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Freiberufler – Nachweis ingenieurähnlicher Kenntnisse

1. Eignung einer Tätigkeit zum Nachweis ingenieurähnlicher Kenntnisse

2. Umfang der Begutachtung durch einen Sachverständigen

BFH v. 11.07.1991 – IV R 73/90

Leitsatz

1. Eine Tätigkeit ist zum Nachweis ingenieurähnlicher Kenntnisse nicht geeignet, wenn sie auch anhand von Formelsammlungen und praktischen Erfahrungen ausgeübt werden kann, selbst wenn sie vielfach auch von Ingenieuren ausgeübt wird.

2. Wird mit der Begutachtung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen ein Sachverständiger beauftragt, so ist es in der Regel nicht erforderlich, daß er den Steuerpflichtigen einer Wissensprüfung unterzieht. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, wenn er feststellt, ob die Tätigkeit des Steuerpflichtigen so anspruchsvoll ist, daß sie der Tiefe und der Breite nach zumindest das Wissen eines Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzt.

Gesetze

EStG § 18 Abs. 1
Instanzenzug

FG Baden-Württemberg

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger zu 2 (Kläger) absolvierte eine Ausbildung als Modellbauer und als technischer Zeichner. 1969 trat er in die Firma X-GmbH, einem Fertigungsbetrieb für Sitzmöbel, Tische und Konferenzanlagen, ein und erhielt 1978 die eigenverantwortliche Leitung der Modell-Entwicklungsabteilung übertragen. Mit diesem Aufgabenbereich war er bis zu seinem Ausscheiden betraut. Er war dabei verantwortlich für die technische Realisierung von neuen Erzeugnissen mit dem Schwerpunkt bei der Entwicklung neuer Stuhl- und Tischmöbel. Zusammen mit firmenfremden freiberuflichen Designern entwickelte er Neuprodukte der X-GmbH, und zwar sowohl gestalterisch als auch mit technischen Neuerungen. Seine Tätigkeit erstreckte sich von der Ausarbeitung von Anschauungs- und Funktionsmodellen bis zur Konstruktion im Detail und der Erstellung von Prototypen. Darüber hinaus hatte er die Gestaltung und Konstruktion von Sondermodellen übernommen. Durch seine Fortbildungsbemühungen eignete sich der Kläger nach seinem Vortrag einen einem Ingenieur vergleichbaren Kenntnisstand an und erwarb auch verschiedene Patente und Gebrauchsmuster. Ende Juni 1983 schied der Kläger aus der Firma aus und setzte seine bisherige Tätigkeit in erweitertem Umfang selbständig fort. Er arbeitete als ständiger Berater verschiedener Firmen, die ihn mit Entwicklungsaufgaben beauftragten.

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1983 bezeichnete sich der Kläger als Produktdesigner, seinen Betrieb als Studio für Produktentwicklung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) folgte seinem Begehren, als Freiberufler behandelt zu werden, nicht und versagte daher die Gewährung des Freibetrags nach § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung. Außerdem erließ er für die Streitjahre 1983 und 1984 Gewerbesteuer-Meßbescheide.

Hiergegen wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit der zum Finanzgericht (FG) erhobenen Klage. Er machte geltend, er sei freiberuflich tätig, weil er eine einem Architekten oder Ingenieur ähnliche Tätigkeit ausübe. Produktdesign werde wie jene Berufsbildungsgänge als ordentliches Studienfach an Hochschulen gelehrt. Der Klage waren zahlreiche Unterlagen über Arbeiten des Klägers sowie Nachweise seiner Fortbildungsbemühungen auf dem Gebiet des technischen Zeichners, der Raumgestaltung und Raumtechnik sowie dem der elektronischen Datenverarbeitung beigefügt.

