittelten Durchschnittsaufschlagsatzes 265,04 % führte die Prüferin im Rahmen des Einspruchsverfahrens zur Einkommensteuer des Klägers durch (Bl. 80 der Rechtsbehelfsakte „ESt 2006, 2007, 2008, Ablehnung der AdV”). Sie legte einen Ausgangswert von 70.381,– EUR zu Grunde. Darlegungen, wie dieser Wert ermittelt wurde, sind nicht vorhanden.
Der Beklagte machte die Körperschaft- und Umsatzsteuern, die sich aufgrund der Prüferberechnungen im Ergebnis des Einspruchsverfahrens zur Einkommensteuer des Klägers für die GmbH ergaben, zum Gegenstand des streitgegenständlichen Haftungsbescheides. Er war der Auffassung, der Kläger habe schuldhaft fehlerhafte Steuererklärungen eingereicht. Im Einspruchsverfahren reduzierte er die Haftungsschuld, indem er die Steuerbeträge für 2007 und 2008 verminderte, der Inhaftungnahme für 2006 einen neuen Sachverhalt und Pflichtenverstoß zu Grunde legte sowie diese neu berechnete und alle Nebenabgaben der Haftungsjahre aus der Haftung herausnahm. Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg.
Der Kläger ist der Auffassung, die Glaubwürdigkeit der Buchführung sei nicht durch die Nachkalkulation widerlegt worden. Diese sei nicht schlüssig, denn der Erhöhungsbetrag von 23.129,– EUR (brutto 27.524,– EUR) sei nicht nachvollziehbar. Auch die angesetzten Schankverluste seien unrealistisch. Hinsichtlich der Flaschengetränke werde ein Verlust zum Beispiel aus Bruch nicht berücksichtigt. Auch die Kalkulation von Einzelgetränken an Stelle von Cocktails führe zu einem falschen Ergebnis. Daran ändere auch der Ansatz eines pauschalen Abschlags nichts. Hier sei zudem unklar, wie der Prüfer die Häufigkeit des Verkaufs des einzelnen Cocktails ermittelt habe. Es sei ferner zu vermuten, dass dieser Sonderaktionen der GmbH wie etwa die wöchentliche XY Night sowie die YX Hour nicht hinreichend berücksichtigt habe. Zu bedenken sei auch, dass Stammgäste einen Preisnachlass erhalten hätten. Darüber hinaus habe der Kläger aufgrund seines eigenen Geschäftsbetriebes keine Kontrollen in der Bar durchgeführt, sondern nach Geschäftsschluss lediglich den hinterlegten Z-Bon sowie dazugehörigen Geldbetrag abgeholt. Diese Handhabung habe vermutlich zur Folge gehabt, dass Personalverzehr nicht gebucht worden sei, Gelder unterschlagen worden seien und Getränke in einem großzügigeren Mischungsverhältnis oder auch gratis an Freunde ausgegeben worden seien. Ergänzend trägt der Kläger Fragen und Einwendungen zu einzelnen Posten der Kalkulation vor.
Dem Kläger sei auch kein Verschulden vorzuwerfen, denn die Steuererklärungen seien ohne die unberechtigten Hinzuschätzungen zutreffend gewesen. Selbst wenn eine Zuschätzung berechtigt sei, fehle der Nachweis, dass der Kläger bei Abgabe der Steuererklärungen deren Unrichtigkeit grob fahrlässig nicht erkannt oder vorsätzlich gehandelt habe. Der Steuerberater habe die Ordnungsgemäßheit der Buchführung bestätigt und die Steuererklärungen erstellt. Der Kläger habe diese nach bestem Wissen und Gewissen unterschrieben.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 2. April 2013 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 21. Februar 2014 und der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2015 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit nicht eine Abhilfe zugesagt worden ist.
Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor, die vom Kläger vorgetragenen Minderungsgründe wie allgemeine Sonderangebote und Aktionen, individuelle Preisnachlässe und Schankverluste, Personalverzehr und Eigenverbrauch der Gesellschafter seien bereits in der Nachkalkulation und auch für die Haftungsschuld berücksichtigt worden. Der Kläger habe im Gebäude der Bar gewohnt und eine wenige Gehminuten entfernte Gaststätte betrieben. Seine Darstellung, es habe zwischen dem Barpersonal und ihm nur schriftliche Kontakte gegeben, erscheine dem Beklagten nicht glaubhaft.
Das Gericht hat auf Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des für 2006 ausgetauschten Haftungssachverhaltes hingewiesen. Der Beklagte sodann zugesichert, die Haftungsschuld um die Beträge des Jahres 2006 zu reduzieren.
Für die verbleibenden Haftungsjahre hat das Gericht auf die von der Betriebsprüfung im Einspruchsverfahren zur Einkommensteuer des Klägers mitgeteilte formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung Bezug genommen. Es hat den Hinweis erteilt, dass die Nachkalkulation die insofern geltenden erhöhten Anforderungen nicht erfülle und auch ein Verschulden des Klägers nicht festzustellen sei.
Der Beklagte trägt vor, die Nachkalkulation habe ein Spezialprüfer für Gastronomiebetriebe vorgenommen, der eine detaillierte Berechnung vorgenommen habe. Mit dem genau berechneten Ergebnis der Nachkalkulation sei die unvollständige Erfassung der Geschäftsvorfälle bewiesen. Das angewendete Programm sei durch Finanzgerichtsurteile als zulässiges Verfahren anerkannt. Bei unverändertem Sachverhalt reiche es auch aus, die Kalkulation für ein repräsentatives Jahr durchzuführen. Aufgrund der Tatsache, dass die Kalkulation für 2008 mit den niedrigeren Preisen des Jahres 2007 durchgeführt worden sei, habe der Kläger keinen Nachteil erlitten. Eine weitere umfangreiche Kalkulation für das Jahr 2007 sei nicht erforderlich gewesen.
Der Kläger habe nach Überzeugung des Beklagten Kenntnis von der unvollständigen Erfassung der Einnahmen und von den Feststellungen der Betriebsprüfung gehabt. Letztere seien mit ihm im Februar 2011 mündlich besprochen und im April 2011 schriftlich übergeben worden. Er habe als Geschäftsführer zugelassen, dass die Erlöse nicht vollständig erfasst worden seien, und anhand der zwar formell ordnungsgemäßen, aber tatsächlich lückenhaften und folglich materiell unrichtigen Buchführung falsche Steuererklärungen abgegeben. Die falschen Erklärungen für 2008 und 2009 seien im Januar und Oktober 2009 erfolgt. Der Kläger habe auch die Ergebnisse der USoP für 2006 gekannt. Der Beklagte gehe ferner davon aus, dass der Kläger bei der täglichen Abholung der Einnahmen habe bemerken können, dass diese sowohl absolut als auch im Vergleich zum Wareneinsatz zu niedrig gewesen seien. Dennoch habe er die „augenscheinlich unvollständigen” Belege über die Tageseinnahmen der GmbH an das Steuerbüro zur Erstellung der Steuererklärungen weitergeleitet und die Steuererklärungen unterzeichnet.
Später hat der Beklagte vorgetragen, die Buchführung der GmbH sei nicht formell ordnungsgemäß gewesen. Er benennt die Feststellungen im Prüfungsbericht zur Kassenführung und weist ergänzend darauf hin, dass die in der GmbH verwendete Kasse „keine Schnittstelle für den Datenexport nach den Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GdPdU)” aufgewiesen habe. Insbesondere die Feststellung der doppelt vergebenen Z-Bon-Nummer 684 stelle einen groben Verstoß dar. Der Kläger habe spätestens seit der USoP von den erheblichen Mängeln der Buchführung gewusst. Als Geschäftsführer hätte er untersuchen müssen, ob die von ihm unterschriebenen Steuererklärungen korrekt sein konnten. Er hätte Unstimmigkeiten mitteilen und eine Änderung der Steuerbescheide anregen müssen. Es hätte ihm oblegen, genau nachzuvollziehen, ob tatsächlich alle von der GmbH erzielten Umsätze erklärt worden seien. Wenn er trotz des Wissens um die vorherigen Probleme keine genaue Überprüfung des Geschäftsbetriebs der Bar vorgenommen habe, sei dieses Verhalten als grob fahrlässig einzustufen. Seine Verfahrensweise, immer erst nach Schließung der Bar nach Hause gekommen zu sein, sei zumindest als grob fahrlässig zu beurteilen.
In der mündlichen Verhandlung ist der Prüfer, der die Kalkulation durchgeführt hatte, anwesend gewesen. Er hat zu Einzelheiten der Kalkulation Stellung genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie die zum Streitfall übergebenen Steuerakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Der streitgegenständliche Haftungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Voraussetzungen der Inhaftungnahme lassen sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen.
Gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO ) haften die in § 34 AO bezeichneten Personen, zu denen Geschäftsführer einer GmbH gehören, soweit Ansprüche aus dem Steuerverhältnis (§ 37 AO ) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gehört es zu den steuerlichen Pflichten der Geschäftsführer bzw. Liquidatoren einer GmbH insbesondere, rechtzeitig Steuererklärungen abzugeben (§ 149 AO ) und die fälligen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO ) aus den von ihnen verwalteten Mitteln zu begleichen (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO ) oder zumindest für eine möglichst gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Gläubiger zu sorgen.
Im Streitfall lässt sich nicht feststellen, dass die streitig gebliebenen Ansprüche des Beklagten aus der Hinzuschätzung aufgrund der Betriebsprüfung tatsächlich bestanden haben und insofern vom Kläger zu erklären waren.
Die Finanzbehörde hat die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO ). Zu schätzen ist unter anderem dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO ). Nach § 158 AO sind der Besteuerung die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Eine formell ordnungsmäßige Buchführung hat die Vermutung der sachlichen Richtigkeit für sich (Urteil des BFH vom 14. Dezember 2011, XI R 5/10 , BFH/NV 2012, 1921 m. w. N.). Da jede Buchführung Menschenwerk ist und als solches notwendigerweise nicht vollkommen sein kann, hat die Rechtsprechung der Buchführung die formelle Richtigkeit nur abgesprochen, wenn wesentliche Mängel vorliegen (Urteil des BFH vom 25. Juni 1970, IV 17/65 , BStBl. II 1970, 838 m. w. N.). Maßgebend für die Hinzuschätzung von Einnahmen ist insofern die Einnahmenerfassung, denn es kommt für die Feststellung der Ordnungsgemäßheit der Buchführung auf die einzelne Besteuerungsgrundlage an (vgl. Urteil des BFH vom 26. April 1983, VIII R 38/82 , BStBl. II 1983, 618 m. w. N.). Das ergibt sich nicht zuletzt aus Formulierung „soweit” in § 162 Abs. 1 AO .
Nach diesen Grundsätzen ist der zuletzt vertretenen Auffassung des Beklagten, die Buchführung der GmbH sei insgesamt nicht ordnungsgemäß gewesen, nicht zu folgen. Die festgestellten Mängel sind nicht als so wesentlich anzusehen, dass es gerechtfertigt wäre, die sachliche Richtigkeit der Kassenführung im Ganzen infrage zu stellen.
Die doppelte Nummernvergabe der Endsummenbons für den 8. und 9. Juli 2008, auf die der Beklagte besonders hinweist, bezog sich erkennbar auf diese beiden unterschiedlichen Geschäftstage. Hieran hat auch der Beklagte keine Zweifel vorgetragen. Es handelt sich mithin nicht um eine zweimalige Endsummenausgabe mit verschiedenen Zahlenangaben für denselben Geschäftstag, die Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Einnahmenerfassung hätte begründen können. Hier wurden vielmehr die Einnahmen zweier Geschäftstage als solche erfasst und dokumentiert. Die zweimalige Vergabe derselben Bonnummer ist zwar nicht nachvollziehbar, eröffnet für sich genommen jedoch keine nachhaltigen Bedenken gegen die Kassenführung. Eine Manipulation, die an den Einnahmen nichts ändert und sich statt dessen auf den Auswurf einer doppelten Bonnummer beschränkt, ergäbe keinen vernünftigen Sinn. Inkonsequent wäre im Fall einer Manipulation des Kassengeschehens auch deren anschließende Offenlegung durch Ausdruck und Archivierung der Bons mit der Doppelnummer. Der Geschehensablauf legt insgesamt eher eine Fehlfunktion des Kassengeräts nahe. Zutreffend hat die Betriebsprüfung daher den Kläger gebeten, eine Auskunft beim Hersteller einzuholen. Der Umstand, dass letztlich keine näheren Informationen erlangt werden konnten, lässt jedoch keine negativen Rückschlüsse auf die Art und Weise der Kassenführung zu.
Die Darlegung im Prüfungsbericht, es hätten „nicht für jeden Tag (2006/2007) Ausdrucke eines Z-Bons” vorgelegen, ist dieser sehr kurz und allgemein gehaltenen Form nicht für eine Überzeugungsbildung des Gerichts geeignet. Sie lässt im Unklaren, welche Endsummenbons in Einzelnen gefehlt haben sollen. Darüber hinaus findet diese Angabe auch keine Grundlage in den Feststellungen, die zur Kassenführung in der Handakte dokumentiert sind. Danach fehlten nur Endsummenbons für zwei Wochen im Mai 2008, in denen die Registrierkasse ausgefallen war. Auch dies bildet keinen Grund zur Verwerfung der gesamten Kassenführung.
