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Einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen: Fall von geringer Bedeutung, wenn Höhe und Aufteilung des festzustellenden Betrages feststehen

Finanzgericht Köln, 1 K 1585/10

Datum: 29.01.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 1. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 1 K 1585/10
Tenor:

Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen der Einkommensbesteuerung für das Jahr 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2010 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand2Die Kläger sind Geschwister. Sie unterhielten seit 1984 Gemeinschaftskonten bei der A Bank AG (in B, Lichtenstein) und erzielten erhebliche Zinseinkünfte, die sie nicht erklärten. Am 30.10.2008 erstatteten sie hierüber eine Selbstanzeige. In der nachfolgenden Steuerfahndungsprüfung kam es zu einer einvernehmlichen Schätzung der Zinseinnahmen für 1996 i.H.v. 140.000 DM sowie der Werbungskosten i.H.v. 7.000 DM. Dies wurde im Bericht der Steuerprüfung vom 18.8.2009 festgehalten.

3Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2009 für das Streitjahr die Einkommensteuer entsprechend der einvernehmlichen Schätzung der Zinseinkünfte. Auch für die Folgejahre erfolgten entsprechende Änderungen. Auf den Einspruch der Kläger wurde der Bescheid für das Streitjahr 1996 aufgehoben. Am 30.10.2009 erließ der Beklagte einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Zinseinkünfte der Kläger entsprechend der einvernehmlichen Schätzung im Steuerfahndungsprüfungsverfahren und eine hälftige Aufteilung. Auf dieser Grundlage ergingen erneute Einkommensteuerbescheide.

4Gegen den Feststellungsbescheid erhoben die Kläger am 23.12.2009 Einspruch, über den der Beklagte am 23.4.2010 abschlägig entschied: Für die Feststellung sei Verjährung noch nicht eingetreten, da die Kläger für das Streitjahr keine Feststellungserklärung abgegeben hätten und die Verjährungsfrist deshalb erst mit Ablauf des dritten Jahres nach Ablauf des Jahres begonnen habe, das auf das Jahr der Entstehung der Steuer folgte, also mit Ablauf des Jahres 2000. Die Feststellung sei unstrittig erforderlich, nur aus technischen Gründen sei sie erst am 30.10.2009 zustande gekommen. Die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 sei nur zur Behebung des Verfahrensmangels erfolgt.

5Hiergegen richtet sich die Klage vom 19.5.2010. Die Kläger tragen vor, ein Feststellungsbescheid sei nicht gerechtfertigt, da es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO handele. Zudem hätten die Kläger aufgrund der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 darauf vertraut, dass der Beklagte auf eine Feststellung verzichte und der Steueranspruch deshalb verjährt sei. Dies Vertrauen verdiene Schutz.

6Die Kläger beantragen,

7den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.4.2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

8Der Beklagte beantragt,

9die Klage abzuweisen,

10hilfsweise die Zulassung der Revision.

11Er macht geltend, es liege kein Fall geringer Bedeutung vor. Maßgeblich sei nicht der einzelne Veranlagungszeitraum, sondern der “Steuerfall“ insgesamt, der sich vorliegend über etliche Jahre erstrecke, von denen mehrere noch im Streit stünden. Zudem dürfe auch für das Streitjahr nicht auf den Zeitpunkt nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung abgestellt werden. Maßgeblich sei vielmehr der Beginn und der Verlauf der Prüfung, worin große Unklarheit geherrscht habe, bis es schließlich zu der einvernehmlichen Schätzung gekommen sei. Der Verzicht auf eine Feststellung in derartigen Fällen wäre auch unpraktikabel, insbesondere wenn, anders als bei Eheleuten, verschiedene Veranlagungsbezirke im Finanzamt zuständig seien. Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger komme nicht in Betracht. Der Erlass der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide habe auf einem technischen Versehen beruht. Die Feststellung sei als Grundlage für die Besteuerung von vornherein beabsichtigt gewesen.

12Entscheidungsgründe

13Die Klage ist begründet.

14Die angefochtenen Feststellungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

15I.              Die Feststellung hätte nicht ergehen dürfen. Gegenstand sind zwar Einkünfte, an denen mehrere Personen, nämlich die Kläger, beteiligt sind (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), jedoch gilt die letztere Vorschrift nicht, wenn es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO handelt. Dies ist vorliegend der Fall. § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO nennt selbst den entscheidenden Gesichtspunkt zur Beurteilung eines Falles als von „geringer Bedeutung“: Er liegt insbesondere dann vor, wenn Höhe und Aufteilung des festgestellten Betrags feststehen. Dies war vorliegend zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids der Fall, da eine zwischen den Beteiligten einvernehmliche Schätzung der Einkünfte stattgefunden hatte und die hälftige Aufteilung problemlos und unstreitig war. Auslegungsleitend für die Frage der „geringen Bedeutung“ ist nicht die Höhe der Einkünfte, sondern die Frage ob die Gefahr abweichender Entscheidungen besteht, die einheitliche Feststellung also überflüssig und verfahrensunökonomisch wäre.