Das FG holte ein Gutachten darüber ein, ob die Tätigkeit des Klägers (zumindest von Gelegenheit zu Gelegenheit) Vorkenntnisse voraussetze, die denjenigen eines Ingenieurs klassischer Vorbildung entsprächen und ohne eine solche die Ergebnisse seiner Tätigkeit nicht denkbar wären. Der Gutachter gelangte zusammenfassend zu dem Ergebnis, die Ausübung der Tätigkeit des Klägers setze zwar Vorkenntnisse voraus, die der klassischen Vorbildung eines Ingenieurs entsprächen. Diese Vorkenntnisse seien jedoch beim Kläger nicht vorhanden. Die Vorgehensweise des Klägers sei deshalb anders als die eines Ingenieurs mit entsprechender Ausbildung. Er greife verstärkt auf seinen 18jährigen Erfahrungsschatz zurück und unterstütze von ihm angenommene Werte bei der Dimensionieren durch Versuche. Ergebnis seien dann ingenieurgerechte Entwürfe in einem relativ breiten Arbeitsspektrum.

Unter Zugrundelegung dieses Gutachtens wies das FG die Klage ab.

Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.

Mit der Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und der Einspruchsentscheidung vom 7. Januar 1987 die Gewerbesteuer-Meßbescheide 1983 und 1984 vom 29. August 1985 aufzuheben (nur Kläger zu 2) und den Einkommensteuerbescheid 1983 in der Weise zu ändern, daß der Freibetrag für freie Berufe gewährt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet.

Der Kläger war in den Streitjahren nicht freiberuflich i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG tätig. Insbesondere übte er nicht den Beruf des Ingenieurs aus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist Ingenieur i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur derjenige, der das Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder den Betriebsführerlehrgang an einer Bergschule abgeschlossen hat (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 5. Oktober 1989 IV R 154/86, BFHE 158, 409 , BStBl II 1990, 73 , m. w. N.). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nach den Feststellungen des FG nicht.

Der Kläger hat auch nicht einen dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt.

Ein Beruf ist einem der Katalogberufe des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann (BFH-Urteil vom 25. April 1978 VIII R 149/74 , BFHE 125, 369 , BStBl II 1978, 565 ). Dazu gehören die Vergleichbarkeit

(1) der Ausbildung und

(2) der beruflichen Tätigkeit.

Es genügt demnach nicht, daß der Steuerpflichtige eine  Tätigkeit  ausübt, die auch von Ingenieuren ausgeübt wird.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die  Ausbildung  als „ein in aller Regel zulässiges und sachlich einleuchtendes Differenzierungskriterium für die Zuordnung zu einem Katalogberuf i. S. des § 18 EStG ” bezeichnet (Beschluß vom 9. Oktober 1990 2 BvR 146/90, Steuerrechtsprechung in Karteiform – StRK -, Einkommensteuergesetz 1975 , § 18 Abs. 1, Rechtsspruch 59). Für die Zugehörigkeit zu einem „ähnlichen Beruf” reicht es aus, wenn der Steuerpflichtige Kenntnisse, die den aufgrund der für den Katalogberuf vorgesehenen Ausbildung erworbenen vergleichbar sind, durch die Teilnahme an Kursen oder durch Selbststudium erworben hat. Ist der Nachweis der erforderlichen Kenntnisse in dieser Form nicht möglich, kann der Steuerpflichtige sie durch seine eigene praktische Tätigkeit belegen (BFH-Urteile vom 18. Juni 1980 I R 109/77 , BFHE 132, 16 , BStBl II 1981, 118 , 120; vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198).

Im Streitfall hat das FG aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens festgestellt, daß dem Kläger die üblicherweise durch die Ingenieurausbildung vermittelten theoretischen Kenntnisse fehlen. Der Sachverständige hatte dem Kläger 13 mit dessen Entwürfen im Zusammenhang stehende Fachfragen gestellt, die dieser zum überwiegenden Teil nicht beantworten konnte. Die Feststellungen des FG sind für das Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindend. Sie sind verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen und verstoßen entgegen der Auffassung der Kläger nicht gegen die Denkgesetze.

Allerdings hat der Sachverständige die Auffassung geäußert, die Arbeit des Klägers erfordere an sich die Kenntnisse eines Ingenieurs, er löse die ihm gestellten Aufgaben jedoch auf andere Weise, nämlich aufgrund seiner praktischen Berufserfahrung. Hierin liegt kein unauflöslicher Widerspruch.