Anderes ergibt sich des Weiteren nicht aus dem Hinweis des Beklagten auf einen Verstoß gegen die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU – Bundesministerium der Finanzen, VV DEU BMF 2001-07-16 IV D 2-S 0316-136/01 vom 16. Juli 2001, BStBl. I 2001, 415) wegen einer fehlenden Schnittstelle für den Datenexport aus der Registrierkasse. Zum einen handelt es sich bei den GDPdU um die in einer Verwaltungsanweisung wiedergegebene Auffassung der Finanzverwaltung, die keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann. Zum anderen ist dort das Vorhalten einer Schnittstelle für einen Datenexport nicht geregelt. Dem Prüfer wurde im Rahmen der vorhandenen technischen Möglichkeiten Zugriff auf die Daten der elektronischen Kasse gewährt. Er konnte Daten abfragen, lesen und sich Ausdrucke des Datenbestandes anfertigen. Ein Buchführungsfehler lässt sich – auch nach den GDPdU – aus alledem nicht herleiten.
Bei der des Weiteren unter dem Stichwort „Auslagen” angeführten Erfassung der Lieferungen des Pizzadienstes in der Kasse und den fehlenden Belegen hierzu handelt es sich schließlich um einen besonders gelagerten Sachverhalt. Dieser wurde im Rahmen der Betriebsprüfung unter einem eigenen Prüfungspunkt korrigiert und rechtfertigt ebenfalls keine Verwerfung der Kassenführung in ihrer Gesamtheit.
Insgesamt kann die Kassenführung entsprechend der Würdigung der Betriebsprüferin in ihrer Stellungnahme zur Einkommensteuer des Klägers sowie auch entsprechend der zunächst mehrfach vertretenen Auffassung des Beklagten als formell ordnungsgemäß angesehen werden.
Die durchgeführte Nachkalkulation ist – auch in ihrer letzten Fassung aus dem Einspruchsverfahren zur Einkommensteuer des Klägers – nicht geeignet, eine Schätzungsbefugnis zu begründen.
Da eine Nachkalkulation mit Unsicherheitsfaktoren verbunden ist und ihrem Wesen nach selbst eine Schätzung darstellt, so dass also die Schätzungsbefugnis erst durch eine Schätzung begründet wird, müssen an diese hohe Anforderungen gestellt werden. Sie muss einwandfrei erfolgen, den Unsicherheiten Rechnung tragen und zu dem Ergebnis führen, dass das Buchführungsergebnis nicht richtig sein kann. Insofern besteht zwischen einer Schätzung, die das wahrscheinliche Gewinnergebnis feststellen soll, und einer Nachkalkulation, die dartun soll, dass das formell richtig erscheinende Buchführungsergebnis sachlich falsch ist und deshalb außer Acht gelassen werden kann, die also erst eine Schätzung ermöglichen soll, ein wesentlicher Unterschied (zum Ganzen: Urteil des BFH vom 25. Juni 1970, IV 17/65 , BStBl. II 1970, 838 m. w. N.). Die Richtigkeitsvermutung einer formell ordnungsmäßigen Buchführung ist nur entkräftet, wenn das Finanzamt nachweist, dass das Buchführungsergebnis sachlich schlechterdings nicht zutreffen kann; an die Methodik einer solchen Schätzung sind wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als in Fällen, in denen wegen festgestellter Buchführungsmängel ohnehin eine Schätzung der Einnahmen durchgeführt werden muss (Urteil des BFH vom 25. März 2015, X R 20/13 , BStBl. II 2015, 743 m. w. N.). Zu den Mindestvoraussetzungen gehört es, dass eine solche Nachkalkulation in ihren Einzelheiten nachvollziehbar ist; danach sind eine weitgehende Aufgliederung des Wareneinsatzes und ein genauer Überblick über das Preisgefüge erforderlich (Urteil des BFH vom 26. Oktober 1982, VIII R 151/79 m. w. N.). Die Aufschlagssätze für einzelne Warenposten waren seit jeher uneinheitlich. Für ihre Höhe ist unter anderem von Bedeutung, welcher Artikel verkauft werden soll, wer die Abnehmer sein sollen, wann verkauft wird usw.; dies muss bei der Nachkalkulation berücksichtigt werden (vgl. Urteil des BFH vom 31. Juli 1974, I R 216/72 , BStBl. II 1975, 96 m. w. N.). Grundsätzlich müsste der Wareneinsatz in so viele Warengruppen aufgeteilt werden, wie unterschiedliche Aufschlagsätze im Betrieb vorkommen. Eine Zusammenfassung zu Gruppen mit gleichartigen Waren ist jedoch zulässig, wenn in etwa gleichhohe Aufschlagsätze angewandt werden. Ist der Wareneinsatz nicht bereits im Wareneingangsbuch (Warenkonto) aufgegliedert, muss sich der Betriebsprüfer dieser Arbeit selbst unterziehen. Er hat die Aufgliederung in seinen Arbeitsunterlagen betragsmäßig festzuhalten und auf Verlangen offenzulegen. Besonders sorgfältig sind die Aufschlagsätze für die einzelnen Warengruppen zu ermitteln. Besteht die Gruppe aus mehreren Artikeln mit unterschiedlichen, aber beieinander liegenden Aufschlagsätzen, ist anhand des Mengenumsatzes und der einzelnen Aufschlagsätze ein gewogener mittlerer Aufschlagsatz zu bilden. Auch Preisänderungen innerhalb eines Jahres sind bei der Bildung des mittleren Aufschlagsatzes zu berücksichtigen. Sind solche Preisänderungen erheblich, kann Anlass bestehen, einzelne oder sogar alle Warengruppen zeitlich aufzuteilen und für die einzelnen Zeitabschnitte unterschiedliche Aufschlagsätze zu bilden. Sofern der Betriebsprüfer nicht auf Angaben des Steuerpflichtigen zurückgreifen kann, muss er die Ermittlung der Aufschlagsätze belegbar festhalten und ggf. offenlegen (zum Ganzen: Urteil des BFH vom 17. November 1981, VIII R 174/77 , BStBl. II 1982, 430 m. w. N.).
Diesen Anforderungen wird die Nachkalkulation der Betriebsprüfung nicht gerecht. Der Verkauf von Cocktails und sonstigen Mixgetränken bildete nach der in den Akten enthaltenen Artikelstatistik im Jahr 2008 den maßgeblichen Anteil des Umsatzes der GmbH. Der Prüfer, der die Kalkulation durchführte, hat indessen diese Getränke nicht als solche kalkuliert, sondern statt dessen deren Einzelbestandteile als verkaufte Getränke behandelt. Damit hat er die Kalkulation nicht auf die tatsächlichen Geschäftsabläufe in der Bar, sondern auf von ihm erdachte Verkaufsvorgänge mit zum Teil auch erdachten Verkaufspreisen bezogen. Dies entspricht nicht den dargelegten Maßgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung, denn danach muss sich die Kalkulation auf die tatsächlich gehandelten Waren und deren Verkaufspreise beziehen. Der Prüfer hätte mithin die Cocktails und sonstigen Mixgetränke als solche nachkalkulieren müssen. Die Kalkulation der Getränkebestandteile als Einzelgetränke lässt unbeachtet, dass die maximal ansetzbare Verkaufszahl eines Mixgetränkes ihre Grenze in dem Getränkebestandteil findet, der in geringster Anzahl vorhanden ist. Da zudem Getränkebestandteile wie etwa Sirupe und Obst bei der Kalkulation ganz außer Betracht blieben, lässt sich die Kalkulation dem Geschäftsbetrieb der Bar insgesamt nicht mehr hinreichend zuordnen. Das Gericht ist auch nicht davon überzeugt, dass der Fehler der Kalkulation durch die Korrekturberechnung laut Blatt 404 der Prüfungshandakte und den Ansatz des dort ausgewiesenen Gesamtbetrages von brutto 17.399,– EUR als zusammengefassten Minderungsbetrag beseitigt wurde. Zweifel ergeben sich bereits daraus, dass lediglich zwölf Mixgetränke in die Korrekturberechnung einbezogen wurden. Für eine Vielzahl von Getränkebestandteilen wurde so überhaupt keine Korrekturberechnung durchgeführt. Sie blieben mit dem fehlerhafteten Mengen- und Preisansatz in der Kalkulation enthalten. Aus der Artikelstatistik (Bl. 407 ff. der Prüferhandakte) lässt sich ersehen, dass die in der Korrekturberechnung nicht berücksichtigten Mixgetränke sowohl teilweise im Einzelnen als auch in ihrer Gesamtheit durchaus einen erheblichen Anteil des Verkaufsumsatzes bildeten. Das Gericht kann insofern – anders als der Prüfer – nicht zu der Überzeugung gelangen, es handele sich um eine vernachlässigbare Größe. Die berücksichtigten zwölf Mixgetränke waren auch nicht deshalb ausreichend, weil nicht berücksichtigte Mixgetränke im Wesentlichen gleich zusammengesetzt waren. Aus der Getränkekarte ist zu ersehen, dass die nicht berücksichtigten Getränke und die in die Korrekturberechnung einbezogenen durchaus unterschiedliche Rezepturen aufwiesen. Einen weiteren Mangel bildet die im Wesentlichen freie Schätzung der Verkaufsmengen, mit der der Prüfer die gebildete Korrektursumme für jedes der erfassten Mixgetränke multiplizierte. Ein Rückgriff auf die Artikelstatistik und die aus dieser erkennbaren relativen Mengenverhältnisse der verkauften Getränke hätte eine präzisere, dem tatsächlichen Verkaufsgeschehen näheren Mengenansatz ermöglicht. Der Minderungsposten von brutto 17.399,– EUR ist zudem durch die in der Gesamtkalkulation nachfolgend eingefügten Erhöhungsbeträge von brutto 27.524,–EUR und 1.376,– EUR aufgezehrt worden, zu denen jegliche Erläuterung fehlt.
Für das Jahr 2007 ist die Hinzuschätzung bereits deshalb fehlerhaft, weil hier gar keine Kalkulation erfolgte. Für 2007 kam lediglich der Gesamtaufschlagsatz des Jahres 2008 zum Ansatz, der aus dem einfachen Durchschnitt aller Einkaufs- und Verkaufspreise und sonstiger Berechnungsgrößen gebildet wurde. Eine Differenzierung nach unterschiedlichen Verkaufsmengen und -Preisen der gehandelten Getränke war insofern nicht erfolgt. Bereits all dies widerspricht den Maßgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Darüber hinaus ist der Gesamtaufschlagsatz des Jahres 2008 fehlerhaft auf den Wareneinkauf und nicht auf den Wareneinsatz berechnet worden. Der verbrauchte Bestand, der den Aufschlagsatz verringert hätte, ist außer Betracht geblieben. Und auch hier wirken sich die ganz außer Betracht gelassenen Getränkebestandteile wie Sirupe und Obst als Fehler aus, denn auch die Berücksichtigung ihrer Einkaufskosten hätte zu einem anderen, niedrigeren Aufschlagsatz geführt. Zu einer etwaigen Gleichheit der Geschäftsabläufe in den Jahren 2007 und 2008 fehlen im Übrigen jegliche Feststellungen des Beklagten. Zweifel ergeben sich hier bereits aus den sehr unterschiedlichen Beträgen des Wareneinkaufs.
Darüber hinaus und unabhängig von der fehlenden Schätzungsbefugnis ließen sich auch die vom Beklagten angenommenen schuldhaften Pflichtverletzungen des Klägers nicht feststellen. Nach den Darlegungen der Betriebsprüferin ergaben sich Anhaltspunkte für eine materielle Unrichtigkeit der Buchführung aus einem äußeren Betriebsvergleich. Es ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, inwiefern dem Kläger die Aufschlagsätze anderer Barbetriebe hätten bekannt sein können und müssen. Ihm lag eine formell ordnungsgemäße Buchführung vor, die er dem Steuerberater zur Erstellung der Steuererklärungen übergab. Die für das Jahr 2006 während der Umsatzsteuersonderprüfung festgestellten Buchführungsmängel können hier nicht herangezogen werden, da diese in den Jahren 2007 und 2008 nicht mehr vorhanden waren. Es erschließt sich nicht, inwiefern sich der Kläger bei dieser Sachlage nicht auf die Richtigkeit der Steuererklärungen verlassen durfte, insbesondere zu welchen besonderen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen er sich in Bezug auf die Tätigkeit des Steuerberaters (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 26. November 2008, V B 210/07, BFH/NV 2009, 362 sowie vom 4. Mai 2004, VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363 – jeweils m. w. N.) hätte veranlasst sehen sollen. Des Weiteren wäre auch nicht auszuschließen, dass etwaige Nichterfassungen von Verkaufsvorgängen auf Handlungen des Personals zurückzuführen sein könnten. Sofern der Kläger dies durch mangelnde Kontrolle ermöglicht und so die Schmälerung des Umsatzes der GmbH mitverursacht haben könnte, wäre hieraus kein Verschulden im Sinne von § 69 AO abzuleiten. Die Gewinnmaximierung gehört nicht zu den steuerlichen Pflichten eines Geschäftsführers. Die Art und Weise der Führung und Steuerung der geschäftlichen Vorgänge ist Gegenstand der unternehmerischen Freiheit. Eine Bestimmungsbefugnis der Finanzbehörden besteht insoweit nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO ). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung . Die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ergeht auf der Grundlage von § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO .
Bei der Gewinnermittlung mittels Einnahmenüberschussrechnung können die Buchführung bzw. die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden, wenn in einem Restaurationsbetrieb mit Lieferservice lediglich die Restaurantumsätze mittels Z-Bons nachgewiesen werden, welche entgegen der eigentlichen Hersteller-Programmierung über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren keinerlei Stornobuchungen aufweisen, und die Umsätze des Lieferservice, welche überwiegend vom ausliefernden Fahrer bar vereinnahmt werden, lediglich in gewissen Zeitabständen von einem Steuerbüro auf einem „Kassenkonto“ verbucht werden.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Hinzuschätzungen zur Umsatzsteuer des Antragsgegners im Rahmen einer bei ihr durchgeführten Außenprüfung.
Die Antragstellerin betreibt das italienische Restaurant „XX“, A-Straße … in Hamburg in unmittelbarer Nähe zum B-Platz. Dort finden sich fußläufig … Theater sowie das C. Im weiteren Umfeld befinden sich Wohnhäuser, Bürohäuser und Einzelgewerbe. Das Restaurant ist täglich ab 11:00 Uhr bis mindestens 23:00 Uhr durchgehend geöffnet. Im Restaurant sind mindestens zwei bis drei Arbeitskräfte beschäftigt. Zusätzlich bietet das Restaurant die Möglichkeit von Außerhauslieferungen, auch mittels Bestellung über gängige Internet-Plattformen (Pizza.de, Lieferando.de). Ihren Gewinn ermittelte die Antragstellerin gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG ) durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Umsatzsteuer berechnete sie nach vereinbarten Entgelten. Für die Streitjahre 2012 bis 2014 erklärte sie folgende Besteuerungsgrundlagen:
2012
2013
2014
Umsätze 7 % außer Haus
… €
… €
… €
Umsätze 19 %
… €
… €
… €
Gewinn
… €
…€
… €
Gehälter und Aushilfslöhne
… €
…€
… €
In ihren Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Streitjahre erklärte die Antragstellerin geschuldete Umsatzsteuer i. H. v. … € (2012), … € (2013) bzw. … € (2014), welche zunächst als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung galt.
Auf Grundlage der Prüfungsanordnung vom 10. Oktober 2016 führte der Antragsgegner eine Außenprüfung hinsichtlich der Umsatz- und Gewerbesteuer für die Streitjahre durch. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Am 3. Januar 2017 gab die Prüferin den Fall an das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen ab. Im Rahmen der Außenprüfung gelangte der Antragsgegner zu folgenden Feststellungen:
Die Einnahmen des Restaurantbereichs erfasse die Antragstellerin mittels einer elektronischen Kasse der Marke … Der Verkäufer der Kasse, die Firma D, habe in den Streitjahren diverse Umprogrammierungen vorgenommen. Schriftliche Unterlagen wie Programmierungsprotokolle bzw. Eingabeprotokolle über die Programmänderungen habe die Antragstellerin nicht vorgelegt. In der Standardeinstellung weise die eingesetzte Kasse Stornobuchungen auf ausgedruckten Z-Bons aus. Die nahezu lückenlos vorgelegten Z-Bons enthielten jedoch keinerlei Stornobuchungen, was nicht glaubhaft sei.
Umsätze aus dem Lieferservice würden bei Bestellung im Lokal über diese Kasse abgerechnet. Zudem befinde sich im Kellerbereich ein Computer- bzw. Kassensystem, mit welchem insbesondere die Onlinebestellungen abgewickelt würden. Die Umsätze aus dem Lieferservice würden bei bargeldloser Bezahlung durch das entsprechende Serviceunternehmen monatlich abgerechnet. Barzahlungen bei Auslieferung flössen in das Portemonnaie des Fahrers als „Außerhauskasse“. Betriebseinnahmen und Ausgaben seien anhand von Z-Bons, den Summenendbons aus dem Kassensystem im Keller sowie Kartenabrechnungen am Monatsende anhand von Ausgangsrechnungen durch ein Steuerbüro gebucht worden. Dieses Steuerbüro habe auch das sogenannte Kassenbuch geführt. Die Kasse sei nur rechnerisch geführt worden. Eine tägliche Auszählung habe nicht stattgefunden. Entnahmen und Einlagen seien zwar auf diese Art erfasst worden, entsprechende Belege lägen jedoch nicht vor. Quittungen für bar ausgezahlte Löhne lägen ebenfalls nicht vor. Mangels nicht glaubhafter Z-Bons sowie wegen der fehlenden Belege sei die Buchführung der Antragstellerin nicht ordnungsgemäß und mithin zu verwerfen.
Gestützt werde dies auch durch weitere Tatsachen. Nach eigenen Angaben beschäftige die Antragstellerin drei bis vier Servicekräfte am Tag. Im Kalenderjahr 2012 habe sie jedoch lediglich … €, mithin … € pro Arbeitstag, an Lohnkosten geltend gemacht. So habe auch der Zoll bei einer Kontrolle drei Arbeitskräfte angetroffen, welche keine Arbeitserlaubnis gehabt hätten. Zudem sei bezüglich eines Hauskaufes und des Erwerbs eines Jaguars fraglich, woher die hohen geleisteten Barzahlungsbeträge stammten.
Der Antragsgegner schätzte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen sowohl für ertrag- als auch für umsatzsteuerliche Zwecke wie folgt:
Auf Grundlage der von der Antragstellerin vorgelegten Preisliste und der erklärten Wareneinsätze nahm er in einem ersten Schritt hinsichtlich der im Restaurantbetrieb erzielten Getränkeumsätze eine Nachkalkulation zu Nettobeträgen vor. Bei offenen Getränken nahm er dabei einen Schankverlust von grundsätzlich 3 %, bei Spirituosen von 10 % an, und ging von einer Abgabe von offenen Getränken in der jeweils größeren und günstigeren Abgabeeinheit aus. Das eingekaufte Mineralwasser ließ er bei der Kalkulation zu Gunsten der Antragstellerin vollständig unberücksichtigt. Für 2012 bzw. 2013 ermittelte er so einen Getränkeumsatz i. H. v. … € (2012) sowie … € (2013). Für diese beiden Jahre ermittelte er den Mittelwert des Rohgewinnaufschlagssatzes bezogen auf Getränke und wandte diesen auf den erklärten Getränkeeinkauf für das Jahr 2014 an und errechnete so einen Nettoumsatz i. H. v. … €.
In einem zweiten Schritt ging er auf Grundlage eines Testessens und eines aufgefundenen Verzehrbons davon aus, dass üblicherweise der Getränkeanteil bei einem durchschnittlichen Restaurantbesuch lediglich 40 %, der Umsatz mit Speisen 60 % ausmacht. Auf dieser Grundlage setzte er die nachkalkulierten Getränkeumsätze als 40 % des Gesamtumsatzes an und schätzte weitere 60 % Speiseumsätze hinzu. Die Umsätze des Lieferservices übernahm er wie erklärt und gelangte unter Abzug des von der Antragstellerin erklärten Gesamtumsatzes zu folgenden Mehrumsätzen. Zu Gunsten der Antragstellerin setzte er für 2014 statt des eigentlich kalkulierten Getränkeumsatzes i. H. v. … €, wohl aufgrund eines Übertragungsfehlers, die von der Antragstellerin erklärten gesamten Restaurantumsätze (Essen und Getränke) in Höhe von lediglich … € an:
2012
2013
2014
Getränke (40%)
… €
… €
… €
Speisen (60 %)
… €
… €
… €
Gesamt (100 %)
… €
… €
… €
Außer Haus (Wie erklärt)
… €
… €
… €
Gesamtumsatz
… €
… €
… €
Erklärter Umsatz
– … €
– … €
– … €
Mehr Umsatz (netto)
… €
… €
… €
Hinsichtlich des Wareneinkaufs stellte der Antragsgegner zudem fest, dass ohne tragfähige Erklärung die wirklichen Einkäufe beim Hauptlieferanten in unterschiedliche Rechnungen gesplittet worden seien. Zudem würden von diesen Lieferanten Rechnungen mit und ohne Kundennummer vorliegen. Auch werde die Antragstellerin von einer weiteren Firma unter drei verschiedenen Kundennummern mit Tiefkühlprodukten beliefert. Hefeeinkäufe seien trotz umfangreichen Pizzaangebots nicht erfolgt. Zudem sei der Einkauf von lediglich 14 Dosen Red Bull sowie 60 Liter Prosecco 2012 äußerst gering. Ebenso verhalte es sich mit den Kaffeeeinkäufen.
Zu Gunsten der Antragstellerin ging der Antragsgegner auf dieser Grundlage in einem dritten Schritt von einer sogenannten Doppelverkürzung aus und schätzte für ertragsteuerliche Zwecke einen zusätzlichen Wareneinsatz als Betriebsausgaben. Dabei nahm er an, dass der von ihm ermittelte Gesamtumsatz auf Grundlage des Mittelwerts des Rohgewinnaufschlagssatzes für Gast-, Speise- und Schankwirtschaften von 213 % (2011) erzielt wurde. Vom so ermittelten Wareneinsatz zog er den von der Antragstellerin erklärten Wareneinsatz ab und erhielt so den Nettomehrwareneinsatz. Unter Berücksichtigung von Umsatz- und Vorsteuer gelangte er für ertragsteuerliche Zwecke zu folgendem Mehrgewinn:
2012
2013
2014
Gesamtumsatz
… €
… €
… €
Soll-Wareneinsatz (RGA 213%)
… €
… €
… €
abzgl. Wareneinsatz erklärt
– … €
– … €
– … €
Mehr Wareneinsatz (netto)
… €
… €
… €
Mehr Umsatz (netto)
… €
… €
… €
zzgl. USt (19%)
… €
… €
… €
abzgl. Mehr Wareneinsatz (netto)
– … €
– … €
– … €
abzgl. Vorsteuer (19%)
– … €
– … €
– … €
Mehrgewinn (brutto)
… €
… €
… €
Unter dem Datum vom 1. März 2017 erließ der Antragsgegner für die Streitjahre Bescheide die Umsatzsteuer betreffend jeweils mit der Überschrift „Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer (-Vorauszahlung) für das Jahr…“, wobei er auf eine Änderung gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO ) hinwies. Die von der Antragstellerin in ihren Jahressteuererklärungen erklärten Umsatzsteuerbeträge erhöhte er dabei um die Umsatzsteuer auf den von ihm geschätzten Mehrumsatz (netto) und setzte die Umsatzsteuer auf … € (2012), auf … € (2013) sowie auf … € (2014) fest. Mangels ordnungsgemäßer Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis ließ er die auf den von ihm hinzugeschätzten Wareneinsatz entfallene Vorsteuer unberücksichtigt. Die Bescheide enthielten den Zusatz: „Bitte zahlen Sie spätestens am 01.03.2017 (Datum des Bescheides)…“. In den Erläuterungen der Bescheide wird darauf hingewiesen, dass die Änderungen auf Erkenntnissen des Finanzamts für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg beruhten.
Am 17. März 2017 erließ der Antragsgegner zudem einen Bescheid über Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO , mit welchem er Zinsen zur Umsatzsteuer für die Streitjahre auf insgesamt … € festsetzte. Der Bescheid enthielt eine Zahlungsaufforderung bis zum 20. April 2017.
Mit Schreiben vom 17. bzw. 22. März 2017 legte die Antragstellerin gegen die vorgenannten Bescheide Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Bescheid vom 19. April 2017 lehnte der Antragsgegner die AdV ab. Die Einsprüche sind bisher nicht beschieden
Am 9. Mai 2017 hat die Antragstellerin einen Antrag auf AdV bei Gericht gestellt. Zu Begründung trägt sie im Wesentlichen wie folgt vor:
Die erlassenen Bescheide seien bereits aus formalen Gründen rechtswidrig. Sie seien aufgrund des Klammerzusatzes „(-Vorauszahlung)“ rechtswidrig. Es gebe keine Vorschrift, nach der Umsatzsteuervorauszahlungen festgesetzt werden dürften. Erlassen werden könnten nur gemäß § 18 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG ) Jahressteuerbescheide. Der vom Antragsgegner gewählte Zusatz „Vorauszahlung“ sei damit schlicht fehlerhaft, mithin sei aus Sicht der Antragstellerin völlig unklar, ob es sich um eine Änderung der Jahresfestsetzung handeln solle.
Eine Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO im noch laufenden Betriebsprüfungsverfahren sei nicht zulässig. Weder sei sie, die Antragstellerin, durch einen Betriebsprüfungsbericht über das Ergebnis der Betriebsprüfung unterrichtet worden, noch habe sie Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt.