16Siehe hierzu und zu den folgenden Grundsätzen Tipke-Kruse AO (Loseblattkommentar) Rn. 50 zu § 180 AO sowie die Bundestagsdrucksache 10/1636, 46 (zitiert in Tipke-Kruse a.a.O. Rn. 49 zu § 180 AO).

17Indizien hierfür sind, dass die Besteuerungsgrundlagen bereits ermittelt sind und sich voraussichtlich nicht mehr verändern werden, dass die Verhältnisse leicht überschaubar sind und keine Zurechnungsprobleme bestehen, ferner die Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts auch für die einheitliche Feststellung sowie Kurzfristigkeit. Gegenindizien sind insbesondere streitige Sach- und Rechtsfragen sowie die Zuständigkeit verschiedener Finanzämter.

18Siehe dazu Tipke-Kruse a.a.O. mit den Nachweisen der Rechtsprechung des BFH.

19Vorliegend sind die genannten Gegenindizien nicht gegeben, da durch die einvernehmliche Schätzung die vorher streitigen Sachfragen ausgeräumt wurden und der Beklagte sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung beider Kläger zuständig ist. Die Indizien für „geringe Bedeutung“ sind hingegen überwiegend und im maßgeblichen Umfang erfüllt. Im Zeitpunkt des Ergehens des Feststellungsbescheids waren die Besteuerungsgrundlagen durch die einvernehmliche Schätzung ermittelt und werden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr ändern. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhältnisse dementsprechend auch überschaubar. Zurechnungsprobleme haben nie bestanden. Das Element der Kurzfristigkeit, dass im BFH-Urteil vom 26.10.1971 VIIIR 137/70, BStBl II 1972,215 aufgeführt wird, mag vorliegend insofern fraglich sein, als es sich nicht um einen einzelnen Fall der Einkommensteuererzielung handelte, sondern die Einkünftegemeinschaft sich über mehrere Jahre erstreckte. Dem kommt nach Auffassung des Senats jedoch keine entscheidende Bedeutung zu, da die hier betroffenen und festgestellten Zinseinkünfte im überschaubaren Zeitraum des Streitjahres erzielt wurden. Hinzu kommt, dass die zitierte BFH-Entscheidung vor 1987 erging, also bevor der Gesetzgeber durch die Neufassung der Abgabenordnung die Gewichtung der Auslegung des Begriffs „geringe Bedeutung“ neu geregelt und klargestellt hatte.

20Der Senat folgt der Auffassung des Beklagten, es sei nicht auf das einzelne Steuerjahr, sondern auf den gesamten Steuerfall abzustellen, nicht. Im deutschen Einkommensteuerrecht gilt der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung. Dementsprechend erließ der Beklagte auch für jedes einzelne Steuerjahr je gesonderte Feststellungsbescheide. Deren Rechtmäßigkeit ist dementsprechend auch je gesondert unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO zu prüfen.

21Ebenso wenig folgt der Senat der Auffassung des Beklagten, für die Bewertung nach § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO komme es auf einen Zeitpunkt vor der Steuerfahndungsprüfung an, zu dem der Fall noch unübersichtlich gewesen sei. Für die Beurteilung, ob ein Feststellungsbescheid erforderlich ist und deshalb ergehen darf und muss, sind wie für alle Verwaltungsakte die Umstände maßgeblich, die zum Zeitpunkt des Erlasses (oder der Entscheidung, vom Erlass abzusehen) erkennbar sind. Im Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Feststellungsbescheids war aber nach Auffassung des Senats erkennbar, dass er nicht erforderlich und deshalb auch nicht rechtmäßig war.

22Die vom Beklagten aufgeführten Praktikabilitätserwägungen überzeugen den Senat nicht. Wenn, wie vorliegend, ein und dasselbe Finanzamt sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung zuständig ist, kann eine allfällige Abstimmung unter den Veranlagungsbezirken problemlos erfolgen.

23II.              Die Kläger sind durch den rechtswidrigen Feststellungsbescheid auch in ihren Rechten verletzt. Zwar sind die hierauf beruhenden Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr bestandskräftig, jedoch sind sie bei Aufhebung des Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechend anzupassen. Vorliegend hat ausschließlich der Grundlagenbescheid die Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte verhindert. Wird er nun aufgehoben, sind die Einkommensteuerbescheide in der Weise anzupassen, dass nunmehr der Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte Rechnung zu tragen ist.

24III.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.