Schlagwort-Archive: Schwerbehinderten

Pauschbetrag für behinderte Menschen bei getrennter Veranlagung (BFH)

Zuordnung des übertragenen Pauschbetrages für behinderte Menschen bei getrennter Veranlagung

 Leitsatz

Die Zuordnungsregelung in § 26a Abs. 2 EStG geht anderen Zuordnungsregeln vor. Der einem gemeinsamen Kind zustehende Behinderten-Pauschbetrag, der auf Antrag der Eltern vollständig einem von ihnen übertragen wurde, ist daher bei getrennter Veranlagung bei beiden Elternteilen je zur Hälfte abzuziehen.

 Gesetze

EStG 2002 § 26a Abs. 2 Satz 2
EStG 2002 § 33b Abs. 5

 Instanzenzug

FG Köln vom 26. Oktober 2010 1 K 2939/10 (EFG 2011, 975 )BFH III R 1/11

 Gründe

I.

1  Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr Ehemann haben sich im Laufe des Streitjahres 2007 getrennt. Ihr gemeinsamer Sohn ist schwerbehindert (Merkzeichen G, aG und H). Er lebt im Haushalt der Klägerin und wird seit seiner Geburt im Jahre 1992 vollständig von ihr betreut und versorgt.

2  Die Eheleute sind für das Streitjahr antragsgemäß getrennt veranlagt worden. Der Einkommensteuererklärung der Klägerin war eine Bescheinigung des Ehemannes beigefügt, dass er die ihm zustehenden Freibeträge wegen der Behinderung des gemeinsamen Sohnes für das Kalenderjahr 2007 auf seine Ehefrau übertrage.

3  Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte in dem die Klägerin betreffenden Einkommensteuerbescheid für 2007 den Behindertenpauschbetrag für den Sohn in Höhe von 3.700 € nur zur Hälfte und wies den dagegen gerichteten Einspruch als unbegründet zurück.

4  Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, die Klägerin habe Anspruch auf Gewährung des vollen Behindertenpauschbetrages in Höhe von 3.700 €.

5  Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung des § 26a Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG ). Der nach § 33b Abs. 5 EStG übertragene Pauschbetrag sei nach dem eindeutigen Wortlaut des § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG jedem Ehegatten zur Hälfte zu gewähren; dabei handele es sich um eine abschließende Regelung. § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG beruhe auch nicht auf einem redaktionellen Versehen, denn die Regelung sei seit 1979 trotz mehrfacher Änderungen (z.B. durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999, BGBl I 1999, 2552 ; dazu BRDrucks 476/99, S. 22 und 25) unangetastet geblieben. Für die Absicht des Gesetzgebers, den Pauschbetrag beiden Elternteilen je zur Hälfte zuzuordnen, spreche auch die Unterhaltspflicht beider Elternteile.

6  Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7  Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

8  Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

9  1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Sohn der Klägerin nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG ein Pauschbetrag für behinderte Menschen in Höhe von 3.700 € zusteht, der —da ihn der Sohn nicht in Anspruch nimmt— gemäß § 33b Abs. 5 EStG auf die Klägerin übertragen werden konnte, da sie für das Kind einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld (§§ 62 ff. EStG ) erhält. Zwar steht der Pauschbetrag grundsätzlich beiden Elternteilen je zur Hälfte zu (§ 33b Abs. 5 Satz 2 EStG ). Da auf deren gemeinsamen Antrag aber auch eine andere Aufteilung möglich ist (§ 33b Abs. 5 Satz 3 EStG ), konnte er vollständig der Klägerin zugeordnet werden.

10  2. Der nach § 33b Abs. 5 Satz 3 EStG allein der Klägerin zugeordnete Pauschbetrag des Sohnes ist jedoch nach § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG bei der Klägerin und ihrem Ehemann jeweils zur Hälfte abzuziehen, da es sich bei § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG um die speziellere Zuordnungsregelung handelt.

11  a) Der Gesamtbetrag der Einkünfte und das Einkommen (§ 2 Abs. 3 und 4 EStG) werden bei getrennter Veranlagung für jeden Ehegatten individuell ermittelt. Steuervergünstigungen sind deshalb nur bei dem Ehegatten zu berücksichtigen, der die Voraussetzungen des Begünstigungstatbestandes erfüllt (Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 26a EStG Rz 36). Daher sind z.B. Sonderausgaben getrennt veranlagter Eheleute grundsätzlich nur bei demjenigen Ehegatten abzuziehen, der sie getragen hat und die Voraussetzungen für ihre steuerliche Berücksichtigung erfüllt.