Den Bescheiden fehle überdies die erforderliche Begründung. Die Bescheide enthielten lediglich einen Verweis auf die Erkenntnisse des Finanzamtes für Prüfungsdienst und Strafsachen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners werde der Formfehler auch nicht durch die oberflächliche Darstellung der Hinzuschätzung im gegnerischen Schreiben vom 19. April 2017 geheilt. Auch dieses Schreiben enthalte nicht das, was zum Verständnis der Steuerfestsetzung erforderlich sei. Die Kalkulation sei gerade nicht selbsterklärend, sondern habe erst durch Hinzuziehung der Ermittlungsakten teilweise nachvollzogen werden können. In der Ermittlungsakte würden zwar die Rohgewinnaufschlagsätze pro Getränk ersichtlich, nicht aber der Gesamtverbrauch, der für die Ermittlung des Rohgewinnaufschlagssatzes für Getränke erforderlich sei. Auch mithilfe dieser Angaben sei die Kalkulation nicht nachprüfbar. Eine eigene Kalkulation könne sie, die Antragstellerin, aus gleichem Grund nicht vorlegen.
Die eingeräumte Zahlungsfrist bis zum 1. März 2017 bei Übergabe der Bescheide am selben Tag sei offenkundig rechtswidrig. Der Antragsgegner verstoße damit gegen § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG , wonach eine Monatsfrist gelte.
Die Hinzuschätzung sei auch der Höhe nach rechtswidrig. Die Schätzung beruhe auf diversen falschen Annahmen. Geschäftsmodell sei es, durch niedrige Preise und persönliche Betreuung die Kunden zu binden. Vergleichbar sei das Restaurant mit einem „low-budget-Italiener“ oder dem Griechen um die Ecke. Entgegen der Darstellung des Antragsgegners liege das Lokal nicht in exponierter Lage. Das Lokal kämpfe seit der Eröffnung im Jahr 2008 ums Überleben. Der Mittagstisch sei kaum kostendeckend. Für das lukrative Abendgeschäft sei es insbesondere aufgrund der großen Konkurrenz schwierig, Kunden zu binden. Der Antragsgegner berücksichtige nicht, dass diverse Speisen teilweise unentgeltlich an die Kunden abgegeben würden. Die Getränkenachkalkulation sei völlig ungeeignet, die Hinzuschätzungen zu stützen. So sei sie auf Grundlage der falschen Getränkekarte vorgenommen worden. Für die Streitjahre gültig sei die Karte 2011 gewesen. Beim Espressoverbrauch sei zudem zu berücksichtigen, dass dieser auch für diverse Nachspeisen benötigt werde. Gleiches gelte für Wein, der auch zum Kochen verwendet worden sei. Freigetränke wie Amaretto, Sambuca und Grappa seien ebenso wenig wie genereller Schwund berücksichtigt worden. Fehlende Hefeeinkäufe könne der Antragsgegner nicht rügen. Diese sei frisch hinzugekauft und wegen der geringen Beträge belegmäßig nicht angesetzt worden. Unberücksichtigt lasse der Antragsgegner auch die Kooperation mit dem E. Gäste des Theaters erhielten ein 3-Gänge-Menü inklusive Cocktail und Prosecco. Die Abrechnung erfolge dann gegenüber dem Theater.
Der vom Antragsgegner angesetzte Rohgewinnaufschlagssatz i. H. v. 213 % sei unverhältnismäßig hoch. Die Steuerverwaltung könne nicht den unternehmerischen Erfolg eines Restaurants bestimmen. Mittlerweile werde jedoch die Buchführung von ca. 95 % der Gastronomiebetriebe verworfen und regelmäßig hinzugeschätzt. Der erklärte Rohgewinnaufschlagssatz i. H. v. 137,80 % (2012), 152,98 % (2013) sowie 156,58 % (2014) befinde sich innerhalb der Bandbreite der Richtsatzsammlung von 133 % bis 376 %.
Soweit der Antragsgegner bei den erklärten Gewinnen die Finanzierung des Eigenheims hinterfragt habe, sei das benötigte Eigenkapital aus dem Freundeskreis darlehnsweise gewährt worden. Soweit die Steuerfahndung Briefumschläge mit Beschriftungen über größere Geldbeträge sichergestellt habe, handele es sich um Beschriftungen in Höhe von ca. … €. In den Umschlägen seien jedoch weitaus weniger Banknoten enthalten gewesen.
Im Übrigen bedeute die Vollstreckung für sie, die Antragstellerin, eine unbillige Härte. Die Nachzahlungsbeträge sein existenzgefährdend und es könnten unumkehrbare Schäden eintreten. Sicherheiten könne sie nicht leisten. Das Eigenheim sei mit einer Grundschuld i. H. v. … € belastet.
Die Antragstellerin beantragt, die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer (-Vorauszahlungen) für die Jahre 2012 bis 2014, jeweils vom 1. März 2017 sowie über Nachzahlungszinsen vom 17. März 2017 von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Die angegriffenen Bescheide seien rechtmäßig. Sie seien hinreichend bestimmt. Der Regelungsinhalt weise eindeutig auf die Jahresfestsetzung hin. Der Klammerzusatz „Vorauszahlung“ sei unschädlich. Die Bescheide seien auch ausreichend begründet. Die notwendige Begründung sei spätestens mit Ablehnung des Antrags auf AdV und Übergabe des Vermerks über die Erkenntnisse des Finanzamts für Prüfdienst und Strafsachen erfolgt. Hinsichtlich der abweichenden Fälligkeit könne sich die Antragstellerin nicht auf § 18 Abs. 4 UStG berufen. Zulässigerweise habe er, der Antragsgegner, gemäß § 221 AO eine abweichende Fälligkeit bestimmen können, da der Eingang der Steuer aufgrund des massiven strafrechtlich relevanten Verhaltens der Antragstellerin gefährdet gewesen sei. Während der laufenden Betriebsprüfung bestehe überdies kein Vertrauensschutz. Grundlage für die Änderung der Bescheide sei § 164 Abs. 2 AO i. V. m. § 168 AO .
Auch die Hinzuschätzung sei rechtmäßig. Die Schätzungsbefugnis ergebe sich aufgrund der fehlerhaften Buchführung. Die Z-Bons wiesen keinerlei Stornovorgänge aus. Die Gewinnermittlung erfasse auffallend geringe Lohnaufwendungen. An der Registrierkasse seien Änderungen an der Programmierung vorgenommen worden, welche nicht anhand von Aufzeichnungen nachgewiesen worden seien. Der Computer für die Onlinebestellungen ermögliche zudem das Löschen von Umsätzen gleich nach dem Hochfahren. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls habe nicht angemeldete Arbeitskräfte während einer Prüfung im Jahr 2016 festgestellt. Ferner seien bei einer Durchsuchung eines Schließfaches leere Briefumschläge aufgefunden worden, welche mit größeren Geldbeträgen beschriftet gewesen seien.
Der Höhe nach sei die Schätzung nicht zu beanstanden. Grundlage der Nachkalkulation sei die von der Antragstellerin eingereichte Speise- und Getränkekarte. An deren Richtigkeit sei nicht zu zweifeln. Auch sei lediglich der nachgewiesene Espressoeinkauf berücksichtigt worden, welcher für das Lokal der Antragstellerin jedoch viel zu niedrig sei. Hinsichtlich der Freigetränke sei nicht nachzuvollziehen, dass die genannten Sorten ausschließlich umsonst abgegeben würden, da sie auch regulär auf der Speisekarte ausgewiesen seien. Zudem sei der Einkauf von Prosecco mit nur 60 l im Jahr 2012 äußerst gering. Auch habe er, der Antragsgegner, bereits Schwund i. H. v. 3 % bzw. i. H. v. 10 % bei Spirituosen berücksichtigt. Zu Gunsten der Antragstellerin sei auch bei Getränken in unterschiedlichen Abgabeeinheiten von der für die Antragstellerin günstigeren ausgegangen worden. Fehlender Kaffeeeinkauf sei zwar festgestellt, aber nicht in die Kalkulation mit einbezogen worden. Der Einsatz von Kochwein sei im Schwundanteil i. H. v. 10 % erfasst. Der fehlende Hefeeinkauf sei ebenfalls nicht zu Ungunsten der Antragstellerin berücksichtigt worden. Ein Rohgewinnaufschlagsatz von 213 % sei nicht zu beanstanden. Gerade bei einer Schätzung müsse sich das Finanzamt nicht am unteren Rand eines Schätzungsrahmens halten.
Eine unbillige Härte liege nicht vor. Ihren Vermögensstatus habe die Antragstellerin bereits nicht glaubhaft gemacht. Überdies seien Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide so gut wie ausgeschlossen. Hinzu komme, dass aufgrund der Begleitumstände des Falles davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin über Geldreserven verfüge.
Dem Gericht haben ein Rückbehalt der Bp-Arbeitsakten sowie ein Band Betriebsprüfungsakten – Kalkulation und ein Band Rechtsbehelfsakten zur Steuernummer …/…/… vorgelegen.
II.
Der Antrag ist teilweise unzulässig. Im Übrigen hat er in der Sache keinen Erfolg.
Der Antrag ist bereits unzulässig, soweit die Antragstellerin die AdV des Zinsbescheides begehrt. Die Antragstellerin erhebt keine gegen die Zinsfestsetzung als solche gerichteten Einwendungen, sondern wendet sich inhaltlich nur gegen die Hinzuschätzung von Erlösen dem Grunde und der Höhe nach. Soweit sie sich jedoch gegen die Zinsfestsetzung als Folge der geänderten Grundlagenbescheide über Umsatzsteuer wendet, ist der Antrag auf AdV mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Als Folgebescheid ist der gemäß § 233a AO erlassene Zinsbescheid nicht selbständig aussetzungsfähig, vielmehr ist seine Vollziehung gemäß § 69 Abs. 2 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO ) von Gesetzes wegen auszusetzen, soweit die Vollziehung des Grundlagenbescheids ausgesetzt wird (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO /FGO , § 69 FGO Rn. 27, 36; BFH-Beschluss vom 20. Mai 1998 III B 9/98 , BStBl II 1998, 721 ).
Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.
a) Nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Danach soll seitens des Gerichts eine Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche sind gegeben, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen und/oder Unklarheiten in der Beurteilung einer Tatfrage bewirken (st. Rspr., vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BStBl II 2005, 351 ; vom 3. Februar 1993 I B 90/92, BStBl II 1993, 426 ). Die Entscheidung ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage sowie aufgrund von präsenten Beweismitteln (§ 155 FGO i. V. m. § 294 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO ) ergibt. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH-Beschluss vom 20. März 2002 IX S 27/00 , BFH/NV 2002, 809 m. w. N.). Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast finden auch im Aussetzungsverfahren Anwendung.
b) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide über Umsatzsteuer bestehen daran gemessen nicht. Bei gebotener summarischer Prüfung sind die angegriffenen Bescheide weder aus formalen Gründen rechtswidrig, noch ist die Hinzuschätzung dem Grunde und der Höhe nach zu beanstanden.
aa) Die angegriffenen Bescheide sind bereits nicht aus formalen Gründen rechtswidrig.
(1) Die Antragstellerin kann sich nicht mit Erfolg auf mangelnde inhaltliche Bestimmtheit der angegriffenen Bescheide berufen.
Gemäß § 119 Abs. 1 AO hat der Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt zu sein. Aus dem Verwaltungsakt muss klar, eindeutig, vollständig und widerspruchsfrei erkennbar sein, wem gegenüber die Behörde was festgestellt hat und von wem was verlangt wird. Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit können jedoch durch Auslegung behoben werden. In entsprechender Anwendung der §§ 133 und 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches sind dabei der erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt, wie ihn der Betroffene nach dem ihnen bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte, entscheidend (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO /FGO , § 119 AO Rn. 5 m. w. N.).
Bei verständiger Würdigung der Bescheide unter Berücksichtigung der Gesamtumstände musste die Antragstellerin davon ausgehen, dass der Antragsgegner Jahressteuerbescheide über Umsatzsteuer für die Streitjahre erlassen wollte. Die Überschriften der angegriffenen Bescheide beziehen sich bereits auf die Umsatzsteuer für ein bestimmtes Jahr und nicht wie bei der Abänderung von Vorauszahlungsbescheiden auf den Vorauszahlungszeitraum (Monat, Vierteljahr). Zudem hatte die Antragstellerin im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide bereits die entsprechenden Jahressteuererklärungen zur Umsatzsteuer für die Streitjahre abgegeben, welche als Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung galten. Die Bescheide sind unter Hinweis auf eine Änderung gemäß § 164 Abs. 2 AO nur so zu verstehen, dass sie diese Jahressteuererklärungen als Grundlage haben. Überdies wird dies aus dem Berechnungsteil deutlich. Insbesondere die aufgeführten bereits getilgten Beträge entsprechen denen der auf Grundlage der Jahressteuererklärungen festgesetzten Beträge.
(2) Bei summarischer Prüfung sind die Bescheide auch nicht wegen mangelhafter Begründung rechtswidrig. Einen etwaigen Begründungsmangel hat der Antragsgegner durch seinen Vortrag im außergerichtlichen und gerichtlichen Verfahren gemäß § 126 Abs. 2 AO geheilt. Nach unwidersprochenem Vortrag des Antragsgegners hat dieser zum einen im Ablehnungsbescheid über den Antrag auf AdV hinsichtlich der Schätzungsmethode kursorisch Stellung genommen und überdies den Vermerk über die Erkenntnisse des Finanzamts für Prüfungsdienste und Strafsachen überreicht. Dieser ist im Wesentlichen inhaltsgleich mit der seitens der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren eingereichten Anl. 6, einem Auszug aus den von der Antragstellerin eingesehenen Ermittlungsakten. Sowohl bezogen auf die Darstellung der Schätzungsmethode als auch hinsichtlich des zugrunde gelegten Zahlenmaterials genügt der Antragsgegner damit dem Begründungserfordernis.
