Am 19. September 2024 fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein bedeutendes Urteil (C-555/22 P, C-556/22 P, C-564/22 P), das die steuerliche Behandlung von multinationalen Unternehmen im Vereinigten Königreich betrifft. In dem Urteil wurde entschieden, dass die steuerlichen Regelungen des Vereinigten Königreichs zur Besteuerung beherrschter ausländischer Unternehmen (Controlled Foreign Companies, CFC) nicht als unrechtmäßige staatliche Beihilfen eingestuft werden können.
Hintergrund
Die Europäische Kommission hatte im Jahr 2019 entschieden, dass das Vereinigte Königreich multinationalen Konzernen selektive Steuervorteile gewährt habe, indem es sie von der sogenannten „CFC-Abgabe“ befreit hatte. Diese Abgabe wird von Unternehmen erhoben, die ihren Sitz im Vereinigten Königreich haben, jedoch Gewinne über beherrschte ausländische Unternehmen (CFCs) erzielen. Die Kommission war der Ansicht, dass diese Steuerbefreiungen unrechtmäßige staatliche Beihilfen darstellten, da sie selektiven Unternehmen Vorteile verschafften, die mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar seien.
Die Entscheidung des EuGH
Das Vereinigte Königreich und das Unternehmen ITV legten daraufhin Klage gegen den Beschluss der Kommission ein. Das Gericht der Europäischen Union bestätigte im Jahr 2022 den Beschluss der Kommission und wies die Klagen ab. Mit dem Urteil vom 19. September 2024 hob der EuGH jedoch sowohl das Urteil des Gerichts als auch den ursprünglichen Beschluss der Kommission auf.
Der EuGH stellte fest, dass die Kommission einen Rechtsfehler begangen habe, indem sie das für die Besteuerung von CFCs geltende Regelwerk als eigenständiges Referenzsystem betrachtete. Der Gerichtshof entschied, dass das allgemeine Körperschaftsteuersystem des Vereinigten Königreichs, einschließlich der CFC-Vorschriften, das korrekte Referenzsystem darstellt. Dieses Körperschaftsteuersystem basiert auf dem Territorialitätsprinzip, was bedeutet, dass nur im Vereinigten Königreich erzielte Gewinne besteuert werden, es sei denn, es liegt eine künstliche Umleitung von Gewinnen vor.
Da die Kommission das falsche Referenzsystem zur Prüfung der Selektivität verwendet habe, sei die gesamte Bewertung der angeblichen staatlichen Beihilfen fehlerhaft gewesen. Der EuGH erklärte daher den Beschluss der Kommission für nichtig.
Bedeutung für Unternehmen
Das Urteil des EuGH hat weitreichende Implikationen für multinationale Unternehmen, die im Vereinigten Königreich tätig sind. Es bestätigt, dass die britischen Vorschriften zur Besteuerung von beherrschten ausländischen Unternehmen nicht als selektive staatliche Beihilfen eingestuft werden können. Dies bedeutet, dass Unternehmen, die von den CFC-Befreiungen profitiert haben, keine Rückzahlungen oder Sanktionen fürchten müssen.
Das Urteil schafft außerdem Rechtssicherheit für multinationale Unternehmen, die in Zukunft von ähnlichen steuerlichen Regelungen Gebrauch machen möchten, sowohl im Vereinigten Königreich als auch in anderen EU-Ländern. Es verdeutlicht, dass die Europäische Kommission bei der Bewertung von Steuervorteilen nationale Vorschriften und deren Auslegung durch den jeweiligen Mitgliedstaat berücksichtigen muss.
Für Unternehmen und Steuerberater bedeutet dies eine erhebliche Erleichterung, da das Risiko einer rückwirkenden Besteuerung oder Sanktionierung nun vom Tisch ist.
Quellen:
EuGH, Pressemitteilung vom 19.09.2024 zum Urteil C-555/22 P, C-556/22 P, C-564/22 P