12  b) Für einige Steuervergünstigungen normiert § 26a Abs. 2 EStG jedoch besondere Zuordnungsregeln. Als Sonderausgaben abziehbare Kinderbetreuungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG ) sowie außergewöhnliche Belastungen (§§ 33 bis 33b EStG) werden nach § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG bei den getrennt veranlagten Ehegatten jeweils zur Hälfte abgezogen, „wenn die Ehegatten nicht gemeinsam eine andere Aufteilung beantragen”. Dasselbe gilt nach § 26a Abs. 2 Satz 4 EStG für die Steuerermäßigung nach § 35a EStG (Aufwendungen für haushaltsnahe Beschäftigungsverhältnisse, haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen). Auf die Frage, welcher Ehegatte den Begünstigungstatbestand erfüllt und wer die Aufwendungen getragen hat, kommt es dann nicht an. Die Zuordnungsregeln des § 26a Abs. 2 EStG beschränken sich auch nicht auf den Zeitraum, in dem die Ehegatten (schon oder noch) in einer Wirtschaftsgemeinschaft leben, sondern gelten auch für Aufwendungen in den Monaten vor ihrer Eheschließung oder nach ihrer dauernden Trennung. Daher sind z.B. allein der Mutter entstandene Kinderbetreuungskosten (vgl. dazu das Senatsurteil vom 25. November 2010 III R 79/09, BFHE 232, 331 , BStBl II 2011, 450) nicht bei ihr, sondern grundsätzlich bei beiden Ehegatten zur Hälfte abzuziehen; auf Antrag können sie stattdessen auch bei ihrem getrennt veranlagten Ehemann abgezogen werden. Dies gilt auch für Krankheitskosten eines behinderten Ehemanns (§ 33 Abs. 1 EStG ) und einen ihm zustehenden Pauschbetrag nach § 33b EStG : Diese sind zur Hälfte bei seiner Ehefrau abzuziehen, wenn die Eheleute nichts anderes beantragen.

13  c) Der die nach § 33b Abs. 5 EStG übertragbaren Pauschbeträge betreffende § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG verdrängt ebenfalls anderweitige Zuordnungsregeln. Er bestimmt, dass die Pauschbeträge beiden Ehegatten zur Hälfte gewährt werden, ohne —wie die Sätze 1 und 4— den Eheleuten eine andere Aufteilung zu ermöglichen. Nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut kann der der Klägerin zugeordnete Pauschbetrag bei ihr mithin lediglich zur Hälfte abgezogen werden; das freie Zuordnungsrecht des § 33b Abs. 5 Satz 3 EStG ist bei getrennter Veranlagung der Elternteile wirkungslos (gl.A. Seiler in Kirchhof, EStG , 11. Aufl., § 26a Rz 4; Mellinghoff in Kirchhof, a.a.O., § 33b Rz 13; HHR/Pflüger, § 26a EStG Rz 66; Blümich/Heuermann, § 26a EStG Rz 28; a.A. Schmidt/Loschelder, EStG , 31. Aufl., § 33b Rz 29).

14  aa) Der Wortlaut des § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG ist nicht etwa deshalb unmaßgeblich, weil ihm ein redaktionelles Versehen zugrunde liege. Zwar sollte durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2552 , BStBl I 2000, 4) der § 33b Abs. 5 EStG an § 33a Abs. 2 Sätze 5 und 6 EStG angepasst werden (BRDrucks 476/99, S. 25), nach deren Neufassung jedem Elternteil die Hälfte des Abzugsbetrages zustand, wenn die Eltern nicht eine andere Aufteilung beantragten. Andererseits wurde aber auch § 26a Abs. 2 EStG durch das Gesetz zur Familienförderung geändert, was gegen ein gesetzgeberisches Versehen spricht, zumal § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG auf § 33b Abs. 5 EStG verweist und die unterschiedlichen Zuordnungsregeln in beiden Vorschriften nicht zu übersehen sind.

15  bb) Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die zwingende Halbteilung des übertragenen Pauschbetrages. Die insoweit fehlende Gestaltungsmöglichkeit der getrennt veranlagten Ehegatten gilt zwar nicht für die übrigen außergewöhnlichen Belastungen. Sie betrifft auch nicht Ehegatten, die die Voraussetzungen der Ehegattenveranlagung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG ) nicht erfüllen. Diese Differenzierung ist aber nicht willkürlich und verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG —), den in Art. 6 Abs. 1 GG verankerten besonderen Schutz der Familie oder das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG ).

16  Da im Streitfall der Ehemann der Vater des behinderten Kindes ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob für den Zeitraum nach dauernder Trennung der Eheleute eine teleologische Reduktion des § 26a Abs. 2 Satz 2 EStG von Verfassungs wegen geboten ist und die Ehegatten den Pauschbetrag dann allein der das Kind betreuenden Mutter zuordnen können (vgl. Urteil des Niedersächsischen FG vom 12. Mai 2009 10 K 160/06, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 1303).