Das Ergebnis einer Schätzung muss gemäß § 121 Abs. 1 AO nur dergestalt begründet werden, dass der Steuerpflichtige das Schätzungsergebnis nachvollziehen kann (Seer in Tipke/Kruse, AO /FGO , § 162 AO , Rn. 96); das Schätzungsergebnis muss ableitbar, schlüssig und fundiert dargelegt werden (BFH-Urteil vom 8. November 1989 X R 178/87 , BStBl II 1990, 268 ). Der Steuerbescheid muss jedoch nicht alle Angaben enthalten, die für eine vollständige Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit in jeder tatsächlichen und rechtlichen Hinsicht nötig wären (Seer in Tipke/Kruse, AO /FGO , § 162 AO , Rn. 9). Vor diesem Hintergrund ist es bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner als Begründung der geänderten Bescheide nicht die vollständige Getränkenachkalkulation von über 150 Seiten beifügte, sondern nur auf die hinsichtlich des Zahlenmaterials teilweise verdichtete Darstellung der Stellungnahme des Finanzamts für Prüfungsdienste und Strafsachen verwies. Die wesentlichen Angaben und Rechenschritte des Antragsgegners sind in dieser Stellungnahme nachvollziehbar. Gleiches gilt für die Überprüfung seines methodischen Vorgehens.
(3) Der Antragsgegner war auch nicht daran gehindert, noch während einer laufenden Außenprüfung die bereits gefundenen Ergebnisse durch Erlass von Änderungsbescheiden gemäß § 164 Abs. 2 AO umzusetzen. Gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Steuerfestsetzung jederzeit aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist. Einzige Voraussetzung für die Änderung ist neben dem Vorliegen eines wirksamen Vorbehalts der Nachprüfung, dass sich der Steuerbescheid als rechtswidrig erweist. Nur insoweit muss die Finanzbehörde die Steuerfestsetzung noch einmal geprüft haben. Die (abgeschlossene) Durchführung einer Außenprüfung ist nicht Voraussetzung für eine Änderung. An diese sind lediglich bestimmte Rechtsfolgen hinsichtlich der Aufhebung des Vorbehalts geknüpft, vgl. § 164 Abs. 3 Satz 2 AO (vgl. zum Ganzen Oellerich, Beermann/Gosch, AO /FGO , § 164 AO Rn. 90 ff.).
(4) Jedenfalls bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Vorverlegung der Fälligkeit der Umsatzsteuer auf den Tag der Bekanntgabe des Änderungsbescheides. Gemäß § 221 Satz 1 i. V. m. Satz 2 AO kann die Finanzbehörde verlangen, dass die Steuer jeweils zu einem von der Finanzbehörde zu bestimmenden, vor der gesetzlichen Fälligkeit, aber nach Entstehung der Steuer liegenden Zeitpunkt entrichtet wird, wenn die Annahme begründet ist, dass der Eingang der Umsatzsteuer gefährdet ist. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann die Finanzbehörde damit von der gesetzlichen Fälligkeitsregel des § 18 Abs. 4 Satz 2 UStG abweichen. Die Voraussetzungen sind bei summarischer Prüfung vorliegend gegeben. Der Antragsgegner hat einen Zeitpunkt nach Entstehung und vor eigentlicher Fälligkeit der Umsatzsteuer gewählt. Insbesondere war die jeweilige Jahressteuer der Streitjahre bereits entstanden. Denn sie entsteht, sobald sie nach § 16 Abs. 1 und 2 UStG berechenbar ist, mithin nach Ablauf des durch § 13 Abs. 1 UStG festgelegten Entstehungszeitpunkts, d. h. mit Ablauf des Kalenderjahres (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 2011 V R 13/11 , BStBl II 2012, 298 ). Auch ist nach Lage der Akten der Antragsgegner zutreffend von einer Gefährdungslage ausgegangen. Wie er spätestens im gerichtlichen Verfahren mit Verweis auf die Erkenntnisse des Finanzamts für Prüfungsdienste und Strafsachen hinreichend zum Ausdruck gebracht hat, handelt es sich bei dem Betrieb der Antragstellerin um einen bargeldintensiven Geschäftsbereich, bei dem konkrete Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung sowie die Entziehung von Geldern aus dem Zugriff der Finanzverwaltung bestehen. Bei summarischer Prüfung ist insoweit der Verweis auf die im Schließfach aufgefundenen Umschläge mit Geldbetrags-Beschriftungen sowie Erwerb eines Eigenheims sowie eines Jaguars mit hohen Barmitteln nicht zu beanstanden.
bb) Nach Würdigung der präsenten Beweismittel und der Aktenlage begegnet die Hinzuschätzung keinen Bedenken.
(1) Bei summarischer Prüfung geht der Antragsgegner zutreffend davon aus, dass die Buchführung der Antragstellerin in den Streitjahren derart fehlerbehaftet war, dass sie der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden kann und deshalb eine Hinzuschätzung geboten ist.
(a) Nach § 162 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen (§ 162 Abs. 2 AO ).
Die Antragstellerin war im Rahmen der von ihr nach § 4 Abs. 3 EStG vorgenommenen Gewinnermittlung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen verpflichtet. Auch die Überschussrechnung setzt voraus, dass die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen werden. Die allgemeinen Ordnungsvorschriften in den §§ 145 ff. AO gelten nicht nur für Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach §§ 140 , 141 ff. AO. Insbesondere § 145 Abs. 2 AO betrifft jegliche zu Besteuerungszwecken gesetzlich geforderten Aufzeichnungen, also auch solche, zu denen der Steuerpflichtige aufgrund anderer Steuergesetze, wie z. B. § 22 UStG i. V. m. §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV ) verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 2009 VIII R 80/06 , BStBl II 2010, 452 ). Diese Aufzeichnungspflicht nach dem Umsatzsteuergesetz wirkt, sofern dieses Gesetz keine Beschränkung auf seinen Geltungsbereich enthält oder sich eine Beschränkung aus der Natur der Sache nicht ergibt, unmittelbar auch für andere Steuergesetze (BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 IX R 25/02 , BStBl II 2004, 599 m. w. N.).
Gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 UStG sind unter anderem die vereinnahmten Entgelte aufzuzeichnen. Nach § 63 Abs. 1 UStDV müssen die Aufzeichnungen so beschaffen sein, dass es einem sachverständigen Dritten innerhalb einer angemessenen Zeit möglich ist, einen Überblick über die Umsätze des Unternehmens und die abziehbaren Vorsteuern zu erhalten. Betriebseinnahmen sind einzeln aufzuzeichnen. Der Umstand der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertigt nicht, die jeweiligen Geschäftsvorfälle nicht einzeln aufzuzeichnen. Aus Gründen der Zumutbarkeit und Praktikabilität besteht die Pflicht zur Einzelaufzeichnung jedoch nicht für Einzelhändler (und vergleichbare Berufsgruppen), die im Allgemeinen Waren an ihnen der Person nach unbekannte Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkaufen.
Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG besteht zwar grundsätzlich keine Pflicht zum Führen eines Kassenbuchs, denn es gibt keine Bestandskonten und somit auch kein Kassenkonto (FG Saarland, Urteil vom 21. Juni 2012 1 K 1124/10 , EFG 2012, 1816) . Trotzdem müssen Geschäftsvorfälle fortlaufend, vollständig und richtig verzeichnet werden. Insbesondere bei bargeldintensiven Betrieben sind dafür detaillierte Aufzeichnungen ähnlich einem Kassenkonto oder einem Kassenbericht notwendig (vgl. Sächsisches FG vom 4. April 2008 5 V 1035/07 , juris; FG Saarland, Urteil vom 13. Januar 2010 1 K 1101/05 , EFG 2010, 772) . So können die Tageseinnahmen in einer Summe aufgezeichnet und diese Summe zusätzlich durch Aufbewahrung der angefallenen Kassenstreifen, Kassenzettel und Bons nachgewiesen werden. In einem solchen Fall ist es zwar nicht erforderlich, den Kassenbestand täglich zu ermitteln. Es müssen aber die Ursprungsaufzeichnungen über die Einnahmen und Ausgaben aufbewahrt und in gewissen Abständen der tatsächliche Kasseninhalt mit dem buchmäßigen Kassenbestand abgeglichen werden (vgl. Sächsisches FG, Beschluss vom 4. April 2008 5 V 1035/07 , juris; FG Saarland, Urteil vom 13. Januar 2010 1 K 1101/05 , EFG 2010, 772) . Diese Möglichkeit bietet sich insbesondere bei der Nutzung von Registrierkassen an (vgl. Urteil des FG Köln vom 6. Mai 2009 15 K 1154/05 , EFG 2009, 1261) . Für den Nachweis der Kasseneinnahmen durch Aufbewahrung der Z-Bons ist jedoch erforderlich, dass diese eine hinreichende Gewissheit über die Vollständigkeit der darin enthaltenen Einnahmen zulassen (FG Hessen, Beschluss vom 24. Februar 2014 4 V 84/13 , juris). Sämtliche Stornobuchungen müssen sich einwandfrei aus den Unterlagen ergeben und ohne Probleme nachvollziehbar sein (vgl. FG Niedersachsen, Beschluss vom 2. September 2004 10 V 52/04 , DStR 2005, 281).
Die Bareinnahmen können aber auch ähnlich einem Kassenbericht nachgewiesen werden, indem sie mit dem Anfangs- und Endbestand der Kasse abgestimmt werden. In diesem Fall brauchen die Kassenstreifen, Kassenzettel und Kassenbons nicht aufbewahrt zu werden (BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 41/82 , BFH/NV 1985, 12) . Für die Anfertigung eines Kassenberichts ist der geschäftliche Bargeldendbestand auszuzählen, weil hier die Feststellung des Kassenbestandes eine unentbehrliche Grundlage für die Berechnung der Tageslosung bildet. Der Kassenbestand ist sodann rechnerisch um die belegmäßig festgehaltenen Entnahmen und Ausgaben zu erhöhen und um die ebenfalls dokumentierten Einlagen zu mindern, so dass sich die Einnahme ergibt (vgl. Sächsisches FG, Beschluss vom 4. April 2008 5 V 1035/07 , juris; FG Saarland, Urteil vom 13. Januar 2010 1 K 1101/05 , EFG 2010, 772 ; FG Münster, Urteil vom 23. Juni 2010 12 K 2714/06 E , U, juris).
Da die Ordnungsvorschriften der §§ 146 , 147 AO grundsätzlich auch für die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG gelten (z. B. BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 25/02 , BStBl II 2004, 858 ), muss allgemein gewährleistet sein, dass die Aufzeichnungen unveränderlich sind bzw. nachträgliche Veränderungen nachvollzogen werden können. Gerade bei manipulationsanfälligen EDV-Systemen müssen Veränderungen zwingend vom Programm kenntlich gemacht werden (vgl. Tipke/Kruse, AO /FGO , § 146 AO Rn. 59).
(b) Daran gemessen erfüllen die buchmäßigen Aufzeichnungen der Antragstellerin nicht die gesetzlichen Voraussetzungen.
Zum einen teilt das Gericht bei summarischer Prüfung die Bedenken des Antragsgegners an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Z-Bons, mit welchen die Antragstellerin die Restaurantumsätze erfasst hat. Sie liegen zwar nahezu vollständig vor, weisen allerdings keinerlei Stornobuchungen aus, wie dies die herstellerbedingte Programmierung erwarten ließe. Dass jedoch in einem Zeitraum von drei Jahren keinerlei Stornobuchungen vorgekommen sein sollen, widerspricht jeder Lebenserfahrung. Überdies hat die Antragstellerin die vom Antragsgegner ermittelten Umprogrammierungen des Kassensystems nicht durch ausreichende Dokumentation nachgewiesen (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Oktober 2017 4 K 4206/14 , juris).
Zum anderen umfassen die vorgelegten Z-Bons lediglich die Umsätze des Restaurantbetriebs und nicht auch diejenigen des Lieferservices. Für diese Umsätze hat der Fahrer letztlich eine eigene Barkasse geführt. Nach Aktenlage ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin diese Bareinnahmen mithilfe kassenähnlicher Aufzeichnungen wie z. B. einem Kassenbericht erfasst hat. Die monatsweise Erfassung bzw. Kontierung durch ein Beratungsbüro ist insoweit unzureichend.
(2) Da wegen der aufgezeigten gravierenden Mängel die Buchführung der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden konnte, lagen die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor. In Ausübung seiner Schätzungsbefugnis (§ 162 AO i. V. m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ) folgt das Gericht im vorliegenden summarischen Verfahren der Schätzung des Antragsgegners.