Wie sich aus dem Zusammenhang des Gutachtens ergibt, meint der Sachverständige mit seiner Äußerung, daß die vom Kläger erbrachten Leistungen gewöhnlich von ausgebildeten Ingenieuren erbracht werden. Derartige Sachverhalte kommen häufig vor. Sie hängen damit zusammen, daß zahlreiche Ingenieure – der größeren Nachfrage wegen – in Aufgabenbereichen tätig sind, die auch von erfahrenen Praktikern ohne theoretische Ausbildung, sei es aufgrund ihrer Berufserfahrung, sei es mittels Formelsammlungen, wahrgenommen werden können. Übt ein Autodidakt eine solche Tätigkeit aus, ist sie nicht geeignet, den Nachweis der erforderlichen theoretischen Kenntnisse zu erbringen:

Ingenieurähnliche Kenntnisse können nur dann mittels der eigenen Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen nachgewiesen werden, wenn diese besonders anspruchsvoll ist und sowohl der Tiefe als auch der Breite nach zumindest das Wissen eines Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzt (BFH-Urteile in BFHE 132, 16 , BStBl II 1981, 118 , 120; in BFHE 158, 409, BStBl II 1990, 73; ähnlich BVerfG in StRK, Einkommensteuergesetz 1975, § 18 Abs. 1, Rechtsspruch 59). Soll nämlich von der Art der ausgeübten Tätigkeit auf den Kenntnisstand und die Qualifikation des Berufsausübenden geschlossen werden, so muß sich diese Tätigkeit an der allgemeinen Aufgabenbeschreibung des Vergleichsberufs messen lassen (BFH-Urteil vom 21. Februar 1986 III R 183, 184/82, BFH/NV 1986, 603).

Hierin liegt keine unzulässige Bevorzugung des Ingenieurs, der in einem nicht ausbildungsadäquaten Aufgabenbereich tätig ist. Denn dieser vermag auch relativ einfach erscheinende Probleme anhand seiner umfassenden theoretischen Ausbildung in einem größeren Zusammenhang zu sehen und damit sicherer zu beurteilen als derjenige, der nur auf seine praktische Berufserfahrung zurückgreifen kann (BFH-Urteil vom 22. Januar 1988 III R 43-44/85, BFHE 152, 345 , BStBl II 1988, 497 ). Zudem hat der Senat entschieden, daß auch ein Autodidakt, der (in früheren Jahren) durch den fachlichen Anspruch und die Breite seiner Tätigkeit seine theoretischen Kenntnisse nachgewiesen hat, ebenso wie der ausgebildete Ingenieur oder Architekt Freiberufler bleibt, wenn er in späteren Jahren eine Tätigkeit ausübt, die zwar auch von Ingenieuren und Architekten ausgeübt wird, jedoch nicht deren Kenntnisstand voraussetzt (Urteil vom 12. Oktober 1989 IV R 118-119/87, BFHE 158, 413 , BStBl II 1990, 64 , zu einem Bauleiter).

In der Regel wird es in Fällen wie dem hier zu beurteilenden nicht erforderlich sein, daß der Sachverständige den Steuerpflichtigen einer Art Examen unterzieht. Es genügt, wenn er feststellt, ob dessen Tätigkeit so anspruchsvoll ist, daß sie sowohl der Tiefe als auch der Breite nach zumindest das Wissen eines Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzt (BFH-Urteil in BFHE 132, 16 , BStBl II 1981, 118 , 120), oder ob sie auch anhand von Formelsammlungen oder praktischen Erfahrungen ausgeübt werden kann. Dementsprechend sollte bereits in dem dem Sachverständigen vom FG erteilten Auftrag tunlichst darauf hingewiesen werden, daß eine Tätigkeit nicht bereits dann geeignet ist, ingenieurähnliche Kenntnisse zu dokumentieren, wenn sie auch – oder sogar überwiegend – von Ingenieuren ausgeübt wird.