Privater Arbeitgeber muss Besetzung freier Stelle mit Schwerbehinderten prüfen

Privater Arbeitgeber muss Besetzung freier Stelle mit Schwerbehinderten prüfen

Kernaussage

Arbeitgeber sind verpflichtet, zu prüfen, ob sie freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen können. Um auch arbeitslose oder arbeitssuchend gemeldete schwerbehinderte Menschen zu berücksichtigen, müssen sie frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufnehmen. So bestimmen es die Vorschriften der Sozialgesetzbücher. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied nun, dass diese Pflicht auch für private Arbeitgeber gilt.

Sachverhalt

Der mit einem Grad von 60 schwerbehinderte Kläger hat eine kaufmännische Berufsausbildung, ein Fachhochschulstudium der Betriebswirtschaft und die Ausbildung zum gehobenen Verwaltungsdienst absolviert. Er bewarb sich bei der beklagten Gemeinde auf deren ausgeschriebene Stelle für eine Mutterschaftsvertretung in den Bereichen Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt. Die Gemeinde besetzte die Stelle jedoch anderweitig, ohne zuvor zu prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden konnte. Sie nahm diesbezüglich auch keinen Kontakt zur Agentur für Arbeit auf. Der Kläger verlangte daraufhin eine Entschädigung nach den Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), weil er sich wegen seiner Behinderung benachteiligt sah. Erst vor dem BAG hatte der Kläger Erfolg.

Entscheidung

Die Pflicht zu prüfen, ob schwerbehinderte Menschen bei der Besetzung freier Stellen berücksichtigt werden können, besteht immer und für alle Arbeitgeber. Sie ist unabhängig davon, ob sich ein schwerbehinderter Mensch beworben hat oder bei seiner Bewerbung diesen Status offenbart hat. Verletzt ein Arbeitgeber diese Prüfpflicht, wird dies als Indiz dafür gewertet, dass er einen abgelehnten schwerbehinderten Menschen wegen der Behinderung benachteiligt hat, weil er seine Förderungspflichten unbeachtet gelassen hatte. Da vorliegend die beklagte Gemeinde die Vermutung einer solchen Benachteiligung nicht widerlegen konnte und auch die Einschaltung der Agentur für Arbeit versäumt hatte, verwies das BAG den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück. Das Gericht hat nun noch über die Höhe der dem Kläger zustehenden Entschädigung zu entscheiden.

Konsequenz

Die gesetzliche Prüfpflicht zur Besetzung freier Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen trifft alle Arbeitgeber, nicht nur die des öffentlichen Dienstes. Ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber kann sich darauf berufen, dass die Verletzung dieser Pflicht seine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lasse.

Zur Bedeutung des Wortes „unverzüglich“ bei fristloser Kündigung eines Schwerbehinderten

Zur Bedeutung des Wortes „unverzüglich“ bei fristloser Kündigung eines Schwerbehinderten

Kernfrage

Kündigungen von schwerbehinderten Arbeitnehmern sind nur wirksam, wenn die Zustimmung des Integrationsamtes vorliegt. Bei fristlosen Kündigungen, die innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis vom fristlosen Kündigungsgrund ausgesprochen sein müssen, reicht es aus, wenn der Antrag auf Zustimmung zur fristlosen Kündigung innerhalb der zwei Wochen beim Integrationsamt eingeht. Stimmt das Amt zu, sieht das Gesetz vor, dass die Kündigung gegenüber dem Schwerbehinderten unverzüglich nach Erhalt der Zustimmung erfolgen muss. Das Arbeitsgericht Oberhausen hatte nun darüber zu entscheiden, was „unverzüglich“ in diesem Zusammenhang bedeutet.

Sachverhalt

Der schwerbehinderte Kläger hatte bei seinem Arbeitgeber Geld veruntreut. Als dies bekannt wurde, beantragte der Arbeitgeber die für eine wirksame fristlose Kündigung erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes. Die Zustimmung wurde auch erteilt, allerdings mehr als zwei Wochen nach Kenntniserlangung des Arbeitgebers vom außerordentlichen Kündigungsgrund. Der Arbeitgeber kündigte am Tag nach Erhalt der Zustimmung des Integrationsamtes das Arbeitsverhältnis fristlos. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte keinen Erfolg.

Entscheidung

Mit seiner Kündigungsschutzklage hatte der Kläger geltend gemacht, die fristlose Kündigung sei verfristet, insbesondere sei sie nicht unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt. Das Arbeitsgericht urteilte jedoch, dass es ausreichend sei, wenn innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes die Zustimmung zur fristlosen Kündigung beim Integrationsamt beantragt sei; im Übrigen sei die Kündigung auch unverzüglich nach Erhalt der Zustimmung erfolgt. Ein Tag Verzögerung sei insoweit unschädlich.

Konsequenz

Die Entscheidung überrascht im Ergebnis nicht, sie zeigt aber, dass bei fristlosen Kündigungen Schwerbehinderter stets unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Die Betonung, dass ein Tag Verzögerung unschädlich sei, lässt darauf schließen, dass eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, wenn eine zwei- oder dreitägige Verzögerung vorgelegen hätte.