(a) Die Wahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde und des Finanzgerichts, wenn es – wie hier – seine eigene Schätzungsbefugnis aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 162 AO ausübt. Es ist eine Schätzungsmethode zu wählen, die die größte Gewähr dafür bietet, mit einem zumutbaren Aufwand das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen (vgl. Seer in Tipke/ Kruse, AO / FGO , § 162 AO Rn. 52 m. w. N.). Die Wahl der Schätzungsmethode richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles (vgl. z. B. FG Bremen, Urteil vom 17. Januar 2007 2 K 229/04 , EFG 2008, 8) . Ziel jeder Schätzung muss es sein, Besteuerungsgrundlagen so zu ermitteln, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen. Schätzergebnisse müssen darüber hinaus wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82 , BStBl II 1986, 226 ). Es liegt in der Natur der Sache, dass das Ergebnis einer Schätzung von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen kann. Solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung muss sich allerdings in dem durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen halten (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90 , BStBl II 1993, 259 ).
(b) Auf dieser Grundlage ist die Nachkalkulation des Antragsgegners im summarischen Verfahren nicht zu beanstanden.
Dies gilt zum einen für das methodische Vorgehen. Bei summarischer Prüfung begegnet es keinen Bedenken, wenn der Antragsgegner in einem ersten Schritt eine Getränkenachkalkulation auf Grundlage des erklärten Wareneinkaufs vornimmt und sodann in einem zweiten Schritt auf Grundlage der Schätzung des Verhältnisses zwischen Getränke- und Speiseumsatz in einem typischen Bewirtungsfall den Gesamtumsatz schätzt. Jedenfalls im summarischen Verfahren ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner auf ein Verhältnis von 40 % (Getränke) zu 60 % (Speisen) nur auf Grundlage eines einzigen aufgefundenen Verzehrbons abstellt. Dieses Verhältnis ist jedenfalls nicht unrealistisch, zumal hochpreisige Getränke wie rare Weine, welche das Verhältnis zu Gunsten Antragstellerin verschieben könnten, der Getränkekarte nicht zu entnehmen sind. Im Übrigen hat die Antragstellerin den Ansatz dieses Verhältnisses nicht beanstandet.
Sofern die Antragstellerin die Nachkalkulation der Getränke mit einzelnen Einwendungen angreift, sind diese bei summarischer Prüfung nach Lage der Akten nicht stichhaltig. So konnte der Antragsgegner zutreffend auf die von der Antragstellerin im Rahmen der Prüfung eingereichte Speise- und Getränkekarte zurückgreifen. Warum nunmehr diese keine Gültigkeit haben soll und vielmehr auf die Karte aus dem Jahr 2011 für die Jahre 2012 bis 2014 zurückgegriffen werden soll, erschließt sich dem Gericht ohne substantiierte weitere Darstellung nicht. Hinsichtlich der Berücksichtigung von Freigetränken und Schwund hält es das Gericht bei summarischer Prüfung für plausibel und ausreichend, diesen bei offenen Getränken mit 3 % bzw. bei Spirituosen mit 10 % anzusetzen. Die Abgabe bestimmter Spirituosen nahezu ausschließlich im Rahmen von Freigetränken hat die Antragstellerin nicht hinreichend substantiiert dargetan. Soweit die Antragstellerin einwendet, insbesondere Erdbeercocktail und Prosecco seien im Rahmen eines Menüs in Kooperation mit dem E abgegeben worden, ist eine Nachkalkulation dieser Getränkeposition dennoch zulässig. Wie die Antragstellerin selbst einräumt, wurden dieses Menü entgeltlich abgegeben. Folglich entfällt auch kalkulatorisch ein Getränkeerlös auf diese Positionen.
Allgemein ist anzumerken, dass der Antragsgegner bereits zu Gunsten der Antragstellerin die umfangreiche Position des Mineralwassers gänzlich unberücksichtigt und den Schorlengetränken zugeschlagen hat. Ebenso zu Gunsten der Antragstellerin ist er bei offenen Getränken davon ausgegangen, dass diese ausschließlich in der größeren und rechnerisch günstigeren Einheit abgegeben wurden. Soweit die Antragstellerin einen weiteren Abschlag für Espressobohnen und Kochwein aufgrund des Einsatzes in der Küche begehrt, ist der Vortrag zu pauschal und unsubstantiiert. Im Streitjahr 2014 wirkt sich im Übrigen zu Gunsten der Antragstellerin aus, dass der Antragsgegner wohl im Rahmen eines Übertragungsfehlers nicht vom nachkalkulierten Getränkeumsatz in Höhe von ca. … € ausging, sondern vom erklärten Gesamtumsatz in Höhe von ca. … €.
Der Antragsgegner hat im Rahmen der Neuberechnung der Umsatzsteuer zudem zulässigerweise von einer Hinzuschätzung von Vorsteuern auf nicht erklärte Wareneinkäufe (sogenannte Doppelverkürzung) abgesehen. Eine solche Hinzuschätzung zu Gunsten der Steuerpflichtigen kommt grundsätzlich nicht in Betracht, da die Berücksichtigung von Vorsteuern die Vorlage einer ordnungsgemäßen Rechnung voraussetzt. Die Schätzung von Vorsteuerbeträgen wird daher nur ausnahmsweise für zulässig gehalten, wenn mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass ursprünglich ordnungsgemäße Rechnungen vorhanden waren, diese jedoch verloren gegangen sind oder vom Steuerpflichtigen mittlerweile nicht mehr beigebracht werden können (Seer Tipke/Kruse, AO /FGO , § 162 AO Rn. 27 m. w. N.). Für den hier in Rede stehenden nicht erklärten zusätzlichen Wareneinsatz kann allerdings nicht mit der geforderten Gewissheit davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin jemals ordnungsgemäße Rechnungen vorgelegen haben. Dafür sprechen gewisse Auffälligkeiten im Einkaufsverhalten der Antragstellerin. So sind Einkäufe bei ihrem Hauptlieferanten teilweise in verschiedene Rechnung gesplittet worden, teilweise mit Ausweis der Kundennummer der Antragstellerin, teilweise als Bareinkauf ohne Kundennummer. Tiefkühlprodukte bezog die Antragstellerin von demselben Lieferanten unter drei verschiedenen Kundennummern. Bei dieser unüblichen Gestaltung ist es jedenfalls bei summarischer Prüfung nicht ausgeschlossen, dass diverse Einkäufe gänzlich ohne Rechnungserstellung abgewickelt wurden.
Soweit die Antragstellerin sich gegen die Anwendung eines Rohgewinnaufschlagsatzes i. H. v. 213 % durch die Antragstellerin wendet, ist dies im gegenständlichen Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide irrelevant. Die mithilfe dieses Rohgewinnaufschlagssatzes vorgenommene Kalkulation des Antragsgegners diente allein der Ermittlung der Hinzuschätzung von Betriebsausgaben zu Gunsten der Antragstellerin für ertragsteuerliche Zwecke (Annahme einer Doppelverkürzung). Im Rahmen der Änderung der Umsatzsteuerbescheide hat der Antragsgegner jedoch rechtmäßig vom Ansatz der auf diese hinzugeschätzten Betriebsausgaben entfallenden Vorsteuern abgesehen.
Im Übrigen begegnet der Ansatz eines Rohgewinnaufschlagssatzes von 213 % auch keinen Bedenken. Nach den Werten der für die Streitjahre geltenden Richtsatzsammlung lag der Rohgewinnaufschlagssatz für Gast-, Speise- und Schankwirtschaften zwischen 186 % und 400 % bei einem Mittelwert von 257 %. Die Kalkulation des Antragsgegners bewegt sich mithin am unteren Rahmen, wohingegen die von der Antragstellerin erklärten Rohgewinnaufschlagsätze von max. 156,6 % außerhalb der Bandbreite liegen. Verbleibende Unsicherheiten gehen zulasten der Antragstellerin. Insbesondere ist die Finanzbehörde nicht verpflichtet, sich am unteren Ende des Schätzungsrahmens zu halten. Vielmehr kann sie einen gegebenen Schätzungsrahmen zulasten des Steuerpflichtigen ausschöpfen.
c) Eine AdV wegen unbilliger Härte ist nicht geboten. Nachteile, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder schwer wiedergutzumachen wären, oder die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz durch die Vollziehung hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargetan, sondern lediglich pauschal behauptet. Detaillierte Auskünfte über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die Möglichkeit der Erlangung von Krediten u. ä. liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO . Gründe für eine Zulassung der Beschwerde liegen nicht vor (§ 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO).
Die Steuerbefreiung für nebenberufliche Tätigkeiten ist in R 3.26 LStR geregelt.
Ergänzend hierzu weise ich auf Folgendes hin:
Begünstigt sind drei Tätigkeitsbereiche :
Nebenberufliche Tätigkeit als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher, Betreuer oder eine vergleichbare Tätigkeit
Nebenberufliche künstlerische Tätigkeit
Nebenberufliche Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen
Die begünstigten Tätigkeiten der Übungsleiter, Ausbilder und Erzieher haben miteinander gemeinsam, dass bei ihrer Ausübung durch persönliche Kontakte Einfluss auf andere Menschen genommen wird, um auf diese Weise deren Fähigkeiten zu entwickeln und zu fördern. Dies gilt auch für den Begriff des Betreuers. Gemeinsamer Nenner dieser Tätigkeiten ist daher die pädagogische Ausrichtung. Nicht begünstigt ist die Aufwandsentschädigung nach § 1835a BGB für ehrenamtliche rechtliche Betreuer nach §§ 1896 ff. BGB , ehrenamtlich tätige Vormünder nach §§ 1773 BGB und ehrenamtliche Pfleger nach §§ 1909 ff. BGB , da § 3 Nr. 26 EStG nur angewendet werden kann, wenn durch einen direkten pädagogisch ausgerichteten persönlichen Kontakt zu den betreuten Menschen ein Kernbereich des ehrenamtlichen Engagements erfüllt wird. Zur steuerlichen Behandlung der Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche rechtliche Betreuer nach § 1835a BGB . (Die bis 31.08.2009 geltenden Regelungen für Verfahrenspfleger nach §§ 50, 67 und 70b des Gesetzes über Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FGG – sind nunmehr in die o. g. Vorschriften des BGB integriert).
Betroffen sind insbesondere Personen, die betreuend im Jugend- und Sportbereich gemeinnütziger Vereine tätig werden. Daher kommt der Übungsleiterfreibetrag auch für die Beaufsichtigung und Betreuung von Jugendlichen durch Jugendleiter, Ferienbetreuer, Schulwegbegleiter etc. in Betracht.
Auch wenn ausschließlich (ohne Zusammenhang mit körperlicher Pflege) hauswirtschaftliche oder betreuende Hilfstätigkeiten für alte oder behinderte Menschen erbracht werden (z. B. Reinigung der Wohnung, Kochen, Einkaufen, Erledigung von Schriftverkehr), ist der Freibetrag nach § 3 Nr. 26 EStG zu gewähren, wenn die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind.
Im Bereich der nebenberuflichen künstlerischen Tätigkeit sind an den Begriff der „künstlerischen Tätigkeit” dieselben strengen Anforderungen zu stellen wie an die hauptberufliche künstlerische Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG .
Bei einer Tätigkeit für juristische Personen des öffentlichen Rechts ist es unschädlich, wenn sie für einen Betrieb gewerblicher Art ausgeführt wird, da Betriebe gewerblicher Art auch gemeinnützigen Zwecken dienen können (z. B. Krankenhaus oder Kindergarten). Ziel des § 3 Nr. 26 EStG ist es, Bürger, die im gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Bereich nebenberuflich tätig sind, von steuerlichen Verpflichtungen freizustellen. Mithin ist bei einer Tätigkeit für einen Betrieb gewerblicher Art darauf abzustellen, ob dieser einen entsprechend begünstigten Zweck verfolgt oder nicht.
Eine Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn die Tätigkeit der Allgemeinheit zugutekommt. Bei nebenberuflicher Lehrtätigkeit ist diese Voraussetzung auch dann erfüllt, wenn eine Aus- oder Fortbildung zwar nur einem abgeschlossenen Personenkreis zugutekommt (z. B. innerhalb eines Unternehmens oder einer Dienststelle), die Aus- oder Fortbildung selbst aber im Interesse der Allgemeinheit liegt (vgl. BFH-Urteil vom 26.03.1992, BStBl 1993 II, 20 ).
Hinsichtlich der Frage der Nebenberuflichkeit regelt R 3.26 Abs. 2 Satz 1 LStR , dass sie dann gegeben ist, wenn die Tätigkeit – bezogen auf das Kalenderjahr – nicht mehr als ein Drittel der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeiterwerbs in Anspruch nimmt. Bei der Ermittlung dieser Grenze sollen tarifvertraglich bedingte Unterschiede bei der Arbeitszeit aus Vereinfachungsgründen unberücksichtigt bleiben, es ist pauschalierend davon auszugehen, dass bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von nicht mehr als 14 Stunden die Ein-Drittel-Grenze erfüllt ist. Es bleibt dem Steuerpflichtigen unbenommen, im Einzelfall eine in seinem Tätigkeitsfeld höhere tarifliche Arbeitszeit nachzuweisen.
Mit dem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements vom 10.10.2007 (BGBl 2007 I, 2332 , BStBl I 2007, 815 ) wurde der Freibetrag ab 2007 von bisher 1.848 € auf 2.100 € angehoben, mit dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts vom 01.03.2013 (BGBl 2013 I, Nr. 15) ab 01.01.2013 auf 2.400 €.
Aufgrund der Änderung des § 3 Nr. 26 EStG durch das Jahressteuergesetz 2009 kann der Freibetrag von 2.100 €/2.400 € nunmehr auch in Anspruch genommen werden, wenn eine entsprechende Tätigkeit nebenberuflich im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bzw. einer zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke steuerbegünstigten Körperschaft erfolgt, die ihren Sitz in einem EU-/EWR -Staat oder der Schweiz hat. Diese Regelung ist nach § 52 Abs. 4b EStG in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Die Gültigkeit für die Schweiz ergibt sich nach dem EuGH-Urteil vom 21.09.2016 ( C-478/15 -Radgen) aus dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits.
Die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 26 EStG in Vorjahren begründet kein Recht auf Weitergewährung , da die Einkommensteuer der Abschnittsbesteuerung gemäß § 25 Abs. 1 EStG unterliegt, vgl. BFH-Urteil vom 22.10.2015 – IV R 7/13 .
2 Einzelfälle
2.1 Ärzte im Behindertensport
Nach § 11a des Bundesversorgungsgesetzes ist Rehabilitationssport unter ärztlicher Aufsicht durchzuführen. Behindertensport bedarf nach § 2 Abs. 2 der Gesamtvereinbarungen über den ambulanten Behindertensport während der sportlichen Übungen der Überwachung durch den Arzt. Die Tätigkeit eines Arztes im Rahmen dieser Bestimmungen fällt dem Grunde nach unter § 3 Nr. 26 EStG , sofern auch die übrigen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.
2.2 Ärzte im Coronarsport
Ärzte, die nebenberuflich in gemeinnützigen Sportvereinen Coronar-Sportkurse leiten, üben eine einem Übungsleiter vergleichbare Tätigkeit aus, wenn der im Coronar-Sport nebenberuflich tätige Arzt auf den Ablauf der Übungseinheiten und die Übungsinhalte aktiv Einfluss nimmt . Es handelt sich dann um eine nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigte Tätigkeit.
2.3 Aufsichtsvergütung für die juristische Staatsprüfung
Vergütungen an Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsbeamte des höheren Dienstes, die nebenamtlich als Leiter von Arbeitsgemeinschaften für Referendarinnen und Referendare tätig sind, fallen unter die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 26 EStG und sind bis zur Höhe von 2.100 €/2.400 € jährlich steuerfrei.
2.4 Bahnhofsmission
Der Tätigkeitsbereich von Bahnhofsmissionen umfasst auch gem. § 3 Nr. 26 EStG begünstigte Pflege- und Betreuungsleistungen. Zur Abgrenzung gegenüber den nicht begünstigten Leistungen bestehen keine Bedenken, wenn Aufwandsentschädigungen nebenberuflicher Mitarbeiterinnen in Bahnhofsmissionen in Höhe von 60 % der Einnahmen, maximal in Höhe von 3.600 DM (ab 2002: 1.848 €, ab 2007: 2.100 €, ab 2013: 2.400 €) steuerfrei belassen werden. Von dem pauschalen Satz kann im Einzelfall abgewichen und auf die tatsächlichen Verhältnisse abgestellt werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Anwendung dieses Regelsatzes zu einer unzutreffenden Besteuerung führen würde. (vgl. HMdF-Erlass vom 22.09.1992 – S 2337 A – 76 – II B 21 ).
2.5 Behindertentransport
Fahrer und Beifahrer im Behindertentransport erhalten den Freibetrag nach § 3 Nr. 26 EStG bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für jeweils 50 % ihrer Vergütung , da ihre Tätigkeit in der Regel zu gleichen Teilen auf das Fahren des Behindertenfahrzeugs und die Betreuung behinderter Menschen entfällt.
Ist eine Aufgabenverteilung verbindlich festgelegt, ist diese für die Einordnung der Tätigkeit maßgebend und nur der Beifahrer, der behinderte oder kranke Personen während der Fahrt betreut, erzielt nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigte Einnahmen.
2.6 Bereitschaftsleitungen und Jugendgruppenleiter
Inwieweit eine Gewährung des Freibetrags nach § 3 Nr. 26 EStG in Betracht kommt, hängt von der tatsächlichen Tätigkeit ab. Soweit lediglich organisatorische Aufgaben wahrgenommen werden, liegt keine begünstigte Tätigkeit vor. Soweit die Vergütung auf die Tätigkeit als Ausbilder oder Betreuer entfällt, kann der Freibetrag nach § 3 Nr. 26 EStG gewährt werden.
2.7 Diakon
Ob ein nebenberuflich tätiger katholischer Diakon die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 26 EStG erhalten kann, hängt von der jeweiligen Tätigkeit ab. Zum Berufsbild des Diakons gehören auch ausbildende und betreuende Tätigkeiten mit pädagogischer Ausrichtung sowie Arbeiten im sozialen Bereich, die als Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen gewertet werden können. Für solche Tätigkeiten ist eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 26 EStG möglich.
Bei einer Tätigkeit im Bereich der Verkündigung (z. B. Taufen, Krankenkommunion, Trauungen, Predigtdienst) handelt es sich nicht um eine begünstigte Tätigkeit. Zur Aufteilung bei gemischten Tätigkeiten sowie zur Steuerfreiheit nach anderen Vorschriften vgl. R 3.26 Abs. 7 LStR .
2.8 Ehrenamtliche Auditoren zur Akkreditierung akademischer Studiengänge im Rahmen des paneuropäischen Bologna-Prozesses
Die Tätigkeit eines ehrenamtlichen Auditors zur Akkreditierung akademischer Studiengänge stellt mangels vorgesehener pädagogischer Ausrichtung keine vergleichbare Tätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG dar. Mit Urteil vom 25.02.2016 – 12 K 1017/15 – hat das Hessische Finanzgericht entschieden, dass ein Auditor vielmehr als Gutachter tätig werde, da er die Akkreditierungsanträge der Hochschule anhand von Hochschul-Begehungen und Gesprächen mit Professoren und Studenten prüfe, einen Bericht hierzu fertige und anschließend eine Beschlussempfehlung an die Akkreditierungskommission erstelle. Seine Tätigkeit sei vorrangig ein Instrument der Qualitätssicherung. Als Auditor nehme man keinen persönlichen Einfluss im Sinne der Vorschrift auf die körperliche und geistige Befähigung von Studenten oder Professoren, da die stattfindenden Gespräche auf Augenhöhe – also unter gleichwertigen Gesprächspartnern – erfolgen würden.
2.9 Ehrenamtliche Richter, Schöffen
Nach dem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 10.02.2016 – 12 K 1205/14 , EFG 2016, 994 –996, handelt sich bei der an ehrenamtliche Richter gezahlten Entschädigung nach dem JVEG um Einkünfte aus selbstständiger Arbeit nach § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 EStG , für die die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 26 EStG nicht in Frage kommt. Gegen das Urteil ist unter dem Az. BFH: IX R 10/16 Revision beim BFH anhängig.
2.10 Ferienbetreuer
Ehrenamtliche Ferienbetreuer, die zeitlich begrenzt zur Durchführung von Ferienmaßnahmen eingesetzt werden, sind nebenberuflich tätig, so dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen die Einnahmen aus dieser Tätigkeit nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt sind.
2.11 Feuerwehrleute
ofix: EStG /3/20 und ofix: EStG /3/56
2.12 Hauswirtschaftliche Tätigkeiten in Altenheim, Krankenhäusern usw.
Reine Hilfsdienste, wie z. B. Putzen, Waschen und Kochen im Reinigungsdienst und in der Küche von Altenheimen, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen u. ä. Einrichtungen stehen nicht den ambulanten Pflegediensten gleich und fallen daher nicht unter § 3 Nr. 26 EStG , da keine häusliche Betreuung im engeren Sinne stattfindet und damit kein unmittelbarer persönlicher Bezug zu den gepflegten Menschen entsteht. Die Leistungen werden primär für das jeweilige Heim oder Krankenhaus erbracht und betreffen daher nur mittelbar die pflegebedürftigen Personen.
2.13 Helfer im sog. Hintergrunddienst des Hausnotrufdienstes.
Um bei Hausnotrufdiensten die Entgegennahme von Alarmanrufen rund um die Uhr, die Vertrautheit der Bewohner mit dem Hausnotrufdienst und die Funktionsfähigkeit der Hausnotrufgeräte zu gewährleisten, wird von den Hilfsorganisationen – zusätzlich zu den Mitarbeitern der Hausnotrufzentrale – ein sog. Hintergrunddienst eingerichtet, um vor Ort Hilfe zu leisten. Die Mitarbeiter des Hintergrunddienstes sind daneben in den Bereitschaftszeiten auch mit der Einweisung, Einrichtung, Wartung und Überprüfung der Hausnotrufgeräte beschäftigt. Dennoch kann ihnen die Steuervergünstigung nach § 3 Nr. 26 EStG für die gesamte Vergütung gewährt werden, da Bereitschaftszeiten wie die aktive Tätigkeit zu behandeln sind (vgl. auch Tz. 2.20). Das Sich-Bereithalten ist unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung der Rettungseinsätze.
Soweit ausschließlich Notrufe entgegen genommen und weitergeleitet werden, ist diese Tätigkeit nicht begünstigt.
2.14 Küchenmitarbeiter in Waldheimen
Die Tätigkeit von MitarbeiterInnen in der Küche und im hauswirtschaftlichen Bereich von Waldheimen stellt keine begünstigte Tätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG dar. Es handelt sich nicht um eine betreuende Tätigkeit, da pädagogische Aspekte nicht im Vordergrund stehen. Ausschlaggebend ist die hauswirtschaftliche Tätigkeit im Zusammenhang mit der Essenszubereitung für die in den Waldheimen während der Ferienzeit aufgenommenen Jugendlichen.
2.15 Lehrbeauftragte an Schulen
Vergütungen an ehrenamtliche Lehrbeauftragte, die von den Schulen für einen ergänzenden Unterricht eingesetzt werden, sind – soweit von den Schulen mit den Lehrbeauftragten nicht ausdrücklich ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird – den Einnahmen aus selbständiger (unterrichtender) Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzuordnen und nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt .
2.16 Mahlzeitendienste
Vergütungen an Helfer des Mahlzeitendienstes sind nicht nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt , da die Lieferung einer Mahlzeit für die Annahme einer Pflegleistung nicht ausreicht. Ab dem 01.01.2007 ist jedoch die Inanspruchnahme der Steuerfreistellung nach § 3 Nr. 26a EStG in Höhe von bis zu 500 €, ab 2013 bis 720 € möglich, sofern diese Tätigkeit nebenberuflich ausgeübt wird.
2.17 Notfallfahrten bei Blut- und Organtransport
Bei diesen Notfallfahrten handelt es sich nicht um begünstigte Tätigkeiten nach § 3 Nr. 26 EStG .
2.18 Organistentätigkeit
Durch das Kultur- und Stiftungsgesetz vom 13.12.1990 (BStBl 1991 I, 51 ) ist § 3 Nr. 26 EStG dahingehend erweitert worden, dass ab 1991 auch Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche künstlerische Tätigkeiten im Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer gemeinnützigen Körperschaft in begrenztem Umfang steuerfrei bleiben. Aus Gründen der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung ist bei den in Kirchengemeinden eingesetzten Organisten grundsätzlich davon auszugehen, dass deren Tätigkeit eine gewisse Gestaltungshöhe erreicht und somit die Voraussetzungen einer künstlerischen Tätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG vorliegen. (vgl. HMdF-Erlass vom 17.04.2000 – S 2337 A – 77 – II B 2a ).
2.19 Patientenfürsprecher
Der Patientenfürsprecher hat die Interessen der Patienten gegenüber dem Krankenhaus zu vertreten. Diese Tätigkeit stellt keine Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen dar. Die an die Patientenfürsprecher gezahlten Aufwandsentschädigungen sind daher nicht nach § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei.
2.20 Prädikanten
Die Anwendung des § 3 Nr. 26 EStG wurde von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder verneint. Insoweit fehle bei den Prädikanten (wie auch bei Lektoren) der direkte pädagogisch ausgerichtete persönliche Kontakt zu einzelnen Menschen. Eine Steuerfreiheit der Bezüge kann sich jedoch ggf. aus § 3 Nr. 12, 13, 50 EStG ergeben.
2.21 Richter, Parcourschefs, Parcourschef-Assistenten bei Pferdesportveranstaltungen
Bei diesen ehrenamtlichen Tätigkeiten handelt es sich nicht um begünstigte Tätigkeiten nach § 3 Nr. 26 EStG
2.22 Rettungskräfte
Folgende Tätigkeiten erfüllen das Merkmal der „Pflege” und sind insgesamt nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt:
Rettungssanitäter und -schwimmer sowie Notärzte in Rettungs- und Krankentransportwagen sowie im Rahmen von Großveranstaltungen
Einsatzkräfte der Berg-, Höhlen- und Wasserrettung, sofern Personenbergung im Vordergrund steht
Kriseninterventionspersonen (psychologische Soforthilfe für traumatisierte Opfer und deren Angehörige bei schweren oder tragischen Unfällen)
Helfer vor Ort (organisierte Helfer, die bis zum Eintreffen eines Rettungsmittels mit qualifizierten basismedizinischen Maßnahmen, Ersthilfe leisten)
Einsatzleiter Rettungsdienst vor Ort
Die Einnahmen dieser ehrenamtlichen Rettungskräfte sind nicht mehr in solche aus Rettungseinsätzen und solche aus Bereitschaftszeiten aufzuteilen.
2.23 Schulweghelfer und Schulbusbegleiter
Gemeinden gewähren den grundsätzlich als Arbeitnehmer beschäftigten Schulweghelfern und Schulbusbegleitern Aufwandsentschädigungen. Diese sind nebeneinander sowohl nach § 3 Nr. 26 EStG als auch nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG begünstigt. Die Vorschriften sind in der für den Steuerpflichtigen günstigsten Reihenfolge zu berücksichtigen (R 3.26 Abs. 7 LStR 2008 ).
2.24 Stadtführer/Museumsführer
Die Tätigkeit eines Stadtführers ist – vergleichbar mit einer unterrichtenden Tätigkeit an einer Volkshochschule und der Tätigkeit eines Museumsführers – wegen ihrer pädagogischen Ausrichtung grundsätzlich nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt. Zu prüfen ist jedoch insbesondere, ob die Tätigkeit im Auftrag oder im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer anderen unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke ausgeübt wird.
2.25 Statisten/Komparsen bei Theateraufführungen
Aufwandsentschädigungen für Statisten sind grundsätzlich nicht nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt, da Statisten keine künstlerische Tätigkeit ausüben. Eine künstlerische Tätigkeit liegt bei § 3 Nr. 26 EStG (wie bei § 18 EStG ) nur vor, wenn eine gewisse Gestaltungshöhe bei eigenschöpferischer Leistung gegeben ist. Nach dem BFH-Urteil vom 18.04.2007 ( BStBl 2007 II, 702 ) wird die Auslegung des Begriffs einer künstlerischen Tätigkeit im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG jedoch beeinflusst durch die Begrenzung auf einen Höchstbetrag und das Merkmal der Nebenberuflichkeit. In diesem Sinne kann eine künstlerische Tätigkeit auch dann vorliegen, wenn sie die eigentliche künstlerische (Haupt-)Tätigkeit unterstützt und ergänzt, sofern sie Teil des gesamten künstlerischen Geschehens ist. Auch der Komparse kann daher – anders als z. B. ein Bühnenarbeiter – eine künstlerische Tätigkeit ausüben. Bei der Beurteilung kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.
2.26 Versicherungsberatung
Mit Urteil vom 01.07.2015 – 7 K 7230/13 – hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass eine ehrenamtliche Versicherungsberaterin der Deutschen Rentenvesicherung Bund nicht als Betreuerin im Sinne des § 3 Nr. 26 EStG anzusehen sei und deshalb ein Übungsleiterfreibetrag nicht gewährt werden könne. Die Tätigkeit der Klägerin sei den rechts- und wirtschaftsberatenden Tätigkeiten zuzurechnen, es fehle an der erforderlichen pädagogischen Ausrichtung.
Die gegen das Urteil zugelassene und eingelegte Revision wird unter dem Az. VIII R 28/15 geführt.
Entsprechende Einspruchsverfahren ruhen nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO , Aussetzung der Vollziehung ist nicht zu gewähren.
2.27 Versichertenälteste
Für die Tätigkeit der Versichertenältesten ist die Begünstigung des § 3 Nr. 26 EStG nicht zu gewähren, da es sich weder um eine begünstigte Tätigkeit handelt noch diese zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke im Sinne der §§ 52 bis 54 AO handelt.
2.28 Zahnärzte im Arbeitskreis Jugendzahnpflege
Soweit Zahnärzte in freier Praxis im Rahmen der „Arbeitskreise Jugendzahnpflege in Hessen” (AkJ) tätig werden (sogen. Patenschaftszahnärzte ), üben sie diese Tätigkeit nebenberuflich aus, so dass die entsprechenden Vergütungen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nach § 3 Nr. 26 EStG begünstigt sind.
3 Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzug
Nach § 3c EStG dürfen Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Ausgaben, die zugleich steuerfreie und steuerpflichtige Einnahmen betreffen, sind – ggf. im Schätzungswege – aufzuteilen und anteilig abzuziehen.
Ab 01.01.2000 dürfen abweichend von diesen Grundsätzen nach § 3 Nr. 26 S. 2 EStG in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der nebenberuflichen Tätigkeit stehende Ausgaben nur insoweit als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden, als sie den Betrag der steuerfreien Einnahmen übersteigen . Sowohl die Einnahmen aus der Tätigkeit als auch die jeweiligen Ausgaben müssen den Freibetrag übersteigen, R 3.26 Abs. 9 LStR . Gegen das anderslautende Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 30.09.2015, wonach auch bei unter dem Freibetrag liegenden Einnahmen die über dem Freibetrag liegenden Ausgaben geltend gemacht werden können, wurde Revision eingelegt (Az. III R 23/15). Bei sowohl unter dem Freibetrag liegenden Einnahmen als auch Ausgaben hat das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Urteil vom 16.06.2015 entschieden, dass der dadurch entstehende Verlust ebenfalls geltend gemacht werden kann. Auch gegen dieses Urteil ist Revision beim BFH anhängig (Az. VIII R 17/16). Entsprechende Einspruchsverfahren ruhen nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO , Aussetzung der Vollziehung ist nicht zu gewähren.
Entstehen Betriebsausgaben zur Vorbereitung einer unter § 3 Nr. 26 EStG fallenden Tätigkeit und wird diese später nicht aufgenommen, kann der entstandene Verlust in voller Höhe, also ohne Kürzung um den Freibetrag , berücksichtigt werden. Der BFH hat mit Urteil vom 06.07.2005 ( BStBl II 2006, 163 ) – zu § 3 Nr. 26 EStG a. F. – entschieden, § 3c EStG sei insoweit nicht anwendbar.
Virtuelle Währungen sind kein gesetzliches Zahlungsmittel
Spekulationsgewinne können steuerpflichtig sein
Freibetrag pro Jahr in Höhe von 600 Euro
Privatanleger mit Aktien, Fondsanteilen und anderen regulierten Anlageprodukten im Depot kommen meist kaum noch mit dem Finanzamt in Berührung – die Banken führen für sie die Abgeltungsteuer ab und verrechnen gegebenenfalls Gewinne mit Verlusten. Ganz anders ist das bei Investitionen in Kryptowährungen. Waren diese bisher ein Nischenphänomen, so hat der steile Kursanstieg von Bitcoin und anderen Kryptowährungen auch andere Anleger zum Kauf animiert. Manche Einzelhändler werben sogar damit, dass man bei ihnen mit dem virtuellen „Geld“ bezahlen kann. Aber: Die Geldbestände in virtuellen Währungen werden rechtlich weder als (Fremd-)Währung, noch als Kapitalanlage, sondern als sonstige Wirtschaftsgüter behandelt. Gewinne und Verluste können daher für die Steuererklärung relevant sein.
Werden etwa Bitcoins innerhalb der Jahresfrist mit Gewinn verkauft, handelt es sich dabei um Spekulationsgewinne, die dem regulären Einkommenssteuersatz unterliegen. Ob dieser Veräußerungsgewinn durch Umtausch, beim Einkaufen oder an der Börse entsteht, macht aus Sicht des Finanzamts keinen Unterschied. Wer in eine virtuelle Währung investiert hat, sollte daher den Anschaffungsvorgang dokumentieren. Denn um den zu versteuernden Betrag zu ermitteln, braucht man die Anschaffungskosten. Hier kann zur Vereinfachung die „First-in-first-out“-Methode (Fifo) angewendet werden: Danach wird unterstellt, dass die zuerst erworbenen Coins auch zuerst veräußert werden.
Die gute Nachricht: Gewinne können mit Verlusten aus anderen Spekulationsgeschäften im selben Jahr verrechnet werden. Kosten der Geschäfte mindern den Gewinn bzw. erhöhen den Verlust. Und wenn trotzdem noch ein steuerlicher Gewinn entstanden ist, gilt ein Freibetrag von 600 Euro.
Amtlich vorgeschriebenes Vordruckmuster nach § 22 Nr. 5 Satz 7 EStG
Nach § 22 Nr. 5 Satz 7 Einkommensteuergesetz (EStG) hat der Anbieter eines Altersvorsorgevertrags oder einer betrieblichen Altersversorgung
bei erstmaligem Bezug von Leistungen,
in den Fällen der steuerschädlichen Verwendung nach § 93 EStG sowie
bei Änderung der im Kalenderjahr auszuzahlenden Leistungen
dem Steuerpflichtigen nach amtlich vorgeschriebenem Muster den Betrag der im abgelaufenen Kalenderjahr zugeflossenen Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 5 Satz 1 bis 3 EStG jeweils gesondert mitzuteilen. Das gilt auch für die Abschluss- und Vertriebskosten eines Altersvorsorgevertrages, die dem Steuerpflichtigen erstattet werden.
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird hiermit ein neues Vordruckmuster für die Mitteilung nach § 22 Nr. 5 Satz 7 EStG bekannt gemacht. Das in der Anlage beigefügte Vordruckmuster ist erstmals zur Bescheinigung von Leistungen des Kalenderjahres 2018 zu verwenden.
Für die maschinelle Herstellung des Vordrucks werden folgende ergänzenden Regelungen getroffen:
Der Vordruck kann auch maschinell hergestellt werden, wenn nach Inhalt, Aufbau und Reihenfolge vom Vordruckmuster nicht abgewichen wird und die Leistungen auf Seite 2 oder 3 des Vordrucks bescheinigt werden. Der Vordruck hat das Format DIN A 4. Maschinell erstellte Vordrucke können zweiseitig bedruckt werden; sie brauchen nicht unterschrieben zu werden.
Folgende Abweichungen werden zugelassen:
Die Zeilen des Vordrucks, bei denen im Einzelfall keine Leistungen zu bescheinigen sind, können einschließlich der zugehörigen Hinweise entfallen. Dies gilt auch für die letzte Tabellenzeile einschließlich des Hinweises 12. Die Nummerierung der ausgedruckten Zeilen und Hinweise ist entsprechend des Vordruckmusters beizubehalten.
Werden die Zeile 1 und der Hinweis 1 des Vordruckmusters nicht ausgedruckt, da keine Leistungen im Sinne der Nummer 1, sondern ausschließlich Leistungen im Sinne der Nummer 2 oder der Nummer 3 bezogen werden, kann bei der Nummer 2 und der Nummer 3 auch der Klammerzusatz in Zeile 2 „(in Nummer 1 nicht enthalten)“ entfallen.
Werden Leistungen bescheinigt, kann unter der entsprechenden Zeile des Vordrucks ein Hinweis auf die Zeile der Anlage R aufgenommen werden, in die der entsprechende Betrag einzutragen ist. Ebenso kann der Anbieter weitere für die Durchführung der Besteuerung erforderliche Angaben (z. B. Beginn der Rente) in den Vordruck aufnehmen.
Sind Nachzahlungen zu mehr als einer Zeile zu bescheinigen, ist die Zeile mit der Nummer 11 des Vordruckmusters mehrfach aufzunehmen.
Der Vordruck darf durch weitere Erläuterungen ergänzt werden, sofern die Ergänzungen im Anschluss an die Inhalte des Vordruckmusters einschließlich der Hinweise erfolgen und hiervon optisch abgesetzt werden.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 3 – S-2257-b / 07 / 10002 :018 vom 10.04.2018
Teleologische Extension des Anwendungsbereichs von § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Halbs. 2 Buchst. b EStG – Finanzplandarlehen – Betriebsaufspaltung – personelle Verflechtung
Leitsatz
Die Einlage einer Beteiligung, deren Wert unter die Anschaffungskosten gesunken ist, ist auch nach der ab 1996 geltenden Rechtslage mit den Anschaffungskosten zu bewerten (Fortführung des BFH-Urteils vom 2. September 2008 X R 48/02, BFHE 223, 22, BStBl II 2010, 162).
Die Grundsätze zur Bewertung der Einlage wertgeminderter Beteiligungen i. S. des § 17 EStG in ein Betriebsvermögen sind entsprechend auf die Bewertung der Einlage solcher wertgeminderter Forderungen aus Gesellschafterdarlehen anzuwenden, deren Ausfall sich im Falle der weiteren Zugehörigkeit der Forderung und der korrespondierenden Beteiligung zum Privatvermögen bei der Verwirklichung eines Realisationstatbestands nach § 17 EStG einkommensteuerrechtlich ausgewirkt hätte.
Der Ausschluss der Teilwertabschreibung für eingelegte wertgeminderte Beteiligungen gilt für eingelegte wertgeminderte Forderungen entsprechend.
Die Annahme eines Finanzplandarlehens setzt im Regelfall u. a. voraus, dass der Darlehensgeber verpflichtet ist, das Kapital dem Schuldner langfristig zu überlassen. Eine solche Verpflichtung kann sich auch dann, wenn das gesetzliche Kündigungsrecht im Darlehensvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden ist, aus den objektiven Umständen der Darlehenshingabe ergeben.
Der Tatbestand der Betriebsaufgabe ist nicht erfüllt, wenn im Zusammenhang mit der Betriebsbeendigung eine wesentliche Betriebsgrundlage zum Buchwert in ein anderes (Sonder-)Betriebsvermögen überführt wird.